eT-XTellssickel-T
SEETeBSTWERT- PER
— * we
Diaitizadbv CGooole
Jitized by (ot ogle
Digitized by Google
Geſchichte
der
Wiſſenſchaften in Deutfchland.
Neuere Beit.
Einundzwanzigiter Band.
Geſchichte der Ariegsmilfenfchaffen
vornehmlich in Deutfchland.
Auf Beranlajjung
Sr. Aajeſtät des Königs von Bayern
herausgegeben
durch die Sifforifhe Kommiſſion bei der Kgl. Akademie der Wiſſenſchaften.
München und Leipgig.
Drud und Verlag von R. Oldenbourg.
1889.
Geſchichte
der
Kriegswiſſenſchaften
vornehmlich in Deutſchland.
Von
Mar Jähns.
Erſte Abteilung.
Altertum, Mittelalter, XV. und XVI. Jahrhundert.
Auf Veranlaſſung
Sr. Majeſtät des Königs von Bayern
herausgegeben
durd die Siſtoriſche Kommiſſion Bei der Kgl. Akademie der Biffenfhaften.
München und Leipzig.
Drud und Verlag von R. Oldenbourg.
1889.
EESE
Kinleitendes Dorwort.
Im Herbjt 1880 trat ich an die mir von der Hiltorijchen Kom—
miffton übertragene ehrenvolle Aufgabe, eine „Geſchichte der
Kriegswiſſenſchaft“ zu jchreiben, mit großer Freude heran und
erwog diejelbe mit befreundeten Sennern. In erjter Reihe jtand die
Frage, was denn eigentlich unter „Kriegswiſſenſchaft“ zu ver
jtehen jei. Als ich einmal die Ehre Hatte, mit Seiner Exzellenz dem
Herrn GeneralsFeldmarichall Grafen von Moltfe über die von
mir begonnene Arbeit ein eingehendes Geſpräch zu führen, bemerkte
der jcharfunterjcheidende Feldherr: „Der Titel ‚Geſchichte der Kriegs-
wiſſenſchaft‘ ift wohl nicht ganz zutreffend; es müßte heißen ‚Ge
Ihichte der Kriegswijfenjchaften‘. Ich fenne wohl Eine Kriegs—
funft, aber nur eine Mehrheit von Kriegswiſſenſchaften.“ —
Dieſem Fingerzeige bin ich gefolgt, auch bei der Feſtſtellung des
Titel meiner Arbeit. — In der Tat: die Kriegsfunjt erhebt ich
zur Einheit in der Perjönlichkeit des handelnden Kriegskünftlers; die
Kriegswiſſenſchaften dagegen, welche die Kriegsmittel jchildern
und aus den Kriegshandlungen Theorien abzuleiten verjuchen, er—
reichen jene Einheit niemals, weil die Gegenftände, mit denen fie jich
beichäftigen, endlich und veränderlich find. Denn es gibt feine „exakte“
Kriegswiffenichaft, feine, welche wie Logik und Mathematik, zwar die
Form, doch nie das Wejen wechjelte; vielmehr find fie ſämtlich Er-
fahrungswiſſenſchaften, welche am Stoffe bangen, und deren
Kategorien nicht an umd für fich beſtehen. Wohl mag der Denfer
die Überlieferungen fammeln und fichten, mag fie methodijc ordnen,
mag die Elementarbegriffe zu höheren Einheiten zujammenfafjen und
durch ſyſtematiſche Vergleichung langer Reiben von Tatſachen zu
105250
VI Einleitendes Vorwort.
Marimen gelangen — bündige Schlüffe vermag er niemals zu ziehen,
unanfechtbare Ergebniffe nie zu gewinnen. Nicht um Feſtſtellung
von abjoluten Wahrheiten handelt es fich für die Kriegswiſſen—
Ichaften, jondern um Lehren von der Beichaffenheit und der Ver—
wendung der Kriegsmittel.
Alle Kriegswifjenichaften gehen von der Braris aus, und ihr
Zweck it, wieder für neue Praxis vorzubereiten. Dieje Praris it
num Kriegshandwerf oder Kriegsfunjt. — Einer der berühm—
tejten Kriegsichriftfteller des 18. Ihots., der Chevalier de Folard,
jtellt freilich) den Sat auf: »La guerre est un metier pour les
ignorants et une science pour les habiles gense — aber dieſe
hundertmal wiederholte Sentenz tft falſch; fie beruht auf einer Ber:
fennung des Wejens der Wifjenjchaft, auf einer Vermiſchung der
Begriffe „Kunſt“ und „Wiſſenſchaft“, wie fie bejonders den Franzoſen
geläufig war und iſt. Michtig verjtanden it für Folards gens
habiles die Kriegführung durchaus nicht Wiſſenſchaft, jondern Kumit.
Noch weniger zutreffend iſt die Unterjcheidung des Erzherzogs Karl,
welcher die Strategie als „Kriegeswiſſenſchaft“, die Taktif als „Krieges—
kunſt“ bezeichnet, oder die jonderbare Auseinanderjegung St. Cyrs,
der bemerft: »La guerre me parait pouvoir se diviser en trois
parties distinetes: le metier, la science et l’art. On commence
à apprendre la premiere partie dans les places d’armes et les
mandges; l'instruction pour la seconde s’acquiert par les ecoles
speciales; elle a pour principal objet l’attaque et la defense
des places (!); la troisieme, l’art de la guerre, est la partie la
plus elevee, mais elle a peu de principes et de rögles, et trös
peu d’hommes connaitront l’art.«e — Alles das erjcheint mir jchief
und falih. Denn die Aufgabe der Wiſſenſchaft ijt es, zu
erfennen und zu lehren, die der Kunſt, zu jchaffen und
zu letiten. „Kunſt“ jtammt von „können“, und etwas anderes als
Verſtehen und Wiſſen jind Eingreifen und Wirfen.
Wenn man fich diefen Unterjchied recht deutlich machen will, jo
gedenfe man beijpielsweije der ärztlihen Kunjt. Niemand wird
leugnen, daß zu deren tüchtiger Ausübung eine Fülle von Willen
gehört. Dennoch iſt dies nur die eine WVorausjegung. Gar nicht
jelten gibt e3 Lehrer der Phyliologie, der Arzeneifunde, der Anatomie,
welche mit Necht als Leuchten der Wiljenichaft gelten umd welche
Einleitendes Vorwort. VII
do als praktische Ärzte völlig ungenügend find; denn fie find Ge
lehrte, feine Künftler. Der ausübende Arzt muß aber Künſtler jein;
er muß jene Diagnofe, jene untrügliche Empfindung für den befonderen
Emzelfall bejigen, welche das Studium allein nicht zu geben vermag,
und er muß eine entjchloffene, jicher eingreifende Tätigkeit entfalten,
deren Energie nicht dem Intelleft, jondern dem Charakter entjpringt.
Und wie der Arzt, jo auch die Meijter der ſchönen Künſte!
Nur derjenige Bildner, der Material und Werkzeug genau fennt und
würdigt, der mit Sicherheit weiß, wie weit die Leijtungsfähigfeit des—
jelben geht, wird etwas zu jchaffen vermögen. Ein Künjtler ift er
darum noch feineswegd, auch dann noch nicht, wenn er die Hand»
habung jener Werkzeuge verjteht: Ddieje ‘Fertigkeit macht ihn immer
erit zum Handwerfer. Um Künftler zu jein, dazu gehört noch das,
was Schiller „Intuition“ nennt, d. h. ein entjchiedenes, oft plößliches
Erleuchtetjein von der Idee, ein ebenjo energiſches Erfaffen derjelben,
en Gegenmwärtighaben aller Mittel, deren man zur Ausführung der
Idee bedarf, und ein entichlojfenes, rechtzeitiges Anwenden Ddiejer
Mittel. Was auf jolche Weiſe entiteht, das wird ein „Kunſtwerk“,
d. h. ein Werk, welches vollem Können entiprungen it. Ganz ähn—
li it das Walten des Kriegskünſtlers; auch für ihn reicht der
Beſitz der KHriegswiljenjchaften nicht aus; er muß fie allerdings er—
worben haben; doch zur Zeitung bedarf er noch jenes fünjtlerijchen
Ingeniums, das die Schäße des Wifjens ausprägt zu Taten.
Zwar einer der berühmtejten militärischen Theoretifer, General
von Clauſewitz, bezeichnet den Krieg lediglich als einen Aft des
menichlichen Berfehrs, als einen Konflikt großer Intereſſen, der nur
darin von anderen Konflikten unterjchieden jei, daß er fich blutig
löſe. Clauſewitz vergleicht daher den Krieg vorzugsweije mit dem
Handel und verweilt ihn aus dem Gebiete der Künſte und Wifjen-
ihaften in das des gejellichaftlichen Lebens. — Aber gehören nicht
auch zur Führung eines großen Handelsgejchäftes erworbenes Wiſſen
und angeborene Begabung: jene weitjchauende Kenntnis‘ des Welt:
marktes, jener Scharfblid für die Chancen des Tages, jener kühne
Wagemut, die nicht jelten auch dem Kaufmanne das Gepräge der
Gentalität verleihen?! — Gewiß: in jedem tüchtigen Wirfen und
Schaffen lebt ein künſtleriſcher Impuls; ja durch ihn wird ſolch
Schaffen erjt möglich).
VII Einleitende8 Vorwort.
Napoleon. jagt einmal jehr ſchwungvoll und geiftreih: »Achille
etait fils d'une deesse et d’un mortel; c'est image
du g6enie de la guerre! La partie divine c’est tout ce qui
derive des considerations morales, du caractöre, du talent, de
linteröt de votre adversaire, de l’opinion et de l’esprit du
soldat!«e Die Beherrichung diejer partie divine ijt das eigentlich
entjcheidende Sennzeichen des großen Kriegskünſtlers, und eben fie
entzieht jich faſt völlig jeder wiljenjchaftlichen Faſſung, erjcheint als
freie Gabe der Natur. Wohl erhebt auch die materielle Seite der
Kriegführung: Zubereitung, Anjammlung, Verwendung der Streit-
fräfte (Dinge, welche jich bis zu einem gewiſſen Grade lernen lajjen),
hohe Anforderungen an den Kriegsfünjtler; aber jene partie divine
überwiegt, und daher fommt es, daß, wie auf allen andern Gebieten
der Kunſt, jo auch auf dem der Kriegskunſt, zuweilen Männer auf:
treten, die bei geringer wiljenjchaftlicher VBorbildung doch das Höchite
letiten. Sie haben gleichjam jpielend gelernt, faſt ohne es jelbit
wahrzunehmen. Unvermerft füllte jich ihre eindrudsfähige Seele mit
Keimen, die in entjcheidender Stunde plöglich Früchte bringen, während
niemand den Baum wachjen, die Früchte reifen jah. Indes, meiſt
haben geniale Männer diejer Art jelbjt empfunden und ausgejprochen,
daß ihr Können noch größer jein würde, wenn e8 auf der Grundlage
regelrecht erworbenen jicheren Wiſſens beruhte, und oft haben fie,
jogar nach) großen Erfolgen, die Lücken ihrer Vorbildung auszufüllen
gejucht. — „Das natürliche Talent“, jagt General v. Aſter, „über:
wiegt in der Kriegskunſt oft genug das ausgebreitetite Wiſſen, wird
aber durch geregeltes gejtärft und bei zufälligen Widerwärtigfeiten
durch diejes gerechtfertigt.*” Geniale Naturen find überdies Ausnahmen
und jehr viel jeltener, als die hoffnungsvolle Jugend annimmt; den
gewöhnlichen Sterblichen ift unzweifelhaft zu raten, fich an Napoleons
Wort zu halten, der jeinen Generalen zurief: »La connaissance
des hautes parties de la guerre ne s’acquiert que par l’experience
et par l’ötude... c'est le seul moyen de devenir grand capitaine.«
Große Feldherren werden freilich auch von den fleißigſt Studierenden
nur wenige werden; denn großes Talent und großes Glüd find
jeltene Mitgaben. Aber wie leer wäre der Himmel, wenn nur die
Sterne eriter Größe an ihm Tleuchteten! Das tägliche Leben bedarf
der vieljprojfigen Leiter von den Erzeugnifjen des Handwerks und
Einleitendes Vorwort. IX
des Kunstgewerbe bis hinauf zu den Schöpfungen der höchſten Kunft,
und weder bei der Ausbildung der Mannjchaft noch bei der Aus—
breitung friegswifjenjchaftlicher Bildung in den Führerfreifen des
Heeres handelt e8 jich darum, jedermann zum Kriegskünſtler zu machen.
Die ungeheuere Mafje diejer Unterrichteten wird vielmehr der Kriegs—
kunſt nur als Material und Werkzeug dienen. — Daß aber jenes
Material jo edel ijt, das gibt der Kriegskunjt eine jo erhabene Stel
lung, wie fie neben ihr nur noch die Statsfunjt einnimmt. „Heeres—
leitung und Statsleitung“, ruft Profop von Cäſarea aus, „das find
die höchſten irdischen Dinge!“ Es find aber auch die jchiwierigjten
aller Künſte, weil der Stoff, mit dem fie zu arbeiten haben, nämlich
Bölfer und Heere, der Eojtbarjte und jprödejte, weil die Art ihres
Schaffens, wegen der entgegenwirfenden feindlichen Kräfte, niemals
frei umd weil ihr Ziel das denkbar höchſte it: Statswohlfahrt
und Sieg!
Welches Verhältnis hat nun die Kriegswiſſenſchaft
zur Kriegskunſt? — Folard irrt, wenn er behauptet: die Krieg—
führung jet eine science plus speculative qu’experimentale. Die
Kriegführung ijt ja überhaupt feine science; aber aud) die Kriegs—
wijjenjchaften find nichts weniger al3 jpefulativ, jondern recht
eigentlich experimental. Gewiß hat General v. Hartmann Recht mit
jeinem Ausſpruch: „Die Theorie des Krieges iſt eine durchaus ab»
leitende; jie fann nicht a priori fonftruieren; fie hat die Erjchei-
nungen vor fich und entnimmt ihre Grundjäße den bedingenden und
maßgebenden Potenzen, welche diejelben werden, jich geitalten und
abjchließen liegen.” — „Die Theorie joll“, wie Claujewiß jagt, „dem
Handelnden zu jener Einficht verhelfen, die, in jein ganzes Denfen
verichmolzen, jeinen Gang leichter und ficherer macht.“ — Dieje
beiden Bemerkungen vereint entiprechen genau dem oben aufgeitellten
Sage: „Die Kriegsmwiljenjchaften gehen von der Praxis aus und ihr
Zwed ijt, wieder für neue Praxis vorzubereiten.” — Dieje Praris
jegt num Stoffe und Werfzeuge voraus, in denen und mit denen fie
arbeitet, und fie betätigt fich in einer bejtimmten Art zu arbeiten, zu
ichaffen. Doc, auch jchon die Wahl des Stoffes, die Herrichtung
der Werkzeuge ijt ein Teil der künſtleriſchen Tätigkeit. — Material
und Organe der Kriegskunſt, lebendige wie tote, Menjchen und
Roſſe, Rüftungen und Waffen, Feitungen, Schiffe u. j. w., werden
X Einleitendes Vorwort.
unter dem Namen der „Kriegsmittel“ zujammengefaßt; ihre Betrady-
tung und Fortbildung iſt Gegenjtand einer Reihe von Kriegswiſſen—
ichaften, nämlich der Kunde von der Heeresaufbringung,
Heeresgliederung und Heereszucht, der Waffenlehre und
der Befeftigungsfunde. — Die Würdigung der Art zu jchaffen,
d. h. den Krieg zu führen, ergibt dann eine Theorie der Verwendung
jenes Materials: die Wijjenjchaften von der Truppenfüh-
rung (Taktik) und die von der Heerführung (Strategie).
E3 handelt ſich nun darum, welche Aufgaben einer Geſchichte
der Kriegsmifjenichaften zufallen und aus welchen Uuellen fie zu
ichöpfen habe. Am deutlichjten dürfte dieje Frage ſich beantworten
laffen, wenn man zunächjt die Frage nad) Aufgabe und Quellen einer
Gejchichte der Kriegskunſt erhebt und nach deren Erledigung Die
Grenze zwijchen beiden fejtjtellt; denn die Kriegskunſt it das Ur—
jprüngliche, die Kriegswiſſenſchaft das Abgeleitete.
Eine Gejchichte der Kriegskunſt muß aus drei wejentlichen
Teilen beitehen: aus emer Gejchichte der Kriegsmittel, aus einer Ge
Ichichte der Aufgaben und Erfolge der Kriegskünſtler und endlich)
aus einer Gejchichte ihrer Art zu jchaffen.
Die Gejchichte der Striegsmittel, gewöhnlich „Gejchichte des Ktriegs-
weſens“ genannt, findet ihre Quellen teils in gefjchichtlichen Über-
lieferungen, teils in Denfmalen und Überrejten der Vergangenheit.
Eriteres gilt namentlich) für die Gejichichte des Heerweſens, welche
in der innigiten Weiſe mit der Berfafjungsgeichichte der Staten ver-
"bunden it, leßteres vorzugsweile in Bezug auf Waffen und Bauten.
Die Darjtellung der Aufgaben und Erfolge der Kriegskünitler, d. h.
der Feldherren, it als „Kriegsgeichichte* aus der allgemeinen Gejchichte
berauszuheben. Die Art des Schaffens auseinanderzujegen, ijt endlich
Sache einer „Gejchichte der Kriegführung“, welcher die Betrachtung
der Feldherrnkunſt im engeren Sinne zufällt.
Dem gegenüber hat nun eine Gejchichte der Kriegsmwijjen-
ſchaften die Aufgabe, nachzuweiſen, welche Kenntnijje
von den Kriegsmitteln und welche Auffaſſung von deren
Beihaffung und Berwendung jeweilig wijjenjchaftlich
niedergelegt worden und im Xaufe der Geſchichte map-
gebend gemwejen jind. Die Gejchichte der Kriegswiſſenſchaft hat
aljo nicht die Fülle der Erjcheinungen an und für ſich zum Gegen-
Einleitendes Vorwort. XI
ſtande, jondern deren Betrachtung und theoretiiche Würdigung: ihr
Spiegelbild in der Literatur. Die Quellen, welche für die „Ge
ihichte der Kriegskunſt“ fließen, find für die „Geſchichte der Kriegs—
wiſſenſchaften“ jtreng genommen gar nicht vorhanden. Zwiſchen dem,
was geichehen, und dem twas gleichzeitig wiljenjchaftlich formuliert
worden ijt, bejteht nicht jelten ein tiefgreifender Unterjchied. Die
Wiſſenſchaft eilt zumeilen der Praris voran, wenn fie auf Über
lteferungen fortbaut, welche bejjer jind als die im täglichen Leben
berrichende Routine; noch öfter hinkt jie der PBraris nach, wenn die
handelnden Perjonen jo groß oder die Umjtände jo zwingend find,
dat die Taten der Kriegsmänner nicht in das enge Bett der gültigen
Theorien pafjen. Es fommt vor, daß ein Feldherr veraltende Theo-
rien lehrt, indes er jelbjt aus Naturanlage und Notwendigkeit im
Sinne einer anderen, neuen Anjchauung handelt. Trogdem aber bleibt
das, was er in jeinen didaktischen Schriften lehrt, die Wifjenjchaft
jeiner Zeit; das, was er tut, bejtimmt die wiljenschaftliche Auffafjung
einer kommenden Zeit. — Die Kriegswijjenjchaften aus dem Eonjtruieren
zu wollen, was die Striegsfünjtler getan, indem man etiva nachzu-
weijen unternähme, was ihnen der Genius ins Ohr geraunt, um dies
dann als ihre wahre wifjenjchaftliche Überzeugung zu verfündigen,
dad wäre ein nicht nur ausjichtSlojer, jondern auch unberechtigter
Verſuch. Denn dabei handelte es ji um Mutmaßung, nicht um Wifjen;
das Ergebnis wäre aljo eine Aneinanderreihung von Vermutungen
oder Phantaſien, feine Gejchichte der Wiſſenſchaft.
Indem ich nun die Örenzen zu ziehen juchte, innerhalb deren
meine Gejchichte der Kriegswijjenfchaften jich zu bewegen
baben werde, gelangte ich bald zu der Überzeugung, daß alles das
bei Seite zu laſſen ſei, was nicht ganz unmittelbar unter den oben
erläuterten Begriff wirklicher Kriegswiſſenſchaften gehört, auch wenn es
der Sprachgebraud) als „militäriſch“ zu bezeichnen pflegt. Militäriſches
Aufnehmen, Milttärgeographie, ja auch Kriegsgejchichte, injofern dieſe
nicht etwa applifatorijch vorgetragen wird und jomit als Unterricht
in der Feldherrnkunſt oder der Taftif erjcheint, waren auszuſcheiden
md den anderen sachkreijen: der Geodäſie und Topographie, der
Geographie, der Gejchichte u. j. w. zu überlafjen; als Kriegswiſſen—
haften dagegen waren einzureihen: die Kunde von der Heeres:
aufbringung und Heeresverfafjung, die Waffenlehre, die Kunde von
XII Einleitendes Vorwort.
der Heeresverwaltung und dem Kriegsrechte, die Taktik, Fortififation
und Strategie. Unter allen Umjtänden war die Gefahr zu vermeiden,
jtatt einer Gejchichte der Kriegswiſſenſchaften etwa eine Gejchichte der
Kriegskunſt oder gar des Kriegsweſens zu jchreiben. Das hätte ins
Unabjehbare geführt und wäre ungefähr dasjelbe geweſen, als wenn
Bluntſchli ftatt jeiner „Geichichte der Statswifjenichaft“ eine Ge
jchichte der praftiichen Bolitif, d. h. eine Weltgejchichte, gejchrieben
hätte. — So eng ich aber auch mein Thema zu begrenzen verjucht: das
umſpannte Gebiet erwies ſich doch als jehr weit umfafjend; denn bald
jtellte jich heraus, daß ich unbedingt auf das Altertum zurüdzus
greifen habe, deſſen Fachjchriftiteller bis zu den Tagen Friedrichs d. Gr.
jede wiljenjchaftliche Behandlung unſeres Gebietes jo mächtig und
einflußreich bejtimmt haben, wie das vielleicht in wenigen anderen
Gedankenkreiſen der Fall gewejen it. Das Verjtändnis gerade
der höheren Teile der neueren Kriegswiljenjchaft bedingt ein be
jtändiges Zurückweiſen auf die antifen Werfe, und daher mußten
diefe ihrem Hauptinhalte nach gekennzeichnet und verjtändlich gemacht
werden. Es durfte dann die Brüde zur Neuzeit, das Mittelalter,
nicht fehlen, in welchem das wijjenjchaftliche Leben noch nicht volksmäßig
gejondert, vielmehr allgemein europäiich war. Eine jolche Mitgabe,
welche dem inneren Zujammenhange und der VBolljtändigfeit des Werkes
zu Gute fam, vergrößerte überdies den Umfang desjelben nur wenig,
weil die Zahl der literariichen Denkmale jener mittleren Zeiten, ſo—
weit jie hier in ‚srage fommen, nicht groß it.
Doch nicht nur in diefem Sinne mußte über die Schranfen deutjchen
Geiſteslebens hinausgegriffen werden. Kriegskunſt und Kriegswiſſen—
ſchaft find die Kinder gewaltigjten gegemjeitigen Durchdringens der
Nationen. Sie find international im höchjten Maße, und wenn man
auch den Anteil der Deutjchen an ihrer Entwidelung bejonders her—
vorheben kann, jo vermag man doch nur umeigentlich von einer auss
ſchließlich, deutſchen“ Kriegswiſſenſchaft zu reden. — Jene Wechſelwirkung
von Volk zu Volk fpricht ich jeit dem 16. Ihdt., d. h. jeit dem Die
Nationalliteraturen ſich auch auf wiſſenſchaftlichen Gebieten deutlich
von einander abheben, ſehr lebendig durch die Überſetzungen aus.
Geringe Ausnahmen abgerechnet, liegen in der Tat in den Verdeut—
ſchungen alle diejenigen fremden Werke vor, welche die deutſchen Zeit—
genoſſen für die bedeutendſten hielten. Es genügte daher vom 16. Ihdt.
Einleitendes Vorwort. XIII
an, im Allgemeinen nur jolche Arbeiten anderer Völker zu berückjich-
tigen, welche durch Übertragung in unfere Mutterjprache der deutſchen
Literatur angegliedert worden jind.
Es frug jih nun, bis zu welchem Zeitpunfte die fort:
ichreitende Arbeit Heranzuführen ſei, und da entichloß ich mich
(nicht ohne Zaudern und Schwanfen), vor dem Eintritte der napoleoni-
ichen Ara abzubrechen. Denn mit der revolutionären Epoche beginnt
diejenige Friegsweltgejchichtliche Periode und diejenige große Geijtes-
bewegung, in deren Mitte wir ſelbſt noch heute jtehen. Das ent-
icheidende Moment it da das Auffommen der nationalen Mafjenheere,
deren Einfluß auf die gejamte Kriegführung und demgemäß auf die
Kriegswifjenjchaften jo groß tit, daß er von den Folgen der Einführung
auch der mächtigjten technischen Hilfsmittel, wie die Eijenbahnen, die
Hinterlader, die Telegraphie, bei weitem nicht erreicht wird.
Die natürliche Borbedingung einer Gejchichte der Kriegs—
wiſſenſchaften wäre eine Geſchichte der Militärliteratur, u. zw.
eine jolche im weitejten Sinne des Wortes, nämlid) unter Inbe—
griff der ungedrudten Arbeiten rein wifjenjchaftlicher Natur,
jowie der gleichfall8 meiſt nur handjchriftlich vorhandenen Denkichriften
amtlichen Urjprunges, endlich aber auch unter Inbegriff der
öffentlichen Erlajje und Dienjtvorjchriften; denn zumal
in literariſchen Denfmalen diejer Art offenbaren Wiſſen und Wollen
einer Zeit jich mit der höchſten Zuverläffigfeit. Für das Mittelalter
und das 15. Ihdt. ift die Heranziehung der Handjchriften jelbjtver-
ſtändlich unerläßliche Vorbedingung jedes Verftändniffes, und für das
16. Ihdt. jind fie noch überaus wichtig; denn jelten nur geben die
damals gedructen Bücher den wirklichen Stand der Wiljenjchaften.
Wer den Druden allein folgen wollte, der würde gar leicht, namentlich
auf dem Gebiete der Artillerie, um ein Jahrhundert irren; denn der ge
heimnijjende Zunftgeiit brachte e8 fertig, daß ein um 1420 gejchriebenes
Buch erit um 1520, eine um 1530 entjtandene, handjchriftlich weit
verbreitete Arbeit erit um 1620 gedrucdt wurde. Indes, auch für das 17.,
ja für das 18. Shot. find gewiſſe, nie gedructe Denkjchriften von
unvergleichlicher Bedeutung, jobald man die Stellung mancher gerade
bejonders hervorragender Berjönlichkeiten zur Kriegswifjenjchaft richtig
würdigen will. — Alle dieje Dinge hätte eine wahre Gejchichte der
Meilttärliteratur zu berüdjichtigen; aber eine jolche gibt es überhaupt
XIV Einleitende3 Vorwort.
nicht, wenngleich zwei deutiche Werfe einen darauf hin deutenden Titel
rühren.
Die „Allgemeine Literatur der Kriegswiſſenſchaften“ von dem
preußijchen Lieutenant 9. %. Rumpf (Berlin 1824) iſt „ein ſyſtematiſch-chrono—
logifches Verzeichnis aller jeit Erfindung der Buchdruderfunft in den vornehmijten
europäiihen Sprachen erjdhienenen Bücher über ſämtliche Kriegswiſſenſchaften;“
aber dieje tüchtige und gewiſſenhafte Arbeit bietet eben nur die Angabe bloßer
Titel gedrudter Bücher.
In höherem Maße entſpricht den Hiftoriihen Anforderungen die von dem
preußijchen Generalmajor Dr. 3. ©. von Hoyer, Mitglied der fal. ſchwediſchen
Akademie der Kriegswifienichaften, bearbeitete „Kiteraturder Kriegswiſſen—
haften und Kriegsgeſchichte“ (Berlin 1832). Dieje Schrift, welche den
2. Band der „Handbibliothef für Offiziere“ bildet, ijt die bei weitem bedeutendjte
aller einjchläglichen Arbeiten. Aber indem Hoyer e8 unternahm, in einem Duodez-
bändchen von 647 Seiten die gejamte Militärliteratur von den ältejten Zeiten
bis 3. 3. 1824 darzujtellen u. zw. einjchliehlich der Kriegsgeſchichte, ja der kriegs—
geſchichtlich intereſſanten Pläne, konnte er begreiflicherweije nicht8 anderes bieten
als eine mehr oder minder gut gruppirte Anführung der Werke. Von Hand-
ichriften ift gar feine Nede, und bei aller Achtung vor den außergewöhnlich
reihen Kenntnifien des Verfaſſers, darf doch nicht verfchwiegen werden, daß,
namentlicd) joweit Altertum und Mittelalter in Frage fommen, eine große Zabı
3. T. bedenklicher Jrrtümer mit unterlaufen find.
Was jonjt vorhanden ift, jind entweder Werkverzeichniſſe wie der gediegene
Artifel »Auteur militairee in des General Bardin Dictionnaire de l’armee
de Terre« (Paris 1851), die Bibliografiamilitare-italiana antica e mo-
derna von Mariano d’ Ayala (Turin 1854) und die Bibliografia militar
de Espaüa von Don oje Almirante (Madrid 1876), oder es jind geijtreiche,
cavalierement zufammengewürfelte Aphorismen wie die des Prinzen von Kiane
in dem Catalogue raisonne& jeiner Militärbibliothef (Leopoldsberg bei
Wien, 1805), oder endlich Sonderunterfuchungen wie die lehrreiche Arbeit des
Carlo Promis Della Vita e delle Opere degli ItalianiScrittori
di artiglieria, architettura e meccanica militare da Egidio Colonna a Fran-
cesco de Marchi. (Zurin 1842.)')
So nützlich dieje Hilfsmittel num auch jein mögen, jo gewähren fie
doch nur ein jehr ungenügendes Bild der Militärliteratur, weil fie (unter
bedingungswetier Ausnahme des Hoyer’schen Buches) den geijtigen
Zuſammenhang der Einzelleiitungen nicht darjtellen und weil fie
(abgejehen von Bromis’ Schrift) ſämtlich die Handjchriftlichen Denktmale
’) Val. übrigend ben Abichnitt „Literaturfunde” im I. Kapitel bes VIII. Buches, ſowie
Gebelin: Quid rei militaris doctrina renascentibus litteris Antiquitati debuerit (Borbeaur
1881); De la Barre Duparcgq: Des sources bibliographiques militaires (Baris 1856) und
Petzoldt; Überſicht der gefamten militärifhen Bibliographie. (Dresden 1857.)
Einleitendes Vorwort. XV
völlig unberüdjichtigt laffen. — Die Aufgabe, eine Gejchichte
der Kriegswiſſenſchaften zu jchreiben, mußte daher in
der Weije gelöſt werden, daß zugleich eine Gejchichte der
Militärliteratur gejchaffen wurde. Dadurch wurdefie allerdings
ganz wejentlich erjchwert; denn e3 war num notwendig, vor und während
der Arbeit alle wichtigeren mitteleuropätjchen Bibliotheken zu bereijen.
As Anhalt für die Lejer, mehr aber noch für nachfolgende
Foricher, will ich hier ein Verzeichnis der von mir bejuchten,
bezgl. benugten Sammlungen geben, wobei ich bemerfe, daß die
augerberlinijchen wejentlic”) nur in Bezug auf ihren Handjchriften-
beitand herangezogen wurden und daß einige Bibliotheken, wie 3. B.
die in Breslau und Hamburg, nur deshalb nicht durchforſcht wurden,
wel ort3fundige Kenner mir von vornherein verjicherten, daß dort
für meine Zwecke nichts zu finden jei.
l. Nahen. Stadtbibliothek. ı 24. Dresden. Sal. öffentl. Bibliothek.
2. Altenburg. Herzogl. Bibliothet. 25. Bibl. der 12. Art.»Brigade.
3. Amfterdam. Reichömujeum. 26. Erlangen. Univerſitätsbibliothet.
1 Univerfität3bibliothet. 27. Florenʒ. Biblioteca Riccardiana.
5. Bamberg. Kgl. öffentl. Bibliothet. 28. „» Laurenziana.
6. Bafel. Univerfitätsbibliothet. 29. Frankfurt a. M. Stadtbibliothef.
7. Berlin. Königliche Bibliothek. 30. Gent. Staotbibliothet.
8. Archiv und Bibliothek des Gr. | 31. Göttingen. Univerfitätsbibliothet.
Generalſtabs. 32. Gotha. Herzogl. Bibliothet.
9. Archiv und Bibliothek des Kriegs- 33. Graz. Univerſitätsbibliothek.
minifteriums, 34. 's Gravenhage. Sal. Bibliothet.
10. Bibliothek der Kriegd- Akademie. | 35. Dranijches Hausarchiv.
1l. — des Zeughauſes. 36 Hannover. Ardivbibliothet.
12. A der Univerfität. 37. Heidelberg. Univerjitätsbibliothet.
13. a des Verfaſſers. 38. Innsbrud. Ferdinandeum.
14. Bern. Stadtbibliothef. 39. Karlseuhe. Großherzogl. Bibl.
15. Braunfchweig. Stadtbibliothek. 40. Keiden. Univerjitätsbibliothef.
16. Bremen. Stadtbibliothek. 41. £eipzig. Univerjitätsbibliothet.
17. Brüffe. Bibliotheque royale. 42. Stadtbibliothef.
18. Eafjel. Landesbibliothek. 43. £inz. Landesmujeum.
19. Charlottenburg. Bibliothek der Ar- | 44. Mailand. Biblioteca Ambrosiana.
tillerie- und Ingenieur- Schule. | 45. Mainz. Stadtbibliothek.
20. Löln. Archiv und Bibliothet der | 46. Marburg. Yandesardiv mit Bibl.
Stadt. 47. München. Hof- und Statsbibl.
21. Danzig. Stadtbibliothek. 48. Yleapel. Museo Nazionale.
22. Darmftadt. Großherzgl. Bibliothek. | 49. Nürnberg. Germanijches Muſeum.
2%. Defiau. Bebördenbibliothet. 50. Paris. Bibliotheque nationale.
XVI Einleitendes Vorwort.
51. Paris. Bibliothègue du Dépôt de | 63. Denedig. Biblioteca di San Marco.
la guerre. 64. Weimar. Großherzogl. Bibliothek.
52. Prag. Collegium Clementinum. | 65. Werningerode, Gräfl. Bibliothet,
53. Rom. Biblioteca Vaticana. 66. Wien. K. t. Hofbibliothet.
54. Biblioteca Vittorio Emanuele. | 67. &. f. Fideicommißbibliothet.
55. Biblioteca di Corpo di Stato | 68. Ambraſer Sammlung.
Maggiore. 69. Biblioth. Liechtenftein » Hauslab.
56. Salzburg. Benediktinerftift St. Peter. | 70. — des Kriegsminiſteriums.
57. Siena. Biblioteca comunale. 71. Univerfitätsbibliothet.
58. Stuttgart. Kol. Bibliothek. 712. Stadtbibliothek.
59. Trier. Stadtbibliothek. 13. Wiesbaden. Landesbibliothet.
60. Turin. Biblioteca reale. 74. Maſſauiſches Archiv.
61. Biblioteca di Duca di Genova. | 75. Wolfenbüttel. Herzogl. Bibliothet.
62. Ulm. Stadtardiv. 76. Sürih. Stadtbibliothet.
Auf Grund des in diefen Sammlungen gewonnenen Matertales
galt es num, ein Bild der wiljenschaftlichen Entwidelung in der Weile
zu geben, daß die jyjtematische Anordnung der einzelnen Werfe, ihre
Inhaltsangabe und Beſprechung, eingeführt und beſchloſſen durch
orientierende, bezgl. zujammenfafjende Betrachtungen, das wijjen-
Ihaftlihe Leben jedes Zeitraums klar erfennen lieh.
Dabei durfte das bibliographiiche Gerüft, mit deſſen Hilfe diefe Er-
gebniffe gewonnen worden und dejjen Herjtellung einen großen, nicht
leicht zu wiederholenden Aufwand an Zeit und Kojten verurjacht
hatte, nicht völlig abgebrochen werden, mußte vielmehr in dem Maße
bejtehen bleiben, daß eigene wie fremde Nachprüfung bequem möglid)
und die Auffindung jeder Handjchrift, ja auch jedes wichtigen Drud-
werks gejichert blieb.
Eine völlig gleichartige Behandlung des gewaltigen Stoffes er:
wies ſich übrigens als wnausführbar. Aus den natürlichen Bedin-
gungen des Gegenstandes ergab ſich während der Arbeit allmählich
folgende Gliederung:
Das gejamte Werk jet jich aus acht Büchern zufammen, welche
bejtimmten Zeitaltern entjprechen, die mit der wachjenden Literatur
begreiflicherweije Eleiner werden. Sp umfaßt das erjte Buch, das
Altertum (von Homer bis DVegetius): etwa zwölf, dag zweite Buch,
das Mittelalter, noch neun Jahrhunderte. Dem XV. und XVI. Shot.
ijt je ein Buch gewidmet, während jedes der beiden folgenden Jahr—
hunderte auf zwei Bücher verteilt ift. — Dabei jtellte jich für das
Altertum die einfache zeitliche Folge der Schriften als natürlichite
Einleitendes Vorwort. XVII
Art der Anordnung heraus, und demgemäß zerfällt es in zwei Ka—
pitel, von denen das erſte die Zeiten der Republik in Hellas und
Rom, das andere die Zeiten des römischen Imperiums umfaßt. Für
das Mittelalter jchten dagegen eine Scheidung in Orient und Dccident
geboten, und jo gliedert es jich in die beiden Kapitel: Byzantiner
und Abendländer. Bei der Behandlung des 15. Ihdts. genügte
me Gruppierung in allgemeine und in fachwifjenjchaftliche Werke,
während das 16. und 17. Ihdt. bereitS eine Sonderung im je vier
Napitel wünjchenswert erjcheinen ließen:
I Allgemeine friegswifjenichaftliche Werke. Einſchl. der höheren Tattif.)
II. Baffenfunde. (Einjchl. des Waffengebrauche® und der Dippologie.)
III. Heer: und Truppen-Kunde. Einſchl. der Elementartaftif.)
IV. Wiſſenſchaft von der Befejtigung und dem Belagerungstfriege.
Bei Darjtellung der erſten Hälfte des 18. Ihdts. mußte dann
die Heeresfunde jchon völlig aus der Verbindung mit der Truppen-
kunde gelöft werden, und für die zweite Hälfte desjelben Jahrhunderts
rgab jich die Notwendigkeit, auch noch das erjte Kapitel in zwei zu
jerlegen, von denen dem einen die allgemeinen Werfe zur wifjen-
ihaftlichen und gejchichtlichen Orientierung, dem andern aber die
Werke mehr individuellen Charakters zugewiejen wurden, in welchen
jugleih Strategie und große Taktik näher beleuchtet werden.
Der Handlichfett wegen müſſen diefe acht Bücher in drei
Yauptabteilungen gebunden werden, u. zw. foll der erite
Band die Bücher 1 bis 4, der zweite die Bücher 5 bis 7 und der
dritte Das 8. Buch nebſt zwei Negiftern enthalten, deren Herjtel-
lung Herr Dr. Georg Liebe gütigjt übernommen hat. Das eine
diejer Regifter, das literariiche, wird die Namen der Autoren und die
Stichwörter der anonymen Werfe bieten; das andere, das fachliche,
enthält Die wichtigiten der jonjt erwähnten Namen und Gegenjtände.
Überblidt man das gejamte Werk, jo erjcheint e8 als ein
Denfmal ruhmvoller Geijtestätigfeit der Deutjchen.
In manchem Zeitraum gehen die deutjchen Kriegswiſſenſchaften den
entiprechenden Xeiltungen der Nachbarvölfer überhaupt voran; in
anderen zeichnen ſie ſich durch bejonders Hohe Kultur gewiljer Zweige
glänzend aus; immer bleiben die deutjchen Kriegstheoretifer, wenn
nicht die erjten, jo doc, hervorragende Führer auf dem Gebiete ihrer
Wiſſenſchaften.
Jähns, Geſchichte der Keriegswiſſenſchaften. b
XVII Einleitende3 Borwort.
Soweit es ſich um allgemein gehaltene, das ganze Kriegsweſen
betreffende Werke handelt, haben allerdings im Mittelalter die
Italiener und Franzoſen den Bortritt; ihre Kultur ift eben älter.
Erit zu Ende des 14. Ihdts. regt ich ein fchüchterner Verſuch
deuticher Theorie: Sohanns des Seffners „Sunder ler der
jtreitt.“ Im dem bejonderen Fache jedoch, in welchem die Deutjchen
al3 Erfinder und Denker eigentlich zu allen Zeiten die Führerjchaft
behauptet haben: in der Feuerwerferei und VBüchjenmeifterei, nehmen
fie auch gleich zu Anfang die Spige. — An der Schwelle des
15. Ihdts. jteht dann jenes großartige encyklopädiſche Kriegsbuch
Konrad Kyejers, welches die Reihe der kriegswiſſenſchaftlichen
Bilderhandjchriften eröffnet, die der milttärtichen Literatur des aus-
gehenden Mittelalters einen fo eigentümlichen Charakter verleihen.
Dem Vorbilde der Böhmen, die zugleich mit ihren Wagenburgen auch
taftiiche Dienjtvorjchriften jchufen, wird Deutjcherjeit3 ſchnell nach-
geahmt; organijatorijche Neglements jchliegen fich an, und unter den
Lehrjchriften des Jahrhunderts überragen Philipps von Seldened
„Verzaichnus der ordenung“ und Herzog Philipps von Cleve
»Description« an jelbjtändiger Eigenart und unmittelbarer Braud)-
barfeit alles, was von Söhnen fremder Völker Ähnliches gejchaffen
wurde. Die deutjche Artillerietiteratur des 15. Ihdts. ijt geradezu
einzig: das „alte Feuerwerfsbuch“ verbreitete Jich in einer Fülle
mehr oder minder übereinftimmender Abfchriften und Überjegungen ;
Frankreich umd Italien ftehen völlig zurüd; und auch die Anfänge
der neuen Befeſtigungskunſt find nicht in Italien, jondern in Deutjch-
land zu ſuchen; ihr erjtes literariiches Denkmal tft Hans Schermers
Aufjfag über den Baſteibau.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts freilich erhebt fich ein Geiſt
wie der des Machiavelli hoch über alle jeine Zeitgenoffen; nur in
einzelnen Punkten erreichen, übertreffen ihn Deutjche, jo namentlich
in taftischer Hinficht der „Trewe Rat“ und Markgraf Albrecht
von Brandenburg-Preußen, deſſen Werf leider nie veröffentlicht
worden ilt. In Deutjchland beginnt dann das treu-jorgfältige Be—
arbeiten von Sriegsordnungen. Michael Ott von Aechterdingen
eröffnet den Reigen, und bald genug ergibt jich ein das ganze Zeit—
alter beherrſchendes , Amterbuch“, das in des Lazarusvon Schwendi
„Kriegsdiscurs“ feine legte Ausgejtaltung findet, während es
Einleitendes Vorwort. XIX
gleichzeitig zur Grundlage encyhklopädiſcher Arbeiten wird, wie deren
in des Grafen Reinhart von Solms „Kriegsregierung“ und
m des Lienhard Frönsperger „Kriegsbuch“ gedrudt vorliegen. —
War das alte Feuerwerksbuch der artillerijtiiche Kanon des 15. Ihdts.
geweien, jo entwicelt jich zu einem jolchen in der Reformationgzeit
des Franz Helm „Bud von den probirten Künjten“, welches
in artilleriftijcher Beziehung gleich große Geltung erlangt wie in ad-
miniftrativer das Ämterbuch. Büchjen- und Feuerwerfs-Meifter wie
Veit Wulff von Senfftenberg und Samuel Zümermann
fegen in ihren ungedrudten Schriften ein über das allgemeine Können
weithinausgehendes Willen nieder, Durch welches die deutjchen Artil-
ferijten jich als Erfinder der wichtigjten Gejchoßeinrichtungen (Bomben,
Shrapnell3 u. ſ. w.) erweiſen. Schon aber jtehen jie nicht mehr ganz
ohne Wettbewerb da: die erjten Anfänge der Balliſtik knüpfen fich
an den Namen eines Italieners: Tartaglia; das bejtdurchgearbeitete
artillerijtiihe Handbuch verdankt man dem Spanier Collado. —
Lebhafter noch iſt diefer Wettbewerb auf dem jo fleißig beaderten
Boden der Fortififation. Hier ringen Deutiche und Italiener um
die Balme. Albrecht Dürers eigenartiger „VBnderricht zu Be-
vejtigung“ iſt das ältejte jelbjtändige Druckwerk diefer Wiſſenſchaft;
aber in Francesco de Marchi erjcheint ein Mann von ausge-
zeichneter Erfindergabe, unter dejjen Einfluß alle fortififatorischen
Beitrebungen des Jahrhunderts den italienischen Stempel erhalten,
trogdem jowohl die höchſte Vollendung derjelben wie ihre Überleitung
zu neuen Formen doc) wieder zwei Deutjchen zuzujchreiben bleibt: dem
Daniel Spedle und dem Simon GStevin.
Um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts wogte jener
gewaltige Kampf, in welchem jpanijche Disziplin und Intelligenz
mit niederdeutjcher Tüchtigfeit und Einficht rangen. Damals wurde
der Grund zu einer neuen Taktik gelegt, welche jpäter Guſtav Adolf
glorreich ausgebaut hat. Ihre Schöpfer waren die naſſauiſchen
Grafen Ludwig und Moriz, Prinz von Oranien, umd die einzige
unmittelbare und zuverläjfige Quelle für die Kunde von jener Neform
fließt in den ungedrudten Denktwürdigfeiten des Grafen Johann von
Nafjau. Eben diejer war der Stifter der eriten allgemeinen Kriegs-
ihule Europas und im Verein mit Moriz dem Gelehrten von
Heſſen ein begeilterter Vorfämpfer des volfstümlichen Heerwejens,
b*
—X Einleitendes Vorwort.
der allgemeinen Wehrpflicht. Aber die großen Gedanken dieſer Fürſten
fanden keinen Boden in dem zerklüfteten, unterwühlten Vaterlande.
Das verderbliche Söldnerweſen und zumeiſt auch die veralteten taf-
tischen Formen blieben hHerrjchend. Der dreikigjährige Krieg brach
herein, und das Deutjchtum ſank jo tief iwie niemals zuvor. Dies
fommt natürlich auch in der Gejchichte der Kriegswiſſenſchaften deut-
(ich zum Ausdrud. Zum erjtenmale geht die Hegemonie an Frankreich
über. Nur auf artilleriftiichem Gebiete vermögen die Deutjchen einiger-
maßen ihre Stellung zu behaupten; die Werfe Furtten bachs und
Mieths legen davon Zeugnis ab; jonjt überall geben Weljche und
Franzojen den Ton an. Das Schlimmjte war, daß die Deutjchen ihre
eigene Vergangenheit vergejjen hatten. Wie die Dichter der zweiten
Hälfte des 17. Ihdts. den franzöfiichen Vorjängern nachlallen und
feine Ahnung mehr davon haben, daß dereinit Walther von Der
Bogelweide und Wolfram von Ejchenbach herrlich gejungen, jo knüpfen
die deutſchen Milttärliteratoren nicht an Reinhart von Solms, an
Albrecht von Brandenburg, an Daniel Spedle an, jondern an Bajta,
Montgommery und Nohan. Immerhin gab es noch tüchtige
Köpfe, wie den waderen, unermüdlichen Neumair von Ramßla,
den großen Joh. Gottfr. von Leibnig, und ein Glüd war es,
daß die bedeutendjte Erjcheinung der Spätzeit des Jahrhunderts,
Fürſt Raimund von Montecuccoli, zwar italienisch jchrieb, doch
wejentlich deutich empfand. In der Truppenfunde macht ſich die uner—
hörte Pedanterie der Perrüdenzeit breit, die freilich als echt deutjch zu
bezeichnen it und einen gediegenen Vertreter in Joh. Sebajtian
Gruber findet. Das Bejte gelingt noch, wo der Humor ins Spiel
gebraht wird, wie in Wendelin Schildfnehts tüchtiger
»Harmonia« dem dogmatiſchen Gegenſtück zu den jimpliciantjchen
Nomanen. Am gewaltigiten aber tritt der fremde Einfluß auf fortififato-
riſchem Gebiete hervor. Die Gegenbewegung Rimplers iſt zu parador,
um durchzudringen; Menno von Coehorn ift faum noch als em
Deutjcher anzujprechen, und in impoſanter Majejtät lagert ich Die
Autorität Vaubans über ganz Europa. Und doch durfte eine jolche
unbedingte Geltung eigentlih nur dem genialen Methodifer Des
Belagerungsfrieges zuerkannt werden; denn in Bezug auf den Feſtungs—
bau erreicht Bauban faum die Höhe, die drei Menjchenalter vor ihm
der Deutjche Spedle eingenommen hatte.
Einleitendes Vorwort. XXI
Welche Macht eine große Perjönlichkeit ausübt, läßt jich an Vau—
ban deutlich erkennen. Infolge jeiner Wirkjamfeit wurde die Boltor-
fetif nicht nur der vornehmjte Gegenjtand des militärischen Studiums,
jondern jie erjchten gar vielen als die Kriegswiſſenſchaft jchlichthin,
wenigſtens als der einzige ihrer Gegenjtände, über den man irgend
etwas Sicheres zu wiſſen vermöge. Daher jtehen Feſtungsbau und
Delagerungskrieg während der erjten Hälfte des 18. Ihdts. im Bor:
dergrunde aller militärischen Doktrin. Endlich aber trug die Wucht
des Namens Bauban außerordentlich viel dazu bei, den jchon jo großen
Einfluß Frankreichs überhaupt zu jtärfen. Alle franzöſiſchen Schrift-
jteller, auch diejenigen, welche fich nur nebenjächlich mit der Fortifi—
fatton bejchäftigten, genojjen eines unvergleichlichen Anſehens, das
durch die damalige Vorherrſchaft der franzöfiichen Sprache in den
gebildeten Sreifen Europas noch geiteigert wurde. Feuquiéères
Memoiren, Folard's Polyb, die Növeries des Marjichalls von
Sachſen, Buyjegurs Schriften find die maßgebenden Werfe. Das
ändert ſich erjt, num aber freilich auch durchgretfend, mit den Erfolgen
König Friedrichs des Großen. Bon dem Augenblide an, da
ih jen Ruhm entjchteden hatte, bilden er und jein Heer den Mittel-
punft aller friegswiljenjchaftlichen Interejjen und Beitrebungen. Seine
einichneidende Wirkung griff, da ihr Schwerpunft auf der taktischen
Seite lag, ſchon um deswillen noch tiefer und weiter als diejenige
Baubans; denn Marſch, Stellungsnahme und Feldjchlacht bleiben troß
aller Berbildung, doch naturgemäß immer das erite, wichtigite Anliegen
der Krieger. Friedrichs wifjenjchaftliche Arbeiten wurden der Maſſe
jeiner Zeitgenofjen nur teilweije befannt; jeine Taten indes redeten
eme jo deutliche Sprache, daß ſich aus ihnen alsbald eine neue Kriegs-
theorie entwicfelte, die übrigens dem Wejen des fridericianischen Geiſtes
zuweilen näher kam, als wenn man fie aus jeinen Schriften abgeleitet
hätte. Denn während der angeborene „Wille“ des großen Königs
ausgeſprochen offenſiv war und im diefer Eigenjchaft durch die Not-
wendigfeit der » Vivacite« bei dem fleinen, einer Welt entgegentretenden
Preußenvolfe ftarf unterjtügt wurde, jo war dagegen der militärifche
„Intellekt“ Friedrichs durchaus methodisch gejchult u. zw. im Sinne
der jeit dem Ausgange des dreißigjährigen Krieges herrichenden An-
ſchauung, welche die Striegführung als ein Schachipiel auffaßte, bei
dem der Gegner nicht ſowohl durch die Gewalt der Waffen, als durch
XXL Einleitendes Vorwort.
geichickte Züge, durch die Kunjt des Mandvrierens, matt gejegt werden
jollte. Zu Beginn der Laufbahn Friedrihs waltete der Wille vor;
allmählich aber, zumal jeit eigene furchtbare Erfahrungen dem
Könige eine immer deutlichere Erkenntnis all der jo jchweren Be-
dingungen der damaligen Kriegführung vermittelt hatten, nimmt die
Macht des gejchulten Intellektes, die Macht der überlieferten Doktrin
über den angriffsfrohen Willen zu, bis diefer zur Zeit des bayerijchen
Erbfolgefrieges endlich völlig überwunden fcheint. Diejer Widerjtreit
mußte notwendigerweife in den Schriften des Königs noch früher
zum Vorteil der methodiichen Kriegführung entjchieden werden, als in
jeinen Taten. Eben dieſer Widerjtreit beherrjcht aber auch die ge-
jamte Literatur jeiner Zeitgenofjen, wie jeiner nächjten Nachkommen
ſchaft. Er erfüllt die Gejchichte des fiebenjährigen Krieges von Lloyd
und Tempelhof; er Elingt aus den aufregenden Werfen Behrenhorjt’s
und Bülow's heraus; ja man muß zugejtehen, das der ungelöjte
Widerjpruch jener beiden Elemente einen wejentlichen Teil der Schuld
trägt an dem Scheitern der Kriegsunternehmung Preußens i. 3. 1806.
In Friedrichs Taten fand das deutjche Volk jich jelber wieder,
jogar der Teil desjelben, welcher unter den Fahnen der Feinde
Preußens focht. Mochte der König immerhin franzöfiich jchreiben;
der deutjche Krieger hörte auf, beitändig nach dem blendenden Frankreich
hin zu Starren; die Feſſeln der Hypnoje, in denen er gelegen, löjten
jich, jeit er mit Stolz auf König Friedrich jah. Eine außerordent-
liche Regſamkeit bemächtigt fich der denfenden Offiziere. Männer wie
v.d.Gröben, Scharnhorst, Maſſenbach und Hoyer löjen un-
jerer Zeitjchriftenliteratur die Zunge, während es in Frankreich nicht
gelingt, auch nur die bejcheidenjte militärische Monatsjchrift zu be
gründen. Spyftematif und Literatur der Kriegswiſſenſchaften finden
eifrige, wenn auch noch ungenügende Behandlung. Encyflopädijche
Arbeiten treten in ziemlich großer Zahl ans Licht. Stellung, Rechte und
Pflichten des Wehrjtandes werden, keineswegs ohne Beimiſchung jenti-
mentaler PBhilanthropie, vielfach) erwogen; zugleich) aber wird der
große Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht, den dereinit Johann von
Naſſau und Moriz von Heſſen verkündet und den König Friedrich
Wilhelms I. Kantonreglement halb widerwillig abermals angeregt,
aufs neue zur Öffentlichen Beiprechung gebracht und von Juftus
Möſer hiſtoriſch vertieft, vom Grafen Wilhelm zu Shaumburg-
Eınleitendes Vorwort. XXIII
Lippe ſeinen Grundzügen nach ins Leben gerufen. Die militäriſche
Erziehung wird Gegenſtand des Nachdenkens, des Verſuchs; wichtige
pädagogiſche Schöpfungen ſind das Ergebnis. Die Waffenlehre er—
hält von Seiten der Mathematik und der Chemie neue Impulſe, denen
gegenüber die dominierende Stellung der deutichen Artillerie-Wifjen-
haft nicht mehr in der alten Weije aufrecht erhalten werden fann.
Daneben behauptet jich merfwürdigerweile die Elementartaftif, wenig-
ſtens die der Infanterie, wejentlich auf demjelben Standpunfte, den
ihr der alte Dejjauer angewiejen; erjt im legten Jahrzehnt regen ſich
energijchere Reformgedanken, indes gleichzeitig der Begriff der „Stra-
tegie“ mehr und mehr geläutert wird und eine neue Kriegswiſſenſchaft
anzufündigen jcheint. Auf dem Gebiete der Yortififation weit der
jelbjtändige Geiſt Friedrich! d. Gr. frühzeitig, u. zw. weniger durch
Lehre und Theorie, ald durch die von ihm beliebte Baupraris, in
jene Richtung, die man jpäter vorzugsweije mit Montalamberts Namen
verband, bis ihr der berechtigte Ehrentitel der Neupreußiſchen Schule
wurde. — Ein reiches, vieljeitiges Leben! Ein Gähren und Drängen,
welches auf fommende Stürme wie auf kommende Früchte deutet, Die
denn auc wirklich in den napoleoniſchen Kämpfen reifen jollten.
Sch Hoffe, daß meine Arbeit dazu beitragen werde, die etwas
abjeit3 gelegene Stellung zu verbefjern, welche bisher der Militär-
literatur unter den Erzeugniffen des deutjchen Geiſtes eingeräumt zu
werden pflegt. Die Kriegswiſſenſchaften haben einen jo unmittelbaren
Anteil an dem, was für ein Volk doch nun einmal das Allerwichtigite
iit, an jetner Selbjtbehauptung, daß fie e8 wohl verdienen, nicht nur
amtlich, jondern unter allgemeiner Teilnahme gepflegt zu werden, zu=
mal, wenn fie auf eine jo bedeutende und mannigfaltige Vergangenheit
zurüdbliden können, wie fie die Geschichte der deutjchen
Kriegswijjenjchaften entrollt.
Berlin, 24. September 1889.
Max Jähns,
Kol. Preußifcher Oberft-Lieut. a. D.
Ehrenboltor der Univerſität Heidelberg.
Erläuterung.
—
Rück- und Vorbeziehungen auf vorhergegangene oder nachfolgende
Tertitellen find durch Einjchaltung in edige Klammern erfennnbar
gemacht. Die Riückbeziehungen benennen dabei gewöhnlich eine be
Itimmte Seite, die Vorbeziehungen dagegen die Nummer eines Para—
graphen. Und zwar bedeutet die Anführung eines Paragraphen ohne
weitere Bezeichnung 8 x] jtetS den betreffenden Paragraphen desjelben
Buches, in welchem das Gitat erfolgt. Ferner bedeutet:
[A.S x] den x$ des I. Buches (Altertum),
[M.$x] den x$ des II. Buches (Mittelalter).
'XV.$x] den x$ des IH. Buches (XV. Ihdt.).
'XVI$Sx] den x$ des IV. Buches (XVI. Ihdt.).
IXVIla. $ x] den x$ des V. Buches (Erjte Hälfte des XVII. Ihdts.).
(XVIIb.$ x] den x $ des VI. Buches (Zweite Hälfte de8 XVII. Ihdts.).
XVIIIa. $x] den x$ des VII. Buches (XVII. Ihdt. vor Friedrid) d. Gr.).
XVIIIb. $x] den x$ des VIIL Buches [X VIII. Ihdt. feit Friedrich d. Gr.).
Die Seitenzahlen laufen durch alle drei Bände des ganzen
Werkes, wodurd die Bezeichnung der Bände bei Eitaten wie im
Negiiter überflüffig und das Auffinden des Gejuchten erleichtert wird.
1
Inhaltsüberſicht.
(Die Ziffern hinter den Titeln deuten auf die Geiten.)
Einleitendes® Vorwort I-XXII
Inhaltsüberfiht XXV—XLVL
8 |v. Chr. Erſtes Bud.
Das Altertum.
1 | Bedeutung der antiken Kriegswiſſenſchaft. 3.
Nachrichten der Alten über die antife Militär-Literatur. 4.
t
3 Handſchriftl. Sammlungen antiker kriegswiſſenſchaftl. Werke. 5.
Strategiſch-taktiſche Schriften. 5.
Poliorketiſche Schriften. 7.
4 | Gedrudte Sammlungen antifer kriegswiſſenſchaftl. Werte. 8.
I. Kapitel,
Die Beit der Republik in Sellas und Nom.
1. Sruppe:
Von Homer bis zu Alerander.
Homer als „erjter Zehrer der Kriegskunſt“. 13.
Die Hopliten-Phalanx. 15.
Hoplomadıen und Philoſophen. 16.
Eutbydemos und Dionyfodoroß. 17.
Sokrates (Memorabilien). 17.
7 400 | Kenophon: Anabaſis. 19.
| Stat der Lafedaimonier. 21.
Hellenifa. Kyrupaidie. 22.
Reitkunft und Neiterbefehlshaber. 25.
8 | 360 Aineias: Handbud der Strategenfunjt. 26.
Bon der Städteverteidigung. 27.
9 Die griech. Taktit von Xenophon bis Alexander. 29.
538
8 v. Chr
10
11 260
12 | 240
13 | 230
14 | 200
15
16
17
—8 160
—189 150
20
21
70
66
22 50
23 9
n. Chr.
24 12
25
26 80
27
Inhaltsüberſicht. — Altertum.
2. Gruppe.
Das Zeitalter der Alerandriner.
Die Poliorketik der Griechen. 36.
Heron: Lehre vom Geſchützbau. 37.
Bon der Handballijte und vom Hebezeug. 38.
Philon: Werk über Poliortetit. 38.
Lehre vom Gejhügbau. 39.
Befejtigungstunft und Städtefrieg. 39.
Biton: Bon Kriegsmaſchinen und Geſchützen. 42.
Athenaios: Bon Belagerungsmafdinen. 43.
Die griechiſche Artillerie. 43.
Die Taktik der Diadohen und der Peripatetifer. 46.
Klearchos, Eupolemos. 47.
Sphikrates, Pyrrhos, Euangelos. 48.
Phormion. 49.
Die römiſche Manipular-Legion. 49.
Gato: De re militari. 52.
Polybios: Univerjalgejhichte und deren militär. Erkurfe. 55.
Vergleich zwiſchen Phalanr und Legion. 58.
Die Polybios-Literatur. 62.
Die Eohorten-Legion und ihre phalangitifchen Tendenzen. 65.
Die Griehen als militär. Lehrer der Römer. 67.
Poſeidonios-Asklepiodotos: Taftifon. 67.
Cicero: De imperio Cn. Pompei. 68.
I. Kapitel.
Das Halbe Iafrtaufend des römifchen Imperiums.
1. Gruppe.
Das Zeitalter des Prinzipats.
Cäſars Kommentarien. 69. Inhaltsüberfiht. 70. Würdigung. 72.
Cäſars Kriegführung. 76.
Livius’ Geſchichtswerk und feine Schlachtſchilderungen. 80.
Vitruvius: Architectura. 82.
Bon den Kriegsmaſchinen. 83.
Augusti constitutiones. 84.
Cincius: De re militari. 85.
Geljiuß: De artibus. 86.
©. Jul. Frontinus: Stratagemata. 85.
Strategiton. 88.
Die römiſche Taktif des 1. Jahrhunderts. 89.
Der Altltonjul Fronto. W.
KESESES
Inhaltsüberfiht. — Altertum. XXVII
Oneſandros: Feldherrnkunſt. 90.
Oneſandros-Literatur. 92.
Ailianos: Theorie der Taltif. 94.
Aelian-Literatur. 97.
Arrianos: Anabafis Aleranders. 98.
Schlachtordnung gegen die Albaner. 98.
Lehrbuch der Taktik. 99.
Zraftat über die Reiterei. 100.
Militär-Lerifa. 100.
(Hadriand Tattif. 101.)
Apollodoros dv. Damaskus: Poliorketifa. 101—102.
Polyainos: Stratagemata. 102—103.
2. Gruppe.
Das Beitalter der Militärdefpotie.
©. Julius Africanus: Keftoi. 103—106.
Kriegsrechtliche Literatur. 106.
Tarruntenus Paternus: Libri militarium. 107.
Menander Arrius: De iure militare. 107.
Aemilius Macer: De re militari. 107.
Julius Paulus: Über Kriegsftrafen. 108.
Gromatil. Hyginus: Liber de munitionibus castrorum. 108.
Ammianus Marcellinus: Rerum gestarum libri. 109.
Flavius Begetius Renatuß: Epitoma rei militaris. 109.
Inhaltsüberſicht. 111 (Regulae bellorum generales. 115.)
Begez-Literatur. 119. (Bjeudo-Modejtus. 122.) Würdigung. 124.
Publius Vegetius Renatus: Artis veterinarae libri. 126.
Notitia dignitatum. 126 und De rebus bellicis. 127.
Iufammenfaffung.
Aufftellung und Ausrüftung der Heere. 128—129.
Tattit. 129—134.
Boliortetit. 134.
Strategie. 134—135.
Militärifhe Encyflopädien. 135—136.
Beteiligung der Griechen und Römer an der antiken Kriegswiſſen—
ſchaft. 136.
Zweites Bud.
Das Wlittelalter,
Dom 6. his 14. Ihdt.
Einleitung. 140—141.
— a rn u nn
XXVIII
8 |* Ehr.
|
2 | 500
3| 6555
4 | 560
5 | 595
|
6 | (820)
7
8 | 900
9 950
10 | 90
950 |
11 965 |
12 | 1080
13 | 1120
14 | 1225
1290
1320
Inhaltsüberfiht. — Mittelalter.
I. Kapitel.
Die Byzantiner.
1. Sruppe.
- Die Militärfgriftlieller vom 6. bis 9. Jahrhundert.
Orbikios: Verteidigung des Fußvolks gegen Reiterei. 141—142
Taktiton. 142. Wörterbudy der Phalanr. 143.
Profopios von Cäſarea: Berichte über die Kriege Juſtinians.
143— 146.
Anonymus Byzantinus: Statswiſſenſchaft der Tat. 146—151.
Schrift über den Seefrieg 150. Traktat vom Bogenſchießen. 151.
Kaifer Maurikios: Strategifon. 152—156.
Fragment über Kriegsweſen. 156.
Marchus Graecus: Liber ignium ad comburendos hostes.
156—158.
2. Gruppe.
Die Militärfchriftleller vom 10. bis 12. Jahrhundert.
Einleitung. 159.
Kaiſer Leo VL: Summarifhe Wuseinanderfegung der Kriegs:
funft. 160.
Inhaltsangabe. 160. Literatur 169.
Problemata militaria. 170.
Kaifer Konſtantin VIL, Porphyrogennetos: Taktikon. 171—172.
Strategifon. 172. De thematibus. 17@.
De administrando imperio. 173. De caerimoniis. 174.
Die Encyflopädie. 174—175.
Heron: Poliorketifa. 175.
Bafileios Peteinos Patrifios und die Naumadifa. 176.
Kaifer Nikephoras Phokas: Reglement über den Grenzfrieg.
176—177.
Militär-Lexikon (Suidas). 177.
Piellos: Militärifhe Abhandlung. 178.
Unna Komnena! Aleriad 179,
Anhang.
Die arabiſche Fenerwerkerei.
Abhandlung über Kriegsliſten. 180.
Nedin-Eddin-Hakan-Alrammah: Traltat vom Reiterkampf
und von Kriegsmaſchinen. 180.
Schems-Eddin- Mohammad: Abhandlung von Feuermwaffen.
180—181.
& ın.Ebr. |
15
16 | 590
17 | 1240
18 |
19 | 1280
"1 1300
21 | 1130
1280
1340
1360
1321
1335
2 | 1370
1375
3 | 13%
4 | 1395
|
| 802
980
(1050)
%6 | 1158
1393
|
23 | 1260
29 | 1150
A 1150
31 | 1245
Inhaltsüberfiht. — Mittelalter. XXIX
II. Kapitel.
Die Abendländer.
Einleitung 183.
1. Gruppe.
Antike Reminiscenzen und Lehrfdriften.
Sankt Jjidor von Sevilla: Originum libri. 184.
Vincent de Beaupaid: Speculum majus. 185.
Bedeutung des Vegez für daß 13. Jahrhundert. 186—187.
Hegidius Columnma Romanus: De regimine principum. 187.
Inhaltsangabe. 189. Würdigung. 193. Literatur. 194.
(Pierre du Bois): Summaria doctrina 194—1%.
©. Bernhardv. Clairvaur: Exhortatio ad milites Templi. 195.
Henricus de Segufia, Hojtienjis: Summa aurea. 196.
Bartoloda&Saffjoferrato: Lectura ad Digestum novum, 196.
Giovanno de Lignano: De bello- 196.
Marino Sanuto, Torjello: Liber secretorum fidelium crucis.
197—198.
Guido da Bigevano: Thesaurus. 198.
Bartolomeo Caruſi: Tractatus de re bellica. 198.
Baldi degli Ubaldi: Commentarii. 199.
Honor Bonnor: Arbre des batailles. 199.
Inhaltsangabe. 200. Literatur. 202,
De re bellica. (Berner Fragment.) 202.
Johann der Seffner: Ein junder ler der ftreitt. 202—204.
Pulcher tractatus de materia belli. (Graz.) 204—205.
2. Gruppe.
Heeres- und Dienflordnungen.
Kaijer Karls d. Gr. Kapitularien. 205—206.
Kaifer Ottos II. Matrifel des Reichsheers. 206.
Constitutio de expeditione Romana. 206—207.
Kaifer Friedrichs I. Heeresgejeg von Brescia. 207 — 208.
Der Sempacher Brief 208 und die eidgenöffischen Reiferödel. 209.
Deutſche Soldbücher (Karl IV., Lübed, dtſch. Orden, Köln). 209.
Franzöſiſche, engliide und italienifche Soldverträge und Heer—
ordnungen. 210.
Alfonfo el Sabio: Leyes de las siete Partidas. 211—212.
Regel der Tempelherren. 212—216.
n „Johanniter. 216—217.
”„ » Deutichen Herren. 217—218.
39
on —
Inhaltsüberſicht. — Mittelalter.
3. Gruppe.
Werke über einzelne Bweige mittelalterlihen Ariegswefens.
a) Das Ritterwejen.
Turnierbücher. 219. Gafton de Foir: Livre de chevalerie. 220.
Hippolog. Xiteratur. 220. Jord. Rufus: Hippiatria. 221.
Lor. Ruffo: Liber marescalciae. 221.
b) Feuerwerferei und Büchfenmeijterei.
Albertug Magnus: De mirabilibus mundi. 221—222.
Roger Bacon: De secretis und Opus majus. 222.
Entwidelung der Feuerwaffen 222—228.
PBetrarca: De remediis utriusque fortunae. 228.
Älteſtes abendländifches Pulverrezept. 228—229.
Der Münchener Codex germ. Nr. 600. 229—236.
RedufiodaQuero: Geſchützbeſchreibung im Chr. Travisano. 236.
Salpeterläuterung 236.
c) Bejeftigungswejen.
Bennov. Osnabrück. 237.
Johannes v. Garlanda. 237.
Billard de Honnecourt. 238.
Alfonfo el Sabio. 238.
Schlußbemerkung. 239—240.
Drittes Bud.
Das funfjehnte Jahrhundert,
I. Kapitel.
Allgemeine Kriegswiffenfchaftliche Werke.
1. Gruppe.
Die Bearbeitung der antiken Überlieferung.
Einleitung. 243.
Ludwig Hohenwangs Deuticher Vegez. 244—247,
Ausgaben von Frontin, Vitruv, Älian. 247.
Ausgaben der Veteres de re militari scriptores. 247,
Cäfar (Ausgaben und Überfegungen). 248.
2. Gruppe.
Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandfdriften.
Konrad Kyeſer: Bellifortis. (Göttingen) 249—256. (Wien,
Heidelberg u. j. mw.) 256— 258.
Ullerley Kriegsrüftung.
(Ambrajer Sammlung.) 258.
Inhaltsüberſicht. — XV. Jahrhundert. XXXI
5 | n. Ebr. | Weinsberger Bruchſtück. 259.
(1425) | Münchener cod. lat. 197. 259.
Nürnberger cod. 25801. 259.
6 | 1443 | Auguftin Dahhberg: Buchſenbuch. (Köln) 259-261.
7 1453 | Bud von den Iconismis bellicis. (Wien und Berlin.) 261—262.
Albr. v. Lannenbergs Kunſt (ebd.) 268.
8 Kriegd- vnd Pirenwerd. (Ambraſer Samml.) 263.
g | Hann? Hentz: Rüſt- und Büchſenmeiſterbuch. (Weimar.) 263—264.
Dresdener Jlonographie. 264.
10 | (1460) Atlas des Balturio und des deutichen Begez. 264—268.
11 (1485) | Mittelalterliche Hausbuch. (Waldburg-Wolfegg:-Waldfee.) 269—270.
12 | 1496 Philips Mönch: Bud der ftryt vnd Büchfen. (Heidelberg.) 271.
Ruſt- ond feuerwerd-buyd. (Frankfurt.) 271—272.
13 ; 1500 Ludw. v. Eybe: Kriegsbuch. (Erlangen.) 272—274.
14 Ingenier- kunſt- vnd wunderbud) (jog. Bud, Standerbegs in Weimar).
274—275.
15 1417 bis Hanna Haafjenmwein und Konr. Haaſen vd. Dornburg: Kunſt—
1560 bud. (Hermannitadt.) 275.
16 Machines de guerre. (Paris.) 275— 276.
17 ' (1420) | de $ontana: Bellicorum instrumentorum liber. (Miünden.)
276— 277,
18 Ordegni mecaniei. (Florenz.) 277—278.
19 | (1440) | Jac. Mariano, gen. Taccola: De machinis libri X. (Münden.
Benedig.) 278—279.
% (1450) | Baul. Santinud: De re militari et machinis bellicis. (Pari$.)
| 279—282.
21 | (1470) | Franc. di Giorgio Martini: Machinarum liber. (Siena,
Zurin, Florenz.) 282—284.
» Parifer Cod. Fonds du roi no 6993. 284—285.
33 | 1500 | Bonaccorjo GHiberti: Schule der Architectur. (Florenz.)285—286.
% | (1500) | Lionardo da Binci: Codice atlantico u. ſ. w. (Mailand.)286— 290.
35 Zufammenfaflung. 290—91.
| 3. Gruppe.
| | Dienfkordnungen.
26 Entwidelungsgang der Taktit in der Übergangszeit. 291—8301.
1413 | Hayet von Hodetin: Kriegsinſtruktion. 301—302.
N
1420 Johannes Zizka: Kriegsordnung. 302—303.
28 | Deutſche Wagenburgordnungen. 303—309.
1426/31 Ordnungen des Nürnberger Reichdtages. 304—805.
1433/47 Ordnungen einzelner Städte. 305.
1462/79 Ordnungen Albrechts Adill. 305—306.
(1480) Philipps v. Seldened: Berzaichnis der ordinung. 306—309.
1500 Ludw. dv. Eybe: Bud) von Wagenburgen. 309.
XXXH
S
31
33
24 n. Ehr.
1490
Inhaltsüberjiht. — XV. Jahrhundert.
WenzelWItelv. Cenomw: Zuge, Schlacht u. Yagerordn. 310— 311.
(1480), Die Ordenung vnd der eyde der eydegenojien. 311.
(1480)| Der gemaynen eyd, jo die Herren oder ſtett loſſen ſchweren. 312,
1478 Albrecht Achilles: Bejtellung des Heeres. 312—314.
1445
1471
1498
1492
1428
(1440)
(1480)
(1474)
1498
(1410)
(1425)
(1480)
(1430)
1454
(1460)
Franzöſiſche und burgundiſche Ordonnanzen. 314—317.
Charles’ VII. Edikt üb. d. Ordonnanz-Kompagnien. 314—315.
Karls des Kühnen Ordonnanz vd. Abbeville. 315.
pi „St. Marimin. 315—316.
Olivier * la Maͤrche: Estat de la maison de Bourgogne.
316— 8317.
Marimilians I Inſtruktion über Aufſtellung von Hundert
Kyriffern. 317—8319.
Hector III. Manfredi Heerordnung von Faenza. 319—820.
4. Gruppe.
Lehrfdriften.
Ludwig der Bärtige: Injtruftion an feinen Sohn. 320—321.
Anonymes Kriegsbuch. (Wien und Charlottenburg.) 321—323.
Philipp v. Seldened: Verzaichnid der ordinung. 323—333.
Ordenung der fusknecht. 325—328.
Teldbejtellung der Reiterei. 328—331.
Anweifung zur Taktik größerer Abteilungen. 331—333.
Lere, jo Kayſer Mar in feiner erjten Jugent zugejtellt ift. 333—339.
Herzog Philipp von Eleve: Description de la maniere de
fonduire le faict de la guerre. 339— 347.
Ehrijtine de Pijan: Livre des faicts d’armes et de cheualerie.
347—851.
de Boucicaut, le philosophe d’armes. 351.
La maniere selon l'usance du temps pnt. de arrangier ost.
(Baris.) 351—353.
(Xoui® XL): Le Rozier de guerre. 353 —355.
de la Sale: La salade, (Brüjjel.) 356.
de Charny: Livre de chevalerie. (Brüjjel.) 356.
Lionardo Bruni, Aretinus: De re militari u. j. wm. 356—357.
Lampo Birago: Strategicon adversos Turcos. 357—358.
Roberto Valturio: De re militari libri XIL 358—362.
1477 | Orfo degli Orſini: Trattato del governo e exereitio della
(1470)
1493
(1500)
militia. 362—364.
Francesco Patrizio, Sanneje: De institutione rei publicae etc.
364.
Antonio Cornazzano: Opera bellissima del arte militar.
364— 365.
Untonio Cornazzano: Della integrita de la militare arte. 365.
5
[+
-ı
Inhaltsüberjiht. — XV. Jahrhundert. XXXIII
Eu Er. | ILI. Kapitel.
| f & Fachwiſſenſchaftliche Werke.
| 1. Gruppe.
| | Hofekunf.
| Die Entwidelung der Fechtkunſt. 366—367,
'(1430) | Johann Liehtenamwer: Die ritterlich kunſt dei langen jchwerts.
368—371.
Meijter Raul Kal. 368—369.
Andres, gen. der Liegniger: Das kurez jwert. 371.
Martin Hundtfelg: Kunjt mit jwert, degen und glefen. 371.
Ott, Jud: Die Ringen. 371.
| | Peters von Dandg: Gloſſe zu Liechtenawer. 371.
(1440) | Hans Hartlieb: Onomatomantia. 371—372,
(1450) Hans Thalhofer: Fehtbudh. 372—373.
| | Peter Falkner: Künſte zu ritterliher Wehr. 373.
| | Anonyme deutihe Fechtbücher. 373— 314.
(1450) | König Rene von Anjou: Forme coment ung tournois doist
estre entreprins. 374.
| | Berichte über Taten einzelner deutjcher QTurnierer. 375.
' 1514 Kaiſer Marimilianl.: Der Weiß-Kunig 375—376 und der Frey—
| | dal. 376—319.
(471) Baris del Pozzo: Libellus de re militari, ubi est tota ma-
teria Duelli. 379.
: 1485 | Heilbronner Turnierordnung. 380.
Die bippologijhe Literatur. Meiſter Albredt: Pferde
ergeneye. 380381.
u) Die Heroldsmwijjenichaft. Bart. de Sarofjerato: Liber de
| insigniis. 381.
| 2. Gruppe.
Senerwerkerei und Büchſenmeiſterei.
(1400) | „Streyd-Bud) von Pixen, Kriegsrüftung und Fewrwerckhh.“ (Ambraj.
Samml.) 382—337.
(1410) Buchſen-Werkch. (ebd. und Berlin). 387—389.
(1410) Feuerwerkskünſte und Büchjenmeijterei. (Niürnberg.) 390—392.
(1410) | (Abr. v. Memmingen?): Das alte Feuerwertsbuch. 393—408.
(1440) Le livre du secret de l’artillerie 408—409.
1 1471 | Martin Mercz: Kunft aus den püxeſen zu jchießen. (Wien, Mün—
| chen.) 409—411.
' Den Bilderhandiriften verwandte Artilleriewerfe und Inventare.
| 411—414.
(1450) Hans Formſchneider: Geſchützdarſtellungen. Münden.) 411.
1479 ArtillerieesZeug. (Wien.) 411— 412.
‚1489 | Ur. Beßnitzer (Heidelberg) 412—413.
Jähns, Geſchichte der Ktriegẽe wiſſenſchaften. c
XXXIV
$
63
n. Er.
1462
1463
Inhaltsüberſicht. — XV, Jahrhundert.
Mujeriebud. Braunſchw.) — 1461. Mündener Inventar. 413
Konr. Sürtler: Inventar von Nürnberg. 414.
Hans Gojjenbrott: Inventar von Augsburg. 414.
Rezeptbücher. (Salzburg, Gotha.) 414.
Die Entwidelung der Dandfeuerwaflen und deren Gebraud.
414—417.
Wiener Koder Nr. 2952. 416.
Kaifer Marimilian I: Aus dem Weihkunig. 417— 418. Aus
dem Gedenkbüchlein. 418—-419.
Barth. Freysleben: Zeugbausbücder (Wien und Münden.)
419—122.
‘ Maclıinae bellicae Maximiliani Imp. et Sigismundi Achidue.
70 1142545 |
71 | (1450)
72
73 | (1480)
74 | (1460)
| 1464
75 | (1480)
76 | (1470)
77T | (1498)
(Wien.) 422—423.
Mihl Ott u. Hans Kugher: Inventari (Innsbrud.) 423 —424.
Bolyd. Bergilio: De inventoribus rerum libri. VIII. 424
3. Sruppe.
Befefigungskunde.
Armierungs-Inſtruktionen. 424 —425.
‘ Fortififator. Angaben des namenlojen deutichen Kriegsbuches
425—42%,
Die Anfänge der neueren Bejejtigung. 429— 431.
Hans Schermer: Über den Bajteibau. 431—434.
Leonbattifta Alberti: De re aedificatoria. 434.
Ant. Filarete: Trattato di architettura. 434.
Verſchiedene italien. Architeften. 435.
Lionardos da Binci Andeutungen. 435—436.
ı Franc. di Giorgio Martini: Trattato di architettura.
|
435 —439.
Entwidelung der Bajtione und Tenaillen. 438—439.
Herzog Philipp von Kleve: Bemerkungen über das Nem-
parieren. 439 — 440.
Herzog Philipp von Kleve: PDaritellung des Belagerungs
trieges. 40 -443.
Viertes Buch.
Das ſechzehnte Jahrhundert.
I. Kapitel.
Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
1. Gruppe. j
Die Bearbeitung der antiken Uberliefernng.
Veteres Je re militari scriptores. 447.
Autoren der vorkaiferlichen Zeit. 447 - 450.
=]
— —
1515
1521
1521
(1522)
(1524)
1525
1526
1572
1530
1524
1526
1534
1536
(1540)
|
|
|
|
|
Inhaltsüberfiht. — XVI. Jahrhundert. XXXV
Die Bearbeitung der Kommentarien Cäſars. 448.
Ringmanns Phileſius Verdeutihung. 448 —449.
Fra Lelio Brancaccio: Della vera disciplina et arte
militari. 449.
de la Ramée: De Caesaris militia. 450.
Kriegsjchriftfteller der Kaijerzeit. 450—452.
Berdeutihungen des Livius. 450. Vitruvs, Frontind, One:
zanders und Aelians. 451.
Lateinifche Übertragungen Polyains. 451-452.
Der deutſche Begez des 16. Ihdts. 452—453.
Übertragungen der Inſtitute Leos VI. 454.
2. Gruppe.
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht von Pavia 1525.
Einleitung 454.
Nit. Marjhald: Institutionum rei publicae libri IX.
454— 455.
Nic. Makiavelli: I sette libri dell’arte della guerra.
455 —472. J—
Handſchriften, Ausgaben, Bearbeitungen, Überſetzungen.
469—471.
Einfluß und Beurteilungen des Wertes. 471—472.
Giambatt. della Balle di Benafro: Vallo. 472—474.
Trewer Rath eines Alten. (Gotha.) 474 - 477.
Hans Buftetter: Ernſtlicher Bericht. 478—479.
Jacobi comitis Purliliarum: De re militari libri II.
479 —481
Mid. Ott v Aehterdingen und Jak. Preuß: Kriegsord—
nung. 451—4%.
Leonh. Turneijjer: Kriegslehr, Regiment und Staat.
491—492.
Die Heidelberger Neubearbeitung. 492—495.
Das Mainzer Kriegsbud. 495.
3. Gruppe.
Die allgemeine Literatur bis zum Anfgeben der Belagerung von
Mek 1559.
Einleitung 49.
Mart. Luther: Ob Kriegßleute auch ym jeligen jtande fein
fünden. 495—4%.
Egenolph8 „Kriegshändel“. 496—497.
Des Wiener Proviſioners Newe Kriegsordnung. 447.
Guill du Bellay-Langey: Instructions sur le faict de
la gnerre. 498 —501
c*
23
24
28
1550
1552
(1540)
1542
1576
(1552)
1565
1575
Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert.
Das Ämterbuch. 502—-507.
Heinrich Treuſch v. Butler und Konr. v. Bemel—
berg: Kriegsordnung und Memorial. 502—504.
Reinhart Grf zu Solms und Konr. v. Beimelborg:
Kriegsordenong. 505566.
Ganz vertrauliche anzeigung vnd geheimbter Bericht. 506
bis 507.
Nic. Tartaglia: Quesiti et inventioni diversi. 507.
Walt. Reiff: Geometr. Büchjenmeijterei. 5U7—509.
(Kriegs) Khartenjpiel. 509.
Reinhart, Graf zu Solms: Kriegs-Regierung. 509—516.
| — a" , Die alte Romiſche Kriegsord—
nung. 516.
Markgraf Albredt v. Brandenburg, Herzog dvd. Preußen:
Kriegsordnung. 516—524.
Heraklides Jac. Bajilicus: Artis militaris libri IV.
523.
Schriften bezgl. des Türfenfrieges. 525—528.
Aventin, Grueber, Hohenrain und Luther. 525.
Rathſchlagk und Chriſtliches Bedenken. 526—528.
Bern. Türd: Getrewe erjnnerung.
4. Öruppe.
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Hienport 1600.
Einleitung. 528—529.
Hans Gengih: Kriegsordnunge. 529.
Achill Scipio Nolano: Inſtruetion vnd Ordnung der Kriegs—
rüftung. 529—531.
Achill Scipio Nolano, gen. Schellenſchmidt: Türdenfteuer.
ı 532 —533.
Forma vnd ordnung eines Kriegsbueches. 534.
PBiftorius und Pedel 534—535.
Fewertunft und Ktriegsbud. 535. Wiener Nriegsbud. 535.
Lazarus Shwendi, Frhr. von Hohenlandsberg. 535—642.
Der Betrug in der Mujterung. (Wien.) 536.
Basgumwillus (Pasquill), Geſpräch zwiſchen Pettrus und
Paullus. (Wien.) 536.
Bedenden was wider den Türden zu unternehmen. 537.
Kriegsdiscurs von Bejtellung des gantzen Kriegsweſens.
337- 540.
Schöne Lehr an das teutſche Kriegsvolck. 541.
Quonıodo Turecis sit resistendum consilium. 541—542.,
Veit Wulff von Senjftenberg: Criegsbuch von Strata-
gematibus. (Dresden.) 542 -543.
Inhaltsüberſicht — XVI. Jahrhundert. XXXVI
5 I n.Chr. .
: 1568 | Veit Wulff von Senfftenberg: »Stratagemata« und
„Bandbiechlein“. (Dresden.) 543—545.
| Veit Wulff von Senfftenberg: Stratagemata. (Berlir.)
545—546.
31 : (1580) Landgraf Wilhelm IV. von Helen: Kriegshandell und Cautela.
| 546—548.
32. Lienhard Frönsperger. 548—558.
' 1555 Fünff Bücher von Kriegsregiment und Ordnung. 549.
1563 Befapung. 550.
1566 Kriegßbuch. I. Teil. 550—551.
' 1573 — II. „ 552-63.
1573 = II. „ 553-554.
33 | ' Neubearbeitungen des Ämterbuches. 558.
1584 Herrlich newe Beldt: und Kriegsordnung. (Gotha.) 559.
1587 | Philippi: Kurke Kriegshandlung. (Heidelberg.) 559.
1590 | Ad. Junghans v. d. Olß nitz: Kriegsordnung zu Waſſer
vnd Landt. 559 -560.
34 Gelehrten-Arbeiten 560--561.
1590 Georg Obrecht: De principiis belli. 560. De militari
| disciplina. 560.
1595 | Graf Heinr. v. Ranzau: Commentarius bellicus. 560.
| 1595 —6 | Juftus Lipſius: De militia Romana und Poliorketikon.
| | 561. |
5 Geiſtliche Mahnſchriften. 561.
1592 —93 | Buccerus: „Ehrijtl. Bericht“ und Bohemus: „Kriegs-
| mann.“ 561.
1593 | Andr. Musculus: Kriegsbüchlein. 562.
1596—97 Pet. Canifius: „Kriegsleutjpiegel” und Mid. Babit:
| | »Speculum belli.« 562.
%6 1585 Francois de [a Noue: Discours politiques et militaires.
| 562-565.
| Die Werfe von de Bourdelle, de Picaine und de
| Gontaut-Biron. 565.
| Die Memoirenliteratur: Montluc. 565—566, de Vieille-
' ville, de Brantöme und Duc de Sully. 566.
| Die Spanier und der Einfluß Albas auf ihre Militärliteratur,
ı 566—567,
1524— 72 Ruvios, Montez. 566. — Lasmanos, de Londoño,
de Valdéz. 567.
158292 de Funes, de Escalante, de Eguiluz, Lechuga. 568.
1595 | Bern. de Mendoca: Theörica y Prätica de guerra. 568—70.
3 1597 Graf Johann von Nafjau: Obfervationed in den Nieder:
| fanden. 570—573.
37,
XXXVIII Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert.
n. Chr.
(159) | Graf Johann von Nafjau: Discurs wie die Unterthanen
zur Defenfion zu gebrauchen. 574—578.
39 Die Italiener feit Madjiavelli. 578—583.
(1540) &arimberto: Il capitano. — Dell’ ottimo Gouerne.
(Rom.) — Arte militare. (Berlin.) 578,
155972 Degli Ortenzi, Rocca, $erretti. — Discorso della
Militia. (Mailand.) 579.
1572 —81 Gef. Brancaccio: Discorso sulla guerra. (Giena.)
Adriano, Carafa. 579.
| 158297 Fr. Mar. della Rovera, Fra Lelio Brancaccio,
Tradhetta. 579.
1599 Graf Mario Savorgnano: Arte militare terrestre e
maritima. 580—583.
Schlußbetradtung. 583—588.
II. Kapitel.
WaffenRunde.
1. Gruppe.
Die Zeit Kaifer Karls V.
40 | 1524 Sefelihreiber: Bon Gloden: und Stüdgießen, Feuerwerck
und Büchſenmeiſterey. (Müncdhen.) 589.
1528 ME: Dresdener Bilderhandjchrift. 58I— 5%.
Etlihe Stüd von Fewerwerckh. (Wien.) 590.
1529 Drud des alten Feuerwertsbudhes. 590—591.
41 | 1540 Banuccio Biringuccio: Pirotecnia. 591—596.
42 | 1537 Nic. Tartaglia: La nova scientia. 596—597.
1546 “ Quesiti et inventioni. 597—608.
1547 W. Rivius: Berdeutichung. 603—604. Cardanus. 604.
43 | 1533 Bet. Bienewitz: Inſtrument-Buech. 609.
oh. Dilger: Püchſenmaiſterey-Puechl. (Wien.) 606.
1540 Georg Hartmanns Erfindung des Kaliberjtabed. 605—606.
Ladeihaufel. 606. — Quadrant. 606—607.
Buch von der Arttlarey. (Dresden.) 607— 608.
43 Meiiter Franz Helm. 608.
(1510) Hdichit. des Berliner Zeughaufes. 608— 609
(1515) Weimarer Kunſtbuch. 609—610.
(1527) Gothaer Handidrift. 610— 611.
1535 Das Buch) von den probierten Künjten. (Heidelb.) 611—612.
1536 Das Buch von der Zeughauseinrihtung. 612—613.
Fortentwidelung bezgl. Abfchriften von Helms Werfen.
613—615.
Er]
4
48
44
50
52
7)
n. Ehr.
1551
1561
(1570)
(1570)
(1570)
1566. 73
1573
1574
(1575)
1586
Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert. XXXIX
1613 Tegernſeers Feuerbuch. (Donaueſchingen, Berlin.)
615.
Trud und Überfegungen des Buchs von den probierten
Künſten. 616—617.
Gajp. Brunner: Bearbeitung von Helms Zeughausbuch.
617 —618.
Grf. Reinhart v. Solms: Artilleriſt. Kapitel der Kriegs—
regierung. 618—619.
' Beichreibung des Kaiſers Caroli quinti Gejhüg. 620--621.
Gregor Löffler: Ratbichläge und Bedenden. 621.
2. Gruppe.
Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Lienh. Frönsperger: Bon Seihüs und Feuerwerd. 621—622.
Bon furzweilligen Luſt-Fewrwercken. 622.
Hanns Stard: Gründlicher Bericht von Fewrwerck. 622— 623.
Hanns Camentur: Khünftlih Fewrwerckh. 623.
Joh. Chmidlap v. Shorndorff: Khünſtl. v. rechtichaffene
Fewerwerck. 623—624.
Sebajt. Münſter: Rudimenta Mathematica. 624.
Dan. Santbed): De absoluto artificio ejaculandi sphaeras
formentarias. 625— 626.
Aug. Vogel: Summar. Bejchreibunge der Geometr. Arteglieria
(Stuttgart und Wien.) 626—630.
Beit Wulff v. Senfftenberg: Kunſtbuch von Kriegsjaden.
(Deiiau.) 631--633
Veit Wulff v. Senfftenberg: Nriegs- und Feuerwerkskunſt.
(Berlin und Bari.) 633—637.
Liend. Frönsperger: Der großen Studbuchjen Hilf und Ver—
itand. (Wien und Dresden.) 6B7T—6B38.
Lienh. Frönsperger: Mrtilleriit. Kapitel des Kriegsbuches.
638 640.
Zam. Jümermann: Dialogus aines Büchjenmaijterdmit ainem
Fewerwercker. 640-642.
Sam. Jümermann: Bezaar, gen. Pyromadia. 642 — 643.
Ain bewertten Büchfenmaiiterey Khünſten. (Salzburg.) 644.
Büchſenmeiſterey Bud. (Wien.) 644. -
Anweiſung zur Feuerwerkerkunſt und Büchjenmeijterei. (Berlin.)
644.
Sri. v. Görz und Herzog Deinr Julius v. Braun
ihweig: Ntarnwerg mit dem gejchüge. 644 — 645.
Andr. Bepiiinger: Khunſtbuch. (München.) 645.
Shuriiv. Shönmwerd: Feüerkunſt ond Kriegsbuch. (Berlin.)
645
59
60
61
62
n.&hr. |
1582
Inhaltsüberfiht. — XVI. Jahrhundert.
Walth. Lüpelmann: Artillerie u. Feuerwerksbuch. (München.)
645.
Ein onterricht, wie man Fewer zurichten mu}. (Wien.) 645—646.
‚ Min furger Bnderricht, was ſich ein Büchfenmaifter halten fol.
Berlin.) 646.
| Kunſtbuch von Artollerey. 646.
1589
1594
1591
(1600)
1578
1591
1591
1593
1592
(1553)
1593
159
1597
Vern. Heydemann: Büchjenmeijterey. (Marburg.) 646.
Fror. Meyer: Büchfenmeijterey. Münden.) 646.
NArtilleriefunft dur vnd für einen Ausüber derjelben. (Mün-
chen ) 647— 648.
Seb. Hälle: Schön v. Fhünjtl. Buch von der Pirenmaijterey.
(Wien und Berlin.) 648—649.
Chriſtoph Mann: Büchſenmeiſterey v Fewerwerckerey. 649.
Kajp. Bürger: Unterricht wie man grob Geſchütz laden joll. 550.
Frz. Joach. Brecht el: Büchfenmeifterei. 650 —652.
Der Bußen Meeſterye. 652.
Archaiſtiſche Schriften.
.Die RNunſt der löbl. freyen Büchſenmeiſterey. (Darmſtadt.) 652.
Berliner Sammelcoder. 652.
oh. Fauſt Röhre: Kunſtbuch. (Sotha.) 652,
Ein fürtrefflih Runftbuch. (Wien.) 652—653.
Egenolffs gedrudte Büchjenmeijterey. 663.
Franzöſiſche Literatur.
154090 ı
1598
156070
1570—38
1586— 92
de Naconis; V’Ejtrees; La Treille; de Vigenere. 654.
Joſ. Boillot: Modeles artifices de feu et instruments de
guerre. 654 - 656.
Italieniſche Literatur.
Gataneo; Nuscelli. 656. Marchi. 657.
Marzari; Nomano; Gentilini u. Schiavina; Cor—
naro: Bapobianco. 657,
Spanijche Yiteratur.
Alaba y Biamont; Eollado. 658.
3. Gruppe.
Die handwaffen.
-
Handfeuerwaffen. 658.
Hafen (Luntenjhloßgewehr.) Luntenſchnappſchloß. 659.
Ganzer Haken. (Muskete.) 659.
Radſchloß. 660. — Steinfchnappihloß. 661.
Berühmte Büchſenmachereien. 661—662.
Stecher. Gezogene Feuerwaffen. 662—663.
Nevolverbüchfjen. Streurohre. Gemwehrpatronen 663 —664.
67
1518
1519
1530
|
1541— 96 |
1523
1560
(1550)
1558
1539
1570
1579
1591
1530
1539
1550
1570
1560
1562
1564
1570
Te — — ——— — ——— — — — —— — —
Inhaltsüberſicht. — XVI. Jahrhundert. XLI
Schügenaugrüjtung. 664.
Ant. Cornaro: Dialogo. 664. —
Blante Waffen. 665.
Deutſche Zeughäufer und Rüfttammern. 665—666.
4. Gruppe.
Waffengebrauch und Reitkunf.
a) Ritterlihe und bürgerlihe Waffenübungen.
Würſung: Bon warn... das ritterfpiel des turniers erdacht ...
vnd geubet. 667.
v. Eyb: Buech mit anzaig des turnierd. 667.
Rürner: Anfang, vrſprung dv. herkommen des Turniers. 667 —668.
Hand Sachs: Thurnierfprud. — Turnier: und Cartelbud. —
Insignia inclitae domus Hassiacae. 668.
Huter's Fehtbud. 668.
Maifter Lihtenauers Kunftbuh mit Lions, Hundt3-
felder& und Huters fünften. 668.
Dürer und Lecküchner: Der Altenn Fechter anfengliche Hunt.
669.
Die Ritterliche mannliche Kunſt vnd Handarbeit Fechtens. 669.
Fab. v.Auerswald und Lucas Cranach: Ringerkunſt. 669.
Hector Mair: Fecht- u. Ringbuch und Liber artis athleticae. 669.
Soad. Mayer: Beichreibung der Kunſt des Fechtens. 670.
Sutor: Künftlih Fehtbud. 670.
®ündterodt: De veris principiis artis dimicatoriae. 670.
Neues kunſtreiches Fechtbuch. 670.
b) Die Schießkunſt.
Flugbahn, Schußarten und Schußtafeln. 670—671.
Schiekübungen mit Handfernwaffen 156a und mit Gefchüßen.
671—673.
c) Pferdefenntnis und Reitkunſt.
Ruel: Veterinariae medicinae libri IV. Deutſch v. Zechen-
dorfer. 674.
Gamerariu®: De tractandis equis. 674
| ®rijone: Ordini di cavalcare. 674.
Hochſtetters Verdeutihung. 674.
Fayſers Hippokromike. 675.
Deutihe „Bißbücher“. 675.
Kreupberger: Eontrafactur der Zeumung vnd Gebiß. 675.
Macantius und Sambucus: Capistrorum et freno-
rum figurae. 675.
Berliner Bißbuch. 676.
XL Inhaltsüberjiht. — XVI. Jahrhundert.
& n. Ehr. |
11 1576 Fayſer: Hippatria. 670.
1578 Fugger: Bon der Gejtüterey. 676—677.
1578 Hoerwarth v. Hohenburg: Von der... Kunſt der NReiterey.
677—678.
L. V. ©.: Ritterliche Reutterfunft. 678.
Serem. Schemel: Bom Rokthumblen. 678.
| Löhneyſen: Vom Zeumen. 679.
Della caualleria. 679.
Seutter: Ein jhönes und nupliches Bißbuch. 680.
ippologifche Riteratur der Staliener. 680.
| iasdi. erraro. Garacciolo Genofonte.
| Toralto. GHisliero. Siliceo. 680.
wo ippologijche Literatur der Spanier. 680.
| Mancanad. Aguilar. Beralta. Dapila. 680.
Hippologifche Literatur der Franzoſen. 681.
be la Broue 681.
3innez: Libro que trata & la Brida y Gieneta. 681.
Bewährtes und künſtliches Roßartzeneibuch. 681.
713 1598 Ruini: Dell’ infirmita_del cavallo. Deutjh von Uffenbach.
681.
Ültere deutjche Roßarzeneibücher. 681.
III. Kapitel.
Truppenkunde.
1. Sruppe.
| Heeresanfbringung.
14 | Anläufe zur Wiederbelebung des Voltötriegertums und zur Er-
richtung ſtehender Heere. 682.
ı 1518 Das Annöbruder Libell. 682.
ı 1514 Marimilians I. Garde. 685.
Das Söldnerwejen auf Zeit. 686—689.
Johann der Beherzte und die Große Garde. 686.
Landesausſchußweſen. 689—693.
Der Gedanke des ftehenden Heeres. 693 —69.
Aventinus: Das alt Romiſch Kriegsregiment. 693 — 69.
Die Aufbringung der Führerſchaft. 695— 698.
rodifioner 696. Zeug: und Büchſenmeiſter 697 —698.
RE 6
ẽ
be
2. Gruppe.
Das Fußvolk.
Einleitung. 698—699.
1521 Madiavelli: I sette lihri. 700— 702.
ur
Inhaltsüberficht. — XVI. Jahrhundert. XLII
Ener |
1521 | della Valle: Vallo. 702-708.
1522 Der „Trewe Rath“. 705.
1536 Des Bropifioners „Newe Kriegsordnung“. (Beyrlin.) 705— 707,
a
2 | 1546 Tartaglia-Reiff: Das taktifche Buch der Quesiti. 700— 712.
| da Morra, 712,
us 1552 Herzog Albrecht von Brandenburg-Preußen: Kriegs—
ordnung. 712—715.
1553 Nolano, gen. Schellenfhmidt: Zug: und Scladtord-
nung der Knecht. 716.
4 Taltiſche Reche nknechte. T1i6—718.
1557 Loch ner: Büchlein der gerechneten Schlahtordn. 716— 717.
| 1569 Lohr: Kriegs-Feldbüchlein. 717.
| 1667 Cigogna: Trattato militare. 718.
1584 Sa : 1 i 1
% |1566—73 | Frönsperger: Tattifhe Kapitel des Krieghbuchs 719-721
* | 1568 | Sandıo de Lond ono: Discurso. 722— 724.
1568 rancedco Ferretti: Osservanza und Dialoghi 724— 7125.
| 1570 | Dom. Mora: Il soldato, 726.
ı 1540 Sean Chantereau: Miroir des armes. 726—727.
Titelloje franzöſiſche Handichrift. (Paris.) 727—728.
| 1585 be [a Noue: Discours. 728—729,
ı 1571 Frauc. de Valde s: Espeio. 729— 730.
| Martin de Eguiluz: Milieia, 730— 731.
| 1588 | Adrian Duyf: Inftructie van de Crijchs-oorts⸗ſtellinghe. 731.
| 1592 Chriſtobal Lechuga. Discurso del Maestro de campo General.
731—733.
4 1593 Ceſ. de Evoli: Del ordinanze e battaglie. 733.
“I 1597 Graf Johann v. Naſſau: Annotationes. 734—735.
sı' 1598 Robert Barret: The theorike and Practike of moderne
3. Gruppe.
| Die Beiterei,
@| 1221 | Mahiavelli: I sette libri. 737—738.
8 1527 Zeichnungen Dürers u. U. 738—739.
| 1532 Wie eines Churfürften oder Herrn Reiter bejtellt werden. 739—742.
| 1550 Graf Solms: Kriegsregierung. 742.
11552 | Herzog Albredt von Preußen: Kriegsbuch. 743.
| 1553 | Nolano: Kriegsbuch 743.
| 1566 Frönsperger: Kriegsbuch. 744.
%) 1585 de [a Noue: Discours. T44— 745,
%s| 1597 Graf Johann v. Naſſau: Annotationen. 746.
1598 Rudolfs II. Reiterbejtallungsbrief. 746— 747.
XLIV
98
99
100
101
1511
1540 |
1553—56 |
1521
1545
Inhaltsüberſicht — XVI. Jahrhundert.
4. Gruppe.
Artillerie,
AUrtillerieausrüitung deuticher Deere.
Leonh. Eder: Was an ein Hein ‚Feldzug an Geſchütz gehört.
TAT— TAN,
Mainzer Anjchlag. 748.
Stuttgarter Anjchlag. 749.
Anſchläge der Fürjtenvereine v. Heidelberg u. Landsberg. 749.
Macdiavelli: I sette libri. 749—750.
Bußsca: Instruttione de Bombardieri. 750.
1550 Graf Solms: Ktriegsregierung. 750—751.
1551
1552
1597
1532 |
1552 |
1523 |
| ftaifer Karl V.: Instruction sur la conduite des maistres.
751,
Herzog Albrecht von Preußen: Kriegsbuch 751.
Graf Johann von Najjau: Annotationen. 752.
5. Gruppe.
Wagenbnraen.
Reichsabſchied von Speier. 753.
Graf Reinhart v. Solms. 753
Nolano, gen. Schellenfchmidt. 753.
Herzog Albreht von Preußen. 753—755.
Frönsperger: Kriegsbuch. 755— 756.
Sch wendi: Kriegsdiscurs. 756—757. — Scifibrüden. 757.
6. Gruppe.
Verwaltung und Kecht.
Vergleich der Verhältnijje bei den Romanen und den Deutſchen.
757— 758.
Die gejeplihen Beftimmungen über das deutide
Heerwejen.
Vom Reichstriegsrechte. 759— 764.
Vorſchriften über die drei Waffen. 759—763.
Marimiliand I. Articulbrief_759.
Karl V. Articul der Biüchjenmeifter. 759—760.
Marimilians II. Reuterbejtallung. 760—762.
Desjelben Artikel auf die Teutichen Knechte. 763.
r Sonderlihe Buntte. 763 —764.
Strafgejege allgemeiner Natur. 764.
Karls V. Halögerichtsordnung. 764.
Statörechtlihe Bejtimmungen. 764.
Reichderefutiong-Ordnung. 764.
Reichstagsabſchiede. 764.
Inhaltsüberjiht. — XVI. Jahrhundert. XLV
Sm Bon Kreisfriegsrechte. 764— 765.
| Bon der Reichsſtände Kriegsrecht. 765— 766.
| Bon Kriegsrecht der Deutjchen im ausländ. Dienjt. 766 — 767.
103 | 1551 | Kriegsordnung. Tirol.) 767— 768.
iv . Bippadh: Sammelcoder. 768.
ı 1558-66 | Der Nöm. Kayſ. Maj. Gerichtsordnung. 768.
| Kriegsrecht der deutjchen Landsknechte. 768.
| | Artikel Röm. Kayſerl. Maj. 768.
1 . 768— 171.
104 , 1577 Stanislaus Hohenſpach: Feldichreiberei. 771—772.
105 1594 | Budrini: Kriegsregiment. 772.
| 1600 | Wiener Handſchrift no. 10787. 7172—778.
106 | 15% | Bappus v. Tra berg: Holland Kriegsrecht u. Artidelöbrief. 273.
i
|
IV. Kapitel.
|
Niffenfchaft von der Befelligung und dem
Belagerungskriege.
1. Gruppe.
Übergangszeit.
*
| Die „Baſtionierungen“ (Erd- und Holzbauten). 774—776.
| 1521 | bella Balle: Vallo 716-778,
1521 Makhiavelli: I sette libri. und Berichte. 779— 781,
‘\ (1520) | Mujter ainer pajtey. 781— 782.
(1525) | Joannis Thomas: Discurs von Beihügung und Eroberung
| der Veſten. 7852— 783.
110 1527 Albredt Dürer: Etlide vnderriht zu befejtigung. 7T83—741.
111 | (1530) | San Mideli: Archittetara militaris. 792—798.
— 2
ortifikationsmanier. 793—794.
12, 1555 Graf Reinhart von Solms: Kurtzer Auszug, einen Baw
| aufzujtellen. 794— 797.
113 1546 | Tartaglia: KFortifitatorijcher Teil der Quesiti et inventioni.
TIT— VO.
114 1547 Reiff: Von der Grundlegung vnd Berejtigung der Stett u. j. w.
300—802.
115 1547 Belucci und Melloni: Particellie fragmenti. 802—808.
1548 Alghiſi da Earpi: Delle fortificationi. 803.
| Yeonardi: Trattato delle fortificationi. 808.
2. Gruppe.
| Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts.
I
' Francesco de' Marchi: Dell’ archittetura militare. 803—813.
Hans van Scille: Form vnd weis zu bawen. 813—814.
116 . 1550
XLVI Inhaltsüberfiht. — XVI. Jahrhundert.
8 n. Chr. |
117 1557 | Frönsperger: Bon Erbawung der wehrlihen Beuejtungen.
| 814 —818,
ı Zractat „Bon Belagerungen.“ (Dresden.) 818.
118 ı Die Staliener der 2. Hälfte des Ihrdis 318—821.
i, 2anteri, Puccini, Maggi und Cajtriotto,
Gataneo, Theti. 81I—8W.
Mora,Locatelli, de Paſino, Galvani, Eupicini. 8%.
| Accontio, Ramelli. 80-821.
—73 Frönsperger: Fortifitatoriſche Kapitel des „Kriegbbuchs“. 821
—
| Henr. Ridemann und Eliad von Broctorf: Institutiones
| architecturae militaris. 822.
!
ı Daniel Spedle: Architectura. Bon Vejtungen. 822—831.
Spedles Bedeutung in der Gefchichte der Befeftigung. 830.
1585 dbelaNoue: ortifit. Paradoron aus dem Discours. 831— 32.
| de Vigenere: Fortififatorifche Bemerkungen. 832.
Jean Errard: La Fortification reduicte en art. 832—#35.
1597 | Glaude Flamand: Le guide des fortifications. 835—837.
159 Jacques Perret: Des Fortifications. 837.
1598 | de Rojaß: Theorica y prätica de fortification. 837.
EBEE RE BE
:
| 1599 | de Medina-Barba: Examen de fortification. 837.
127 1594 | Simon Stevin: Sterdten Bouwing. 838—840.
1617 r 2 Gajtrametatio. 840 —841.
1617 R — Sterdte Bou door Spilſluyſen. 8541 -842.
128 1597 Graf Johann v. Naffau: Obſervationes über den Feſtungs—
frieg. 842 — 344.
| Architectura militaris Belgica. 844.
129 | 1592 ini: Della fortificatione —847.
130 | 1594/8 | Patrici, Scala, Capo Bianco. 848.
Topographiſche Überfihten der Italiener.
| enoi, Balloni, Bertelliv, 848.
131 1585 | Gabriello Busca: Della espugnatione e difesa. 848—84.
1601 l.’archittettura militare. 850 —851.
3. Öruppe.
Bufammenfafende Betraditungen.
| Die Entwidelung der modernen Forti fation. 851—855.
132
133 Die einzelnen Bauteile. 855—851.
134 Alt: und neusitalieniishe Schule. 859—860.
135
| | Der Belagerungstrieg. 860865.
Erſtes Buch.
Das Altertum.
Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften.
STESE LIBRI
— RE GE THE AN
\ UNIVERSITY )
N
da
OF
RGALIFORN\DS
Erftes Buch.
Altertum.
Finleitung.
8 1.
Die friegswiljenjchaftlichen Werke der Griechen und Römer haben
für ung doppeltes Intereffe. Erjtens bangen fie innig mit der Ge
jamtheit jener altflaffiichen Kultur zujammen, auf welcher unjere
humane Bildung wejentlic) beruht; zweitens aber haben die militä-
riſchen Schriften der Alten von den Tagen der Nenaifjance bis zur
Mitte des 18. Jahrhunderts geradezu als unmittelbare Quelle friegs-
fünftlerischen Wiſſens, als vornehmiter Schaf ftrategijcher und taktiſcher
Beisheit gegolten und jind in diefem Sinne als die gegebenen Ausgangs-
punkte faſt jeder Eriegswiljenjchaftlichen Unterjuchung betrachtet und
immer wieder aufs neue fommentiert und durcchforjcht worden. Daher
gejtaltet jich eine Darjtellung der antifen Kriegswiſſen—
haft, welche auch deren literarifche Folgewirfungen andeutet, ganz
naturgemäß zugleich zu einer Einleitung in die Gejchichte der mo—
dernen Kriegswiſſenſchaft; denn fie weit nicht nur die Wurzeln
nad, aus welchen dieje entjprang, jondern vergegemmärtigt uns auch
die Veräſtelungen, in deren taujendfach verzweigten Gefähen der von
jenen Wurzeln aufgejogene Nahrungsitoff bis in die äußerſten Spiten
der jet lebendigen Krone emporgejtiegen ift, und gewährt eben dadurch
die Möglichkeit, den Baum der Wiffenjchaft als einheitlichen Organismus
zu erkennen und aufzufaffen. Freilich nährt jich diefer Baum, ſowenig
wie die wirkliche Pflanze, nur von der Wurzel her: auch die jährlich
neuen Blätter find ihm unentbehrlich zum Atmen, und das eigentliche
1*
4 Altertum.
Leben des Baumes wohnt nicht in feinem Kernholze, jondern in dem
jüngiten Wachstume unmittelbar unter der Rinde. Das Prototyp
jeines Wejens ruht jedoch in verborgener Tiefe, und erjt die Unter-
ſuchung der hiſtoriſchen Wurzel eines geiftigen Organismus, einer
Wiffenjchaft, belehrt darüber, weshalb denn jolc ein Baum gerade jo
gewachſen jet, wie er vor ung jteht und nicht anders.
8 2.
Einen annähernden Begriff von dem Umfange der antiken Militär—
literatur gewinnt man aus den Schriftjtellerverzeichniffen, welche einige
der alten Autoren überliefert haben. In diejer Hinficht jind bejonders
Aelian, Begez, das Corpus juris und Laurentius Lydos zu erwähnen.
Ailianos jagt: „Unter allen, von denen wir wifjen, hat anjcheinend zuerjt
Homer die Theorie der Taktik gelannt, und er bewundert daher die in ihr Er:
fahrenen, wie 3. B. den Meneftheus, „der, wie feiner, geihidt von allen Menſchen
auf Erden, Roße zu ordnen zum Streit und Haufen beſchildeter Männer.“ Über
die homeriſche Taktik haben wir an Scriftjtellern den Stratofled, den Hermeias
und in unjerer Zeit den Alttonful Fronto. Nah mander Rihtung hat Aineias
die Wiſſenſchaft ausgebildet und ziwedmähige Werke über daß ganze Kriegsweſen
verfaßt, welche der Thefialer Kineas in einen Auszug bradte Ferner jchrieb
Pyrrhos von Epeiros eine Taktik und Alerandros, des Pyrrhos Sohn, ſowie Klearchos
(nicht der, welcher die zehntaujend Griechen führte, jondern ein anderer. Dann
gibt e8 hierüber aud Schriften von Pauſanias, Euangelos, Polybios, der
mit Scipio verkehrte, Eupolemos und Iphikrates (nicht dem attijchen Feldherrn,
jondern einem anderen). Auch der Stoifer Bojeidonios hat eine Tafıif Hinter-
laſſen und noch andere mehr, teild Lehrbücher wie Bryon, teils Spezialichriften. Ich
babe fie zwar alle gelejen, halte es aber für unnüg, fie ſämtlich aufzuzählen“ !).
Führt ung Nilianos, der im 1. Jahrhundert nach Ehrijtus jchrieb, faſt aus—
ſchließlich griechiſche Kriegsichriftiteller auf, jo nennt Degetius, welcher 300 Jahre
jpäter jchrieb, nur römische Autoren. „Ich jah mid) genötigt”, jo jagt er, „die
Scriftfteller der Römer nachzuſchlagen, und in diefem meinem Werte alles das
jorgfältig zu jammeln, was Cato, der ehemalige Eenjor, was Cornelius Celjus,
wad Frontinus über dieje Gegenftände gejchrieben, und bejonder® aud) das,
was Baternus, ein jehr gründlicher Kenner des Kriegsrechts, in jeinen Schriften
niedergelegt. Auch die Verordnungen der Kaiſer Auguſtus, Trajanud und Ha-
drianus habe ich benutzt“ ®).
Wieder um 200 Jahre jpäter wurde der Codex Justinianeus abgefat,
und in denjenigen Büchern der Pandekten, welche militärjurijtiihe Dinge berühren,
werden als einjchlägige Autoren erwähnt: Macer wegen feiner zwei Bücher vom
ı) Hilianos Theorie der Taktik I, 1.
2) Begetius Anleitung zur Kriegdwifjenichaft I, 8.
Einleitung. 7
Obgleich der Laurentianus und der Ambrofianus offenbar beide
in der Zeit Konſtantins VII. zujammengebracht worden find, jo tft
doch die Tertüberlieferung des erjteren verhältnismäßig reiner. K. K.
Müller vermutet, daß man in dieſem Florentiner Coder ein offizielles,
möglicherweije der faijerlichen Bibliothek angehöriges Eremplar vor
ſich habe, während die Mailänder Handichrift, die wejentliche Um-
änderungen im byzantinischen Sinne zeigt, vielleicht für den praftifchen
Gebrauch in der Armee bejtimmt gewejen jei.
2. Gruppe: Poliorketifche Schriften!).
Parisianus, graec. suppl. 607. Dieje Pergamenthandichrift,
welche jpätejtens dem 10. Jahrhundert entjtammt, in einigen Teilen
jogar noch höher hinauf zu führen jcheint, wurde im Jahre 1843
von Minoides Minas in einem Athosflojter erworben.
Sie enthält: ded Athenäod Buch von den Belagerungsmaſchinen [A.$8 14),
Biton® Schrift von Einrihtung der Kriegsmaſchinen [A. 8 13], Herons Lehre
vom Geihügbau [A. $ 11], die Poliorketita des Apollodoros [A. 831] fowie Be
richte über Belagerungen, welde hiftoriichen Werten aus dem Jahrhundert bes
Zhufidides biß in byzantinifche Zeit entnommen find.
Vindobonensis, philos. gr. 120, eine Bapierhandfchrift des
16. Jahrhunderts zu Wien.
Sie bringt Bruchſtücke der eben angeführten Autoren, ferner Herons Pneu⸗
matifa (A. $11) und Leos Taktik; es fehlen aber die gejhichtlichen Excerpte.
Kasokırn reyvokoyia in der Bibliothek zu Bologna.
Corpus der militärtehnijchen Schriftfteller des Altertums, welches der Kallis
graph Balerianus Albinus gefchrieben hat und welches eine methodiſche Analyfe der
Abhandlungen des Athenaios, Herons, Philons von Byzanz und Apollodors enthält.
Eodices verwandten Inhalts finden fi in der Bücherei des prote-
jtantifhen Seminars zu Straßburg (argentorat. ©. IH. 6), in der Nationals
bibliothef zu Neapel (III., ©. 25), in der bodleyaniiden Sammlung zu Oxford,
in der Univerfität#bibliothet zu Leiden (cod. graec. fol. 8) u. ſ. w. Der Leidener
Goder enthält Athenaios, Biton, Heron, Apollodor, den Anonymus de muni-
mentorum constructione, den Julius Africanus und den nicht zu den Polior-
tetifern gehörigen Nifephoros.
3. In etwas jpäterer Zeit als die beiden gejchilderten Sammlungen,
jedenfalls erjt gegen Ende des 10. Jahrhunderts, iſt eine dritte
Sammlung entjtanden, welche eine Auswahl aus den Werfen jener
1) Bol. Weider: Pollorcötique des Grecs. (Paris 1867 p. XV ff. XXX ff.) Ferner:
Journal des Savants 1868 ©. 152 ff.; Göttinger gelehrte Anzeigen 1869. ©. 3, 7 ff.; Jahrbücher für
2yilologie. 97. Bd. ©. 834 fi. und 101. ®b. ©. 193 ff.
8 Altertum.
älteren Zujammenftellungen umfaßt. Wahrjcheinlich um den Gebrauch
zu erleichtern, wurden diejenigen Schriften jtrategijch-taftiichen Inhalts
(Bıßklia orgarnyıra), welche bejonders wichtig jchienen, mit gleich
gewürdigten poliorfetiichen Schriften (Aıßki= ungavrıza) zu einem
großen Kanon vereinigt. Ein derartiges Werf mußte jich jehr
empfehlen, weil es bequem war, und obgleich es nach vielen Rich
tungen hin geringwertiger ijt als die älteren Sammlungen, jo wurde
e3 doch am meiſten abgejchrieben. Die wichtigiten Kopien von jelb-
Itändiger Bedeutung ſind, (abgejcehen von dem jchon erwähnten,
gewiffermaßen den Übergang von den rein poliorfetifchen Samm-
lungen bildenden Leidener Coder 3) vier Pergamenthandichriften aus
dem 10. bis 12. Jahrhundert, nämlich:
Cod. gr. 1164 im Batifan; Cod. II, 97 in der Bibliothek Barberini zu
Rom und der uriprünglih ein Ganzes mit ihm bildende Paris. gr. 2442; Es-
corial Y—III, 2 und der mit ihm zujammengehörige Neapolit. (Bibl. Nat. III
C. 26) 2). Der Inhalt ift folgender: Yelian, Anonymus repi uerowv, Dnejander,
Mauricius, Athenäos, Bito, Hero, Apollodor, de Anonymus £ismokss, die
Bücher IV und V von Philons Wert [A. $ 12), Julius Africanus, de Anony-
mus sagexBoklai, Kaifer Leos Taktit und des Nilephoros Phokas Schrift über
den Grenzkrieg [M. $ 12]*). Verwandten Inhalts ift die Bafeler Papierhand-
ſchrift (A. N. II, 14). Sie enthält: Julius Wfricanus, Apollodor, Athenäos,
Biton, Heron, Leo und Nilephoros,
Außer den Sammlungen gibt es natürlich auch noch eine ziemlid)
bedeutende Zahl von Handfchriften, welche einzelne, antife Werfe
militäriſchen Inhaltes enthalten, deren Überlieferung zum Teil von
derjenigen der Sammlungen abweicht oder die in den leßteren über-
haupt nicht vorhanden find, wie das vor allen Dingen von ſämt—
lichen lateiniſchen Autoren gilt; denn Ddiefe wurden jeitens Der
byzantinischen Kodifitatoren einfac ignoriert.
84.
Nahezu das entgegengeſetzte Verhalten, nämlich die faſt aus—
ſchließliche Aufnahme lateinischer Schriftſteller, zeigen die gedruckten
I!) Uber die Zufammengehörigkeit des Barifianus und bes God. Barberini vgl. Haaje: De
milit. scriptor. graec. et lat. omnium edit. ©. 82, und Müller: Ein griedh. Fragment über
Kriegämweien a. a. O. ©.4. — Über die Zuſammengehdrigkeit des Escorialmanuffripts mit dem neapo-
litanifchen Codex vgl. 8. FH. Müller: Grieh. Schrift über Seefrieg ©. 31, 32. — Der vatifan.
Eober 1164 (membr. saec. XI.) ift arg beichäbdigt.
2) Da Kaiſer Ritephorus Phokas 963—968 regierte, jo beweift eben bie Aufnahme feiner Schrift
repi nagadgouis indie Sammlungen der 8. Gruppe, dab diefe erſt gegen Ende des 10. Jahrhunderts
entftanden fein kann.
Einleitung. ——VV ———
Sammlungen der militäriſchen Werke des Altertums, welche vr.
den Gelehrten der Renaiffancezeit unternommen wurden, vornehmlic) die
der Veteres de re militari scriptores, scilicet Vegetii, Aeliani,
Frontini et Modesti opera, welche zuerjt in Rom 1487, neun Jahre
jpäter zu Bologna, dann revidiert und gereinigt 1528 zu Köln, endlich
in der mujtergültigen Ausgabe des Budäus 1532 (1535, 1553) zu
Paris veröffentlicht wurde). Dieſe Sammlung galt geradezu als ein
fanonijches Corpus der Kriegskunſt. Im der Vorrede des deutjchen
Begetius von 1534 [X VI.84], heißt e8 3. B.: „Dann wie vier Wagenreder
zuglegch nottürfftig vber ein feldt lauffen, Alſo bejchreyben vns Jul.
Frontinus, Helianus, Modejtus vnd Vegetius ganz brauchlich) vnd
loblich auch einhellig die Eunjt vnd übung der Ritterichafft... Dadurd)
wirdt das Römiſch Reich geiterdt, die feldt erbawet vnd das land
beichyrmet.“ — Sp wertvoll num auch jene Sammlung war, jo
umfaßte jie doch nur einen geringen Teil der antiken Kriegsichriftiteller.
Der Wunſch nad) einer volljtändigen klaſſiſchen Militärbibliothek wurde
aber damals in weiten Kreiſen lebhaft empfunden und auch von dem großen
Bhilologen-Triumvirat des 16. Jahrhunderts, von Scaliger, Lipſius
und Cajaubonus wiederholt ausgejprochen; er fand indes feine Er:
füllung; man begnügte jich vielmehr, die vorhandene Sammlung der
Veteres de re militari scriptores philologiſch zu rezenjieren und zu
fommentieren, und jo entitanden die neuen Ausgaben von Modius
(Köln 1580), Stewechius (Amſterdam 1585, Leyden 1592) umd
Scrivertus (Antwerpen 1607, Leyden 1633 und, vermehrt und ver:
beifert, Wejel 1670) 2). — Eine Übersicht der militärijchen
Schriften des Altertums gab 1637 Gabr. Naude in jeinem
Syntagma de Studio militari (Nom), dem erjten Verſuche eines
Milttärliteraturnachweijes, welcher auch die Antiqui deperditi, die
manuscripti in bibliothecis latentes, Graeci, Arabes, Latini,
Vulgares jowie ein Verzeichnis der Ausgaben enthält.
Erjt gegen Ende des 17. Jahrhunderts gejellte jich dem alten
gedrucdten Sammelwerfe der Veteres scriptores ein neues, nämlich
1) Eine Ausgabe ber Scriptores (Rom 1499) ift um bie Feldherrnkunſt Onejanders vermehrt,
die jedoch in der Bolognejer Ausgabe unb in den folgenden Neubruden wieder ausgeichieden wurde.
?) Lestere Ausgabe umfaht (außer Vegez, Frontin, Aelian und Modeftus) auch noch den mili-
äriichen Zeil Polybs, den Aeneas Tacticus und da® Incerti auctoris de re militari opusculum,
weldhes früher dem M. Tullius Cicero zugeichrieben wurde, aber ganz unbedeutend und Ciceros un:
meifelhaft unmwürbig ift, wie da3 fchon Ungelus Decembris in jeiner Vita di Cicerone (Parma s. a.)
gen Ende bes 15. Jahrhunderts nachgewiejen hat.
10 Altertum.
die auf Befehl Louis’ XIV. von Thevenot griechiſch und lateiniſch
herausgegebenen Veterum mathematicorum Athenaei, Apol-
lodori, Philonis, Heronis et aliorum opera. (Paris 1693.) !) —
Hatte die ältere Sammlung der Veteres scriptores nur jtrategijch-
taftijche Schriften umfaßt, jo nahm diejenige Thevenots faſt aus-
ichließlich Poliorketifer auf, jo daß diefe beiden Sammlungen der
ideellen Anlage, wenn auch feineswegs dem materiellen Inhalte nach,
den erjten beiden Gruppen der vorher gejchilderten handjchriftlichen
Kollektionen entjprechen.
Im 18. Jahrhundert faßte der brandenburgishe Rat Baum:
gärtner den Gedanken, die griechtichen Kriegsjchriftiteller in deutjcher
Sprache herauszugeben und zwar „als Schulbuch für den deutſchen
Krieger“. Aber troß des pompöjen „An Deutjchlands Mächte“
gerichteten Vorwortes und troß des Titels „VBolljtändige Samm-
lung aller Kriegsjchriftiteller der Griechen jowohl jtrate
giſchen als taftiichen Inhalts“ it doch nur ein Band dieſes Unter:
nehmens erjchienen (Frankenthal und Mannheim 1779), und bei der
Mittelmäßigfeit ſowohl der Überjegung als der Anmerkungen ift das
faum zu bedauern. Diejer eine Band enthält Onejander und Neltan?).
Erfolgreicher war ein derartiges populäres, jedoch noch viel
umfaffender angelegtes Unternehmen in Frankreich, nämlich) die jeit
1835 von Lisfenne und Sauvan in Paris herausgegebene
Bibliotheque historique et militaire, dedie a l’armee
et la garde nationale de France. Sie enthält n 8 Bänden Die
wichtigiten Werfe der Friegsgejchichtlichen und militärdidaftischen
Literatur bis auf die Bulletins Napoleons I. Die 3 erjten Bände
ind der antifen Kriegswiſſenſchaft gewidmet.
Vol. I bringt einen Essai sur la tactique des Grecs und in guten fran—
zöſiſchen Überjegungen des Thukydides Geſchichte des peloponneſiſchen Krieges,
Xenophons Anabaſis und Kyrupädie ſowie Arrians Alexanderzug. — Vol. I
enthält einen Essai sur les milices Romaines und eine Übertragung von des
») Unter ben „aliorum operis‘ befindet fi ber in biefer Gejellihaft befrembende Julius
Africanus, defien xeoro übrigens (das einzige Werk der Sammlung ift, welches ohne Iatein. Über:
jeßung aufgenommen wurde.
) Bu erwähnen ift von einjchläglichen Schriften deutſchen Urjprungs auch Wöldikes Index
bibliothecae militaris scriptorum veterum graeco-latinorum (Typis regiae equestris acade-
miae Soranae [1742]), welcher alle von den Alten erwähnten Militärjchriftfteller alphabetiſch aufführt
unb überall auf die betreffenden Stellen in Naudaei Bibliographia militaris und in Fabricii
Bibliotheca Latina und besjelben Bibliotheca Graeca verweilt.
Einleitung. - 11
Lolybios allgemeiner Geſchichte, Vol. III Überfegungen der Kommentare Cä—
ſars, der Inftitutionen de8 Vegetius, der Feldhermtunft des Onefjander,
der Inftitutionen Kaijer Leos, der Stratagemata Frontins und der Kriegs—
fiften Bolyains nebjt einem Anhange ſolcher Kriegsliften, welche ſich in den
Berlen moderner Autoren verzeichnet finden.
Die ım 16. und 17. Jahrhundert hergeftellten Driginalaus-
gaben der griechijchen und römischen Kriegsichriftiteller erjchienen den
geiteigerten Anſprüchen der modernen Philologie nicht mehr genügend.
Beruhten doch jowohl die Veteres scriptores wie Thevenots Sammlung,
gleich all den andern Editiones principes der Renaifjancezeit, eigentlich
immer nur auf eimem einzigen Manujfripte von oft ziemlich junger
Herkunft, deſſen Angaben jelten kritiſch unterfucht worden waren.
Da faßte der ausgezeichnete Philologe Haaje, der bei Bearbeitung
jemes im Jahre 1833 erjchienenen» Buches über den „Stat der Lake—
dämonier“ Veranlaſſung gefunden Hatte, jich eingehend mit dem
Studium der antiken Taktik zu bejchäftigen, den Entjchluß, ein voll-
jtändiges, kritiſch bearbeitete® Corpus de re militari veterum
scriptorum herauszugeben. Er machte dazu, namentlich in den
Bihliothefen von Paris, Straßburg und Heidelberg, umfafjende Bor:
ftudien, als deren Früchte zwei für die Überficht und Quellenkunde
der antifen Meilttärliteratur unvergleichlic) wichtige Abhandlungen
erjchienen: die eine: „Über die griechifchen und römijchen Kriegs—
ſchriftſteller“ in Jahns Neuem Jahrbuche (XIV. ©. 5 ff.), die andere:
»De militarium scriptorum Graecorum et Latinorum omnium
editione instituenda« jelbjtändig. (Berlin 1847.) — Haaſe hatte
die Abjicht, jich für die Herausgabe mit einem Offizier zu verbinden ;
leider aber iſt e8 nicht dazu gekommen; der Gelehrte ftarb i. J. 1867, ohne
das geplante Unternehmen öffentlich in Angriff genommen zu haben?).
Noch bei Haajes Lebzeiten ergriffen, zwei andere Männer den
von ihm gehegten Gedanken: der Bhilologe Köchly verband fich mit
dem Offizier W. Rüſtow zur Herausgabe der „Griechiſchen
Kriegsjchriftiteller“, von denen 2 Teile in 3 Bänden erjchienen.
(Xeipzig 1853—55.)
1) Haafes wiſſenſchaftlicher Nachlaß ift 3. T. in die Hände eines mwaflentundigen jüngeren
Gelehrten, bes Dr. 8. #8. Müller, zur Seit Kuftos an ber Kgl. Univerfitätsbibliothet zu Würzburg,
übergegangen, der jich, feinen jüngften Verbffentlichungen zufolge, eingehend mit der griechiichen Militär-
literatur beſchaftigt. Möchte e8 dieſer rüftigen Kraft gefallen, Haaſes großen Plan wieder aufzunehmen,
und möchte es ihr beſchieden fein, denfelben zu Enbe zu führen!
12 Altertum.
Band 1 enthält poliorketifche und artilleriftiiche Werke (Bußdia unyanıza),
nämlich de8 Aineias Bud von der Verteidigung der Städte, Herons umd
Philons Schriften vom Geſchützbau, nebjt einem Anhange, welcher den artilles
riftiichen Teil des Vitruvius (X, 13—15) und die Quellen für daß Geſchützweſen
der zweiten antiten Artillerieperiode bringt. — Band 2 bringt nad) einer meifter-
baften Einleitung über die Taftit der Ulten, die bier zum erjtenmale voll»
ftändig gegebene Tattit des Asklepiodotos jowie die Theorie der Taktik von
Ailian und zwei Stüde taktiichen Inhalt® aus KZenophon und Polybios.
— Band3 ediert die bis dahin überhaupt ungedrudte Schrift eined anonymen
Byzantiners über die praftiihe Statskunſt, d. h. über das Kriegsweſen, nebit
dreifahem Anhange und den erflärenden Anmerkungen zu den drei Taktikern. —
Der zweite Teil des Werkes (2. und 3. Band) entipriht aljo den Außkia aroa-
znyıra der alten Manujfriptiammlungen.
Mit Ausnahme einiger anhangsweiſe binzugefügter Opuscula,
welche nur im der Driginaljprache mitgeteilt jind, gibt die Ausgabe
alle Werke griechiich und deutſch und begleitet fie mit reichen
Anmerkungen philologiſcher wie jachlicher Natur. Übrigens iſt
der Nahmen auch dieſes Köchly-Nüftow’schen Unternehmens, ob—
gleich von vornherein enger abgeitedt als der des Haaſe'ſchen
Planes, nicht völlig ausgefüllt worden. Planmäßig follten nämlich)
noch die Fragmente der griechischen Kriegsbaumeiſter (Athenatos,
Philon, Apollodoros) jamt den einjchläglichen Kapiteln Vitruvs auf-
genommen werden.
„Da jedoch” (jo jagt das Vorwort ded 3. Bandes) „jelbjt die von uns im
erjten Teile attentundig niedergelegte Reftauration der alten Artillerie nicht im
ftande gewejen ijt, die gegenwärtig ziemlich einfeitig in Wortforidung, Wort:
erflärung und Wortkritik verjenkte Philologie zu entjprechender Teilnahme zu
erweden, jo bleibe die Vervolljtändigung diefer Sammlung der Zeit vorbehalten,
wo wieder einmal ein gejunder, lebenskräftiger Realismus durd die Adern der
Altertumswiſſenſchaft jtrömt.* — Inzwiſchen find die ‚beiden tüchtigen Forſcher
auf immer dahingejhieden, und ihr Werk ift unvollendet geblieben,
Das letzte Sammelwerf endlich, welches man gewiljermaßen als
eine Erneuerung der Thevenot’schen Kollektion betrachten kann, it Die
auf Veranlaffung Napoleons II. von Wejcher herausgegebene
Poliorcetique des Grecs. Traites theoriques et Recits historiques.
Paris 1867.)
Diefe ſchöne Ausgabe enthält einesteild die theoretiihen Schriften bes
Athenäos, Bitons, Herons und Apollodors über Kriegsmaſchinen und Poliorketik
anderjeit8 Berichte über Belagerungen, welche antiken Hijtorifern entnommen
find. Philon von Byzanz ift leider nicht aufgenommen, weil er in dem der Aus—
gabe zu Grunde gelegten Parifer Athosmanuſkripte fehlt.
I. Die Zeit der Republik in Hellas und in Rom. 13
Becher gibt nur den Originaltert, bildet aber aud) alle erläuternden Figuren
der Codiced mit minutiöjer Sorgfalt nad). Der in lateinifher Sprache geichriebene
paläographiiche und kritiſche Kommentar bejchäftigt fih nur mit Feſtſtellung der
Lesart, nicht mit der Saderflärung, bietet aber für den Vergleich der antiken
Autoren des medanifch-poliorketifchen Gebietes den trefflichiten Anhalt.
1, Bapifel.
Die Beit der Republik in Hellas und in Nom.
l. Gruppe.
Von Homer bis zu Alerander.
8 5.
Unter den abendländtjchen Kulturvölfern find die Griechen das
erite, bei welchem jich eine Wifjenjchaft vom Kriege entwidelt: Pallas
Athene, die Vorkämpferin mit Speer und Schild, galt ihnen ja zugleich
als Göttin höchſter menschlicher Erkenntnis. Während der Berjer-
friege drängte fic) den Hellenen die Betrachtung auf, daß nicht ſowohl
aus der Mafje als aus Zucht und Eumjtgerechter Führung die Kraft
der Heere entipringe, und dieſe Wahrnehmung brachte das Griechenvolf
bet jeinem Hange zur Abjtraftion bald auf die Elemente der Heeres-
bildung und Taktik, welche dann in der Folge jyitematijch verbunden
und zu einer Theorie der Kriegskunſt ausgejtaltet wurden. — Nun
haben werdende Wiljenjchaften jich jederzeit gern mit dem Glanze
bereitS berühmter Namen geichmüct, und jo priefen denn auch die
Strategen Griechenlands als erjten Lehrer der Kriegskunſt den alten
Vater Homeros, dejjen „Ilias“ den Sänger ja unzweifelhaft als
einen Mann erfennen läßt, der Kriege nicht nur erlebt, jondern mit
durchgefämpft hatte und m ganz umgewöhnlichem Maße die Fähigkeit
beſaß, Waffentaten anjchaulich und klar darzuftellen. — Aus der
Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. find uns drei merkwürdige Beweije
für die damalige Geltung des Homer als Lehrer der Kriegskunſt
aufbewahrt. Arijtophanes weiſt in feinen „Fröſchen“ auf den
Rusen edler Dichter mit folgenden Worten hin:
14 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
Denn Orpheus gab uns Heilige Weih’n und lehrte den Mord uns verabiheu'n :
Mujaios brachte der Heilkunſt Trojt und Orakel; Hefiodos lehrte,
Wie die Felder bebau’n, wie ernten und ſä'n, und der göttlihe Sänger Homero8 —
Was ehrt man ihn Hoch, was ijt jein Ruhm, wenn nicht, daß er Großes gelehrt hat:
Schlahtordnung, Gejeht, Mut, Bappnung des Heer3?
Der Rhapjode Jon behauptet in Platons gleichnamigen; Dialoge:
wer ein guter Rezitator jet, der jet auch ein guter Feldherr, umd
erwidert auf die Frage des Sofrates „biſt auch du als Feldherr,
o Son, der bejte unter den Hellenen?“ ganz naiv: „Gewiß, und zivar
nachdem ich es aus den Dichtungen des Homeros gelernt habe!“
— Genau jo rühmt jich in Kenophong „Sympofion“ ein gewiſſer
Niferatos, die Befähigung zum Feldheren und zum Lehrer der Kriegs
funjt zu haben, wetl er den ganzen Homer auswendig wiſſe. — Zu
Aleranders des Großen Tagen fand die Taktik des Homer bejondere
Bearbeiter. — Ailianos behandelt (100 n. Ehr.) in jeiner „Theorie
der Taktik“ den Homer als Schöpfer diejer Wiſſenſchaft, und nicht
minder beginnt Bolyatnos (163 n. Ehr.) jein Stratagematifon mit
jenem frühejten Herolde der griechiichen Kriegskunſt.!)
Auch die Neueren haben jowohl die hohe militäriiche Begabung
Homers anerkannt, als aus jeinen Dichtungen das Wejen der ältejten
griechischen Kriegskunſt zu erkennen verjucht, jo namentlich Buyjegur in
jeinem Art de la guerre (Paris 1749, p. 6 ff.), und wenn Paul:
Louis Courier in einem Briefe an Villoiſon (1805) äußerte:
«Home£re fit la guerre, gardez-vous d’en douterl C’etait la
guerre sauvage. Il fut aide-de-camps, je crois, d’Agamemnon,
ou bien son seeretaire» ... . jo findet er fich durchaus in Überein-
jtimmung mit Napoleon I., der geradezu ausſprach: «Quand on lit
'Iliade, on sent a chaque instant qu’Homire a fait la guerre et
n'a pas comme le disent les commentateurs passe sa vie dans
les ecoles de Chio... Le journal d’Agamemnon ne serait pas
plus exact pour les distances et le temps et pour la vraisemblance
des operations militaires, que ne l’est son poöme»?). — Bis
auf unjere Tage herab find namentlich deutiche Gelehrte bejchäftigt
gewejen, die „Realien“ der homerischen Dichtungen auszujcheiden und
rejtzuitellen, auch in Hinficht auf das Kriegsweſen.
1) Uber die von Aelian erwähnten Bearbeiter der homeriſchen Taktik oben vol. 3 1.
” Bol. Sainte-Beuve: Le premier livre de l’Eneide (Revue contemporaine XXVIII.
1856, p. 338.) .
1. Bon Homer bis Alexander. 15
Ich nenne hier: Heyne: Homerausgabe (Leipzig 1802, Exkurſe IV, 654—668,
v, 393—402), Köple: Das Kriegsweſen der Griechen im heroiſchen Zeitalter
(Berlin 1807), Hopf: Das Kriegsweſen im heroiihen Beitalter nah Homer
(Brogr. des Gymnaf. zu Hamm 1847 und 1858), Friedrich: Realien in der
Ddyjiee und der Ilias (Erlangen 1856), Buchholz: die homerijchen Realien II
(Leipzig 1881) und endlich die höchſt einfichtige Unterfuhung von Albradt:
Kampf und Kampfihilderung bei Homer (Blg. zum Jahresber. der Landesſchule
Pforta 1886).
Heutzutage wird wohl niemand mehr den Dichter als einen
Vertreter der Kriegswijjenjchaft gelten laſſen. Wie ‘vollendet
far und klaſſiſch auch feine Darjtellung von Heerwejen und Bewaff-
nung, Kriegsrat und Truppenaufſtellung, Befejtigung und Flotten-
wejen immerhin jein mag, jo trägt er dieje Dinge doch keineswegs
methodijich vor. In Bezug auf die Kampfweiſe jchildert Homer in
den wagenfämpfenden Helden eine zu jeiner Zeit bereit verſchwundene
Raffengattung; aber die von ihm ausgemalte Fußvolkstaktik ift
diejenige jeiner eigenen Zeit.
Seit Einwanderung der Dorer in den Peloponnes war die Fechtart
diejes zu Fuß kämpfenden Siegervolfes Borbild aller Griechen ge
worden und bald zu fait ausschließlicher Geltung gelangt. Grundform
der doriſchen Taftif aber ift die von Homer mehrfach (namentlich
Ilias XVI, 212—218) anjchaulich gejchilderte Hopliten-Bhalanr,
d. 5. die Zujammenjtellung jchwergerüjteter Spießträger in Dicht:
gedrängte Gewalthaufen. „Phalanx“ heißt wörtlich „Walze“!), und
damit it das Weſen einer jchweren Striegermaffe, welche, langjam
und wuchtig vorwärtsdringend, alles Entgegenitehende vor jich nieder:
wirft, trefflich bezeichnet. Um ihre Aufgabe löſen zu fünnen, bedurfte
die Bhalanr bis zum Augenblide des Zujammenjtoßes vollftommenjter
Ordnung und Gejchlofjenheit, deren Vorausſetzungen gute Mannes
zucht und ruhige Haltung waren. Dieje Eigenjchaften preift denn auch
Homer bereit3 als unterjcheidende Merkmale hellenischer Kampfweije
von der der Barbaren. (SI. III, 1—9, IV, 427—431.)
Die phalangitische Hoplitentaktit hat Griechenland unter dem
Bortritt Spartag bis über die Zeit der Berjerfriege hinaus mehr
oder minder jtreng innegehalten, und auch noch in den Tagen des
Berifles richtete jich die Aufmerkſamkeit lediglich auf Entwidelung
1) Bei Herobot (III, 97) um 450 v. Chr. hat yalayz die Bedeutung „rundes Stammholz“ bei
Selonius von Rhobus (II, 843) um 250 v. Chr. ausgeiprocdhen bie von „Walze“.
16 Ultertum. I. Die Zeit der Republifen.
und Durhbildung der Evolutionen innerhalb der Phalanz, aljo auf
elementartaktische Werbefferungen. An eine grundfägliche Anderung
der altüberlieferten chriwürdigen Schlachtordnung dachte fein Menjch.
86.
Die Verjchtedenheit der griechtiichen Statsverfajjungen hatte
natürlich auch mannigfache Abweichungen der Heer: und Wehrordnungen
zur Folge; eines aber war doch alleır Hellenen gemeinjam: jeder
Mann, der als Bürger Geltung erlangen wollte, mußte aud) Geltuna
haben als Krieger. Innig durchdrang ſich in der Jugenderziehung
die Ausbildung im kriegeriſcher Tüchtigfeit mit der in Wifjenjchaft
und Kunst, und dieſe Verbindung, von der jedes einzelne Gymnaſium
Zeugnis ablegte, erhob jich in den nationalen Feitjpielen zu Olympia,
zu Pytho, am Iſthmos zu einem über alle Stammesverjchiedenheit
hinausgehenden Ausdruck des gejamtgriechiichen Wejens.
Eme Weiterführung der gymnaſtiſchen Borbildung geſchah in
Hellas frühzeitig jchon durch die jogen. Hoplomadhie.’) Die örrko-
uayoı waren Fechtmeiſter, welche Schauvoritellungen in virtuojer
Handhabung der gewöhnlichen Waffen gaben, auch wohl Verbejjerungen
an diejen vornahmen und Schülern ihre Fertigkeiten überlieferten. Den
Hauptichauplaß ihrer Wirkſamkeit fanden jie in dem eigentlichen Söldner-
bezugsgebiete Griechenlands, in Arkadien, und aus diejer Landichaft
gingen auch wohl die meisten Hoplomachen hervor. Während nım die einen
ihre Künſte aufs äußerſte zu jteigern juchten und fich durch un—
praftiiche Übertreibungen nicht jelten gerechtem Spotte ausjeßten, 2)
ichlofjen andere an den Unterricht in der Waffenführung auch den
in der Exerzierfunit, in der Aufitellung und den Evolutionen der
Phalanx an, und juchten auf diefem Gebiete feite Grundjäge zu finden
und zur Geltung zu bringen. Bald werden die Bezeichnungen Hoplo—
machos und Taktikos als gleichbedeutend gebraucht,?) und nicht
lange, jo wird die Taktik (razrıza), die Heerordnungskunft, als
eine eigenartige Disziplm begriffen.*) — Sobald dies aber gejchah
ı) oıdor = Waffe; örkouayda = Kunft der Waffenführung.
9) Vgl. die Anefdote von dem Wechtmeifter Stefileos bei Platon (Lade. 183 D— 184 A).
») Ebd. 182 B; Xenoph. Anab. II. 1,7.
% Tarısıy = ordnen, aufftellen; rayua = das Georbnete, die Heerſchar; rayos — ber Be
fehlähaber;; , raxrız) =die Kunft, eine Heerihar zu ordnen.
1. Bon Homer bis Alerander. 17
bemächtigten jich ihrer auch die Sophiften. — Die älteften Namen
tafttjcher Lehrer, welche uns erhalten blieben, find die eines Brüder:
pares: Euthydemos und Dionyfodoros!), von denen leßterer bereits
als Lehrer der Strategif (orgarıyeiv) bezeichnet wird?).
Nach Sparta, dem Heimatjige der hellenischen Elementartaftif
zu fommen, hüteten fich die militäriichen Wanderlehrer; dort hätten
fie fein Glück gemacht?); deito beffer gelang es ihnen m Athen, und
als 3. B. Dionyjodoros im Jahre 423 v. Chr. dorthin fam*), empfahl
jogar Sofrates einem jeiner Zuhörer, von dem er wußte, daß er fich
um die Feldherrnwürde bewarb, den Unterricht des Taftifers nicht
zu derfäumen?).
Er ridtete folgende Worte an ihn: „ES ift denn doc eine Schande, junger
Mann, wenn einer Feldherr werden will und, fall® fid) Gelegenheit darbietet,
fi) dazu zu bilden, gar feinen Gebraud) davon macht. Darauf würde noch weit
eher Strafe gehören, als wenn jemand Beitellungen auf Statuen annähme, ohne
die Bildhauerkunft gelernt zu haben. Dem Feldherrn ift im Kriege des ganzen
States Scidjal anvertraut ... Sollte da nicht derjenige mit Recht beftrait
werden, der zu bequem iſt, die Kunjt eines Feldherrn zu erlernen und ſich doc
alle Mühe gibt, zu diefem Amt erwählt zu werden ?“
Die Sophiften hielten ſich offenbar zunächjt ganz an das Mechanifche
der Taktik, wie es der Neigung der Griechen zu anjchaulicher Demon
itration und dialeftiicher Disputation bequem entgegenfam. In höherem
Sinne faßten den Gegenstand erjt jolche Weije, die, gleich Sokrates,
jelbft tüchtige Krieger waren. Sie erfannten, daß die Taktik nur
einen Teil der Feldherrnkunſt ausmache, und bejtrebten ich, den
Umfang derjenigen Kenntniſſe feitzuftellen, welche in ihrer Gejamtheit
die Kriegsmwiffenjchaft bildeten. Für jene Haltung der Sophijten wie
für die höhere Auffafjung des Sofrates gibt die Fortjegung der
Erzählung von Sokrates und dem Schüler des Dionyjodoros ein
anichauliches Beifpiel.
1) Bol. Weller: Kleine Schriften II, ©. 443; Winlelmann: Zu Platos Euthydem.
©. XVIII—XXX; Eron: Zu Platos Laches. Einleitung 835; Schanz: Beiträge zur borjolrat.
Bhilojophie I, ©. 59; Boni: Platon. Studien ©. 127 und Hug: Aeneas von Stymphalos ©. 17.
) Iroatıd = Kriegäheer ; orgarnydg = Heerführer ; orgarnyda Feldherrnamt und Feld—
berrnwiſſenſchaft (nad) dem Sprudie : Gibt Gott dad Amt, fo gibt er auch Verftand !)
) Blaton Laches 188 BB.
4) Diefen Zeitpunkt berechnet Nitjche: Abfaſſung von Zenophons Hellenila ©. 31.
5) Zenophons Anourynuovevuare;, Erinnerungen an Eoltates III, 1. — Dieje „Memora-
bifien” find ein Gewebe fotratifdj.genophontijcher Weisheit, deren 3. Buch vorzugsweife Auslaffungen
aber Feldherrnkunſt und Staatäfunft enthält.
Jahms, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 2
18 Altertum. I Die Zeit der Republifen.
Die Borftellungen bes Sokrates hatten ihren Zweck nicht verfehlt; der Jüng-
ling hatte Unterricht genommen. Als er fi nad) Beendigung desjelben wieder
einfand, jagte Sokrates fcherzend ): „Ihr wißt Freunde, daß Homer jeinen Aga-
memnon ehrwürdig nennt; fommt euch nun nicht aud) diefer, jeitdem er die Feld—
herrnkunſt erlernt hat, ehrwürbdiger vor? Wer die Bither zu fpielen gelernt Bat,
ijt, auch wenn er nicht gerade fpielt, doc ein Bitherfpieler, und wer die Heilkunde
erlernt hat, ift, auch wenn er fie nicht eben ausübt, immer ein Arzt: jo bleibt nun
diejer zeit feines Lebens ein Feldherr, auch wenn ihn feine Seele dazu wählt.
Wem dagegen die Kenntnifje fehlen, der ift fein Feldherr und fein Arzt, möchte
ihn gleich die ganze Welt dazu erwählen.“ — „Aber“, fo fuhr Sokrates, ih an
den Jüngling wendend, fort, „es könnte ja wohl einer von und Unterführer bei
dir werden; damit wir und nun auch befler auf das Kriegsweſen verjtehen, fo
fage ung do: wovon ging dein Zehrmeifter bei feinem Unterrichte in der Feld—
herrnkunſt aus?“ „Eben davon“, antwortete jener, „womit er aud) den Beſchluß
madte; er lehrte mich Taktik und fonft nichts!“ — „Da gehören ja aber“,
entgegnete Sofrates, „noch taujend andere Dinge zur Feldherrntunft: die Sorge
für Kriegs» und Lebensmittel und die Ausbildung vieler perſönlicher Fähigkeiten.
Denn ein Feldherr muß erfinderiih an neuen Plänen fein, frudtbar an jchnellen
Lichtblicken; thätig, forgjam und ausdauernd in Strapazen, muß er Güte mit
Strenge, Offenheit mit Verſtellung, Vorſicht mit Verwegenheit, Yreigebigfeit mit
Sparjamkeit verbinden, jcharfblidend des Feindes Blößen erfennen, voll Auf—
merfjamfeit die eigenen deden.... Freilich ijt e8 gut, wenn er aud Taktik
verjteht. Ein geordnete Heer ift unendlich viel mehr wert als ein ungeordnetes .
denn jowenig ein durcheinander geworfener Haufe von Steinen, Hol; und
Biegeln ein Haus bildet, in dem man wohnen kann, ebenfowenig vermag man
ein ungeordneteö Heer zu verwenden... Aber lehrte der Meifter did nur bie
Kunft, ein Heer in Schladhtordnung zu ftellen, nicht auch, wie und wo jeder ein-
zelne Zeil des Heeres zu gebrauden ſei?“ — „Das leptere lehrte er eigentlich
nicht.“ — „Und doch gibt e8 eine Menge von Fällen, in denen die übliche
Schladtordnung im Gefecht wie auf dem Marſche den Umftänden nad) geändert
werden muß.“ — „Wahrhaftig, davon brachte er mir feinen Begriff bei!” — „So
bitte ich did, gehe wieder hin und frage ihn. Denn wenn er es weiß und nicht
aller Scham bar iſt, muß er erröten, für das Geld, das er befommen, dich mit
einem jo mangelhaften Unterrichte abgejpeift zu haben.“
Immer wieder kommt Sokrates auf die VBieljeitigfeit der
von einem Feldherrn zu erfüllenden Pflichten zurüd.
Er erinnert daran, daß Homer den Heerführer der Griechen einen
Hirten der Völfer nenne, womit auf die Pflicht guter Ernährung
und richtiger Führung des Heeres Hingedeutet jei?); bis in Die
ı) Des Stonfliftes, in welchen die Kriegskunſt mit der Moral tritt, namentlich durch die An-
wenbung ber Lift unb der Grauiamfeit, ift fi die Sokratik vollfommen bewußt und geht ihr burdh-
aus nicht aus dem Wege. (Bol. Zenophon, Syropäbie I, 6, 27.)
” Memorabilien III, 2.
1. Bon Homer bis Alerander. 19
Einzelheiten hinein jet er einem zum Neiterführer erwählten Manne
die Aufgabe diefer Stellung auseinander !); bis zur Übertreibung
preiit er dem Nikomachides den Wert der Haushaltungskunjt für die
Ausübung des Feldherrnamtes ?), und mit Begeijterung weilt er den
Sohn des großen Berifles auf die Macht moralifcher Impulje bet der
Führung des Heeres hin und erläutert ihm mit überrajchender Einſicht
den Einfluß des Geländes auf die Kampfformen und den damals noch
wenig anerkannten Wert eines tüchtigen leichten Fußvolks ®).
87.
Der würdige Schüler des Sofrates, dem dieſer jelbjt einſt im
der Schlacht das Leben gerettet, ijt zugleich der der Zeit, dem Werte
und der Wichtigkeit nach erjte Kriegsjchriftiteller und der erjte taftijche
Reformator der Griechen: Xenophon, de3 Gryllos Sohn, der um
444 v. Chr. zu Athen geboren wurde.
Der Umgang mit Sokrates und die Teilnahme am peloponnefifchen Kriege
reiften ihn. Nicht aus Soldgier, jondern in ritterlihem Tatendrange und voll
aufrichtiger Bewunderung für den jüngeren Kyros nahm er die Dienjte dieſes
Berferfürjten, und al’ die friegeriiche Energie und befonnene Kühnheit, welche das
damalige Griehentum noch bejeelten, oifenbarte Zenophon, al® er nad) der unglüd«
liden Schladt von Kunaxa (401) und nad) der Hinterliftigen Ermordung der
Feldherrn des helleniihen Hilfsheeres die Führung der zehntaujend Griechen auf
ihrem glorreihen Rüdzuge übernahm. Bon den Athenern, vermutlich wegen feiner
Neigung für Sparta, verbannt, ſchloß Zenophon fi) zunächſt an Wgefilaos, ben
bochbegabten König der Spartiaten, welcher damals (396) in Kleinafien Lorbeer
pflüdte und als erjter der Griechen den Gedanken fahte, das morſche Perjerreidh
zu ftürzen. Nach dem der Schladt von Koroneia folgenden Friedensſchluſſe gaben
die Spartaner dem Zenophon bei Olympia Aſyl und Befig, doch feinen Wirkungs—
frei, und dieſem Umjtande, der ihn anfangs jehr unglüdlid) machte, verdanken
wir jeine Schriften: die edlen Früchte einer faſt fiebzehnjährigen ländlichen Mußet).
Die ältejten der Werke Xenophons find vermutlich die jchon
erwähnten „Erinnerungen an Sokrates“; dann aber jchilderte er im
der Anabaſis (Kigov aveßaoıs) die Großthat jeines Lebens, den
ı) Memorabilien III, 3. *) Ebd. 4. °) (Ebd. 5.
*) Gejamtausgaben der Werte Zenophons: Die Editio prima completa (Hal. Suev. 1540)
erfreut fich einer Borrede von Phil. Melanchthon. Ausg. von Dindorf (Baris 1839), Borne»
mann (Gotha 182854) und von Schenkl (Berlin 1866). Griechiſch und deutich (Leipzig, Engelmann ,
1856, 1881). — Deutich in der Oſiander⸗Forbigerſchen Sammlung (Stuttgart 1354—72).
Über Zenophons Reben: Krüger: De Xenophontis vita quaestiones eriticae (Halle
1322), Ranle: De vita et scriptis Xenophontis (Berlin 1851) und Rüftomw: Militäriiche Bio»
grapbien I (Hürich 1858).
2*
20 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
Rückzug durch JFAſieny. Dies jchöne Werk, welches Kühner (ſ. u.)
„ein ewige Zeugnis von der Obmadt der Ziviltjatton über Die
Barbarei“ nennt, it voll bejcheidener Zurüdhaltung. Nirgends jtellt
ji) der Autor, wie etwa Cäſar in den SKommentarien oder gar
Napoleon in jeinen Bulletins, als den eigentlichen Urheber der
Erfolge dar, jondern Ddieje werden der Volksart, der nationalen
Bildung zugeichrieben.
Und dennoch ift Kenophon offenbar mehr als einmal der Retter
jeiner Gefährten geworden, und ummvillfürlich leuchtet ja auch überall
jeine herrliche Natur durch: ſein jcharfes und ficheres Urteil, jeine
Geijtesgegenwart, jeine Umgangskunft, jeine Überredungsgabe, jene
Selbjtverläugnung und jein großes militärtsches Talent. — In
Ihlichten, unmittelbar dem Kriegstagebuche entnommenen Worten
werden die gegen das übermächtige PBerjerheer angemwendeten Kampf-
formen auseinandergejeßt, und eben in Bezug auf dieſe verdient Die
hohe Unbefangenheit hervergehoben zu werden, mit welcher Kenophon,
diejer eifrigite Anhänger dorischer Fechtweije, die hergebrachte Form
derjelben, die gejchloffene Phalanx, ruhig aufgibt, jobald er erkennt,
daß in dem gegebenen Falle andere Formen bejjere Dienjte leiten
fünnten. Er jelbjt jpricht fich darüber bet Gelegenheit des Angriffes
auf einen von den Kolchiern bejegten Gebirgszug mit bewunderungs-
wirdiger Natvetät und Klarheit aus. (Anab. IV; 8, 9—10.)
„Eine geichlofiene Phalanx“, jo jagt er, „muß fi) Hier doch bald von jelbft
breden; an einigen Orten wird der Berg gangbar fein, an anderen nidt. Ber
Krieger, angewiejen, in ununterbrodener Ordnung zu fechten, wird den Mut
verlieren, jobald er bemerkt, daß Zwiſchenräume in der Phalanr entjtehen.
Rüden wir eng zujammengepreßt in tiefer Mafje an, jo werden die Yeinde ung
überflügeln; breiten wir ung zu dünner Linie aus, jo darf e8 niemand wundern,
wenn dieje bei der Menge der Barbaren und ihrer auf und niederftürzenden
Pfeile irgendwo zerrifien wird. Dringt aber der Feind auch nur auf Einem
Punkte dur, jo ift das ganze Heer gejhlagen. — Meine Meinung ift daher:
ı), Yusgaben von Krüger (1826, Berlin 1871), Kühner (Gotha 1852), Hertlein
(Leipzig 1857), und Bollbredt (7. Aufl. Leipzig 1881. Mit milit. Einleitung, Anmerkungen
und Karten). — Franzdöjifch von Eomte de la Luzerne (1770), abgebrudt in Liskennes und
Sauvans Bibliotheque militaire (Paris 1835). Deutſch von Grillo (Frankfurt 1781, 1816),
Halblart (Jena 1804), Bothe (Leipzig 1810), Tafel (Stuttgart 1871), Oberbreyer (Leipzig
1878.) — Bal. Koch: Der Zug der Zehntauſend (Leipzig 1850), Hersberg: Der Feldzug ber zehn:
taufend Griechen (Halle 1870), Streder unb Kiepert: Bur geographijchen Erllärung bes Rüdzuges
durch das armenijche Hochland (Berlin 1870). Kiepert: Nachträgliches zu Zenophons Rückzug.
(Beitihr. d. Gef. f. Erbfunde XVII, ©. 388 f.)
1. Bon Homer bis Wlerander. 31
jwar auf einer Linie, aber in mehreren einzelnen Haufen anzugreifen und zwifchen
diejen foviel Raum zu lafjen, daß unfere Truppen den Feind rechts wie links
überflügeln. Jeder Haufe nimmt die tüchtigften Leute an die Spige und mar:
ihiert da, wo der Weg gangbar ij. Schwerlid wird der Feind zwilchen die
Kolonnen vordringen; denn er jepte fih damit Flankenangriffen aus; ſchwer
dürfte e8 ihm aber auch werden, eine unferer Kolonnen zu werfen; denn der bes
drobten und erjchütterten fämen die Nahbarn zu Hilfe.” — Kenophond Rat wurde
befolgt. Man formierte die 8000 Schwergewafineten in 30 felbjtändige Kochen,
welhe im Gegenjaße zu der in ihrer Gejamtheit viel flahheren Stellung der
zuſammenhangenden Phalanx als „aufredite Scharen” (Aöyoı öpdroı) bezeichnet
„wurden. Mit diefen Kompagnielolonnen ging man vor, nahm die Schützen und
Leihtbewafineten teild auf die Flügel, teild vor die Mitte und gewann jo die Höhe,
Dies Verhalten ift von ebenjo großer wifjenjchaftlicher Wichtigkeit,
wie e8 vom praftiichen Erfolge begleitet var. Es bedeutet den be
wußten Fortſchritt von dem ftarren Nebeneinander zum beweglichen
Miteinander, zum Jneinandergreifen. Dieje Eleinen, gemeinjam vor:
gehenden und jich unterjtügenden Kolonnen — was jind fie anders,
al3 die Manipel der römtichen Legion, deren taktiſcher VBorzüglichkeit
die Phalanx der Griechen jpäter im weltgejchichtlichem Ringen erlag !)!
Und in einem anderen Augenblide, bei dem Kampfe gegen Pharna-
ba308, ijt es ein weiteres Element der künftigen römiſchen Überlegenheit,
durch welches der kluge Athener jiegt: das Element der Nejerve,
welches die Phalangentaktik eigentlich grundjäglich verichmäht (Anab. VI,
5, 4-33). — In alledem war Xenophon freilich jeiner Zeit jo weit
voraus, daß er faum Nachfolger fand; aber fein Verdienſt, dieſe Fort—
ihritte wenigſtens für den Augenblick durchgejegt und fie dann literarijch
firiert zu haben, muß um jo höher angejchlagen werden, als er jonft
in Stat3- und Kriegsweſen überall den altertümlichen Formen des
Dorismus Huldigt.
Aufrichtiger Bewunderung des Dorertums entiprang Xenophons
Buh vom State der Lafedaimonier (Aanedaruoriov zrolt-
reia) ?), allerdings nur eine Skizze, die jedoch recht anjchaulich ijt, und
deren 11., 12. und 13. Kapitel, welche die Grundzüge der doriſchen
1) Huch in der Kprupaibie (vgl. unten) fommen (III, 2, 6) bie öoYıoı Adyoı vor.
7) Ausg. von Haaſe: De repnbl. Lacedaemoniorum Berol. 1833, mit Erläuterungen
über lafebämonifche Taltil. — Das 11. bis 13 Kapitel deurfch von Ehriftian: Zur Iafebäm. Taktik;
griechiſch und deutſch von Köchly und Rüftorm in den Griech. Kriensichriftftellern II, 1. Abtlg. ©. 109
bis 118. — Die Autorichaft Zenophons Hinfichtlich dieſes Wertes ift beftritten worden, doch hat neuer»
dings Naumann jeine Echtheit mit überzeugenden Gründen, bejonder# ſolchen fprachlicher Natur, geftüßt,
(De Xen. libro qui Aax. ol. inscr. Berol. 1876.)
22 Altertum. Js Die Zeit der Republiten.
Taktik darlegen, bei weitem das Beſte find, was uns über die ältere
Hoplitentaftif erhalten ift.
Bon Bedeutung find auch der Abjchnitt über das Lagerweſen, fowie der
über die Befugnifje des Königs und feines Stabes; überall aber tritt des Ber-
faſſers freudige Anteilnahme an den Einrichtungen des merkwürdigen Militär-
ftates hervor.
Iene Voreingenommenheit beeinflußt auch Zenophons Geſchichts—
auffaffung und daher tragen feine "EAAnvırna den Stempel der
Barteilichfeit!). Sie verhalten fich zu dem Werfe des Thufydides,
welches fie fortjegen, ungefähr wie die Dramen des Euripides zu,
denen des Sophofles ?).
Die beiden erjten Bücher führen die Gejchichte de peloponnefishen Krieges
zu Ende; die fünf folgenden jhildern die Ereignifie bis zur Schlaht von Man—
tineia und bejtreben fi), an dem Beijpiele des Ageſilaos das Wefen der echten
Feldherrnkunſt zu erläutern, jowie Sparta mit feiner militärsoligardifhen Ver-
fafjung vor allen anderen griehijchen Staaten und Regierungsformen hervorzu—
heben. liber Epameinondas und Pelopidas beobadten die Hellenifa ein fehr be=
redtes Schweigen; ganz zu Ende erjt lafien fie dem Feldherrntalente des erjteren
Gerechtigkeit widerfahren. Höchſt befremdlich aber ift die Spärlichkeit und Dürftig-
feit der Nachrichten über die doch jo bedeutjamen organiſatoriſchen und jtrategifch-
taktifhen Reformen des Sphikrates und der großen Thebaner. Man könnte darin
eine Bejtätigung der Meinung ©. Schneider und des Neugriehen Kyprianos
finden, daß die Hellenika, jowie fie vorliegen, nur ein Auszug aus dem Originale
Xenophons jeien.
Der Feldzug nach Perſien hat endlich dem Kenophon die An—
regung zu jeinem berühmtejten Werk gegeben, zur Kyrupaidie
(Kioov sraudeia), einem Qendenzromane, in welchem er das Ideal
eines nach jofratijchen und lakoniſchen Begriffen gebildeten Herrichers
aufitellen und an der Gejchichte diejes von Feind wie Freund gefeierten
Helden feine Theorien über Statswejen und Kriegskunſt darlegen wollte®).
In mancher Hinficht it dies Buch dem Tel&emaque des TFenelon
geiltesverwandt, namentlich injoferne es im Gewande des Romans ein
wiljenjchaftlich durchdachtes Erziehungsiyitem für einen Prinzen aufzu-
itellen verjucht, wobei Kenophon allerdings den Hauptnachdruf auf
ı) Ausg. von Krüger (Berlin 1871). Deutfh von Tafel (Etuttgart 1871).
2) Thuky dides kann nicht unter bie ‚Kriegsichriftfieller gerechnet werben; inbeffen bringt
fein unfterbliches Werk (Ausg. v. Claßen, Berlin 1877 ; deutich von Wahrmund, Stuttgart 1867) über
ben peloponnefifhen Krieg eine Hülle höchſt wichtiger militärischer Nachrichten, die freilich alzuwenig
ins Einzelne gehen. — gl. Sch wartz: Ad Atheniensium rem militarem studia Thucydidea. fiel.
») Ausg. von Breitenbach (Leipzig 1869). — Franzöfiih von Gail in Liskennes und
Sauvans Bibl. milit. I (Paris 1835). Deutſch von Dörner (Stuttgart 1865) fund von Walz
(ebd. 1871),
1. Bon Homer bis Alerander. 93
die militäriiche Erziehung legt, jo daß man die Kyrupädie als
das ältefte Dokument methodijcher Kriegspädagogif bezeichnen darf.
As echten Schüler des Sofrates zeigt ſich Zenophon, wenn er auf
die Mannigfaltigfeit der Kriegswiſſenſchaften hinweiſt und darlegt, wie
ihre Teile inemander greifen.
„Ich erinnere mich“, jagt 3. B. Kyros zum Kambyſes „dab ich dich bat,
meinen Lehrer in der Kriegskunſt zu belohnen. Du fragteft mid) darauf, ob
jener Lehrer mir auch Unterridt in der Heereöverwaltung gegeben habe; denn
die Truppen hätten Bedürfnifie, für welche man jorgen müſſe, wie ein Hausvater
für die Glieder feiner Familie. Ich geftand, daß mein Lehrer mit fein Wort
davon gefagt hätte... Du fragtejt ferner, ob mein Lehrer die Mittel erwähnt
habe, Kraft und Gejundheit der Krieger zu erhalten, fie zum Dienfte gejchidt zu
machen, ihnen guten Willen und Gehorfam einzuflößen. Ich wiederholte dir, daß
er mir nur die verjchiedenen Schladhtordnungen auseinandergejept Habe, und du
lachteſt! — Wozu nüßt es, fagteft du, ein Heer in Schladtordnung jtellen zu
fönnen, wenn ed Mangel leidet, wenn Krankheit e8 heimfucht, wenn die Truppen
ohne Übung find, wenn fie die Formen des Marfches bei Tage oder bei Nadit,
auf freier Ebene oder in Engwegen und Gebirgen nicht kennen, wenn jie nicht
wifien, wie man ein Lager bezieht und bewadt, wie man ji ſchützt, falls man
an einer feindlihen Stadt vorbeimarjcdiert, wie man fi gegen Reiterei und
Bogner fichert oder wie man aus der Marſchformation in die Schlahtordnung
übergeht... Du lehrteſt mich, daß die Anordnung zum Gefeht nur ein jehr
geringer Teil der Wiſſenſchaft des Feldherrn jei.“ (I, 6, 12 ff.)
In diejen Darlegungen find die erjten Anfänge der ver-
Ihiedenen Kategorieen der Militärwijjenjchaften gegeben.
— Eingehend, ja mit häufigen Wiederholungen entwidelt Kenophon
in der Kyrupädie jene Anfichten über Bewaffnung, Taktik und
Belagerungstrieg (Beiipiele: Sardes und Babylon), über das Ber:
halten [der Feldherrn, das Betragen der Mannjchaften, die Kriegs:
wirtichaft u. j. w.
Interefiant ift e8, daß KZenophon die Befeftigung der Marſchlager,
aljo einen antifen Braud, der uns, infolge der römischen Traditionen, geradezu
Hafjiich ericheint, furzweg für eine Sitte der Barbaren erflärt. Dieje, deren
Heere vorzüglich aus Reiterei beftanden, hätten jtet3 viel Zeit gebraudt, um ges
fechtöbereit zu werden, namentlich auch deshalb, weil fie ihren Pferden (mie das
ja noch jegt die Drientalen tun) die Füße gefeflelt hätten. Dies habe jie zur
Zagerbefeftigung gezwungen; außerdem aber ſeien fie der Meinung geweſen,
dab fie, verjchanzt, die freie Beftimmung darüber behielten, ob fie einen Kampf
annehmen wollten oder nicht (Syrup. III, 3, 26). Xenophon hätte auch nod) der
Mangelhaftigteit de Wachtdienſtes der Barbaren gedenken können, der, im
Gegenjage dazu, bei den Griechen, zumal bei den Spartanern, auf das Vorzüglichſte
ausgebildet und aufs ftrengjte gehandhabt war. (Stat der Lakedaimonier. XII.)
24 Altertum. I. Die Beit der Republiken.
Deutlich jpricht ich in der Kyrupädie des Verfaſſers Vorliebe
für die alte doriſche Fechtart durch begeijterte Berherrlichung des
Nahkampfes aus. Die blanke Waffe iſt dem Kenophon die Waffe
der Edlen; Schleuder und Bogen jind ihm Sflavenwaffen; jeine
idealen Perjer entbehren jogar des Spießes umd fechten mur mit
Säbel und Streitart. Aber Zenophon weiß wohl: bloße Drejjur jei
nicht im jtande, Fühnes Draufgehn und hartnädiges Handgemenge
zu erzielen. Wo der Kampf Mann gegen Mann gedeihen joll, da
bedarf e8 der Bürgertugend, der männlichen Erziehung. Auf jie
legt er daher in der Kyrupädie bejonderen Nachdruck. Die Welt,
welche ihn ſelbſt, zumal im jenen alten Tagen, umgab, war freilich
eine ganz anders geartete, als die jeiner idealen Perſer; gerade
damals trat der alte Hoplitenfampf in den Hintergrund; Söldner
nahmen die Stelle der Bürger ein; jtatt des feierlich jtolzen Chor:
ichrittes der Phalanx, welcher der Würde eines gejchlechterweije
geordneten, ruhig dahinwandelnden Volkes entjprochen hatte, wird
der Laufichritt üblich; Elitetruppen jondern ſich aus und geben Die
Entſcheidung; nur noch als Rüchalt dient ihnen die Phalanı; Die
Schützen gelangen zu großer Macht im Gefecht; die leichtbewaffneten
Beltaften find einem Söldnerhauptmann wie Iphikrates, dem geſchickten
DOrgantjator, ſchon von höherem Werte, als jeine Phalangiſten. —
Xenophon als alter Praktiker erfannte das jehr wohl, und da Die
Kyrupädie doch wejentlich lehrhaft jein jollte, jo trug er auch jenen
Berhältniffen Rechnung und jtellte neben die mit den adligen Kurz:
wehren gerüjteten Perſer Truppenkörper anderer Art, namentlich
Leichtbewaffnete, Schügen und Reiter. Einmal (in der idealen Schlacht
gegen Kroijos) läßt er jogar den Angriff der Hopliten in einer Wetje
vorbereiten, welche unmittelbar an die Art erinnert, wie die römtjchen
Legtonare den Einbruch mit dem Schwerte durch den Wurf Des
Pilums vorbereiten. KKyrup. VI, 3, 34.)
Kyrupädie und Anabajis lehren aber nicht nur, wie einfichtsvoll
Xenophon auf Steigerung der Beweglichkeit der Heere hinarbeitete,
jondern noch mehr, daß er den wahren Fortſchritt in organijcher
Berbindung der Waffen erkannte. In dieſer Hinjicht erjcheinen
die Schlachten, welche er jeinen Kyros jchlagen läßt, geradezu als
Vorahnungen der Aleranderjchlachten. Dem entjpricht es, daß der
große Athener, ganz im Gegenſatze zu jeinen Zeitgenojjen, bereits
1. Bon Homer bis Alerander. 25
vollanf die Bedeutung derjenigen Waffe zu würdigen wußte, mit welcher
Alerander jpäter am wirkungsvolliten auftrat, die Bedeutung der
Reiterei. Er hat ihr zwei bejondere Schriften gewidmet !).
Kenophons Buch „Über die Reitkunft“ (ei ireruınng) ?) gibt
in 12 Abjchnitten Anleitung zu Einkauf, Behandlung und Abrichtung
der Pierde.
Es beipricht Rafje und Temperament und würdigt anhangsweije die Bewaff-
nung von Rob und Reiter. Eine Schrift Simons von Athen [$ 2] war Haupt-
auelle für dad Bud ®).
Das Werk über den Reiterbefehlshaber (Irrrapyızös) zerfällt
ın 8 Stapitel®).
1. Rekrutierung, Remontierung und Ausbildung der Reiterei; 2.—4. Eins
teilung und Ordnung; 5. Vorfihtsmaßregeln und Kriegsliſten; 6. Mittel, ſich
Achtung und Gehorjam zu verichaffen; 7. die Kunft, eine Landesverteidigung le—
diglich mit Reiterei durchzuführen; 8. Daritellung der eigentlichen Gefechtätattif.
Das Bud zeigt gute Kenntnis vom Weſen der Reiterwaffe. Großen Wert
(egt e8 auf Terrainritte; vortrefflid find die Anweilungen für Sicherheits: und
Aufklärungsdienſt; mande Einzelheit läht in dem Berfafier, der ja ein vorzüg-
fiher Jäger war, aud) einen höchſt erfahrenen Reiterömann erkennen. — Xenophon
ihrieb diejen „Hipparchikos“ in hohem Alfter, al3 die den Spartanern verbündeten
Athener gegen Theben fämpften. E3 find Reformvorſchläge für die attijche Neiterei,
in welche eben damals feine beiden Söhne eintraten, und jo erjcheint das Werk wie
ein Pfand der Verſöhnung mit der Baterftadt, die in der That zu jener Zeit das
Berbannungsdurteil gegen Xenophon zurüdzog.
Bielleiht war dad Buch als Inſtruktion für feine Söhne Divdoros und Gryllos
geihrieben, welche wegen ihrer vom Vater überkommenen Neigung zur Reit:
funjt „die Dioskuren“ genannt wurden und welde nadı Aufhebung der Ber:
bannung in der attifchen Reiterei gegen Theben fämpften. Dabei fiel Gryllos
in dem Reitergefechte vor der Schlaht von Mantineia (362 v. Ehr.).
Schon im Altertum jtand Kenophon als Striegsichriftiteller in
höchjter Achtung. Die Kyrupädie war das Lieblingsbuch des Scipio
Aricanıs und begleitete ihn auf allen Feldzügen. Dasjelbe wird
von dem Burgunderherzog Karl dem Kühnen berichtet; wahrjcheinlich
ft die im der Berner Bibliothek befindliche franzöſiſche Überjegung der
1) Ausg. beider Stüde von Dindorf in Xenophontis scripta minora (Leipzig 1867) und
von Eourrier mit franzöfifcher Uberjegung (Bari 1813). — Deutih, Frankfurt und Leipzig 1749.
9, Mit Anmerkungen und deutſch v. Jacobs (Gotha 1826).
) Simon war Berfafier eines Buchs über die Kennzeichen der Pferde (Inmooxonıxor Pıßllor
Iavuasıor). Er ift wahricheinlich derfelbe Hippologe, deſſen Suidas nebentt.
) Deutſch in v. Bourjcheids Hurs der Taktik und Logiſtik (Wien 1782) und von Ebriftian und
Dorner, (Stuttgart 1869.) Bol. auch Maizeroy: Tableau général de la cavalerie grecque
Maris 1780).
26 Altertum. I. Die Zeit der Republilen.
Kyrupädie von Vasque de Lucene 1477 vor Nancy in die Hände
der Schweizer gefallen.
8 8.
Hatte Xenophon das im jofratiichen Kreiſe aufgejtellte Ideal
eines Strategen in der Geftalt jeines Kyros romanhaft durchgeführt
und inFeiner Monographie die Pflichten des Hipparchen theoretijch
erläutert, jo trat nun ein Mann auf, welcher e8 unternahm, Die
Andeutungen der Memorabilien und der Kyrupädie über das Wejen
und den Wirkungsbereich eines Feldherrn jyitematijch auszuführen und
ein Handbuch der Strategenkunſt zu ſchreiben). Diefer Mann
war Aineias, der gewöhnlich den Beinamen „Taktikos“ führt und
aller Wahrjcheinlichkeit nach identisch tjt mit jenem in den Hellenicis
(VII, 3) erwähnten Aineias von Stymphalos, welcher im Jahre
367 v. Chr. als Stratege des arfadiichen Bundes den Tyrannen
Euphron aus Sikyon verjagte ?). — Sein Werk führte den Gejamttitel
orgarnyıra Bıßkia und zerfiel in mehrere jelbjtändige Bücher.
Daß 1. (Bud der Armierung) umfahte die Lehre von ber Beſchaffung ber
Waffen und des Proviantes und von den dem Feinde entgegenzujtellenden An—
näherungsbindernifien. Daß 2. Bud beihäftigte fi) mit der Beſchaffung der
Geldmittel, auf deren hohe Wichtigkeit für den Krieg ja jhon Thufydides in
jeinem Proömium bingedeutet hatte. Im 3. Buche, der „Schrift über das Lager-
wejen“, war die Yehre von den Wadtpoften und Patrouillen bejonders ausführlich
abgehandelt. Ein 4. Buch ſcheint weſentlich polizeilicher Natur gewejen zu jein
und verräteriihe Anſchläge einzelner Bürger und Berhaltungsmaßregeln gegen
folde bejprodyen zu haben. Das 5. Bud war wohl der militäriihen Beredſam—
feit gewidmet, d. 5. es Iehrte die Kunft, den Truppen Aufmunterungd und
Strafreden zu halten, eine Kunjt, in welcher eben damals Iphikrates als Meiſter
galt. Das 6. Buch dürfte jene raxrızm Adßhos gewejen fein, nach der Aineias bei
den Alten vorzugsweije benannt wurde und die aud dem Aelian nod vorlag,
un® aber verloren if. Das 7. Bud jchildert die Zandesverteidigung und ins—
bejondere die Verteidigung einer belagerten Stadt; das 8. bildete vermutlic das
Gegenjtüd dazu, indem es den Angriffskrieg und die Belagerungsfunft lehrte,
und wahrſcheinlich war das Werk damit noch nicht zu Ende, wenn wir aud nicht
im jtande find, den weiteren Inhalt zu refonjtruieren ?).
I) Solche Handbücher waren damals jehr modern. Man findet derartige riyvası für bie ver-
ichiedenften Disziplinen erwähnt, fo für Beredſamkeit, Urzeneitunft, Mufit u. f. mw.
2) Bol. den Nachweis bei Hug: Aeneas von Stumphalos, ein arladiſcher Echrififteller aus
Mafliicher Zeit. Gratulationsjchrift der Univerfität Zürich an die Univerfität Tübingen. Zürich 1877.
») Der Inhalt der meiften diefer Bücher ift nur aus Gitaten des Aineias felbft oder anderer
Schriftfteller befannt und daher unvolllommen verbürgt. Aus dem Buche von ber Urmierung bat
1. Bon Homer bis Alexander. 27
Die einzelnen Bücher werden, der ©itte der Zeit gemäß, auf
verichiedene Rollen gejchrieben geweſen jein, und daraus erklärt
es ji, daß nur emes derjelben erhalten blieb, nämlich das über
die Städteverteidigung (regi rov wg yon rrokogaovusvong
avzeyeim)!).
Aineias denkt fi hier in die Lage eines Befehlshabers, der, an die Spike
der Bürgermiliz eines feinen Stadtftates geftellt, höchſtens von einigen Söldner»
lochen unterftügt, Stadt und Land gegen die Angriffe einer ähnlichen, nicht allzu—
jehr überlegenen Macht zu jhügen und vor Umtrieben und Verſchwörungen im
Innern zu wahren hat. Dem entiprechend handelt dad Buch von der Gliederung
der Mannſchaft, den freien Plägen der Stadt und deren Abfperrung, von Gig:
nalen, Thorwaden und Tagwachen; es lehrt, wie man die Bauern in die Stadt
zu ziehen und das Land unzugänglich zu machen habe; es gibt Vorſchriften für
die Sicherung der Stadt, für das Verhalten bei Umtrieben im Innern und für
dad gegen die Bundesgenofien. Dann kommen Anweijungen über bie Unterhaltung
der Söldner, Lehren, wie man zur Abwehr audzurüden habe, Warnungen vor
dem Unfuge, der jo oft mit den Schließbolzen und Sperrbalfen der Thore ge—
trieben werde, Unterweijungen über Parole und Loſung, fowie über die Gtreif-
wachen. Mitten hinein fällt eine Abhandlung über den panifhen Schreden, und
dann folgen Kapitel über Bewahung der Thore, heimliche Einführung von
Baflen, über Geheimjdhriften, über Verteidigungsmaſchinen, Brand» und Löſch—
mittel, Abwehr der Leitererfteigung, Erkennung und Bekämpfung der Minengräber
und des Sturmangriffes, über Kunſtgriffe und Bejegung einer Stadt mit geringer
Mannſchaft.
Die Inhaltsangabe zeigt, daß der Gegenſtand nichts weniger
als methodiſch gut geordnet iſt. Der Geſichtskreis iſt, ſozuſagen,
„ſpießbürgerlich““ Folard und nad ihm Köchly-Rüſtow haben den
Aineias in der That boshaft genug verhöhnt. Aber man muß be
und Rolybios (X, 48—47) ein Bruchftüd erhalten‘, welches von der durch Aineias jelbft verbefjerten
Kriegätelegraphie durch Feuerzeihen handelt‘, ein technifches Gebiet, auf dem ſich aud) Polybios als
Erfinder beibätint hat. — Bgl. unten & 19.
') Auegabe von Caſaubonus am Ende feines „Rolnbios“, Paris 1619, jowie als Anhang ber
Folybios-Ausgaben von Gronopius (Amſterdam 1670) und von Ernefti (Leipzig 1763). Eonber:
ausgabe mit Kommentar und latein. Überfegung von Orelli, (Leipzig 1818). — Franzöſiſch vom
Tomte Beaufobre: Commentaires sur la Defense des places d’Aeneas le Tacticien.
(Amfterdbam 1757). Griechiſch und deutih in Köchlys und Rüſtows „Griech. Kriegsichriftfteller* I
(Reipzig 1853) mit eingehenden Erläuterungen. — Bol. ferner die Bemerlungen Haaſes in feiner
CbhandInng über die griehifhen und römiichen Kriegsſchriftſteller (Jahns Ihrb. 1835 XIV, 1),
Neyer: Observationes in Aeneam Tacticum (Halliſcher Lectiontcatalog, Eommer 1835), Hug:
Prolegomena critica ad Aeneae poliorcetici editionem (#ürder Univerf..-Brogr. dv. 1874) und
bebielben ſchon oben citierte Büriher Gratulationsichrift, Schmidt: Miscell. philol. (Jenaer
Eommerprogr. 1876), Bange: De Aenesae commentario poliorcetico. (Berlin 1879), unb
WM. Bauer: Die Unfänge ter Striegswiflenihaft. (Beitihr. f. allg. Geihichte, Eultur- ac. Ge
qichte 1886 I).
28 Ultertum. I Die Zeit der Republiken.
denken, daß der Autor auch die erjten Elemente des Wiljens zu
geben hatte, wobei denn natürlich manches ung Selbitverjtändliche
und Triviale mit unterlaufen mußte, und daß uns überdies zufällig
gerade dasjenige Buch erhalten ijt, welches den am wenigiten ent
wicelten Teil der damaligen Kriegskunſt, den Feſtungskrieg, betrifft.
In Bezug auf dieſen fteht Aineias noch auf ganz demjelben niedrigen
Standpunkte wie ihn Thukydides in feinen Schilderungen der Kämpfe
um Plataiai und Syrakus darlegt. Eine Stelle, wo, allerdings ober-
flächlich geriug, der „großen Mafchinen“ Erwähnung geſchieht, hat
Hug als Interpolation nachgewiejen. Erſt die makedoniſche Zeit
brachte einen namhaften Fortichritt in poliorfetijcher Hinficht und
ſchuf jene Gejchüge, jene Wandeltürme, jene Mauerbohrer und jene
Dammbauten, mit denen fich die Belagerungsfunft im Grunde ge
nommen zwei Sahrtaufende lang beholfen hat. Und doch tritt auch
in dieſen von den großen alerandriniichen Belagerungsfünjtlern ans
gewendeten Kriegswerkzeugen jene eigentümliche Inferiorität in den
majchinellen Prinzipien hervor, welche uns gegenüber erhaltenem
Gerät und Handwerkzeuge der Alten oft fo ſeltſam anmutet, weil
jie lehrt, daß Völker zu derjelben Zeit, da fie in den jchönen Künsten
faum jemals wieder Erreichtes ſchufen, jich mit jo unglaublich primitiven
mechanischen Vorrichtungen begnügten. Freilich wurden dieſe be
ſchränkten Mittel in raffinierter Weije verwertet und jtauneng-
werte Erfolge mit ihnen errungen!?).
Die Verſchlußvorrichtungen der Tore, welche Aineiad empfiehlt, find Findlich
elementar; dejto finnreicher und fjchlauer find jeine verjchiedenen Syfteme von
Geheimſchriften, und von eigentümlihem, kulturhiftoriihem Interefje erſcheinen
feine Vorjchläge über den Belagerungszuſtand, d. 5. über die Veränderung des
Rechtszuſtandes in einer vom Feinde bedrohten Stadt. Es handelt fi da um eine
Beihräntung des Vereinsrechtes, um bejchräntende Bolizeivorjchriften über Die
Bewegung der Einwohner im Innern der Stadt, um die Fremdenkontrolle und
die Überwachung des Verkehrs nad) außen). Merkwürdig find aud) die Angaben
über die Verproviantierung; es ift dabei nur bon Getreide, DI und Wein die
Rede, nicht von Fleifh. Auffallend ift die große Anzahl von Ratſchlägen, welche
1) Die Memorabilien wie die Hyrupaidie des Xenophon verlangen, dab ber Stratege auch
unyavırdz fei, und Aineias wie Bolnbios thun ſich denn auch nicht wenig auf ihre B:rbefferungen
ber Friegätelegrapbie zu gute.
2) Der 6tat de siöge, der in der Rechtögeichichte zum erftenmale in ben Gejeßen der Assemblee
nationale constituante vom 8. Juli 1791 aufgeführt wird, ift aljo feineswegs eın moderner Begriff.
Bol. Hug a. a. D. — Auch das Briefgeheimnis hebt Aineias für die Beit des Belagerungszuſtandes
auf und errichtet ein „ſchwarzes Habinet” (Ar/axornoı). Nicht minder ift das Paßweſen genau reguliert,
1. Bon Homer bis Alerander. 29
ih auf die Verhinderung verräterifher Umtriebe beziehen. Hier erzeugt das
außerſte Mißtrauen ein Aufgebot überſchlauer Lift, das kaum jeinesgleichen
finden dürfte — Um dem bei den Griechen fo häufig auftretenden panijchen
Schreden vorzubeugen, fol der Kommandant die Leute fingen lafjen').
Es iſt wahrjcheinlich, dat Aineias manche feiner Vorjchriften den
organtjatortichen Maßregeln des berühmtejten Soldaten jener Zeit, des
Sphifrates, entnommen hat. Einmal, bei der Xehre von dem auvInue,
der Parole, beruft er jich geradezu auf ihn, und da man weiß, daß
Sphifrates auch durch Vervollkommnung der Signale und des Wacht-
dienjtes Erfolge errang !) und Aineias eben diefem Kapitel bejondere
Sorgfalt zumendet, jo tritt wohl darin der Einfluß jenes Mannes
ebenfalls hervor. — Der Herkunft der „Strategenkunſt“ aus der
Philoſophenſchule entjpricht es, daß ihr Verfafjer jeinen Gegen-
ſtand nach allen Richtungen hin zu erjchöpfen fucht, alle erdenklichen
Möglichkeiten erwägt und für jede Vorſchriften und Vorſchläge bei-
zubringen bejtrebt iſt. Auch der encyklopädtiche Charakter des Werkes
deutet wol auf jenen Einfluß jyjtematifierender Sophiftenfreife hin.
Ziemlich reich iſt Aineias an hiſtoriſchen Beiſpielen; feines der-
jelben reicht aber über das Jahr 360 hinunter; an mehreren Stellen
ft er dem Herodot, an einer dem Thukydides gefolgt — deutliche
Zeichen des ehrmwürdigen Alters diefer Schrift, von der man nicht
mit Unrecht gejagt hat, daß fie wunderbar jet nach Entjtehung,
Inhalt und Erhaltung ?).
Da Kenophon den Alten doch in eriter Neihe als Gejchichts-
jchreiber und Philojoph galt, jo betrachteten fie den Aineias gewöhnlich
al3 den ältejten berufsmäßigen Fachjchriftiteller auf dem Gebiete der
Milttärkiteratur. Daher führt ihn auch Aelian an der Spitze der
ergentlichen „Taktiker“ auf und berichtet zugleich, daß jeine Werke von
Kineas, dem Freunde des berühmten Königs Pyrrhos von Epeiros,
auszüglich bearbeitet worden jeien ?).
89. |
Es ijt eine ſeltſame Erjcheinung, daß gerade zu der Zeit, da die
altgriehijche Taktik zu ihrer höchiten Blüte gelangt und zu einem
der mächtigften und edeliten Werkzeuge wird, deren fich die Welt-
1) Xenopbon Hellen. VI, 2; $rontin III, 12,
9) Sauppe in den Göttinger gelehrten Anzeigen. 1871. ©. 729.
) Yiliano® I], 1.
30 Altertum. I Die Zeit der Republifen.
geſchichte jemals bedient hat, die helleniſche Milttärliteratur wenigitens
für uns, in völlige Schweigen verjinft. Von zeitgenöffiichen Schrift
jtellern gibt nur Kenophon in der SHellenifa einige karge einjilbige
Mitteilungen über den großartigen Aufſchwung der Taktik durch
Epameinondas; jonjt ijt man durchaus auf diejenigen Angaben be—
ſchränkt, welche zwei bis drei Jahrhunderte |päter von Schriftitellern
wie Plutarch, Diodor, Polyän, Aelian und Arrian, aus Quellen
abgeleitet wurden, die auch ihnen offenbar nur jpärlich flogen, ung
aber völlig verloren gegangen jind. Und ganz dasjelbe gilt für Die
Taktik Aleranders des Großen; ja für jie fehlt es jogar (wenn man
von einigen Andeutungen des attiichen Redners Demojthenes abjieht)
durchaus an jedem gleichzeitigen Berichte. — Dennoch muß an diejer
Stelle, wejentlih mit Hilfe der Erzählungen jener jpäteren Schrift-
jteller, auf die im einzelnen weiter unten eingegangen werden wird,
ein allgemeine Überjicht der griechijchen Taktik feit! Kenophon
eingejchaltet werden; denn jonjt würden viele der jpäteren friegswiijen-
Ichaftlichen Erjcheinungen unverjtändlich bleiben !).
Als Hauptergebniffe der taftiichen Epoche, welche ſich an den
Namen des Kenophon knüpft, jtellen ſich dar: 1. die Befreiung der
Hoplitenjtellung von der jtarren Form der ununterbrochenen Phalanx,
und 2. die mannigfaltige und bewußte Verwendung des leichten Fuß—
volfs. Unter den erjten Gejichtspunft fällt der Gebrauch der Kolonnen
und die Anordnung von Rejervejtellungen. — Von diejen Rejultaten
jind für die Folgezeit nicht alle einzelnen Elemente fruchtbar geworden.
Die Form der Kolonne allerdings, oder wie die Griechen es nannten,
der „aufrechten Scharung“ (ogF1og Aöxog) gelangt durch Epameinondas
zu großartiger Geltung, nicht aber in dem Sinne, wie jie von
Kenophon gejchaffen worden war, nämlich nicht al3 das Auflöjen
der Phalanx in eine Reihe jelbjtändiger Schlachtkörper, die fich, den
römiſchen Manipeln gleich, untereinander ftügen und tragen, jondern
in dem ganz anderen Sinne einer örtlichen Verjtärfung der Phalanr.
Völlig ignoriert wird von der nächſten Folgezeit Kenophons Gedanke
abjichtsvoller Rejerveanordnung; erjt Alexander der Große nimmt
ihn, und zwar im Sinne eines wirklichen Treffenjyftems, wieder auf. —
1) Bol. für das Folgende: Rüftomw und Köchly: Geſchichte des griechifchen Kriegsweſens von
den älteften Beiten bis auf Byrrhos (Harau 1852). — Jähns: Handbuch einer Geſchichte des Friegs-
weſens von ber Urzeit bis zur Renaiffance. Techniſcher Teil (Leipzig 1880).
1. Bon Homer bis Alexander. 31
Bon Anfang an aber und mit großem Erfolge wird die gejteigerte
Verwendung des leichten Fußvolkes von allen Seiten betrieben,
und endlich erreicht Alexander durch die Verbindung jolcher Leicht-
gerüfteten mit einer vorzüglichen Kavallerie den Höhepunkt aller
taftiichen Leiftungen der Griechen.
Die Berbejjerung und Erleichterung der Fußvolksausrüſtung und
die Damit zujammenhangende Steigerung der Beweglichkeit der
helleniichen Infanterie war vorzugsweiſe dem attijchen Söldner:
hauptmann Iphikrates zu verdanfen!). Seit den von ihm durch
gejegten Neformen bejtehen die, griechiichen Heere: erſtlich aus den
einigermaßen erleichterten Hopliten oder Phalangiten als eigentlicher
Linieninfanterie, deren Hauptwaffe noch immer der Langjpieß und
deren Formation jtet3 die geſchloſſene Phalanx tt; zweitens aus den
Beltaiten, d. 5. einer jowohl für den Kampf in Linie wie für zer-
itreutes Gefecht geeigneten Mittelinfanterie, und endlich aus dem
nur für :das zerjtreute Gefecht bejtimmten leichten Fußvolke der
Gymneten, d. h. jchildlojen Schleuderern, Bognern oder Speerjchügen.
Die Reiterei war der Zahl wie der Bedeutung nach) noch ziemlich
untergeordnet.
Troß der Vermehrung der leichteren Infanterie und troß mancher
gelungenen Einzelunternehmung mit diejer Waffe bei Streifzügen und
um Kleinen Kriege, gewinnt fie jedoch zunächjt noch feinen Einfluß auf das
Syſtem der Schlachtentaftif. Wohl leiten Reiter und Leichtbeivaffnete
die Schlacht ein; aber ihr Gefecht iſt für die Entjcheidung von feiner,
nicht einmal von vorbereitender Bedeutung; die Entjcheidung liegt
allein bei der Phalanx, welche ſich während des Vorgefechtes, dem
Rhythmus der Flöten oder der Lyren folgend und das Schlachtlied
fingend, in Marſch jegt. Beide Teile ziehen jich während des Vorrückens
nad) rechts, jo daß hier wie dort der rechte Flügel den gegenüber:
jtehenden Linken überflügelt. Dieje Bewegung, welche die hellenijche
Schlahtordnung in gewilfen Sinne von Anfang an als eine „jchiefe“
ericheinen läßt, hat ihren urfprünglichen Grund in der Bewaffnung.
Der Hervenzeit galt nämlich die geſchützte Schildjeite für die jtärfere,
!) Über die Reformen des Iphikrates berichten Diodor, Cornelius Nepos und Polyän. Leg
tezer ſchreibt ihm (III, 9, 22) das treffende Schlagwort zu: die Phalanx jei des Heeres Panzer, die Beicht’
die Hände, die Reiter bie Füße, der Feldherr das Haupt. — Kaiſer Deo wiederholt bies
Bort in feiner Taktik (XX, 193). Man hört der Marime an, daß fie vor Aleranders d. Gr. Tagen
entſtand. In deſſen Heere diente gerade die Reiterei zum träftigiten Anpaden.
32 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
und darum richtete man urjprünglich den Angriff womöglich auf den
ihildlojen rechten Flügel einer Truppe, als auf deren jchwache
Seite. Indem man nun dieſen gewohnheitsmäßig angegriffenen
Flügel, um ihn möglichjt ſtark zu machen, mit der vorzüglichiten
Mannjchaft ausstattete, wurde er zum Chrenplage. Man wußte ein
für allemal, daß, wie man jelbjt die auserlejenen Kräfte rechts habe,
jo jtänden dieſer Elite die minder guten Truppen des Feindes gegen-
über. Damit war aber die ganze Sachlage verändert. Der Imfe
Flügel war nunmehr, obgleich) die Schildjeite, doch der jchwächere.
Infolgedejjen ging man von dem bisherigen Verfahren, des Feindes
rechten Flügel anzugreifen, ab und jtrebte danach, jeine Linke zu
überflügeln. Cine folche Überflügelung bedingte den Halbrechts-
vormarjch, welcher zugleich den Vorteil bot, die eigene rechte, un—
bejchildete Seite vom Feinde abzuwenden. Nun bleibt bei jedem
Halbrechtsvormarjch erfahrungsmäßig der linfe Flügel weiter zurück,
als er bei rein diagonaler Durchführung der Bewegung eigentlic)
jollte; hieraus aber erwuchs für die hellenische Schlachtentaftif ein
Gewinn; denn je mehr dies geichah, um jo mehr ward der Angriff
nach dem endlich erfolgenden Kommando „Geradeaus!“ em eigentlicher
Flankenangriff. — War man ſich auf etwa 200 Schritt genaht, jo
erjchallte das Kriegsgejchrei; die Speere wurden gefällt, und unter
Trompetengejchmetter jtürmte man gegeneinander. Selten oder nie
fam es übrigens auf der ganzen Linie zum Kampfe; gewöhnlich warf
ji) jofort ein Flügel in die Flucht, ohne daß damit für den örtlichen
Sieger an und für fich viel gewonnen gewejen wäre. Denn faſt immer
lag die Entjcheidung da, wo der Diesjeitige linke, zurüdgehaltene
Flügel jtandhielt; wer hier die Oberhand gewann, der vermochte
es in den meijten Fällen, das Gefecht auf der ganzen Linie zu jeinen
Gunſten durchzuführen oder zu wenden.
Der Kampf der Weiter und Leichtbewaffneten fonnte indeifen
andauern; dieſe Waffen führten ein Gefecht für fich; die Hopliten-
phalanx agierte, als wären jene gar nicht vorhanden. Darum auch
deckte fie jich jelbjt durch die Nechtsbewegung ihre rechte Flanke und
rechnete nicht darauf, daß dies etwa das leichte Fußvolf tue. Sm
dieſer Diagonalbewegung aber liegt der Keim der weiteren eigen-
tümlichen Entwidelung der griechiichen Schlachtentaktif, und dieſe
Entwidelung war das Werk des Epameinondas.
1. Bon Homer bis Alerander. 33
Epameinondas tat im Jahre 371 v. Ehr. bei Leuftra den
bedeutjamen Schritt, jein Heer grundjäglich in einen Offenjiv- und
emen Defenjiv-Flügel zu teilen, von denen der letztere ſich nur
beobachtend verhalten und dem Offenjivflügel die Flanke deden jollte,
während diejer, quantitativ und qualitativ jtärfer als jener, den Feind
mit möglichjt gejteigerter Stoßfraft an dejjen jtärkiter Stelle anpaden
jollte. Die jtärkite Stelle war bisher immer der rechte Flügel; aus
diejem Grunde mußte der Offenfivflügel des Epameinondas jein eigener
linker ſein, und um dieſem die nötige Stoßfraft zu verleihen, gab
er ihm die von Kenophon erfundene Kolonnenforn des Orthios-lochos.
Nur den rechten Flügel jener Schlachtordnung aljo formierte Epa-
meinondas noch in der Form der alten Bhalanr; den linken faßte er
zu einer Epagoge (d. h. zu emer Sektionskolonne) von 50 Mann
Rottentiefe zujammen, deren rechte Flanke der Defenfivflügel, deren
linke Flanke die Reiterei deckte. — Dieje taktische Formation ijt nun
die berühmte vielgenannte „ſchiefe Schlachtordnung“, deren
Merkmal weſentlich in der Unterſcheidung von Offenſiv- und Defenſiv—
Flügel liegt und demnächſt in der Anordnung des Angriffsflügels in
„aufrechter“ d. h. tiefer Form, unter Beibehaltung der flachen Form
für den Defenfivflügel. Diejer legtere wird in der Schlacht, wie
man es heute nennen würde, „verjagt“; während der eritere, auf den
Durchbruch berechnet, unter allen Umjtänden vorwärts dringen und
jemen Stoß auf den äußerjten rechten Flügel des Feindes richten
jol. Schon vor Epameinondas waren ja fajt alle Hellenenjchlachten
Flügelſchlachten gewejen; aber jie hatten doch jämtlich eine urjprüng-
ih frontale Anlage und entwidelten jich zur Flügelſchlacht erſt
durch Die Art des Vorgehens. Epameinondas dagegen faßt von vorn-
herein lediglich die Wirkung auf einen Flügel ms Auge; bier, und
nur bier jet er den Hebel an, um die feindliche Stellung aus den
Angeln zu heben, und während man vor ihm, in halb injtinktivem
Rechtsziehen, denjenigen Flügel angegriffen hatte, der für den jchwächeren
galt, jo entjchted jich Epameinondas für den Angriff auf den jtärferen
Flügel des Gegners, und um noch ftärfer zu jein, als diejer, ver:
jammelt er auf jeinem Offenfivflügel (dev nun der linke ijt) ſeine
beiten Truppen und zwar in der lolonnenformation. „Epameinondas*,
jo jagt Xenophon, „rüdte an wie eine Trireme mit drohendem Stoß:
porn; denn mit dem Stern jeines Heeres bejchloß er zu treffen,
Jahnus, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 3
34 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
während er den jchwächeren Teil zurücdhielt, überzeugt, daß wenn
er nur an einer Stelle die feindliche Front durchbrochen habe, die
Flucht bald allgemem jein würde“ ?). — Die Phalanx, urſprünglich
mehr auf das Abſtoßen als auf das Zuſtoßen berechnet, wird durch
Epameinondas auf die Höhe der Offenjivfraft gehoben. Einen Schritt
aber läßt auch er noch übrig: die Verbindung der Waffen it auch
ber ihm noch nicht organiſch. Noch jteht Neiteret wejentlich gegen
Neiterei, leichtes Fußvolk gegen leichtes Fußvolf, und das Schwer:
gewicht der Schlacht liegt, auch hinfichtlich der Offenjive, noch durchaus
bei den PBhalangiten. Das taftiiche Syitem des Epameinondas it
möglich ohne Kavallerie und ohne leichte Truppen. Die verjchieden-
artige Bedeutung der beiden Flügel jpricht ſich nur in der anders-
gearteten Gruppierung des jchweren Fußvolkes aus, feineswegs etwa
in einer waffenweiſe verichiedenen Zujammenjegung. — Der Schritt,
welcher noch zu thun blieb, war der, die Flügel nicht nur verjchieden
zu formieren, jondern fie verjchieden zu organijieren, d. b. jie
der Dauptjache nach aus verjchtedenen Waffengattungen zujammen-
zuſetzen. Diejen Schritt thaten die Mafedonier.
Die eigenartigen jozialpolitijchen Zujtände des makedoniſchen
Königreiches geitatteten es, die Ritterſchaft des Landes zu eimer
ſchweren Neiteret von außerordentlicher Tüchtigfert heranzuziehen, und
in den Stronbauern, die zu einer leicht aber vorzüglich gerüjteten Elite
truppe formiert wurden, jowie in gewiljen Bergitämmen bot jich em
Fußvolk dar, das, beweglich und energisch, an Tatkraft und Tapferkeit
mit jener Ritterſchaft wetteiferte und ihr auch wirflic) unmittelbar
zugejellt wurde. Dieje Elemente repräjentieren nun im mafedontjchen
Heere die Offenjive, die auch hier von einem Flügel ausgeht. Am
Sranifos, bei Iſſos, bei Gaugamela: überall jtehen dieſe „Truppen
der Aktion“ auf den Flügeln, und auf dem Angriffsflügel insbeſondere
ficht der bejte Kern, die Hypaspijten (Lerbivache zu Fuß) und die mafe
doniſche Ritterichaft. Die geſamte Maſſe der Hopliten tritt dagegen jehr
zurüd. Ihre Phalanr bildet das kompakte Mitteljtüd der Schlacht-
ordnung; ſie ſichert Flanke und Rüden des Angriffsflügels; ſie droht
zuzujchlagen; fie kann es aud) gelegentlich thun; aber die Gejamt-
intention der Aleranderichlachten tft darauf in feiner Weiſe gerichtet.
1) Hellen. VI. — Der ®ergleich bezieht fich fpeziell auf die Schladt von Mantineia, Tenn-
zeichnet aber das gejamte taktijche Syſtem des Epameinondas.
1. Bon Homer bis Alerander. 35
Es ericheint faft erjtaunlih, wie fharf Kenophon dieje Taktik vorauss
gejehen und in der Kyrupaidie [$ 7] vorausgejagt hat. Auc hier bringt Kyros
mit wenigen Elitetruppen die Entjcheidung. Sein Zentrum wird von der 100 Mann
tiefen Phalanx der Ägypter geworfen; aber wie jpäter Alexander, dringt der
ideale Kyros mit feinen jchweren Reitergeihwadern unaufhaltiam vor, un=
befümmert um eine Überjlügelung, gegen welche er jeine Anftalten in ähnlicher
Art getroffen hat, wie Alerander bei Gaugamela ').
. Dieje Taktik ift die bewuhte Fortentwidelung des Syitems des
Epameinondas. Alerander geht über dasjelbe hinaus, indem er
jeinen Offenfivflügel nicht nur, wie der große Thebaner that, formal
und quantitativ bevorzugt, jondern ihn qualitativ und organisch durd)
die waffenweiſe Zujammenjegung vom übrigen Deere unterjcheidet.
Daß der makedoniſche Angriffsflügel im Gegenjage zum boiotijchen
der rechte iſt, fällt jachlic) gar nicht ins Gewicht. Epameinondas
griff mit dem linken an, weil er den Feind bei dejjen Stärfe paden
wollte, und dieje, da er ja rein griechtiche Gegner hatte, jtet3 deren
rechter Flügel war; Wlerander befämpfte einen Feind, dem gegenüber
dieje Rückſicht fortfiel und jo Eonnte er zu der althergebrachten Sitte,
den rechten Flügel als Ehrenplag der Schlachtordnung auszustatten,
und mit ihm anzugreifen, zurückehren.
Die Kampfweiſe Aleranders tt das Gefecht der organiſch
verbundenen Waffen, und in einem jolchen fommt naturgemäß;
der Meiterei die Offenfive in erjter Neihe zu. Er unterjtüßt aber
jeine Kavallerie in der wirfungsvolliten Weiſe durch leichte Infanterie
und zwar durch eine jolche, welche in den Hypaspijten einen fejten
Kern bejigt, der nach Herkunft wie Ausbildung Elite it und ſeiner
Bewaffnung nach gejtattet, zerjtreut wie gejchlojlen zu Fechten. —
Die eigentlich leichte Infanterie des rechten Flügels leitet den Kampf
ein. Sobald ſich dann die geringjte Unficherheit beim Feinde oder
jonjt irgend eine günjtige Chance zeigt, ergreift Alexander den Moment,
um an der Spiße der Ritterſchaft, welche jtaffelwetje attackiert, in den
Feind einzubrechen. Der legten Staffel der Ritter folgen die Hypas—
piiten und Ddeden jo zugleich die linke Flanke jenes Hauptangriffs,
während dejjen rechte Flanke durch die vorgejchobenen leichten Truppen
gejichert wird. Sobald als möglich greifen die Hypaspiſten in den
Kampf der Ritter ein. Inzwiſchen rücdt das jchwere Fußvolk, mit
ungewöhnlich langen Spießen (den jogen. Sarijen) bewaffnet, phalan-
1) @yrupaibie VI, 8 und 4; VII, 1.
g*
36 Altertum. I. Die Zeit der Republilen.
gittjch geordnet, in breiten Staffeln nad, jo daß nun die ganze
Schlachtordnung jchräg gegen die feindliche Front jteht: mit dem
rechten, fämpfenden Flügel fie jchon durchjchneidend, mit dem Linken,
dedenden Flügel noch weit entfernt. Der Halbrechtspormarjch der
Phalangiten wird in der linken Flanke wieder durd) Reiterei gededt. —
Dies iſt das taftiiche Syitem Aleranders in den rangierten Schlachten
der vier erjten afiatijchen Feldzüge, und in diefem Syſtem kulminiert
die gejamte griechiiche Taktif überhaupt.
2. Gruppe.
Das Beitalter der Alerandriner.
8 10.
Wer das taftiiche Verfahren Aleranders unbefangen erwägt, der
erfennt leicht, wie ganz irrtümlich die Meinung derer iſt, welche
das ausjchlaggebende Element des mafedonijchen Heeres in der
Hoplitenphalanr erbliden. Mit diejer allein, ohne jenen eigentümlich
organijierten Offenfivflügel hat Alexander niemals gejchlagen, wohl
aber verzichtete er unter Umjtänden, 3. B. am Hydaspes, auf Die
Mitwirkung der Phalanx. Dennoch verjtandeu ſchon manche jeiner
Beitgenofjen die Sache falſch. Sie jahen, daß die Phalanx die
Maſſe des mafedonijchen Heeres ausmache, und wie es jo oft gejchieht,
verwechjelten fie die Maſſe mit dem Kerne. Diejer Umjtand trägt die
Schuld, dat nach Aleranders Tode nicht nur fein Weich, jondern
bald genug auch) jeine Taktik in Verfall geriet.
Nach einer anderen Richtung war jedoch die Folgewirfung der
großen mafedonischen Kriege tiefer und nachhaltiger. In der vor—
alerandrintijchen Zeit hatte der Belagerungsfrieg bet den Griechen
eine verhältnismäßig unbedeutende Rolle gejpielt. Die militärijchen
Kräfte der Bürgeraufgebote reichten für poltorfetijche Unternehmungen
jelten aus, und die Belagerungsfunjt der älteren Zeit war auch zu
unentwidelt, um günjtige Erfolge zu verjprechen. Ihren erjten Auf
Ihwung nahm die Herjtellung der Belagerungsmafchinen, und zwar
wie es jcheint unter puniſchem Einfluffe, bei den Griechen Siziliens.
Dann aber treten die Meafedonier in den Vordergrund. Schon
König Philippos’ Belagerungen von Korinthos ‚und Byzantion zeigten
der Boliorfetif einen ganz neuen Weg, indem jie, jtatt auf die bisher
fajt allein herrjchende Blofade, den Nachdruf auf den fürmlichen
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 37
Angriff legten. In Ddiefem Sinne wirkte Alerander weiter. Alle
Kräfte vereinigte er auf eine bejtimmte Angriffsfront, entjaltete eine
ungeahnte Fülle mechanijcher Streitmittel und erzwang mit diejen
den Durchbruch. So griff der König Halifarnafjos von Norden,
Tyros von Djten an. Vor diefer Stadt wird zuerjt der Anwendung
der Betroboloi, der jteinjchleudernden Wurfgejchüge, gedacht, während
man die für den direkten Schuß bejtimmten Euthytona jchon früher
erwähnt findet. Aleranders vorzüglichite Ingenteure waren Diades,
Chaireas und Dienechos, von denen der erite als Erfinder der
zujammenlegbaren Belagerungstürme (Helepolen) und der Sturm-
brüden gilt. Außer jenen dreien werden als ausgezeichnete Bolior-
fetifer noch Bojetdonios und der Mineur Krates gerühmt. Die
Züge Wleranders in die alten Stammlande technijcher Kultur,
Phönikien und Ägypten, fürderten das Wachstum der Kenntniffe in
der Mechanik, und dem entjpricht es, wenn ſich jet eine bejondere
Wiſſenſchaft der Poliorketik entwidelt, wenn neben die Bußkia
orgeenyıra jebt die Außhia unyavıra treten und jich von nun an
als jelbjtändiger Zweig der Kriegswiljenichaft behaupten. Dabei fpielt
merfiwürdigerweije der Bau der Kriegsmaſchinen und insbejondere der
der Gejchüge, alſo die Artillerie, eine größere Rolle als der eigentliche
Feſtungsbau, die Fortififation, und als die methodiiche Behandlung des
Belagerungsfrieges, die Boliorfetif im engeren Sinne. — Die Schriftiteller,
welche hier in zsrage fommen, jind Heron, Biton, Bhilon und Athenaios.
sl.
Heron, Sohn oder Schüler des Ktejibtos, eines ausgezeichneten
Artilleriften, hinterließ eine Lehre vom Geſchützbau (Beiorouiket),
welche ungefähr um 250 v. Chr. gejchrieben iſt. Das Buch jchildert:
wie man vom Handbogen zunächit zur Armbrujt (Gajtraphete, Bauch-
ipanner) gelangte, dann aber erfannte, daß die Biegungselajtizität
der Bogenarme übertroffen werde von der Torjionselajtizität ge-
drehter Stränge.
I) Sat. von Barocius: Heronis mechanici liber de machinis bellicis (Benebig 1572).
Grieh. und latein. von Balbi: Heronis Ctesibis telefactiva. Wit Noten (Augsburg 1616), von
Ihevenot in Veteres mathematici (Paris 1693). Griech. und beutich von Köchly und Rüftom
in den Griech. Kriegsichriftftellern I, ©. 200 ff. Krit. Bearbeitung des DOriginaltertes in Weſchers
Poliorestique des Grecs (Baris 1867). — Die Wiener Handichrift der Belonorixa bezeichnet dieſe
als Auszug aus Archimedes doch ift das wohl nur Berimutung. — Bgl. Martin: Heron d’Alexandrie
(Baris 1864).
38 Ultertum. I Die Zeit der Republiten.
Es erörtert, wie man ſolche Stränge in Spanntaften (Kammern) von ver
ſchiedenen Durchmeſſern (Kalibern) aljo in größerer oder geringerer Stärke anbrachte
und wie man fie mit der zum Fortſchleudern des Gejchojjes bejtimmten Sehne
in Verbindung jepte. Dann bejdreibt Heron die beiden Hauptarten der Torſions—
geihüge oder Schleuderwerke (zaraneiraı, latein. tormenta), nämlich ſolche mit
gerader Spannung (Euthytona), Horizontalgefhüge, melde nad ihrem Pfeil-
geſchoſſe auch oSvBeleis genannt wurden, und Geſchütze mit Winkelſpannung zum
Werfen (Balintona), die man nad ihren Steingejhofien meijt als erooßoioı
bezeichnete. — Herons Beſchreibungen jollen lediglich einem größeren Lejerkreije,
der die Geihüße nur vom Anjehen kannte, allgemeine Begriffe von deren Wejen
geben; Techniker wollen fie nicht belehren, und daher find Einzelheiten, leider fogar
die Angabe der Maße, verſchmäht. Dies ift jehr zu bedauern; denn andere hinter-
laſſene Werke kennzeichnen den Heron als einen höchſt genialen Mechaniker. Er
erjcheint wie ein Vorläufer jener vieljeitigen Naturen des 15. Jahrhunderts, deren
techniſche Werte ebenfalls eine jehr mertwürdige Miihung militäriiher Konftrut-
tionen mit mannigfaltigen phyſikaliſchen Experimenten und Borrichtungen darbieten‘).
Weltberühmt find die in Herons nwevuarıxa erläuterten Erfindungen: der
jog. „Heronsball“, d. h. die Spritzflaſche (Refraicheur), deren Prinzip aud im
Windkeſſel der Feuerjprigen zur Anwendung gelangt, und die „Aeolipile“, d. 5.
die Ältefte Borrihtung zur Verwertung des Waſſerdampfes als bewegende Kraft,
welche dem Heron einen Ehrenplaß in der Gejhichte der Dampfmajdinen fichert.
Montucla jagt in Bezug hierauf: »On y remarque que quoique de son temps
l’elasticit& de l’air füt inconnue, elle est presque toujours heureusement
appliquee & produire son effet«. (Hist. des math&matiques. 1800, I, p. 267.)
Außer den Beiorrorxa hat Heron an artilleriftiichen Schriften noch
eine jehr dunkle Bejchreibung der Handballijte (geugoßakkıore)
und eine nur in arabijcher Überjegung erhaltene Abhandlung über
Hebezeug hinterlafjen ?).
8 12.
Ergänzt werden Herons Arbeiten durch die des Philon, der
gewöhnlich den Beinamen „von Byzanz“ führt und nad) den einen
unter Demetrios Phaleros (300 v. Ehr.), nad) anderen unter Btole-
mäos Physkos (140 v. Chr.) lebte, vermutlich aber ein jüngerer
Beitgenofje Herons war. Er hat zu Alerandrien und Rhodos jtudiert
und ein Werf über Poliorketik gejchrieben, welches jowohl reine
Mathematif als Hochbau, Hafenbau, Feitungsbau und Belagerungs-
ı) ®al Hultidh: Heronis... . reliquiae. Berol. 1864.
2) Baldi und Thevenot haben das Buch über die Handballifte publiziert, nicht jo Köchiy-
Rüſtow, weil fie e8 für unverftändblich erflärten. Seitdem haben es drei Franzoſen zu erläutern ver⸗
mt: — PBron: La chirobaliste de Heron, Paris 1862; Bincent: L. ch. d. H., Paris 1866
und Weſcher in feiner Poliorcätique des Grecs, Paris 1867, p. 121—134. — Baldi bat am
Schluß der Belorosxa auch noch zwei artilleriftiiche Fragmente Herons in latein. Sprache ediert,
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 39
frieg abhandelte, von dem aber nur das 4. und 5. Buch, welche
Artillerie und eigentliche Poliorketik bejprechen, erhalten jind !).
Das 4. Buch ‚„‚regi Bekororam“ trägt die Lehre vom Ge:
ſchützbau vor).
Nachdem Berj. kurz die Berhältnifie der gewöhnlichen Geſchütze und gewiſſe
Konjtruktionshilfen fachgemäß erläutert, befchreibt er einen von ihm jelbjt er-
fundenen „Keilipanner“ und unterwirft dabei die Art"und Weife, wie man bisher
die Spannnerven einzog und anjpannte, einer Beurteilung, welche lehrt, daß beim
Bebrauche der antiken Geihüge doc oft große Schwierigkeiten hervortraten und
dat ihre Einrihtungen keineswegs jv einfad) und jolide waren, wie das namentlich
Folard behauptet hat, der ihnen ja deshalb fogar den Vorrang vor den Pulver:
geihügen geben wollte), Im weiteren Fortgang jeiner Arbeit fchlägt dann
Bhilon vor, das bisher übliche Material der Krafterzeuger der Geſchütze, alfo die
aus Frauenhaar oder Darm gedrehten Stränge, durd) einen beſſeren Stoff, nämlid)
durch Metallfedern, zu erjegen, und Mmüpft daran die Erläuterung eines von ihm
erfundenen „Erzipanners“. E83 Handelt ſich dabei allerdings bloß um Kupfer;
denn den Stahl kennt der Autor nur in den kimbriſchen und ſpaniſchen Schwertern
und braucht daher viel Worte, um jeinem Leſer Har zu maden, dab Metall aud)
Hederfraft habe. Ferner jchildert Philon den jog. „Bieljhieher“, ein Repetier—
geihüg, welches Demetriod von Wlerandreia den Rhodiern konjtruiert hatte, und
ihliegt jeine Auseinanderjegung endlich mit der merfwürdigen Beichreibung eines
„Zuftfpannerd“. Aus diejer erhellt, da jchon die Griechen, wenn auch nur
ausnahmsweiſe, ſich für artilleriftiihe Zwede der Elajtizität des Gaſes bedienten,
freilich mit dem jehr bedeutfamen Unterjchiede, daß wir die Gaje direkt, die Alten
jedod nur mittelbar auf dad Geſchoß wirken ließen, indem fie die Bogenarme
eines Palintonon durd die Elajtizität fomprimierter Quft bewegten, welche in
eberne Trommeln eingeichlojjien war, die an Stelle der Spannnerven in den
Kammern jtanden*). Als Erfinder diejes Luftijpanners, von dem es faum möglich
ft, eine genügende Borftellung zu gewinnen, wird Kteſibios genannt.
Das 5. Bud) von Bhilons Werk handelt von der eigentlichen
Poliorfetif, aljo von Erbauung, Armierung und VBerproviantierung
der feiten Pläge, von Verteidigung umd Angriff. Das Buch it
durchaus logiſch angeordnet, aber jein Text äußerſt verdorbend). Ein
1) Audg. bei Thevenot Math. vet. Paris 1693.
Ausg. von Orelli. Leipzig 1816. Griech. u. deutſch v. Köchly und Rüftom: Gried).
Kriegsichriftiteller I, ©. 240 fi. — Bal. Meifter: De catapulta polybola commentatio quam locus
Philonis mechanici in libro IV De telorum constructione extans illustrat. ®öttingen 1768
) 5olarb: Histoire de Polybe avec commentaires. Paris 1724.
*%) Bol. oben die Bemerfung Montuclas über die Benutzung ber Elaftigität der Luft Durch Heron.
— Franzöfiiche Autoren vergleihen Philons degorovo; mit der Winbbüchfe ; indefien bei diefer wirkt
die fomprimierte Luft ebenfo direft auf das Projektil wie die Pulvergaſe im fFeuergewehre; die Ähn.
lichteit ift alfo fehr gering.
», Köchin und Rüftom vergleichen bad Bud mit einem jchlecht nachgeichriebenen und burd)
loätere Einihübe entftellten Kollegienheite. — Franadfiich von de Rochas d’Alglu : Poliorestique
40 Altertum. I. Die Zeit der Republiten.
großer Teil der bier niedergelegten Vorjchriften hatte gewiß jchon
zu Beginn des 3. Ihdts. ganz allgemeine Geltung, da die Bervoll-
kommnung der Geichüge und der Brechwerkzeuge dazu zwang, auch
die Dedungsmittel zu verjtärfen und zu verbefjern; vieles aber it
jo eigenartig und war der Zeit des Autors jo weit voraus, daß es
auch im 2. Ihdt. wohl nur jelten oder nie angewendet worden und aus
diefem Grunde auch der Wifjenjchaft wieder verloren gegangen tt.
Bejonders intereffant jind im dieſer Hinficht Philons Außerungen
über die Flankierung, über Gewölbebau und Erdbau ſowie
über Gräben und Außenwerfe.
„Die Türme,“ jo jagt Philon u. a., „müjjen auf geeigneten Punkten an=
gelegt werden. Ihre Form wecjelt von einem einfach über den DMauergürtel
vorjpringenden Winkel bis zum Sechseck und zum Kreiſe. Sie müjjen ſich unter:
einander verteidigen und den Angreifer von der Seite her betreiben. Türme,
weiche nur in einem fpigen Vorjprunge bejtehen, haben den Vorteil, dem Widder
bejonder& gut zu widerjtehen .. Badjteintürme mit vieredigem Grundriß müfjen
deshalb ebenfalld übered in die Mauer gejtellt werden und mit diejer dann durd)
halbkreisförmige Anſchlußmauern verbunden werden... Bier kann man jchmale
Poternen anlegen, die dem Blid des Feindes entzogen find und dur die Ber:
wundete, Boten oder vergl. in den Platz gelangen können. (Die Einrichtung er-
innert einigermaßen an die jpäteren Orillons.) — Hinter dem Walle ijt eine
Straße von 60 Ellen Breite frei zu lafjen. Die Mauer ijt mindejtend 10 Ellen
(4,60 m) did zu machen, um auch den ſtärkſten Wurfmaſchinen (Lithobolen) wider:
jtehen zu können, und ihre Höhe betrage mindejtens 20 Ellen, damit jie der
geitererfteigung nicht ausgelegt jei. An geeigneten Orten ijt die Mauer zu krene—
lieren. Nicht immer erhalten die Mauern eine Erdanjhüttung; man begnügt ſich
oftmal3 damit, nad) der Stadtieite zu Kragjteine jtehen zu lajien, auf die man im
Augenblide der Armierung Holzbauten als Rondengänge u. dergl. aufjegen kann.
(Genau dasjelbe war jpäter im Mittelalter üblich.) Dieje Holzbauten verbrennt
man natürlich, jobald man erfennt, daß man nicht mehr im jtande jei, die
Mauer zu halten, damit ich der Feind nicht etwa dort nad) der Leitererjteigung
(ogiere. — Man baut auch Mauern nad) rhodiſcher Weije (mit Hilfe einer Art
von Dechargengewölben) an die ſich ein Erdwall von 7 Ellen Dide lehnt. Die
Mauer jelbjt braudyt dann nur 3 Ellen ſtark zu jein; fürdtet man, daß jie
zwiichen den Strebepfeilern (den Gemwölbeauflagern) zerjtört werde, jo muß man
fie von innen ber verjtärten. — Die Türme follen eine Mauerjtärte von mins
deſtens 10 Ellen haben und durh Scharten verteidigt werden, die, in der Mitte
der Mauerdide am engjten, fi) nad) außen und nad) innen erweitern, innen
des Grecs (Paris 1872). Einige befonders wichtige Stellen auch bei Pr&vost,: Etudes historiques
de la fortification (Paris 1869). — Eine gute Darftellung der alexandriniſchen Befeitigungstunit
nad Philon und Diodor findet fih in Rüftows und Köchlys „Geſchichte des Grichifhen Kriegsweſens
(Yarau 1852) ©. 406—395.
2. Das Zeitalter der Alerandriner, 41
aber am breitejten find. Die Schartenjohle muß ſtark nad) außen geneigt jein.
Die Scharten öffnen fih nah den Punkten, wo der Belagerer jeine Maſchinen
zu errichten im jtande ift, und nicht minder au nad) den Nadbartürmen, um
den Zugang zu diejen zu bejtreihen. Einige diejer Scharten werden daher jchräg
liegen müjjen, und es wird zwedmäßig fein, ihren Umfreiß wie ihre Wangen mit
Eifenplatten zu bejchlagen. (Hocdmodern!) Diejenigen Türme, welche bejtimmt
iind, auf ihrer Plattform Maſchinen zu tragen, find bod zu bauen; für die
anderen genügt ed, wenn ihr Profil die Leitererfteigung ausichließt.
Es empfiehlt ji, die vorhandenen Mittel eher auf eine Steigerung der
Dide als der Höhe der Mauern zu verwenden. Die äußeren Steinlagen jollen
aus jehr hartem Material und in der Art konſtruiert jein, daß jeder einzelne
Blod ji zujpigt und um etwa eine Palme (0,08 m) vor die Fläche vorjpringt,
jo daß zwijchen dieſen Hödern ſchmale Bertiefungen liegen!).
Dad Trace ded Mauerumzuged bat jich jorgiältig dem Gelände anzu—
ihmiegen ...
Als Ausgänge empfehlen ſich zahlreiche jchrägführende Poternen, die jo
liegen müſſen, daß Leute, die außen von einer Poterne zur anderen ziehen, immer
in der Zage bleiben, dem Feinde die Schildjeite zuzumenden.
Überall, wo eine Vormauer fehlt, find VertifalsPalijjaden zu
pilanzen, die man durch jtarfe Stride untereinander dergeftalt verbindet, daß
eine einzelne herausgerifjen werden kann.
Einige Meijter erbauen Mauergürtel von 100 Ellen Länge (von Turm
ju Zurm), 12 Ellen Dide und 6 Orgyen (11 m) Höhe, und zwar errichten fie
jwei Barallelmauern hintereinander, deren zweite intakt ijt, wenn auch die
etſte ſchon in Breche liegt. Den Zwiſchenraum erfüllen Strebepfeiler, welche Ge—
wölbe tragen, auf denen die hölzernen Wachthäuſer errichtet werden. Dieje
Rauer wird von fünfedigen Türmen unterbrochen, welche mit der jcharfen Ede
nad außen jtehen. Es ift zwedmäßig, die Grundflähen der Zinnenmauer über
ven Rand der Hauptmauer vorjpringen zu lajjen, um von hier aus den Mauerfuß
enktecht bejtreihen zu können. (Madicoulis.)
Bor vieredige Türme joll man Vorwerke in Gejtalt gleichſeitiger Dreiede
legen. (Kontregarden, Enveloppen.) Sie jhügen die Haupttürme vor den feind-
lichen Angriffsmaſchinen; aber fie dürfen nicht mit der Hauptmauer in Zufammen-
gang ftehen, jonjt dienen fie dem Feinde ald Angriffsdamm“.
Mehrmals fommt Philon auf die Notwendigkeit eines Werkes zurüd, das
et aporeigıoua (antemurale) nennt. Vielleicht gli) e8 der Anlage, welche bei
einigen lateiniſchen Yutoren als fossae-brachiae (Grabenſchere) bezeichnet wird.
Schwerlih aber war es eine fausse-braie im jpäteren Sinne; denn jo nüßlic
eine ſolche auch gegenüber den Untergrabungsverjuchen und den Widderangriffen
x Gegners jein mochte, jo mußte fie doch anderſeits die Mauerhöhe in jehr
I) Diefe Anordnung gewährt den Vorteil, dab tie großen Steingejchoffe zuerſt an die Höder
anihlagen, hier feitwärtd ober oberwärts abgeleitet werden und nur mit gebrochener Kraft gegen bie
bauptfläche der Mauer wirlen, — Der größte Architelt des 15. Ihdts., Giorgio Martini, hat ganz
Ümliche Bofjagen gegen die Geſchoſſe der Feuerartillerie vorgejchlagen [XV. & 76).
42 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
unerwünjdhtem Maße beeinträchtigen. Vermutlich war es ein gededter * am
Mauerfuß, der zu deſſen Bewachung diente.
Merkwürdig erſcheint es, daß Philon ausdrücklich empfiehlt, ſich nicht —
ſchließlich des Steinbaues zu bedienen, ſondern ſich mehr auf Erdbau zu legen.
Darin offenbart fih ein jehr einjichtSvolles Hinausgehen über die bidher aus:
ſchließlich übliche helleniſche Bauweiſe. — Philon umgibt die ganze Umfaſſungs—
mauer der Stadt mit einem Syfteme von Gräben und Erdmwällen und verengt
zugleih den Raum zwiſchen diejen Außenwerken durch Hedenanlagen u. dergl.
derart, daß der Feind nicht Plap behält, dort fein ſchweres Wurfgeihüß aufzu—
jtellen. Da ſich jedoch jein ganzes Graben= und Walliyitem noch fein Stadion
weit vor die Stadt erjtredt, jo läßt ſich jchliehen, daß felbft die fchweriten Ge—
ichüße erft bei einer jolden Annäherung das Innere der Stadt wirkſam zu be—
werfen vermodten.
Bon alledem haben, wie jhon erwähnt, Philons Zeitgenoſſen,
ja auch) jeine Nachfolger nur wenig beachtet. Niemand glaubte ihm,
daß die Stärke der Mauern wichtiger jei als ihre Höhe. Die Anlage
von Scharten in den Türmen oder im Untergejchojje des Mauer:
gürtels erjchten allzu gefährlich gegenüber der Möglichkett eines
Überfalles oder der Erfchütterung durch den Widder‘), Man war
weit entfernt, dem Graben die Wichtigfeit beizumefjen, wie Philon
tat; gar viele Feitungen entbehrten überhaupt eines Grabens, und
wo ein jolcher beitand, war die Kontresfarpe nicht revetiert, da der
Graben meiſt als cine Art großen Waffenplages für Ausfälle be
trachtet wurde. Der Gedanke der Flankierung, wie ihn Philon aus-
gejprochen, blieb fait umverjtanden; jogar die Machicoulis werden
in dem Sinne, wie er jie längs der ganzen Esfarpe anwenden will,
von feinem antiken Autor wieder erwähnt). — Man jieht, Philon
war jeiner Zeit zu weit voraus!
8 18.
Der dritte der poliorfetiichen Schriftiteller Altgriechenlands tt
Biton, deſſen Heiychius, Ailtanos und Heron der Jüngere erwähnen.
Er jchrieb ein Werk über die Einrichtung der Kriegsmajchienen
und der Gejchüge, (zaraozevai zrolsurov Opyarım nal KaTa-
‚cehrırcw.)?) welches einem Könige Attalos gewidmet ift. Unter diefem
1) Archimedes lieh jedoch am Fuße der Mauern von Syrakus Scharten anbringen. Pompeii
hatte in einigen der gewölbten Türme feiner Stabtmauer Scharten.
2) Begetius IV, ı fpricht von Gießlochern (Bechnafen) nur über den Thoren.
s) Ausg. in den Mathemat. vet. opera, wo Pillon bemerkt, daß Biton aud als Bion
citiert werde. Sritiiche Bearbeitung in Weſchers Poliorcdtique des Grecs (p. 41—68).
2 Das Beitalter der Alerandriner. 43
veritehen Fabrietus, Hamberger und Sare den Attalos I. von Bergamos,
den glorreichen Befieger der Kelten. (239 v. Chr.) Biton war alfo wohl
Zeitgenoſſe Herons und Philons. Sen Werk zerfällt in 5 Abjchnitte.
Der 1. Teil beipricht die Betrobole, welche Eharon von Magnefia kon—
itruierte, der 2. Zeil eine von Iſidoros aus Abydos zu Thejialonich hergeitellte
Belagerungdmajdine. Der 3. Teil ift Zaußixa betitelt und behandelt ein
der Form eines folchen dreiedigen Saiteninftrumentes ähnliches Belagerungswerfs
jeug. (Sturmbrüde) Das 4. Buch erläutert die von Pojeidonius aus Milet
üt Alegander den Großen fonjtruierte Eienodıs (Angriffsturm.) Das 5. Bud
endlih beihäftigt fich mit der Gajtraphete.
8 14.
Der legte der Boliorfetifer it Athenaios, welcher um 200 v. Chr.
als Zeitgenofje des Archimedes lebte. Sein Buch über die Be:
lagerungsmajchinen (reg Mnyarnuarem) it wie das Werf des
Viton in ioniſchem Dialekte gejchrieben und einem Marcellus, ver-
mutlih dem Konjul, dem Eroberer von Syrafus, gewidmet !).
Tiefer Athenaios ift wahrſcheinlich derjelbe, von dem Proclus in jeinem
Kommentare zum Euklid ald von einem in der Geometrie wohlbewanderten
Nanne aus Kyzikos ſpricht)y. Als folder bewährt ſich aud der Militärjchrift-
keller; für die Kenntnis der Kriegsmaſchinen bringt fein Bud) indes nicht eben
viel Neues; der Hauptwert feiner Angaben für uns bejteht darin, daß fie die
weit jpäteren, aber ausführlicheren Mitteilungen Apollodors 8 31] beftätigen und
sier und da ergänzen.
8 15.
Dies jind die Werke, welche wir über die Poliorfetif der Griechen
beſizen. Sie zeigen, daß ein eigentlicher Waffenunterjchied zwijchen
Artillerie und Genie bei den Alten noch weniger bejtand, als etwa
geutzutage zwiſchen Feſtungs- bezw. Belagerungsartillerie auf der
einen, und den ngenieurtruppen auf der anderen Seite. — Daß
die Daritellungen ausreichend klar jeien, um ein zweifellojes Bild der
dinge zu gewinnen, läßt fich freilich feineswegs behaupten, und
manches Element der Artillerie der Alten wird wohl für allezeit ein
Öegenitand gelehrten Streites bleiben.
Eine Erklärung der antifen Artillerie verfuchte zuerit Lipfius in jeinem
Poliorceticon (Antwerpen 1605). Ihm folgte Folard in feinen Polybiosſtudien
') Ausg. bei Thevenot a. a. D. ©. 1—11 und bei Weiher ©. 140.
?) Diefer Arhenaios ift nicht zu verwechjeln mit Athenaios von Byzanz, den der Kaiſer Gallienus
59-268 n. Chr.) ald Architekt verwendete.
44 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
(Sur l’attaque et la defense des anciens) 1724. Beider Ergebnifje find un=
genügend; doch die von ihnen entworfenen Geihüßzeihnungen jpuden nod heute
in den Lehrbüchern, obgleich weit gelungenere Rekonſtruktionen jhon vor fünf
Menfchenaltern in den Annalen der Berliner Atademie von Silberſchlag ver-
öffentlicht worden find (1767). Es lag dies daran, daß die Franzoſen, deren
Militärliteratur nun einmal die herrichende war, in Folards Fußtapfen blieben.
Auf lange hin mahgebend blieb daher Jolys de Maizeroy Traite sur l'art des
sieges et sur les machines des anciens (Pari® 1779). Anfangs des 19. Ihdts.
nahm Dureau de Lamalle die Forſchungen in feiner Poliorcetique des
anciens wieder auf (Paris 1819), doc mit geringem Erfolge An dies Wert
reihten ſih Marinis gute Illustrationes prodromae in scriptores graecos
et latinos de belopoeia in den Dissertationi dell’ academia Romana di
archaeologia I (Roma 1821) und Dufourd mwohldurddadhte® M&emoire sur
l'artillerie des anciens et sur celle du moyen-äge (Genf 1840), Eine inter-
eſſante, doc) bdilettantijche Arbeit ift de Herzog® von Genua, Yerdinando di
Savoia, Traftat »Delle machine da guerra degli antichi«, deſſen Hand—
ichrift fih in der königl. Privatbibliothet zu Turin befindet (ms. 298). — Bu
befriedigenden Löſungen führten erjt die Unterjuhungen von Köchly und
Rüſtow in ihren „Griechiſchen Kriegsfchriftitelleen I“ und in der „Geſchichte des
griechiſchen Kriegsweſens“ (Marau 18535). Wieweit dagegen die Franzojen noch
jegt von der Klarheit entfernt find, lehrt die Schrift von Que: L’artillerie dans
Vantiquite et au moyen-äge (Paris 1880).
Überjchaut man die Ergebniffe, zu welchen das Studium Der
griechijchen Artillerie geführt hat, jo zeigt jich, daß die treibende
Kraft entiweder die lajtizität von Bogenarmen oder diejenige
gedrehter Spannnerven war. Erſteres ijt bet den Galtrapheten,
den Standarmbruften, der Fall, die jedoch nur in mäßiger Größe
hergejtellt werden fonnten, leßteres gilt von den eigentlichen Gejchügen,
den Euthytona (Geradjpannern) und den Palintona (Winfelipannern).
Die Spannnerven waren in den beiden äußeren Kammern eines dreiteiligen
Holzkaſtens ſenkrecht aufgezogen, und durd) fie Hindurd führten die Spannarme
welche den beiden äußeren Teilen, den beiden „Armen“, eine großen Bogens
entſprachen. Bwijchen den Kammern, alio in dem Mittelfache des Kajtens, lag
die jog. „Pfeife“, d. h. die Geſchoßbahn, welche bei den Geradſpannern wageredit,
bei den Winkeljpannern um 45° anjteigend angeordnet war. Demgemäß ftanden
bei jenen auch die Spannarme jenkrecht zu den Spannnerven, bei den Balin-
tonen dagegen in einem abjteigenden Winfel von 60% Die Spannarme waren
durch eine Bogenjehne verbunden, weldhe auf der Geſchoßbahn durch Hajpeln Hin
und ber bewegt werden konnte. Sie lag bei den Geradipannern auf der Geſchoß—
bahn jelbjt auf, um den auf diejer ruhenden Pfeil fortzutreiben; bei den Wintel-
ipannern hatte fie die Gejtalt eines breiten Bandes und war um fo viel über
die Bahn erhoben, daß fie die Mitte des Steingejchofies traf. Wurde die Bogen-
ſehne zurüdgehaipelt, jo drehten die Spannarme die Spannnerven um ihre Adie,
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 45
wodurch dann beim Abſchießen die Sehne mit gewaltiger Kraft vorwärts fuhr.
Das Anziehen der Sehne und damit zugleich das Drehen der Spannnerven ge—
ſchah bei den Winkelſpannern unter Zuhilfenahme einer jog. Spannleiter; es
war ſchwierig; denn es fam darauf an, die Nerven beider Kammern ganz gleid-
mäßig zu drehen, weil darauf die Sicherheit des Schufjes, bezüglich Wurfs beruhte.
— Auf die Einritungen der Geſchoßbahn näher einzugehen, würde hier zu weit
führen. Sie gejtatteten bei den Geradjpannern eine ziemlich bedeutende, bei den
Binfelfpannern nur eine geringe Anderung der Höhenrihtung. Die Seiten-
rihtung konnte allein durch Verſchiebung des ganzen Geſchützes ermöglicht werden;
dies aber war jhwer; denn jeine Holzteile trugen ſtarke Beichläge, deren Gewicht
das 25 fache des Geſchoßgewichtes betragen jollte. Überhaupt waren durch ſorg—
fältige Verſuche die Verhältniſſe aller Teile der Geſchütze in genaueſter Weiſe feſt—
geſtellt. Dabei diente als Grundmaß der Durchmeſſer des Cylinders, den das
Bündel der Spannnerven darſtellte; dieſer Diameter iſt das „Kaliber“ der antiken
Seihüge, und man gelangte dahin, daß Geſchütze gleichen Kaliberd auch wirklich
gleihe Leijtungen aufmwiejen. — Die mittlere Schußweite der Euthytonen war
625 Schritt. Die WBurfgeijhüge hatten im allgemeinen größere Kaliber; doch
warfen fie jelten mehr als 1 Talent (25—30 kg) und aud dad nur auf etıva
50 Schritt. Das Gewicht der Gejhüge war im Verhältnis zu dem der Gejchojie
jehr viel größer als da3 unferer Kanonen und Mörjer; die Brechwirkung war
ausgeſchloſſen. die Tragweite relativ gering, der Zujtand der Spanunerven überaus
abhängig von der Witterung, insbejondere von dem Feuchtigkeitsgehalte der Luft,
und jo begreift es ſich, daß die antike Artillerie niemals diejenige Bedeutung für
die Taftif gewann wie die der modernen Welt.
Merkwürdig erjcheint e8, wie eng in der Auffaffung der Griechen
Poliorketik und Artillerie mit der Philojophie zujammenhingen ;
denn auch nachdem jich die Kriegswiſſenſchaft auf eigene Füße geitellt,
verfäumte jie doch nicht, der jophiitiichen Spekulation, aus der fie
urfprünglich hervorgegangen, ihren Reſpekt zu bezeugen. Beſonders
anſchaulich lehrt das die Einleitung zu Herons Lehre vom Geſchützbau.
„Der widtigjte und notwendigfie Teil der Weltweisheit”, beginnt Heron,
„it derjenige, welder von der Seelenrube handelt. Über dieje haben die prafti-
hen Philojophen bei weitggt die meijten Unterſuchungen angeitellt, und ic) glaube,
dab diefe theoretiidyen Betrachtungen aud) niemal3 ein Ende nehmen werden.
Aber die Mechanik jteht höher als die Theorie von der Seelenruhe: denn jchon
ein einziger und bejchräntter Teil der Mechanik, nämlich die Lehre vom Geſchütz—
bau, gibt dem Menſchen die praktiſche Möglichkeit, in Seelenruhe zu leben. Sept
ihn doch diejer Teil der Weltweisheit in den Stand, weder im Frieden vor feind-
lien Angrifien zu beben, noch aud) beim Ausbruch eines Kriege .... denn
jalld man jidy im Frieden mit dem Geſchützbau gehörig beſchäftigt, jo darf man
dofien, daß dies dazu beitragen werde, den Frieden zu befejtigen, und dies Bes
wußtjein mu die Seelenruhe ſtärken“.
46 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
Man jieht: gering dachten die hellenischen Artillertiten keines—
wegs von ihrer Waffe, und nicht nur die Marime »Si vis pacem
para bellum« war ihnen geläufig, jondern aud) der Gedanke, daß die
Vervolllommnung der Kriegsmajchinen eines der beiten Mittel jei
zur Einjchränfung der Kriege.
S 16.
Wendet man ich von der Boltorfetif zur Taktik, jo findet man,
daß die Diadochen das Borbild Aleranders jehr bald aus den Augen
verloren. — Das leichte Fußvolk büßt fein offenjives Weſen ein,
indem es von der Weiterei, es verliert jeine vermittelnde Stellung,
indem es von den Hopliten losgelöjt und jtatt dejjen den Elefanten
zugewiejen wird, welche jeit Aleranders Inderzug im mafedonijchen
Heere ericheinen. Man jegte nun das Zentrum ausjchlieglich aus
Phalangiten, die Flügel aus Neiterei zujammen und benußte Die
Elefanten gewöhnlich, um das Lintenfußvolf des Zentrums zu deden,
wobei man die Tiere vor der Front mit Zwiſchräumen von 30 bis
80 Schritten aufitellte und dieſe Intervalle mit leichtem Fußvolk
füllte. Infolgedeilen janfen die Bhalangiten zu einer toten Maſſe
herab; denn die Aufgabe, welche fie unter Alexander gelöjt hatten:
Sicherung der Flanke des Aftionsflügels, die übernahmen jebt Die
Elefanten mit den Leichtbewaffneten. Die Bhalangiten, welche doc
immer noch die Hauptmafje des Heeres ausmachten, waren aljo
eigentlich überflüffig geworden, und die Harmonie der Schlachtordnung
war gejtört. Die Bedeutung aber, welche man den Elefanten ein-
räumte, fennzeichnet jich als ein Nücjchritt zum Barbarentum. Die
Herden dieſer ſchwer zu bejchaffenden, fojtbaren Tiere vermehren fich
in den Armeen der Diadochen von Jahr zu Jahr; bald treten fie
jogar auf den Flügeln der Schlachtordnungen auf umd letjten bier
zuweilen gute Dienjte; aber jie verlangjamen die Bewegungen und
richten nicht jelten jchlimme Verwirrung im eigenen Deere an.
Unzweifelhaft ift es ein Zeichen von Entartung, wenn man die Kraft
geichloffener Männerjcharen durch jolche Surrogate zu erjeßen ver:
jucht, wie Elefanten find, und jo hört man denn auch von dem
Linienfußvolfe der griechiichen Spätzeit wenig Gutes. Gewiß trug
die Unnatur dieſer Verhältniffe viel dazu bei, daß des Pyrrhos
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 47
Unternehmung in Süditalien fehlichlug. Er vermochte jeinen Verluft
an Weiterei und Elefanten nicht entjprechend zu erjegen, und Die
Phalangiten, deren anjcheinend eme genügende Zahl zu haben war,
jpielten in dem taktischen Syjtem der Diadochen eine zu unbedeutende
Rolle, um ſich auf fie allein jtügen zu können.
Je weniger wahres Leben die Hoplitenphalanz aber noch erfüllte
um jo mehr entwicelte ſich in ihr ein üppiger Kram von Spielereten
und taftijchen Formeln. WBielleicht juchten die Bhalangiten jich durch
dergleichen Reglementsſtudien jelbjt über den Mangel treibender
innerer Kraft zu täufchen, und indem jie an die lange, ehrwürdige
Seichichte der Phalanı anfnüpften, indem fie immer aufs neue die
Legende wiederholten, Alexander d. Gr. habe feine Stege „mit der
Phalanx“ erfochten, bot jich ihnen auch genügender Stoff. „Der ganze
Schwarm der mathematischen Soldaten und militärifchen Mathematiker,
der philojophifchen Stubentaftifer, der Bilder: und Schematamacher
warf ſich ausschließlich und einjeitig auf die unglüdliche Phalanx und
dieje wurde von allen Seiten bearbeitet, gegliedert und zurechtgemacht,
dab es eine Freude war“ ’). Leider hielt man jich dabei ausschließlich
an Einteilung und Evolutionen der Doplitenjtellung, während man
von der Verbindung der Phalanx mit den anderen Waffen, durd)
welche jene doc) thatjächlich erit ihre volle Bedeutung erhielt, gar
nicht mehr jprach.
Je mehr ſich aber nun Kraft und Geiſt der Kriegskunſt in einem
blöden Spiele mit den Formen der Clementartaktif verflüchtigten,
deito ausgebreiteter gelangte eine ſchulmäßige Behandlung der
Kriegswijjenjchaft zur Geltung, welche den Anjpruch erhob, den
Inbegriff alles Bejten überliefern zu können, was bis dahin überhaupt in
militärifcher Beziehung geleiftet worden war. — Die Jünger des
Ariftoteles, die Peripatetiker, zogen Strategie und Taktif vor ihr
Forum. Der von Alian erwähnte Taktifer Klearchos, welcher aus-
drüclich von dem gleichnamigen Söldnerführer unterjchieden wird, it
wahrjcheinlich der berühmte Freund und Schüler des Arijtoteles ?).
Bon zwei anderen Theoretifern, die uns Alian nennt, Eupolemos und
1) Bol, Köhln und Rüftomw: Griechiiche Kriegsichriftfteller. II, Einleitung.
9, Kleardjos’ „Tragmente” find gefammelt in des Muelleri: Fragmenta histor. Graecor.
(Paris 1848, 1I, p. 302—327). Es find 15 Titel, deren einer vom panifchen Schreden hanbelt (za:
Toü narıxzod),
48 Altertum. I. Die Zeit der Republilen.
Iphikrates, weiß man gar nichts !). — Unter den praftiichen Taftifern
der mafedontjchen Schule iſt der bei weitem wichtigjte der König Pyrrhos,
welcher, nach Plutarchs Ausſage, ſtrategiſch-taktiſche Schriften Hinter:
laſſen hatte. WBielleicht bildeten jie einen Teil jener „Löniglichen
Denkwürdigkeiten“, in denen Pyrrhus jeine eigenen Taten bejchrieb ?)
und vielleicht war der von jeinem Vertrauten Kincas angefertigte
Auszug aus den Schriften des Aineias Taktikos 8 8] eine Bor:
arbeit zu jenem Werf des Byrrhos?). Zu den praftiichen Taktikern
gehörte gewiß auch der von Aelian erwähnte Euangelos, in dejjen
Schule der legte ausgezeichnete Kriegsmann der Hellenen, Bhilopoimen,
jene milttärwiljenjchaftliche Bildung gewann). Auch von jeinen
Schriften iſt nichts überliefert.
Neben der unfruchtbaren mathematijchen Klügelet machte ſich
jehr bald cine gejchwägige Behandlungsweife der jogen. Kriegs:
Ethik breit, d. h. der Lehren vom Auftreten der Feldherrn, von
der Behandlung der Mannjchaft u. dgl. m., die meijt in Gemein—
plägen bejtanden. Aber dieje Dinge imponierten nichtsdejtomweniger,
zumal jolange noch durd) Tradition im emigen ihrer Vertreter
eine perjönliche handwerksmäßige Tüchtigfeit erhalten blieb. Mit
Stolz wieſen die Griechen darauf hin, daß es der helleniſch
gejchulte Timoleon gewejen jei, welcher im +. Ihdt. Syrafus ge
rettet habe, und daß die von den Römern in die Enge getriebenen
Karthager eimem griechiichen Söldnerhauptmann, dem Xanthippos,
ihr ganzes Vertrauen gejchenft und dies durch den großen Sieg
bei Tunes glänzend gerechtfertigt gefunden hätten. Allmählich
jteigerte ich der Sophiitenhochmut derart, daß man zu behaupten
wagte, Alexander d. Gr. habe alle jeine Feldherrnweisheit: von
der Einteilung des Heeres in die verjchiedenen Waffen an, Glieder:
und Rotten-Richten, Schwenfungen und Kontremärſche, Marſch—
und Schlachtordnung, jamt und jonders in der Philoſophenſchule
1) Daß dieſer Iphikrates nicht mit dem attifchen Göldnerfelbherrn ein und biejfelbe Berjon jei,
bemerlt Aelian ausdrücklich.
% Plutarch; Pyrrhos, 8. — Möglicherweiſe gilt das Lob, das ber Perieget Prolles dem
Pyrrhos ala Stratege und Zaltiler ſpendet, mehr dieſen verlorenen Schriftwerken als feiner praktiſchen
Feldherrnthätigteit, die denn doc auch ein ſehr voreingenommener Punier nicht wohl über bie des
Alerander ftellen Tonnte. wie das Profles thut (Baufanias IV, 35, 4).
) Auch Cicero bringt die Bücher des Pyrrhos und des ſtineas miteinander in Berbinbung.
(Epist. famil. IX, 35, 1).
9 Plutarch Philopoimen, 4.
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 49
des Ariſtoteles gelernty. — Es war im Hellas auch allgemeiner
Slaube, daß Hannibal jeine Siege wejentlich griechischer Belehrung
zu verdanken gehabt. Man erzählte: er jei auf jemem eriten
Feldzuge von zwei jpartanischen Strategen begleitet gewejen. Als
wenn der Sohn des Hamtlfar, der Schüler des Hasdrubal, jene
Weisheit hätte aus jolcher Ferne holen müfjen! Aber jo tief Durchdrungen
waren dieſe griechischen Theoretiker von ihrer Unfehlbarfeit, daß der
Beripatetifer Phormion dem verbannten Hannibal am Hofe des
Antiochos einen pedantischen Vortrag mit Stift und Zirkel hielt,
um dem Sieger von Cannae flar zu machen, wie ev denn jeine
großen Operationen eigentlich hätte führen jollen; wofür ev allerdings
von dem Feldherrn die Bemerkung einerntete: er habe jchon viele
verrückte alte Herren gejehen; feiner jei jedoch jo verdreht geweſen,
wie Bhormion?). — Seitdem nannte man im Altertum Leute, welche
über Dinge redeten, von denen ſie nichts veritanden „Phormtonen“ 3). —
Diefer Sophiitenhochmut, der den NAriftoteles gewiljermahen als
Urguell alles menjchlichen Wiſſens und Könnens betrachtete und die
hellenische Spekulation höher jchäßte als die gemwaltigiten welt—
geschichtlichen Thaten, zeigt, wie den Griechen in ſeltſamer Verblendung
die Begriffe Eriegerifcher Genialität und praktischer Findigfeit vollkommen
verloren gegangen waren. Sie gingen unter im Schematijieren des
Überlieferten. Die jpontane Kraft, welche jelbitzeugend jchafft, war
von ihnen gewichen und entfaltete ihre VBiktorienflügel jetzt in Rom.
211.
Das römische Heer bildete fich als legio, d. h. als Ausleje
aus der gejamten waffenberechtigten Volksmaſſe, u. zw. focht das
Fußvolk der ältejten Zeit wie das der Griechen in phalangitijcher
Ordnung von acht Gliedern Tiefe, und dieſe Kampfweije erhielt jich
18 zu den Samniterfriegen (326—290 v. Chr.). Während deren
Verlauf jedoc) bildete ſich eine ganz eigenartige römische Taktik
heraus, eben jene, welche man im Gegenjage zur PBhalangentaftif
ı) Vgl. dad aus unbeftimmter Zeit ftammende Opuskulum „‚Tix ro Aoyov Toü paoxovros,
or dx rar drurowv Agıororkkovs Altzavdoo; u Pacıkeis ra rootma fora al rag adheız
idußave‘‘, weldes zuerft von Boiffonade in den »Anecdota Graeca«, Paris 1829 heraus:
eben und dann von Köhly und Rüftom in den „Sriechiichen SKriegafchriftftellern”, II, 2. Abt.
©. 211— 216 wieder abgebrudt worden ift.
”, Cicero De orat. II, 18, 75, 76.
) Lüblers Real:Leriton.
Jahnms, Geſchichte der Kriegäwifienichaften, 4
50 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
furzweg als Legionartaftif zu bezeichnen pflegt‘), Im dem
jchwierigen Gelände des ſamnitiſchen Gebirges nämlich Fonnte Die
zujammenhangende Linie der Phalanx nur jehr beichränfte Anwendung
finden; häufig trat die Notwendigkeit ein, für die Bekämpfung von
Päſſen und Schluchten kleine Kolonnen anzuwenden. Und geradejo
wie einſt Kenophon in den karduchiſchen Bergen ſeine Kompagnie—
folonne, den ogFLog Aöyog, erfand, ($ 7), jo operterten die Römer
in den jammitischen Bergen mit den bisherigen Evolutionsetnheiten ihrer
Phalanz, den jog. Manipeln. Während aber die Aoyoı ogYLor des
Xenophon in dem Sinne wie ihr Erfinder fie gedacht, d. h. im Sinne
gegenjeitiger Unterjtügung und Zujammenwirfung, von den Nach
folgern des alten Kriegsmeilters nicht begriffen und verwendet wurden,
geſchah dies von den Römern. Nicht nur für einzelne Unternehmungen,
jondern auch für die eigentliche Schlachtordnung wird die Linie der
Phalanx unterbrochen. Die Manipel, 64 Mann jtarfe Ab-
teilungen von 3 Mann Front und 8 Mann Tiefe, zu jelbjtändigen
taktiſchen Einheiten erhoben, jtehen mit regelmäßigen Intervallen,
welche ihrer Frontlänge entjprechen, nebeneinander und zugleidy in
mehreren Treffen hintereinander u. 3m. jchachbrettartig, jo dat
die Manipel der hinteren Treffen die Intervalle der vorderen
deden. Man nannte dieje Stellung nach der Gejtalt der Würfelfünr
»Quineunx«. — Auch auf die Bewaffnung hatten die Gebirgs-
fümpfe mit den Samnitern bedeutungsvollen Einfluß. In ihnen
lernte man jenen eigentümlichen Wurfſpieß fennen, der unter dem
Namen des Pilums in der Folge die recht eigentliche Nationalwaffe
des römischen Fußvolks wurde. Mit ihm rüjtete man zunächit das
dritte Treffen der Manipularlegion aus, welches die ältejtgedienten
und tlüchtigiten Krieger, die Triarier, umfaßte. Die beiden erjten
Treffen behielten zunächjt den Spieh der Phalangiten, die Haſta.
Von Ddiejen beiden Treffen war das vordere, das der Haltaten, aus
der Blüte der eben erjt für den Kriegsdienſt herangereiften jungen
Mannjchaft gebildet und zählte zu einem Drittel Leichtbewaffnete;
das zweite Treffen nahm die älteren und bejonders gut gerüjteten
Etreiter auf, welche zum Unterjchiede von den Hajtaten des eriten Treffens
) Bol. Köochly und Rüftomw: Einleitung zu den „Griehiihen Striegsichriftitellern”,
Marauardt: Römiſche Staattverwaltung II, Leipzig 1876, und Jähnmns; Geſchichte des Ktriegs
weiens ©. 217 fi.
2. Das Zeitalter der Alerandriner. Hl
als Principes bezeichnet wirrden. Endlich gehörten zur Legion einige
Scharen unregelmäßiger „Sprenfler“, die Rorarter.
Dieje Manipularlegion erhielt dann in den Kämpfen mit Pyrrhos
eine weitere, für die Folge maßgebende Ausgeitaltung: der tiefmafjierten
mit 16 Fuß langen Sartjen bewaffneten griechiichen Phalanx hatten
die flemen, wenig mehr als 60 Köpfe zählenden Manipel um jo
weniger zu widerſtehen vermocht, als der Gegner durch treffliche
Reiterei und Elefanten unterjtügt war. Der einzelne Manipel beſaß
zu geringe Kraft in Angriff wie in Verteidigung. Dennoc) erjchien
die Beibehaltung der Mantpularordnung an und für jich geboten,
jowohl durch die taktiſchen Rüdjichten, welchen jie ihre Entjtehung
verdankte, als auch durch den Wunjch, den Anſturm der Elefanten
abweijen, bzgl. in die Zwijchenräume ableiten zu können, ohne die
ganze Schlachtitellung in Mitleidenſchaft zu ziehen. Demgemäß entjchloß
man jich, die Mantpel zu verjtärfen: man gab denen der beiden erjten
Treffen je 120 Mann; nur das aus der altgedienten Mannjchaft
gebildete dritte Treffen behielt die bisherige Stärke von je 60 Mann
ım Manipel. Die jchachbrettförmige Anordnung der Legion blieb un-
verändert; aber an Stelle der irregulären Rorarier wurden jedem
Treffen die jüngjten und gewandtejten Yeute unter dem neuen Namen
„Beliten“ als leichte, doch regelmäßige Truppe zugewieſen. Der
Sarıja gegenüber hatte ſich die Hajta als unzulänglich erwieſen;
das Pilum dagegen hatte jich bewährt. Dies wurde daher neben
dem Schwerte zur Hauptwaffe erhoben, indem man mit ihm Die
beiden erjten Treffen bewaffnete, dem dritten Treffen dagegen, dem der
Iriarier, welches bisher das Pilum geführt, die Hajta zurüdgab. —
Dieje VBerbejjerungen erwieſen jic als höchſt zweckentſprechend. Hatte
die mörderische Wirfung des wuchtigen Pilums, das auf etwa 1O Schritt
Entfernung gejchleudert wurde, Berwirrung und Lücken im des Feindes
Reihen erzeugt, jo verhinderte der jofort erfolgende Schwertangriff
den Gegner, die Lücken zu jchließen, und beutete jeine Beltürzung
aus. Wilenwurf und Schwertitoß folgten einander wie Blig und
Schlag. Die Entfernung von 10 Schritten iſt größer als diejenige,
auf welche der griechische Bhalangit herangehen mußte, um mit der
Sariſa zujtoßen zu fünnen, aber jie ijt gering genug, um der Bor:
bereitung durch den Wurf den Einbrud, unmittelbar auf dem Fuße
tolgen zu laffen, und hierin liegt das Geheimnis des Erfolges. —
4*
52 Altertum. I. Die Zeit der Republiten.
Die Neiterei, welche, organiſatoriſch aenommen, einen Teil der
Legion bildete, jtand auf den Flügeln, und war nad) - hellenijchem
Borbild bewaffnet. Ihre Nolle war und blieb untergeordnet.
Dies iſt Die Manipularlegion, mit welcher die Römer den Pyrrhos
überwanden, die punijchen Kriege durchkämpften, dem großen Hannibal
zähen Widerjtand leisteten und endlich in gewaltigen Schlägen Die
Diadochenreiche am öftlichen Meittelmeere zertrünmerten, die feltiichen
Stämme an Bo und Khone wie die iberiichen Völfer langjam zerrieben
und unterjochten und jich zu Herren der thalafltichen Welt erhoben.
8 18.
Wie uns über die intereflanteite Periode der Gejchichte der
griechiſchen Taktik faſt fein gleichzertiges Zeugnis überblieben iſt, jo
fehlt es auch an allen zeitgenöfftichen Nachrichten über die eben
jfizzierte Entwidelungsgeichichte der rümijchen Legion. Erjt für Die
vollendete Erjcheinung der Manipularlegion, wie jie im puniſchen Kriege
auftrat, bejigen wir die Schilderung eines Augenzeugen, die des
Bolybios (150 v. Chr.) [$ 19.). Über die anderthalb Jahrhunderte der
allmählichen Herausbildung diejer taktischen Kunſtgeſtalt jind wir auf
die Nachrichten von Hiftorifern angewieſen, welche, wie Sallujt, Varro,
Dionyjtos von Halikarnaſſos und Livius, ein Jahrhundert, ja noch
jpäter nad) Polybius lebten oder gar, wie Apptanus, dem 2. Ihdt.
unjerer eigenen Zeitrechnung angehörten. Es hat einer nimmermüden
Kritif und höchſt geiitvoller Intuition bedurft, um die Ihatjachen
jeitzustellen, welche im vorigen Abjchnitt angedeutet wurden.
Die höchſten Verdienjte haben fich in diejer Hinſicht Juſtus Lipjius (1596),
Salmajius (1657), Zange (1846), Köhly und Rüſtow (1855) und Marquardt
(1876) erworben. Sie werden durd) die Angriffe, welche neuerdings Delbrüd
(1836) gegen die herrſchende Auffafjung gerichtet hat, nicht vermindert.
Der älteſte römische Milttärjchriftiteller, von dem wir überhaupt
Kunde haben, tft Marcus Porcius Cato, censorius.
Im Jahre 234 v. Ehr. zu Tusculum geboren, betrat Cato mit fiebzehn
Jahren in Sizilien die militärijche Laufbahn und hatte ſchon vor Erreihung des
Mannesalterd die Brujt voll Narben. In der Folge wirkte er zu Rom als
gerichtliher Anwalt und gewann foviel Gunft und Gewicht beim Volke, daB
dies ihn zum Legiondtribunen (Staböoffizier) wählte. Als jolcher foht er unter
Fabius Marimus und Claudius Nero und trug wejentli bei zur glüdlichen
Entſcheidung der jchidjaldvollen Schladht bei Sena, in welder Hannibal® Bruder
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 53
Hasdrubal fiel. Später wurde er dem B. Cornelius Seipio ald Quäfter in
Sizilien beigejellt. Aber Gato, der jtarre Plebejer, deſſen Name als Inbegriff
politiider Römertugend in ihrer gediegenften aber aud) widerwärtigiten Art und
Reife galt, konnte fih mit dem glänzenden Optimaten, dejien Weltanſchauung
von der feinigen jo ſehr verjchieden war, nicht jtellen; er trat vielmehr bald in
der rüdjichtSlofeiten Weile, jedoch vergeblich gegen Scipio auf. Im Jahre 195
v. Chr. wurde Cato Konjul und übernahm als folder die Kriegführung in
Spanien, bei welcher ihn Gewalt und Liſt zu jehr namhaften Erfolgen führten.
Ein Beiipiel echten Römerfinnes iſt es, dab Cato nah Ablauf jeiner prokonſu—
lariihen Verwaltung es nicht verjchinähte, dem State auch wieder in minder
hervorragenden Stellungen zu dienen. So zog er als Legat des Konſuls Tiberius
Semproniuß Longus gegen die Bojer zu Felde; ja drei Jahre jpäter entichied er
ald einfacher Legionstribun durd Umgehung des Feinde den Sieg an den
Thermopylen in dem Kriege gegen Antiochos den Großen. Auf die Höhe der
Popularität wie des Gehaßtſeins hoben dann endlich den Cato jeine Thätigfeit
als Cenſor und die leidenjchaftliche Energie, mit welder er die Wiederaufnahme
des Krieges gegen Karthago betrieb. Er jtarb 149 v. Chr.
Seine Muße widmete Gato jchriftitellerischen Arbeiten, wobei ihn
der Gedanke leitete, den Römern eine Jelbjteigene volkstümliche Literatur
ju gründen, die frei jein jollte von jedem fremden, d. h. griechischen
Einfluſſe.
Noch zu des Livius und des Aulus Gellius Zeiten ſchätzte man eine Samm—
lung der öffentlichen Reden Catos ſowie ein hiſtoriſches Werk »Origines«, welches
ſich in ſieben Büchern mit der älteſten Geſchichte der Völker Italiens beſchäftigte
und bis zum Schluſſe des zweiten puniſchen Krieges führte. Die eigentümlichſte
Schöpfung des merkwürdigen Mannes waren aber wohl jeine Praecepta ad
flium, die Ratihläge für feinen Sohn, welde den Anfang einer römijchen
Theorie der Wifjenihaften bezeichnen, injofern fie eine Summe von Vorſchriften
enthalten, weiche auf Erfahrung und Beobadtung gegründet find und jih auf
Sandwirtihaft (de re rustica), auf Kindererziehung (de liberis educandis), auf
Sejundheitöpflege (commentarius, quo filius medetur servis, familiaribus),
auf Sittenlehre (carmen de moribus), auf Beredjamfeit (de oratore) und. nas
türlihd auch auf dad wichtigſte Anliegen der Römer, auf das Kriegsweſen (de re
militari), beziehen. Bon all dieien Schriften find leider nur geringe Bruch:
ftüde erhalten *).
Die Fragmente von Catos Schrift de re (oder de disciplina)
militari jind auch in sprachlicher Hinjicht Denfmale ftarriter,
ültertümlichjter Latinität. Gewiſſe militärische Ausdrücde der Römer
ind chen nur in ihnen erhalten. In der Vorrede hebt Cato mit
+) Zuerft jammelte die Fragmente Riccoboni (Bafel 1579. MNeuefte und befte Ausgabe
derſelben ift die von Jordan: M. Catonis praeter librum de re rustica quae extant. (Leipzig
1860). Die milit. rragmente ftehben ©. 80—82.
54 Altertum. I. Die Zeit der Republiten.
derbem Selbjtbewußtjein das eigene Verdienjt eindringlich; hervor und
fertigt etwaige Tadler im voraus Fräftig ab. Dabei jcheint er aud)
gegen jolche Verächter der Willenjchaft loszuziehen, welche das Kriegs—
wejen für eine Sache bloßer Routine hielten und gar nichts von
wifjenichaftlicher Behandlung desjelben willen wollten!). Solcher
Männer mag es in Rom wohl jehr viele gegeben haben.
Glücklicherweiſe find außer den ſpärlichen Fragmenten des Originals
wichtige Teile der catontichen Schrift noch indirekt erhalten, injoferne
Begetius den Cato zum großen Teile ausgejchrieben hat; gerade die
beiten Partien jenes Werkes 8 38] jcheinen dem Buche des Gato
entnommen zu jein?). Vegetius erwähnt die Benugung desjelben auch
wiederholt?), und es ijt wohl nicht ohne Bedeutung, daß eine
florentinische Handjchrift (Cod. Riccardianus Nr. 170), welche aus
lauter vegetijchen Fragmenten zujammengejeßt it, den Titel trägt:
M. Cathonis de re militari*). — Unter den bei VBegetius erhaltenen
Stellen iſt die interefjantejte diejenige, welche die jieben verjchtedenen
Schlachtordnungen aufzählt’): 1. Die depugnatio fronte longa,
quadro exereitu, d. h. die PBarallelordnung; 2. und 3. die Jchräge
Schlachtordnung (obliqua); 4. und 5. die sinuata acies, die bogen-
fürmige Ordnung; 6. die directa acies oder depugnatio in simili-
tudinem veru, d. h. in Form eines Bratjpießes; 7. endlich Die
Stellung mit Flügelanlehnung im Gelände.
In Bezug auf die 1. Ordnung bemerkt Cato, daß man ji ihrer in
älterer Zeit ausjchließlich bedient zu haben ſcheine. — Die ſchrägen Schlacht⸗
ordnungen haben auch bei Cato den Sinn, entweder mit dem rechten oder mit
dem linken Flügel anzugreifen; doch jchreibt er für den Dfjenfivflügel keine
andere Austattung vor als für den Defenjipflügel. Übrigens führte der römijche
Braud, den Kern des Fußvolkes, die Legionen, ſtets in die Mitte deö Heeres zu
itellen, die Bundesgenofjen dagegen auf die Flügel zu verteilen, naturgemäß dabin,
dai man den Feind fajt immer mit voller Front angriff. — Bei der bogen-
fjörmigen Ordnung jollen beide Flügel den Angriff machen, während die Mitte
entweder ganz geöffnet oder ſchleierartig durch Reiter und Schügen oder Truppen
geringeren Wertes ausgefüllt wird. In diefer Hinfiht ahmten die Römer das
Beifpiel des Hannibal nad), und jo wendete z. B. Scipio die sinuata acies ar,
!) ®gl. Plinius Nat. hist. praef. 30, Veget. II, 3 unb I, 13.
?) Namentlich I, 9—14, 20—27; II, 1, 2, 4, 15; III, 14—17, 19, 26.
) ®al. I, 8, 18, 15; II, 3.
*) Bol. Keil im Rhilolog. Jahrb. V, ©. 175.
) Daß Vegetius an biejer Stelle den Cato benußt bat, beweift, abgejehen von anderen Indizien,
erhaltenes Fragment bes Originals, das fich bei Vegez wörtlich wiederfinbet.
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 55
indem er bei Ilipa im Jahre 206 gegen Hasdrubal eine Stellung nahm, deren
Zentrum die ſpaniſchen Auriliaren bildeten, während er mit den Legionen von
den Flügeln ber angriff. Der Ausdrud »sinuata acies« jteht übrigens nicht bei
Begez, wohl aber bei Seneca de vit. beat. 4!). Die depugnatio in similitu-
dinem veru fommt bei einem aus dem Marſch heraus beginnenden Gefechte zur
Anwendung, indem das ganze Heer in Kolonne auf eine Flanke des Feindes ge-
führt wird und dann, ihn überflügelnd, in einer Linie Front macht, welche mit
der feindlihen Aufſtellung einen ſpitzen Winkel bildet. Diefe Schladhtordnung,
welche dem Cato mit Recht als eine höhere Konjequenz der obliqua depugnatio
eriheint, ift offenbar eine Reminiscenz der Aleranderihladten. Die Römer der
älteren Zeit durften, bei der Mangelbaftigfeit ihrer Weiterei, derartige Flügel—
bewegungen nicht wagen. Eigentlihe Flügelſchlachten hat erſt Cäjar wieder ge=
ihlagen: jo gegen Wriovijt, bei Pharjalus und bei Thapjus.
Wie Gatos liber de re militari das erjte lateinische Wert
über das Kriegsweſen war, jo tft es auch auf lange hinaus das
einzige geblieben. Bis Frontin, der unter Marc Aurel lebte, alſo
durh ein volles PVierteljahrtaufend trat fein eigentlich römtjcher
Milttärjchriftiteller von Bedeutung auf; dieſe ganze Zeit wird von
griechiicher Bildung beherrjcht, auch auf dem Gebiete der Kriegskunft.
8 19.
Der mit Leidenschaft feitgehaltene Lebensgedanke des gefürchteten
Cenſors: die unbedingte Aufrechterhaltung des alten Römertums,
erwies jich als undurchführbar. Dejto vollfommeneren Erfolg hatte
das entgegengejegte Streben eines jüngeren Zeitgenofjen, der ich die
Aufgabe jtellte, Römertum und Hellenismus praftifch und
wiijenjchaftlich zu vermitteln: es iſt Polybios.
Polybios wurde 210 v. Chr. zu Megalopolis als Sohn des achäiſchen
Strategen Lykortas geboren. Unter diefem Bater und dejien Freunde, dem Feld—
herrn Philopoimen, dem „legten der Hellenen“, welchem Polybios jpäter ein lites
rariſches Denkmal jegte, bildete er fih zum Statd- und Kriegsmann aus und
wurde 169 zum Hipparchen, Reiterbefehlshaber des achäiihen Bundes gewählt.
Zwei Jahre jpäter, nad) Beendigung des Krieges der Römer mit Perjeus, wurden
1000 angejehene Achäer, unter ihnen Polybios, als Geifeln nah Rom geführt
und dort 16 Jahre lang fejtgehalten. Im Hauje des Wemilius Paulus fand
Polybios eine zweite Heimat, und bald verband ihn innige Freundichaft mit
Scipio Aemilianus. Er begleitete diefen nah Afrika, unterfuchte während der
Belagerung von Karthago als Flottenführer in Seipios Dienjt die Nord- und
Weſtküſte Afrifad und wohnte endlich der Eroberung und Zeritörung der punijchen
Hauptjtadt bei.
1) Bel. auch Livius 28, 14.
56 Altertum. I. Die Zeit der Republiken.
Bolybios hatte die Überzeugung gewonnen, daß die Erfolge
Noms nicht blindem Glücke, jondern jeiner Tüchtigfeit zu danken
jeien und juchte diefe Wahrheit den Griechen als Grund für ver-
trauensvolle Unterwerfung, den Römern aber als Antrieb zu maß-
voller Herrichaft vor Augen zu jtellen. In diefem Sinne begann
er em großes Gejchichtswerf, für das er Netjen nad) Kleinaſien,
Ägypten, Gallien und Spanien unternahm. Nach ihrer Vollendung
umfaßte jene pragmatijche Univerſalgeſchichte (rgayuarızı
orogia vasokızn) 40 Bücher, welche die Ereignifje vom zweiten puni-
ſchen Kriege bis zur Zerjtörung Karthagos (220 —146 v. Chr.)
Iynchroniftiich darjtellten. An Genauigkeit und Treue der Erzählung,
an Tiefe politifchen und militärischen Wiſſens wird Dies Werf
von feinem des Altertums übertroffen. Die Anforderungen des
Berfajiers an den Hiſtoriker jind groß. Gr verlangt von ihm
fleigiges Uuellenjtudium, eigene Anjchauung der Ortlichfeiten ſowie
politiſch (smilitärtiche) Kenntniffe, und er tjt eifrig bemüht geweſen,
jelbjt dieſen Forderungen zu entjprechen. Sem Berhältnis zu
Scipio gab ihm Gelegenheit, viel zu jehen und zu erfahren,
und das Bejtreben, in jenem Werke „zum Nuten berufener Stats—
und Sriegsmänner“ überall die Urjachen der Begebenheiten Elar
zu legen, ein Bejtreben, das ihn als den Schöpfer des Didaf-
tiichen PBragmatismus in der Gejchichtsbehandlung erjcheinen läßt,
veranlagt ihn zu erläuternden Erfurjen namentlich militärijchen
Inhalts.
Bon den 40 Büchern find leider nur noch die 5 erjten in ihrer
uriprünglichen Volljtändigfeit erhalten, von den übrigen der erite
Teil des 6. Buches und zahlreiche z. T. bedeutende Bruchjtüde.
Unter den Exkurſen iſt der wichtigjte die Abhandlung über
das römiſche Kriegsweſen (VI, 19—24), welche eine der wejentlichjten
Grundlagen unjerer Kenntnis der militärischen Altertümer Italiens
bildet. Er enthält u. a. auch die berühmte viel kommentierte Be
ichreibung des Lagers eines konſulariſchen Heeres von zweit Legionen
nebjt obligaten Bundesgenofjen — auf lange hinaus Die einzige
Quelle über römiſche Caſtramentation, da erit, jajt 400 Jahre jpäter,
Hyginus 8 35] diefen Gegenitand aufs neue behandelt hat. Dem:
nächit iſt der Abjchnitt über die makedoniſche Taktik von bejonderer
Bedeutung.
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 57
An einer Stelle, wo Polybios von den Beziehungen der Geometrie zu den
riegswiſſenſchaften ſpricht (X, 20), jagt er, daß er denſelben Gegenſtand ausführlich
in jeinen Kommentarien über die Taktik (ra eoi ras rafeıs vrournuare)
behandelt Habe. Vermutlich iſt dies dasjelbe Wert, welches Yelians Arrian
529, 30) als Vermächmis eines Gefährten Scipio8 empfehlen. Leider iſt e8 für
uns verloren.
Die taktiichen Ktommentarien wie das Leben des Philopoimen
dienten für die Jozogra offenbar als Vorjtudien, durch welche der
Verfaſſer eine jener Hauptbedingungen erfüllte, welche er an den
Heichichtsjchreiber stellt: bewandert zu ſein im den technifchen und
biographiſchen Einzelheiten.
Geht man näher auf die militärijhden Erfurje der „Allgemeinen
Geſchichte“ ein, jo muß allerding® zugegeben werden, daß manche davon ge=
ringen ®ert haben. Das gilt 5. B. von der Auslafiung über den Wert der
friegeriihen Verſchwiegenheit, welche Polybios an feine Erzählung von dem ver-
eitelten Anjchlage des Philippos auf Melitaia nüpft (IX, 13). Dieje und auch
andere bei diejer Gelegenheit entwidelte Marimen, tragen meift den Stempel
einer gewijien Trivialität, wie er jo manchen friegsethiihen Betrachtungen (nicht
nur der Alten) aufgeprägt iſt. Andere Erkurje find ſchon interejianter: jo die
Auseinanderjegung, wie wichtig e3 für den Feldherrn jei, den Gegner zu durd)-
ihauen (III, 81); die Darlegung, daß Hannibal niemald vom Feinde das Geſetz
genommen, vielmehr jede Schlacht nach eigenem Willen und Plan geliefert habe
— yopis noodesenns — (III, 69), oder die Betradhtung, wie verderbenbringend Un=
einigfeit zwiſchen Heerführern wirfe (III, 110). Merkwürdig ijt die Erörterung
über die Notwendigkeit mathematijcher Kenntnifje für den Feldherrn, deren diejer
hon im Intereſſe der Pünktlichkeit des Dienftes bedürfe, dann aber auch bei der
Lagereinrichtung, bei der Relognoszierung feſter Pläge und bei Beſtimmung der
Höhe feindliher Mauern (X, 20, 21). Nicht unwichtig erjcheint die Erläuterung
der von Bolybios jelbit verbeſſerten Fernſprechkunſt durd) Feuerzeichen (X, 43—47),
de u. a. eine Stelle aus einem der verlorenen Bücher des Aineias Taktikos auf,
bewahrt Hat ($ 8). Mit Geift und Sachkenntnis ſetzt Polybios bezgl. einer zu
\iefernden Schlaht das Für und Wider auseinander (III, 70). Eines der wenigen
Beijpiele antiten militäriſchen Kunftrichtertums, die überhaupt erhalten find, bietet
des Berfajlers Kritik von des Kallifthene® Darftellung der Schlacht bei Iſſos
(XU, 17— 22)! Sehr treffend hebt Polybios die entſcheidende Bedeutung der
Reiterei im punifchen Kriege hervor (III, 117); offenbar als Augenzeuge berichtet
er über die von Scipio in Spanien angeftellten favalleriftifchen Übungen, und
eine Andeutung Aelians läht erfennen, daß Polybios gerade diejem Gegenjtande
in feinem taftiijhen Lehrbuche bejondere Aufmerkſamkeit geſchenkt habe). Schon
') Mäheres darüber bei Küftom und Köchly: eich. des griech. Kriegsweſens ©. 275, 280.
*), Melian. XIX, 10. Danach orbneie Bolvbios fein Normalgeihtwader (64 Pferde, aljo eine
im. Doppelturma) nadı der Figur des ./, d. h. eines Keils an, jomit in derjelben Art, die auch im
Rittelalter eine der üblichften Angriffsformationen der Reiterei war.
588 Altertum, I. Die Zeit der Republiten.
erwähnt wurde die hervorragend wichtige Yagerbejichreibung (VI, 27—32), welde
leider doch nicht genau genug gehalten ijt, um nicht verjhiedenartige Auffafjungen
zu gejtatten und welche daher Gegenstand mannigfaltiger Kontroverjen geworden ift').
Der bei weitem berühmteite und wichtigite aller Erfurje üt
aber der Vergleich der griehiihen Phalanx mit der römi—
Ihen Manipularlegion.
Groß geworden in der Schule des Bhilopoimen, hatte Polybios
die phalangitiiche Kampfwerie als etwas Gegebenes hingenommen.
Da erfolgen die gewaltigen Schläge von Kynoskephalai und Pydna
(197 und 168 v. Chr.), unter denen die Phalanx auf mafedontjchem
Boden der Legion erliegt und in ihrem Sturze das mafedontjche
Reich begräbt. Und nun fommt der junge Bolybios jelbjt nad) Rom.
Welch eine Aufforderung, die heimiſche Kriegsweiſe mit der Der
Römer zu vergleichen! Leuchtet ihm doch beim erjten Anblick ein,
daß jein gebirgiges Vaterland ſich weit beſſer für die Legion geeignet
haben würde als für die Phalanx; erfüllt ihn doch jene Wißbegierde
des ‚Fremden, der alles mit friichen Augen anjchaut und daher nicht
jelten jchärfer jieht und unbefangener beurteilt, als der Eingeborene,
dem jich das Hergebrachte von jelbjt verjteht. Daher it der Vergleich,
welchen Polybios zwiichen Phalanx und Legion anjtellt jo
frifch und lebendig und anjchaulicher als alles, was irgend ein Römer
über die Legion geichrieben hat.
„Es ijt anziehend“, jagt Bolybios (X VIII, 11— 12) „zu unterjuden, worin
jid) die Schlachtordnungen der Griechen und Römer unterjcheiden und weshalb die
fegtere ben Sieg davontrug. Das Ergebnis wird lehren, daß der Erfolg feines
wegs allein dem Glücke zuzufchreiben ift, daß vielmehr die Sieger aus Vernunft:
gründen wegen ihres Verfahrens zu loben find... Es ſteht feft, daß die Phalanx
in der Front unüberwindlic ift und dab nichts der Madıt ihre® Anjturmes zu
wibderjtehen vermag, jolange jie ihre eigentümliche und natürliche Verfaſſung aufredht
erhält... Woher fommt es nun, daß jie dennoch von den Römern befiegt wurde? —
Weil Zeit und Ort der Gefechte unendlich verjhieden find, die Phalanz aber nur auf
eine bejtimmte Zeit und eine beftimmte Art der Ortlichkeit berechnet ift. Gilt es,
eine entjcheidende Schlacht zu liefern, und ijt der Feind gezwungen, zu einer Seit
1) Bol. über die Sontroversliteratur: Marauarbt: Röm. Staatöverwaltung II, ©. 392.
(Leipzig 1876.)
*) Diefer Exkurs hat von jeher Bewunderung und Kritik der Kriegsgelehrten berausgeforbert.
Bon bejonderem Intereſſe find die Betrachtungen Macdiavellis, Folards, Guichards, Lo Loos’, des
Herzogs von Roban, des Marihalls Punjegur und Rüſtows. Letzterer hat in den mit Köchly ebierten
„Briech. Kriegsichriftitelleen“ die im obigen Tert verkürzt wiedergegebene Stelle vollftändig u. am.
ariechiich und beutich mitgeteilt (II, 1. Abt. ©. 113— 125).
2. Das Beitalter der Alerandriner 59
und auf einem Scladtfelde zu kämpfen, melde der Phalanr günjtig find, jo
wird diefe wahrjcheinlich fiegen. Kann aber der Gegner jene Zeit und jenen Ort
vermeiden, jo dürfte die Phalanx ihre Furchtbarkeit verlieren. — Jedermann weiß,
dab die Phalanx eines ebenen Geländes bedarf, das nicht von Gräben und Bächen
durdichnitten und überhaupt frei von Anhöhen, Abhängen und lüften ift; denn
durd dergleichen wird die Phalanz gehindert und gebroden. Niemand aber wird
leugnen, daß es ungemein jchwierig, ja faum möglich jei, ein Gelände von auch
nur etwa 20 Stadien (ca. 5 km) aufzufinden, welches feines jener Hinderniſſe
bietet. Angenommen aber, es fänden ſich joldhe Ebenen! Welchen Gebrauch will
man dann von der Phalanr machen, wenn der Feind, jtatt ſich und auf jenem
günftigen Boden entgegenzujtellen, ausweicht, jih im Lande ausbreitet und
plündert ? Was würde dann die Phalanı nugen!? Bliebe fie auf dem für fie
geihidten Gelände, jo vermödhte fie weder den Ihrigen zu helfen, noch wäre fie
im ftande, fi) zu ernähren; denn der Feind könnte ihr leicht die Zufuhr ab»
ihneiden. Verließe fie aber den Plag, jo begäbe fie fich ihres Vorteild. Doch
auh auf dem ihr günjtigjten Boden vermag man die Phalanx fiegreich zu be=
impfen, jobald man ihr nicht das ganze Heer auf einmal entgegenftellt, ihr nicht
eine gleiche Front darbieten will, jondern Heeresteile zurüdhält. So verfahren
die Römer. Mag nun die Phalanr das erjte römijche Treffen werfen oder mag
fie jelbft durchbrochen werden: in jedem Falle löſt der Kampf die Gejchlofienheit
der Phalanx; verfolgend oder zurüdgedrängt: jedenfalls bietet fie jet Lüden, in
weiche des Feindes zweite® Treffen oder fein Rüdhalt ſich hineinwerjen kann
u. zw. aus der Flanke oder vom Rüden her. Da man aljo den Bedingungen,
weldhe die Phalanx ftark und furdtbar machen, leicht ausweichen kann, dieſe jelbit
aber Umftände, welche ihre Kraft brechen, unmöglich zu vermeiden vermag, jo iſt
ein merflicher Borteil auf Seiten der römijhen Schlaftordnung. Muß doch aud)
ein Heer, das in phalangitifher Weije zu jechten gewohnt ift, die verichieden-
artigjten Gelände durchſchreiten, muß gefaßt jein, während des Marſches anges
griffen zu werden oder auß dem Marſche Heraus den Feind anzugreifen; e8 muB
vorteilhafte Päſſe jchnell bejegen, feindliche Streifpartien einjchließen, Lager be=
ziehen und Lager belagern. AU jolde Unternehmungen aber, die fi jehr oft
in einem Feldzuge ereignen und immer wichtig, oft jogar entſcheidend jind, laſſen
ih mit der maledoniihen Taktif nur höchſt unvolllommen durdführen, weil dieje
nit darauf eingerichtet ift, in Heinen Abteilungen oder gar Mann für Mann
zu fämpfen. Die römiſche Shlahrordnung hingegen ijt allgemein
braudbar; fie ift auf alle Fälle gefaßt und kann unter allen Umjtänden und
auf jedem Boden fechten. Der römiſche Krieger behält die gleiche Faſſung, ob er
nun in einem ganzen Seere oder nur in einem Manipel oder jelbft einzeln zum
Kampie gehe. Diefe ZTeilbarkeit und Biegſamkeit der römijchen Legion iſt die
Urjache, weshalb die Römer ihre taftiihen Zwecke leichter erreichen als ihre
Gegner. — Ich glaubte diefe Dinge eingehend behandeln zu follen, weil viele
Griehen, ald Makedonien überwunden wurde, an eine Art Hexerei glaubten und
nanche auch nachher nicht einzujehen vermochten, worin denn die Anordnung der
griechiichen Phalanı der der römiichen Legion nachſtände.“
60 Ultertum. I. Die Zeit der Republiken.
Soweit PBolybios. Er bat dabei natürlich die jchwerfällige, im
einen gewiljen Marasmus verjunfene Phalanx jeiner eigenen Zeit vor
Augen, nicht die freier gejtaltete mit der Angriffsfolonne oder der
Nitterichaft verbundene jchräge Schlachtordnung des Epameinondas
oder Aleranders. Aber jelbit auf dieje beiden paſſen gar manche
der von Polybios hervorgehobenen Kennzeichen. Wenn die Phalanx
"der hellentichen Frühzeit, welche auch des Orthios Yochos und der
mächtigen Reiterwaffe entbehrte, großartige Stege wie die bei Mara—
thon und Plataiai erfocht, jo lag das, abgejehen von den Mängeln
der damals befämpften aſiatiſchen Taktik, weientlich daran, daß Die
Phalangen jener Frühzeit eine jehr viel geringere Stärfe hatten, To
daß fie weit leichter Gegenden fanden, in denen fie mandvrieren konnten,
ohne ihre Front zu brechen. — Unzweifelhaft hat Polybios voll:
fommen Recht, wenn er der Phalanx überhaupt einen beichränfteren
Grad von Brauchbarfeit zuerfennt, als der Legion. Ein Hauptvorzug
der leßteren liegt auch darin, daß ihre Anordnung jehr geichteft auf
die menjchlichen Stärken und Schwächen berechnet it und cine
methodische Anwendung gejtattet, die jogar dem jchlechteren Feld—
herrn, wenn er nur fonjequent und zähe it, den Sieg ermöglicht.
Dies aber entipricht auf das Vollfommenjte dem römischen Stats-
wejen, der römtichen Politik. So trägt denn die legionare Kampf—
were den breiten Stempel echter Volkstümlichfeit. Die Römer jelbit
empfanden das, und noch im 4. Ihdt. n. Chr. meinte Vegetius: von
einem Gotte jcheine Die Legion erfunden. Die echt volfstünlichen
Elemente in der Kultur einer großen Nation find aber allemal auch
die weltgejchichtlichen, und daher hat die römische Taktik der guten
Zeit nicht nur nationale, jondern geradezu univerjale Bedeutung.
Die jchachbrettförmig aufgeitellte Legion mit ihren drei Treffen,
deren jedes wieder frei und gelenkig in zehn Manipel gegliedert iſt,
gewährt jchon durch dieſe Formation die Möglichkett ganz anders
gearteter und viel mannigfaltiger taktifcher Verwendbarkeit, als das
eine tiefe Treffen der Phalanx. Damit jedoch iſt der innere Reichtum
der Legion noch nicht einmal erichöpft. In die drei Treffen ift Die
Mannjchaft vielmehr nach Dienjtalter und Kriegstüchtigfeit eingeteilt
und ungleich bewaffnet, jo daß ein Jneinandergreifen verjchtedener
Elemente mit wachjender Wirkung jtattfindet. Die kämpfende Legion
gleicht gewiljermaßen einem Schaujpiele von drei Akten mit dDramatücher
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 61
Steigerung; ja, wenn man die vor ihr herſchwärmenden Beliten in
Anschlag bringt, jo fehlt auch das Vorjpiel nicht. Die Phalanx da-
gegen gewährt nur ein einaktiges Schaufptel; ſie tt Die emfache, den
eriten Grundjägen geregelter Scharung entiprechende Mafje; die Legion
aber iſt em feiner umd gelenfiger Organismus. Sehr ſchön jagt
Machiavelli: „Obwohf die Phalanx viele Befehlshaber und Unter:
abteilungen zählte, jo hatte jie doch nur einen Kopf; die Römer aber
teilten ihre Legionen in viele Abterlungen, weil jie dafür hielten, day
em Körper deito mehr Leben habe, je reicher er bejeelt jet; denn jedes
Hlied der Legion war fähig, für jich allein zu beſtehen“ ?). Nun aber
traten gewöhnlich mehrere Legionen neben emander gemeinſam wirfend
auf, und dann entwidelte jede Legion als jelbitändiger Heeresfürper
auch ihren eigenen Corpsgeiſt; ſie hatte als die bejtimmte Legion
Ruhm zu erwerben, zu erhalten, zu verlieren. Davon war bei der
Phalanx nie die Nede; denn dieſe ballte man aus allen Schwer:
gewafneten des Heeres zu emer unterjchtedslojen Mafje zujammen.
in der Phalanx Fällt jeder Notte die Geſamtheit der Gefechtsthätigfeit
u: Einleitung, Embruch und Nachhauen. Die Legion teilt den Veliten
die Einlettung, den Haſtaten und Brincipes den Einbruch, den Triariern
die Aufgabe der Nejerve zu. Zwar mochten auch vor der Front der
Lhalanx Leichtbewaffnete ſchwärmen; jie konnten doc) feineswegs To
gründlich für die Gefechtseinleitung ausgenußgt werden, wie die Veliten
der Legion, weil legtere durch ihre Intervallenitellung das Vorſenden
und Zurüdnehmen der Plänkler in hohem Maße begünftigte. Die
Phalanx jegte Gewinn und Verluſt auf Eine Karte; Meachiavell be
merft in Bezug hierauf mit Recht: »Il maggiore disordine che
facciano coloro che ordinano un esercito alla giornata, & dargli
solo una fronte, ed obbligarlo ad un impeto ed a una fortuna.«
Bei der Legion aber mußte jchon lange unglücklich gejpielt worden
ſein, bevor der Auf ericholl: Res rediit ad triarios! Was bei der
»)), Machiavelli: Dell’ arte della guerra, lib. III: »perch& giudicarono, che quel
corpo avesse piü vita, ch@ avesse pilı anime e che fusse composto di piü parti, in modo
che ciascheduna per se stessa si regesse-. Angeſichts jo Flarer Auffafiung ſchon in alter Zeit,
befremdet eö, daß noch heutzutage Urteile zu gunſten der taktifchen Überlegenheit der Phalanx über die
Sein abgegeben werden. So hat noch jüngit General v. Sonklar einen Aufjag neichrieben, um
zadzumweifen, „wie gering die taktiſchen Hilfsmittel der Legion im Verhältnis zu jenen der Phalanx
searien* jeien. („Bon der Phalanx und von der Legion.” Organ der militärwifjenichaftl. Vereine.
XIV. ®p., 2. Heft, Wien 1877.) Sein Urteil beruht auf einer Verwechſelung des taftiichen Wertes
der Eooiutionseinheiten mit dem der taltiihen Einheiten.
62 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
Phalanx von mehr oder minder einjichtsvollen Anordnungen oder
Eingriffen des Feldheren abhing und nicht leicht, ja in den meiften
Fällen überhaupt nicht herbeizuführen war: vechtzeitige und aus
reichende Wechjelwirfung der einzelnen Teile der Schlachtordnung, Das
war bet der Legion jelbitverjtändliche Grundlage der Taktik. Das
phalangittiche Syitem jucht jeine Kraft lediglich im Stoße, bzgl. im
Abjtogen, das legionare dagegen in dem neinandergreifen ſeiner
Glieder; jenes jtrebt nach dem Erfolge durch den unbedingten Zus
ſammenhalt einer feitgeichlofjenen Maſſe (Linie, Kolonnenlinie oder
Kolonne), dies dagegen durch das Zuſammenwirken jelbitändiger ſtark
individualifierter Einzelheiten, deren Berhältnis durch ein höheres
ſtatiſches Geſetz bedingt tt, als durch Pas rohe Aneinanderhäufen.
Den Zwed, welchen Bolybios jenem Wirken gegeben: zwiſchen
römiſchem und belleniichem Wejen zu vermitteln und beider Wer:
jchmelzung als „Elaffiich“ dem Barbarentume aller anderen Völker
entgegenzuftellen, den hat er in hohem Mahe erreicht.
In den fchwerften Zerwüfnifjen, wie nad) der Zerftörung Korinths, war
jein Einjcpreiten vom höchſten Nuten. — Bolybios, ein leidenfhaftliher Reiter,
jtarb im Alter von 82 Jahren an den folgen eines Sturzed vom Pferde. Seine
Geburtsftadt jegte ihm ein Denkmal, deſſen Injchrift Tautete: „Alles, worin der
Römer dem Rate des Polybios folgte, ijt ihm gelungen; alles, wobei er nad
eigenem Kopje gehandelt, ſchlug fehl.“
Das ältejte der vorhandenen Bolybios-Manujfripte jtammt
aus dem 11. Ihdt. und befindet jich im Vatikan. Jüngere Dand-
jchriften bewahren die Bibliotheken des Athosklofters, des Escorial,
zu Tübingen und zu Bejangon. Von dem, was Polybios über Taktik,
Mafchinen und Belagerungsfrieg mitteilt, findet jich manches wieder
in den friegswiljenjchaftlichen Werfen der byzantinischen Kaiſer Leo
und Konjtantin. [M. $8 u.$9]. Den abendländiichen Schrift:
jtellern des Mittelalters blieb er fait unbefannt. Grit im 15. und
16. Ihdt. wendeten fie ihm Aufmerkſamkeit zu.
Leon. Bruni (f 1444) hinterließ eine latein. Überfegung der erjten drei
Bücher. Im Jahre 1473 erihien zu Rom Perottis Übertragung der libri V
(Neuauflage: Venedig 1522), und nod) vor 1500 wurden die Hefte des 6. Buches
und andere Bruchjtüde lateiniſch publiziert. Die erjte Ausgabe des griedhifchen
Driginaltertes bot Obfopoeus; es ift ihr Perottis Iatein. Überjegung beigefügt;
Hagenau (1530). Die für Kriegs- und Lagerkunft wichtigſten Kapitel gab Zas-
caris in latein. Sprade 1529 gefondert zu Venedig heraus, und bald darauf wurden
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 63
fie im Berein mit Melians Taftit [$ 8] von Phil. Strozzi, dem Vater des
Warſchalls, und von Eavalcanti ins Ftalienijche überjegt (Florenz 1522),
Faft gleichzeitig veranjtaltete Maigret eine Übertragung des ganzen Wertes in
die franzöfiihe Sprade. Der Titel der 2. Auflage lautet: »Les cing premiers
liuvres des histoires de Polybe, megalopolitein avec 3 parcelles du VI,
une du VII et une du XVI, autrefois traduits et mis en lumiere par
Louis Maigret... Ausquelz de nouveau son ajoutees les subsequentes
parcelles des liuvres IX, X, XI, XIII XIV, XV, XVII. Tous traduites par
lui sur l’exempl. grec.« (Lyon 1558). Eine italienifche Überjegung von Rudovico
Domenichi erſchien zu Venedig 1545. Sehr interejiant ift die Verdeutihung
von ded „Polybius Römiſche Hijtorien“ durch den Heidelberger Philojophen
Bild. Eylander (Bajel 1574); epochemachend aber ward des Juſtus Lipjius
tert »De militia Romana libri quinque, commentarius ad Polybium« (Ant-
werpen (1596), welches den Driginaltegt der betreffenden Stellen des Polybios mit
erläuterndem Dialoge begleitet. Seitdem war die Bedeutung des Achäers für die
Geſchichte der Kriegskunſt wie für die Kriegswiſſenſchaft allgemein anerkannt.
Nicht unbedeutend iſt die Polybios-Literatur des 17. Ihdts.
Caſaubonus veranftaltete 1609 in Chalons j. Marne eine Ausgabe des
griechiſchen Driginalterteö der Historiarum libri V (2. Aufl. Straßburg 1614). Im
Sabre 1613 widmete Mihault de Romaincourt dem Könige Louis XII.
jeine Milice des Grecs et des Romains par Ellien et Polybe (Leiden 1618).
Ein Menjcenalter jpäter empfahl La Motte-Levayer, allen State und
Krieggmännern die von Ryer in franzöfiiher Sprache veranftaltete Polybios—
Überjegung (Baris 1655), und in der Tat erlebte dies Bud binnen 1%. Jahr:
zehnten 5 Wuflagen. Die erjte englijche Überfegung it die des Grimestone
(Zondon 1643). Der das Lagerwejen betreffende Abſchnitt erjchien in: »Higinius
Gromaticus et Polybius De castris romanis« latein. (Amſterdam 1660) und
findet ji aud) in den Scriptores veteres ex recens. Scriveri (1670). Eine
Keubearbeitung von des Lajaubonus Ausgabe beforgte Jakob Gronovius
(Amjterdam 1670). Sie wurde von Henry Seard recht ungenügend in das Eng:
liihe übertragen (Xondon 1693).
In den Mittelpunkt der militärischen Tagesinterejjen trat Polybios
ım 18. Ihdt. durd) den Kommentar, mit welchem der Chevalter
de Folard die franzöjiiche Überjegung der Histoire de Polybe des
Tom Thuillier (Baris 1727 ff.) begleitete. Schon in der An—
fündigung (Nouvelles decouvertes sur la guerre dans une disser-
tation sur Polybe, Baris 1724) behauptete Folard, daß es ohne das
Studium des Bolybios (und jeines Kommentators) keinerlei Mittel gebe,
die Feldherrnkunſt zu erlernen.
Soldye Arroganz verjtimmte das militäriihde Publitum; denn dies war ges
wiß, daß Männer wie Gujtav Adolf, Tilly, Henri Rohan, Turenne, Conde,
Montecuccoli und der Prinz Eugen niemals den Polybios aufgeihlagen hätten
64 Altertum. I. Die Zeit der Republifen.
ganz abgejehen davon, daß fie gar nicht in der Lage gewejen waren, den ans
getündigten Kommentar zu lejen. Und da Folard aud) alle Gelehrten, die es
gewagt, vor ihm über das römische Kriegsweſen zu jchreiben (Livius, Machiavelli
und Lipfius nicht ausgenommen) kurzerhand als Ignoranten und Pedanten
behandelte, jo erregte er natürlich den Born und die Mißachtung der Philologen,
zumal dieje wuhten, daß Folard wenig oder gar fein Griechiſch verjtand, für das
Berjtändnis des Polybios aljo ganz wejentlid auf die Textwiedergabe jeines
möndifhen Mitarbeiters, eines gelehrten Benediltiner®, angemwiejen war. —
Die außgebreitete Polemil, welche jih an dies Wert Folards
antnüpfte und in der bejonder® Guiſchardt hervortritt, berührt natürlich
vielfach aud) Polybios ſelbſt. Doch wird auf fie erjt bei Betrachtung der Literatur
des 18. Ihdts. ausführlich einzugehen jein.
Sonjt find an Polybios-Arbeiten des 18. Jhdts. zu nennen:
Polybii Megalopolitani: De Militia Romana Libellus studio et opera
Poeschelii (Nürnberg 1731), eine jehr brauchbare Arbeit, welche den griedi-
ihen Zert und die lateinijhe Verſion jowie einen Kommentar mit bildlichen Dar:
jtellungen bringt. — Engliſche Überfegungen erjdienen von Spelman (174%)
und von Hampton (London 1756—1761). Die legtere ijt vorzüglid und wurde
oftmal® neu aufgelegt. — An die Folard-Kontroverſe fnüpfen an: Oels nitz
und Troßel: „VBerdeutfhung des Polybios mit den Anmerkungen Yolards und
Guiſchardts“ (Breslau und Berlin 1755—1759) und „Geſchichte des Polybios mit
den Auslegungen und Anmerkungen des Ritter v. Folard, vermehrt durch die
vortrefflihen Kriegsgedanfen des Herrn dv. Guiſchard“ (Wien, Prag, Triejt 175960).
— Bon de Gronoviud Edition veranftaltete Ernefti zu Leipzig 1763/64 eine
neue Ausgabe, der die Anmerkungen Cafaubonus’ angefügt find. — Eine dritte
Berdeutihung mit Folards und Guiſchardts Anmerkungen gab Seybold heraus
(Lemgo 1783), eine Übertragung in? Spanijhe Ruivamba (Madrid 1788.) —
Dann folgte die Tertrevifion von Shweighäufer (Leipzig 1789— 1795).
Im 19. Ihdt. gejtaltete die Bolybios-Literatur jich wie folgt:
Tertaußgaben von 3. F. E. Lehmann (1813), Jakob Seel und
Angelo May (Leiden 1829, Altona 1830, Berlin 1846). Polybii historiarum
reliquiae (Paris, Didot. 1839, 1859), 3. Better (Berlin 1844), 2. Dindorf
(Leipzig 1866— 68), Büttner-Wobjt (Leipzig 1882) und Hultſch (1867 —72).
Berdeutjhungen von Beniden mit Anmerkungen und bildfidhen
Darjtellungen (Weimar 1820), Haadh und Kraz (Stuttgart 1858— 75), Lampe
(Stuttgart 1861—63).
Überfegungen ins Franzöſiſche: Traduction d’un fragment Ju
XVII livre de Polybe trouv& dans le monastere de Saint-Laure au mont
Athos par M. le comte d’Antraigues (London 1806). — Traduction au
II vol. de la Bibl. militaire de Lickenne et Sauvan (Paris 1836). — Tra-
duction complette (Paris 1847), — Buchon: Ouvrages historiques de
Polybe, Herodien, Zozime (Orléans 1875).
Stalienijhe Überjegung nah Schweighäufer® Tert von Kohen
(Mailand 1824—28).
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 65
Schriften über Bolybios und jein Bert:
Nitzſch: Polybius. Zur Geihichte antifer Politit und Hiftoriographie
(Kiel 1842). Brandftäter: Bemerkungen über das Geſchichtswerk det Polybios
(Danzig 1843). Derjelbe: Gejchichte des ätoliſchen Landes und Volkes nebit Ab-
handlung über ®. (Berlin 184). La Roche: Charakteriftit de Polybios
(Leipzig 1857). Markhauſer: Polybius, jeine Weltanihauung und Stats—
lehte (Münden 1858). Valeton: De Polybii fontibus et auctoritate (Utrecht
1879). Rettig: Polybii castrorum R. formae interpretatio (Hannover 1828).
9. Droyfen: Die polybianifche Xagerbeihreibung (Berlin 1877).
8 20.
Die Schlacht von Pydna war der legte große Kampf, den die Legion
der Römer in ihrer alten Mantpularordnung durchfocht, der legte, zu
dem das Heer der Römer noch in einer Weile aufgebracht worden war,
die einigermaßen den alten Traditionen entiprach. Allerdings blieb
auch nach den mafedonijchen Kriegen die allgememe Wehrpflicht dem
Wortlaute des Gejeges nach bejtehen; tatjächlich aber verwandelte
jich die allgemeine Aushebung in ein Werbungswejen, demzufolge die
Reihen des Heeres ſich nur noc) aus den unteren Volfsklajjen füllten
und Schichten des Proletariates aufnahmen, welche in der guten Zeit
überhaupt vom Kriegsdienſte ausgejchlojjen blieben. Die höheren
Stände entfremdeten jich zum Teil dem SHeerdienit ganz, oder jie
begannen ihre Laufbahn gleich als Tribunen oder im Stabsdienjte
des Hauptquartiers. Dieje Anderung des Erjages hatte jofort
eine Rüdwirfung auf die Taktik. Wenn die an Kopfzahl jo
Ihwachen, kleinen Manipel taktiiche Selbſtändigkeit entwideln jollten,
jo mußten in ihnen ein jtarfer moraliicher Halt und ein hohes Map
ipontaner Intelligenz vorhanden jein. Dieje Elemente verminderten
fich jedoch infolge Verichlechterung des Erjages von Jahr zu Jahr.
Dazu fam die Erfahrung, welche man einem neuen furchtbaren Feinde
gegenüber auf dem Schlachtfelde zu machen hatte. Die feilfürmigen
Gewalthaufen der Kimbern und Teutonen drangen nämlich meiſt gleich
zu Beginne der Schlacht mit wütendem Ungejtüm durch die Intervalle
der Manipularjtellung bis in das Herz der Legion und erjchiwerten
es dadurc den römiſchen Feldherrn außerordentlich, von den Vor:
teilen ihrer auf nachhaltigen Kampf berechneten Treffenitellung Gebrauch
zu machen. Etwas Ähnliches hatte jich einst vor 200 Jahren gezeigt,
als man zum erjtenmale den Elefanten und der Phalanx des Pyrrhos
gegenüber getreten war. Damals wurde das Heilmittel darin gefunden,
Jahens, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 5
66 Altertum. I. Die Beit der Republifen.
daß man die Manipel der beiden eriten Treffen der Legion von 60
auf 100 Mann verjtärfte und den Kompagniekolonnen dadurch größere
Wucht und Widerftandskraft gab. Jetzt nun entſchloß man fich, je
drei auf gleiche Stärke gebrachte Manipel zu vereinigen und die jo
entjtandene, der Bataillonskolonne angenäherte Form als taftijche
Einheit, als Grundlage der Sclachtordnung anzunehmen. Dieje
neue taktiſche Einheit, nach der num auch die Stärfe der Heere an-
gegeben zu werden pflegt, wurde »cohors« genannt, und die aus zehn
jolchen Einheiten zujammengejtellte Legion wird als Cohortenlegion
bezeichnet.
Dem demofratijchen Zuge der Zeit und der gleichartigen Her:
funft aller Zegionen aus den unteren Volksklaſſen entjprechend, ver:
wiſchte ein entjchlofjenes Nivellierungsiyiten die althergebrachte Stufen:
folge der Velites, Haſtati, Principes und Triarii, und auch die legteren
empfingen das Pilum. Die römtjche Bürgerreiterei wurde gänzlich
bejeitigt: alle römischen Krieger jollten einander als ein fonformes
ichwergerüjtetes Fußvolf durchaus gleic) jein. Der Bedarf an leichtem
Fußvolk und an Neiterei wurde durch Auriliarvölfer befriedigt.
Anfangs jcheint Martus, auf den dieſe Umgeltaltungen der
Legion vorzugsweije zurüdzuführen jind, die Legion nur in einem
Treffen aufgejtellt zu haben, }päter in zweien, aber eng majjiert, und
ohne auf die frühere Anordnung Rückſicht zu nehmen, welche das
zweite Treffen auf die Intervalle des erjten Ddisponierte. Offenbar
will er nicht jowohl durch organtsches Zuſammenwirken, jondern mit
der Mafje als jolcher den Effekt hervorbringen. Hierin liegt eme
bedenkliche Abrwendung von dem altrömijchen Kampfprinzipe und eine
auffallende Annäherung an das phalangitijche Syitem, die
ihren vornehmiten Grund in der Verjchlechterung des Erjates hatte.
Bald traten aber auch noch andere Umstände ein, welche in der—
jelben Richtung wirkten, und in dieſer Dinficht find vor allem Die
Kriege mit den Parthern erwähnenswert. Die Notwendigfeit, ſich in
der Ebene einer jtarfen und gewandten Reiterei zu erwehren, drängte
unwillkürlich zu enger mechanischer Gejchlojjenheit, und jo darf man
denn nicht jtaunen, jowohl den Grafjus (53 v. Chr.) ala den Antonius
(36 v. Chr.) ihre Gohortenlegionen zu Phalangen zujammenfafjen zu
jehen, um dem immer wiederholten Anprall der jchnellen Feinde zu
widerjtehen. Freilich vergeblich !
2. Das Zeitalter der Alerandriner. 67
8 21.
Angefichts der unverfennbaren, jtet3 wachjenden Neigung der
römischen Heerführer zur Anwendung phalangitischer Taktik, ſowie
angejichts des völligen Schweigens der nationalrömiſchen Militär:
fiteratur iſt es begreiflich genug, daß, wie in allen andern Wiffen-
haften, jo auch im denen des Srieges die Griechen als Lehrer
der Römer aufzutreten wagten und als jolche auch wirklich An-
erfennung janden. War. jchon der jüngere Scipio ein eifriger Leſer
der Kyrupaidie gewejen?), jo klagt Marius laut darüber, daß die aus
dem römischen Adel hervorgehenden Feldheren ihre ganze Weisheit aus
den griechiichen Taktikern jchöpften.?) In der That weiß man das
z. B. von Cicero ?) wie von Lucullus. Diejer bereitete ſich auf der
Reife zu jeinem in Ajien jtehenden Heere durch jolche Studien zur
Kriegführung vor, und Cicero bemerkt in Bezug hierauf: »In Asiam
factus imperator venit, cum esset Roma profectus rei militaris
rudis« (!)*) — Die griechiichen Weltwetjen, zu deren Füßen damals
ja fait jeder junge Römer jaß, der irgend auf elegante Bildung An
ſpruch erhob, hatten das Gebiet der Taktif bekanntlich jeit den Tagen
des Sokrates mit Borliebe beadert. Zu den berühmtejten Ddiejer
Philoſophen gehört der Stoifer Pofeidonios von Rhodos, ein Freund
des Cicero und des Pompejus, und auch er bejchäftigte fich, wie das
Aelian überliefert, mit taktischen Studien?). Nun wird als einer der
hervorragenden Schüler des Pojeidonios ein gewijjer Asflepiodotos
genannt), und unter eben dieſem Namen iſt ung eine Taktika überliefert,
deren jchematische Grundlage vermutlic) aus ähnlichen Werfen mafe-
donticher Autoren entlehnt iſt und in ihrer trodenen, geiſtloſen Haltung
den Eindrud macht, als habe man es nur mit einem Abriß, einer
Unterlage zu freien Borträgen zu thun. Hierauf und auf den aller:
dings auffallenden Umjtand, dat Aelian das Buch des Asklepivdotos
zwar benußt, ihn aber nicht genannt hat, gründet jich die Hypotheſe,
daß dieje Schrift nichts anderes jei, al$ das von Asklepiodotos heraus:
gegebene Kollegienheft des Pojeidonios ?).
') Cic. Quint. fratr. I, 1; 8, 23. *) Sallust. Iug. 85, 12. ) Cie. Epist. fam. IX, 25.
($1 9. Ehr.). *) Cic. Acad. II, 1, 2.
5) Bgl, über Bojeidonios: Bake: Posidonii Rhodii reliquiae doctrinae. Lugd. Bat. 1810
und Müller: Fragment. histor. Graec. III, p. 245—29.
© Seneca: Naturales quaestiones II, 26, 6 u.a. a. ©.
) Bel. Djann: Der Taltifer Asklepiodotos. (Zeitſchr. f. d. Altertumswiflenichait. 1853, ©. 313.)
5*
68 Altertum. I. Die Zeit der Republiten.
Die raxrıza des Philoſophen Aflepiodotos!) zerfallen im
12 Kapitel. Das 1. handelt von den verſchiedenen Waffengattungen, bringt aber
lediglih die Nomenklatur; das 2. gibt Stärfe und Benennung der Unterabtei-
lungen der Hoplitenlinie; im 3. Kapitel, welches von der Verteilung der Leute
in ber ganzen Linie und ihren Abteilungen jpridht, tritt ein jtarrer Pedantismus
hervor, der die Tüchtigkeit der Truppen mit Benfurnummern belegt, auf Grund
derer die Aufjtellung zu erfolgen habe. Es heißt da z. B: „Sowohl die ganze
Linie als die einzelnen Abteilungen werden nad) dem geometriihen Verhältnis
angeordnet, jo daß von vier Abteilungen ſtets die tüchtigfte auf dem rechten
Flügel rechts zu jtehen fommt, die zweittüchtigfte links und die dritte rechtö auf dem
inten Flügel, die vierte aber auf dem rechten Flügel links. Bei jolder Aui-
ftellung wird die Leijtungsfähigkeit beider Flügel gleidy jein; denn, jo fagen die
Geometer, dad Recdhted aus No. 1 und No. 4 iſt gleich dem aus No. 2 und No. 3,
wenn Wo. 4 zu den drei erften die vierte Proportionale ijt.“
Das 4. Kapitel handelt von den Abjtänden, das 5. in oberflädhlicher Art
von den Waffen; das 6. bejpricht die Linie der Leichten und Beltaften und deren
Bliederung; das 7. die Neiterei, wobei eine Menge taktiicher Phantafien und
Epielereien aufgetiiht werden. Die Kapitel 8 und 9 maden in ihrer fteifen
Nomenklatur von Wagen: und Elefanten-Abteilungen einen geradezu lächerlichen
Eindrud, wenn man erwägt, daß fie in Cäſars Tagen gejchrieben wurden. Das
10. Kapitel behandelt die Lehre von den Evolutionen und läßt eine jeltfame Bor:
liebe für Dreiteilung erfennen, die aud an anderen Stellen hervortritt und
darauf ausgeht, immer zwei Gegenſätze und ein Mittelglied zu unterjheiden. Im
11. und 12. Kapitel, welde von den Marjhordnungen und den Befehlöworten
reden, jteigert die Spipfindigkeit ji aufs äußerfte, während nirgends aud nur
eine Spur praftijcher Erfahrung oder geſchichtlicher Beziehung hervortritt.
M. T. Cicero hat im Jahre 66 v. Chr. eine Rede De imperio
Cn. Pompei zu gunjten der Übertragung des Heerbefehls gegen
Mithridates an Pompejus gehalten, in welcher er ſich über Die
Eigenjchaften eines großen Feldherrn ausjprad)?).
ALS die vier Hauptfaltoren bezeichnet der berühmte Nedner: Scientia rei mili-
taris, virtus, auctoritas und felicitas. Zu den bejonderen Yeldherrutugenden
zählt er: Labor in negotiis, fortitudo in periculis, industria in agendo, ce-
leritas in conficiendo und consilium in providendo. — Bald jollte der Mann
auftreten, welcher dieje Eigenjchaften im höchſten Maße bejaß, während er von
den ergänzenden ethiſchen Tugenden, die Cicero fordert: Innocentia, temperantia,
fides, facilitas, ingenium und humanitas, auf die erjte und dritte freilich faum
Anſpruch erheben durfte.
1) Zum erftenmale vollſtändig, gried. und deutſch herausgegeben von Köchly und Rüftom in
den griech. Kriegsjchriftftellern II. Bb., 1. Ubt., ©. 127—197.
2) Bol. F. Fröhlich: Feldherren und Felbherrentum im alten Rom zur Beit ber Republit
(Aarau 1885).
11. Das halbe Jahrtauiend des römiihen Imperiums. 69
II. Bapifel.
Das Kalbe Iahrtaufend des römilchen Imperiums.
I. Gruppe.
Das Beitalter des Prinzipats.
8 22.
An der Schwelle diejes Zeitraumes jteht die gewaltige Gejtalt
Täfars. — «Nommer C6sar, c'est nommer le genie de la guerrel»
ruft ein begeijterter Interpret des großen Julius aus!). Wie anders
aber hat jich dies Genie entwidelt als das der meisten Herven der
Kriegskunft! Noch nicht dreißig Lebensjahre zählten Alerander,
Hannibal, Friedrih und Napoleon, als jie zuerjt ihre Deere zu
glänzenden Siegen führten; Cäjar dagegen trat den Oberbefehl an,
ald er bereit3 im fünften Jahrzehnte jeines Lebens jtand, ohne den
Krieg vorher anders als ganz gelegentlich) und in untergeordneter
Stellung kennen gelernt zu haben. Jedoch von Jugend auf in das
leidenſchaftlichſte Parteitreiben umd im die jchwierigjten Intriguen
eingeweiht, kannte er die Menjchen durch und durch, und hierin
vornehmlich wurzelt auch jene Feldherrngröße. Daß eme Natur
jolher Art das Wejen der Kriegskunſt nicht im den taktischen Formen
ſuchen konnte, liegt auf der Hand; Cäſar hat diejelben vortrefflich zu
würdigen und zu verwenden gewußt und fie gelegentlich jogar bereichert
und verbeijert; im großen und ganzen jedoch nahm er fie hin,
wie er fie überfommen hatte, um den vollen Nachdruck ſeines
gewaltigen Wollens und Könnens nach der Seite des großen
Krieges zu wenden, und zwar unter beitändiger, niemals geloderter
Beziehung der Strategie zur Politik. Hier liegt der Schwerpunft
jemer kriegskünſtleriſchen Wirkſamkeit, und eben unter diefem Geſichts—
punkte it Cäjar durchaus jchöpferiich und epochemachend. — Es liegt
außerhalb der Aufgabe diejes Werkes auf jene Wirfjamfeit auch nur
m den äußerſten Umrifjen einzugehen; denn es handelt fich hier nicht
um die Darjtellung der Kriegsgeſchichte, bzgl. der Kriegskunſt,
jondern um diejenige der Kriegswiſſenſchaft, und wenn man diefen
Gefichtspunft ftreng nimmt, jo würden auch die Schriften Cäjars,
») Graf Zurpin de Erifie (1785).
70 Altertum. II Das halbe Jahrtaujend des römischen Imperiums.
jeine „Kommentarien“ hier mit Stillfchweigen zu übergehen jein;
denn jie jind feineswegs eine Arbeit, welche jich mit der Theorie
des Krieges oder feiner Hilfsmittel beichäftigt, jondern es ſind
Denkwürdigkeiten; aber als SHinterlaffenichaft eines der größten
Kriegsmeifter aller Zeiten jowie als Ausgangspunkt und Mittelpunkt
einer militärliterariichen Bewegung ohnegleichen, der wir im Laufe
der Jahrhunderte immer aufs neue begegnen werden, muß ihrer doc)
auch an diejer Stelle, wenigjtens andeutend, gedacht werden.
C. Julii Caesaris commentarii de bello Gallico
et civili zerfallen, wie jchon der Titel andeutet, in zwei Haupt—
teile: in die Kommentarien über den Krieg in Gallien umd in die
jenigen über den Bürgerkrieg.
Die commentarii de bello Gallico find in adt Bücher geteilt,
deren Inhalt im weſentlichen dem der acht Kriegsjahre entjpricht (58—51 v. Ehr.).
Das 1. Bud bringt nad) der Einleitung die Schilderung der Feldzüge gegen die
Helvetier und gegen die Sueven unter Ariovijt; das 2. erzählt den Krieg gegen
die Belgier und die Einnahme von Aduatuca durch Cäſar, ſowie die Erpedition
des Legaten Erajjus nad) Armorica. Der Weiterführung legterer Unternehmung
dur Eälar, insbejondere der Bekämpfung der Beneter, ift das 3. Buch gewidmet.
Im 4. jcildert Cäſar jeinen weſentlich böfer Lift verdankten Sieg über die
germanijchen Ufipeten und Tentterer, jeinen erften jechzehntägigen Streifzug über
den Rhein und die Rekognoszierung Britanniend mit zwei Legionen, der dann
im folgenden Jahre die zweite Überjchreitung des Kanal und die Bejigergreifung
der britiſchen Sübdküfte folgte. Diefem Unternehmen, jowie den unglüdlichen
Kämpfen der Cäjarifhen Legaten gegen Eburonen und Trevirer ift das 5. Buch
gewidmet. Das 6. jchildert die Unterwerfung der Eburonen und Trevirer durch
Cäſar und Labienus jowie den zweiten Rheinübergang, und bringt interefjante
Exkurſe über die Sitten der Gallier und Germanen. Das ganze 7. Bud endlich
ijt erfüllt von der Darjtellung des Kampfes gegen Bercingetorizr, den hochjinnigen
und begabten Reltenfürjten, der an der Spige der wejtlichen und füdlihen Stämme
Galliend den Widerftand gegen die Römer zum erjtenmale in großartiger und
einheitlicher Weije organifierte. Die Belagerungen von Gergovia, Avaricum und
Ulefia find die Hauptmomente diejed Kampfes, und die Schladht vor Alefia ent>
jeidet den Srieg zu Cäſars Gunsten. — Das 8. Bud, welches die völlige Unter:
werfung Galliens jchildert, ift nicht mehr von Cäſar jelbjt, fondern von jeinem
Bertrauten Hirt ius geichrieben.
Die Commentarii de bello civili zerfallen in drei Bücher, welche
den Krieg Cäſars gegen Pompejus vom 1. Jan. 49 v. Chr. bis zu des Pompejus
Tode in knapper Form lebendig jchildern. Hauptmomente find die Schlachten
von Dyrrhahium und Pharjalus. Dieſe drei Bücher wurden wieder von Cäſar
jelbjt verfaßt, bieten aber von dem Gejamtverlaufe des Bürgerfriege® nur ein
Bruchſtüch, welchem jic eine Reihe von Fortjegungen aus jremder Feder anſchließt.
1. Das Zeitalter des Prinzipate. 71
— Zunächſt ſchildert das Bud) de bello Alexandrino die Berwidelung Cäſars
in den Alerandrinijchen Krieg und die gleichzeitigen Vorgänge in Bontus, Illyrien
und Spanien, jowie den Sieg über Pharnafes (Veni, vidi, viei! 47 v. Er.)
Dieje Arbeit rührt unzweifelhaft wieder von Hirtius her. Ahr reiht fich das
Bud de bello Africano an, welches von der Niederwerfung des Metellus Scipio
und Catos von Utica bei Tapjus (46), fowie von der Verwandlung Numidiens
in eine römijche Provinz berichtet. Offenbar gehörte der Autor auch diefer Schrift
der näheren Umgebung Cäſars an, war jedody minder bochgebildet als Hirtius.
Bedeutend tiefer jteht dann freilid noch ein dritter Fortſetzer, der Verfaſſer des
Buches de bello Hispaniensi, welcher die Ereignijje des gegen die Söhne des
Pompejus geführten Krieges bis zu Cäſars Sieg bei Munda jhildert (45 v. Chr.).
— Bermutlih hat Auguſtus bei einer von ihm veranftalteten Redaktion des
biftoriichen Materiald über die Bürgerfriege dieje Nacdarbeiten mit Cäſars bis
dahin wohl noch nicht veröffentlichten drei Büchern vereinigt. Aber auch diefe
drei Bücher jelbjt jcheinen in ſich eigentlich nicht vollendet zu jein; fie enthalten
jehr viele Unridtigfeiten und Nadläfligkeiten und find ſchwächer und flüchtiger
gearbeitet als Cäſars jieben Bücher des galliihen Krieges.
Es liegt in der Natur der Dinge, daß die Schriften des Mannes,
der im Zenithe der Gejchichte Roms jteht, die Schriften des erſten
der Gäjaren, des Großmeiſters der römischen Kriegskunſt, von
Philologen, Hiſtorikern, Kriegern und Fürſten jeit jeher eifrig ediert,
jtudiert und fommentiert worden jind. Den Löwenanteil der Be
ihäftigung mir ihnen haber die Franzoſen vorweggenommen, und
das iſt natürlidy genug. Nicht nur weil ihre Milttärliteratur über-
haupt reicher tt al8 die deutſche, jondern auch, weil Cäſar ihnen
näher jteht al8 uns. Hat er doch Gallien der romanijchen Bildung
geöffnet; tt er doch als Vater des Cäſarismus den Franzoſen geijtes-
verwandt. „Wie viele meiner Landsleute“, jo ruft Graf QTurpin
de Criſſe aus, „Eennen faum den Namen der Krieger, welche ihr
Baterland verteidigt haben, während fie alles wiſſen, was Cäſar
that, um es zu erobern!“ Kein Wunder, daß ie jeinem literariſchen
Nachlaſſe jo liebevolle Aufmerkjamfeit zugewendet haben. — Er ift
aber auch des Studiums wert, jowohl der Form als dem Inhalte
nach. Cicero, der wahrlicd,) em lauer Freund Cäjars war, iſt dod)
entzüdt von der Einfachheit des Stils der Kommentare. Treffend
bemerft Quintilian: Cäſar habe in demjelben Sinne gefchrieben wie
geitritten. (Eodem animo scripsit, quo bellavit.!) In der Tat
ı) Die Urteile der Alten über Cäſars Wert find gejammelt in Oudendorps Wusgabe
der Rommientarien t. Il, p. 365 ff. (Leyden 1737). Cäſar jelbft bezeichnete jeinen Stil treffenb und
zugleih anjpruchelos als bie „Schreibweife eines rieggmannes”.
72 Altertum. IL Das Halbe Jahrtaujend des römiſchen Jmperiums.
tragen die Kommentare den Stempel jeines Genius. Überall treten
jener Scharfblid, jene Schlagfertigfeit, jene Sicherheit des Urteils,
jene Klarheit des Geijtes, jene Ruhe der Seele und jene tiefe Kenntnis
des menjchlichen Herzens zu Tage, die den Imperator in jo vielen
Schlachten jiegen liegen. Montesquieu hat Recht: «Quelques pages
de Cesar sont des volumes !)!»
In rein militäriſcher Hinſicht haben die Kommentarien
doppeltes Intereſſe: ein gejchichtliches, injofern fie zum VBerjtändnifje
der Ereignifje und des römischen Kriegsweſens beitragen, und ein appli-
fatorijches, injofern jie darthun, wie ein großer Feldherr unter
bejtimmten Umftänden den Krieg geführt. Diejenigen Werfe, welche
fi) mit der hiſtoriſchen Kritik der cäſariſchen Denkwürdigfeiten
beichäftigen, fünnen bier ebenjowenig bejprochen werden, wie die
unermeßlich große Literatur der Ausgaben und Überjegungen. Ich
habe es verjucht, in einer bejonderen Abhandlung ein überjichtliches
Bild derjelben zu geben, auf das ich wohl verweiien darf?) Auf
die applifatorijchen Werfe aber joll bei der Betrachtung der
Zeiten eingegangen werden, in denen jie entjtanden jind und die ſich
in ihnen jpiegeln.
Eine fritiiche Würdigung des militärischen Wertes der Kommen
tarien hat natürlich) mit der Vorfrage nach ihrer Glaubwürdigkeit
zu beginnen, und Ddieje Frage hangt wieder eng zujammen mit der
nad) der Entjtehungsmweije, der Entjtehungszeit und dem
Zwede der Kommentarien, welche Gegenjtand manntgfacher
Unterjuchungen und Kontroverjen gewejen jind. Als Ergebnis der—
jelben darf man die Behauptung aufitellen, daß die Glaubwürdig—
feit der cäjariichen Denkwürdigkeiten entichieden größer jei
als die der anderen antiken Schriften, welche den gleichen Gegen
ftand behandeln. Indeſſen unbedingt iſt dieſe Glaubwürdigfert
!) Esprit des lois; liv. 30, ch. 2.
*) Mar Jähns: Cäſars Hommentarien und ihre literarische und kriegswifienichaftliche Folge
wirfung. (Beibeit zum Militärtwochenbfatt. 1883, VII.) — Die neueften kritiſchen Ausg. Gäfars find
die von Dinter (Leipzig 1864), Rheinhard (Stuttgart 1881) und Holder (Freiburg 1882); die
neuejte Verbeutichung des gall. Strieges iſt die von Rößler (1882), der gejamten Kommentarien die
von Oberbreyer (Leipzig 1877). — Für die ſachliche, namentlich die topographifche Erflärung der
Kommentarien find die Franzoſen von jeher jehr tätig gewefen und haben unter Rapoleon III. in
diefer Beziehung Außerorbentliches geleiftet. Den Preis in der philologifhen und militärifchen Hritit
wird man jedoch den Deutichen faum beftreiten können, und in leßterer Hinſicht find des Firbrn. o.
Göler „Eäfar gall. Krieg und Teile feines Bürgerkrieges“ (Tübingen 1880), jowie Rüftows „Heer⸗
weien und Sriegführung E. Julius Cäſars“ (Morbhaufen 1855) die maßgebenden Werte.
1. Das Zeitalter des Prinzipats. 73
feineswegs. Cäſar hatte jo eminentes politiiches und perjünliches
Intereffe und war ein jo vollendeter Meifter des Stils, daß es
jehr begreiflich it, wenn man in den Kommentarien jiegreiche Unter:
nehmungen mit jcharfer Klarheit dargeitellt, ungünjtige Creignifje
bewunderungswürdig verjchleiert findet. Cäſar jtellte jich in der
Weiſe dar, wie er vor Mit- und Nachwelt zu erjcheinen wünjchte:
immer umringt von jehr großen Gefahren, die aber doch ſtets geringer
iind als die Macht jeines unerjchöpflichen Genies und jeines unmwandel-
baren Glücks; alles wiſſend, alles vorausjehend, alles zum beiten
wendend, dem Julium sidus, jeinem Sterne, trauend, jo wünjchte
Cäſar zu fein, jo war er auch in jeiner Spealität, jo hat er fich
jelbit gejchildert, und jo ging jein Bild auf die Nachwelt über. Die
Einzelheiten ſeines Berichtes jind dabei oft nicht jtichhaltig. Es
finden jich bemerfenswerte Ungenauigkeiten bezüglich der Heeresitärfen,
Entfernungen und anderer Elemente der Operationen, Verzerrungen
und Verſchweigungen, die jich nicht weginterpretieren lafjen.
Niemand hat das jhärfer erkannt, als der Verfafjer der berüchtigten Bulle-
tins de la Grande Armde. Napoleon I. zog die Wahrhaftigkeit von Cäſars
Bericht entichieden in Zweifel, namentlich die des 7. Buches des galliihen Krieges,
welches durhaus im politijchen Sinne arrangiert fei. Mommijen jagt: „Cäſars
in Form eines MilitärberichtS entworfene Gelegenheits- und Parteiichrift ift ſelbſt
ein Stüd Gejchichte wie die Bulletins? Napoleons; aber ein Geſchichtswerk im
tehten Sinne ijt fie nicht und fol fie nicht jein; die Objektivität der Darftellung
it nicht die des Hiftoriters, jondern die des Beamten. Allein in diefer befcheidenen
Gattung ijt die Arbeit meifterlih und vollendet, wie feine andere in der ge-
jamten römiſchen Literatur“.
Diefe doch immerhin bedingte und beſchränkte Glaubwürdigkeit
der Kommentarien und andererjeitS der Umſtand, dab auch da, wo
der Verfaſſer nicht verjchweigen oder verjchleiern wollte, jein Text
dem Verſtändniſſe oft bedeutende Schwierigfeiten bereitet, ſchmälern
natürlich den Wert der Schriften Cäjars für das militärische Studium.
St doch jene Ausdrucksweiſe auf Lejer berechnet, welche mit den
formalen Grundjägen der römischen Kriegsorganijation und Taktik
völlig vertraut waren; wir Moderne aber find das nicht mehr, und
o bleibt der Auslegungskunſt ein nur allzumweites Feld, deſſen Ab—
grenzung und Ausfüllung um jo jchwieriger iſt, je mehr dazu ein
höchſt beſonnenes Zuſammenwirken philologijcher Kritik und militärijcher
Livination gehört. So begreift es jich, daß die Nejultate, welche
74 Mltertum. II. Das halbe Yahrtaufend des römischen Imperiums.
die verjchtedenen Schriftiteller aus Cäjars Angaben geivonnen haben,
vielfach vonemander abweichen uud oftmals in wejentlichen Punkten,
und Dies modifiziert dann natürlich auch das Urteil über Cäſar
jelbjt, zumal als Feldherrn, jowie die Grundjäge, welche man aus
jeiner Haltung ableiten möchte!). — Trogdem haben ausgezeichnete
Kriegsmänner aller Zeiten ſich an feinem Vorbilde zu belehren und
zu verfemern geſucht.
Indem der Herzog von Rohan dem Könige jeine Schrift über Cäſars
Kriege überreicht ), bezeichnet er Cäſar als den größten Feldherrn, der jemals auf
Erden gelebt, und hebt an ihm befonder® hervor »une conduite prudente en
ses dessins, une diligence merveilleuse en ses ex&cutions et une constance
admirable aux difficultes qu'il a rencontrees au fort de ses affaires. Bil
a t6moigne quelquefois de la tömerite, g'a étéè peu souvent et pour montrer
seulement que son courage ne cédoit point à celui d’Alexandre le Grand«.
— Die Abfiht Neumayrs von Ramßla, eined ausgezeichneten thüringijchen
Kriegsichriftitellers des 17. Ihdts., bei der Herausgabe jeiner „Militärijchen Er—
innerungen und Regeln aus Cäjard Commentar“ (Erfurt 1637) kennzeichnet er
jelbjt dahin, da8 Wert des „durch die ganze Welt befannten, glüdhafften Kriegs—
und Siegedfürften Cäjaris in gewiſſe militäriiche PBräcepta und Regeln zu faflen,
da des Cäſaris Schrifften doch eine norm und Regel find, nad welchen man einen
Krieg mit militarifher prudentz anfahen und fortiegen, aud glücklich binaus-
führen kann.“
Indeſſen hat dem Verfaſſer der Kommentarien jelbit nichts ferner
gelegen, als militäriſch zu belehren.
Dies Hat jhon Folard Hervorgehoben, und dementiprechend äußert Buy-
jegur: »Les commentaires sont 6crits de main de maitre, mais ne donnent
aucun principe et ne peuvent ötre utiles qu’& ceux, qui sont déjà savants
dans la guerre«. In ähnlidem Sinne jagt audh Graf Turpin de Erijie:
»Cesar n’annonce ni theorie, ni principes: ils sont dans la chose m&me.
ll ne dit point ce qu'il faut faire; il le fait; il instruit le lecteur par des
actions et non par des discours«. ber er fügt hinzu: »L’&tude des pre
ceptes surcharge la m&moire et fatigue l’esprit; la lecture des grands
exemples élève l’äme, l’excite & l’imitation et l’agrandit: c'est ainsi, que
Cesar paroit s’&tre form& lui-m&me par l'’experience d’autrui sans le se
cours des theories et des syst&mes. Il avoit etudie l’histoire des cam-
pagnes des grands capitaines, en cherchant la raison du triomphe et celle
1) Urteile der Alten über Eäjar als Feldberrn finden fich bei Sueton: Caes. 35.
58, 60, 65—67; bei Blutarh: Caes. 15—17, 30, 43; bei Dio Caſſius XLII, 56; bei Cicero ad Atzı
VI, 7,6; VIII, 8, 14; IX, 18 und ad Fam. VIII, 15, 1; bei Blinius VII, 25; bei Zucan I, 140 #. |
bei Rolyän VIII, 23, 17 ff.; bei Frontin IV, 71; bei Balerius Mar. III, 2, 28.
*) Le parfait capitaine, un abregé des guerres des Commentaires de César (1631)
») L’art de la guerre par principes et par regles (Paris 1749).
1. Das Beitalter des Prinzipats. 75
de la defaite... Cette maniere d’etudier est indiquee par la nature
meme. Dans toutes les sciences, la pratique et l'’observation ont devance
les théories, qui n'en sont que le r&sultat, mais presque toujours sujet à
revisione. Eben aus diejen Gründen jchlägt Graf Turpin den Wert der Kom—
mentarien für das militäriihe Studium doch überaus Hoh an. »C'est en
voyant agir les grands capitaines, que l'on concoit des grandes idees...
Du moment, qu'on & fait une dtude profonde de l’Art de la guerre, on a
port ses regards sur les grands capitaines de la Grece et de Rome;
on a cherch@ & se former par leurs exemiples... Mais on a bientöt re-
connu avec chagrin, que la plupart des auteurs ne donnent que des no-
tions confuses.... Tl faut des historiens, qui ont vu des sieges et des
combats, ont approche des Generaux, ont commande eux-mömes. Mal-
heureusement de tels historiens sont rares; on peut en compter quatre
parmi les Grecs (Thucidide, Xenophon, Polybe et Arrian); il n'est qu’un
seul parmis les Latins; mais celui-lä, c’est Cesar. Les Commentaires sont
le plus pr&ecieux monument, qui nous reste de l’antiquite«!).
Bei weitem weniger günftig urteilt Friedrich der Große über den Nußen
des Studiums Cäſars. Er jagt in der Vorrede zu jeinem Ertrait aus Folard:
Lart de la guerre, qui mérite certainement d’ötre étudié et approfondi
autant qu’aucun des autres arts, manque encore de livres classiques. Nous
en avons peu. Cesar dans ses Commentaires ne nous apprend guere
autre chose, que ce que nous voyons dans la guerre des pandours; son
expedition dans la Grande-Bretagne n'est autre chose; un general de nos
jours ne pourrait se servir que de la disposition de sa cavalerie à la journde
de Pharsale ?).e Damit wird er nun freilid Cäſar wirklich nicht gerecht. Aber
auh Napoleon I. ijt nur halb befriedigt von den Ergebnifien jeines Cäſar—
tudiums. Er erflärt Cäſar für dunfel. Niemals jpreche er fich über die Stärke
eines Heeres und über die Lage ded Kampfplapes genügend aus. »Ses batailles
n'ont pas de nom«?). Aber an anderer Stelle hebt der große franzöfijche
triegsmeiſter doc Hervor, daß die Feldherrngrundjäge Cäſars ganz diejelben ge-
wejen jeien, wie diejenigen Aleranderd und Hannibald. „Sie bejtanden darin,
eine Macht vereint zu Halten, nirgends verlegbar zu jein, mit Bligesichnelle ſich
wmf wichtige Bunte zu werfen; fie bejtanden in der Benußung geiftiger Hebel,
samentlich jeines Waffenruhmes und des Schredens jeines Namens, jowie endlich
n der gejdiidten Verwertung politiiher Mittel” 4).
Y) Commentaires sur les Institutions militaires de Vegece (Paris 1779) und Com-
»entaires de Cösar (Montargis 1785). Beidemale in ben Discours preliminaire,
») Avant-propos de l’extrait tir& des Commentaires du Chev. Folard (1753). Der
Jinweiß auf den Panburentrieg erinnert lebhaft an eine Bemerkung Warnerys, mwelder die Er-
wbition nad Britannien mit Hadils Zuge nad Berlin vergleiht. Sowenig Hadik Preusen unter:
serien babe, jowenig Cäjar Britannien.
2) Precis des guerres de J. Cesar. 3° observation sur la campagne d’Alexandrie.
dech abfälliger ald hier ſprach Napoleon ſich gegenüber feiner Umgebung auf St. Helena aus. Bgl.
'omte de Las Cases: M&morial de St. Helöne. (Paris 1821) II, p. 410.
“, Montholon: M&moires de Napoleon II, 10.
76 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaujend des römiſchen Imperiums.
Einigermaßen wird der Wert des Studiums der Feldzüge Gäjars
auch beeinträchtigt durch die Natur der Bedingungen, unter denen er
Krieg geführt, namentlich in Gallien durch die Natur jener Gegner.
Während des größten Teild des neunjährigen Eroberungdfrieges entwideln
die Kelten allerdings jene unbejtändige, leidhtjinnige, unvorfihtige Strategie, welche
allen halbkultivierten Stämmen eignet. Solche Volksverbände vermögen fid wohl
einmal zu einer glänzenden Einzelunternehmung zufammenzujdliegen und dabei
zuweilen Züge erjtaunliden Kriegsinſtinktes zu ofienbaren; aber jie find unfähig,
auf die Dauer großartige Unternehmungen durdzuführen, und daher erliegen fie
zu allen Zeiten der methodijchen Kriegführung vollzivilifierter Gegner, falls dieje
nicht in jozialpolitifher Hinjiht ſchon jehr tief gejunfen jind. Napoleon I. legt
in feinem Precis des guerres de C&sar auf die Uneinigfeit der galliihen Stämme
geradezu dad entjcheidende Gewicht. Damit aber thut er dem großen Im—
perator doch wohl Unredt; denn enticheibender noch als jene Zerfahrenheit der
Feinde ijt Cäſars militärpolitiihe Kunft, die jede gebotene Gelegenheit Hug und
jchnell benugt. Mit welcher Meiſterſchaft handelt er im Sinne de »Divide et
impera!« Wie verfteht er e8, gleich zu Anfang des Strieged, Senat und Adel
der Aeduer von der patriotiich gejinnten Volksmaſſe loszulöfen! Mit ‚welcher
rüdfichtslofen Entjchlofjenheit weiß er (man denfe an die Ermordung de Dum-
norir, an das verräteriihe Verhalten gegenüber den Häuptlingen der ausge—
wanderten Germanen u. a.) fich gefährlicher Berjönlichleiten zu entledigen oder fie
do unjhädlih zu mahen! Wie Hug und gewandt nugt er nicht nur die Eifer-
judht der Stämme, jondern auch die Nebenbuhlerſchaft der Parteihäupter aus!
In rein ftrategifher Beziehung ijt allerdings zuzugeitehen, daß einige der be-
rühmtejten Momente des langen Kampfes in Gallien, namentlidy die Erpeditionen
auf das rechte Rheinufer und über den britifchen Kanal, eben nur Demonjtra=
tionen und Schaufjtüde waren. Indeſſen fie erfüllten ihren Zweck ſowohl gegen:
über den Barbaren als gegenüber dem römijhen Publikum.
Bewunderungswürdig aber im feltiichen wie im Bürgerfriege
jind Cäſars nie erlahmende Initiative, jeine Entichlojjenheit, jeine
Beweglichkeit. Welch wunderbares Schaujpiel diejer Bürgerkrieg,
der in Italien beginnt, nad) Gallien und Spanien überjpringt, ſich
in Epiros der Entjcheidung naht, dann in Ägypten fortbrennt, im
Alien wieder erplodiert und im Afrifa nur zur Ruhe zu fommen
icheint, um in Spanien aufs neue aufzuflammen und bier dann
endlich wirklich ausgetreten zu werden. Einen jolchen Krieg binnen
vier Jahren zu führen und glüclich zu beendigen, dazu bedarf es,
abgejehen von aller jtrategijchen und taktiſchen Kunst, auch vollendeter
Meijterichaft in organijatorischer und admintjtrativer Beziehung, in
der Kunit, die Truppen vollzählig zu erhalten, jie jachgemäß zu
nähren, zu bejolden, zu retablieren; es bedarf weitausjehender Elug-
1. Das Zeitalter des Prinzipats. 17
berechneter Kombinationen und Dispojitionen für Heeresbewegungen,
die, von Weltterl zu Weltteil wechjelnd, über Land und Meer auf
ungeheuere Entfernungen auszuführen find; es bedarf einer oft nahezu
divinatorischen Virtuojität auf jenem Gebiete der Kriegskunſt, welches
die byzantintichen Kriegsgelehrten und nach ihnen die des 18. Ihdts.
als das der „Logiſtik“ bezeichneten.
Cäſar jelbit fand, wie Rüſtow bervorhebt, den bezeichnenden
Unterichted der römijchen Kriegsmweije von der der Bar-
baren: in der Bejegung enticheidender Bunfte, in der Zagerbefeitigung
und in dem Streben, den Feinden die Verbindungen abzujchneiden.
Zur Feirftellung der entjheidenden Punkte war Cäſar ſtets be—
itrebt, vor dem Kriegäbeginne Nachrichten über den Schauplag wie über das
Weſen der Gegner einzuzichen, eine Vorbereitung, welche ihm fo wichtig jchien,
dab er 3. B. den erjten Zug nad Britannien lediglih im Sinne einer großen
Rekognoszierung und darum auch nur mit zwei Legionen unternahm. Übrigens
handelte es fidy bei Feſtſtellung des enticheidenden Punktes keineswegs bloß um
die Natur des Geländes oder die Einrichtung feiter Plätze; vielmehr fam es aud)
darauf an, den wichtigſten Sammelpunft der Feinde zu erfennen, um mit defjen
Ergreifung zugleich ein zweites Anliegen Cäſars zu befriedigen: die Teilung
der@egner, die Möglichkeit, fie einzeln zu jchlagen. Meift waren dann freilich
derartige Plätze zugleich Ortlichleiten, durch welche ſich der freie Eintritt in das
Kriegdtheater öffnete: jo der Rhönewinkel bei Lyon oder Orleans mit der Loire
brüde. Das Ergreifen folder Buntte erfordert Entſchloſſenheit und Schnelligkeit;
in beiden war Cäſar groß.
Bon dem erreihten Schlüfielpunfte aus galt e& nun, die Entſcheidung
zu judhen, entweder, indem man dort den Yeind erwartete und abwehrte oder
indem man ihn aufjudhte. Cäſar that ſtets das legtere; defenfive Momente find
nur jelten eingemijcht in jeine Feldzugspläne; er geht immer gerade auf jein
Biel, d. 5. auf den Feind jelbjt los, und dementiprehend zog er aud), wenn
möglich, die Angriffsihladht im freien Felde den Belagerungen vor.
An Zahl war Cäſar meijt ſchwächer als jeine Gegner; aber er vertraute
auf die Waffenübung, Arbeitäfraft und Siegeszuverjicht jeiner Legionen und nidt
zum mwenigjten auf jein eigenes Genie. Die zahlenmäßige Schwäde nötigte ihn
zur®ereinigung ſeiner Kräfte, und er verjtand es, die damit verbundenen
ihwierigen Aufgaben ganz bewunderungswürdig zu löjen. Im helvetifchen Feld-
zuge wie in dem gegen Arioviſt behielt Cäſar fein ganzes Heer von 6 Legionen
eng beijammen; den Feldzug gegen die Belgier eröffnete er mit dem vereinigten
Heere von 8 Legionen. Am meiften mußte er jeine Kräfte zu Beginn deö Bürger:
frieged teilen, ald Pompejus ihm bei Brundufium entgangen war; er verfügte
nun auf dem Hauptkriegsſchauplatze in Spanien nur über 6 Legionen, die er
dann allerdings ſtets geichlofien hielt, während zugleich 3 Legionen Mafjilia be»
logerten, 4 nad Sizilien und Afrika und 1 nad Sardinien gingen. Gegen
78 Altertum. IL Das Halbe Jahrtaujend des römijhen Jmperiume.
Bompejus in Epirus brachte er 10 Xegionen zujammen und vereinigte von diejen
100 Kohorten — 82 auf dem Schladytfelde von Pharjalus!
Der Schlacht diente ftet dad Zager als Stützpunkt, jo dab vom
jtrategifhen Geſichtspunkte der römijchen und insbejondere der cäjarifchen Krieg—
führung die Wahl des Gefechtslagers bereit? die Anlage zur Schladt enthält. Im
der Offenfive pflegte Cäſar möglichft große und möglidhjt verborgene Tagesmäricdhe
zu machen, bis er in der Nähe de& Feindes gekommen war. Dann ging er am
legten Tage gerade joweit heran, dab er noch außerhalb des Geſichtskreiſes der
feindlihen Borpojten das Lager aufzuihlagen, am anderen Tage jedod mit einem
möglichjt Heinen Marſche den Feind zu erreihen und anzugreifen vermochte. —
Die Normalſchlacht Eäfars ift die -Offenjivfhladt in drei Treffen
(acies triplex); der größte Feldherr Roms verhielt ſich alſo ablehnend gegen die
phalangitiſchen Anwandlungen jeiner Zeitgenofien und kehrte zu den national»
römiſchen Formen zurüd. Werden 3. B. 6 Legionen ins Gefecht gebracht, jo
bilden 24 Kohorten das erjte, je 18 das zweite bezüglich dritte Treffen. Dies leßtere
dient dem Feldherrn als Schladitrejerve, je nad Umjtänden gegen Flanken—
bedrohung (aljo im defenfiven Sinne) oder (im offenfiven Sinne) zur legten Ent-
jheidung. Die beiden erjten Treffen jchlagen immer eine reine Frontalſchlacht
und haben die Aufgabe, des Gegners Front zu durchbrechen. Bei dem hoben
Bert, den der Erfolg des erjten Angriffs hat, der ja, zumal Barbaren gegenüber,
oft jchon allein entihied, wurden (ganz im Gegenjaß zu den Einrichtungen der
altrömijhen Manipularlegion) die tüchtigjten Kräfte dem erjten, die mindeſt—
wertigen dem dritten Treffen zugewiejen. Das leichte Fußvolk jtand, je nad
der Sadjlage, entweder vor der Front, auf den Flügeln oder in den Kohorten-
intervallen. Die Reiterei hielt meijt auf beiden Flügeln der Legion; fie jollte
die Überflügelung durd) den Feind abwehren, diejen ſelbſt womöglihd in die
Flanke nehmen und ihn nad erfochtenem Giege verfolgen. — Eine fiegreiche
Schlacht beutete Cäſar jtet3 ſo vollitändig aus als irgend möglich: taftiih durch
andauernde Verfolgung, jtrategiih durch möglichjte Verbreiterung jeiner Madıt-
iphäre. Gejchlagen, beeiferte er fih, den Mut jeiner Truppen aufredt zu er:
halten, wozu er nicht nur alle Hilfsmittel der Beredjamkeit anmwandte, jondern
auch, jobald e& irgend anging, die LYegionen in neue Umgebungen bradte, ihnen
neue Biele jtedte.
Wie erwähnt, jah Eäjar in dem Bejtreben, den Feinden die Verbindungen
abzujchneiden,, ein bejonderes Kriterium der rationellen römiſchen Kriegführung ;
indes läßt ſich doch nicht verfennen, daß er jelbjt, wenigſtens im Anfange jeiner
Feldherrnlaufbahn mehr darauf bedacht war, jeine eigenen Verbindungen zu
jihern, als die des Gegners zu durchſchneiden. Der Sorge für Bewahrung feiner
Verbindungen mit der Bajis opfert er jogar zuweilen jeinen Drang nad) dem
Zufammenhalten der Madıt; jie veranlaßt ihn zur SHerjtellung regelmäßiger
Etappenlinien, und mit außerordentlider Sorgfalt behandelt er alle Berpflegungs-
angelegenheiten. Meijt richtete er jeine Operationen derart ein, dab ſowohl fie
velbjt zur Erjhliegung neuer Hilfsquellen führten, ald dat ihre Anlage den regel»
mäßigen Nahichub ficherte. Wurde der Krieg itationär, jo legte er nahe hinter
1. Das Zeitalter des Prinzipats. 19
ieinem Deere Magazine an. Märſche in den Rüden des Feindes, ılm diejen von
ſeinen Hilfsquellen abzufchneiden, hat Cäjar während des galliichen Krieges nicht
außgeführt, wohl aber hat er dies jtrategijche Mittel in feiner jpäteren Yaufbahn
nicht jelten und mit Glüd angewendet. Die Überzeugung, feinem Gegner in der
Schlacht jtetö überlegen zu fein, läßt es ihn jegt wagen, gelegentlich die eigenen
Verbindungen zu gejährden, um die des Feindes zu bedrohen.
Kühnheit und Klugheit fennzeichnen jede Kriegsthat Cäjars;
über das alles hinaus aber leuchtet jene impuljive Entjichiedenheit
emer nie ruhenden Offenſive, mit welcher, aller ſtaatsmänniſchen Vor:
jicht ungeachtet und unbejchadet, Cäſar auf das Ziel losgeht, das er
jih eben gejtedt hat. Darin gleicht er ganz und gar Friedrich dem
Großen. — Mit Recht jagt der Prinz von Ligue: »Il n’y a jamais
eu d’activite comme la sienne, si ce n'est celle du Roy. U
croit n'avoir rien fait lorsqu’il lui reste à faire: c’etoit la le
principe de Cesar. Il ne remettoit rien au lendemain. Je ne
sais pas s’il étoit sorcier; mais c’&toit au moins un grand en-
chanteur. . . . Ne peut jamais assez le lire. Ce devroit ötre
notre Breviaire. On devroit le savoir par coeur“. — Einer der
glänzendjten Charafterzüge Cäſars iſt jeine Fähigkeit, den glücklichen
Augenblick jowohl abzuwarten, als ihn herbeizuführen und endlich
entichlofjen zu benutzen. Dieje Fähigkeit offenbart ich bei ihm namentlid)
um militärijchepolitiichen Sinne und dementjprechend noch glänzender
als in Gallien während der Bürgerfriege. Führte er doc) z.B. den
Krieg in Spanien, trog mancher Fehlichläge, mehr durch das Über-
gewicht jeines politischen Genies zu glüdlichem Ende, als durch rem
riegerifche Operationen. Er jelbjt hebt hervor, daß ein großer Feld—
herr, zumal im Bürgerfriege, mehr durch Unterhandlungen als durd)
das Schwert zu ſiegen juchen müſſe (consilio potius quam gladio
superare); wo jedoch der Knoten nicht anders zu löjen war, als
durh das Schwert, da braucht er dies auch jofort mit einer Schnellig-
fett und Schärfe, die jelten ihresgleichen fanden. Unter diejem
Geſichtspunkte, d. 5. unter dem eines Friegführenden Statsober-
hauptes, nicht eines mit der bloßen Kriegführung beauftragten Feld—
berrn, wird Cäſars weltgejchichtliches Beijpiel und werden demgemäß
auch jeine Schriften für alle Zeiten im höchjten Maße lehrreich bleiben,
ud darum bat Napoleon I. gewiß jehr recht, wenn er, troß der
tuhlen Beurteilung Cäſars in jeinem Precis, den großen Römer doc)
in einer oft citierten Stelle unter den jieben Herven der Kriegskunſt
80 Altertum. II. Das halbe Jahrtaufend des römiſchen Imperiums.
nennt, deren achtundachtzig Feldzüge er dem Studium der Generale
jo warm empfiehlt: »Faites la guerre offensive comme Alexandre,
Annibal, Cesar, Gustave Adolphe, Turenne, le Prince Eugene
et Frederic. Lisez, relisez l’histoire de leur quatre-vingt-huit
campagnes, modelez-vous sur eux; c'est le seul moyen de devenir
grand capitaine et de surprendre les secrets de l’art« ').
8 23.
Summus auctor Divus Julius?), Caesar, gravis auctor
linguae Latinae?) hat jeinem Zeitalter auch als Schriftiteller voran-
geleuchtet. Er tit der ältejte lateinijche Hiftorifer, deſſen Schriften
uns erhalten blieben; an ihn erjt reihen jich die anderen national-
römtchen Autoren: Cornel. Nepos, Sallujt, Livius, Tacitus u. j. w.
an. Auf dieje Gejchichtsichreiber kann natürlich hier nicht eingegangen
werden; denn jo wichtig auch viele ihrer Schriften für die Kriegs—
geichichte, wie für die Gejchichte des Kriegswejens jind, jo gehören
jie doch nicht in die Kategorie der Militärliteratur. — Nur einige
Worte iiber Fivius jeien geitattet.
Bis zum Ende des zweiten puntjchen Krieges wurde nicht eigentlich
römische Gejchichte gejchrieben, jondern es wurden nur Gejchichtsquellen
gefammelt. Es find die amtlichen Aufzeichnungen der Priejter, die
fasti und annales, die libri pontificii, commentarii regum magi-
stratuum, und jeit Beginn der Republif gab der jährliche Wechſel
der Behörden Anlaß zu ähnlichen Aufzeichnungen. Auch die Familien—
traditionen wurden in Jahrbüchern niedergelegt, und als es dann zu
zujammenfafjfender Darjtellung der Gejchichte Fam, ſchloß sie ſich
naturgemäß an die Form der Annalen an. Ihre Thätigkeit reicht
von der Zeit des zweiten punijchen Krieges bis zu der des Sulla;
von ihren Werfen aber jind nur jpärliche Bruchitüde vorhanden. —
Der Geichichtsjinn der Römer war jeltjam geartet; es kam ihnen
feinesiwegs darauf an, die Wahrheit feitzuitellen und mitzutetlen,
jondern darauf, die Taten ihres Volkes, den Ruhm ihrer Gejchlechter
zu verherrlichen und dabei durch bewegte Darjtellung zu unterhalten.
„Man darf jagen, eine Gejchichtsichreibung, jo getränft und gejättigt
von dem Geiſte bewußter oder unbewußter Fälſchung wie die römische
ı, Memoires, notes et melanges de Napoleon. Edit. orig. T. II, p. 155.
2, Tacitus: German., 28. °) Aul. Gellius IV, 16.
1. Daß Zeitalter des Prinzipats, 81
während dieſer Periode gewejen jein muB, gehört zu den feltenjten und
anheimlichſten Erjcheimungen“ !). — Auf jolche Annalen nun vorzugsweiſe
bat jich derjenige Hiſtoriker geſtützt, welcher für die Ältere Zeit der römtjchen
Kriegsgeichichte weitaus unjere Hauptquelle it: Titus Livius (59 v.
bis IT m. Chr.) in jeinen Historiarum ab urbe condita libri qui
supersunt. Er folgte jenen trüben Quellen um jo unbedingter, als
ihm, der niemals tim öffentlichen Leben tätig gewejen, jeder Maßſtab
jur Kritif der Überlieferung fehlte und er der irrigen Meinung war,
daß im galliichen Brande Roms die Öffentlichen Denfmäler, welche
ihm hätten als hiſtoriſche Kontrollpunfte dienen können, jämtlich zu
Grunde gegangen jeien. Da das römische Volk jeine weltbeherrichende
Macht größtenteils militärischer Tüchtigkeit verdanfte, jo mußte die
lateiniſche Hiſtoriographie natürlich einen wejentlichen Teil ihrer Auf
gabe in der Daritellung der Kriege und Schlachten finden, und
jo bildet dieje denn auch einen Hauptbejtandteil des Livianischen Werkes.
Aber fie iſt nur mit der höchſten Vorficht zu benugen ?). Die Schlacht:
ihilderungen des Livius laſſen alles in weit größerem Maßſtabe cr
ihemen, als jich "mit der Wirklichfeit verträgt. Naubzüge Fleiner
Nachbarſtämme baujcht der Verjafjer auf zu gewaltigen Neichskriegen,
in denen er Menjchenmaffen umkommen läßt, wie fie damals in jenen
Negenden nicht wehrhaft, ja wohl überhaupt gar nicht vorhanden
em fonnten. Bei der Bearbeitung hellerer Zeiten, namentlich da,
vo Livius ſich an den Polybios lehnte, ging ihm freilich ein Licht
auf hinſichtlich der Übertreibungsjucht jeiner bisherigen Gewährs—
männer, aber das. war zu jpät; denn die älteren Bücher hatten jchon
den Weg in die Offentlichfeit gefunden. Während Livius jedoch die
Baffenerfolge der Römer vergrößernd ausmalt, führt er die Dar-
"ellıng von Niederlagen nicht näher aus, oder er läht doch gleich
darauf jene Volksgenoſſen einen um jo glänzenderen Sieg erfechten.
Niltärtjche Bildung ging ihm gänzlich) ab, und daher überträgt er
nbedenklich Einrichtungen und Verhältniſſe ipäterer Zeiten auf weit
rühere, gibt die Anordnung der Heere meiſt ganz dürftig und unge
nügend an und verwidelt jich in Anachronismen, Widerjprüche und
Unwahrſcheinlichkeiten. — Dieje Sachlage it ftetS im Auge zu bes
,RNigfch: Die röm, Annaliftil (Berlin 1873, ©. 346). Val. Betersd: Zur Mritif der Quellen
"rt älteren röm. Geſchichte (Halle 1879).
» Stade: Die Schlahtichilderungen in Livius’ erfter Detade (Schneeberg 1873).
Jaͤhns, Geichichte der Ktrriegswiſſenſchaften. 6
32 Altertum. IL Das Halbe Jahrtaujend des römiſchen Imperiums.
halten, jobald man fich mit militäriichen Dingen bejchäftigt, deren Über-
lteferung im ein oder anderer Art auf den jo viel gelejenen Livius
zurückführt.
8 24.
Die einzige laternijche Arbeit, welche ji” mit Boliorfetif be
ichäftigt, it das Werk des Vitruv. — M. Ditruvius Pollio jtammte
vermutlich aus Verona, diente als Kriegsingenieur unter Cäſar und
rolgte diejem u. a. im Jahre 46 nach Afrifa. Später übertrug ihm
Augujtus die Oberleitung der Werfjtätten zur Herjtellung der Kriegs:
majchinen und endlich die aller öffentlichen Arbeiten. Schon im
Greijenalter jtehend, verfaßte Vitruv auf Wunjch des Kaiſers (wohl
von 13 bi3 11 v. Chr.) De architectura libri X ad Caesarem
Augustum, welche, abgejehen von den leider verloren gegangenen
Zeichnungen und Riſſen, faſt vollftändig erhalten find und für Die
Geſchichte der Voliorketif nicht geringeren Wert haben, als für die
Kunjtgeichichte ?).
Die eigentliche Architektur wird in den jieben erjten Büchern
vorgetragen.
1. Unlage einer Stadt, deren allgemeine Einrihtung und Befejtigung.
2. Würdigung der Baumaterialien. 3. und 4. Tempelbau und Charafteriftif der
vier klaſſiſchen Stilordnungen. 5. Öffentliche Profanbauten und Anlage der Plätze.
6. Städtijche und ländliche Brivatgebäude. 7. Innere Ausſchmückung der Gebäude.
Das 8. Buch handelt die Hydranlif ab, insbejondere die Waſſer—
verjorgung der Städte; das 9. erläutert die Konjtruftion der Zeit:
mejjer, namentlich der Sonnenuhren; im 10. und legten Buche endlich
bejchreibt Vitruv die zu Bauten notwendigen mechanischen Vorrichtungen
und gibt eine Auseinanderjegung über die Kriegsmaſchinen.
Bon militärischer Bedeutung jind in Vitruvs Werf befonders
das von den Stadtbefejtigungen handelnde 5. Kapitel des 1. Buches
ı) Edit. pr. von Sulpicius (Rom 1486; mit Frontins Bud) de aquis). Wen glüd:
liher Berjuch einer frit. Ausg. mit Figuren von Giocondo (Fucundus) ebenf. mit Frontins de
aquaeductibus (Benebig 1511). Wieder abgedr. Florenz 1522 und mit Kommentaren Bhilander!
und Barbaros fowie mit Baldes Lexicon Vitruvianum von de ;Baet (Amjterdam 1649). Neuere und
befjere Uusgaben von Schneider (Leipzig 1807), Marini (Rom 1886), ſowie von Roie und Müller:
Strübing (Leipzig 1867). — Deutjh von Rivius [XVI. $ 114] (Würzburg 1548), Rode (Leipzig 17%),
Reber (Stuttgart 1865). — Italieniſch: Gediegene Arbeit Dan. Barbaros: IX libri dell’ architettura
di M. Vitruvio Genedig 1556, 1567, 1584, 1629) und ſchon vorher mit Holzichnitten 3. T. in
Ruinas Manier (Eomo 1521, Venedig 1524, 1535).
1. Das Zeitalter des Prinzipats. 33
(de fundamentis murorum et turrium) und die ſieben legten Kapitel
des 10. Buches, welche die Kriegsmajchinen bejprechen.
Das 13. Kapitel des 10. Buches (de catapultarum et scorpionum rationibus)
handelt von den Berhältniifen der Horizontalgeſchütze (die Storpionen
ind Eleine Katapulten); das 14. Kapitel (de balistarum contentionibus et
temperaturis) redet von den Maßen der Ballijten und dem Beipannen
und „Stimmen“ aller Gejhüge mitteld der Spannleiter.
Die Prüfung des richtigen Einzugs der Epannnerven geſchah durch den Ton,
welchen die einzelnen Stränge derjelben beim Anſchlag gaben. Bitruv fagt hierüber
1,1): „Auch Muſik muß der Baumeifter verjtehen, um das kanoniſche und mathes
matiſche Verhältnis inne zu haben und um die Gejhüge jtimmen zu können (tem-
peraturas possit recte facere) ... denn die Sehnenjtränge find nur dann richtig
geipannt, wenn fie einen bejtimmten und beiderjeitö gleich jtarfen Ton geben. Nur
dann wirken die Wurfarme, welche in jene Stränge befejtigt werden, gleichmäßig.“
Das 15. Kapitel (de oppugnatoriis rebus) jpridt von den Majdhinen,
welhezur®Berteidigung undzum Angriff fefter BPläße dienen und
von der Erfindung und Herjtellung des Widders. Das 16. Kapitel (de testudine
ad congestionem fossarum paranda) erläutert die Einrihtung der Schütt
ſchildkröten, welde man brauchte, um die Gräben der angegriffenen Feitung
auszufüllen. Als Iehrreihe Beiipiele großer Belagerungen ſtizziert
Vitruv diejenigen von Rhodos, Chios und Maſſilia. Im 17. Kapitel (de aliis
testudinibus) werden die mannigfaltigen anderen Schildfröten dargeitellt,
und im 18. Kapitel (de repugnatoriis rebus) ſchließt das Werk mit einer Schilderung
der Berteidigungdmaßregeln ab.
Dffenbar beruht das 10. Buch auf griehiichen Unterlagen; ja das 16. und
17. Kapitel jind geradezu (wie Wejcher nachgewiejen hat) Überjegungen der be-
treffenden Abfchnitte des Athenaios [$ 14].
Vitruvius jchreibt einen übermäßig gedrängten Stil, der zugleich
oft nichtS weniger it al3 Klar und genau. Diejer Umſtand jowie der
Mangel der Abrifje erjchweren das Verjtändnis im höchſten Grade.
Die fortifitatorischen Angaben freilich find deutlich, aber nur auf das
Notwendigſte beichränft und nicht vom Standpunkte des Kriegsmannes,
jondern von dem des Baumeijters gejchrieben. Überaus große Schwierig:
feiten bieten dagegen die artillerijtiichen Kapitel.
Als um die Mitte ded 16. Ihdts. der trefflihe Barbaro jeinen Kom—
mentar bis zur Erläuterung der Katapulten geführt hatte, gab er die Weiterarbeit
unmutig auf. ®iocondo entwarf allerdings Zeichnungen nad Vitruvs Dar:
itellung, bewies damit jedod nur, daß er nichts von der Sade verjtand. Voll
wiſſenſchaftlichen Ernjtes trat Buteo dem Gegenjtande näher und juchte mittel!
tubiiher Berehnung die richtigen Maße der Geihüge feitzuitellen !), Da ihm
ı, Buteonisad locum Vitruvii corruptum restitutio, qui est de proportione lapidum
mittendorum ad balistae foramen. (Jn der Elzevier-Ausgabe de Laet3 von 1649.)
6*
84 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaujend des römiichen Jmperiums.
jedoch, wie er jelbjt erflärt, die griehijhen Mathematiker fehlten, jo ſcheiterte jein
fleigige® Unternehmen. Auch Silberſchlag (1767) gelang die Erklärung nicht
[$ 14], und entrüjtet warf er dem Vitruv jeine arge Unklarheit vor. Der Com-
mentaire sur Vitruve avec une description des machines des anciens par
Newton (Paris 1782) ift mir nur dem Titel nad) befannt geworden, und id)
weiß nicht, ob er auch die Kriegsmaſchinen behandelt. — Im Jahre 1836 bradıten
die Ilustrationes der Marini’ihen Ausgabe eine interefiante Abhandlung über
das Berhältnis des Kalibers der Ballifte zum Gewichte ihres Steines, und endlic)
haben 1853 Köchly und Rüftomw die artilleriftiihen Kapitel Vitruvs latein. und
deutſch herausgegeben und nachgewieſen, daß Vitruvs Geſchütze diejelben jeien,
wie die, welche die Alerandriner gejchildert. Den Euthytona der Griechen ent»
ſprachen die Katapulten, den Palintona die Balliften der Römer. Dies Ergebnis
wird dur die Verſuche bejtätigt, welche Kaijer Napoleon III. anjtellen ließ und
auf Grund deren die Modelle römijcher Gejchüipe gearbeitet wurden, welche im Muser
d’artillerie zu Paris und in dem von St. Germain aufgejtellt find).
S 25.
Lateinische Militärjchriftiteller aus der Zeit, da das
Brinzipat bei dem Juliichen Hauje war, aljo bis zum Tode Neros
(68 n. Ehr.), jind nur jehr wenige zu nennen. In gewiſſem Sinne
darf man indeſſen vielleicht den Cäſar Octavianus Auguftus jelbit
zu ihnen rechnen, falls er nämlid nicht nur der Urheber, jondern
auch der Verfaffer der berühmten Augusti constitutiones it,
d. h. der von ihm erlaffenen Dienjtvorichriften, welche die gejamte
Verwaltung und Manneszucht des römischen Heeres bis in die ge
ringjten Einzelheiten hinein genau regelten. Ihrem Wortlaute nach
ſind dieje Konjtitutionen leider nicht erhalten; doch führt Vegetius jie
unter jeinen Quellen auf (I, 8; I, 27), und auch jonjt werden jie
gelegentlich erwähnt 2). Salt der erjte Kaifer doch überhaupt den
Alten als der glorreiche Wiederherjteller der römischen Manneszucht ;
hat doch gerade dieje Seite der Wirkſamkeit des Hugen Fürjten Horaz
tn einer bejonderen Ode gefetert ?).
Es entipräche durchaus dem Sinne der Römer für juriſtiſche Feſt—
jtellungen und Kodififationen, wenn in den lateinischen Werfen über
Kriegswejen der militärischen Rechtspflege ein breiter Raum einge
1) Bal. au: Chr. L. F. Schulg: Unterfuhung über das Zeitalter bes röm. Kriegsbaumeiſters
Marcus Bitruvius Polio (Leipzig 1856).
°) So von Macer [$ 34]: Digest. 49, 16, 12: ⸗In disciplina Augusti ita cavetur.« Bal.
Sueton: August. 24 und Tacitus Annales 6, 3, wo betreff& der Belohnungen ber Prätorianer ge
jagt wird: »Reperisse prorsus, quod divus Augustus non providerit.«
») Oden II], 5.
1. Das Zeitalter des Prinzipate. 35
räumt gewejen wäre. Und das jcheint in der Tat der Fall gewejen zu ſein.
Man weiß 3. B., daß in die Schrift des jüngeren K. Eincius De
re militari, von der nur jpärliche Bruchitüde erhalten jind, alles
aufgenommen war, was jich auf das Jus fetiale bezog, d. h. auf
das Kriegs und Völkerrecht, defjen Bewahrung, Handhabung und
Auslegung, den fetiales, den priejterlichen Herolden, übertragen war.
Auch die wenigen Reſte, welche von des Eincius Werf überhaupt vor—
handen, jind wejentlicd) militärzjurijtiicher Natur }).
Das bedeutendite Fragment enthält den Eid, welden die Mannſchaften den
Tribunen beim Beziehen des Lagers leifteten und der namentlich darauf hinaus
lief, daß fie gelobten, fi fein ungerechte® Gut anzueignen ’).
Endlich) tauchte auch jene encyEflopädijche Richtung wieder
auf, mit welcher unter Gato die nationalrömische Milttärliteratur als
Teil der Gejamtbildung emjt zuerit aufgetreten war. 8 18.)
Aulus Cornelius Celſus, ein gelchrter Encyflopädijt wie Varro
und Blinius, jchrieb, vermutlich unter Nero, ein Werf »De artibus«,
welches Landbau, Arzneitunde, Kriegswejen, Beredjamfeit und Philo—
jophie, vielleicht auc; Geichichte und Verfaſſung, abhandelte. —
Erhalten find die Bücher »de medicina«, welche Celſus berühmt
gemacht und ihm den Beinamen des latemischen Hippofrates ver:
ichafft haben. Seine Schrift de re militari ijt verloren. PVegetius,
der ſie eitiert (I, 8) u. zw. als eme jemer Hauptquellen, bezeichnet
fie als furzgefaßt und gedrängt.
8 26.
Deutlicher als die Gejtalten diejer Männer jteht die des Sextus
Sulius frontinus vor ung.
Um 70 n. Chr. gedenft Tacitus feiner al® Prätor der Stadt”), und noch
in demjelben Jahre eriheint er als Truppenführer im bataviihen Kriege. Im
Jahre 73 wurde er Konful, begleitete 74 den Cerealis nad) Britannien, übernahm
bier nad) deflen Zode den Überbefehl und leitete während diejer Amtsführung
(5—78), namentlih durd Unterwerfung der kriegeriſchen Siluren, die völlige
Eroberung der Jniel ein, die dann Julius Agricola vollendete). In der Folge
iheint Frontin als Begleiter Domitiand gegen Katten und Daten gefochten zu
1) Daß diefer Schriftfteller nicht, wie früher angenommen mwurbe, der als Feldherr des zweiten
duniſchen Krieges befannte 2. Eincius Alimentus war, fondern frübeftens in die Beit Cäſars gehört,
it neuerdings nachgetwiejen worben. Vgl. Hertz: De Luclis Cinciis (Berlin 1842). Die Fragmente
find gefammelt bei Hufchle: Jurisprudentiae anteiustin. quae supers. Ed. III p. 4—%0.
N Dies Bruchſtück fteht bei Aulus Gellius XVI, 4.
) Histor. 4, 39. * Zacitus: Agricola, 17.
86 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römischen Imperiums.
baben!); während der Schredensherrihaft Domitiand jedoch zog er fi in die
ländliche Stille von Formiä zurüd, wo außer Männern wie Martial und Plinius
aud der Taktiker Aelian in feiner Gefellihaft begegnet?). Hier, in der Zurüd-
gezogenheit, begann Frontin feine jchriftftelleriiche Tätigkeit, die zuerjt landwirt⸗
ſchaftlichen, dann aber militärifhen Dingen zugewendet war®). Der Regierungd
antritt Nervas rief ihn in das öffentliche Leben zurüd. Nerva bekleidete ihn
zum zmweitenmale mit dem SKonjulate und im Jahre 97 aud mit der cura
aquarum, einem der vornehmjten Ämter der römijchen Magiftratur, in welchem
Hrontin eine jegensreiche Tätigkeit entfaltete, deren literarifcher Niederjchlag die
noch erhaltene vortrefflihe Abhandlung de aquis urbis Romae ijt*). Nachdem
ihn dann Trajan zum drittenmale zum Konful erhoben und ihm aud) dad Augurat
verliehen, jtarb Frontin unter der Regierung Hadriand. Die Zeitgenofjen gedenken
feiner mit höchjfter Verehrung; gewiß war er ein Mann von edlem Charalter,
ausgezeichneter Gejchäftstüchtigfeit und vieljeitiger Bildung. Der jtrenge Tacitus
nennt ihn geradezu einen vir magnus.
Frontins erjtes militäriſches Werk war jeine zur Belehrung
römijcher Befehlshaber geichriebene Rei militaris scientia oder
De disciplina militaris. Dies Werf, auf welches der Berfafjer
jelbjt mit großer Genugtuung blidte, erfreute fic) großen Rufes und
wurde namentlich) von Trajan hochgeichägt).. Daß es verloren ge
gangen, ijt um jo mehr zu beflagen, als aus den wenigen Andeutungen
darüber hervorgeht, daß die wichtigiten Grundjäge und Erfahrungen
der römiſchen Kriegskunſt darin niedergelegt waren. — Zur Er:
läuterung diejes Werkes jchrieb dann Frontin jene Strategemata
libri III, welche uns, leider in jehr entjtellter Form, überliefert
find®). Es iſt das eine Sammlung fluger Taten und Ausjprüche
umjfichtiger ?Feldherrn (sollertia ducum facta, quae a Graecis una
orgarnynuarızaw adpellatione comprehensa sunt)’), welche die
Erfahrung der LXejer erweitern und befräftigen und im gegebenen
Augenblide ihrer Erinnerung zu Gebote jtehen jollen. Darum be
zeichnet Frontinus diefe Sammlung aud) als Gedenkbuch (commentarü).
1) Dies jchließt man aus einigen Unbeutungen in Frontins Strategemata. Bol. Deberid:
Bruhftüde aus dem Leben bes ©. 3. Frontinus. (Beitichrift für Altertumswiſſenſchaft. 1839.
Mr. 105—107, 134—136.)
9), Martial X, 58; Aelians Taktik 1, 1.
) Bon Frontins gromatijhem Werte hat Lachmann in feinen Scriptores de re agraria
einige Trümmer nachgewieſen.
4) Buerft heraudgegeben mit Vitruv (Nom 1486), jpäter noch oft felbftänbig.
5) Bol. den Anfang ber praefatio der „Etrategemata” und Begetius II, 3.
6, Erfte Ausg. Rom 1474. Dann in den Scriptores de re militari [8 4). Eine genügenbe
Ausg. fehlt noch immer. Die beften find bie von Oudendorp (Leyden 1731), die von Schwebel
(Leipzig 1772) und die von Dederich (Leipzig 1855).
N) Zroari/ynua = eine Felbherrntat, beſonders eine jchlaue, daher auch „Kriegatift”.
1. Das Zeitalter des Prinzipats. 87
Es jind über 400 Begebenheiten, welche der Berf. ald nahahmungäwerte
Beijpiele der Kriegägeichichte der verſchiedenſten Völker und Zeiten entnommen hat.
Bon Taten nichtrömiſcher Feldherrn erjcheinen Holdhe des Allibiades (8),
Themiſtokles (4), Epaminondas (12), Berikles (7), Xenophon (2), Philipp von
Makedonien (12), Alerander d. Gr. (14), Hannibal (22), Pyrrhos (7) u. ſ. w.;
die meiften Beiſpiele jedod werden mit römiſchen Feldherrn in Verbindung ge-
bradt, mit den Catonen (10), den Scipionen (26), den Fabiern (13), Metellen
(11), ‚mit Marius (10), Sulla (9), Eäjar (21), Pompejus (12), Corbulo (5)
u. dgl m Auffallend klein ijt die"Zahl derjenigen Beijpiele, welche Frontinus
aus jeiner eigenen Zeit mitteilt, obgleih er doch unter fünf römiſchen Kaijern
(Beipafianus, Titus, Domitianus, Nerva, Trajanus) hohe Amter bekleidete und
jeine Strategemata erjt unter Hadrianus gefchrieben haben fan. (Vegetius I, 8).
Es finden ſich zwei Beijpiele von Beipafianus (II, 1, 17 und IV, 4, 4), drei
dergleihen von Domitianus. (I, 1; I, 3 und IV, 3).
Die Bedeutung jolcher Strategemata war im Altertume größer
ald heutzutage. Die Verhältniffe waren einfacher und leichter zu
handhaben. Und wie 3. B. in dem ebenfalls mit geringen Streit-
fräften Ddurchfochtenen niederländischen WBefreiungsfriege die bumte
Belt kleiner Kriegsliiten aufs üppigſte ins Kraut jchoß, jo konnte
auch in den Kriegen der Römer die Kenntnis deſſen, was in jolchen
Dingen „Ichon dagewejen“ und vielleicht wieder anwendbar oder zu
fürdhten jei, wohl unmittelbar Nuten gewähren. Das Werk it in
remem einfachen Stile gejchrieben; die Darjtellung der militärischen
Anordnungen iſt meiſt klar umd eimleuchtend, jo z. B. die des Paulus
Aemilius gegen PBerjeus oder des Cäjur bei Pharjalus, und manche
wertvolle, jonjt an feiner Stelle aufbewahrte Friegsgejchichtliche
Notiz findet jich in diefem Buche. Manches allerdings it auch recht
unbedeutend, manches offenbar ohne Sachkenntnis erzählt; ja zuweilen
finden jich törichte Irrtümer.
So wird 3. B. gleih im I. Buche (2) bei der Schladt von Cannä aus dem
dort wehenden Winde Bolturnus ein Fluß gleihen Namens gemadıt, der belannt-
(id Kampanien durdjftrömt. Dergleichen ift freilicheinem Manne wie S. J. Frontinus
nicht zuzutrauen; ihm aber deshalb, wie Rüftow und Köchly, die Autorjchaft der
Strategemata überhaupt abzufprechen, ift zu weit gegangen®). Sicherlich hat man
& in derartigen Fällen mit ſchlechten Interpolationen zu tun.
1) Generalmajor Wolf: „Zu Frontinus.”* (Bonner Jahrbücher, Heft 85, 1388.)
N An fritifchen Beiträgen vgl. die von Haafje (Rhein. Mujeum N. %., III), dann Hedide
Hermes VI), Majfion (Rev. archeolog. 1869/70), Eußner (Blätter f. bayer. Gymnaſien VII),
Bahamutrh (Rhein. Muſ. N. F, XV) und Wölfflin (Hermes IX). Leßterer ſchließt aus dem
Anfange der Vorrede Frontins (gewiß mit Unrecht), daß der konſulariſche Herr „Brofefior an ber
Kriegdichule in Rom” geweſen jei und feine Beifpieljammlung mit ſyſtematiſchem Unterrichte in Ber:
bindung geiegt habe. — Bol. auch General Wolf a. a. D.
88 Altertum. II. Das halbe Jahrtaufend des römijhen Jmperiums.
Wohl abgefhredt durch jolche Fehlgriffe und durch mande allerdings ab—
geihmadte Lift, welche Frontin überliefert, will der Brinz v. Ligne gar nichts
von ihm wiffen und meint mit boshaftem Wortwige: »Il n'y a pas de Frontin
de Comedie, dont les Stratag&mes ne soyent meilleurs!«e (Der „Frontin
der Komödie“ ift eine ftehende Figur gewifler Mantel» und Degenftüde, nämlich
ein jchlauer, kupplerifcher Bedienter).
Die Anekdoten des 1. Buches beziehen ſich auf Ereignifje, welche
einer Schlacht vorausgehen können, die des 2. auf den Kampf jelbit;
die des 3. betreffen den Belagerungsfrieg. Die Dispojittion innerhalb
der Bücher wechjelt.
Häufig find die Erzählungen nad) den Berjonen angeordnet (z. B. I. 5,
20—22 Spartacus; II, 21—25 Hannibal); dann find fie wieder in exempla
Romana und exempla externa geteilt; unter Umftänden bejtimmen aber lokale
Berpältnijje die Anordnung der Strategeme.
Als Quellen dienten bejonders die Werfe Gäjars, Livius',
Eoelius’ und Sallufts.
Im 4. oder 5. Ihdt. n. Chr. fügte diefen 3 Büchern Der
Strategemata ein Unbekannter noch em +. Hinzu, u. zw. in Der
Weiſe, daß der Namenloje (wie jeine Vorrede lehrt) für Frontin
jelbjt gehalten werden wollte, was ihm auch bis ganz vor kurzem
geglückt iſt). Man bezeichnet dieſe Fortiegung als „Strategifon“,
weil es in der praefatio heißt, daß die Kriegstaten des 4. Buches
mehr in das Gebiet der Strategie als in das der Strategenmata
gehörten. Indeſſen trifft das feineswegs zu. — Das Buch iſt m
jeder Hinsicht jchlechter als die 3 echten; es it großenteils lediglich
aus Valerius Maximus entlehnt und „voll Aufjchneideret und rheto-
riſcher Leichtfertigkeit”.
Die Aufnahme Frontins in den friegswijienihaftlihen Kanon des 16. Jhdts.,
in die Veteres de re militari scriptores [$ 4], zeugt von dem Werte, welhen man
damals auf das Werk legte. — Jehan Petit widmete dem Herzoge von Bourbon
eine Überjegung unter dem Titel »Les ruses et cautelles de guerre«. (Paris 1514)-
— Eine anonyme Berdeutihung eridien unter dem Titel „Die vier Bücher
Serti Julij Frontini, des conjulariiden Mannes, von den guten Räthen und
Ritterlihen anjchlegen der guten Hauptleut” (Mainz 1524), und bildet mit One
anders Feldherrnkunſt 8 28] und einem mittelalterlihen friegsdidaftiihen Gedichte
XVI, 8 3) ein merfwürdiges feltenes Kriegsbuch. Den Teil, welcher die Strategemata
4) Die Unechtheit bes IV. Buches haben Wachsmuth und Wölfflin beiviefen. Bgl. übrigens -
Gundermann: De Julii Frontini strategematon libro qui fertur IV. (Commentationes
philologae Jenenses. Vol. IV. Leipzig 1881.) Diefe Arbeit will die tertfritiiche Grundlage fire
Frontin gewinnen, indem fie zwei Klaſſen der Eodices ausicheidet und als Epezimen einer neuen Aus—
gabe gerade das apofryphe IV. Buch mit Fritiihem Apparate publiziert.
1. Das Beitalter des Prinzipate. 89
enthält, zieren Holzſchnitte, die jich in der Mainzer Ausgabe des deutichen Cäjar
von 1530 wiederfinden, und überdies ift er mit einem Verzeichniſſe verjehen der
„Eugen namen derer, fo die Ritterlichen anjchleg begangen vnd gute Räth voll=
bradt haben“. Das Berzeichnis beginnt mit Alerander Magnus und endet mit
Zerred. — An dieſe Verdeutihung reihten ſich im Laufe von wenig mehr ala
einem halben Jahrhunderte vier andere: die von Motſchidler (Wittenberg 1540),
welhe in Reimen abgefaßt ijt, dann die profaiihe „Zrandferirung durch den
Kenjerl. Boeten Marcus Tatius“, die in Frönspergers großes Kriegsbuch (IIL,
DB. 225— 282) Yufnahme gefunden hat [X VI,S 32), ferner eine anonyme unter dem
Titel „Frontini Friegspractica, d. i. artliche und geſchwinde Griffe der Römer“
Frankf. a.M. 1578), und endlich die von Schöffer (Mainz 1582). — Italieniſche
Überjegungen erſchienen im 16. Ihdt. drei u. zw. jämtlic zu Venedig: 1587 die
von Durantino, 1574 die von Gandino, 1575 die von Jul. Feretti. —
Im 17. Ihdt. gab Berrot d'Ablancourt den Frontin als Anhang des
Plutarch lateiniſch und franzöfiih heraus (1664), indem er Hijtoriihe Unter:
juhungen binzufügte!), und Modius kommentierte die Strategemata (Berjailles
1670). Neuausgaben erjchienen Leiden 1731 (1779) und Göttingen 1788. — Die
Fortdaner des Intereſſes für den Autor im 18. Ihdt. befunden ſechs franzöſiſche
Überjegungen von 1739, (1743), 1768, 1765, 1770 und 1772, fowie zwei
deutihe: die von Kind (Polyäns und Frontins Kriegsränke, Leipzig 1750)
und die Gothaer VBerdeutihung von 1792. Nunmehr aber erliiht im Herzen
Europas die nit reinphilologiihe Beihäftigung mit Yrontin, während in
Italien Amorojo nod 1803 zu Neapel Discorsi sopra gli stratagemmi ſchrieb
und 1816 Scott die erjte Übertragung Frontins ins Englifche veröffentlichte.
& 27.
Die römische Taktik des eriten Jahrhunderts hielt fich
mcht lange auf der Höhe der cäjarischen Zeit. Schon die Einführung
der cohors milliaria, d. h. die Verdoppelung der Stärke der rechten
Flügelkohorte des 1. Treffens (von 500 auf 1000 Mann), um jie
nicht nur als Elite jondern auch als Entjendungstruppe zu ver
wenden, tajtete den alten Organismus an; bald fam man dann dahın,
der Zweitreffenordnung mit verfürzten Intervallen im Sinne des
Marius den Vorzug zu geben vor der beweglichen Dreitreffenitellung
Cäſars, und endlich treten aufs neue jene phalangitijchen Ten:
denzen hervor, denen wir, em Sahrhundert früher, ſchon einmal
— u. [$ 20.) — Mehr und mehr entwicdelte jich nämlich in
) Wieder abgebrudt in Lisfennes und Sauvans Bibl. milit. II. (Baris 1840) mit Anmerkungen
ber Bolyän umd Frontin und einem Anhange: Ruses de guerre, stratagemes, embuscades, sur-
prises. — Extraits de Feuquieres, Folard, Santa Cruz, Joly de Maizeroy, Cessac}, Carrion-
Nisas Jomini ete. — ®Bgl. damit: Carlet de Ia Roziere: Les stratagömes de guerre dont
s* sont servis les plus grands capitaines du monde (Paris 1756).
90 Altertum. II. Das halbe Jahrtaujend des römiſchen Imperiums.
den Legionen entjichiedene Abneigung gegen die Schugwaffen, auf
deren Gebrauch die römtjche Legionartaktik wejentlich beruhte. War
dieje doch ganz umd gar auf das Handgemenge berechnet, und dazu
gehört außer hohem perjönlichen Mute unbedingt die Schugrüftung.
Ohne eine jolhe den Mann mit Pilum und Kurzichwert in den
Kampf zu ſchicken, ging nicht an, und jo änderte man denn tatjächlich,
um ſich der Schugwaffen entledigen zu können, auch die Trutz—
bewaffnung: man erjegte das Pilum durch Schuß- und Wurfwaffen
für ein eigentliches Ferugefecht und gab dem Legionar für das Nah—
gefecht den Langſpieß. Dies hatte dann natürlich nicht nur Die
Neigung jondern geradezu das Bedürfnis zur Folge, die Stellung in
getrennten Kohorten, aljo die nationalrömische Taktik, zu gunften der
Phalanx aufzugeben, die ja zu allen Zeiten die übliche Gefechtsform
der Spießträger gewejen iſt und deren Mafjenhaftigkeit und pafjive
MWiderjtandsfähigfeit überdies durchaus jener Ddefenjiven Haltung
entjprach, zu welcher der römijche Militärjtat jich allmählich herab—
zujtimmen begann. — Schon unter Nero jcheint, zumal in Britannien,
gelegentlich in phalangittichen Formen gekämpft worden zu jein, und
unter Trajan (98—117 n. Chr.) wie unter Hadrian (117—138)
wendete man jic) mit Bewußtjein, ja mit Liebhaberei der mafe
donischen Ordnung zu.
Und num wiederholt ſich das befremdliche Schaujpiel der asklepto-
dotijchen Tage: die unterworfenen Griechen werden die taktiſchen Lehrer
der römischen Sieger. Man fing an, ich eifrig mit griechticher
Militärliteratur zu bejchäftigen; eben aus diejer Zeit hören wir, daß
ein römischer Altkonful, Fronto, über die homerijche Taftif
jchrieb!); nicht lange und man rief für die Ererzierübungen graeci
magistri zu Hilfe, und endlich ging man geradezu wieder in die
griechiiche Philojophenjchule, jobald man höhere Anjchauungen von
den Kriegswijjenichaften zu gewinnen wünschte.
8 28.
Das erjte Werf der neugriechiichen Schule, welches in Frage
fommt, it das des Dnefandros. „SKriegswiljenichaftliche Arbeiten“,
jo äußert er in jeiner Worrede, „Dürfen mit vollem Necht den
ı) Aelians Tattit I, 2: De Tactica Homeri tempore usitata.
1. Das Zeitalter des Prinzipate. 9]
Römern zugeeignet werden und insbejondere den Senatoren, welche durch
die kluge Wahl unjeres verehrungswürdigen Kaijers wegen ihrer tiefen
Kenntnis des Kriegsweſens und wegen des Ruhmes ihrer Vorfahren
zu Konjuln oder Legaten erhoben worden find. Nicht als ob ich
ihnen neue Borjchriften geben wollte, jondern eben weil jie jo große
Kriegserfahrung haben. Denn Unwiſſende jind nicht im jtande,
treffliche Leiltungen anderer zu würdigen, während der einjichtige
Mann dem, was gut it, gern Gerechtigkeit widerfahren läht“.
Demgemät widmete Onejandros, der den Titel eines magister
officiorum führte, jemen Traktat über die Feldherrnkunit
(Srgaenyırog TAoyos) dem Konjul Quintus Verranius, der um
50 n. Ehr. lebte!). — „Feldherrnkunſt“ ijt eigentlich Feine ganz zu:
treffende Überjegung der griechijchen Überschrift; denn ein Strategos
war zugleich Kriegsminifter und Feldherr, da von ihm nicht nur
die Anwendung der organijierten Kriegsmittel gefordert ward, jondern
auch deren Aufbringung und Einrichtung. (One. I und II.) —
Onejandros ijt ein Bhilojoph aus Platos Schule?) und tritt überaus
anipruchsvoll auf. Den Vorwurf allerdings, welchen Hannibal dem
Phormion machte, daß er die Wirklichkeit des Krieges jeinen ſyſtema—
tiihen Spekulationen anzupajjen juche [$ 16], den darf man gegen
Onefandros nicht erheben; denn er hat fein Syitem. Er vermeidet
auch, im Gegenjage zu Frontin, Beiſpiele zu bringen, begnügt ſich
vielmehr damit, überkommene rfahrungsgrundjäge, militärtjche
Marimen, welche er bei älteren Schriftitellern fand, zu jammeln und
zuſammenzufaſſen. — Sem Werf wird bald in 33, bald in 42 Kapitel
abgeteilt und hat im wejentlichen folgenden Inhalt:
Wahl und Eigenjhaften eines Feldherrn. Kriegsrat. Kriegserklärung.
Heeresweihe. Märſche. Läger. Übungen. Ernährung. Spione. Wachdienſt.
Beiprehungen mit dem Feinde. Überläufer. Form der Läger. Wotwendigkeit
des Geheimniſſes. Wahrjagung vor der Schladt. Nacjrichtenwejen. Zweckmäßige
Mahlzeit. Des Feldherrn Gleihmut auch bei Unglüdsfällen. Einwirkung auf
den Geiſt der Mannſchaft (Ermunterung durd Vorführung von Gefangenen u. dgl.).
DieSchlahtordnungen: Stellung der Reiterei und der Zeichtbewaffneten.
Von den Intervallen der Schlahtordnung zur Aufnahme der Plänkler. Vom
1) Tacit. Annal. II, 56. Übrigens nennt Onefandros den Quintus Verranius nicht Konjul,
und da Etil und Haltung jeines Werkes vielfach auf eine jpätere Zeit zu deuten jcheinen, jo jegen
Rigaltius und Salmajius die Entftehung desjelben unter Rero, ZurLauben und Shmwebel
unter Claudius. — Die gewöhnliche Echreibweije des Namens ift „Onofandros”; Eorany hat „One:
ſandros als richtig nachgewieſen.
) Suidas, s. v.
99 Altertum. II. Das Halbe Zahrtaujend des römijhen Jmperiums.
Angriff, wenn man feine Leichtbewafineten, der Feind aber viele hat. über die
Ausdehnung der Phalanı. Eliten und Referven. Es ijt nüglid, während des
Gefechtes allerlei angenehme Nachrichten ausrufen zu laffen, jollten jie auch nur
erfunden fein. In den Gliedern find Freunde und Belannte zufammenzuftellen.
Befehldordnung.
Lojung und Feldzeihen. Genauigkeit bei Aufrechterhaltung der Ordnung
in den Gliedern und Rotten. Sauberkeit der Bewaffnung. Angriffsgefchrei.
Verhalten des Feldherrn in der Shladt: Vom Schladtplan.
Verfahren bei Überlegenheit de Gegner an Reiterei. Bon Wagnijien. Der
Feldherr joll nicht jelbjt fänıpfen. Belohnungen. Plünderung. Die Gefangenen
fol der Strategos jelbjt verfaufen. Das Töten der Gefangenen. Begräbnis. Erjap.
Borfiht während des Waffentillitandes und des Friedens. Eroberte Städte
find menjchlid zu behandeln. Selbjt Berrätern hat der Feldherr Wort zu halten.
Aſtronomiſche Kenntnifie find ihm nützlich.
Von Belagerungen: Überfall. Hinterhalt. Furdt und Beiipiel.
Majhinen. Gang der Belagerung. SKriegsliften. Einzug. Aushungerung.
Bom Verhalten eines fiegreihen Heerführers.
Da Onejandros oft aus jehr guten Quellen geihöpft hat, To
bringt ſein Buch manche treffliche Lehre, die deutlich von dem ge
junden Sinne der Alten zeugt. Aber der rechte Mann für eine
jolhe Sammlung war diejer Platonifer doc) feineswegs. Schon Die
Snhaltsüberficht beweiſt den Mangel logischer Gejchlofjenheit in Der
Stoffeinteilung. Pedant ohne Geiſt und fritiiche Einficht, hält er
weder Zeiten noch Völker auseinander; nirgends geht er den Dingen
auf den Leib; ängjtlich hütet er jich, näher auf techniiche Genauig-
feiten einzugehen, und obgleich er ſich in jeiner Vorrede jchmeichelt,
die Gründe Elargelegt zu haben, auf denen die Erfolge der römiſchen
Waffen berubten, jo gibt das Werk doch gerade vom eigentlich
römischen Kriegswejen jo ‚gut wie gar nichts; überall walten An-
Ichauungen, welche dem Gedanfenfreife der makedoniſchen Sarijen-
taftift angehören, oder der Verfaſſer verliert jih in Redensarten,
deren geringer Kern fich als vertrodnete Überlieferung renophontijcher
oder polybiantjcher Jdeen erweiſt. Im Gegenjage zu Asfleptiodotos,
der eine einjeitig mathematische Richtung verfolgte [$ 21], huldigt
Onejandros vorzugsweiie ethiſchen Bejtrebungen, und jchon
deshalb darf man jich nicht wundern, daß jeine Schrift von Gemein-
pläßen wimmelt.
Eben der moralifh=rhetoriihe Charakter ded Strategifod = logo aber mar
es, welcher das Buch bejonderd den Dft- Römern und den Franzoſen jo wert
gemacht bat. — Kaijer Leo VI. Hat in jeine „Summarijde Auseinanderſetzung
1. Das Zeitalter des Prinzipats. y3
der Kriegäfunjt“ M. 58] faft den ganzen Traktat des Onejandros aufgenommen,
wenn auch paraphrajiert, und auch diejenige Faſſung des lepteren, melde der
Cod. Ambrosianus (B 119) enthält, jtellt jih (8. 8. Müller zufolge) als eine
bzantiniſche Umſchreibung des DOriginalwertes dar.
. Dem Abendlande wurde Onejandros zuerjt wieder durch zwei lateinijche
Überjegungen befannt, deren eine Sagundino im Jahre 1493 zu Rom als
Anhang des Begez heraudgab, während die andere unter dem Titel De optimo
imperatore zu Paris erjdien (1504). Ülter als beide ift jedod die jpanifche
Übertragung des Al. de Balencia: Tratado de la perfegion del triunfo
militar, welche bereitö 1459 hergejtellt, doch erſt um 1495 s. I. e. d. gedrudt
worden ijt. Demnächſt erjhien eine Berdeutijhung unter dem Titel „Ones
ander von den Kriegshandlungen vnd Rathen der hodyerfahrn guten hauptleut
jampt jren zugeordneten“ in ein und demijelben Kriegsbuche mit Frontin zu
Mainz 1524 und 1532). [8 26. u. XVI 83.) Nun erjt folgten die Franzofen
und Jtaliener. Eharrier bot eine Überfegung von Onejander, Frontin, Modeſt,
Aelian und Madjiavel (Paris 1546); zwei Jahre jpäter erihien Onejandrog zu
Benedig unter dem Titel Dell’ ottimo capitano generale. Aud in Spanien
bfieb ihm das Intereſſe zugewendet und Gracian de Ulderete veröffentlichte
ald 1. Band jeiner Sammlung De re militari des Onosandro Plätonico de
las calidades y partes, que ha de tener un excellente Capitan General y
de su officio y cargo (Barcelona 1567). — Im Jahre 1593 vollendete zu
Never ein gelehrter Artillerift, Blaife de VBigenere, eine franzöfiiche Über—
jegung und begleitete diefen Act militaire d’Onosandre mit annotations und
Erkurjen der mannigfaltigjten Art, jo daß ein Duartant von 1500 Geiten ent-
fand, der erjt nach ded Autors Tode gedrudt und dem Herzoge von Sully zu=
geeignet wurde (Paris 1605). Bigenered Variationen übertreffen das Thema wohl
um das Zehnjahe an Umfang und vielleiht no mehr an Wert. Aber aud)
wenn man die Neigung diefer Zeit in Anſchlag bringt, wiſſenſchaftliche Arbeiten
erit dann für voll gelten zu lafjen, wenn fie ſich irgendwie an die Antike lehnten,
fo würde Blaije doch die Rhapjodie Onefanderd ſchwerlich zur Unterlage jeines
Bertes benupt haben, wenn er fie nicht au an und für fi geihäßt hätte.
Erjt nad dem Erſcheinen all dieſer Überjegungen wurde der griediide
Driginaltert Onefanderd herausgegeben u. zw. von Camerarius in Bes
gleitung einer dem Feldhauptmann Lazar. v. Schwendi gewidmeten lateinijchen
Übertragung (Nürnberg 1595). Bier Jahre jpäter erfolgte die Pariſer Edition
von Rigault.
Das 17. Ihdt. jcheint das Strategikon logon ganz aus den Mugen verloren
zu haben; aber das 18. nahm die VBeihäftigung mit demjelben aufs neue auf,
zumal der Marſchall von Sadjen die Borjchriften Onejanderd des jorgfältigjten
Studiums für wert erklärte. Guiſchardt gab in jeinen M&moires militaires,
t. I (Haag 1757), der Baron Zur-Lauben in jeiner Bibliotheque militaire
!, ®gl. de Zurlauben: Sur une traduction allemande d’Onosandre impr. à Mayence.
(Memoires de l’acad. des inscript. t. XXX. hist. p. 159.)
94 Altertum. II Das Halbe Jahrtaufend des römischen Jmperiums.f
(Barid 1760) neue Überfegungen ind Franzöfiihe, und Schwebel benugte bie
Manujfripte Scaliger8 und Voßius' zu einer befjeren vollftändigen Originalaus-
gabe (Nürnberg 1762), welcher Zurlauben® Übertragung und Erläuterung bei—
gefügt wurden. In Bezug auf diefe Ausgabe jpottet der Prinz von Ligne:
»C'est un Allemand, qui €crit en latin, un Latin, qui &crit en grec, et un
Suisse qui &crit en francais des Notes inutiles et p6&dantesques... Le
premier est un J&suite, le second un philosophe et le troisieme un officier« !).
Der Prinz ift überhaupt auf Onejandros jchleht zu ſprechen und charakteriſiert
ihn in feiner wigigen Weije mit folgenden Worten: »Pour donner une idee
de ce philosophe qui parle guerre comme un docteur de Sorbonne, la seule
fois qu’il ne dit pas des lieux communs, il conseille d’envoyer de la caval-
lerie battre l’estrade (auf Kundſchaft reiten), si c'est un pays de bois ou
bien ferme par des collines ... Il ne faut pas se moquer des vieilles gens;
mais il faut croire qu’Önosandre se moquoit de nous, quand il dit, que
le general doit crier à la droite de l’armde, que tout va bien à la gauche,
quand m&me elle seroit battue«. — Auf Grund der Schwebel’jhen Ausgabe
bot Baumgärtner in feiner jog. „Bollftändigen Sammlung aller Kriegsichrift-
iteller der Griechen“ (Frankfurt 1779) eine mangelhafte Berdeutihung mit vielen
Noten von geringem Werte [$ 4]; dann erjtarb das ſachliche Intereſſe an Ono-
jander und nur das philologijche lebte fort. Ihm verdankt man die Original:
edition von Coray (Paris 1822. V. Band der Parerga Hell. Bibl.) jowie die vor-
zügliche fritifche Tertausgabe Köch lys in der Teubnerfhen Sammlung (Leipzig 1860).
8 29.
Trägt Onejanders Werf einen vorwiegend ethiichen Charakter,
jo findet der andere Bol der militärwifjenjchaftlichen Bejtrebungen
der Griechen, der mathematijche, wieder prägnante Vertretung
in des Ailtanos Theorie der Taktik (rasrızn) Hewpia), welche
etwa i. 3. 106 gejchrieben jein wird?). Won der Perſönlichkeit des
Autors ijt nichts befannt; nur darf man wohl mit einiger Sicherheit
behaupten, daß er nicht nur griechijch jchrieb jondern auch Grieche
war?). Das Werk iſt dem Kaijer Trajan gewidmet (J8—117 n. Chr.) *).
Es handelt, wie Aelian in der Dedifation ausdrüdlich hervorhebt,
nur vom Älteren griechijch-mafedonijchen Kriegswejen, da die Kenntnis
des römischen ihm fehle. Seine Bedenken, dieje veraltete Wiſſenſchaft
1) Catalogue raisonne. 1805, p. 251.
2) Bol. hierüber: För ſter: Studien zu den griehijchen Zattifern. (Hermes XII. 1877.
S. 44449.)
) Der dem Yelian häufig gegebene Vorname „Claudius“ ift jalih. Claudius Aelianus if
ein naturwiifenjchaftlicher Schriftiteller des 3. Ihdts. n. Chr.
49 Allerdings ericheint die Schrift in den Handfchriften dem Hadrian gewidmet; allein aus
guten Gründen hat Köh!y das Iduars in Towers geändert. — Bgl. auh För ſter a. a. O.
1. Das Zeitalter des Prinzipats. | 95
vorzutragen, ſeien auch erjt beichwichtigt worden, als er erlebt, daß ein
ausgezeichneter römijcher Kriegsmann Intereſſe daran genommen ‚habe.
Er jagt: „ALS ih zu Zeiten von E. Maj. allerhöchſtſeligem Water Nerva
mich einige Tage bei dem berühmten Altkonſul Frontinus aufhielt *), einem
Manne, der wegen jeiner friegeriihen Erfahrungen in hohem Rufe ftand, fand
ih, daß derjelbe fih nicht wenig für die griechifche Kriegslehre interefliere. So
dachte ich denn an die Bearbeitung diejer Taktik, überzeugt, Frontin würde fie -
nicht ſchätzen, wenn er fie der römijchen für unebenbürtig halte... Endlid war
es aber E. Maj. unüberwindliche Tapferkeit und Kriegderfahrung, durch welche
Diefelben (um es furz zu jagen) alle Feldherrn übertroffen, die je gelebt, was mid)
veranlaßt Hat, dies Werk zu vollenden, welches gar ſchön und wohl geeignet
iit, bei Freunden der Kriegskunſt die Schriften der alten Griechen zu verdrängen,
namentlich wegen jeiner höheren Klarheit und befjeren Anordnung. Freilich trug
ih Bedenken, diefe Schrift einem in fo vielen Kriegen erprobten Feldherrn zu
überjenden (mußten doc meine Vorſchriften jeiner Einficht gegenüber ſchwach er:
ſcheinen!). ®enn E. Maj. jedoch diejelbe als griechiſche Wiſſenſchaft und glatte
Darjtellung in Betracht ziehen wollen, in welcher Diejelben zugleich die Anlage
der Schladhten Alexanders erfennen werden, jo dürfte E. Maj. mein Werk dod
einiged Bergnügen machen“,
„In Rückſicht auf die bejchränfte Zeit des Kaiſers“ hat Aelian
ſehr einjichtsvoll jeinem Buche ein ausführliches Inhaltsverzeichnis
vorangejchidt, welches 113 Paragraphen aufzählt, die man gewohnt
ft, ım 42 oder 53 Kapiteln zujammenzufajfen. Dem Stoffe nad)
gruppieren jich die Paragraphen, wie folgt:
1—3: Die bisherigen Kriegsfchriftiteller. 4—11: Die neun Klajjen der Streits
baren: Schwerbewafinete, Beltajten, Leichtbewaffnete; Spießreiter, berittene Speer:
ihügen, reitende Bogenjhügen, Banzerreiter; Streitwagen und Elefanten. 12—26:
Taftijche Einteilung der Grundftellung. 27—34: Stärken der Abteilungen. 35—42:
Die Hierardie der Befehlshaber. 44—48: Gewöhnliche, gejchlojjene Stellung und
Berihildung. 49—54: Bewaffnung und Auswahl der Hopliten. 55—62: Die
Leihtbewafineten. 63—74: Die Reiterei und ihre Taktik. 75: Elefanten und
Sihelwagen. 76—113: Die Formen der Elementartaftit des Fußvolks und die
Kommandorufe.
Das 1. Kap., deſſen bereits in der Einleitung 8 1] gedacht
wurde, iſt von bejonderem Interejje.
Aelian beginnt die Reihe der Kriegsjchriftiteller mit Homer und führt jie
bis zu Bojeidonios (Asklepiodotos) und dem uns unbelannten Bryon, dem
„Berfafler eines Lehrbuches“. Er behauptet, jie alle gelejen zu haben (was
1) Ob diejer Frontinus identijch mit dem Sriegsichriftiteller fei, oder ob etwa an den Altfonjul
Fronto zu benfen fei, ift nicht völlig fiher (vgl. ebd. 446).
*, In der Einleitung ftellt Aelian auch ein Buch über den Seekrieg in Ausfiht, und Fabricius
gibt in der Bibl. graeca (V, p. 621) an, daß eine Handſchrift desfelben erhalten jei, jagt aber nicht wo
95 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaufend des römiſchen Imperiums
übrigens ziemlich zweifelhaft erjcheint) und findet, daß „jozujagen alle dieje Schrift:
fteller ihre Werke nur für Eingeweihte ſchrieben“. Aelian will daher dafür jorgen,
daß andere bejjer belehrt werden, und zu dem Ende überall da, wo Worte nicht
augreihen, Figuren zu Hilfe nehmen !). Lebhaft hebt er jeine mathematijchen
Kenntnifje hervor, und eben diefe Geijtesrihtung läßt Aelians Werk dem bes
Asklepiodotos ‚von vornherein verwandt erjheinen. Aber die Berwandtichait
geht noch weiter; die Taftif des Asklepiodotos ift offenbar die Hauptgrundlage
für Aelians Arbeit gemwejen; denn zwiſchen beiden Werten zeigt fih eine fait
völlige Ubereinjtimmung in Anordnung und Gang.
Vie Asklepiodotos zeigt auch Ailtanos ſich nicht als militärticher
Fachmann, jondern als Theoretifer, als „Kathedertaktifer“. Daher
finden jich bet beiden Mißverſtändniſſe, und daher jtreben beide, bes
jonders Aelian, nicht ohne Pedanterie nach ſyſtematiſcher Vollſtändig—
feit. Nichts läßt diefer weg, was er in jeinen Quellen findet, und
unzweifelhaft tt er mit der griechtiichen Militärliteratur gut vertraut.
Gerade der Gedanke, daß auch des Asklepiodotos Werf an Wer:
ſtändlichkeit und Syſtematik noch zu wiünjchen übrig lajje, hat ihn
zur Bearbeitung jenes eigenen vermocdt. Immerhin bleibt er, auch
dem Wortlante nach, abhängig von Asflepiodot; aber er entlajtet die
Daritellung von den überwuchernden mathemattichen Einzelheiten und
ordnet bie und da die Dinge beifer an. Sem Stil it jo gefeilt,
wie der des Askleptodotos; er jchreibt, wie es ſich in einem wiſſen—
Ichaftlichen Lehrbuche ſchickt, fnapp umd genau, und läht es an Er—
flärungen der technischen Ausdrücke nicht fehlen.
Was Neltan bietet, it nun keineswegs die Taktik der großen
geiten des Griechentums; jeine Verficherung, der Kaiſer fünne aus
dieſer Auseinanderjegung die Schlachtordnungen Aleranders kennen
lernen, beruht auf Selbittäujchung. Er gibt nichts anderes, als die
phalangitische Sarijentaftif der Diadochen. Seine regelrechten Figuren
imponterten jedoch den Kriegskünftlern Noms um jo mehr, je ent-
jchtedener dieje an dem Wert ihrer eigenen legionaren Nationaltaktif
irre geworden waren. — Näher joll Nelians jchulmäßige Darftellung
!) Die Editio princeps bes Robortelli erſchien auch mit vielen Bildern, bie aber nur
zum Teil den Hanbjchriften entnommen, zum Zeil dagegen (wie namentlih bie Tanbsfnehtsmäßigen
Kriegerfiguren) ‚Robortellis eigene Erfindung waren. Abchly und Rüftomw haben mit Recht nur
die erfteren reproduziert. — De Liane bemerlt in diefer Hinfiht: »Elien promet à l’Empereur
la victoire, s’il se sert de ses rhombes, de sa Bataille lunaire, de sa Phalange transversee,
entortillöde, courbe, ou Tourme et l’espece d’oeuf. Les desseins en sont plaisans. Je me
contenterai d’observer, que tous ces Auteurs grecs paroissoient se plaire A des desseins
baroques, propres à amuser les enfans.«
1. Das Zeitalter des Prinzipats.
der alerandrintichen Taktik in der vergleichenden Zuſammenfaſſung —
antiken Kriegswiſſenſchaft gewürdigt werden.
Für die Byzantiner wurde Ailianos eine Hauptquelle, aus der
Kaiſer Leo VI. vieles wörtlich übernahm M.S 8), und von den Romäern
übertrug dieſe Vorliebe jich) auf die Araber. Glanzpunft der jpärlichen
und unjelbitändigen islamitiſchen Militärliteratur it die arabtiche Über—
ſetzung Meltans, welche in em um 1350 zuſammengeſtelltes Lehrbuch
der Taftif aufgenommen wurde !). — As man ſich dann im Abend—
lande mit wifjenjchaftlicher Begründung der Gefechtsformen des Fuß—
volks zu beichäftigen begamı, richtete ſich ebenfalls die Aufmerkſamkeit
jofort wieder auf Aelian: entiprach doch die Sariſentaktik durchaus den
Bedürfniſſen der den Langſpieß Führenden Knechte des 15. Ihdts.
Am Jahre 1487 wurde eine lateinifche Überfegung der „Zaftiichen Theorie”,
weiche Theod. Ga za von Theſſalonich hergejtellt®), in die Sammlung der Veteres
de re militari aufgenommen und mit diejem Kanon wiederholt neu abgedrudt.
Aus diejem Werke find die meijten reglementarijchen Formen des 16. Ihdts. ge—
ihöpft. Dementiprechend wurde ed nad) Gazas Verſion fon früh verdeuticht
(Köln 1524). Im 16. und 17. JHdt. ift auch das griechiſche Driginal
fünfmal herausgegeben worden: zuerjt 1532, dann 1552 zu Venedig von Ro—
bortelli, 1556 von Gesner in Zürich, 1613 bei Elzevier in Leyden mit
Kommentar von Arcerius und 1683 von Blancardus in Amfterdam. Mit
den Veteres scriptores ijt Aelian mehrfad in andere Sprachen überjeßt worden.
Die erſte jelbjtändige franzöjiiche Übertragung war die von Mardhault in
feinem dem Könige Louis XIII. gewidmeten Werte »Les milices des Grecs et
des Romains« (Paris 1615). Sie führt bier den Titel: »De la Sergenterie des
Grees« und zeichnet ſich durch intereflante Figuren aus. Gleich darauf wurde
Yelian von Bingham ins Englijche überjegt: The art of Embatteling and
Arıny (London 1616). — Das 18. Ihdt. brachte die jranzöfiiche Übertragung von
Bouhaud de Buy (Paris 1737, 1757) und die Verdeutfhung Baum—
gärtners in der jog. „Sammlung aller Kriegsichriftjteller der Griechen“ [$ 4],
aus der jie zu Mannheim 1786 gejondert abgedrudt wurde. — Im 19. Ihdt.
erihien eine engliſche Überfegung von Lord Dillon (London 1814) und endlid)
eine treffliche kritiiche Ausgabe nebjt Verdeutiyung und Erklärungen in Köchlys
und Rüjtomws „Griechiſchen Kriegsſchriftſtellern“ (II, 1. Abt.) Leipzig 1855.
830.
Weiß man von des Ailianos Perſönlichkeit nur ebenſoviel, als er ſelbſt
von ſich berichtet, ſo ſteht dagegen Arrian im hellen Lichte der Geſchichte.
1) Bgl. Wüftenield: Das Heerweſen der Muhamedaner und bie arabiſche Überſetzung des
Lelian (Göttingen 1880).
*, Die Handichrift befindet fi im Batifan, wo fie ben Titel führt: Aelianus de instruendis
aciebus Theodoro Thessalonicensi interprete (ms. lat. no. 3414, 351).
IJähnd, Geichichte der Kriegswiſſenſchaften. 7
98 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaujend des römifchen Imperiums.
Flavios Arrianos wurde zu Nilomedien in der damald von Plinius
verwalteten Provinz Bithynien als Sohn einer armen, doc angejehenen Familie
geboren. Jung nad) Rom gefommen, ward er Schüler des Stoiferd Epiftet, was
ihn jedoch nicht hinderte, fi) den Waffen zu widmen. Er zog die Aufmerkſam—
feit des Kaiſers Hadrian auf fi, erhielt das römijche Bürgerrecht, im Jahre 136
die Präſektur von Kappadokien und verteidigte die® Land mit Erfolg gegen einen
Einfall der Albaner!). Der Kaijer verlieh ihm die fonjulariihe Würde und er-
bob ihn zum Oberpriejter der Ceres und der Projerpina. Arrian jtarb unter
Marc Aurel in feiner Heimat Nitomedia.
In ganz eigentümlicher Weiſe hat Arrian, namentlich als Schrift-
jteller, dem Kenophon zu gleichen geſucht. Um dem Epiftet zu
werden, was Kenophon dem Sofrates gewejen war, jchrieb er die
Vorträge desjelben wortgetreu nach und ſchuf jo das beite Werk,
welches uns über die Stoa überblieben it?). Entiprach dies Werk
den „Memorabilien“ Kenophons, jo jtellte er den ſieben Büchern der
Kyrupädie, welche den Gründer der perjiichen Monarchie verherrlichten,
jene jteben Bücher von den Taten Aleranders entgegen, alio
des Fürſten, der das Perſerreich zeritörte ?).
Dieje Arapanıs Ahstandoov iſt auf Grund der für uns verlorenen Rela-
tionen des Ariftobulos, de Eumened und des Ptolemäos geichrieben, welche
Alexander jelbft begleitet hatten. Längft war das Bild des großen Makedoniers
durch die Sagen wundergläubiger Völker und die Deflamationen der Sophiiten
ins Märcenhafte gejteigert worden; jegt ftellte der nüchtern=kritiiche Arrianos aus
dem Romane die Geſchichte wieder her und leijtete damit auch der Kriegswiſſenſchaft
einen hochanzuſchlagenden Dienſt; denn ohne jein Werk wäre man völlig außer
itande, Aleranders Feldzüge in Aſien mit irgend welchem Nutzen zu ftudieren.
Aber auch über eigene Kriegstaten vermochte Arrian zu jchreiben.
Der Anabafis des Zenophon jeßte er eine Daritellung jeiner Unter:
nehmung gegen die Albaner zur Seite, von der allerdings nur ein
Bruchjtüd, nämlich die Anordnung der Schlahtordnung (Ektaxis)
gegen die Albaner erhalten it *®).
I) Gewöhnlich wird dies Volk als „Ulanen” bezeichnet. Marquardt hat indes nachgetwieien,
dad es jih um die von Dio Caſſius (69,5) erwähnten Albaner handle. Dieje waren ein faufaftiches,
an vorzüglichen Bogenſchützen und Keitern reiches Nomadenvolf. — Bgl. Kiepert: Lehrbuch der alten
Geographie (Berlin 1878, ©. 85).
2)" Epiktetos, der die Bhilojophie für eine „Waffe“ erflärte (dyysıurdıor oroarıwrıxor), hat
jelbft nichts geichrieben.
) Neuefte Ausg. von Abicht (Leipzig 1871), griech. und deutich bei Engelmann (Leipzig 1861),
beutih von Ele (Stuttgart 1862—65). — Eine Ergänzung von Arrians „Anabafig“ bilder jeine
Schrift »Indica«. — Bgl. St. Groizg: Examen critique des anciens historiens d’Alexandre
le Gr. (Baris 1804).
*) Ausg. von Blancarbd: Fl. Arriani Tactica (d. i. die ältere Faſſung Aelians) Acies
contra Alanos etc. (Amfterdam 1683, 1750). Herder: Arriani scripta minora (Leipzig 1854),
1. Das Zeitalter des Brinzipats. 99
Die inrafız war Aldarıv (Akavamw) ift eine intervallenloje Phalanz von
8 Mann Tiefe, die aus Legionaren bejteht. Die 4 erjten Glieder führen pila,
die vier hinteren lancese. Ein neunte® Glied iſt aus pfeilichießenden Auriliar-
truppen gebildet. Auf den Flügeln jtehen Geihüge und Reiter. Eine Rejerve
außerlejener Truppen ift zurüdgehalten, um je nach Umftänden an bedrängter
Stelle Hilfe zu leiften.
Wie Xenophon in jenem Werfe über die Lakedämonier ein Bild
der altdortichen Scharung und Kampfart entrollt, jo Arrian in feiner
zeyvn rarııan (Taktik) ein Bild der alerandriniichen PBhalangentattif.
Köchly freilich hat das unter dieſem Namen überlieferte Werf dem
Arrian abgejprochen und für eine ältere Faſſung der Taktik Aelians
erflärt ?); indeſſen Förſter wies mit überzeugenden Gründen nach, daß
Köchly in diefem Falle irrte und jegte die Tradition wieder in ihr
altes Recht ein ?).
Allerdings iſt Arrians Taktik in vielen Stüden der des Melian eng ver:
wandt und ruht jomit indireft auch auf Asklepiodotos' Tattil. Aber dad Wert
des Nilomedierd trägt weniger den Charakter eines doftrinären Lehrbuches als
den eined Leitfadens, der fürdie Praxis bejtimmt ift. Die langen Perioden
Aelians find in leichter faßliche, Feine Säge zerlegt; die Sapverbindung ift
lofer und der Ausdrud breiter. Die Schrift atmet ganz denfelben Geiſt wie
Arriand Anabafis. Für den gewandten Prattiker, der Arrian doc) war, ijt ver:
mutlic die Wahrnehmung, daß mit Aelian auf dem Übungsplage und im Felde
nichts Rechtes anzufangen jei, Beranlafjung geworden, mit einem neuen Verſuche
hervorzutreten, der gewiſſe Unrichtigfeiten verbefiert, Seitenblide auf die moderne
römijche Taktik wirft und das Unnötige wegläßt. So geht er an Aelians Ber
prechung der Wagen und Elefantentämpfe adjjelzudend vorüber (cap. XXII, 1),
behandelt dagegen beim auvaoruıouo; (cap. XI, 6) die testudo der Römer, anderen»
orts die eine Beinfchiene (vgl. Vegetius I, 20) und die Bewaffnung der römi-
ihen Reiter (cap. II, 14). Ebenſo fliht er als echter Praktiker zuweilen Erläutes
rungen aus der Kriegdgeichichte ein, jo z. B. cap. XI, 2 aus den Schlachten von
— Franzöj. von Guiſchard in ben Mémoires militaires (II, p. 199—212). — Deutſch von
Dörmer als Anhang der Anabafis (Stuttgart 1834). — Bal. Groteiend: Die Truppentorps in
Arrians Marihorbnung gegen die Alaner (Philologus XXXVI, 1867, ©. 18).
1) Bol. Köhln: De libris tacticis, qui Arriani et Aeliani feruntur (Züri 1851).
Supplementum dazu (Züri 1852). — [Beide Differtationen in den Opusc. acad. I, Leipzig 1853,
wieberbolt.] — Libri tactici duae |quae Arriani et Aeliani feruntur editiones emendatius
desceriptae et inter se collatae (Züri) 1853). De scriptorum militarium graecorum codice
Bernensi (Zürid 1854). — Rüftom und Köh!y: Weich. des Griech. Kriegsweſens (Harau 1852),
©. XVI; Ködhln und Rüftomw: Griech. Kriegsſchriftſteller II, 1. 74 ff. (Leipzig 1855).
2) Förfter: Studien zu ben griech. Taktifern I. Über die Taktifa des Arrian und Aelian
(Dermes XII, 1877, ©. 426 fj.). Als wirklich arrianiid wird die dem Arrian von jeher zugeichriebene
Tattita begeichnet duch die subscriptio : Aousavod reyrn taxtixn, jowie durch das Zeugnis Kaiſer
Leos im der noleuxuvy napaoxewoy diurazız cap. VII, 86 (ed. Meurs.), wo die Übereinftimmung
iniichen Arrian und Aelian hervorgehoben und doch beider Werte zweifellos auseinandergehalten werden.
7*
100 Altertum. I. Das Halbe Jahrtaujend des römijchen Imperiums.
Reuftra und Mantineia; oder er gibt Hinweije auf die Einrihtungen anderer
Völker: der Armenier und Parther (cap. II, 12), der Inder, Yethiopen und Kar—
thager (II, 3 u. XXII, 5), der Sauromaten, Skythen und Albaner (XI, 2 und
II, 14), der Briten (XXII, 2) und der Perſer (XXII, 4). Alles da® paßt vor:
trefilih auf den Berfajjer der Arapßasıs AleSardgov, der 'Irdıxr und der ärrafıs;
denn in diejen Schriften fommen eben aud) all die in der „Taktik“ beiſpielsweiſe
aufgeführten Völker vor, und es ijt gewiß nicht Zufall, daß der jonjt Eitaten
abholde Arrian, doc zweimal (cap. V, 3 u. XXXVL, 9) Stellen aus Xenophon
anführt?).
In dem Traftate über die Reiterei, welche der Taktik Aelians
jehlt, dagegen die Arrians ſchließt (c. 32, 3—44) jtellt der Nifomedter
auch den hippolvgtich-favalleristiichen Werfen des Xenophon eine einiger—
maßen entiprechende Arbeit zur Seite, welche jogar Köchly als Eigen:
tum Arrtans anerkennt ?).
Das Kapitel handelt von den Übungen der römiſchen Reiterei, inöbejondere
von deren Parade-Evolutionen. Der Tert ijt aber jo mangelhaft erhalten und
daher jo unverftändlid, daß ihn weder Guiſchardt ins Franzöſiſche, noch Köchly—
Rüſtow ind Deutſche übertragen konnten. Soweit die Dinge jich erfennen laijen,
find jie überaus künſtlich und offenbar jtart von barbariichem Wejen beeinflußt.
Sberer, Kantabrer und Selten, Parther, Armenier und Sarmaten haben der
Taktik der römijhen Alen ihren Stempel aufgedrüdt, und unter den Trugiwafien
jpielt die Hauptrolle der Wurfipieh.
Im Schlupworte des Verfaſſers wird als Zeit der Abfaſſung
des Werkes das 20. Jahr der Negierung HDadrians angegeben, d. it.
das Jahr 137 n. Chr. Wie Aelians Taktik dem Trajan, jo tft die
des Arrian dem Hadrian gewidmet.
Eine lateinijche Überjegung von Arrians Taktit veröffentlihte Blan—
Hard (Umjterdam 1683, 1750), Franzöſiſch von Guiſchardt in jeinen
Me&moires militaires. Vol. II (Haag 1758) und von de Sérignan in der
Etude: La Phalange (Paris 1880). Italieniſch von Racdetti in jeinem
Trattato de la milizia de Greci antichi (Mailand 1819), Deutſch von
Köhly und Rüſtow unter jorgfältiger Bergleihung mit Aelians Taktit in
ihren „Griechiſchen Kriegsichriftitellern“ (11, 1. Abt. S. 199— 551) mit dem Original:
terte, Erflärungen und kritiſchen Noten (Leipzig 1855).
Mit Aelian-Arrian in vielen Bunkten identiich find die Erklärungen
eines dem Kaiſer Hadrian gewidmeten griechtichen WMilitärlerifons,
welches der Benediktiner de Montfaucon mit latein. Uberſetzung |
in der bibliotheca Coisliniana (Paris 1715) herausgegeben bat.
I) Förſter a. a. O.
2) Wie Köchly jo ſchreiben auch St. Croix (a. a. ©.) und nad ihm Paſſow (in Erſch und
Gruber Encyll. V, 404—105) Arrian nur diejen Neitertraltat, nicht die ganze Taktik zu.
1. Das Zeitalter des Prinzipats. 101
(CCCXLVI; p. 505—514). — Ein anderes Kriegswörterbud.
ralıg scalzıa ai Vvouaciaı vow apyorrew, das wohl auch diejer
Zeit entſtammt, findet jich mehrfach alten Wörterbüchern, u. a. dem
Thesaurus linguae graecae des Stephanus (Genf 1572) ame.
gehängt.
Daß Kaijer Hadrianus literariich tätig geweſen, tjt Durch
viele Zeugnifje bekräftigt; daß er auch eine Taktik gejchrieben habe,
behauptet Salmafius. Die von Vegetius zitierten Hadriani con-
stitutiones jind damit nicht gemeint: dies waren nur auf die Heeres
organtjation bezügliche fatjerliche Verordnungen. Salmajius erklärt
vielmehr eine noch erhaltene Schrift für eine bloße Neubearbeitung
der Hadrianiſchen Taftifa, nämlich das razzızor des Urbictus [M. $ 2].
Neuerdings Hat jedoch Förſter diefe Komjektur als eine irrige Voraus—
jegung nachgewiejen !).
8 31.
In ähnlichem Verhältnifje wie Vitruv zu Auguftus jtand Apollo-
doros von Damascus zu Trajan und Hadrian.
Er war ein berühmter Architekt, der u. a. die Säule auf dem trajanijchen
Forum zu Rom und die kolojjale Kriegsbrücke über die Donau errichtete, welche
jpäter, nach Aufgebung des Gebietes jenjeitö der unteren Donau, auf Hadrians
Befehl zerftört wurde. Apollodoros zog fih Hadrians Ungnade durch freimütige
Äußerungen über den arditektonijchen Dilettantismus des Machthabers zu. Ber:
gebend juchte er die verlorene Gunjt wieder zu gewinnen, indem er in der
Verbannung ein Buch über die Kriegsmaſchinen und die Belage-
tungsfunjt jchrieb, dad er dem Herricher widmete. Diejer lieh ihn bald unter
anem Borwande Hinrichten.
Die zroLıoganrıza des Apollodorus erjcheinen in mancher Hinjicht
als Ausgangspunkt jener mittelalterlihen Bilderhandjchriften,
die bejonders im 15. Shot. ihre eigentümliche Blüte entfalteten. Die
überlieferten Zeichnungen, welche in das Manujfript eingejtreut jind,
tragen einen Charakter, der vielfach an jolche jpäteren Darjtellungen
erinnert. — Apollodors Schrift handelt von den Belagerungstürmen, den
tahrbaren Laufhallen, den Mauerbohrern, den Widdern, der Zerjtörung
der Mauern durch Feuer, von Sturmleitern verjchiedenartiger Kon—
ſtruktion, von Wandeltürmen mit NAusjchlagsbrücden (sambucae) und
Y Rtaifer Hadrian und bie Zaftif des Urbicius (Hermes XII, ©. 449).
102 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiihen Jmperiums.
anderen zur Belagerung geeigneten Gerüjten. Auch ein Schöpfrad
zur Entleerung von Wafjergräben wird bejprochen und in einer Weiſe
dargejtellt, die durchaus an mittelalterliche Typen erinnert.
Ausgaben der Poliorketika finden fih in Thevenots Mathematicorum
veterum Opera und in Weſchers Poliorc6tique des Grecs.
8 32.
Die Gruppe der griechiichen Kriegsichriftiteller des 2. Ihdts.
beichließt Polyainos. Geborener Mafedonier praktizierte er zu Rom
als Ahetor und Sachwalter und jchrieb um 163, jchon in vorgerüdtem
Alter, jeine dem Marcus Aurelius Antoninus und dejjen Mitregenten
Lucius Verus gewidmeten Strategemata!), ein Konkurrenzwerk
des Frontin [8 26).
Bon den Irparnyruarıov Bıßkia oxro find vollitändig nur die Bücher
1—5 und 8 erhalten, 6 und 7 unvollitändig, jo daß man von den WO Strate-
gemen bed Polyaen nur noch 833 befigt. Die erjten 6 Bücher jchildern Kriegs—
liſten griediicher Heerführer (von Bakchos, Ban und Herafles an); das 7. Bud
erzählt die von ‚barbarijhen Feldherrn angewandten Strategeme, das 8. die
der Römer.
Wie Frontin iſt auch Polyaen Kompilator; während der lateintjche
Autor aber jelbjt ein tüchtiger praktischer Kriegsmann war, fehlt Dem
griechiichen Advofaten jeder wahre Begriff vom Kriege. Der ohne
Geſchmack und Kritik zufammengebrachte Stoff verdient nur deshalb
einige Aufmerkjamfeit, weil ein Teil der Originalwerfe, aus denen
Polyaen jchöpfte, ein Raub der Zeit geworden iſt. Unaufhörlich ver-
mijcht der Autor die Strategeme mit beliebigen Gejchichten, die gar
feine Beziehung mehr zur Kriegskunſt haben, und zuweilen bringt er
als Feldherrnkünſte Züge von Niederträchtigfeit, die des gemeinften
Sklaven unmwürdig wären, neben banalen Gemeinplägen, Akten harter
Ungerechtigteit und wilder Graujamfeit. Es tft ein Werf des Ver—
1) Lateinische Überfegungen von Bulteius (Bajel 1549) und Mutoni (Venedig 1552).
Edit. prince. bes gried. Tertesd von Gajaubonus (Leyden 1589), Maas vicius (ebd. 1690),
Murjinna (Berlin 1756), Coray (Paris 1805) und ‚Wölffling(Leipzig 1860), — Deutſch
mit Frontin von Kind (Leipzig 1750), allein von Seybold (Frankfurt 1793) und von Blume Fuchs
(Stuttgart 1854). — Fran zöſiſch vongb’Ablancourt (Paris 1739 und wohl jchon früher) und
von Don Gui-⸗Alexis Lobineau. (Ebb. 1743 und 1770 und aufs neue abgebrudt im 3. Banbe ber
Bibl. militaire von Listenne und Sauvan. Paris 1839.) — Italienijd von Mutoni
(Benebig 1542) und Carrina (ebd. 1552). — Engliicdh von Sheperb (London 1793).
Bol. Joly de Maiyeroy: Traite des stratagemes permis A la guerre, ou Remarques
sur Polyen et Frontin (Me& 1765).
2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 105
alles! — Wenn Bolyän wirklich, wie Sutdas angibt, noch eine Schrift
rarrıza verfaßt hat, jo ift der Verluſt derjelben kaum zu bedauern.
2. Gruppe.
Das Beitalter der Militär-Defpotie.
Noch Ichärfer als Polyäns Kriegsliſten trägt das Zeichen des
Verfalls, u. zw. des VBerfalls nicht nur der Kriegskunſt, jondern aud)
der Sitten, das Werk eines griechtich jchreibenden Orientalen an der
Stirn, das des Julius Africanus.
Sertus Julius NAfricanus wurde, vermutlid unter Septimius
Severus, zu Emmaus (Nilopolis) geboren, wo er jpäter die Würde eines crijt-
lichen Biſchofs bekleidete, literariich tätig war und um 232 ftarb').
Außer einem von den Kirchenhiftorifern oft zitierten Abriſſe der
Weltgeichichte (bis zum Jahre 221 n. Chr.) jchrieb er Kommentare
zur hl. Schrift, und unter dem Titel Asoror, d. i. Benusgürtel,
jtellte er eine Sammlung von Geheimmitteln und Zauberfünjten zus
jammen, die großenteil3 zum Gebrauche im Kriege bejtimmt waren ?).
Später jind in dies Buch jehr viele Bruchjtüde anderer Arbeiten ein-
geichoben worden, namentlich aus des Aineias Boltorketifon und aus
den für Konjtantin VI. (780—791) gejammelten Schriften über Roß—
arzneifunde (Srrrrrargıza) und Landbau (Tewscoveza), jowie aus der
eines militärischen Anonymus des 6. Ihdts. [M. 84], jo daß die
Keiten, jo wie jie vorliegen, Nejte von Schriften aus einem taujend-
jährigen Zeitraum umfafjen >).
Einer kurzen Vorrede folgen ahtundfiebzig Kapitel: 1. Bon der Bewaffnung.
2. Bon verjchiedenen Mitteln, den Feind zu vernichten. 3. Weinvergiftung.
2, Die Hauptitellen über ©. J. Air. ftehen bei Suibas I, 94 (1100 n. Ehr.), bei Bbotios:
Bibl. XXXIV, p. Ta, 6—24 (870 n. Chr.) und bei Eujebios: Chroniton I, p. 64 und Hist. ecl.
vl. 31 (820 n. Chr.).
2) fiber den Titel vgl. Ilias XIV, 214,5: „Sprachs und löfte vom Bujen den wunderköſtlichen
Gürtel, buntgeftidt; dort waren die Zauberreize vereinigt.” — Uusgaben: bei Thevenot:
Math. vet. (Paris 16v8), p. 275— 316 und in Meursi opera vol. VII, ex recens. J. Bami
(Florenz 1746) p. 897—9%4. — Frranzdfiichhe (jehr freie, Überıragung der auf die Ktriegskunſt bezüg⸗
lichen $apitel in Guiſchardts M&moires critiques III, p. 273—392. — Puchard, der eine Über:
wgung ins Lateinijche unternommen, gab dieje, wegen des abjcheulichen Inhalts der Keſten wieder auf.
Fabricius Bibl. gr. V).
) Schon Eajaubonus bat dieie Miichung nachgewieſen. Köchly und Rüitom führten
die Unterſuchung weiter in ibren Borbemerkungen zu den kritiichen Noten zum byzantinischen Anonnmus,
Griech. Kriegsichriftiteller II, 2. Leipzig 1855.)
104 Nltertum. II. Das halbe Jahrtaujend des römijchen Jmperiums.
4. Luftvergiftung. 5. Mittel, fih fampfmutig zu machen. 6. und 7. Mittel,
um den Schmerz einer Operation nicht zu empfinden. 8—14. Bon den Pferden,
ihrer Behandlung und Zäumung. 15. Mittel, Pferde zu jchreden. 16—19. Roß—
arzneimittel?). 20. Borjchlag, die Truppen durch Jagden, namentlid; Löwenjagden,
auf die Beſchwerden des Kriegs vorzubereiten. 21. Methoden, unerjteigliche Höhen
und Strombreiten zu mejjen. 22. Vorteile guter Augen und Mittel, um das
Gehör zu jchärfen. 23. Sicherung gegen das Einſchlafen. 24. Von den Elefanten
und der Art, fie zu bekämpfen. 25—28. Bom Landbau? 29. Vom Bogen-
ihiejen. 30. Bon Verarbeitung de Holzes. — Dieje dreißig Kapitel dürften im
weientlihen von Africanus elbſt herrühren, wobei hier die Frage nad dem Zus
jammenhange mit der Hippiatrica und Geoponifa aus dem Spiel bleib. Nun
aber beginnt das wunderlidjte Durdeinander. Die Kapitel 31 —38 und 40—44
jtammen nod von Africanus; fie handeln 31. vom Schlaftrunf, 32. und 33. von
Zerftörung der Wälder und Ernten, 34—36. von favallerijtiihen Geheimmitteln,
37. vom Pfeilgift der Skythen, 38. vom Feuerlöſchen mit Weinejfig, 40. von
medizinijchen Wirkungen der Raute und des Rettigd, 41—43. von Wundarznei-
funde, 44. von Brandjägen. Die Kapitel 39 und 45 bis 59 entſprechen ebenjo
vielen Stellen aus dem Poliorketikon des Aineias ſ8 8] und verbreiten ſich über
die Brandftiftung an Toren und Belagerungsmajhinen, über Waſſeruhren,
Torwachen, Geheimjchrift, Entdedung, Bekämpfung und Schug der Minen, über
Fallgatter, über die Kunft, eine große Stadt mit Feiner Bejagung zu halten
u. dgl.m. — Die Kapitel 61—73, 77 und 78 gehören in die „Kriegswiſſenſchaft“
des byzantinifhen Anonymus aus dem 6. Ihdt. [M.$ 4]; fie beziehen ji auf
die Bognerkunft, auf die Schlahtordnung, auf dad Berhalten nad) einer Nieder:
lage, auf die Frage, wann eine Schladht anzunehmen jei und wann nicht, auf
Hinterhalte und Überfälle, Spione, Gejandte und Überläufer, Fanale und Wacht⸗
dient, jomwie auf Anordnung und Bewafinung der Phalanı, wobei die Kapitel
des Anonymus arg durdeinander geworfen find. — Endlich enthalten die Keſten
nod) vier Kapitel taftiihen und militärpolitiihen Inhalts (60, 74—76), welde
teil an Asklepiodotos |$ 21], teil® aud) wieder an den Anonymus gemahnen
und vielleiht von Kaiſer Leo fompiliert find.
In militärischer Hinficht tft das von den Brandſätzen handelnde
44. Kap. von großem Interejje; denn bier handelt Jul. Africanus
von einem jich jelbjt bewegenden Feuer (zig arröuaror).
Dies wird folgendermaßen bergejtellt: „Nimm gleihe Teile ungebrannten
(gediegenen ?) Schwefeld, Salpeter$ und ferdonijchen Pyrits (Antimonjchwefel ?),
zerreibe diefe Stoffe mittagd in einem ſchwarzen Mörjer, füge gleiche Mengen
von Syfomorenjaft und flüjfigem Asphalt Hinzu, miihe dann dad Ganze zu einem
jettigen Teig und füge endlid eine geringe Quantität ungelöſchten Kalks Hinzu.
Man mus die Maſſe vorfichtig umrühren, um Mittag und muß ji das Geſicht
ſchützen; denn die Miihung fängt ehr leicht Feuer. Fülle fie dann in eherne
1) Diefe Kapitel finden ſich in den Hippiatrila wieder.
2) Dieje Kapitel finden fich in der Geoponila wieder.
2. Das Zeitalter der MilitärrDeipotie. 105
Sapieln, weldye mit Dedeln geichlofjen jind und Hüte jie vor den Sonnenjtrahlen,
ren Berührung ſie entflammt“.
Wir haben es bier mit der ältejten Zujammenjegung des jpäter
og. „Öriechtichen Feuers“ zu tum, welche, dadurch noch bejonderes
‚sntereffe gewinnt, daß als wejentlicher Bejtandteil bereits Salpeter
enhemt und daß die Bezeichnung als „automatisches Feuer“ auf eine
rofetenartige Bewegung zu deuten jcheint. Eben dieſes Feuers gedenft
auch em Zeitgenoſſe des Jul. Africanus, der griechiiche Rhetor At he:
natos, welcher um die Wende des 2. u. 3. Ihdts. in Alerandrien
und Rom lebte. Er berichtet in jeinem Gaſtmahl der Gelehrten
Jamooogıorat):
„zenophon, der Taſchenſpieler, erjtaunte die Welt durch feine wundervollen
Fünfte, Er bereitete u. a. ein automatiſches Feuer” (nie arrouarov Enoia ava-
nd),
Da wäre die wichtigite Stelle der Asoror; im übrigen ijt der
Emdrud diejes buntichedigen „Benusgürtels“ widerwärtig. Die Künfte,
welche Africanus empfiehlt, um dem Feinde zu jchaden, ohne mit ihm
u fämpfen, Jind ebenjo teufliich als abgejchmadt. Er lehrt die Ver:
gitung der Lebensmittel, der Brunnen, der Ströme, ja der Luft; doch ind
'tine Rezepte teils jo umverjtändlich, teils jo verrüct, daß fie glücklicher—
weiſe feinen Schaden anrichten fünnen. Unermeßlich it der Aberglaube
des grimmigen Bijchofs, und beftet jich bald an christliche, bald an
heidniſche Vorſtellungen: Hand in Hand mit dem Glauben an über:
natürliche Kraftäußerungen des Djterfejtes oder der Pſalmenſprüche
geht der am die Macht des Gottes Ban, als Urhebers des pantjchen
Schredens, oder an die Kampfmut wedende Wirkung fleiner Kalk—
tüdchen aus dem Magen eines Hahnes, die man vor dem Gefechts-
eginne unter die Zunge legen joll. Häufig beruft Africanus ſich auf
an von ihm jelbjt verfaßtes Zauberbuch. — Er jchrieb die Keiten zu
aner Zeit, da Nom jich in langwierigem ſchweren Kriege mit dem
neuaufitrebenden perjiichen Reiche befand und jich gleichzeitig in Europa
num mühlam der Barbaren zu erwehren vermochte. Die Furcht,
welche die wilde Kraft diejer rohen Stämme den Römern einflößte,
ward nur durch den Haß gegen fie übertroffen; nicht jelten griffen
Feldherrn, deren entartete Truppen den jugendfriichen Gegnern
') Ausg. des Athenaios von Schweighäuier (Straßburg 1801 — 1807), Bud I, cap. 35
I, Band ©, 73).
106 Altertum. II. Das halbe Jayrtaujend des römiihen Jmperiums.
nicht Stand hielten, zur Verräterei und zur niedrigen Liſt, und es
fam wohl vor, daß man ähnliche Mittel anwandte, wie die, welche.
Africanıs empfahl. Freilich trugen die Römer meiſt feine andere
Frucht davon, als die Schande und die Wiedervergeltung der Bar—
baren, denen das Verhalten ihrer „ziviliſierten“ Gegner mit Hecht als
ern widerliches Gemiſch von Feigheit und Niedertracht erichien.
834.
In dem Bierteljahrtaujend vom Ende des 1. bis zur Mitte des
4. Ihdts. find an eigentlid römijchen Militärjchriftitellern
nur ganz wenige Namen zu nennen, und es tit volfscharafteriftiich,
daß der Schwerpunkt ihrer Leiſtungen durchaus nach der juriitiichen
oder der gromatischen Seite liegt.
Die »constitutiones« des Augustus hatten die Verhältnifie der
Garden, der Garnijonen, der Örenzlegionen und der Hilfsicharen hin—
jichtlich ihrer Organijation, Formation und Adminiſtration vollitändig
geordnet. Sie jind dann durch die Konjtitutionen des Hadrian offenbar
in manchen Stüden ergänzt und erneuert worden. Daneben aber
läuft eine eigenartige Entwidelung der Milttärjuftiz. Je mehr
das nattonalvömische Volk ſich vom Heere zurüdzog, um jo mehr
juchte die Statögewalt, durch Privilegien, namentlich zivilvechtlicher
Art, anzuloden, die Soldatenlaufbahn zu wählen; zumal im Erbrechte
gewährte man den Striegern Vergünftigungen, welche die Grundjäge
des alten römischen Rechtes vielfach dDurchbrachen, ein Umſtand, der
im 5. Ihdt. dahin führte, day jich viele Bürger als Soldaten ein—
ichreiben liegen, ohne es wirklid) zu jein (milites inermes). Als Straf-
gejeß für die gemeinen Vergehen galt allerdings das bürgerliche Recht,
aljo der mehr als 600 Jahre in Kraft gebliebene, durch Cäjars lex Julia
majestatis und andere Vorjchriften ergänzte Kriminalfoder des Sulla ;
für Die militärtschen Vergehen aber hatte ji) ein Gewohnheitsrecht
gebildet ; Die Befehlshaber beſaßen die Jurisdiftion über ihre Untergebenen
und liegen Milttärgerichte abhalten, bei denen jedoc) ein assessor to-
gatus, ein vechtsfundiger Berjiger, nicht fehlte. Männer jolcher Art und
andere Juriſten haben denn auch eine friegsrechtliche Literatur
entwickelt, von der jedoch nur jpärliche Reſte übrig geblieben find ?).
N Bol. Ruborff: Romiſche Rechtsgeihichte (Leipzig 1857—59N und Schneider: Zur Weichichte
der militärtfchen Rechtspflege Zürich 1874).
2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 107
Dieje fmüpfen ji) au die Namen des Baternus, des Menander
Arrius, des Aemilius Macer und des Julius Paulus.
Zwar Tarruntenus Paternus führt den Beinamen des „Taktikers“,
und jein Werk, das in den Bandekten den Titel Libri militarium, bei
Lydos den der razrıza führt, enthielt, nac) den erhaltenen Fragmenten
zu urteilen, in der That auch eine Überjicht des Entwicelungsganges
der römichen Taktik. Als der wichtigite Teil der Schrift erjchien
aber denen, die es noch) kannten, offenbar die Bearbeitung des Militär:
rechtes. Nur dieje Seite ift e8, welche Vegetius hervorhebt, wenn
er den PBaternus als diligentissimus iuris militaris adsertor be-
zeichnet (I, 8). — Paternus war Siegelbewahrer (ab epistolis) des
Marc. Aurel und Focht gegen die Marfomannen, über welche er im
Sahre 179 einen entjcheidenden Sieg davontrug. Commodus ernannte
ihn zum Praefectus praetorii, ließ ihn dann aber aus Anlaß der
Verihwörung der Lucilla ermorden !).
Die Fragmente des Paternus finden fi in direkter Überlieferung zunädhit
indes Qaurentiuß Lydos: De initiis rei publicae Romanae (Magistr. I,
9°), und dann in den Bandelten: Digestorum libri, 49 (16, 7) und 50 (7, b);
außerdem in mittelbarer Übertragung bei Begetius I, 27 und II, 19. Xeptere
Stelle ift fajt identijdy mit Dig. 49 (16, 7). Jedenfalls hat Vegetius aus des
Faternus Schrift die Konjtitution Hadrians gekannt, auf die er ſich bezieht, und
wahriheinlich führt auf Paternus aud) die interefjante Notiz über die Spar= und
Sterbefafjen ber römijhen Soldaten zurüd®).
Menander Arrius lebte (Köchlys Unterjuchung zufolge) um die
Zeit des Baracalla (211—217). Bon jeinem Werfe de jure militari
md nur Brüchjtüde in den Pandekten überblieben ®), aus denen u. a.
hervorgeht, daß auch diefer Autor ſchon den Unterſchied zwiſchen ges
meinen und militärischen Vergehen als Ausgangspunkt jeiner gelamten
darlegungen an die Spige jtellt. Seine Arbeit umfaßte mindeſtens
drei Bücher.
Aemilius Macer und Julius Paulus lebten unter Alexander
Severus (222— 235). Macer jchrieb de re militari in vermutlich)
wei Büchern, von denen ſich ein Fragment in den Bandeften
') Ral. Dirkjen: Der Rechtögelehrte und Taktiker Paternus, ein Beitgenofie der Antonine.
(Hinterl, Schriften II, 412 - 434.)
!tı 9) Ausgabe von Fuß (Paris 1811).
Shang: Die Quellen des Begetiuß (Hermes XVI, 1881).
) Mirabelli: Comment. ad fragm. Arr. Menandri (Lips. 1738). — Suringar
De Arr. Menandro eiusque in Pandectis fragmentis (Lugd. Bat. 1840).
108 Mltertum. II. Das halbe Jahrtaujend des römiſchen Jmperiums.
findet: 49 (16, 12). Auch in diejer Arbeit jcheint die juriitiiche Seite
entjchteden vorgewaltet zu haben. — Bon dem Präfectus Prätorio
3. Baulus, einem jcharfiinnigen, doch ſchwer verjtändlichen Juriſten,
weiß man, daß er eine Monographie über die Beitrafung der Soldaten
herausgegeben hat.
8 35.
Eine ganz eigenartige Stellung nahm bei. den Römern die Gro—
matik oder Feldmeßkunſt ein): jie verband nicht nur mathematijche
und jurijtiche, Jondern auch veligiöje Momente, und wurde urjprünglic
von den Auguren ausgeübt. Allmählich bildete ſich jedoch ein bejonderer
Stand der Gromatici oder Agrimensores heraus, dejjen lieder
al® Castrorum metatores auch die Feldlager abjtedten. Die allge
meine Einrichtung dieſer Yager zur Zeit des zweiten puniſchen Krieges
hat Polybios gejchildert 8 19]; wijjenjchaftlich jtellte das Gejamt-
gebiet der Gromatik nach der theoretischen, praftiichen, bürgerlichen
und militärischen Seite zuerit Hyginus dar.
Diejer Hysinus lebte vermutlich unter Septimius Severus (195
bis 211?) und jchrieb außer de limitibus, de conditionibus agrorum
und de generibus controversiarum wohl aud) den Liber de
munitionibus castrorum, ein Fragment ohne Anfang umd
Ende, für welches allerdings weder der Name des Verfaſſers, noch)
der Titel, der nur für den legten Abjchnitt paßt, ficher beglaubigt jind®).
Die Schrift geht von der Beichreibung derjenigen Teile de Lagers aus,
welche unverändert blieben, mochte das Heer nun aus drei, fünf oder ſechs Legionen
und jehr verichiedenen Hilfstruppen beſtehen. Dann handelt fie die Unterabteilung
der Truppen ab, erläutert die Gejfamtanordnung für ein Yager von drei Legionen
und jegt endlicd) die Einrichtung der Zagerbefejtigungen auseinander. Als normale
ı) Die Bezeihnung rührt her von »groma«, einem Bifier-Inftrumente. — Bgl. die Schriften
ber römifchen Feldmeſſer, herausgeg. von Ruborff, Blume, Lachmann und Mommſen (Berlin 1848—52).
Über das geometrifche Wiffen der Römer: Cantor: Die römiſchen Agrimenjoren (Leipzig 1876).
2, Dies ift Marauardts Anficht (Röm. Staatöverwaltung II, ©. 579), für melde aud
der Umſtand fpricht, daß der Autor einen orientalifchen Krieg im Auge hatte ; benn er weift Pläge für
Hamele an. Lange jchreibt das Buch einem älteren Hygin zu, der unter Trajan lebte, Lachmann,
im Gegenſatz dazu, einem jüngeren Hygin, der zu ungewifjer Zeit, doch jedenialld vor Konitantin d. Gr.
lebte. (Erläuterungen im 2. Bande der Gromatici vett. ©. 136 f. und 166 f.)
») Ausg. von Scriveriund im Anhange zum Begez (Leiden 1607), dann mit Bolnbs Ab—
handlung über da® Lagermwejen und mit Kommentar von Schelius zu Amijterdbam 1660, ferner in
des Graevius Thesaurus antiquitatum Romanorum X, p. 599 f. (Atrecht 1698) und zulekt
von Lange (Göttingen 1848). — Deutich in va d. Gröbens Neuer Hriegäbibl. VII (Breslau 1778)
und, bearbeitet in Roeſchs und Nafts Römiſchen Hriegsaltertümern (Halle 1782. ©. 276 ff.).
2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 109
Srundrißform des Caſtrums nimmt Hygin, wie das aud) noch Spätere tun (Veget.
III, 8; Leo Takt. XI, 29), ein Redted an, dejien Länge um ein Drittel größer
it, al® jeine Breite').
8 36.
Kur als Hinweis jet an diejer Stelle noc) der großen Bedeutung
gedacht, welche für die Kenntnis des ſpätrömiſchen Kriegsweſens das
Verf des legten tüchtigen Gejchichtsichreibers der Nömer hat, das Des
Ummianus Marcellinus. Diejer Autor, der zu Antiochta geboren
war, hat Feldzüge ın Hallien, wie im Orient mitgemacht, und zog
ſich nach einer mehrere Jahrzehnte füllenden militäriſchen Laufbahn
nach Rom zurück, wo er um 390 ſeine Rerum gestarum libri
ihrieb, die den Ammian als einen jachfundigen, ehrlichen und wohl
wollenden Kriegsmann zeigen, und eine Reihe von Kapiteln enthalten,
welche unmittelbares Intereſſe fir Die Geſchichte der Kriegskunſt haben.
Die das Geſchützweſen betreffenden Außerungen Ammians (XXIII, 4)
ind von Köchly und Rüjtow in den „Griech. Kriegsichriftitellern“ (I, 407) erläutert
worden. Auf den von ihm bejchriebenen großen Standjtahlbogen wird an anderer
Stelle eingegangen werden [8 39). Hier jei nur auf jeine rafetenartigen Feuer—
dfeile bingewiejen. Sie bejtanden aus einem Rohr (cannea), das mit brenn-
baren Subjtanzen gefüllt und mit Draht ummidelt war. Dieje Pfeile wurden
mit mäßiger Kraft geworien, damit fie nicht erlojhen, und dienten zur Brand»
iftung. Darauf gegoſſenes Wajjer belebte die Flamme; nur mit Sand fonnte
man jie eritiden. Offenbar hat man e8 hier wieder, wie bei Julius Africanus,
mit einer jener pyrotehniihen Mifchungen zu tun, welche jpäter ald „Griechiſches
Feuer“ befannt wurden.
Ss 37.
Der bedeutendjte Kriegsichriftiteller des ſinkenden Katjertums
und zugleich derjenige, welcher, nächjt Cäſar, die breitejte literariſche
Nachfolge hat, it Flavius Degetius Renatus, der Verfaſſer der
Epitoma rei militaris oder der Institutorum rei mili-
taris libri quinque.
Leider mangelt über die periönliche Stellung de Mannes jeder Bericht.
Er jelbft nennt fih comes und vir illustris; dieje Titel jedoh, die allerdings
den höchſten Offizieren, den magistri militum und den comites domesticorum
zulamen, wurden im 4. und 5. Ihdt. doch auch von anderen vornehmen Männern
geführt, und beweijen alſo feineßmweges, daß Vegetius militärifcher Fachmann war.
i) Bal. über die Eaftramentation no: Hlenze: Das römiſche Lager und bie Limitation.
(Sahmanns Bhilolog. Abhandlungen. Berlin 1839, ©. 106 f.) und Zange: Prolegg. crit. et hist.
in Hygini de castrament. libellum. Diss. (Göttingen 1847).
J
110 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiſchen Imperiums.
Er widmet ſeine Schrift einem Kaiſer ohne ihn zu nennen; der
ſpäteſte Imperator, deſſen er, u. zw. als „hochſelig“ (divus) ge
denft (I, 20) iſt Gratian. / Vermutlich tt jedoch der Katier, dem er
das 1. Buch überreicht und in deſſen Auftrag er die folgenden
jchreibt, jener »imperator invicetus«, jener »domitor omnium
gentium barbarorum«, fein anderer als Theodojius d. Gr, welcher
von 379 bis 395 herrichte!).
Früher nahm man gewöhnlich an: die epitoma jei Balentinian II. gewidmet.
) Stevedhius (1568) legt dem Vegez auf Grund einer alten Handſchrift den Titel
eine® comes Constantinopolitanus bei. Als jeinen Wohnſitz betrachtete man
\RKonjtantinopel oder Zrier, die Reſidenz VBalentinians II. (375—392). Gibbon
bat Balentinian III. als denjenigen Kaiſer bezeichnet, welchem die Epitoma ge
widmet jei, und dieje Anficht ift neuerdings von See d mit jharffinnigen Gründen
unterjtügt worden). Ihm zufolge ſpricht jowohl die Erwähnung Gratians ala
die eines objturen afrifanifhen Stammes, der Urcilliani (III, 23), durhaus dafür,
daß Begez im Wejtreiche geichrieben habe. Sein Gönner jei (wie die Einleitnna
zum 2. Buche zeige) ein jugendlicher Herricher, der ziwifchen 383 und 450 regierte,
der eine Feitungslinie hergejtellt und eine Donauflotille unterhalten babe; alle?
dies treffe vollftändig nur bei Balentinian III. zu. Das 1. Buch wiſſe noch nichts
bon einem Siege des Kaiſers; das 2. dagegen beginne gleich mit überſchwäng—
lihem Preiſe des Triumphes. Das erfte Buch jei aljo vermutlich unmittelbar
nah dem NRegierungsantritte Balentinian® III. geichrieben, der damals etwa
7 Jahre alt war. — Uber eignet man Kindern ſolche Kriegsbücher zu und begleitet
jie mit ſolchen Widmungen?
Jedenfalls schrieb Vegetius zu Beginn der großen Völker—
wanderung, zu der Zeit aljo, da zum erjienmale die Grenze Des
Reiches auf die Dauer durchbrochen und die bleibende Niederlafjung
eines Germanenvolfes auf dem Boden des Imperiums durch Die
Schlaht von Adrianopel erzwungen worden war. Es tjt die Zeit,
da der energiſche Theodojius den amdringenden Nordvölfern eben
durch Aumahme der Wejtgoten in den Verband des römiſchen
Neiches wie des römischen Heeres vorübergehend Halt gebot und den
Neichsangehörigen eine Frift gewann, ſich zu ſammeln und herzuftellen.
Einer jolchen Weltlage entipricht es vollfommen, daß des Vegetius
Werk den Charakter eines Wedrufes hat, daß der Verfajler den
Verjuch macht, jenen Zeitgenofjen ein Bild des altrömiſchen Heer:
wejens zu entrollen, daß es auf die jchweren Schäden des Kriegs—
4) Bal, die Begründung in Karl Bangs Borrede zu feiner Ausgabe des Begez (Beipzig 1935)
und Teuffels Römtiche Literaturgeichichte ($ 405).
2) „Die Zeit des Vegetius.“ (Hermes XI.)
2. Das Zeitalter der MilitärsDeipotie. 111
meiens der eigenen Zeit hinweiſt!), dann aber aud) unmittelbar
Vorichriften über Taktik, Strategie, Feſtungs- und Seefrieg gibt,
welche, den Schriften älterer |lateiniicher Autoren entnommen, die
Zeitgenofjen unterrichten jollen, „damit diejenigen, denen es obliegt,
die jungen Krieger zu bilden, durd) Nachahmung der alten Tugenden
die Ehre des römiſchen Heeres wieder heritellen möchten“.
Bon älteren Schriftitellern, die er benugt, nennt Vegetius jelbit:
Cato Maior, Corn. Celjus, Frontinus, Baternus. Dazu fommen die Konftitutionen
Auguſtus und Hadrians, und durd Konjunktur hat man auch die Benupung des
Hngin feitgeitellt?).
Das 1. Bud) zählt 27 Kapitel und handelt von Aufbringung
und Ausbildung der Truppen.
Er beginnt mit Betradhtung der Größe des röm. States als Wirkung der
Kriegätüchtigkeit (1), geht dann auf die Grundjäge rationeller Rekrutierung über
2-8), jhildert den Gang der Ausbildung bei den Alten (9—19), handelt von
den Waffen (20), von der Lagerbefejtigung (21—25), jowie vom Marichdienite
%, 27), und wendet jich endlid; in einem Nachwort an den ion in der Vor:
rede gepriejenen Kaiſer.
Dies 1. Buch iſt für das Verjtändnis des Kriegsweſens zu
Begetius’ eigener Zeit das wichtigite.
Er ſpricht dem Kaiſer jein allerdings unbegründetes Vertrauen darauf aus,
daß der friegeriihe Sinn der Völker des römiihen Reiches noch immer nicht
entartet jei; die lange Friedenszeit nur habe die Menſchen in Sicherheit gewiegt
und jo jei es gelommen, daß die friegerijchen Übungen nad und nad) veriäumt
und vergejien worden jeien. Und doch beruhe auf ihnen die Sicherheit des
State; denn fie allein gäben jenes Gefühl der Überlegenheit und jenes Selbjt-
vertrauen, welche Heine doch wohlgeihulte Heere auch großen aber rohen Majien
gegenüber triumphieren ließen. Dazu jei indes vor allem ein vorzüglicher Erjag
notwendig, und daher Hätten die Alten auf den dilectus, auf die Auswahl der
Kriegsdienftpflichtigen den höchſten Wert gelegt. Jetzt aber gebe es gar feinen
dileetus mehr; an jeine Stelle jei die jehr bedenkliche indictio militum getreten,
derzufolge den possessores, d. h. den vermöglichen Bürgern aller Stände, die
Geftellung von Soldaten oblag, u. zw. nur den possessores der Provinzen;
denn Jtalien, früher ein unerſchöpfliches seminarium militum, hatte in der
Kaiferzeit jeine Wehrhaftigkeit völlig eingebüßt. Dieje gelieferten Soldaten jeien
jedoch feinesweges jorgfältig ausgewählt. Überdies jei es jegt, da die Städter
durch raffinierte Genüſſe entnervt jeien, zwedmähig, die Mannjchaft nur auf dem
Sande auszuheben. (Idem bellator, idem agricola genera tantum mutabat
armorum). Habe man endlich braudbare Leute, jo gelte e8 nun, eine tüchtige
) Bal. Bland: Der Beriall des römiſchen Kriegsweſens. Studie nad Vegetius (Stuttgart 1877).
’, Siehe Vang a. a. O., Shang: Zu den Quellen des Vegetius (Hermes XVI 1831) und
drundius: Quaestiones Vegetianae (Heimftädt 1875).
112 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiſchen Imperiums.
exercitia armorum. Da aber jtelle e8 ji) jofort heraus, daß e8 an brauchbaren
Lehrmeijtern, an guten doctores armorum, an wohlvorgebildeten campidoctores
mangele. Man müſſe aljo den alten Braud durch Studium neu erlernen, und
eben darum habe Vegez jein Buch verfaßt‘). — Ein Hauptübeljtand der mangel—
haften Vorübung der Kriegsmannſchaft jei der, daß diefe nicht im jtande wäre,
genügende Schutzwaffen zu tragen, ohne die doc ein energifches Nahgefecht nicht
durchgeführt werden könne. [$ 27). — Zwar jei die Reiterei nad dem Muſter
der Goten, Alanen und Hunnen jegt beſſer gerüjtet al® früher; die pedites
jedoch jeien nudati. Dies habe ihnen, namentlih auch den gotiihen Bogen—
ihügen gegenüber, unermeßlihen Schaden getan und fie zugleid vom Hand—
gemenge abgeſchreckt. Die gravis armatura, auf welcher vorzugäweije der Wert
der alten Legion beruhte, die fehle jept. Ehedem jei die Legion eine jeite Burg
gewejen (eivitas munitissima); mit Recht habe man jedes Fußvolkstreffen als
murus bezeichnet; jegt aber führe die Legion nicht nur feine Schugwaffen, jondern
aud zum Trutze meijt nur Fernwaffen; das Pilum jei in Wegfall gelommen ;
Bogen und Pfeil jeien zur Hauptwaffe geworden?). — Ebenjo beflagendwert wie
diefe Änderung und Berwahrlojung der Bewaffnung jei da8 Aufgeben der munitio
castrorum, der Lagerbefejtigung. Das alte Heer fei in der Schladht durch feine
Rüftung, im Lager durch den Wall, alfo jederzeit eine civitas murata gewejen.
Nun aber befejtige man die Marſchlager nicht mehr, und jo jeien nicht nur viele
Heere durd) die Barbaren überfallen worden, ondern aud die Niederlagen in
den Schlachten hätten doppelt jhlimme Folgen gehabt, weil das Lager gefehlt
babe, auf welches das erjchütterte Heer hätte zurüdgehen können. Fremde Bölfer,
wie die Neu-Perjer, hätten jich die altrömiſche Sitte der befejtigten Marſchlager
angeeignet; jollte e8 nicht möglich iein, fie auch im Reichsheer wieder einzuführen ?
Das 2. Buch handelt in 25 Kapiteln von der Einrihtung
und dem Dienite der Legion.
Nach einer von Untertänigkeit triefenden Widmung an den Kaiſer erläutert
Begetiuß zunächit die allgemeine Einteilung der Streitmadht nad) Baffengattungen
(1), den Unterichied der legionaren und der auriliaren Truppen (2), den Berfall
der alten Einrichtung (3) und die Unzahl der ein Heer bildenden Legionen (4),
dann bejpricht er den Legiongeid) (5), die Einteilung der Legion (6), die Hierarchie
der Befehlshaber (T—12), die Feldzeichen und die Genturien (13), jowie die
Kegiongreiterei (15). Nun geht er zur Schladhtordnung über, wobei aud Die
1) Die von Begetiuß verlangten Übungen find: der Kriegsichritt, das Schwimmen, der Kampf
gegen den Pfahl (exereitio ad palum), das Fechten, wobei das auf den Stid, dem auf den Sieb
vorgezogen wurde (punctim non caesim ferire), ber Gebrauch der Fernwaffen: Wurfipeer, Bogen,
Schleuder (d. jog. armatura), Fertigkeit im Auffigen (salitio equorum) und die Fähigleit Laften zu
tragen (pondus baiulare).
2) Dementiprechend werden bei Begetiusd unter dem Ausdrud »armatıura« furzweg die Waffen
der Leichtbemwaffneten, die levis armatura veritanben.
», Die Soldaten jchwören „bei Gott, bei dem Namen Ebhrifti und des hi. Geiftes, ingl. bei dem
Namen Er. Kaiſerl. Majeftät, welche nächſt Bott ber höchſten Ehrfurcht des Menſchengeſchlechts würdia
ft, ... dab fie bie Befehle des Feldherrn pünktlich befolgen, nicht entlaufen unb den Tob für die
römische Republik nicht fcheuen wollen.”
2. Das Beitalter der Militär-Defpotie. 113
Ausrüftung der verjchiedenen Treffen gejchildert wird (15—18); er dharafterifiert
die wirtichaftlihen Einrichtungen (19, 20), die Beförderungsverhältnifje (21) und
die Signale (22), geht endlid noch einmal auf die Art und den Wert der Erer-
jitien ein (23, 24) und gibt zulegt (25) ein Bild der zu jeiner Zeit bei der
Legion üblichen Kriegsmaſchinen.
Begetius compilierte jem Werf aus Quellen der verjchtedeniten
Zeiten. Hätte er auch nur einiges Verftändnis von hiſtoriſcher
Entwidelung gehabt, jo wirde namentlich dies 2. Buch uns ein
deutliches Bild von den allmählichen Veränderungen des römijchen
Kriegswejend gewähren müſſen. Leider aber jtellt Vegetius jeine
Auszüge jo unverjtändig zufammen, daß man niemals weiß, von
welcher Zeit er redet, niemals zu unterjcheiden vermag, was er als
ein nachahmungswertes Borbild der Vergangenheit charakterifiert,
was als ein zu feinen eigenen Tagen übliches Verfahren gelten joll?).
Diejer Umſtand jchmälert den Wert der Epitoma des Begetius im
geichichtlicher Hinficht außerordentlich.
Übrigens wirft aud) das 2. Buch traurige Lichter auf den Verfall des
römiichen Kriegsweſens im 4. Ihdt. Welche Zerrüttung des Ehrgefühls offenbart
der Brauch, den Rekruten gleich Gafeerenjtlaven Marken in die Haut zu druden,
bald ins Geficht, bald auf andere Körperteile, um die Dejerteure leicht ausfindig
machen zu fönnen. (Punctis signorum scribere tirones). Unterjhleife und
falſche Erſparniſſe, leichtfertige Urlaubserteilung und Verwendung der Soldaten
für Brivatzwede, kurz die mannigfachſten Mißbräuche jind an der Tagesordnung.
Für die entlaflenen oder entlaufenen Mannihaften werden oftmals feine neuen
eingejtellt, jo daß die Jit-Stärfe mit der Soll-Stärfe niemals jtimmt; namentlid)
in den Legionen; denn bei ihnen, deren militäriiche Verrichtungen zahlreicher,
deren Manneszucht immerhin noch die feſtere ijt, melden ſich faſt feine Frei—
millige; dieje drängen ſich zu den Hilfätruppen, deren Dienst leichter ijt und bei
denen die Belohnungen ſich rajcher einftellen. Die Bejörderung geht nad) Gunſt
itatt nad Berdienft, und unzählbar ift die Menge der Grade — immer ein
Zeichen der Entartung und des Verfalles. Und ein ebenſolches iſt die Mafjen-
haftigkeit des Auftreten ſchwerer Geſchütze als integrierender Teile der Legion.
Die Balliften und Katapulten werden nicht mehr wie früher in der Kaiferzeit
im Sinne einer Divifionsartillerie dem Heere zugewieſen, jondern im Sinne der
Bataillonsjtüde des 18. Ihdts. Einer jeden Legion wurden 55 Carroballijten
und 10 Onager zugeteilt, jo daß man auf jede Ktohorte 5 Horizontal» uni
') Das bat jchon der Autor der anonymen »Institution de la discipline militaire« erlaunt
Syon 1559). Er jagt von Vegetius »Il distingue assez mal les temps et mutations de la
diseipline romaine.e Auch Salmafius hebt diefen Mangel hervor. (De re militari Romanorum.
Senden 1657.) — Die antiqua legionis ordinatio, deren Vegez II, 6 gedentt, wird gewöhnlich in
bie Zeit des Diofletian oder Aurelian gejegt; doc hat Schang neuerdings a.a. O wahricheinlich ge—
macht, dab fie in die Beit des Habrian gehöre.
Jahns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 8
\
114 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römiſchen Imperiums.
1 Wurfgeſchütz rechnete. Da die Legion zu Begetiuß’ Zeiten reglement3mäßig
6100 Mann gezählt zu Haben jcheint, jo fam fast auf jede Hundertichaft 1 Geihüß:
eine unerbört jtarfe Artillerie,
In jeinem 3. Buche behandelt Vegetius in 26 Kapiteln Taftif
und Strategie.
Nahdrüdlich hebt die Widmung an den Kaifer den Wert der Kriegstheorie
hervor. „Wer den Frieden wünſcht, der übe jein Heer; wer im Kriege den Sieg
erringen will, der verlafje jich nie auf den Zufall, jondern auf die Kunſt.“ —
Vegez ſpricht zuerjt von der Stärke der Heere (1) und von der Sorge für
Gejundheit, Verpflegung und Mannszucht der Truppen (2—4). Eingehender
noch als im 2. Buche Handelt er dann von den Signalen (5), welde er,
überaus fpipfindig, in laute, halblaute und ftumme einteilt. Laute Signale find
nämlid Kommandorufe, halblaute joldhe mit Horn oder Trompete; ſtumme find
Zeichen, welche mit Fahnen und Flaggen, Laternen, Fackeln, Feuern u. dgl. m.
gegeben werden. — Und nun beginnt Vegetius jeine Darftellung der Taktif
mit der der Marſchtaktik, wobei der Gebraud; von Stinerarien wie der von
Situationdkarten empfohlen und das Wejen der Flußübergänge näher beiprochen
wird. (6, 7). Nach einem Kapitel über die Anordnung der Läger (8) folgt die
in ſiebzehn Abfchnitte eingeteilte Gefechtslehre: Grundjäße über die Art des
Angriffs (9), Haltung der Befehlshaber an der Spipe fampfungewohnter Truppen
(10), Verhalten vor der Schlabt (11), Prüfung der Stimmung des Heeres (12),
Wahl des Schlachtfeldeg (13), Truppenanordnung im einzelnen und die fieben
Haupt -Schladhtordnungen, welde auf Cato Maior zurüdgeführt worden find
[$ 18] (14—20). Hieran reiht fi die Belehrung, dag man dem Feinde Raum
und Gelegenheit zur Flucht gönnen müſſe unter Berufung auf die „belobte Sen-
tenz“ ded Scipio, der gejagt habe: viam hostibus, qua fugerent, muniendam. (21).
Diejen Grundjaß, daß man dem fliehenden Feinde goldneBrüden
bauen müjje, hat Vegetius volkstümlich gemacht; aber er ijt jehr alt; er findet
ſich bereit8 in Xenophons Kyrupaidie (IV, 1, 16); Iphikrates empfahl und befolgte
ihn (PBolyainos III, 9, 2), und Frontinus bringt eine ganze Reihe von Anekdoten
de emittendo hoste ne clausus proelium ex desperatione redintegret.
(Strateg. II, 6). — Weiterhin handelt Begetiu® von Mitteln, dem Yeinde zu
entgehen, wenn man nidjt Schlagen will (22), von Kamelen und Panzerreitern
(23), Sichelmagen und Elefanten (24), jowie von den Mahregeln bei Flucht des
eigenen Heeres (25). Endlich aber faht er als Ergebnis der ganzen Unterſuchung
Regulae bellorum generales in Form kurzer Dogmen zujammen. Eine Nach
ſchrift an den Kaijer voll unglaublicher Schmeicheleien ſchließt das Bud).
Für die Geichichte der Kriegswifjenjchaft tt dies 3. Buch Der
Epitoma von außerordentlich) großer Bedeutung, da Vegez, wie er
jelbjt jagt, hier all’ die Grundjäße vereinigt, welche die trefflichjten
Schriftiteller, al8 bewährt durch Erfahrung verjchiedener Zeiten, nieder-
gejchrieben hatten. Die Lehrjäge, zu denen er auf dieſe Weiſe gelangte,
erschienen daher ihm und nicht minder den kommenden Gejchlechtern
2. Das Zeitalter der Militär-Dejpotie. 115
als Tuinteffenz der antiken Sriegstheorie und haben als jolche eines
unvergleichlichen Anjehens genofjen, nicht nur im Mittelalter jondern
bis an die Schwelle des 19. Ihdts. Diejer Folgewirkung wegen,
der es auch an literarischen Äußerungen nicht gefehlt hat, find
namentlich Die Regulae bellorum generales, die allgemeinen
Srundjäge der Kriegsfunjt genauer ins Auge zu faſſen, deren
Zahl gewöhnlich auf 33 angegeben wird, die fich jedoch natürlicher
und verständlicher in 21 Regeln zujammenfafien laſſen.
1. „In allen Feldzügen und Schlachten ift allgemeiner Grundjag: was
dir vorteilhaft, jchadet dem Feinde, und alle, was dir nüßt, ijt dem Gegner
ſchädlich.“ Diefe Marime findet ſich bereits in des Frontins Kapitel De con-
stituendo statu belli und wird in der Folge genau wiederholt in den Anfangs—
worten der fragmentariichen Baraphrafe des Maurikios im Laurentinifchen Coder.
53). Vegetius aber führt den einfachen Grundgedanken noch weiter aus und
tellt bei der Gelegenheit wohl zum erjtenmale wiflenjchaftlih da8 Prinzip auf,
daß man fid) niemals vom Feinde das Geſetz geben lafjen dürfe.
2. „Kein Mann darf ins Feld geftellt werden, der nicht gehörig geübt und
erprobt iſt.“
3. „Es ift beijer, den Feind durch Mangel, Überfälle und Sorge vor
ihwierigen Lagen zu befiegen, al3 dur die Feldſchlacht; denn diefe wird oft
vom blinden Glück entjchieden.” — Daß ift ein jehr alte® Dogma: opferten doch
jogar die fampffrohen Spartaner für einen durh Klugheit errungenen Sieg dem
Ares ein Rind, für einen biutig erfochtenen nur einen Hahn. Doch jo alt das
Dogma, jo gefährlich ift e8 auch; zumal einer tatenfcheuen Zeit, wie die des
Vegez war, brauchte e8 nicht gepredigt zu werden. Iſt doch zu allen Zeiten, in
denen die Energie der Stats- und Kriegdleitung ermattete, dad Wejen der Krieg—
führung ftatt im Kampfe im Manöver gejucht worden. Deutlich tritt das in
der Zeit der KHabinetöfriege hervor. Damald bildete ſich jene Anjchauung, die
den Marſchall von Sadıjjen zu der Behauptung brachte, daß die größte Geſchick—
lichkeit eines Feldherrn darin beftehe, jede Hauptſchlacht zu vermeiden. Selbſt
dad Beiipiel Friedrichs d. Gr. und Napoleons genügte nicht, Died Dogma auszu—
tilgen. Noch ein Kampfgenofje des größten Schlachtenmeijterd, der Baron Carrion-
Nifas, fteht nicht an, in feinen weitverbreiteten Essai sur l’histoire generale
de l'art militaire (1824) als Hauptgrundjag der Kriegskunſt auszufpreden, daß
man jo viel als möglih Schladhten vermeiden und alles auf VBorpojten und
Detahementögefechte zurüdführen müfje. „Jedes andere Verfahren”, jo fährt er
fort, „unterwirjt das Schidjal der Heere dem blinden Glüde, dem Zufall; während
do der Feldherr, dem Begriffe der Kunſt gemäß, joviel als möglich Herr der
Begebenheiten und des Ausgangs bleiben ſoll.“ Das ift eine Wiederholung des
vegetiihen Lehrſatzes.
4. „Soldye Pläne find die beften, welche dem Feinde bis zum Augenblide
der Ausführung verborgen bleiben können.“
. sr
116 Altertum. II. Das halbe Zahrtaujend ded römijchen Imperiums.
5. „Die Kunft, vorteilhafte Gelegenheiten zu benüßen, iſt wertvoller als
Tapferteit.“
6. „Der feindlihen Partei juche man fo viel Anhänger zu entfremden, als
nur immer möglich, und daher nehme man aud) die Überläufer gut auf. Denn
man gewinnt mehr dabei, wenn man die Feinde zu fich herüberzieht, ald wenn
man jie tötet.” — Diejer Grundſatz iſt offenbar Ergebnis der Betrachtung eines
Bürgerfrieges; vielleicht hat bei feiner Formulierung Vegez an den Feldzug
Cäſars in Spanien gedadit.
7. „Nad) der Schladht verjtärfe man eher jeine Stellung, al® dab man
die Truppen zerjtreue.”
8. „Wer die eigenen Kräfte und die des Feindes richtig zu ſchätzen weiß,
der wird jelten geſchlagen werben.”
9. „Tapferkeit wirkt mehr als Übermadt; doc eine vorteilhafte Stellung
überwiegt oft die Tapferkeit.“ (Vgl. Regel 5.)
10. „Nur wenige Helden zeugt die Natur. Den meijten Menſchen wird
der Mut erjt anerzogen.“
11. „Anftrengung ſtärkt, Ruhe entträftet ein Heer. Man führe nie ein
Heer zur Schladht, wenn es nicht voll Siegeshoffnung ift.“ (Vgl. Regel 2.)
12. „Das Unerwartete erjchredt den Feind; ein allzu gleihmäßiges Ver—
fahren macht feinen Eindrud.“
13, „Den geichlagenen Feind mit zerjtreuten Haufen planlo8 verfolgen,
heißt, ihm den verlorenen Sieg wieder in die Hände jpielen.“ (Bgl. Regel 7.)
14. „Wer es verjäumt, für den Unterhalt feiner Truppen zu jorgen, der
wird ohne Schwertftreicy unterliegen.“
15. „Wenn man dem Feinde an Zahl und Tüchtigkeit überlegen ijt, jo
darf man ed wagen, ihn in der erſten Schladhtordnung, d. h. mit voller Front,
geradeaud vorrüdend, anzugreifen. Iſt man fchwächer, jo greife man in [ber
ihrägen Schlachtordnung] an: entweder mit dem rechten Flügel des Feindes
linfen (dies ift die zweite) oder mit dem linken Flügel des Feindes rechten (dies
ift die dritte Schladhtordnung). Fühlt man ſich ftark genug, jo greife man beide
feindlihe Flügel an (vierte Schlahtordnung). Dabei mag der, welcher über
tüchtiges, leichtes Fußvolk gebietet, nur mit diefem den Raum zwiſchen jeinen
angreifenden Flügeln ausfüllen. (Dies ift dann die fünfte Schladhtordnung.)
Ver nur wenig gute Truppen hat, nehme dieje an die Spitze und werfe fich mit
ihnen auf den einen Flügel des Feindes, während er den anderen Zeil des
Heered verjagt. (Dieje Schlahtordnung, mwelde die Gejtalt eines Bratjpieies
hat — in similitudinem veru — iſt die ſechſte) Oder er lehne den einen
Zlügel an einen guten Stüßpunft: einen Berg, eine Stadt, einen Strom oder
gar an dad Meer. (Dies ift die fiebente Schlahtordnung.)* — Dieje tauſendfach
interpretierten und fommentierten fieben Schlahtordnungen ded Begetiuß, melde
er dem Cato entnommen und ſchon einmal, in den Kapiteln 14—20 des 3. Buches,
ausführlich vorgetragen hat, find ofienbar höchſt willfürliche und wertlofe Kate-
gorien, die ſich nad) Belieben vermehren oder bejchränfen ließen. [8 18.)
2. Das Zeitalter der Militär-Dejpotie. 117
16. „Je nahdem man jtärter an Fußvolk oder Reiterei ijt, wähle man
ein Schlachtfeld, was diejer Waffe bejonders zujagt, und weife den entjcheidenden
Angriff derjenigen Truppe zu, auf welde man jein bejte® Vertrauen jet.“
(Bgl. Regel 9.)
17. „Hegt man Verdadt, daß ſich feindlihe Kundſchafter im Lager befinden,
io befehle man der Mannſchaft, fi vor Einbrud der Naht in ihre Zelte zu
begeben. Dann werden die Kundfchafter leicht entdedt werden. Erfährt man,
daß der Feind von unfern Plänen unterrichtet jei, jo muß man jofort neue
entwerfen.“ (Vgl. Regel 4.)
18. „Was zu tun jei, berate mit vielen, was du tun willſt, vertraue nur
wenigen Getreuen, oder, noch bejjer, behalte es für dich.“
19. „Im Frieden Halte man den Soldaten durh Furcht und Strafe im
Zaume; im Kriege reize man ihn dur Ausficht auf Beute und Lohn“. — Diejes
Dogma ift jehr bedenkliher Urt. Es Hat feine ausgebreitetite Anerkennung und
Anwendung ftet3 gefunden, wo nicht die freien Bürger ded States kämpften,
iondern milde, Habgierige Söldner, die dann infolge der Durchführung jener
Vorſchrift natürlic) immer wilder und Habgieriger wurden. Freilich fahen ihnen
das ihre Anführer gerne nad, wenn jie nur ſonſt ihre willenlojen Werkzeuge
waren. Erflärte doch jchon der attijche Söldnerfeldherr Iphikrates: die nad) Gold
und Wolluft begierigjten Krieger jeien ihm durchaus die liebiten. Genau jo
dachten die mittelalterlihen Bandenführer und die Heeresgründer des dreißig—
jährigen Krieges; jo dachte aud) Napoleon.
20. „Sroße Feldherrn liefern niemald eine Schlaht ala bei bejonders
günjtiger Gelegenheit oder wenn fie dazu gezwungen find. Es gehört mehr Kunft
dazu, den Feind durd Hunger zu befiegen ald durch dad Schwert“. — Diejer
Cap ijt eine Wiederholung oder vielmehr eine Variation der jchon eingehend be-
ſprochenen 3. Regel. Auch in ihm liegt ja Wahrheit. Gewiß war es vorteilhaft,
daß die deutſche Heeresleitung 1870 die franzöfiihen Armeen in Meg einjchloß
und durch Hunger zur Kapitulation zwang. Um fie aber nad) Mep hineinzu-
werfen, dazu bedurite e8 der Schlachten von Mardsla-Tour und Gravelotte-
St.Privat. Wer den Feind durch Hunger bezwingen will, ohne das Schwert zu
gebrauchen, der bleibt in den Manövern de Meinen Krieges jteden und wird
niemal3 einen großen Erfolg erringen.
21. „Eine allgemeine Regel iſt die, daß man dem Feinde die Art des beab-
fihtigten Angriff verberge, damit er feine Gegenanjtalten treffe”. (Vgl. Regel 4.)
Überblidt man dieje Regulae bellorum generales, jo wird man \
gern zugeben, daß jie manchen Gemeinplag und manche jehr bejtreit=
bare Behauptung enthalten. Dennoch find fie in kriegswiffenjchaftlicher
Hinfiht von großer Bedeutung; denn fie ftellen einen der ältejten
und einflußreichiten Verſuche dar, große Grundjäge der militäriichen
Theorie knapp und klar im dogmatischer Form zufammenzufaffen,
und unzweifelhaft jind es dieje Regeln, denen Vegetius vorzugsweije
.——
118 Altertum. II Das halbe Jahrtaufend des, römischen Jmperiums.
jeine große Popularität im Mittelalter und in der Zeit der Rennaiſſance
zu verdanken hatte ').
Das 4. Buch des Vegetius bejpricht in 30 Kapiteln Den
Sejtungsfrieg.
Auch dies Buch leitet eine Widmung an den Kaiſer, „den Gründer und
Bollender unzähliger Städte“, ein. Kapitel 1—6 behandeln die Einrichtung der
Stadtbefeitigungen, Kapitel 7—12 die Vorbereitung der Verteidigung, Kapitel 13—18
die Belagerungsmajdinen, Kapitel 19—23 die Mapregeln und Werkzeuge der
Verteidigung, Kapitel 24 den Minenangriff, die Kapitel 26—28 beſchäftigen ſich
mit Sturm und Überfall, Kapitel 29 wirft einen Blick auf die Munition und
das letzte Kapitel auf die Methoden, Mauerhöhen zu mejjen.
Das Bud) ift Sehr viel kürzer gefaht als die früheren, wa® um jo mehr zu
bedauern ift, als e8 für das ganze Mittelalter die einzige zugängliche Quelle über
die Poliorketik der Alten bildete und als ſolche eifrigft ftudiert wurde. — Es
zeigt fich, daß zu Vegetius' Zeiten ein großer Umſchwung im Geſchützweſen
eingetreten war. Vegez bezeidinet, ganz im Gegenſatze zur Vergangenheit, mit
dem Ausdrud ballista den Geradipanner, das große Schußzeug jowie die Arm—
brujte (arcuballistae et manuballistae) während er für den Winfeljpanner,
da8 Wurfzeug, den neuen Namen onager hat. Diejer Onager nun ift ein ein
armiges Torfionsgeihüg, deſſen Spannnerven nicht ſenkrecht, jondern wagrecht
gejpannt find, während der Arm aufrecht jteht. Dies Geſchütz entwidelt bei
gleihem Kaliber mit dem einen Nervenbündel diejelbe Kraft wie das doppelarmige
Torfionsgefhüg mit zwei Bündeln, und dieje Kraft wird durd Verlängerung des
Armes und Verbindung desjelben mit einer Schleuder noch außerordentlid, ver—
ftärft, mehr wie verdoppelt. Daher ift Vegez auch überaus eingenommen von
diejer Waffe und vergleicht ihre Wirkungen der des Blitzes. Er weiſt jeder Ko—
horte einen Onager, jeder Genturie der Legion eine Räderballiſte (carruballista)
zu. Dieje Geſchütze übertreffen, wenn fie von geübter Mannjdaft bedient werden,
feiner Anficht nad), andere. Welche andere Gejhüge es aber noch gab, erwähnt
er nicht; vielleicht ift dabei an die großen Stahlbogen zu denfen, von denen
Ammianus Marcellinus und die anonyme Schrift De rebus bellicis berichten
[8 36 u. 39). Die Übertragung des Namens Ballifte auf den Geradjpanner
hat große Verwirrung herbeigeführt, welche 3. T. ſogar heute nod) andauert?). —
Bemerkenswert ift die Bejchreibung, die Vegez von dem Feuerpfeil (malleo-
lus) und der Feuerlanze (falarica) gibt, welche von Balliften zur Brand
ftiftung in die belagerte Stadt geichojjen wurden. Er jagt: »Inter tubum et
hastile sulphure resina bitumine stuppisque convoluitur infusa oleo, quod
1) Bor der 21. Hegel fteht bei Begetius noch ein Sag über die Reiterei, ber jebocdh fein
Lehrjag, fondern nur eine Bemerkung ift, weldherdarauf binausläuft, daß er von der Ravallerie ſchweige,
weil man über fie in den Echriften der Alten nichts fände, was beffer und Iehrreidher fei, als eine
Würdigung der Keiterei in der eigenen Beit des Autors; denn fie jeian Übungen, Waflen und Pferten
befier ald jemals. — Lang har diefen Satz neuerdings mit Recht hinter die Generalregeln geichoben.
2) Bol. darüber: General Köhler: Die Entwidelung des Kriegsweſens in der Ritterzeit IIIa
(Breslau 1887).
2. Das Beitalter der Militär-Defpotie. 119
incendiarium vocant.e Es ijt da& im wejentlichen derjelbe Sag, welden drei
bis vier Jahrhunderte jpäter Marcus Graecuß ignis graecus nennt [M.$ 6).
Das 5. Bud) endlich handelt vom Seefriege u. zw. in
15 Kapiteln.
Dad Bud ijt offenbar nur der Bollftändigfeit wegen hinzugefügt: Begez
jelbjt meint, daß er hier kürzer fein dürfe, weil man zur See Frieden habe, die
Barbaren das Reich nur zu Rande bedrohten. Einer hiftoriihen Nachricht über
den Beitand der früheren römijchen Objervationsflotten (Kap. 1,2) folgt eine Be:
ihreibung der Liburnerjdiffe (3—7), eine Meine Abhandlung über Meteorologie
(8-12), eine Würdigung des Marineperjonal® (13), eine Anführung der auf
Schiffen gebräuchlichen Kriegsmaſchinen (14), und den Beſchluß machen einige Anz
gaben über die Taktik zur See (15).
Die literarijche Arbeit des Vegetius beitand nach jeiner
eigenen Ausjage lediglich in abbreviare und in digerere; er war nur
Epitomator und Redaktor, nicht eigentlich Autor. Daß er militärticher
Praftifer geweſen, iſt unmwahrjcheinlich, wenn man erwägt, daß er
höchſt ſelten auf Ereigniſſe jeiner eigenen Zeit, niemals auf eigene
Erfahrungen und Erinnerungen hinweiſt, vielmehr jeine Beiſpiele
meit den Taten eines Negulus, Scipio oder Augujtus entnimmt.
Die älteren Kriegseinrichtungen erjcheinen ihm als Werk göttlicher
Eingebung. »Non tantum humano consilio, sed etiam divinitatis
instinetu legiones a Romanis arbitror constitutas« (II, 21; val.
auch II, 20). Seiner Anjicht nach kommt es nur darauf an, jene
Einrichtungen wieder herzustellen, um gleiche Erfolge zu erringen, wie
Scipto oder Cäſar. Die Gejchichte lehre, daß auch bei den Alten
wiederholt die Kriegskunſt in Verfall geraten ſei; da habe man jie
(jo wähnt Vegez) aus den Büchern wieder hervorgeholt, und große
Feldheren Hätten die jo gewonnene Kunſt dem Leben zurücgegeben.
Er hofft, daß dies auch jenem Buche beichieden jein werde. Darin
hat jich Vegetius allerdings gründlich getäujcht. Der Gedanke aber,
dar man die Kriegskunſt, nachdem jie in der Praris verloren ge:
gangen jei, aus Büchern und insbejondere aus jeinem Buche wieder
jur Auferjtehung rufen fünne, der hat, zwar nicht bei jeinen Zeit
genojjen, wohl aber im Mittelalter gezündet; frühzeitig jchon erichien
die Epitoma rei militaris des Vegetius als der Inbegriff militärijcher
Beisheit, umd es ift, namentlich für das hiſtoriſche Verftändnis des
römiſchen Kriegsweſens, von jehr üblem Einfluffe geweien, dab man
120 Altertum. IL Das halbe Zahrtaufend des römischen Imperiums.
lange Zeit das Urteil darüber auf einen jo fritiflojen und trüben
Schriftiteller jtüßte wie Vegetius it.
Die epitoma rei militaris wurde im 5. Jhdt. mit den Summarien für
die einzelnen Kapitel verjehen, im Jahre 450 von Flav. Eutropius zu Kon-
ftantinopel einer Terteßverbejierung unterzogen und joviel gelejen und demgemäh
| abgejchrieben, dab dadura an mander Stelle der Wortlaut ſchwankend geworden
ift. Abgeſehen von einigen Auszügen, deren einer noch aus dem 7. Ihdt. her:
rührt, jind aus der Zeit vom 10. biß ins 15. Ihdt. an 150 Handſchriften er-
halten). Schon zur Zeit Karls des Großen wurde dad Werk für die Bedürfnifie
des fränkiſchen Heeres bearbeitet ?); ein „Vegez“ wird im ZTeftamente des Grafen
Everard von Frejus vom Jahre 837 aufgeführt?). Der Chronijt Jean de Mar:
moutier berichtet, daß Gottfried Plantagenet bei Belagerung des Schloſſes Gaillard
den Traktat des Vegetius durchforſcht Habe, um die beften Angriffsmittel zu er:
kunden“). Lag doc wirklid in den Abjchnitten über den Belagerungskrieg der
für das Mittelalter brauchbarſte Teil des Werkes. — Dieſe älteite diefer Angaben
ftammt aus der erjten Hälfte des 9. Ihdts., führt aljo um 500 Jahre weiter
zurüd als die erjte Erwähnung der Beihäftigung mittelalterlicher Fürſten und
Krieger mit den Kommentarien des Cäſar. Bejonders rege aber wurde das In—
terejie an Vegez in der zweiten Hälfte des 13. Ihdts. M. $ 18, 19, 28). Des
Aegidius Colonna Wert De regimine principum jtüßt fi in feinen milir
täriſchen Abfchnitten bereit® ganz wejentlid auf die Epitoma, und eben damals,
aljo in der erjten Frühzeit der italienifchen Literatur, wurde fie von dem loren-
tiner Bono Giamboni in die Vulgärſprache“), von de Meung ind Fran»
zöſiſche überjegt‘). Für die Beihäftigung mit Vegez im 14. Ihdt. ſprechen Aus—
1) {über die Handſchriften des Vegez vgl. Haafe: De milit. scriptt. (Berol. 1847, ©. 683),
dann Cafjius: Descriptio et collatio codieis vet. Vegetii (Liffaer Progr. 1836) unb enblich
gang: Editio, Praefatio (Leipzig 1885). — Jener Auszug des 7. Ihdts. befindet fih in einem
vatifan. Balimpjeft.
2) Marr: Mitteilungen aus dem Gebiete Firchlicher Archäologie der Diöz. Trier. Heft 1.
2) Miraeud: 2. &d. Brüffel 1723, ©. 20.
+) Deville: Histoire du chäteau Gaillard (Rouen 1849). gl. Historia Gaufr. ducis
(Bouquet, recueil XII, 528).
5) Es gibt mehrere Abichriften diefer Übertragung, welche neuerdingd von Burtani heraus—
gegeben worden ift (Florenz 1815). Verſchieden von ihr ſcheint eine mit gotifchen Lettern auf Bapier
neichriebene Handichrift der Uffizien, welche fi in ein und demjelben Bande mit einem Lucano in
prosa volgare befindet (Bibl. naz. II, II, 73).
Jean Elopinel de Meunlg), Mitverfafier des befannten „Romans von der Roje” ftarb
1322. Er bezieht fich auf feine Begezüberjegung ausdrücklich in einer, auch von ihm herrübrenden Über:
tragung der Tröftungen des Boöthius. — Ich kenne vier Handichriften:: a) Berner Stabtbibliothef
(280, 1) unter dem Titel: Vegece l’art de chevalerie que le noble prince Jehan, conte de
heu (Eu), fit translater de latin en francais par... de digne memoire mes. Jehan de meun
en l’an de l'incarnation mil. C.C.LXXXIV.‘“ (Der Anfang fehlt; der Tert beginnt mit bem
Worten: la science des armes puissent estre mises en appert pour le commun proufit des
gens). bi Dresdener Bibl. (O, 57) unter der Überjchrift: Ci commence par bon eur et non (nom)
del souverain dieu li abriegemens noble homme Vegece Flaue Rene des etablissemens
appartenanz a chevalerie. Et est diuisez en IIII liuves. — c) Batilan: Regin. Montefalc.
(C. b. 30b.) — d) Bibl. Mazarin. Paris (No. 227, 228).
2. Das Beitalter der Militärs-Defpotie. 121
züge feines Werte in den Handichriftenbeitänden italienijcher Bibliotheken !),
dann die Grazer Paraphraſe der organijatoriihen und taktiihen Vegezkapitel
[M. 8 24], jowie da® Livre des faits d’armes et de chevalerie der gelehrten
Chriftienne de Pijan [XV. 839], welches jehr viele Vorſchriften »selon
Vegece« enthält, wenngleid) es keineswegs (wie zuweilen behauptet worden) eine
Bearbeitung der Epitoma ift, vielmehr im wejentlihen das Kriegsweſen der Wende
des 14. und 15. Ihdts. jchildert, wie es der Berfajierin vor Augen jtand. Indeſſen
aibt es auch wirkliche franzöfifche Uberjegungen de Livre de vegece de la
chaualerie von der Wende des 14 und 15. Ihdts. Die burgundijche Bibliothek
befigt zwei jehr ſchöne Handichriften ſolcher Übertragungen (Brüfiel, ms. 11048
und 11195). Bemerkenswert erſcheint es, wie im 15. Ihdt. dasjenige Bolt,
welches zuerjt eine rationelle Kriegführung im großen Stil durchzuführen verjtand
und in diejer Hinficht tonangebend in Europa wurde, die Engländer, ſich der
militäriihen Weißheit des Vegetius zu bemächtigen ſuchte. Man kennt vier eng—
fiihe Überjegungen der Epitoma aus diejer Zeit, eine von John Lydgate
(Bibl. Bodleiana), eine dem Baron Thomas von Berkeley gewidmete (Oron Col.
St. Maria Magdalena), eine von Elifton (Bibl. Landsownige) und eine nicht
ganz volljtändige (Harleianus). — Und nun bemächtigte ſich auch die neuerfundene
Buchdruckerkunſt des beliebten Wertes.
Die drei erjten Drude des Vegetius erichienen ohne Ort und Datum;
die Bibliographen ordnen fie verichieden; die meiften enticheiden fich für folgende
Reihe: Utrecht 1473, Köln 1476, Paris 1478?) Nun erjt fam die Ausgabe in
den Veteres de re militari scriptores (Rom 1487), als deren erjter Autor Ve—
getind prangt’). Dann folgt eine jelbjtändige Ausgabe von 1488 (Pisciae) mit
einem Schlußpafius, welcher deutlich zeigt, wel hohen Wert man dem Studium
des Begeriuß für die Erneuerung ded Kriegsweſens beimaß. Denn es heikt da:
»Non sunt passi diutius situ et squalore delitescere illustrem Vegetium de
re militari disciplina loquentem, virum omni laude dignissimum, ingenui
alolescentes Sebastianus et Raphael de Orlandis; quem ob eam maxime
causam imprimi curaverunt; ut et antiquae virtutis exemplo Italici juvenes
longa desidia ignaviaque torpentes tandem expergiscerentur.«
Deutichland wetteiferte mit Stalien. Raum war der erjte Drud des lateini-
ihen Originals erjhienen, als aud jhon Ludwig Hohenmwang von Thal EI:
Önger im Jahre 1475 zu Ulm „des durdyleichtigen, wolgeborenen Grauen Flavii
Vegecii Renati kurcze vnd von der Ritterjhaft zu dem großmächtigſten Kaiſer
Theodofio feiner biecher vierer“ in deutſcher Überjegung ericheinen ließ 9. Es iſt
eine koſtbare Ausgabe, die Verdeutſchung vortrefflich, und die letzten 32 Seiten
des Buches werden von großen, guten Holzſchnitten eingenommen.
U. a.: Abstractiones libri Flauii Vegetii Renati viri illustris comitis epithoniu (sic!)
rei militaris (Markusbibl. 179). — (Pseudo-) Cato de re militari (Riccardiana 710, Florenz).
# Der Titel der vermutlich zu Utrecht 1473 erfchienenen Ausg. lautet: Flauij vegeti renati
viri illustris Epitoma de re militari quatuor. Das 4. und 5. Buch diefer wie fait aller älteren
Editionen find nämlich (ihrer Kürze wegen) in eined zufammengezogen.
’, Un diefer Stelle bleibt Begez bid zur Ausgabe von 1670 8 4).
*) Näheres füber biefe Ausgabe XV, 8 2.
122 Altertum. II. Das halbe Jahrtauſend des römischen Imperiums.
Für da8 eingehende Studium des Vegez im 15. Ihdt. ſpricht endli ganz
bejonders das Erſcheinen des Pjeudo=Modeftus: De vocabulis rei militaris
ad Tacitum Augustum. Dieje lerifaliihe Kompilation aus der Epitoma ent=
hält die Erklärung der im Kriegsweſen üblihen Ausdrüde und eine Skizze der
bei Rangierung und Ausbildung gebräudlichen Methode. Das Libell iſt wahr:
iheinlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von dem gelehrten Bomponius
Laetus verfaßt und einem gewijjien Modejtuß untergeſchoben worden, der als
Militärjchriftiteller des 3. Ihdts. erwähnt wird, von dem fi jedoch fein Wert
erhalten hat!). Die Zeitgenojien wurden völlig getäujcht; des Modeitus Votabu—
larium ijt ſogar das erjte aller „antiten“ Kriegsbücher, das überhaupt gedrudt
wurde (Benedig 1471), und jelbjt in die fanoniijhe Sammlung der Veteres
scriptores fand e8 Aufnahme ?).
Im 16. Ihdt. erjchienen drei Ausgaben des Deutſchen Begez, welde
ih an Hohenwangs Arbeit anlehnen, ohne mit ihr identifch zu jein: zu Erfurt
1511, zu Augsburg 1529 und 1534. Die beiden Augsburger Ausgaben jind
mit einem „Zuſatz von Büchjengejhoß“ vermehrt, um den Vegetius aud nad)
der artillerijtiihen Seite auf die Höhe der zeitgenöffiihen Wiſſenſchaft zu heben.
[XVI. $4).
In Italien erfhienen während des Cinquecento zwei Übertragungen.
Die eine, von Tizzone di Pofi Gaetano (1524, 1525, 1528, Venedig 1540),
ift dem Federigo Gonzaga gewidmet; die andere eignete Frane. Ferroſi, Kanzler
von Cortona, dem Francesco dei Medici zu (Venedig 1551). — Welche Bedeutung
die Dlarimen des Vegetius für den erjten modernen militäriihen Klajfifer, für
Machiavelli, Hatten, das joll jeinesorts näher dargelegt werden. XVI. S 7.)
In den Niederlanden veranftaltete Stewehiuß eine fritiiche Ausgabe
der Institutionis rei militaris. (Antwerpen und Xeyden 1569, 1579, 1607)
und Volkier gab 1536 eine franzöſiſche Überjegung der Veteres d. r. m.
script. [$ 4).
Nach diefer lebhaften Beihäftigung mit Vegez während des 16. Ihdts. tritt
im 17. plöglid) ein aufjallender Rückſchlag ein. Offenbar verlor das Werk gegen-
über der von Lipfius in den Vordergrund gerüdten Bolybianiihen Darjtellung
des römiſchen Kriegsweſens ſtark an Kredit. Zwar hat Montecuccoli in
jeinen Memoiren die Epitoma jehr ausgiebig benupt, aber er verjchleiert .e8 nad)
Kräften — ob nur aus aus Rüdjiht auf die Beitjtimmung ?
Abgejehen von den kritiihen Ausgaben der Veteres scriptores ijt aus
diejem Zeitraume, ja bis fajt zur Mitte ded 18, Ihdts., eigentlich nur der Tert-
abdrud zu erwähnen, den mit nebenjtehender Verdeutfhung Johann Jacobi
v. Wallhaujen dem 1. (und einzigen) Teile jeiner „Romanijchen Kriegskunjt“
angehängt hat. (Frankf. a. M. 1616). XVIIa. 8 2]. — Erjt 1743 (1749, 1759)
1) Bl. Benron: Notitia librorum qui donante Callusio illustr. s. in bibl. Taurin.
(Leipzig 1820, ©. 85).
?) Spätere jelbftändige Editionen des Pſeudo-Modeſtus find die römischen von 1475 und 1487
und eine Turiner von 1517.
2. Das Zeitalter der Militär-Deipotie. 123
erideint eine neue franzöfijche Überfegung von Bourdon de Sigrais mit
ausgezeichneter Vorrede und kritiihen Noten, und gleichzeitig wendet der Marichall
von Buyfegur der Epitoma lebhaftes Interefie zu. Wenn freilich Guifchardt
meint, daß Puyſegur den Vegez fo volllonmen verjtanden Habe, wie fein anderer
vor ihm, jo jehe ich nicht recht, worauf er dies Urteil jtügt: die Bemerkungen
über Begez in der Einleitung des Art de la guerre jind doch zu aphorijtiich,
um fold; Lob zu rechtfertigen. — Eine Berdeutihung von „Vegez Kriegslehren
aus dem Franzöfiihen“ lieferte Bion (Wien 1759); eine Übertragung in das
Spaniihe gab Viana (Madrid 1764), eine ſolche ins Engliſche Clarke (1767).
Kritiihe Tertausgaben veranftalteten Balart (Paris 1762) und Schwebel
(Nümberg 1767).
Neuen Aufihwung nahm das Studium des Vegetius ald Graf Turpin
de Criſſe feine Commentaires sur les institutions militaires de Végèce
derausgab. (Baris 1775, Montargis 1779, Paris 1788, neuabgedrudt in Lis—
fenned und Sauvans Biblioth. hist. et militaire. III. Baris 1840, ©. 313 ff.) —
Zurpind Kommentar behandelt nur die erjten drei Bücher und ift eine inhalt-
reihe, geiftvolle, wenn auch zuweilen weitabichweifende Arbeit. Durd) das Kom—
mentieren der Denkwürdigkeiten Cäſars und MontecuccolisS war der Verf. bereits
zu einer bejtimmten Methode und zu weitem Umblid gelangt; reiche Kriegs—
erfahrung hatte ihm mit unbefangenem Sadverjtändnis ausgeſtattet. Er zog
übrigens dad Studium der Tatjahen dem der Theorien unbedingt vor und äußert
ih darüber in feiner Vorrede: »Lorsqu’on s’avisa de reduire la guerre en
regles, de faire des syst@mes, la Science devint plus generale; mais l’etude
de la Guerre en fut moins agréable et plus longue; la valeur möme y
perdit; il se forma un plus grand nombre des Savans et de Raisonneurs
en tat de pouvoir discuter sur les points de la Science Militaire; mais il
yeut moins de vrais Militaires; la theorie, qui n’eut dü &tre que la con-
squence de faits multiplies et l’art d’appliquer les principes aux circon-
stances et au terrein, ne fut qu'un resultat d’'hypotheses plus ou moins
ingenieuses, plus ou moins hardies, d’apres quelque fait particulier. Aussi
estil bien peu de thedories, qui, mises au creuset de l’experience, puissent
soutenir l’analyse.... Si tous les Grands Generaux avoient &erit leur
histoire militaire, il y auroit plus à profiter dans ces simples recits, que
dans tous les systämes de tactique dont le Public est innonde.«
Sehr ausführliche Auszüge der Epitoma, welche nahezu einer Verdeutſchung
geihlommen , enthält das Werk von Naſt und Röſch: „Römiſche Kriegsalter:
tümer, aus echten Quellen gejchöpft.“ (Halle 1782). Die Verfaſſer begleiten den
Abriß mit nicht uninterefjanten Anmerkungen, 3. T. polemiſcher Natur, die
ich jedoch zu ausſchließlich auf Einzelheiten beziehen, um hier bejproden zu
werden, zumal die betreffenden Streitfragen durch neuere Unterſuchungen erledigt
ind. — Neben diejer Arbeit verdient noch Erwähnung ein Essai sur le IV. libre
de Vegöce im Journal des Savants 1790.
Im eriten Biertel unferes Jahrhunderts jchien es, als ob ſich noch einmal
dad Interefje für Vegetius heben wollte. Im Jahre 1800 widmete Mleinede)
124 Nltertum. II. Das Halbe Jahrtauſend des römijchen Imperiums.
zu Halle dem damaligen Direktor der Potsdamer Ingenieur- Akademie, dem
Oberjten v. Raud), eine neue Überjegung, die auf der Schwebelſchen Ausgabe
beruht und als eine gute zuverläjjige Arbeit mit genügenden Erläuterungen ems
pfohlen werden darf. Wenige Jahre jpäter (1805) erflärte der Brinz von
Ligne, daß die Inftitutionen de Vegetius in der Tajche jedes Generals zu
finden fein müßten. »C’est un livre d’or... Un Dieu, dit Végèce, inspira
la lögion;‘et moi je trouve, qu'un Dieu inspira Vegece; car c'est lui,
qui par ses sept ordres de bataille nous a fait entendre la guerre des
Anciens et a appris aux plus grands Generaux de nos jours à les imiter.«
Solh Lob ſchießt unzweifelhaft weit über das Ziel hinaus; vielleiht erklärt
fi diefe Vorliebe de Lignes durd eine andere Bemerkung diejed Fürſten über
Vegetiuß: »Je ne sais pas pourquoi on n'aime par son Latin; je l’aime
beaucoup moi, car je l’entends.« — Im Jahre 1806 veranjtaltete Beſſel
zu Straßburg eine neue Ausgabe der Epitoma. — Wie wahlverwandt ſich der
Baron Carrion-Nifas in feinem Essai sur l’histoire generale de l'art
militaire (1824) mit wejentliben Auffafiungen des Vegez fühlte, darauf wurde
ihon oben bei Beiprehung der General-Regeln vom Sriege bingewiejen. —
Garrion ift der jüngjte militäriihe Autor, welcher fich eingehend mit Vegetius
beihäftigte; jeitdem haben ihm nur die Philologen noch Aufmerkjamkeit zugewendet.
Im Jahre 1827 erſchien eine neue deutiche Überfegung von Lipowskti, 1859
eine joldhe ins Sranzöfiihe von Develay. Beiträge zur Kenntnis der Epitoma
gaben Mommjen und Gemoll im „Hermes“ (I, 130 und VI, 113),
jowie Brundius in jeinen Quaestiones Vegetianae I (Helmjtadt 1875).
Eine Dijjertation Förſters De fide Flavii Vegetii Renati (Bonn 1879),
welche übrigens faſt ausſchließlich das 2. Buch behandelt, erhebt gegen Vegez den
Vorwurf einer wahrhaft ungeheueren Dummheit und Nadläfiigfeit. Das be
deutendfte Werk, das neuerdings. über Vegez erſchien, iſt die meijterhafte Aus-
gabe der Epitoma rei militaris in Karl Langs Rezenfion (Leipzig 1869,
1885), welche den gereinigten, reich mit Anmerkungen verjehenen Tert und eine
ausgezeichnete Einleitung bringt.
Überjchaut man den Gang der literariijhen Nahwirfung
von Vegetius’ Werf und vergleicht ihn mit dem von Cäſars
Kommentarien, jo ergibt fich ein bemerfenswerter Unterjchied. Cäſars
Memoiren treten allerdings erſt jpäter als das Lehrbuch des Vegetius
in den Geſichtskreis der abendländiſchen Forſchung, wenigitens injowett
dDieje irgend welche Fühlung hielt mit der politischemtlitärtichen Welt;
nachdem ſich aber das Studium einmal der Kommentarien bemächtigt
hatte, tt e8 ihnen auch in unverminderter Stärfe ununterbrochen zu-
gewendet geblieben. Die Brennpunkte des dem Begetius gemwidmeten
Interejjes liegen dagegen zu Ende des 13. und zu Beginn des 16. Ihdts.
und jeitdem hat das Studium der Epitome eigentlich jtetig, wenn
auch langjam abgenommen. — Den größten Anteil an dem jo frühen
2. Das Zeitalter der MilitärsDejpotie. 125
und jo entjchtedenen Ergreifen des vegetischen Lehrbuches hatte un—
verfennbar das Autoritätsbedürfnis des Mittelalters, welchem der
dogmatiiche Charakter des Werkes jehr anmutend entgegenfam. Hier
hatte man, was man juchte: ein volljtändiges Kompendium des
geſamten altrömiſchen, und das will für jene Zeit zugleich heißen,
des idealen Kriegsweſens. Hier bot jich ein methodiſch geordnetes,
\üdenlojesg Breviarium dar, welches über Heeresaufbringung und
Heeresbildung, über Taktik und Strategie, über Belagerungskrieg und
Seeweſen ſyſtematiſch unterrichtete; hier endlich) empfing man im den
Regulae bellorum generales fnappgefaite Marimen, die man wie
miltärtjche Glaubensartifel auswendig lernen konnte, antike Zauber-
tormeln, die man als Arcana des Sieges preijen durfte. Wie ganz
entiprach die dem dogmenjüchtigen Geiſte jener Zeit! — Allmählich
ward das anders. Die hijtoriiche Kritif gewann an Schärfe; nicht
mehr als ein einheitliches Ganzes ward das Altertum aufgefaßt;
man fing vielmehr an, die Bertoden zu umterjcheiden. Das Licht des
Tolybios warf helle Strahlen in das Dunkel der Vergangenheit.
Man begriff, daß Vegetius der ihm gejtellten Aufgabe wenig gewachjen
geweien war, daß jein „Abriß“ kritiklos fompiltert je, daß dem Autor, in
dem man einen „Sanzeleivorjteher“ zu wittern begann, jedes gejchicht-
che Unterjcheidungsvermögen mangele. — In der Tat, Vegetius
bezeichnet all das, was er oft weit auseinander liegenden Quellen
entnommen hat, unterjchtedslos als »antiquus«; rühre es von Cato
Cenſorius her, aljo aus der Wende des 2. und 3. Ihdts. vor Ehr.,
oder aus den Tagen Hadrians, d. h. aus dem 2. Ihdt. nach Ehr.,
oder gar aus der Ddiofletianischen Zeit, jeit deren Verlauf faum drei
Menichenalter dahingegangen als Vegetius jchrieb: — es iſt ihm
alles kurzweg „alt“. Die Erkenntnis jolcher Kritikloſigkeit mußte in
den Kreifen der Hiltorifer die Epitome disfreditieren. Dies wurde
Veranlafjung, auch den dogmatijchen Teil näher zu prüfen, und bald
überzeugte man fich, daß die allgemeinen NRatichläge des Vegetius
denn doch nicht jelten wenig durchdacht und jtichhaltig jeren, und da
man nun zur Belehrung der militärichen Fachmänner überhaupt
die hitorisch-applifatorische Methode der jyftematisch-dogmatijchen vor-
juziehen begann, jo nahm die Geltung der Epitome erjtaunlich jchnell
ab, und es iſt feine Ausficht vorhanden, daß ihr Kredit jemals
wieder fteigen werde.
126 Altertum. II. Das Halbe Jahrtaufend des römiſchen Imperiums.
& 38.
Nicht zu verwechjeln mit Flavius Vegetius Nenatus iſt Publius
Degetius Renatus, auch Veterinarius genannt, der Verfaſſer der
Artis veterinariae sive digestorum mulomedicinae
libri IV. Fraas und Sprengel halten einen ttalientichen Mönch des
12. oder 13. Ihdts. für den Autor diefer Schrift; indes neigt ſich
die allgemeine Anficht doch dahin, das Buch wirklich dem Publius
Vegetius zuzujchreiben, der wohl nur wenige Jahrzehnte nach Flavius
Vegetius lebte. Seine Tierheilfunde ijt in jehr ungebildeter Sprache
abgefaßt; doch bleibt fie, namentlich durch die eingehende Kenntnis
der damaligen Pferderafjen, interejjant und in gewiſſem Sinne auch
milttäriich von Bedeutung.
Erjte Ausgabe Baiel 1528, zweite Mannheim 1781; auch in den Scriptores
rei rusticae. Das Bud ift mehrfah in die verſchiedenen wejteuropäijchen
Spraden überjegt worden.
8 39.
Zum Schluſſe der Betrachtung der militärmifjenichaftlichen Lei—
tungen des Altertums jei noch fur, der Notitia dignitatum
et administrationum omnium tam civilium quam militarium
in partibus Orientis et Occidentis gedacht, eines römischen Stats-
bandbuches, welches zwiſchen 395 und 407 n. Chr. entjtanden ſein
dürfte). Es it ein vollitändiges Verzeichnis aller Hof, Civil und
Milttärämter mit ihren Würden und ihren (bildlich dargeftellten)
Infignien. Dies Buch it injofern von Wichtigkeit als es eine genaue
Überficht der faijerlichen Kriegsmacht um die Wende des 4. umd
5. Shots. gewährt, die Standörter der Truppen nachweiit und
jomit das erite Beiſpiel aller erhaltenen „Nang= und Quartter-
liiten“ Ddaritellt.
Für die frühere Kaiferzeit von Nero biß zu den Antoninen befißt man für
die Verteilung der vielen alue und cohortes über die einzelnen Provinzen des
römijchen Reiches nur einige 50 diplomata militaria (oder, wie man fie früher
unrichtig bezeichnete, tabulae honestae missionis). Davon find 13 jo fragmen-
tariich erhalten, dab fie faum Wert haben; 10 find für entlafiene Flottenjoldaten,
3 für Soldaten von legionibus classicis, 5 für Prätorianer oder singulares
ausgejtellt, jo daß für das eigentliche Landheer nur etwa 20 in Betradht fommen.
1) Erfte vollftändige Ausgabe von Gelenius (Bajel 1559). Spätere Editionen von Boeding
(Bonn 1839— 1853) und von Eerf (Berlin 1876).
2. Das Zeitalter der Militär-Defpotie, 127
— Die weiteren Quellen für die Dislokation des kaiſerl. Heeres find Grabmäler,
Votivaltäre, Legiondziegel und Inſchriften.
Die Nomenklatur der Streitkräfte, wie jie die Notitia bringt,
iſt recht jeltjam und verwidelt; fie zeigt, wie weit ſich das Kriegs—
weien um Die Wende des 4. und 5. Ihdts. n. Chr. von der edlen
Einfachheit der Blütetage der alten NRepublif oder der Siegeszeit
Julius Cäſars entfernt hatte.
Der Notitia dignitatum angehängt iſt eine anonyme Schrift
De rebus belliceis. Ihr allgemeiner Wert iſt gering; den
intereffantejten Zeil bildet der Abjchnitt de bellicis machinis, welcher
10 Paragraphen und ebenjoviel Bilderchen enthält. Die wichtigjten
Stellen dieſes Abjchnittes find von Köchly und Rüſtow Griech.
Kriegsichriftiteller I, ©. 410 ff.) abgedrudt und verdeutjcht worden.
Auf nähere Erklärung verzichten jie jedoch; weil der Text jo ober:
rlächlich und die Zeichnungen jo finnlos jeien, daß eben nur dies
eine mit Sicherheit erhelle: daß die Geichüge der jpätrömijchen
Artillerie von denen der alten Griechen und Alerandriner völlig
verjchieden waren.
Eine Erläuterung der „Blißballifte* diejer anonymen Schrift hat General
Köhler gegeben. Kriegsweſen der Ritterzeit IITa S. 146.) Er ſieht in derjelben
einen Stahlbogen von großen Abmefjungen, deſſen Sehnentau durch eine Räder:
winde oder großen Hafpel geipannt wurde. Auch bier bezieht ſich alio (mie ſchon
bei Begez) der Ausdrud „Balliſte“ nicht auf ein Wurf-, jondern auf ein Schuh
zeug. Und ebenjo ijt der Sprachgebrauch bei Ammianus Warcellinus (lib. 23 c. 4),
der gleichfall® diefen großen Standbogen beſchreibt. Ammian weift darauf Hin,
welche verfeinerte Kunſt dazu gehöre, den Eylinder (d. h. den mittleren Teil des
Stahlbogens) „in der Mitte zu ordnen”, das will jagen, ihn jo herzuitellen, daß
beide Arme gleiche Federkraft ausübten. In der Tat erfordert dies eine jehr
porgejchrittene Technik, die den Römern auch bald wieder verloren ging. Die
Balliite, welche (zwei Jahrhunderte nad) Ammian) Prokop von Cäſarea ſchildert
(M.$ 3), ijt wieder ein doppelarmiges Torjionsgeihüg. General Köhler nimmt
on, dab die Zeit, in welder das große Stahlbogengeihüp geherricht, etwa
1%, Jahrhunderte: das 3. und die erjte Hälfte des 4. Ihdts., gedauert habe. Der
Name des Stahlbogens „Ballifte* ging dann auf die Armbruft über, die ja aud)
Vegez ſchon ald arcu- oder manuballista bezeichnet.
Eine Art Auszug aus der Notitia dignitatum Imperii mit
einem Anhange über militäriiche Dinge befigt die Univerjitätsbibliothef
zu Leiden. Es ıjt ein grell illujtriertes Manujfript, etwa von der
Wende des 14. und 15. Ihdts. (ms. lat. fol. 44), dejjen Zeichnungen
jedenfalls auf byzantinische, bzw. antife Vorbilder zurüdführen.
128 Altertum.
Bemerkenswert find unter den Darftellungen: eine Liburna zum Bieh-
transport, welche mit Schaufelrädern und einem Widder zum Unterwaſſerſtoß
verjehen ift. — Ein Thichodifurus (?), d. 5. ein Spiehlarren. — Eine Ballista
quadrirotis mit gepanzerten Pferden bejpannt. Es ijt offenbar ein Torjions
geihüg, welches einen großen Pfeil ſchießt. — Ein Handpfeil (plumbata mami-
lata?). — Ein Currus drepanus, d. 5. ein Sichelwagen, der nur aus der Achſe
beiteht, feinen Wagentaften hat und deſſen Lenker auf dem Bugpferde figt
Dufammenfaffung.
Ein Rüdblid aufdie Gejhichte der Kriegswiſſenſchaft
imklaſſiſchen Altertum zeigt, daß die Überlieferung ſehr lückenhaft
it. Unmöglich wäre es, über Aufitellung und Ausrüſtung der Heere,
über Taktik, Poliorketik, Strategie und Seewejen der Alten ſich auch
nur einigermaßen befriedigend zu unterrichten, falls man ausſchließlich
auf die eigentlichen Militärjchriftiteller angewiefen wäre. Ein lebendiges
Bild ergibt ſich erit, wenn man die Nachrichten der Gejchichts-
jchreiber, gelegentliche Bemerkungen der Redner und Philoſophen,
jowie Schilderungen der Dichter mit heranzieht. Überlieferungen
jolcher Art mußten bier jedoch — da es fich nicht um eine Dar-
jtellung des Kriegswejens, jondern um eine jolche der Kriegs
wijjenjchaft handelt — wichtige und unabweisliche Ausnahmen
abgerechnet, außer Betracht bleiben.
8 40.
Aufitellung und Ausrüftung der Heere haben in der
antiken Militärliteratur nur äußerſt jpärliche Behandlung erfahren.
Allerdings war ja die Aufbringung der Mannſchaft in den
antiken Staten urjprünglich jo eng mit den bürgerlichen Funktionen
verbunden, daß die eigentlichen Kriegsjchriftiteller faum Veranlaſſung
finden mochten, jie in den Kreis ihrer Unterjuchungen zu ziehen.
Erit das majjenhafte Auftreten geworbener Truppen, wie e8 m
Sriechenland zuerjt während des peloponnejiichen Krieges jtatthatte,
änderte jenen Zujtand; denn die Werbung der Söldner war nun
weſentlich Sache der Kriegsführer geworden. Doch auch hierüber
ſind uns, abgejehen von einigen beiläufigen Andeutungen des Aineias
Taftılos und des Polyainos, nur Mitteilungen der Hiftorifer über-
blieben, und jogar der dilectus der Römer, der doch eine Haupt-
Bujammenfafiung. 129
und Stat3-Aftion war, wäre lediglich aus Gejchichtswerfen bekannt,
wenn uns nicht die Auseinanderjegung des Vegetius überliefert wäre,
die denn doch auch den Verluſt der Imjtitutionen Augufts, Trajans
und Hadrians nicht verjchmerzen läßt. — Die Einteilung der
perionellen Streitfräfte in Kombattanten und Nichtfombattanten
jowie die der erjteren nach Waffengattungen tritt in der Kyrupatdie
hervor (VI, 2; 32—37) und wird auch von Askleptodotos (I), von
Ailianos (II), und Vegetius (III) ziemlich breit behandelt, wobei es
anfällt, dab eritere ſich bejonders jorgfältig mit der Einteilung der-
jenigen Waffengattung bejchäftigen, welche in Griechenland gerade
am wenigjten zu bedeuten hatte, mit der der Neiterei. Aelian zählt
6 verichiedene Arten derjelben auf, deren Unterſchiede jchwieriger
teitzuitellen jein dürften, als etwa die umjerer heutigen deutjchen
Dragoner, Hujaren, Karabiniers und Chevauzlegers.
Über die Aufbringung der Pferde bieten Kenophons
tavalleriftiiche Schriften einige jchägbare Angaben.
Die Bewaffnung der Truppen it kaum Gegenjtand wiſſen—
Ihaftlicher Behandlung geworden. Was man davon weiß, verdankt
man vorzugsweije den Dichtern, den Denkmalen der bildenden Kunjt
und den jeltenen Funden Jantifer Originale. Am beiten hat noch
Aelian von diejem Gegenjtande gejprochen (II). Das vielumjtrittene
Thema von der Länge der Spieße und der Art ihrer Führung be
handeln Polybios (VIII, 11—16), Aelian (XIV), Polyän (TI, 29, 2)
und Asklepiodotos (V).
Die rehtlihen Beziehungen der Mannichaft jind Gegen:
itand einiger römischer Fragmente. — Den einzigen Geſamtüber—
blid einer organijterten Heeresmacht gewährt die jpät-
römiſche Notitia dignitatum.
g 41.
Reicher und ergiebiger al3 auf dem Gebiete der Heeresbildung
fliegen die Duellen auf dem der Taftif. Zwar wären die ältejten
sormen hellenischer Kampfweiſe ohne die Schilderungen der Dichter
nahezu unbekannt; zwar mangeln gerade für die interejjantejiten
Entwidelungsmomente fachgemäße Daritellungen; indeſſen, jobald
ih überhaupt einmal militärwijjenjchaftliche Beitrebungen auf griecht-
ihem Boden regten, wendeten ſie ſich doch auch eu der Taktik
Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften.
130 Altertum.
zu. — Der Begriff diefer Wiſſenſchaft war ziemlich unbeftimmt. Zu
Xenophons Zeit verjtand man darunter eigentlich) nur den reglemen-
tariichen Teil der Elementartaktif; Xenophon ſelbſt indefjen will den
Begriff der Taktik, obgleich er jie nur für einen Teil der Feldherrn-
kunst erklärt, doch über das rein Mechanische hinaus führen; er gibt
jedoch feine Definition. (Kyrup. I, 6; 14 und 43; VII, 5, 15).
Aineias erklärt die Taktik als Lehre von den kriegerischen Bewegungen,
Polybios als die Kunst, ungeordnete Maffen friegsmäßig zu gliedern
und gehörig auszubilden. (Ber Aeltan III, 4). Asklepiodot, Aelian
und Vegetius laffen jich auf eine Erläuterung des Begriffs nicht ein.
Kenophon gibt im „State der Lafedämonier“ eine Darftellung
der altdorijchen ?Fechtweile, in der „Anabaſis“ eine Vorjtellung der
von ihm jelbjt entwicelten freteren Formen panhellenischer Kampfart,
und in der iyrupädie deutet er prophetiich vorwärts auf die werdende
alerandrinische Kunjt. Dann erfaßt der univerjelle Geijt des Boly-
bios die taftiichen Formen bereits unter dem Gejichtspunfte ethno-
graphijcher Bergleichung, während Bojeidonios-Asflepiodotos und
Aelian-Arrianos uns in das Wejen hellentstiicher Elementartaftif ein—
führen, Arrianos auch an einem einzelnen Beijpiele die formale An—
ordnung einer bedeutenderen Truppenmajje zu Hadrians Zeiten über-
liefert. Vegetius endlich verjucht in jeiner Art ein Nejume der antifen
Traditionen zu geben, insbejondere der römiſchen.
Am jorgfältigiten durchgearbeitet it die Elementartaftif der
Hoplitenphalanz des jpäten, jinfenden Griechentums.
Grundlage der Aufftellung war dabei nicht das Glied, jondern die Rotte
(oriyos, jpäter Aoyos) von 8 bid 16 Mann Tiefe. Die innere Unordnung der Rotte,
auch Hinfichtlich der Eigenichaften der einzelnen Leute, wird genau außeinander-
gejegt. (Asklep. II, 1—5; el. IV—VIL) Die aufgejtellte Truppe wird in den
Rotten gededt und in ben Gliedern auögerichtet. (AS. II, 6; Ael. XXXL) —
Während die Taktik der guten griehijhen und maledonijchen Zeiten PBhalangen
von höchſtens 256 Rotten, d. h. von 2000 bis 4000 Mann, zu bilden pflegte,
icheint es, als ob die jhon von Polybios (II, 56, V,65) und jpäter von Livius
(XXI, 24 u. XLII, 51) erwähnte Mafjierung von 16384 Mann den Theo—
retifern der Spätzeit ald normale Stärfe der Phalanx gegolten habe; denn
diefe übergroße, dod) künstlich außgeklügelte Zahl wird ſowohl von Asklepiodotos
(II, 7) als von Nelian (VIII), nicht minder aber aud) nod) von den Byzantinern
(Maurif. XII, 8; Leo Takt. IV, 57) ausdrüdlic empfohlen. Genieht fie doch den
bejonderen Borzug bis zur Einheit durch 2 teilbar zu jein! — Die große Majie
gliederte man nun duch Zujammenfafjung mehrerer Rotten zu Frontabteilungen:
Zufammenfaffung. 131
Eopolutionseinheiten und größeren Unterabteilungen: Enemotie
Lentekoſtys, Lochos oder Tetrarchie, Syntagma und Chiliardhie. Diefe Benen-
nungen find aud da, wo fie uriprünglid eine bejtimmte Anzahl bedeuteten,
lediglich konventionell. Eine lakoniſche Pentekoſtys der hiftorifchen Zeit 3. B. ift
keine Fünfzigſchaft mehr, jondern eine Schar von 128 bis 144 Männern. Es
lam nämlid darauf an, daß die Grundlage aller Einteilungen, die Evolution:
einheit, ein Quadrat im Grundriß hatte, weil das, nad der Auffafiung der Tak—
tifer, die Truppenbewegungen, zumal die Epiftrophen (die Schwentungen), er-
leihterte. Der quadratiihe Grundriß der Abteilungen hängt nun von der Kopf—
zahl der Rotten und Glieder jowie von den Abjtänden ab, und es fcheint, als ob
der Gliederabftand zwei, der Rottenabjtand drei Fuß betragen habe. Aus diejen
Elementen ergab ſich die tatjädyliche Stärke der Frontabteilungen. (Asklep II,
3, 10 und IV; Mel. X und XL) — Große Aufmerkſamkeit widmete man der
Verteilung der Führer wie der Abteilungen innerhalb der Front
je nah dem Grade ihrer Tüchtigkeit. (AUSH. III, 1—4; Ael. X.) Wud bei
Vegetius follen von den 10 Kohorten der Legion die Flügellohorten und die
Zentrumskohorten jedes jeiner beiden Treffen aus den befieren Mannſchaften be=
ſtehen (II, 6).
Die elementartaftijhen Bewegungen der Hoplitenphalang haben bei
den verjchiedenen Taktikern abweichende Bezeichnungen. WAufgeführt werden: das
Schließen (Ast. XII, 8—9; Ael. XXXIID, die Wendungen (Kyrup. VII,
—6; Askl. X, 3; Uel. XXVI, 1—4 und Schwenkungen (Askl. X, 4—11;
XI, 1—7; Ael XXV, 5—9; XXXI, XXXIV), von denen namentlich bie
(egteren in äußerjt weitichweifiger Art und doch unflar bejprochen werden, ferner
die Herftellung der Front nah Achtel-, Viertel- und halben Wendungen
Askl. X, 12; Ael. XXVI, 3), die verjchiedenen Kontremärjche, melde von
großer Wichtigkeit waren, weil man ſtets wünjchte, die aus den bejtgerüfteten
und tüchtigjten Leuten zujammengejtellten erjten Glieder vorn zu haben (AS.
X, 13—16; el. XXVII, XXVIN), und endlih die Verdoppelungen nad)
Ftont und Tiefe. (Kyrup. II, 4 u. VI, 3; Wall. X, 17—20; Ael. XXIX;
Livius XXXVIU, 8) — Der Gleichſchritt iſt für die Laledämonier aus—
drüdlich bezeugt (Thukyd. V, 70) und war wohl auch bei den anderen Griechen,
wenigſtens für gejchlofiene Angrifjsbewegungen, üblich. Hinfihtlih der Römer
erwähnt ihn, und zwar fogar für den Reiſemarſch, Vegez an einer Stelle, die
wahrſcheinlich aus Cato entlehnt ift (I, 9).
Ein Thema von eigentümlicher Schwierigkeit ift da® von den Kolonnen.
(Anab. IV, 8, 10; Astl. X, 21; Ael. XXX.) Jede Phalanı, welde tiefer als
breit ift, wird ald „aufrecht“, als oo#ia, d. h. als Kolonne, bezeichnet. Askle—
diodot behandelt die verjchiedenen Arten der Kolonnen mit finnverwirrender
Spitematit (XI). Deutlicher tritt e8 bei Aelian hervor (XXX, 1—3), dab es
ih im Grunde dod nur, wie heutzutage, um Reihenkolonne (naoayoyr,) und
Settionskolonne (draymyr) handelt. Die Märjche mehrerer Kolonnen zu
emem Ziel werden genau unterjchieden und benannt (USt. XI; Ael. XXXVI,
XXXVII, und ihre Betradtung führt hinüber zu der der Gefecdtsformen.
9*
132 Altertum.
Die Schlahtordnungen find nach griechiicher Auffaffung
entweder ſolche in flacher Phalanı (rAayı« pahayS), bei der die
Tiefe der Aufjtellung geringer ift, als die Breite, oder jolche, bei der
die flache Phalanz mit der Kolonne (oeILR parayf) verbunden ift,
oder endlich jolche, welche überhaupt nur aus Kolonnen bejtehen. —
E83 verdient hervorgehoben zu werden, daß Cato Genjorius, trotz
jeiner faſt gewaltſamen Ablehnung hellenischer Wiſſenſchaft mit jeinen
vielbejprochenen jieben depugnationes doc) aud) durchaus auf jenem
griechtiichen Standpunkte jteht. Catos fronte longa exercitu depug-
natio ijt nicht3 anderes als die flache Schlahtordnung der
Griechen; jeine obliqua depugnatio iſt eine flache „ſchräge“
Schlachtordnung hellenischer Art, welche mit dem rechten oder
Iinfen Flügel zum Angriff vorgeht (Aofr palayd). Die catonijchen
‚sormen, welche die Mitte verjagen und mit beiden Flügeln angreifen,
jind die Überflügelungen der Griechen (Urregxzgaoıs), und die
directa acies iſt dasjelbe wie die mit der zurüdgehaltenen
flachen BPhalanz verbundene Kolonne — Ms reine Kolonnen-
ſchlachtordnungen erjcheinen diejenigen, bei denen zwei Kolonnen der—
artig zujammenwirfen, daß nach) zwei Seiten Front gemacht werden fann
(@upiorouog pahays, bei Onejander X, 21: augırreöowreos). Dabei
fünnen die Kolonnen parallel vorrüden oder jchräg gegeneinander
gerichtet jein. Leßterenfalls ijt entweder die Spite vorn: dann ergibt
ji) die uralte Angriffsform des Eberfopfes oder Keiles: der
&ußokAos des Asflepiodotos, der cuneus des Cato und PVegetius (III,
17, 19) das caput porcium der römtjchen Soldaten, u. zw. ein
Keil mit leerem Innenraum. Oder die vorrüdenden Kolonnen diver-
gieren derart, daß jte nach vorn zu einen offenen Winkel bilden: Die
Zange oder der Hohlfeil (AoAeußodor), die forfex des Cato—
Begetius). Ferner kann der Marjch auch im Viereck geichehen u. zw.
entweder im Nechted Eregounaes oder zrAaiaıov) oder im Quadrate
(reroayemwov oder zeAımFiov), wofür eine Stelle aus Xenophons Ana-
bafis (IV, 19— 23) das berühmtefte Betjpiel iſt. Eine derartige
Anordnung mag man als eine Verbindung ziveier flacher und zweier
aufrechter Phalangen auffaffen oder als eine Verbindung von vier
Kolonnen, von denen eine mit der Frontwendung, eine in der Kehrt—
wendung marjchteren. Bon der Verteidigungsitellung der Ver:
ichildung (ovraozeıauög) und der aus ihr hervorgegangenen römtichen
Zufammenfafjung. 133
testudo handelt bejonders genau Aelian (XI), und die Schilderungen
der Gejchichtsichreiber erläutern ihn. (Arr. Anab. I, 1; Polyän. IV, 3;
iv. X, 21). Diefe Schildfröte, bei der ſich die Truppen nicht nur
vor- und jeitwärts, jondern durch die erhobenen Schilde der inneren
Maffe jogar nach oben dedten, wurde übrigens auch zum Angriff,
nämlich für Sturmfolonnen im Feitungsfriege gebraucht. (Liv. X, 43,
XXXIV, 39; Cäſ. B. G. U, 6, VII, 85.)
Eine weit höhere Entwidelung als alle dieje von den Griechen
aufgeſtellten taftiichen Kategorien jtellt die aus jelbjtändigen
Shlahtförpern (Manipeln, Kohorten) gebildete Treffen-
ordnung der römischen Legion dar. Seltſamerweiſe aber hat
dieje vollendete Kunjtform wifjenjchaftliche Würdigung nur gelegentlich
u. zw. nicht durch einen eigentlichen Milttärjchriftjteller, jondern durch
enen Hiftorifer, durch Polybios erfahren (XVIII, 11—15), und nichts
beweift mehr die erjtaunenerregende Herrichaft der griechijchen Speku—
lation über die Denfweije auch der Römer, als der befremdliche Um—
ſtand, daß nicht diejenige taftiiche Organijation, mit welcher das
Siegervolf die Welt unterwarf, zur Grundlage der militärwiſſen—
ihaftlichen Syftematif gemacht wurde, jondern die überwundene
Phalanz, deren Formen eben den Griechen altüberfommen waren.
Weit weniger eingehend als über die Elementartaftif der Hopliten-
phalanr äußern fich die Schriftiteller über den Nuten und die Gefechts-
tormen der Leichtbewafjneten (Askl. VI, VII; Ael. VII, 4—6, XV,
XVII; Beget. I, 9), und hinfichtlich der Neiterei (ebd. u. Ael. XVII
bis XXI; Veget. III, 16). Die beiten Arbeiten über Wejen und Auf-
gaben der Reiterei find Diejenigen Kenophons. Als Favallertitiiche
Gefechtsform jpielt bei den Alten die Raute die größte Rolle, eine
Form, welche durch das Abreiten des Geſchwaders aus der Mitte,
wo der Führer hielt, entjtand. (Askl. VII, 9; Ael. XIX).
Endlich ijt der Streitwagen und der Elefanten zu gedenken.
Für erjtere ift, joweit es die heroiſche Griechenzeit angeht, Homer
die Hauptquelle. Über die Sichelmagen der Berjer handelt Kenophon
(&yrup. VI, 1, II, 17; Anab. I, 8; vgl. Veget. III, 24); über die
Streitwagen der Kyrenaiker jpricht Aineias (X VI, 9). Bon den
britaniſchen Wagenfämpfern (essedarii) gibt Cäjar Nachricht (B. G.
IV, 33), von denen der Kelten in der Schlacht bei Sentinum Livius
(X, 28). — Obgleich weder Streitwagen noch Elefanten in der Zeit
134 Altertum.
der jchulmäßig behandelten Taktif gebraucht wurden, jo widmen ihnen
doch die Lehrbücher, am Überlieferten pedantijch haftend, jtets beſondere
Kapitel. (Askl. VIII, IX; Ael. XXII, XXIII; ®Veget. III, 24).
Vegetius gedenkt auch der erjt im jpäteren Altertum wichtig gewordenen
Kamele.
In großer Stärke trat, zumal bei griechiſchen Heeren, der Troß
auf. Seine Sicherſtellung war immer ein Hauptanliegen der Feld—
herrn. Auch in dieſer Hinſicht gibt XRenophon die beſten Lehren und
Beiſpiele (Anab. II, 2, III, 2, IV, 1 u. 2; Kyrup. V, 4, VI,2u. 3).
Die Theoretiker bieten dagegen nur höchſt oberflächliche Andeutungen.
MOneſ. V; Askl. XI, 8; Ael. XXX, IX).
Den Beſchluß der Lehrbücher des Asklepiodotos wie des Ailianos
bilden Auseinanderſetzungen über die Kommandowörter.
8.42.
Erwägt man, wie eng ſich noch in der Gegenwart die Aufgaben
der Feſtungs- und Belagerungs-Artillerie mit denen der Genietruppen
durchdringen, jo eng, daß neuerdings die Verichmelzung beider Waffen
ernjtlich in Frage steht, jo läßt fic) denken, daß bei der geringen
Bedeutung der antiken Artillerie für den Feldkrieg jene Verbindung
noch inniger und eine Trennung der Geſchützmeiſter von den Kriegs—
baumeijtern nicht jachgemäß erjcheinen fonnte. Dennoch darf man
Heron und Biton wohl vorzugsweile als Artillerijten anjprechen,
während Bhilon, Aineias (Taktifos), Athenaios, Vitruv und Appolo-
dorus unter der gemeinjamen Bezeichnung der Boliorfetifer zu:
Jammenzufajjen jind, und des Gromatikers Hyginus Werk über das
Feldbefeftigungsweien im Verein mit den betreffenden Äußerungen
des Polybios (VI) wieder das Verbindungsglied der Poliorfetif mit
der Taktik darjtellt. Beklagenswert iſt es, daß für die Artillerie der
römischen Spätzeit nicht ebenjo gute Quellen vorliegen, wie für Die
der alerandrinischen Periode; wir würden dann gewiß auch die oft jo
dunklen Nachrichten über die mittelalterlichen Werf und Schießzeuge
bejjer verjtehen.
$ 43.
Für die Strategie bleibt man wejentlid auf das Studium der
Gejchichtsichreiber angemwiefen. Die „Feldherrnkunſt“ des Onejandros
entipricht ja ihrem Titel nur allzumwenig, und die „Strategemata“
Bufammenfajlung. 135
Frontins und Bolyäns überliefern zwar manchen ftrategiichen Zug,
find aber doch Feinesweges Lehrbücher der Strategie. Übrigens er-
icheint der Begriff dieſer Wiſſenſchaft noch jehr jchwanfend, und wenn
man bedenkt, wie die Definition desielben, insbejondere die Abgrenzung
der Strategie gegen Taktif und Logiftif, bis zur jüngften Zeit von
den Militärgelehrten als überaus jchwieriges Problem behandelt worden
it, jo darf man jich über jolche Unficherheit nicht wundern. Bei den
unaufhörlichen Einwirkungen der Bolitif auf die Kriegführung, und
aljo namentlich auch auf die Strategie, fällt die Darftellung der
legteren überhaupt jchon in den Mitbereich der Kriegsgeichichte, und
darum find demjenigen, der die Strategie der Alten jtndieren will,
bejonders Thufydides, Polybios und vor allem Cäſar zu empfehlen. —
Dat auch ſchon die Alten ſelbſt die Kriegsgefchichte als wejentliches
Bildungsmittel für den Kriegskünftler betrachteten, lehren die Beijpiel-
Jammlungen Frontins und Polyäns, jowie 3. B. der Umstand, daß
Vitruv jein 10. Buch (das über die Kriegsmaſchinen) mit einem hiſtoriſchen
Kapitel beichließt, welches die Belagerungen von Rhodos, Chios und
Maſſila bejchreibt. Dem entjpricht es, wenn in der Folge auch die Byzanz
tiner ihren Zehrbüchern jolche hiſtoriſche Exkurſe anhängen, wie das z. B.
in ſchönſter Weiſe der von Weſcher veröffentlichte Athos Codex zeigt.
Mit der Feldherrnfunft engverwandt erſchien den Alten das
friegsethijche und Friegsrhetorische Gebiet: allgemeine militärische
Marimen, zuweilen jehr abjtrafter Art, ſowie Betrachtungen über
das Verhältnis der Führer zur Mannschaft und über Mittel auf die
Stimmung der Truppen zu wirfen. Onejander ift reich an Angaben
dieſer Art, und auch Vegetius hebt manchen Punkt derart jorgfältig
hervor. (II, 10—12.)
8 44.
Was nun endlich die ſyſtematiſchen und encyflopädijchen
Verfe über Kriegswiſſenſchaft betrifft, jo haben hier (abgejehen
von den bloßen Sriegswörterbüchern) offenbar jchon frühzeitig die
jofratijch-renophontischen Ideen diejenigen Kategorien vorgezeichnet,
ın welchen fich die Späteren bewegten: von allen als erjter Aineias
Taktifos! Doch wie über feinem Werke bereit8 der Unjtern ſchwebte,
daß uns nur ein einziges Buch desjelben erhalten blieb, jo find auch
von den jpäteren encyklopädijchen Arbeiten bloß Titel übrig mit der
136 Altertum. Bufammenfajjung.
alleinigen Ausnahme der Epitoma des Vegetius. Und eben auf diejer
Ausnahmeftellung beruht ganz bejonders die ungewöhnlich) große
Geltung des Vegez, beruht der Wert, den dieje an und für fich jo
mittelmäßige Schrift trog ihrer SKritiflofigfeit und Oberflächlichfeit
doc) auch heute noch für uns hat.
8 4.
Dies wäre eine Rückſchau auf den Inhalt der klaſſiſchen Militär:
literatur. Wägt man die Beteiligung der beiden in Frage kom—
menden Bölferfomplere: der Griechen und der Römer gegen-
einander ab, jo ergibt jich, daß jenen umbedingt der Vortritt gebührt.
Sie find nicht nur die Schöpfer der antifen Kriegswiſſenſchaft; jie
haben jie vielmehr auch faſt allein weitergebildet. Nur auf den Neben:
gebieten des Lagerbefeftigungswejens und des Milttär-Nechtes treten
eigenartige römische Leiſtungen auf. Dasjelbe Verhältnis, das eigentlich
auf allen Feldern antiker Kunjt und Wifjenjchaft hervortritt, das zeigt
ji) eben auch hier: überall find die Römer Nachtreter der Griechen;
nur in gromatiſcher und juriftiicher Hinficht erweiſen jie ſich original.
Wenn troßdem die wiljenjchaftliche Nachwirkung der römiſchen Kriegs-
jchriftjteller bis zur neueren Zeit unzweifelhaft weit größer war als
die der griechiichen, wenn namentlich) Cäjar und Begetius ein Weiter:
leben von ungewöhnlicher Energie geführt und eine reiche Literatur
um ſich gejammelt haben, jo ift dies zu nicht geringem Teil wohl
dem Umſtande zuzufchreiben, daß ihre Sprache, die lateinische, den
weiteren Kreijen der wiljenjchaftlichen Welt allgemein verjtändlicd) war,
was von dem griechijchen Idiom nicht gejagt werden kann. Hat doc)
Aelian, der einzige griechiiche Militärjchriftiteller, welcher ſich im 16.
und 17. Ihdt. allgemeinerer Geltung erfreute, dieſe weſentlich der Auf-
nahme einer lateinifchen Übertragung jeines Werfes in die Sammlung
der Veteres de re militari scriptores zu verdanken gehabt. — Und
wie die Griechen das Friegswiffenichaftliche Leben des klaſſiſchen Alter:
tums gejchaffen und genährt, jo waren jie es auch), welche es zumächit
im Mittelalter weiterführten. Während im Abendlande die Wogen
der Völkerwanderung die Reſte der alten Kultur verjchlingen, wird
im Oſten das Licht der Wiſſenſchaft von den Byzantinern gehütet.
Freilich fladert die Flamme immer unficherer und verbreitet nur noch
einen trüben Schein.
Bmeites Buch.
Das Mittelalter.
Bom 6. bis 14. Jahrhundert.
Zweite Bud).
Mittelalter,
(6. bi® 14. Jahrhundert.)
Finleitung.
81.
Des Vegetius Weckruf war wirkungslos verhallt. Wer auch
vermöchte eine ſinkende Nation durch vernünftige Auseinanderſetzungen
zu neuer Mannhaftigkeit zu ſpornen! Wie ſich Kranke nur ſelten
entſchließen, die Lebensweiſe, welche Quell ihrer Übel iſt, zu ändern,
vielmehr verſuchen, die verſagende Kraft durch Reizmittel anzuregen
und die Symptome des Leidens durch PBalliativmittel zu bejeitigen,
jo verfahren auch fieche Völker. Die Einführung neuer Kriegsmafchinen
joll die Gefechtskraft fteigern; aber ſie trägt nicht minder dazu bei,
die Heere des jtolzen Kampfes Mann gegen Mann zu entwöhnen.
Der elementaren Energie jugendkräftiger Völker joll begegnet werden,
indem man ſelbſt Barbaren bejoldet und ihren Brüdern entgegenftellt ;
aber jo friftet man fich doch nur hin, bis eines Tages die Barbaren
hüben und drüben einander die Hände reichen und ihrer vereinten
Macht der längſt ſchon untergrabene Bau des alten Reichs endlich
erltegt. Freilich verjtanden es die „riechlein“, die byzantinijchen
Romäer, ausgezeichnet, namentlich von dem zweiten jener Mittel
geſchikt Gebrauch zu machen, und jo gelang es ihnen, den Namen
Ihrer Herrichaft noch ein Jahrtauſend länger zu friften, als dies dem
Rom des Abendlandes möglich war.
Nicht jolange als das byzantiniiche Reich bejtand, erhielt jic eine
byzantiniſche Kriegswiſſenſchaft. Von einer jolchen darf man auf
140 Mittelalter.
Grund ihres literarischen Niederjchlages nur für die Zeit vom 6. bis
zum 12. Ihdt. reden. Diejer Zeitraum ijt allerdings jehr verjchtedenartig
ausgefüllt. Weiſt das 6. Ihdt. eine nicht ganz geringe Anzahl friegs-
wiljenjchaftlicher Arbeiten auf, welche 3. T. jogar auf Originalität
Anjpruch erheben dürfen, jo herrſcht fim 7., 8. und 9. Ihdt. (mit
Ausnahme einer allerdings jehr wichtigen pyrotechniichen Schrift)
vollftändiges Stillichweigen. Das 10. Jhdt. bringt wieder eine Reihe
von Erzeugnifjen der Militärliteratur, die fich freilich fajt ausnahmslos
als bloße Kompilationen darjtellen; im 11. Ihdt. zeigt jich noch ein
Ihwacher Schimmer Friegswiljenjchaftlicher Tätigkeit; mit der Er—
richtung des lateinischen Katjertums jedoch erlijcht er; jede wiſſen—
ichaftliche Beftrebung, ja die Pflege der Überlieferung, geht zu Grunde.
Nun aber regt es jich im Abendlande Wenn man bier von
einer einzelnen Lebensäußerung unjerer Wiljenjchaft zu Anfang des
7. Ihdts. abjieht, jo it es das 13. Ihdt., in welchem man ihren
eriten Spuren begegnet. Nur zum geringften Teile find dieſe um ihrer
jelbjt willen da; meist bilden jie imtegrierende Bejtandteile größerer
Werke: wijjenichaftlicher Encyklopädien, jtatsrechtlicher Schriften oder
politijcher Entwürfe. Die metjten Verfaſſer jind Geiftliche, und der
überlieferte Stoff ijt jeiner Hauptmafje nad) antife Tradition. Die
kirchliche Wirkſamkeit jtand in engen Beziehungen zur Vermittelung
der vom Altertume überfommenen Bildungselemente. Die Bertreter
des Ehrijtentums waren zugleich die Kulturträger, und ihre römische
Erudition flößte faum mindere Ehrfurcht ein, als die Heiligkeit ihres
Amtes. Wie jich in der mittelalterlichen Dogmatik theologijche und
antife Autorität verjchmolzen, jo wird auch die friegsmwiljenjchaftliche
Tradition zuerjt wieder im Munde der Geiftlichen lebendig, und jo
erklärt jich auc) das befremdliche Schaujpiel, daß es Kleriker find,
welche ung im Abendlande als die eriten von jenem merkwürdigen
Kraftträger unterrichten, der in der Folge einen jo tiefgreifenden
Umſchwung des Kriegswejens herbeigeführt hat: vom Schiekpulver.
I. Byzantiner. 1. Die Militärjchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 141
I. Bapifel.
Die Byzantiner.
l. Gruppe.
Die Militärfchriftieller vom 6. bis 9. Iahrhundert.
82.
Das 6. Ihdt. ijt die glänzendjte Zeit des oſtrömiſchen Reiches,
die Zeit jeimer bejten Waffentaten und dementjprechend die Zeit jeiner
tüchtigjten Leiftungen auf dem Gebiete der Kriegswiſſenſchaft. Jene
Waffentaten jind um jo bemerfenswerter, als das Heer der Romäer
auch damals jchon keineswegs vorzüglich war. Zumal das Fußvolk
war in schlechter Mannszucht, mangelhaft gerüjtet und dem Nah—
gefechte abgeneigt. Nur mühjam vermochte es den Perjern, Bulgaren
und Hunnen zu widerjtehen, die mit jtarfen Neiterheeren über Die
Grenzen brachen, ungeftüm angriffen und wenig von den Pfeilen der
ausichlieglich dem Bognerfampfe ergebenen Griechen litten, weil
Mann und Roß gewöhnlich gut gepanzert waren. Daher richtete
alles Sinnen der byzantinischen Kriegsverjtändigen ſich darauf: ihr
Fußvolk jenem furchtbaren Schod zu entziehen und ihm Friſt zu
verichaffen, von jeinen Fernwaffen möglichjt ausgibigen Gebrauch zu
machen. Auch majjenhafte Vermehrung der Gejchüge reichte dazu
jedoch nicht aus, weil die Bedienung der Majchinen zu zeitraubend
und ihre Wirfung doch unzulänglich war, und daher juchte man den
verderblichen Einbruch der gewappneten Feindesgeſchwader durch trag:
bare Hindernismittel zu hemmen, welche jo geartet jein mußten,
dag ſie das Fußvolk einige Zeit lang jichern fonnten, ohne es doch
auf Die Dauer unbeweglich zu machen.
Anfangs des 6. Shots. schlug ein gewiſſer Drbifios oder Ur-
bictus, von defjen Lebensumjtänden nichts befannt ift, dem Kaiſer
Anaſtaſios I1(491—518) in einer kurzen, gewöhnlich als "Errırr,devua
bezeichneten Denkjchrift ein Syjtem der Verteidigung des Fuß—
volf3 gegen die Neiterei der Barbaren vor!). Er formiert
1) Ausgabe in Rigaults Edit. Onosandri (Paris 1599, p. 69— 74) und in Scheffers
Edit. Mauricii (Upfala 1664, p. 364—370). Pranzdj. in den M&moires militaires von Guiſchardt
(&a Date 1758, II, p. 104—106). Eine Erläuterung bat Earrion Nijas gegeben.
142 Mittelalter. I. Die Byzantiner..
die Truppen in große, anjcheinend quadratische Haufen, die er „Pha-
langen“ nennt und die nach allen Seiten Front machen können, umd
rät, den Mannschaften der Außenglieder Sturmböde zuzumeijen, welche
er “avöveg, d.h. „Geſtelle“, nennt und welche offenbar den jpäteren
Federbalken (ſpaniſchen Reitern, chevaux de Frise), entiprechen').
Die Kanones werden im Falle feindlichen Angriffs vor den vier Fronten
der jog. Phalanx mit ihren eiſenbeſchlagenen Federn in den Boden geitohen, und
da, wo bieje leichten Barrikaden an den Eden des Haufens zujammentreffen,
werden Geſchütze aufgepflanzt, welche die Fronten jeitwärt® beitreichen und den
Feind hindern, die Kanone zu entjernen, falld er fie entdedte und durch ab»
geſeſſene Mannjchaft zu bejeitigen verſuchte. Borgejandte flanlierende Schügen
modten die Wirkung der Balliften noch unterjtügen. Bemerkten jedoch die heran
braujenden Reitergejchwader die Kanones nicht, jo mußte ſich der Schod unzweifel-
haft an den Wehrbäumen breden; Roß und Mann würden übereinander ftürzen
und leicht zu erlegen jein. Beim Weitermarjche jollten dann die Kanones zu je
dreien auf einem Pferde transportiert werden.
Die Anwendung jolcher Schugmittel iſt ſtets ein Zeichen, daß
die Kraft des Fußvolks, welches jich ihrer bedient, lediglich in der
Fernwaffe beruht. So bedienten ſich die trefflichen englischen Bogner
während des hundertjährigen Krieges in Frankreich gegenüber der
ſchwer gewappneten franzöfiichen Kavallerie gleichfalls leichter, jchnell
einzurichtender Pallifadierungen, und zu der Zeit, da das moderne
Fußvolk jich dem Gebrauche der Pike entfremdete, ohne daß das
Bajonett zu allgemeiner Anwendung gelangt war, führte man unter
dem Namen der „ipaniichen Reiter“ abermals die Kanones ein.
Außer diejer Gelegenheitsichrift verfaßte Orbifios noch ein Eleines
als raurırov bezeichnetes Werk, welches Föriter im „Hermes“ (XL,
1877) herausgegeben und dabei nachgewiejen hat, daß dasjelbe eine
mit Weglaſſung alles Gejchichtlichen und nicht ohne Mikverjtändnifje
gemachte Epitome der Taftif Arrians jei. — So begegnet aljo gleich
bet dem ältejten der byzantinischen Kriegsjchriftiteller die Neigung,
die antife Überlieferung durch auszugsweife Bearbeitung den Zeit-
genofjen zugänglich und mundgerecht zu machen. — ein Verfahren,
auf das in jpäterer Zeit die Gejamttätigfeit der Romäer in wiljen-
ichaftlicher Hinficht hinausgelaufen it.
1) Bei Homer find xardrss bie beiden über Kreuz gelegten Hölzer, welche zum Ausſpannen
bes Schilbrandes dienten und über welche das Leber ber Schilbflädhe geipannt war. Es bebeutet alfo
aud bier „Geſtell“. In jpäterer Zeit verfteht man unter zavav meift ein Mebinftrument: die Lot-
oder Setzwage, die Mehlatte, das Lineal und daher die Übertragung: Richtſchnur, Megel.
1. Die Militärjchriftfteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 143
Der erite Teil des Taktikon dedt fich dem Inhalt nah mit Arrians Kapitel
De ordinibus exercitus. Der zweite, längere, in 11 Sapitel gegliederte Teil
gibt furze Vorjchriften über Zujammenftellung und Aufftellung des Heeres, über
die vom Anführer zu fordernden Eigenjhaften, über Kommandos und über Be-
wegungen der Truppen und ded Troſſes.
Ferner gilt Orbifios als Verfaſſer eines als "Ovouaoiaı be
zeichneten Artifel® de ordinibus exercitus, der zuweilen auch als
„Wörterbuch der Bhalanr“ citiert wird.
Er handelt über die verjchiedenen ‚Unterabteilungen des Heereß und deren
Führer und jteht unter dem Titel "Opßıxiov ro» regi To argareyua in dem Etymo-
logicum magnum, welches im 12. Ihdt. redigiert wurde, u. zw. unter dem Stich
worte Zrgaros. Der übrigens unbedeutende Artikel füllt in der erjten Ausgabe des
Etymologicums ungefähr eine Kolonne der Folivjeite. Abdrüde ald Anhang der
griechiſchen Diktionarien der Aldini (Venedig 1527) und von Sejja (ebd. 1525.)
Endlich jind im dem medicätichen Coder der Taftifer mit des
Urbicius Namen die ungedrudten raxrıza orgaernyıra in Verbindung
gebracht, welche ſchon nach Bandinis Angaben mit der dem Kaijer
Mauritius zugejchriebenen Taktik [$ 5] engjt verwandt zu jein jchienen.
Inzwiſchen hat Förſter die Identität beider Werke nachgeiwiejen und
jte dem Urbicius abgejprochen.
83.
Die in kriegeriſcher Hinſicht ruhmvollite Zeit des byzantinischen
Reiches ijt diejenige der Regierung Juſtinians. Es it das Abendrot
römischen Kriegsruhms, welches die Gejtalten Beliſars und Narjes’
umftrahlt. Und neben Belijar jteht, ähnlich wie Polybios neben
Scipio, der Verfaffer der „Berichte über die Kriege Jujtinians“
or ireeo raw rrol&uwv Aoyoı)?) Profopios von Cäſarea.
Diejer vorzüglich unterrichtete und offenbar aus gutem Haufe jtammende
Rann wurde im Jahre 527 von Kaiſer Yuftinus dem Belifar, der damals die
Truppen gegen Perfien befehligte al® assessor oder consiliarius, d. h. als juri-
tiiher Rat, beigegeben und gehörte bald zu dem engſten Kreije unter den Hun—
derten, welde nad damaliger Sitte den Stab oder das „Haus“ (oixia) des Feld⸗
derm bildeten. Er blieb an Belijard Seite auch als diejer zur Würde eines
magister militum per Orientem (orgarnyos rjs Ep) emporjtieg, folgte ihm auf
sem Bardalenfeldzuge nad) Afrifa und wurde bei diejer Gelegenheit jowie nod)
dater von dem Feldherrn auch militärijch verwendet — ein Zug, der wieder an
ı) Banbini: Epistola de celeberrimo codice tacticorum bibl. Laurent, (Florenz 1766).
2) Died ift der Titel, welchen Prokopios jelbft feinem Werfe im Proömion besjelben, ſowie an
meszeren anbern Stellen gibt; gewöhnlich wird es kurzweg als „Hiftorien” bezeichnet.
144 Mittelalter. I. Die Byzantiner,
Polybios mahnt. Während des Krieges gegen die Goten in Italien darf es
Prokop fogar wagen, dem größten Feldherrn jeiner Zeit gelegentli einen guten
militärifchen Rat zu geben, indem er ihn an altrömijhe Einridtungen erinnert,
welche ihm dur Tradition und Studium bejler befannt fein mochten ala dem
Belijar, der ein illyriiher Barbar war. Dieje Haltung Prokop macht es be—
greiflich, daß feine Kriegs: und Schladtenihilderungen joviel Sinn, Verſtändnis
und Intereſſe für dad Militärifche beweijen .. Die „Hiftorien“ des Protopios
beitehen aus 8 Bücern?). Zwei davon behandeln Belifard Feldzüge gegen die
Perſer, zwei vornehmlich deſſen Unternehmungen gegen die Bandalen, drei den
Untergang des Gotenreiches in Italien. Dieje fieben Bücher bilden ein zujammen-
bangendes Ganzes und wurden als jolche® um 550 veröffentliht. Das achte
Buch ift ein Nachtrag, der mit dem Jahre 550 beginnt, jyndroniftiich abgefaßt
iit, bi8 554 führt und 559 herausgegeben wurde.
Prokopios iſt nicht Militärichriftiteller, ſondern Geichichtsichreiber
wie Bolybius; er hat jogar (abgejehen von einer wichtigen Aus—
einanderjegung in der Einleitung jeines Werkes) Feine eigentlichen
militärtichen Erfurje; dennoch darf er bier aufgenommen werden,
weil jeine Darjtellung in kriegswiſſenſchaftlicher Hinficht für die geiſtes—
arme Zeit, in der er lebte, umentbehrlicd; zum Verſtändniſſe ericheint.
Prokops Schilderungen zeigen ihn als Hochgebildeten und kriegskundigen
Uugenzeugen; fie find meijt jehr anſchaulich und überliefern genau die ent-
iheidenden Tatſachen; nur da, wo er jelbjt nicht zugegen war (wie 3. ®. bei der
Schlacht von Taginas, in der Totila fiel), lajjen fie zu wünjden übrig. Die
jentenziöje Schreibweife der Zeit, der auch der Berfafier der „Hiftorien“ Huldigt,
tritt freilih oft in der Behandlung kriegeriſcher Angelegenheiten hervor, jo
namentlich in dem mehrfach erwogenen Berhältnifje von Kühnheit und Vorficht,
deren Vertretung gern an zwei Gegenredner verteilt wird (vgl. Bell. Got. III, 24),
oder in dem Grundfage: „Man liebt den Berrat, doch verachtet die Verräter”
(B. G. I, 8). Ganz folgerichtig bleibt Profop in feinen Urteilen nidt: Ver—
zweifelter Todesmut, der den Untergang der Unterwerfung vorzieht, wird bald
bewundert, bald als ſündhaft getadelt (vgl. B. G. IV, 14 u. III, 21 mit
IV, 12); Übermadt der Feinde ift hier zu verachten, dort zu ſcheuen u. dgl. m,
Für die militärijhe Ehre ded „römiſchen Namens“ hat Prokop die lebhaftejte
Empfindung und geberdet jich nicht jelten als echter Chauvin. Wo diefer Punkt
in Frage fommt, und das ift nur allzu oft der Fall, da jchlägt der jonjt feines-
wegs kritikloſe Gejhichtsichreiber einen bedenklichen Bulletinjtil an, welder von
römiſchen Siegen über unbegreiflihe Übermaht und unbegreiflih kleinem Ver—
1) Bol. Dahn: Profopius v. Cäfaren, Berlin 1865, dem unfere Darftellung wejentlid folgt.
*) Ausgaben von Höfchelius (Augsburg 1607), Maltretus (Baris 1661/83, Venebig 1729),
Dindorf (Bonn 1833). — Lateinifche Überfegungen erſchienen jeit ber de8 Bolaterranus
(Rom 1509) mehriah. — Ital. von Egio (Venedig 1547). FFranzöfiih von Baradin (die beiden
erften Bücher; Lyon 1578), Fumer de Genillé (Paris 1587) und Mauger (Paris 1669). nal.
von Holcroft (2onton 1653). Deutih von Kannegieher (Greifewald 1827—31).
Die Militärfchriftiteller vom 6. bi® 9. Jahrhundert. 145
(ufte häufiger als billig mit gläubiger Miene zu erzählen verfteht. Gelegentlich
freilih bricht do die unabweisbare Erkenntnis der Wirklichkeit mit tragiicher
Energie dur, wie in jener höhnenden Äußerung, die er (B. Pers. II, 30) dem
Berjerfeldherrn Mermerots in den Mund legt: „der Thränen und des Jammernd
wert ijt daß Reid, der Römer, da die jo herabgelommen find, daß fie mit feiner
Menſchenmöglichkeit hundertundfünfzig perfiiher Männer, die ohne Schuß einer
Mauer fochten, Herr werden konnten“.
Die für das Kriegsmwejen der juftinianischen Zeit bezeichnendjte
Stelle ijt der Erfurs gleich zu Anfang der „Perſerkriege“, welcher
die Taktik jeiner Zeitgenofjen in das gebührende Licht zu jeßen ver-
jucht. Seine Apologie läuft mejentlich auf ein Lob der Bogen—
hüten hinaus.
„Es gibt freilich Menſchen“, heißt e8 da, „welche eigenfinnig alle Ehre nur
in der jog. guten alten Zeit finden, die Großtaten der Gegenwart abfichtlich ver-
Neinern und bie Krieger unjerer Tage wegwerfend „Bogner“ nennen, während
fie gegen die Alten freigebig find mit den pompöjen Namen der „Nahkämpfer“
oder „Schildmannen“ Das Urteil diefer Menjhen zeugt von ihrer Uns
wifiernheit und gänzlihem Mangel an Erfahrung. Das fällt ihnen gar nidt ein,
dab jene homeriſchen Pfeiljhügen, deren Waffe allerdings veradhtet war, weder
Rob, noch Spieß, noh Schild hatten... Solche Leute konnten natürlich) den
offenen Feldftreit nit wählen und durften vom Ruhm der Schlaht nur einen
Diebedanteil für fi nehmen. Und fogar in ihrer Kunſt waren fie ſchwach; denn
fte zogen die Sehne nad) der Bruft zu, und daher prallten ihre Pfeile fraftlos
ab. Die Bogenjhüpen der Gegenwart treiben das edle Handwerk ander! Ge—
harniſcht und zu Roſſe eilen fie in den Kampf ..: und ziehen die Sehne bis zum
rechten Ohre an. Das gibt einen kräftigen Schuß; der treffende Pfeil bringt den
Tod... Trogdem bat man Leute, welche nicht fatt werden fünnen, immer nur
die Alten zu bewundern. Das hindert aber gar nicht, daß doc) in diejen Kriegen
Belijard die herrlichiten und größten Taten der Geſchichte getan find.“
Solche Verherrlichung des Ferngefechts mit Bogen und Pfeil tritt
bet den Schriftjtellern der Zeit Juſtinians und jeiner nächjten Nach-
tolger mehrfad) hervor. Ein unzweideutiges Anzeichen gejunfener
Kriegskraft, läßt fie e8 durchaus begreiflich erjcheinen, daß troß der
hohen Feldherrngaben, welche die beiden, übrigens von Barbaren ab-
itammenden Rivalen, Beltjar und Narjes, auszeichneten, Doch noch zu
Brofops Tagen das ganze Abendland an die Germanen verloren
ging und daß jlavijche Plünderer und Perjerreiter bis vor die Tore
von Konjtantinopel jchwärmten. Juftinian hat, wie Gfrörer treffend
jagt, „den Stein des Siſyphus gewälzt“, als er den Krieg gegen
die Germanen anhub: wohl vernichtete er die Vandalen in Afrika,
FJänns, Geſchichte der Ktriegswiſſenſchaften. 10
146 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
die Oſtgoten in Italien; aber er machte beide Länder zur Wüſte;
jehr bald nach Ausrottung der Goten verfiel Italien den Lango-
barden ; kaum ein Jahrhundert nad) Zerjtörung des blühenden Vandalen-
reiches gehörte ganz Nordafrita dem Islam. Und um jene Kriege
führen zu können, hatte der Bajileus die gefürchteten Hunnen durch
unermeßliche Geldgejchenfe bejchwichtigen, hatte er die benachbarten
Barbaren in der funjtvolliten Weije, bei der natürlich die Beitechung
eine Hauptrolle jpielte, gegeneinander verhegen müfjen. Der finanzielle
Ruin, den dies Verhalten zur Folge hatte, machte es unmöglich, eine
Flotte zu halten, und Jujtintan Hinterließ das Reich nach einer faſt
vierzigjährigen Regierung in minderer Sicherheit, als er es über-
fommen hatte.
84.
Unter Juſtinian nun ſchrieb ein Autor, deſſen Name uns nicht
bekannt iſt, ein höchſt merkwürdiges Buch über die Kriegswiſſen—
ſchaft als Teil der Statswiſſenſchaft!). Der byzantinifche
Anonymus teilt nämlich die Statswiljenichaft in eine jolche der Tat
und im eine jolche des Wortes ?). Die Statswijjenichaft der Tat
(rgarrıncv ueoos) zerfällt wieder m zwei Teile: Statswifjenichaft
im engeren Sinne (ro4ırızn), welche von der politiichen Organiſation
der Gejellichaft Handelt ?), und Kriegswiſſenſchaft (zeaznyırn), welche
ihm „das wichtigite Gebiet der Statswiſſenſchaft“ iſt.
Das Buch von der Kriegswiſſenſchaft (regi Irearnyırng) zer:
legt jeinen Gegenstand in Verteidigungsmahregeln und Angriffsmaßregeln.
Unter den VBerteidigungsmaßregeln (Bokazrınov rwv otxelam)
werden folgende Kapitel abgehandelt: Vom Wachtdienjte im großen,
von den Befejtigungen und deren Armierung, von militärpolitiichen
Lijten, durcch welche man den Krieg vom Lande abwendet, ohne Frieden
1) Zum erftenmale herausgegeben und zugleich ins Deutſche überfegt von Kochly und Rüftom
im 8. Bande der „Griech. Kriegsfchriftiteller” (Leipzig 1855) nad) dem Barijer Codex 2522. In dem
Blorentiner Hauptcober [A. 88] fteht die Schrift p. 104— 130. Gie ift bort, wie bie anberen Ab⸗
handlungen in ihrem Anfange verftümmelt.
2) Die Statswiifenihaft des Wortes (doyıxör zFoos) bildet den Inhalt der jog.
Anuayoolaı, einer Anweiſung zur Beredſamkeit, insbejondere zu kriegeriſchen Ermunterungsreben
(Rhetorica militaris), welche ebenfalls in die beiden großen taktiſchen Codices aufgenommen ift und
deren Einleitung Köchly und Rüſtow griech. und deutſch in ihren „Borbemerfungen” zum Anonymus
mitgeteilt haben.
») Nämlich von den verſchiedenen Bürgerklaſſen des Bivilftanbes und deren Beitimmung, jomwie
von der Beichaffenheit der Vorſtände und des dienenden Berionales.
1. Die Militärjchriftfteller vom 6. bi 9, Jahrhundert, 147
zu jchließen, von der Verhütung des Krieges durch Abjchluß eines
möglichjt wenig nachteiligen Friedens, von den Verpflegungsanitalten.
— Unter den Angriffsmaßregeln (Areunrızov vov vreevarriay)
beipricht der Anonymus die Taktif (Gliederung, Bewaffnung, Be
wegung, Berwendung der taktischen Mittel) und anhangsweiie die
Überläufer, Spione und Gejandten !).
Wenn auch von der Perſon des Berfafjerd dieſes Handbuches nichts be—
fannt iſt, jo hat man doch aus ſeiner Berufung auf eigene Erfahrung (XIX, 23),
aus der eingehenden und gründlichen Behandlung des ganzen Kapitel® über die
Flußübergänge mit bejonderer Hinweijung auf die Donau, jowie namentlich aus
der Durjtellung und Kritik der fliegenden Fähre des Apollodoros (XIX, 7—14)
geihlojien, daß er ald Sachverſtändiger u. zw. ald Ingenieur einem oder mehreren
Seldzügen an der Donau beigewohnt habe. Die Schriften älterer Taftiter hat
er mehrfach benußt, ohne dab jedoch etwa Gelehrſamkeit oder aud nur aus
gebreitete Belejenheit bervorträten. Seine Sprade ift ein im Berhältnis zu
jonjtigen Produkten der Zeit noch recht reines Griechifch *).
Es ijt ein Zeihen ungewöhnlicher Einficht, dab der Anonymus die Kriegs—
wiſſenſchaft lediglih al8 einen Teil der Statswiſſenſchaft auffaßt. Den Krieg
betrachtet er als ein leider unvermeidliches Übel; die Kriegswifjenichaft ijt ihm
„die Urt und Weije, nach welder man als Feldherr fein Vaterland ſchützt und
über die Feinde fiegt“. Der „phylaktiiche“ Teil der Strategif handelt von den
Mitteln, den Krieg zu verhüten, oder, fall dies nicht gelingt, fich durd tote
Mittel, wie 3. B. Befeftigungen, gegen defien üble Folgen zu jhüßen: der
„apeiletiiche” Zeil dagegen enthält die Verwendung der lebendigen Kräfte der
Truppen. Dabei denkt der Anonymus offenbar wenig an den Angriff. Seine
Gedanken beihäftigen fich eigentlich immer nur mit der Aufgabe, wie ed anzu—
ftellen jei, möglidhft wenig Schläge zu belommen. Dab man deren überhaupt
befomme, das wird als felbjtverftändlich vorausgejegt! Ein höchſt charakteriftifches
Zeichen der Zeit! Darum empfiehlt der Autor auch die juftinianijche Politik
gegenjeitigen Verhetzens der Feinde untereinander; darum rät er, wenn immer
möglich, jtatt zur Offenfive zu greifen, mit der Demonftration auszulommen.
Recht gut zujammengefaßt find die Lehren vom Wachtdienſt und von
den Keuerzeihen und Fanalen, die ja jhon in frühejter Zeit von den
Griehen auögebildet [A. $8]) und in der Folge fortentwidelt worden waren.
(A.$ 19, 33, 37.) Beſonders jorgfältig ift das Kapitel (IX) von den Warten
(Fooxgıa) durchgearbeitet, wie deren ebenfall3 jchon gleich nad) den Perjerfriegen
an der attifhen Grenze eingerichtet worden waren, unb deren auch Zenophon®
Kyrupaidie wiederholt erwähnt. — Bei dem Befeſtigungsweſen finden fid
mehrfach Züge, die an Apollodoros, vielleiht audh an Bitruv erinnern. Der
1) Der Text ift lückenhaft. Er fpringt von ber Urmierung der Feitungen unvermittelt zur
Zaftif über. Offenbar fteht auch der Anhang von den Überläufern, Spionen und Gejandten nicht an
der richtigen Stelle,
” Bol. Rüftows und ſtöchlys „Borbemerkungen“.
10*
148 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
Anonymus handelt davon, wo "und wie eine Stadt zu erbauen jei und warnt
davor, den Rüdfichten auf Wohlftand, Bequemlichkeit und Schönheit den Vorrang
vor denen auf Sicherheit einzuräumen; er gibt Maße für die wichtigften Teile der
Enceinte und empfiehlt die Anlage von Außenwerken (XII, 5). Eine größere
Rolle als bei den älteren Griechen (Philon ausgen.) jpielt bei ihm der Graben; auch
einer glaciartigen Anlage wird gedacht. Die VBorjchriften über Armierung
lafjen erfennen, daß neue poliorketifche Streitmittel zur Zeit der Abfafjung diejes
Buches nod nicht in Frage famen. Das betreffende Kapitel (XIII) erwähnt jogar
des Naphta nicht, dejjen der Autor doch an anderer Stelle gelegentlich gedenkt ")
und das jchon Begetius (IV, 8) als oleum incendiarium unter den Materialien
aufzählt, die bei Verteidigung einer Stadt bereit gehalten werden müfjen.
Den apeiletijchen Teil jeines Werkes beginnt der Autor mit
einer Definition der Taktik. Er bezeichnet fie treffend als Die
Wiffenjchaft, nach welcher man eine Maſſe Menjchen bewaffnet, gliedert
und auf zwedmäßige Weiſe in Bewegung jeßt. Bon fünftlichen
Stellungen der Phalang will er nicht reden, „weil doch die metjten
Leute von Taktik nicht viel verjtehen.*“ Im großen umd ganzen be-
handelt er aber diejelben Dinge wie Asklepiodotos und Ailianos ?).
In der Bewaffnung jpricht fi) deutlich der defenfive Geift de Autors
und jeiner Zeit aus. Er ftedt feine Phalangiten, jofern fie nicht mit Harnifch
und Beinjhienen gerüjtet find, in Waffenröde von 1 Daktyl (34 Zoll) Dide An
einem Sommertage der Baltanhalbinjel oder Kleinafien® müſſen ſolche Stepp—
wämſer fajt unerträglih gewejen jein; aber die Furcht vor den Pfeilen des
Feindes ließ manches erdulden. Die ungeraden Nummern der Rotten find über—
dies noch mit mannshohen Septartichen verjehen, mit denen er „die Truppe völlig
panzern und gegen alle Geſchoſſe des Feindes ficherjtellen“ will. Denn im Grunde
genommen ijt nur dad Ferngefecht ind Auge gefaßt; auch die Phalangiten
führen neben dem Langjpieße den Bogen. Das einzige Stüd der Bewaffnung,
welches außer dem Spieß auf das Handgemenge berechnet ijt, ijt zugleih im
höchſten Grade lächerlich. Die Helme haben nämlich ſcharfe Spitzen, und mit
denen follen die Leute, falls ihnen unerwarteterweije der Feind wirflid auf den
Leib rüdte, wie die Böde zuftoßen. — Die Bujfammenfegung der Rotte
je nad) Tüchtigkeit der Leute bejhäftigt den Anonymus nod mehr als früher
Ihon den Asklepiodotos und ben Ailian. Seitdem der kriegeriſche Geift der
Mannſchaft geſchwunden war, wollte man fidy nicht mehr damit begnügen, nur
das 1. Glied und das jchließende (da8 der Uragen) au gewählter Mannjchaft
zujammenzufegen, jondern jann darüber, wie man e8 möglich maden fünne, aud
in den mittleren Gliedern die Leute derart anzuordnen, daß die minder jchlechten
Kerle die jehr jchlechten mwenigftens einigermaßen zuſammenhielten. — Bei der
1) Nämlich in der politifchen Einleitung (II, 7), wo er bei der Beiprechung ber &ewerbetreibenben
unmittelbar hintereinander der Eiſen unb ber Naphtaarbeiter erwähnt.
2) Bol. demgemäß die betreffenden Paragraphen bes I. Buches und bie vergleichende Zuſammen-⸗
ftellung über die antifen Taftifer in dem Rüdblide am Schluffe jenes Buches [A. 8 41).
1. Die Militärjchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. -149
Taktik der Reiterei gejhieht der Raute nit mehr Erwähnung, wohl aber
der geſchachten Stellung (en &chiquier), wobei das zweite Glied auf den Inter—
vallen des erſten reitet. Offenbar hält der Autor fehr viel von der Kavallerie,
die zur Zeit Juftinians ja tatſächlich dem Fußvolke in jeder Hinficht überlegen
war. — überraſchend gut find die Auseinanderjegungen de Anonymus über die
Bewegungen der Bhalanr. — Während Asklepiodotos und Ailianos nur eine
trodene Aufzählung der Formen geben, berüdfichtigt der Anonymus das Gelände,
und eben dies veranlaßt ihn, ein bejonderes, ſehr eingehendes Kapitel von Fluß⸗
übergängen zu geben und die dazu gehörigen technijchen Mittel genau vorzus
führen. Merkwürdig ift aud die Erwähnung von Terrainaufnahmen (XX, 8),
welche von taktiſch wichtigen Bofitionen zu veranftalten jeien (Vgl. Vegetius III, 6).
— Die Bewegungen ded eigenen Heeres macht der Autor, (XX, 10) durchaus
von denen des Feindes abhängig; diefem überläßt er von vornherein die
Initiative,
Begetius hatte geklagt, daß die Lagerordnung vernadläfjigt werde (I, 21);
bei dem Anonymus tritt das nicht hervor. Die wejentlich defenfive Haltung der
Zeit hatte hierin offenbar wieder eine glüdliche Reaktion herbeigeführt, und die
byzantiniſche Zagereinrihtung erſcheint im Prinzipe al® ganz diejelbe, wie jie
ſchon Polybios gejhildert und wie fie mit einigen formalen Änderungen jpäter
Hyginus dargelegt hat. Sie liegt in den Händen eine® bejonderen Corps, de#
der unvoopen (bei Vegetius II, 7 »mensores« oder »metatores«) d. h. der
Ouartiermeijter, welche dem Heere vorausziehen und den Lagerplag wählen und
abſtecken, wobei fie die Abmefjung der Räume, harakterijtiicherweije, durch Bogen
ſchüſſe erzielen. Die Befeftigung des Lagers geihieht ganz nad) dem römifchen
Syitem; zur weiteren Sicherftellung wendet der Anonymus jedoch allerlei früher
unbekannte Slünjteleien an: Fußangeln, die ſtets mitgeführt werden jollen, ausge—
ipannte Leinen mit Gloden, vorgefchobene Wachen, die in Gejtalt einer Flefche
aufzuftellen feien u. dgl. m.
Begnügt der Anonymus ſich ſchon bei Abhandlung der Märjche nicht mit
bloßer Nomenklatur, jo geht er begreiflicherweije bei Betrachtung des Gefechtes
nod lebendiger auf reale Berhältnifje ein: auf die Fälle, in denen man zum
Schlagen fommt, und auf das Verhalten dabei. Nur allzudeutlich tritt auch hier
jeine traurige Neigung hervor, fich da8 Gejep vom Feinde geben zu laſſen. Sorg—⸗
fältig jei zu überlegen, ob man mit Vorteil ein Gefecht annehmen fünne. Sei
die Lage irgendwie zweifelhaft, jo folle man den Kampf lieber vermeiden und eine
günftigere Situation abwarten oder herbeiführen. Sogar dann, wenn man doppelt
fo ſtark jei als der Feind, müjje man fih hüten, ihn etwa ganz einzuſchließen;
denn wenn er durchaus gehindert fei, auszuweichen, jo könne er leicht unerhörte
deldentaten vollbringen. Bejonderen Wert haben dem Autor jolche Operationen,
melde darauf berechnet find, des Gegnerd Lebensmittel abzujchneiden und ihn
dadurch zur Zerfplitterung jeiner Macht zu zwingen; auf jolche Weife habe Belifar
feine beiten Erfolge erreiht. Biel Sorge bereiten dem Anonymus die Gedanten,
überflügelt oder umfaßt zu werden, und er ijt fruchtbar an Vorſchlägen zu Gegen-
maßregeln. Überflügelnder Reiterei gegenüber greift er ſogar wieder zu den von
150 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
ihm jo fehr gejhägten Fußangeln Y. — Von großen taktiſchen Formen
unterjdheidet er die Kolonne (von yahayf), deren Tiefe ein Vielfaches der Front
ift, die Linie (mÄayia Yakayf), deren Front ein Vielfaches der Tiefe ift, und die
ſchiefe Stellung (Ao&r yalayf), deren einer vorgenommener Flügel den Gegner
angreift, während der andere verjagt wird, doc nur um foviel, daß er nicht
binter der Tiefe de8 vorgenommenen zurüdbleibt?)., Die Reiterei hält auf den
Flügeln; über die Unordnung der Leichtbewafneten jollen die jedemaligen Ber:
hältnifje entfcheiden. — In Folge der allgemeinen Einführung des Bogen? auch
in die Phalanx gewannen die Schladhten der byzantinijchen Zeit einen nahezu
modernen Charakter. Das Handgemenge war ganz in den Hintergrund getreten,
und nad) oft jtundenlangem Ferngefeht, das freilich unendlich viel weniger mör—
derijh war als heutzutage, genügte meijt irgend eine geringe VBorwärtöbewegung
der einen Partei, um ben Tag zu enticheiden®)., Großen Wert legt der Ano=
nymus auf das Bereithalten von Referven zur Dedung des Rüdzuges; denn
daß diefer angetreten werden müſſe, ift ihm unter allen Umſtänden wahriceinlich.
Die Lepten jollen Hinter fih dann wieder Fußangeln ftreuen. — Naiv find
die Vorſchriften für einen nächtlichen Überfall; auch hier fol man ja dafür
jorgen, daß dem Feinde die Möglichkeit der Flucht bleibe, damit er ſich nicht etwa
verzweifelt wehre. Für Überfälle und Hinterhalte zeigen die Byzantiner übrigens
entjchiedene Vorliebe.
In jeiner Einleitung äußert der Anonymus den Vorſatz, nach
Behandlung des Landfrieges auch vom Seekriege zu reden; aber in
der eben erläuterten Schrift findet jic) darüber nichts. Neuerdings
hat jedoch K. K. Müller in der ambrofianischen Handjchrift der Kriegs—
jchriftteller eine Schrift über den Scefrieg entdedt, welche wohl
aus dem 6. Ihdt. herrührt und möglicherweije eben jene von dem
Anonymus Byzantinus verjprochene Arbeit tit*).
Leider ijt fie nicht ganz vollftändig; daß erhaltene Stüd beginnt im 4. Kap.
des Ganzen und endet im 10. Kap. Es behandelt die Pflichten des Kapitäns,
den Späher: (Mpifos) Dienft, die Signale und den eigentlichen Kampf zur See
jamt den dazu nötigen Vorbereitungen und den Maßnahmen nad der Schlacht.
Des griehifhen Feuers geſchieht feine Erwähnung. — Dies Fragment ijt die
ı) Die Fußangeln jheinen oriental. Urjprungs zu jein. In der Schlacht bei Baugamela
wendete fie 3. B. Darius an, um Teile bes Kampfplages vor jeiner Front ungangbar zu machen.
Dann gingen fie zu ben jpäteren Römern über. Vegetius definiert fie (III, 24) »tribulus autem cst
ex quattuor palis confixum propugnaculum, quod, quomodo abieceris, tribus radils stat et
erecto quarto infestum est.«
2) Hieraus geht hervor, daß der Angriffäflügel ald 069) palays, die ſchiefe Stellung jomit
als eine Miſchung aus Linie und Kolonne nebadt ift.
2) So geichah e# in der Schlacht bei Dara (Prokop B. Pers. I, 14). In ber bei Ehalfis (ebb. I, 18)
wurde bis zum jpäten Nadhmittage nur geſchoſſen. — Bol. Köchly und Rüſtows „Erflärende An-
merfungen zu dem byzantinifchen Anonymus“. Kap. XXXVI
4) Sie füllı 6 Blätter der Hanbfchrift; wahrjcheinlich ift zu Anfang und zu Ende nur je ein
Blatt verloren gegangen. 8. 8. Müller ebierte diejelbe unter dem Titel: Eine griech. Schrift über
Seelrieg. Zum erften Male herausgegeben unb unterfucht (Würzburg 1882).
1. Die Militärfchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 151
ältefte bis jetzt befannte in griehiiher Spradye abgefahte fachmänniſche Schrift
über den Seefrieg.
Auf denjelben Anonymus, welcher die „Kriegswiſſenſchaft“ verfaßt
bat, it endlich auch noch eine Taktik vom Bogenſchießen (regı
roseiag) zurücdzuführen, welcher zum Teil in die xeozor des Jul.
Aricanıs aufgenommen worden iſt. [A. 8 33.)
Auf drei Hauptpunkte fommt es dem byzantinischen Anonymus bei dem
Bogenſchießen an: richtig, kräftig und ſchnell zu ſchießen, und nad) diefen Geſichts—
punkten iſt auch die Abhandlung eingeteilt, welche urſprünglich wahrſcheinlich
hinter der Beſprechung der Bewaffnung (XVI) ihren Platz gehabt hat. Welde
Bedeutung der Bogenkampf für die Byzantiner hatte, wurde bereit3 mehrfach er=
wähnt. Beſonders charakteriftiich ift in diefer Hinficht die oben mitgeteilte Stelle
aus Vrokops Einleitung zu feinem „Perjerkriege“. Auch andere Äußerungen deö-
jelben atmen gleichen Geiſt (I, 14; I, 18), und im „Gotentriege“ (I, 22) rühmt
Brofop jogar den Belijar jelbit ald den „erften Bogner“ beim Sturm der Weit-
goten auf Rom (im Jahre 537).
Es jchien notwendig, jo genau auf die „Kriegswiſſenſchaft“ des
byzantinischen Anonymus einzugehen, nicht nur, weil dies Werf ein
in mancher Hinficht noch viel volljtändigeres Kompendium der aus
dem Altertum überfommenen militärischen Traditionen it, als ſelbſt
des Begetius Epitome, jondern auch, weil es auf Jahrhunderte hinaus
de legte jelbjtändige Arbeit auf dieſem Gebiete iſt, auf dem von
mm an die Kompilatoren herrichen. In gewiſſem Sinne darf man
jogar das anonyme Werf als die letzte Schöpfung der antifen
Militärliteratur betrachten ıumd ihm bejonders warme Anerfennung
yollen, weil es in einer bis dahin noch kaum dagewejenen Weile den
Krieg als eine Funktion des Statslebens, die Kriegsfunit als einen
Lil der Statskunjt und demgemäß die Kriegswifjenichaft als Teil
der Statswiſſenſchaft auffaßt und behandelt. Allerdings, dieje Auf:
faſſung jcheint nicht ſowohl eine igentümlichkeit des Anonymus
ald vielmehr die allgemeine jener Zeit gewejen zu jein. Wird doch
das ebenfalls der jujtintanischen Periode angehörende Werf des Petros
Magiftros (oder Patrikios) zregi &ruoriung zrolrrınng!) (Über die
Statskunſt) wegen eines bedeutenden Teiles jeines Inhaltes, zumeilen
auch unter die militärischen Werke gerechnet. Es bietet indeſſen
ſo wenig Eigenartiges, daß es hier nicht näher berücichtigt zu
werden braucht.
!) Gr. et lat. ed. Mai: Scriptores class. coll. nova. T. II, p. 590--609 (Rom 1826).
152 Mittelalter. I, Die Byzantiner.
85.
Ungefähr ein halbes Jahrhundert nach der „Statswiſſenſchaft
der Tat“ entitand jenes Irgaznyırov oder jene Ars militaris, welche
gewöhnlich dem Kaijer Maurifios (Mauritius) zugejichrieben wird.
Diejer Fürſt war im Jahre 539 in Kappadofien geboren, verlebte jeine
Sugend unter Juftin I. am kaiſerlichen Hofe und wurde 578 zum Magijter militum
und Befehlöhaber der gegen Perfien in Waffen jtehenden Armee ernannt. Als
jolder gelang e& ihm, die gejunfene Disziplin wieder herzuftellen und eine
Reihe von Siegen zu erfechten, infolge deren er im Jahre 582 triumphierend zu
Konftantinopel einzog, die Hand der Kaifertochter empfing und noch in demfelben
Sahre den Thron beitieg. Von diejem Wugenblide an verließ ihn das Glüd.
Seine Feldherrn erlitten gegen die Avaren Niederlagen ; die Abficht de Maurikios,
fi, jelbjt wieder an die Spipe des Heeres zu ftellen, wurde als „unerhört“ leiden-
ihaftlih vom Hofe befämpft; dennoch führte der Kaifer fie endlih aus und
überjchritt wiederholt jiegreid die Donau. Allein das Heer haßte ihn wegen feiner
Energie und Sparjamleit, und zulegt gab der Befehl des Herrichers, jenjeitö der
Donau zu überwintern, den Anlaß zu einer wilden Empörung, infolge deren
PHofas zum Kaiſer ausgerufen wurde. Maurifios jand jamt jeinen Söhnen
den Tod (602 n. Ehr.).
Wohl um 595, als die Feldherrn des Maurikios jo unglücklich
gegen die Avaren fochten, hat diejer das Kriegslehrbuch abgefaßt
oder neu herausgegeben, das unter jeinem Namen überliefert üt.
Der Herausgeber des Strategiton, Scheffer, vermutet, dab dies Werf nur
ein Auszug aus einem vollftändigeren Buche des Orbikios ſei [$ 2]. Im der
Tat ift vor der Vorrede in dem medicäifchen Coder Urbicius als Verfaſſer ge
nannt; wahrjcheinlich handelt es ſich da jedoch um ein Mihverftändnis; denn mit
Recht macht Förſter darauf aufmerkjam, da die wiederholte, 3. T. ausführliche
Rüdfihtnahme auf Bekriegung jolher Völker wie Franken, Langobarden, Uvaren
und Anten wohl in Maurifio®’ Zeit, nicht aber in die des Kaiſers Anaſtaſius
pajie?). Noch weiter geht Salomon, der da meint, die Schrift jei früheftens im
9. Ihdt. entftanden und ihr Verf. müſſe mit Leo VI. und Konſtantin [$8 u. $ 9]
aus einer gemeinjamen, für uns verlorenen Quelle gejhöpft haben.®) Angeſichts
fo widerfpredender Anfichten halte ich mich an die alte Überlieferung.
Das Strategifon zerfällt in die Einleitung und 12 Bücher.
Es mangelt ihm nicht an Berührungspunften mit dem Werfe des
Anonymus; aber es ergänzt e8 auch mannigfach. — Die Einleitung
jcheint auf jene unglüdlichen Feldzüge gegen die Barbaren hinzudeuten.
1) Ausgabe von Scheffer in: Arriani tactica et Mauricii Ars militaris libri XII, omnia
nunquam ante (und auch fpäter nicht wieder) publicata. Graece primus edit, versione latina
notisque illustrat (Upsaliae 1664).
2) Förſter: Kaiſer Habdrian und die Taktik des Urbicius (Hermes XII, 1877, ©. 467).
», Salomon im Szäzadok, Organ ber ungarifchen hiſtoriſchen Geſellſchaft 1878.
1. Die Militärfchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. - 153
Nach einem Gebete an die Heilige Dreieinigfeit, an die gottgleihe Jungfrau
Maria und an alle Heiligen beginnt Maurifio® mit der Betrachtung, daß jeit
langer Zeit die Kriegswiſſenſchaft darnieder liege, ja fast in Bergefienheit gelommen
fei, jo da die angehenden Feldherrn nicht einmal das Allgewöhnlichſte verjtänden.
Das ift genau diejelbe Klage, welche ſchon Vegetius ausſtößt und welde der
byzantiniſche Anonymus wiederholt (Beg. III, 10 und Anon. XV, 1). Wie dieje
beiden hofft Maurikios durd fein Werk zur Bejlerung beizutragen.
Das 1. Buch handelt von Aufbringung, Ausbildung und
Gliederung des Heeres.
An die Spige gejtellt ift die Ausbildung im Bogenjhiehen, wobei
der Hauptnachdruck auf das Schnellihiehen gelegt wird. Der Schüß trug 30 bis
40 Pfeile im Köcher (XII, 8). Bis zum 40. Lebensjahre follten alle hriftlichen
„Römer“ den Bogen führen, fie möchten nun gut oder jchledht jchießen ; die Un—
geſchickten möchten mit ſchwachen Bogen anfangen; fie würden fchon lernen. —
Auch die Reiterei, welde durchaus als die bevorzugte und wohl auch vorzüg—
lihere Waffe erjcheint, bejteht offenbar großenteils aus Bognern; für ihre Aus»
rüftung und Taktik weit Maurikios meiſt auf Türken und Avaren als Bor
bilder Hin.
Intereſſant ift die ausführlide Abhandlung über die Hierardie der
Befehlshaber. Den höchſten Rang hat der IZroarnyos (zugleich Feldherr und
Kriegdminijter, bezw. Statthalter eines Gebietes, der als jolher auch für die
Drganijation der GStreitfräfte zu forgen Hat), Ihm folgen der "Pnostparnyos
(Generallieutenant) '), die Meoapyaı, d. h. die Befehlshaber einer Merie?), und
die Mosoapyoı®), welche je einer Moira vorjtanden, deren drei immer eine Merie
bildeten. Die Moira jept fih aus einer wecjelnden Zahl von Tagmen (Batail-
lonen) zujammen. Dad Tagma entjpridt normalmäßig dem altmakedoniſchen
Syntagma, d. h. einem Männerquadrat von 16 Rotten und 16 Gliedern, aljo
einer Schar von 256 Köpfen. Tatfählih zählen die Tagmen jedoch nicht jelten
400 Mann; fie werden auch Numeri oder Banden genannt und ihr Führer heikt
“uns oder zoıBovvos. Den Komites oder Tribunen unterjtehen wieder die Bes
ſehlshaber der Hundertichaften, die 'Exarovrapyoı, deren eriter 'Aaeyns betitelt
ft. Weiter abwärts folgen die Führer der Zehnſchaften (Sexapyns), der Fünf:
haften (#e»rapyns) jowie der dem althellenijchen Uragos entiprechende Rotten-
chließer (rergagyns).
Entipredend der mechaniſchen Anjhauung vom Kriegsweſen, wie fie den
Byzantinismus fennzeichnet, hatten gewiſſe Truppenteile genau bejtimmte
Aufgaben, die eben nur ihnen zugewieſen werden durften. So war die Ber:
1) Leo VI. zufolge (Taktifon IV) urjprünglid „Stellvertreter bes Kaiſers“.
) MeoG = Keil. Die wörtliche Überjegung wäre alfo „Divifion*. Übrigens bezeichnet
Raurifios biejelbe Heereseinheit au ald „/uvyyo; (drungus). Leo VI. jagt a. a. D.: „Bormals
sannte man den Befehlshaber einer Merie Turmarch“, weil damals die Merie den Namen „Turma”
trug.” Leo befiehlt dann, die Moira zum befjeren Unterjchiede von der Merie „Drungus“ zu nennen.
) Auch aoioa = Teil. Der Moirarch wird übrigens auch Av; (dux) betitelt. Er ift aljo Be
ehlshaber einer Brigade in unjerem Sinne.
154 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
folgung des Feinde Sache der Renner (uowages), denen ſchwere Reitergeichwader
als Helfer (Inperowoes), als „Soutiens“, folgten. Zur Aufflärung der Straßen
und zur Wahl geeigneter Lagerpläge zogen dem Heere Anticefjores (Avrızeswgess)
voran; Menjores (Mivowges) ftedten die Läger ab u. ſ. w.
Kapitel über Aushebung, Bereidigung, Kriegsartifel und Reifemärjche ſchließen
das erjte Buch. — Sehr merkwürdig jind die Kriegsartikel, weil in ihnen
und offenbar ein alte® Erbgut aus der antifen römiſchen Kaiferzeit überliefert
worden ift. Leo VI [$ 8] hat fie wiederholt. Sie find jehr kurz: es handelt
fi) eigentlih nur um Ungehorjam, Fahnenflucht, Verrat, Feigheit, Unredlichkeit
und Zauberei, jowie fonjtige Störungen der Ordnung. Die Mannszudt wird
ausdrüdlich als Duell der Siege anerkannt.
Das 2. Buch jtellt den Sag auf, daß nicht die Menge und der
blinde Mut die Schlachten entjchteden, jondern nächſt der Hilfe Gottes
die Kunſt der Strategie (dıa orgarrag ai TEyung).
Demgemäß handelt e8 von den Vorzügen einer Heeredauftellung in zwei
Treffen und führt dann einzelne Andeutungen bes 1. Buches näher aus, nament-
li die über Marichfüherung, Feldzeichen, Fahnenwachen und Spielleute.
Das 3. Buch beichäftigt Jich mit den taftijchen Anordnungen
der Heeresteile vom einzelnen Tagma an bi8 zur Armee hinauf.
Maurifios bewegt fich hier weſentlich in den überlieferten Formen und
ihließt mit Anweijungen für das Verhalten der mit befonderen Aufgaben be-
trauten Abteilungen: wie Vorhut, Seitendedungen u. dgl.
Das ganze 4. Buch it den NRejerven und den Hinterhalten
gewidmet, auf welche der Verf., gleich dem Anonymus, großen Wert legt.
Wie diejer macht auch Maurifios ausgedehnte Anwendung von nädtlichen
Überfällen und von Fußangeln. Er ſchlägt jogar vor, Hinter der ganzen Aus—⸗
dehnung der Schladtordnung einen Bodenftreifen von etwa 30 m Breite mit
Fußangeln zu bejtreuen, dod 4 biß 5 Wege von 10 m Breite frei zu lafien und
durch Merkzeihen (Erdhügel, Spiehe, Neifer) erfennbar zu machen. Auf diejen
Wegen joll fih dann das Heer in jcheinbarer Flucht zurüdziehen und den un—
bedachtſam folgenden Feind in die Fußangeln loden. (!)
Im 5. Buche jpricht Maurifios vom Heergeräte und dom
Troß. — Das 6. Buch jegt die Shlahtordnungen und Gefechts-
bewegungen der Skythen, Alanen, Afrikaner und Italiker
auseinander und erläutert dann das Wejen der Überflügelungen und
Seitendedungen, welche, zumal Reitervölfern gegenüber, ja von jo
großer Wichtigkeit ſind. — Das 7. Buch handelt von der eigentlichen
Feldherrnkunſt (oreaenyıza).
Gleich zu Anfang und jpäter noch mehrfah wird Hier fehr eindringlih der
Grundjag eingefhärft: wenn irgend möglich, jelbft bei anjcheinend wohl begründeter
Siegeßhofinung, der Entſcheidung durd die Feldihladht auszumweihen und dem
1. Die Militärjchriftftellee vom 6. bis 9. Jahrhundert. 155
Feinde lieber durch den Beinen Krieg Abbruch zu tun. (gl. VIIL,2 u. IX, 1.)
— Bie in diefem Punkte, jo jagt das jehr breite Buch, welches ſich weſentlich
auf Onejander [A. 8 28] jtügt, auch fonjt nichts neues.
Das 8. Buch bringt allgemeine Kriegsregeln ganz ähnlicher
Art wie die Regulae bellorum generales des Begez.
Lebhaft wird auch hier wieder empfohlen, dem Feinde goldne Brüden zur
Flucht zu bauen.
Das 9. Buch ist „unerwarteten Unternehmungen“ gewidmet.
Maurikiod empfiehlt das Überjchreiten von Strömen mittel® aufgeblajener
Schläuche, ein Verfahren, das er vermutlich perjönlih am Euphrat kennen gelernt.
Dann wird das Durchſchreiten von Engpäfjen beſprochen, und im legten Kapitel,
wo er eigentlid von den Rekognoszierungen redet, gibt der Verfaſſer die jorg«
fältigfte Überficht der Aufjtellung jeiner Hauptwaffe, der Reiterei. Danad) rechnet
er für jedes Pferd in der Front 8, in der Tiefe 8 Fuß, fo da aljo 300000 Reiter,
mit 600 Pferden Front und 500 Pferden Tiefe (!!) aufgejiellt, 1800 Fuß Front
bei 4000 Fuß Tiefe einnehmen würden — eine geradezu ungeheuerliche Formation,
die er denn auch jelbit verwirft. Er weit jogar darauf Hin, daß bie Reiterei
der Alten nur 4 Glieder tief gefochten habe und erflärt, daß dies an und für ſich
eigentlich genug jei; „aber“, jo fährt er fort, „da es in einem Geſchwader leider
gewöhnlich nur wenige Reiter gibt, welde zum Handgemenge taugen, fo wird
man doc wohl daran tun, fie, je nad der verfügbaren Stärke, 7 biß 10 Pferde
tief zu jtellen.“ (Ähnlich XI, 1 und 8 fowie Leos Taftit VII, 59.)
Das 10. Buch handelt von der Landesverteidigung umd
Befejtigungsfunit, deren technijcher Teil indejjen ziemlich obenhin
abgefertigt wird. — Das 11. Buch lehrt wie die Nachbarvölker
zu befämpfen jeien, insbejondere die Perjer, Skythen, Avaren,
Türken, Franken, Yangobarden, Slaven und Anten. — Im 12. Buche
iommt Maurifios nod) einmal auf die Elementartaftif zurüd.
E3 gibt genaue Borfchriften über die Zufammenjegung der einzelnen Rotte.
Eine jolche beftand gewöhnlid aus 16 Mann; davon jollen der 1.u. 4,5. u. 8.,
9. u. 12., 13. u. 16. Mann allemal die bejjeren jein, während die jchlechten Kerle
zwiſchen ihnen als Lüdenbüßer einzuichieben jeien. Es ift das eine ähnliche
Anordnung wie die Verteilung der Kohorten bei Vegetius (II, 6). Übrigens
wurde die Rotte häufig in ein Quadrat von 4 Mann Front und 4 Mann Tiefe
abgebrochen, um als kleinſte Evolutionseinheit zu dienen. — Dann folgen Be-
tahtungen über die jhiefe Shlahtordnung, Einzelheiten über Lager—
beieftigung, und endlich ſchließt da8 Werk ſeltſamerweiſe mit einer Anweiſung,
wie man auf der Jagd wilde Tierg erlegen könne ohne gefahrvollen Kampf.
Alles in allem jtellt des Maurifios Strategifon ſich als eme
Kompilation dar, in der eigentlich nur die Durchbildung der byzan-
tmichen Militärhterarchie neu erjcheint, welche dann allerdings auf
156 Mittelalter. 1. Die Byzantiner.
Sahrhunderte hinaus in Geltung blieb’). Der Verfaſſer hat jeinen
Stoff mangelhaft geordnet; die Abhängigkeit von fremder Überlieferung
raubt ihm die Freiheit.
Engverwandt dem Strategifon iſt ein auf den Blättern 68—76
de3 Codex. Laurent. graec. LV, 4 erhaltenes Fragment über
Kriegswejen, welches K. K. Müller in der Fetichrih für Urlichs
herausgegeben hat (1882). Die Gejamtanlage ift diejelbe wie bei
Maurifios, und nicht nur einzelne Worte und Wendungen, jondern
ganze Abjchnitte jtimmen völlig mit dem Strategifon überein.
86.
Aus dem langen Zeitraume vom Ende des 6. bis zu dem Des
9. Ihdts. ift mur ein einziger Name zu nennen, der des Marchus
Graecus, dejien Liber ignium ad comburendos hostes Die
Geheimniſſe des „griechiichen Feuers“ und des Schießpulvers
enthält.
Über die Lebenszeit des Marchus iſt viel geitritten worden; indes hat Ferd.
Höfer in feiner Histoire de la chimie (I, Paris 1866) nachgewiejen, daß der
arabiſche Arzt Meſue den Marcus citiert?). Mejue aber jchrieb im 9. Zhöt., und
jo fann Marchus nicht jpäter gelebt haben.
Der Traftat des Marcjus liegt nur lateinijch vor, obgleich er
vermutlich urjprünglich in griechischer Sprache gejchrieben war. Die beſte
Handjchrift desjelben enthält das Ms. lat. 7156 der Nationalbibl. zu
Paris. Ebendort befindet jich eine zweite (ms. 7158). Andere Ab—
ichriften bewahren das German. Mujeum zu Nürnberg und die Münchener
Hofbibl. (cod. lat. 197, 224 und 267).
Der Überlieferung zufolge hat Kallinitos das „Griechijche
Feuer“ im Jahre 673 nad) Byzanz gebracht und damit dem Reiche
der Romäer in der Tat ein wejentliches Verteidigungsmittel zugeführt.
Der Ausdrud ignis graecus, feu gregeois, ijt abendländiich und
ſtammt aus der Kreuzzugszeit. Die Griechen jelbjt nannten ihr Kunftfeuer
zeig umdıröv oder zeig Falaocıov, aud) vygov. Die Hauptfubitanzen,
welche Marchus zur Bereitung desjelben vorjchreibt, find Naphta,
Erdöl, Harz, Mutterharz (galbanum), Teer, DI, Pflanzenfäfte, Metalle,
1) Diefe Ehargenbezeihnungen und jonftige milit. Ausbrüde erläutert Rigault (Rigaltius)
in De verbisquiin.novellis constitutionibus post Justinianum occorrunt@Glossarium (Bari81601).
) Joan Mefue: Opera medica (Benebig 1581), p. 85, col. 1.
1. Die Militärfchriftiteller vom 6. bis 9. Jahrhundert. 157
Eimer und Eigelb. Sein Rezept für das gewöhnliche griechiiche
euer lautet:
»Ignem graecum tali modi facies: Nimm reinen Schwefel, Weinjtein,
Sorcocolla (Fleiihleim? Perf. Baumharz ?), Beh, Kodjalz, Erd- und Baumöl.
Lab es gut zuſammenkochen, tränke Werg damit und zünde e8 an. Nur Harn,
Beineflig oder Sand vermag es zu löjchen“.
Dieſe Miſchung entjpricht im wejentlichen ganz den Vorjchriften
des Vegez zur Heritellung von fFeuerpfeilen. Etwas Geheimnisvolles
tegt durchaus nicht darin, und wenn es jich wirklich bloß hierum
handelte, jo müßte man ſich über das ängjtliche Sefretieren wundern,
mit dem Byzanz die Herjtellung jeiner Kunſtfeuer zu allen Zeiten
umgeben hat. Ganz neu und umerhört dagegen erſcheint ein anderes
von Marchus gejchildertes Kriegsfeuer, nämlich) das ignis volans,
dad fliegende Feuer. Dies beiteht aus Salpeter, Schwefel und
Kohle — iſt alſo Schiehpulver! Eine ſolche Miſchung lohnte
freilich die Geheimhaltung! — Marchus lehrt die Zuſammenſetzung
des Pulvers und jeine Verwendung zu Raketen und Kanonen—
ihlägen.
Es heißt in dem Liber ignium (ed. Par. p. 5): »Secundus modus ignis
volatilis hoc modo conficitur. Re. Acc. li I sulfuris vivi, li II carbonum
tilliae vel salicis, VI li salis petrosi, quae tria subtilissime terantur in la-
pida marmoreo. Postea pulverem ad libitum in tunica reponatis volatili,
vel tonitruum facientem.
Nota. Tunica ad volandam debet esse gracilis et longa et cum prae-
dicto pulvere optime conculcato repleta. Tunica vero tonitruum faciens
debet esse brevis et gressa, et praedicto pulvere semiplena et ab utraque
parte fortissime filo ferreo bene ligata.
Nota, quod in qualibet tunica parvum foramen faciendum est ut tenta
imposita accendatur, quae tenta in extremitatibus fit gracilis, in medio
vero lata et praedicto pulvere repleta. 2
Nota, quod ad volandum tunica plicaturas ad libitum habere potest:
tonitruum vero faciens, quam plurimas plicaturas.
Nota, quod duplex poteris facere tonitruum atque duplex volatile in-
strumentum; videlicet tunicam includendo.
Nota, quod sal petrosum est minera terrae et reperitur in scorphulis
contra lapides. Haec terra dissolvitur in aqua buliente, postea depurata
et destillata per filtrum, et permittatur per diem et noctem integram de-
coqui et invenies in fundo laminas salis congelates cristallinas.«
Die Pulvermiſchung beiteht aljo aus 2 Teilen Kohle, 1 Teil
Schwefel und 6 Teilen Salpeter, entjpricht jomit im mwejentlichen ganz
demjelben Pulver (22 8., 11 ©., 67 Salp.), welches bis zur jüngjten
158 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
Vergangenheit allgemein für Feldjignalrafeten angewendet wurde und
zwiſchen Gejchüß- und Sprengpulver die Mitte hielt. Sollte es als
Nafetenja dienen, jo wurde es in eine dünne Hülle gefüllt, Die
fang und dünn jein mußte und voll geichlagen wurde; jollte es zum
Donnern dienen, jo wählte man eine kurze, dicke, mit Eiſendraht um—
wundene Hülje, die nur zur Hälfte mit Pulver gefüllt ward. Sn
jede Hülfe (in die der Nafete wie die des Kanonenjchlages) wird ein
Zünder eingeführt, der wieder aus einer mit Pulver gefüllten Hülſe
beiteht, die an den Enden dünn, in der Mitte didker it. Man fonnte
auch doppelte Nafeten und Donnerrohre heritellen.
Den Salpeter gewinnt Marchus, indem er denjelben, jowie er fih wild an
Gemäuern und in Kellern vorfindet, jammelt, in fiedendem Waſſer löjt, filtriert
und friftallifieren läßt. Das ift allerdings eine ungenügende Reinigung, bei
welcher fremde Salze zurüdbleiben. Waren jedocd die Bejtandteile de Pulvers
noch wenig rein, jo fam das der tunica ad volandum, der Rafete, eigentlich zu
gute; denn andernfall® wäre die Mifhung zu jchnell verbrannt. Bemerkenswert
ift, daß man bereit den Vorzug der aus leichtem Holze (Linde oder Weide)
gewonnenen Kohle erfannt Hatte. Übrigens konnte die Kohle auch durch einen
anderen Stoff erfet werden, und demgemäß gibt Marchus ein Rezept zu ignis
volans, bei dem an Stelle der Kohle Kolophonium jteht.
Von einem Raketenſtabe ift feine Rede, auch nicht von einer Seele der
Rakete. Mber die Durchbohrung derjelben zur Einführung des Zünders bereitet
die Seele mindejten® vor, zumal da® parvum foramen doch nicht allzu Mein
gewejen jein dürfte, da der Zünder in medio lata jein fol. :
Die Schrift des Marchus Graecus it von der höchiten Wichtig-
feit für die Gejchichte der FFeuerwaffen; denn wenn auch jchon im
Altertum jelbjttätige Feuerwerfsförper erwähnt werden, bei denen der
Calpeter eine Rolle jpielte [A. $ 33], jo gibt Marchus Graecus doch
unvergleichlich viel mehr als Julius Africanus, und man muß von
ihm, der zuerjt vom Schteßpulver und der Nafete handelt, die Ent:
widelung der wifjenjchaftlich erfennbaren Pyrotechnik datieren !).
Einen Teil des Liber ignium ließ de la Porte du Theil im Jahre 1804
druden; doch ijt die Broſchüre fo jelten geworden, da Höfer fi ein Verdienſt
dadurd erworben Hat, dab er den ganzen Traltat nad) dem aus dem 14. Ihdt.
ftammenden Parijer Manuſkript 7156 als Anhang zum 1. Bande feiner Gejchichte
der Chemie hat abdruden lafjen.
I) Bol. Lalanne: Essai sur le feu grögeois et sur l’introduction de la poudre à canon.
(M&moires pres. par divers savants à l’acad. des inscriptions. II. ser., t. I, p. 294—363).
— Uppmann: Das Schießpulver (Braunſchweig 1874).
2. Die Militärjchriftiteller vom 10. bis 12, Jahrhundert. 159
2. Gruppe.
Die Militärfhriftkteller vom 10. bis zum 12. Jahrhundert.
8 7.
Die Regierung des verſchwenderiſchen, ränfevollen und bigotten
Despoten Jujtintan I. hatte den Hellenismus vollends zum Byzan-
tinismus umgewandelt umd jene Erjichlaffung der WVolks- und Stats-
fraft herbeigeführt, an der das Reich bis auf den erjten der iſauriſchen
Kaiſer, Zeo III. (718— 741), jammervoll krankte. Unter Maurikios
hatte die lateiniſche Sprache aufgehört, das offizielle Idiom des Hofes
und der Verwaltung zu fein, und dadurch war dem Länderkomplexe
des ojtrömijchen Neiches abermals ein mächtiges Band der Einheit
gelöjt worden. Daher verfiel denn, als bald darauf die Araber aud)
den politiichen Zujammenhang des Reiches auf die Dauer durch
brachen, jogar die Volfsiprache ungehindert jener Zerjegung, welche
das unaufhörliche Eindringen barbarijcher Elemente herbeiführen mußte.
Der Literatur ward dadurch ihr natürlicher Boden entzogen, und die
Thronbejteigung der iſauriſchen Fürjten, welche in politijcher Hinficht
zu eimer gewiljen Kräftigung führte, war für das wijjenjchaftliche
Leben geradezu verderbenbringend. Die höheren Schulen wurden
aufgehoben, die Klöfter in Kajernen umgewandelt und ihre Biblio-
thefen zerjtreut oder gar verbrannt. Damals gingen Schäße antifer
Kultur unwiederbringlich verloren, und unter jolchen Umjtänden wird
es begreiflih, daß auch die Kriegswiſſenſchaft drei Jahrhunderte lang
völlig verjtummte. Erjt jeit Theophilus (829 bis 842) hoben fich
wieder wie Gewerbfleiß und Handel, jo auch Kunſt und Wifjenjchaft,
und ausgejprochene Vorliebe für literariiche Wirkſamkeit war es endlich,
welche dem Kaiſer Zeontos VI. (8386— 911) jogar den Beinamen
des „Philojophen“ oder des „Weiſen“ eintrug, der zuweilen aber
auch mit dem des „Taktikers“ wechjelt. Wie die erjte Periode der
byzantinischen Kriegswiſſenſchaft mit der Arbeit eines Kaiſers ausging
jo beginnt die neue Periode wieder mit einer jolchen; ja unter den
jieben Namen, welche in diejer Bertode überhaupt etwa noch zu nennen
find, befinden ſich außer Leo noch zwei Kaiſer: Konjtantin und
Nikephoros Phokas, jowie eine Kaijertochter, Anna Komnena —
ein deutliches Kennzeichen der Despotie, in welcher alle Anregung,
auch die wiljenichaftliche, durchaus vom Throne und dejjen nächjter
160 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
Umgebung ausgeht. — Übrigens kommt für dieje zweite Periode
eigentlich überhaupt nur das 10. Shot. im Betracht; das 11. und 12.
bringen lediglich jchwache Nachklänge.
88.
£eontos VI. war der Sohn jenes Baſilios' J., der ji — ein
Bauernburjche aus der Gegend Adrianopel3 — zum „Bajileus“, zum
Gebieter des Neiches, emporgejchwungen hatte und Begründer Der
jog. „mafedonischen Dynajtie“ geworden war. Obgleich ji) unter
dieſem energijchen Manne das Anjehen der byzantinijchen Regierung
nad) außen wie nach innen gehoben hatte, jo hinterließ er das Wehr-
wejen doch in umngenügendem Zuftande, und als die Bulgaren ein—
brachen, jah der Thronerbe Leo ſich darauf angewiejen, gegen jenen
Feind die Türken in Sold zu nehmen. Das hieß aber den Teufel
austreiben durch Beelzebub. Dieje Erfahrung veranlaßte den Bafileus,
jich eifrig mit Hebung des Kriegswejens zu bejchäftigen. Zu dieſem
Zwecke verfaßte er eine Summarifche Auseinanderjegung Der
Kriegskunft (Tiv Ev rolduoıg Taurınov GUvrouog ragadocıg),
die unter dem Namen der „Leoniniſchen militärischen Inititute“ befannt
iſt. — Allerdings war Leo ein Pedant. Wie er jelbjt nicht als Feldherr
aufgetreten ijt, vielmehr die Kriegführung anderen, meiſt noch Dazu
ſiegloſen Strategen überließ, jo tjt auch jein militäriſches Wiſſen nicht
das Ergebnis eigener Erfahrung, eigenen Denkens, jondern lediglich
theoretijcher und fompilatorischer Natur. Aber eben als rapadogıs,
d. h. als „Überlieferung“ bleibt jein Werf für ıms von hohem Werte;
ja, e8 ift wegen der darin aufgejpeicherten militäriſchen Kenntniſſe
eines der wichtigjten Dokumente der Gejchichte der Kriegswiſſenſchaften.
So wie das Werf gedruct vorliegt, zerfällt e8 in eme Vorrede
und 21 Inſtitute (Kapitel).
Die Vorrede legt die Stellung des Verfaſſers zum Kriege
und zur Kriegswiſſenſchaft dar.
Der Autokrat verfichert jeine innige Liebe zum Frieden und feine Sorge
für das Statswohl. Eben bieje aber veranlafje ihn, des Krieges zu gedenken,
defien man wegen der Sündhaftigfeit des Menjchengejchlechte® nicht entraten könne.
Er beflagt den Verfall der Kriegökunft, die mit der Mannszucht zu Grunde ge»
gangen jei, und erflärt, daß er, geftüßt auf feine umfafjende Belejenheit, die
Hauptgrundjäge bed Kriegsweſens kurz zujammenfaflen und dem Deere als
unverbrüchliches Geſetz vorjchreiben wolle. Nicht die Maſſe ſei es, welche Schlachten
2. Die Militärfchriftfteler vom 10. bis 12. Jahrhundert. 161
und Kriege entjcheide, fondern die Kunft der Heerführung und die Gnade Gottes
(vgl. Maurikios II. „Wer das hier von mir gebotene Wifjen aufnimmt, vermag,
jals ihn feuriger Geiſt beflügelt und angeborene Talent befähigt, gute Dienfte
in den höchſten Führerftellen zu leiften, und dies Glüd jedermann zugänglich zu
machen, ift unjere Abfiht und unfere Hoffnung“.
Interefiant ift eine Außerung des Kaiſers über die Kriegskunſtſprache.
„Um der Deutlichleit willen“, jo jagt er, „haben wir in unjerem griechiſchen Terte
dod die lateinischen Kunftwörter ftehen lafien. Wir wollten diefen fremden Aus—
drüden, die nun einmal im Kriegswefen üblich find, das Bürgerrecht nicht ent-
ziehen, weil wir fürdhten müßten, andernfall® dem Leſer unverftändlich zu werden“.
Tiefe Betrachtung mutet ganz modern an; ein deutſcher Kriegsjchriftjteller könnte
noch heute ganz dasfelbe bezüglich der romanijchen Wörter in unjerer Kriegskunſt⸗
Iprahe jagen. Schon Mauritios hatte jich in der Einleitung ſeines Strategifons
ähnlich geäußert. Er fagt (Scheffer8 Überfegung ©. 3): »Rerum vero brevitatis
potius habita est ratio, adeo ut et Latinis saepe vocabulis in militia per
consuetudinem tritis utamur, quia sic portamus clarius intellectum iri ea,
quae intendimus«. Indeſſen bringt Leo doch ſchon griechiſche Kommandorufe,
während die älteren Schriften, insbejondere da8 anonyme „Fragment über Kriegs-
weien” [85], durchweg auch die lateiniihen Kommandowörter beibehalten.
Das 1. Institut bejchäftigt jich mwejentlic mit wifjenjchaftlichen
Definitionen und Begriffserläuterungen.
Leo unterjcheidet zwiſchen raxzır) und argarnyım), Die Taktik ift ihm
das Wifjen von den friegerifchen Bewegungen, die Strategie das Willen von
der Einrichtung der Feldzugspläne und der jiegreichen Heerführung. In der
Relapitulation am Schluſſe feines ganzen Werkes führt Leo aber nod) eine dritte
Kriegswifienihaft auf: die Logiftil(doyoren — wörtlid) „Rechenkunſt“), und an
diefer wichtigen Stelle fennzeichnet er die Aufgaben jener drei militärijchen Grund—
wifjenjschaften folgendermaßen: — Sade der Strategie iſt es, den Krieg zu
entwerfen, d. h. ſich Kenntnis zu verichaffen von der Macht, von der Art der
Kriegführung und von den Gebräuchen des Feindes, ferner, fich jelbft für Angriff
oder Verteidigung zu entjheiden und die Art der eigenen Kriegführung zu wählen:
ob man fich der feſten Plätze bemächtigen oder dem Gegner die Feldſchlacht bieten
will, ob man den Krieg Hinhalten, den Feind durch Märſche ermiüden und in
Heinen Kämpfen aufreiben oder ob man fein Land verwüjten, jeine Untertanen
in die Gefangenjchaft treiben will. — Sache der Logiſtik ift es, das Heer zu
bejolden, ſachgemäß zu bewaffnen und zu gliedern, e8 mit Geſchütz und Kriegs—
gerät audzujtatten, rechtzeitig und hinlänglich für jeine Bedürfniffe zu jorgen und
jeden Alt des Feldzugs entiprehend vorzubereiten, d. h. Raum und Zeit zu be—
tehnen, das Gelände in Bezug auf die Heereöbewegungen ſowie des Gegners
Biderftandskraft richtig zu jhägen und diejen Funktionen gemäß die Bewegung
und Verteilung der eigenen Streitkräfte zu regeln und anzuordnen, mit einem
Bort zu dißponieren. — Sache der Taktik ift e8 endlich, die nach den Geſichts—
dunkten der Logiſtik organifierte Heeresmacht für den jedesmaligen Kriegszweck
waffenweiſe zufammenzujtellen (ordre de bataille) und die jo formierten Truppen
Zähne, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 11
162 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
teile auf dem Marjche wie im Gefechte richtig zu Ienfen. — Man muß zugejtehen,
daß dieje Definitionen jehr gut find und im wejentlichen der heutigen Wiſſenſchaft
entjprehen. Das von Leo der Strategie zugewiejene Gebiet iſt durchaus das
des Feldherrn und feines „großen Generaljtabs”. Der Begriff der Logiſtit,
welcher im 18. Ihdt. gäng und gäbe war, ijt allerdings gegenwärtig feine übliche
Schuldefinition. Die der Logiſtik von Leo zugeteilten Aufgaben beſtehen aber
natürlid) fort u. zw. als Tätigfeitöfreije teil des Kriegaminifteriums und der
Intendantur, teils als jolde der Generale und Quartiermeifterftäbe. Die Auf—
gaben endlich, weldye Leo der Taktik jtellt, find ja nod heute ganz biejelben ;
nur ift es auffallend, daß der Bafileus au die Übung in Truppenverwendung
und Truppenbewegung als einen befonderen Zweig der Taktik behandelt. — Erläute-
rungen ber Begriffe: Land- und Seekrieg, Streitbare und Nichtftreitbare, Fußvolk
und Reiterei, jchließen das 1. Inftitut, das durch Leos Feititelung der großen
friegöwijienichaftlihen Kategorien in einer noch nad) taujend Jahren wejentlich
gültigen und lebendigen Weije wohl als der merkwürdigſte Abjchnitt de ganzen
Werkes erjcheint, zumal unter vergleihender Heranziehung des Schluhfapitels.
Das 2. und 3. Injtitut bejchäftigen fich mit der Berjönlich-
feit und den jtrategijchen Aufgaben des Feldherrn und feiner
Ratgeber.
Merkwürdig find die treffenden Worte, in denen Leo die Eigenſchaften
zufammenfaßt, welche ein Feldherr beſitzen ſoll. Der Strategos foll ger
fund, feujh, mäßig in Speije und Tranf, einfach, vorjihtig und Mug, ehrlich
und ein Verächter des Geldes jein, nicht zu jung, nicht zu alt, aber ein Water
guter Kinder. Er muß es verjtehen, aus dem Stegreif treffend und elegant zu
ſprechen; mit vornehmer Dentweije und volllommener Uneigennügigfeit ſoll er
menjchenfreundliden Sinn und Großmut verbinden und womöglid aud von
guter Herkunft jein. — Man fieht: es find jittliche Forderungen, welche Leo
jtellt, und es erjcheint da8 um jo merkwürdiger, als er jelbjt ganz und gar nicht
der Dann war, denfelben auch nur im entfernteften zu entiprechen; aber er folgt
dabei der antiken Tradition, welche jtet$ von der Überzeugung ausging, daß es
vor allem der Charakter jei, was den Wert eıne® Mannes und niht zum
mindejten auch den des Feldherrn bedinge. Endlich verweift Leo auf die Hilfe
Gottes, der mit frommem Zutrauen entgegengejehen werden müſſe. „VBergebeng
wendet ein Steuermann, wie gelehrt er auch jei, alle Mittel feiner Kunſt an,
wenn der Wind ihm durhaus entgegenjteht. Iſt ihm aber nur ein einziger
Hauch günjtig, jo wird er ihn dankbar und Mug benußen und feines Schiffes
Lauf mit ruhiger Sicherheit fördern“.
Im 3. Injtitute handelt Leo vom Kriegsrate!). „ES geſchieht jelten,
da man in einer Sade, die man allein durchdenkt, zu fehlerfreiem Schluſſe
1) Im laurentinifchen Codex ift dies JInftitut das vierte, und als jolches hat 8 au Meurjius
1612 herausgegeben. Da es jedoch in engem Anſchluß an das Inftitut vom Feldherrn geichrieben ift,
haben e8 die Kommentatoren Joly de Maizeron und Bourſcheidt mit Recht por das Inſtitut De
divisione exercitus et praefectis constituendis geichoben.
2. Die Mititärfchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 163
fommt.“ Aber man muß der Berjhwiegenheit feiner Ratsgenofien völlig ficher
jein und daher nur ehrliche und unabhängige Männer um ihre Meinung fragen,
und ſelbſt ſolche joll man nicht merken laflen, für welchen Vorſchlag man fich
entiheide. Erjt im Augenblide der Ausführung lajje der Befehl den Willen des
Feldherrn erkennen. „Entſchlüſſe faßt nur nad) jorgjamjter Erwägung, falls euch
nicht die Umftände drängen; habt ihr aber einmal einen Entihluß gefaßt, jo
führt ihm jchnell und entichieden aus!“ Das it Moltkes Wahlſpruch: „Erit
wägen, dann wagen!“ a die Erläuterung, welche Leo jenem Satze im
X. Inſtitute gibt, erinnert noch unmittelbarer an die Devije des großen deutfchen
Strategen; denn er jagt: „Bei der Erwägung eines Entwurfed behandelt eueren
eigenen Gedanken mit Mißtrauen; doch Habt ihr euch einmal entichlojien, ſo
ſchwankt und zaudert nicht, weil euch nachträglich noch dies und jenes bedenklich
iheint. Eine allzu ängjtliche Klugheit ift ſchädliche Schwäche” !).
Die Injtitute 4 bis 11 faſſen die Aufgaben der Logiſtik
ms Auge u. zw. zunächſt (4—8) diejenigen, welche fich auf die Vor-
bereitung des Heeres zum Kriege beziehen, und dann (9—11) die:
jenigen, welche der taftiichen Seite der Logiſtik zugewendet find, nämlich
Marſch- und Quartierweſen.
Das 4. Inſtitut, das von der Heeresorganiſation handelt, folgt in
den Grundjägen wejentlid) der Auffajjung Onejanders [A. $ 28]. Die Befehlös
ordnung entjpridht ganz den von Maurikios [$ 5] dreihundert Jahre früher ges
gebenen Normen — ein merfwürdiges Zeichen der Stabilität der byzantinijchen
Verwaltungßeinrihtungen (oder ein Zeichen, daß die Kritiker, welche das Stra-
tegiton ins 9. Ihdt. ſetzen wollen, vielleicht recht haben). Jene Gleichartigfeit tritt
auch in den taftifhen Formationen hervor. Wie bei Maurikios (XII, 8) ift
bei Leo dad Tagma die Evolutionseinheit der Bhalanz, und die Normalftärke der
letzteren iſt wie bei Asklepiodotos (II, 7), wie bei Wiliano® (VIIT) und bei Mau:
tifio® (XII, 8) noch getreuli zu 16384 Mann veranjcdlagt [A.$ 41]. Auf:
fallend erjcheint es, daß die Stärke der Banden, Merien und Turmen der Reiterei
ganz ebenjo groß angenommen wird wie die der Tagmen, Merien und Turmen
des Fußvolkes, ein Anzeichen dafür, daß die beiden Waffen ungefähr gleich ftart
im Heere vertreten gewejen jein werden. Gleich Maurikios empfiehlt auch Leo, die
Reiterei womöglich 10 Pferde tief zu jtellen (VII, 59).
Dad 5. und 6. Inſtitut reden von der Bewaffnung des Heeres und
iind großenteild dem 1. Kapitel des I. Buches des Maurikiod wörtlih entlehnt.
Hauptwafle ijt nad) wie vor der Bogen, der in flaher Ledertaſche über der einen
Schulter Hangt, während die andere den Köcher trägt. In einer bisher ungedrudten
jweiten Faſſung der Leoniniſchen Imftitute gibt der Kaijer dem Bogenſchuß das
außerordentlich weite Maß von 156 Orgyien, d. h. 936 Fuß (XII, 17)%). Man
jol den Krieger möglichſt jhmüden; „glänzende Rüſtung wedt de3 Mannes Mut
und jchredt den Feind!” — Nah) der Bewaffnung zerfällt das Fußvolk in Hop—
1) Ganz Ähnlich rät Montecuccoli: »Consulti adagio e tosto essequiscasi!- (I, 3.)
7, Bgl. Büricher Beftionsfatalog 1854/55 ©. 15.
11*
164 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
liten und Pſiliten. Jene find jchwer gerüſtet und führen neben dem Bogen den
Langſpieß; diefe führen, leichtgerüftet, nur Fernwaffen und Streitart. — Aus
führlich fegt der Bafileus die antife Bewaffnung der Hellenen auseinander. Der
Langſpieß feiner eigenen Zeit ift aber nicht mehr die antike Sarifa, jondern über:
ragt die Krieger nur um etwa einen Zub. „Wir brauden“, jo jagt er, „eine
Waffe, die leicht zu handhaben ift und in richtigem Verhältnis zu den Kräften
des Mannes fieht*. Es entipricht das der in den Heeren der Karlinger üblichen
Augrüftung.
Das 7. Inftitut ift den Truppenübungen gewidmet. Es empfiehlt
Gefehtämandver in zwei Parteien mit ftumpfen Waffen und legt befonderen Nach—
drud auf Übungen der Reiterei auch im durchſchnittenen Gelände. Die einzu
übende Elementartaktik ift hinſichtlich des Fußvolkes dem Aelian, hinſichtlich der
Neiterei dem Maurikios entlehnt.
Das kurze 8. Inftitut fpridt vom Kriegsrecht, indem es die Ver—
brechen der Untreue, deö Ungehoriams, ded Verrats, des Raubes und der Feigheit
fowie die dafür zu erfennenden Strafen abhandelt. Es fuht ganz auf den Kriegs—
artiteln im I. Buche des Maurifios. Merkwürdig erfcheint es, daß feldflüchtige
Truppenteile „dezimiert“ werden jollen, wobei jedod) Verwundete, die etwa das
208 träfe, zu verjchonen feiern. Der Verluft einer Fahne wird für jchändend
erklärt, fall8 er zu vermeiden geweſen wäre.
Im 9. und 10. Inftitute redet Leo von den Märjchen und
vom Troſſe.
Das Inftitut von den Märjchen ift gut gejchrieben und verhältnismäßig
jelbftändig; es übertrifft das betreffende 9. Kapitel de8 Maurikios namhaft an
Wert. Große Bedeutung mißt Leo der Erhaltung der Marſchdisziplin bei, die
allerdings nur zu bewahren jei, wenn die Zufuhr durdaus fiher und regelrecht
erfolge. In Feindesland freilich müſſe man unter Umftänden das Land ver—
wüſten und jedenfall® joviel wie möglich von den Vorräten ded Gegners zehren.
— Der Heerführer joll immer an der Spitze der Kolonnen, jein Gepäd immer
das legte im ganzen Train fein. Große Sorgfalt iſt beim Durchſchreiten der
Päſſe nötig; an gefährlichen Stellen hat der Feldherr auszuharren bis das ganze
Heer defiliert ift. Requifitionen und Fouragierungen jollen ftet3 in wohlgeord-
neten Scharen ftattfinden. Beim eigentlihen Marjche ift ſcharf auf die Abjtände
der Truppenteile zu Halten, um fofort die Schladhtordnung herjtellen zu können.
Man marjchiere in jo breiter Front als möglid und vermeide Engmwege, wo es
nur irgend angeht. Die befte Ordnung für den Kriegsmarſch iſt die im läng-
lien Biered. Sehr gefährlicd find Nachtmärſche, zumal in coupiertem Gelände.
Durd dichte Wälder find Kolonnenmwege von 16 Mann Frontbreite (Tagmenfront)
zu Ichlagen. Gegen einen überlegenen Verfolger fol man alles Hornvieh und
alle Kriegögefangenen parweis zujammengefejjellt vortreiben,; fie werden wie ein
Schild wirkten und Vorſprung gewinnen lafjen. Iſt man völlig eingejchlofien, jo
töte man die mitgeführten Gefangenen und jchlage ſich mit zufammengenommenen
Kräften durh. Zur Marjhdedung WVorhut, Nachhut, Seitenficherung) find je
nady der Natur des Geländes verjchiedene Waffen zu wählen: in der offenen
2. Die Militärfchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 165
Ebene Reiter und Bogner, in durcjchnittenem Gelände Bogner und Spießer,
im Walde Speerfhügen. Eine Hauptjahe ift gute Übung der Aufmärjche zum
Gefeht auf Kommando oder Pojaunenfignal. — Dad Jnjtitut vom Troſſe
(reidv) ift 3. T. Wiederholung von des Ailianos Kap. XXXIX. Wer dem Feinde
eine Schlacht zu liefern denkt, der joll den Troß (Habjeligkeiten, Knechte, Weiber,
Kinder) nicht mit fich führen. „Die Furcht, das Liebjte zu verlieren, jchlägt den
Menihen nieder“. Nur das Kleinere Gepäd (vayuagıa) folge dem Heere bis dicht
an den Feind, aber aud nicht bis ins Gefecht; vielmehr bleibe dies im lepten
Lager zurück. Eine Relaiskette verbinde e8 mit dem fümpfenden Heere, damit der
Bagenmeifter aufs fchleunigite, je nad) dem Gang der Schladt, injtruiert werden
tönne, wohin das Gepäd zu führen jei. Streifzüge nehmen nur Padpferde mit,
welche doppelte Ledertaſchen und die Zelte tragen.
Das 11. Injtitut handelt von den Feldlagern, ijt wejentlic)
dem XI. Buche des Maurifios entlehnt und entipricht noch ganz
dem altrömischen Syjteme.
Auf Krieggmärjhen foll jedes Lager, auch dad nur für eine Nacht bes
jtimmte, befejtigt werden. Als Grundrig wird das längliche Viered empfohlen;
doh habe man ſich nad) dem Gelände zu richten. Das Lager joll zunächſt mit
den Gepädwagen umgeben werden; dann ijt außerhalb ein Graben auszuheben
und der Boden einwärts zur Brujtwehr aufzumwerfen. Bor den Graben legt man
Bolfsgruben und Fußangeln. Gejftattet der Untergrund oder die. verfügbare
Zeit das Ausheben eines Grabens nicht, jo ijt das Lager durch mitgeführte Igel—
balfen zu ſchützeny. Die Umfaffung erhält 4 Haupttore, auf welde die Haupt-
fagergafien münden. Unmittelbar hinter der Wagenburg liegen die Zelte der mit
Fernwaffen ausgerüjteten Truppen, und zwijchen dieſen Zelten und denen der
Hopliten bleibt ein Zwijhenraun von 300 bis 400 Schritten, damit die Schwer:
gerüjteten nicht von feindlichen Pfeilen beläjtigt werden fünnen. Ganz in der
Mitte lagert die Reiterei. — Nah dem Nachtmahl erfolgt das Zeichen zum Abend»
gebet; dann hat völlige Ruhe zu herrichen und dürfen die Tore nicht mehr pajjiert
werden. — Ein größerer Angriff ijt nit im Lager abzuwarten, jondern man
tut gut, wenn man ſich irgend ſtark genug dazu fühlt, dem Feinde entgegenzu-
gehen. Ratſam ijt ed, dabei dem Heere den Rüden dur die Wagenburg
zu deden‘; die dann mit Geſchütz auszurüften iſt.
Nachdem Leo die jtrategijchen und logijtiichen Elemente erläutert
hat, widmet er vier Inſtitute der Betrachtung der Schladten-
taktit (12—15).
Der dem eigentlichen Kampfe abholde Baſileus traut der Einſicht des Feld—
bern zu, daß diejer ſich auf feine Schlacht einlafjen werde, jolange eine ſolche nicht
geradezu unvermeidlich fei (!). Wenn died aber der Fall, jo fjolle man aud
einem überlegenen Feinde gegenüber nicht verzweifeln. Man ziehe zur Schladt
alle irgendwie verfügbaren Truppen heran. Man ftelle jein Heer nicht in einem
!) Leo nennt biefe Sperrbalten roFoloı (Dreifühe) und empfiehlt ihren Gebrauch als Ballifaden
in holzarmen Gegenden. Es find die xurrdve; des Urbicius (8 2).
166 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
Treffen auf, jondern mindejtens in zweien, um der großen Vorteile zu geniehen,
welche aus der Unterftügung der Treffen entipringen und aus den Flanfierungs
bewegungen, die fi mit Truppen ausführen lafien, welche man aus der Tiefe
bervorzieht. — Shlahtordnungen gibt Leo zwei: die eine für ein lediglich
aus Reiterei beitehendes Heer, wie es in den Kriegen jeiner Zeit nicht jelten
aufgetreten zu fein jcheint; die andere für ein aus gemifchten Waffen beftehendes
Heer. — Das 1. Trefien der Reiterjhlahtordnung jet er aus leichter und
ihwerer Kavallerie (Kurjoren und Defenjoren; vgl. 85) zujammen. Seitwärts
rüdwärts des linken Flügels diejes Treffens hält eine Abteilung jchwerer Kavallerie,
die „Seitenwächter“ (nAayıogriaxes), zum Schutze gegen Überflügelung, während
ein Geihwader leichter Reiterei jeitwärts rüdwärts des rechten Flügels angeordnet
ijt, um als „Überflügler* (vrregxepaores oder cornistes) dem Feinde, welcher an-
rückt, in die Flanke zu fallen. Auch hinter den Flügeln des zweiten Trefiens find
ſolche abgejonderte Abteilungen aufgeftellt: die „Rückenbewahrer“ (vwrogpudazss).
Endlid wird als 3. Trefien eine Generalrejerve zurüdbehalten, um je nach Um:
jtänden überraſchend auf eine der Flanken de3 Gegners geworfen zu werden. Das
find die „Hinterliftner” (evedgos). — In der Ehladtordnung der ver—
bundenen Waffen jteht die Reiterei auf beiden Flügeln der Phalanx, welde
ihrerjeitö in zwei Treffen, jedes 16 Mann tief, angeordnet ift. Zwijchen den ver:
ſchiedenen Frontabteilungen befinden ſich die Geihüge. Die Wagenburg wird zur
Dedung einer der Flanken oder des Rückens benugt; die Pfiliten ſchwärmen vor
der Front. — Die Reiterjhladhtordnung iſt wejentlicd der des Maurifios (II, 1)
nachgebildet; die gemiſchte Schlahtordnung aber ftellt ſich als alte, nur wenig
abgemwandeltes Erbe der Zeit der Diadochen Aleranders des Großen dar.
Die Inſtitute 13 bis 15 schreiben das Verhalten vor,
während und nad) der Schladht vor?).
Tags vorher werden die Feldzeihen eingejegnet, die Truppen haranguiert
und die Feinde ausgejpäht. Angemeſſen ijt es oft, einen beftimmten Teil der
Front durd Wolfsgruben und Fußangeln unzugänglid zu maden. Mit aller
Entjchiedenheit rät Leo, den Angriff auf des Feindes Flanke zu richten, u. zw. nur
auf eine Flanke; er plädiert aljo für die jchiefe Schlahtordnung. Mittel zur
Flanfierung, rejp. Überflügelung des Feindes gewährt die Stellung in mehreren
Treffen; doch fann man aud von vornherein verdedte Entjendungen in Flanke
oder Rüden de Feindes vornehmen. Den Aufmarſch des Heeres follen vor:
geſchobene Truppen verichleiern. Hinter jeder Abteilung jollen berittene Kranken—
träger halten, um die Verwundeten zurüdzujhaflen. Der Vormarſch gejchieht mit
dem Schladhtrufe „Sieg des Kreuzes!“ und unter den Liedern der bei den Truppen
beftellten Sänger (zarraropes). Nach erfochtenem Siege danke man Gott, belohne
und bejtrafe Einzelne wie ganze Truppenteile und bejtatte die Gefallenen. Ge:
fangene jollen weder getötet noch verjtümmelt werden. Der Sieger hüte ſich vor
1) Im Gob. Laur. und bei Meurfius ift das Inititut de excursionibus post bellum erit
das jechzehnte, das de obsidione das fünizehnte. Dies ift narürlich eine Berftellung, da ſich das
Kapitel von dem Verhalten nad der Schlacht als unmittelbares Gegenftüd des 13. Inftitutes de die
ante bellum barftellt.
2. Die Militärfchriftfteller vom 10. biß 12. Jahrhundert. 167
allzugroßer Sicherheit. „Mibtrauen ijt der Vater des Erfolges“ !), Daher vers
meide man auch nad) dem Siege eine Zeriplitterung des Heeres durch allzuviele
Streifparteien.
Das 16. Inſtitut Handelt vom Feſtungs- und Bes
lagerungsfrtiege.
Die jehr kurze Abhandlung vermweijt hinſichtlich der techniihen Einzelheiten
auf Werke anderer Berfafjer, doch ohne diejelben namhaft zu maden. Übrigens bietet
fie manche gute Geſichtspunkte. Wo Ausſicht vorhanden, mit bloßer Blodade zum
Ziele zu fommen, lafje man fi nicht auf den förmlichen Angriff ein. Kleine,
ausreihend verproviantierte, durch ihre Lage jehr jtarte Pläpe find dadurch zu
überwinden, dab man die geringe Bejagung niemal3 zur Ruhe fommen läßt,
jo dak die Garnifon zwar nicht ihre Lebensmittel, wohl aber ihre Lebenskräfte
aufzehrt. Großen Wert legt Leo bei der für das byzantiniſche Reich jo widjtigen
Örenzverteidigung auf die Anlage proviſoriſch befeftigter Poften. Dies führt natur-
gemäß hinüber zum
17. Inſtitut, welches vom fleinen Kriege, msbejondere
vom Örenzfriege jpricht.
Der Kaifer gibt Hier die Mittel an, den häufigen Einfällen plündernder
Reiterftämme zu begegnen, die das Reich jo oft heimjuchten. Dies Kapitel ijt eines
der beitgefchriebenen, bejtgeordneten des ganzen Werkes. Die Fugen Anweijungen
für das Verhalten jo flüchtigen Yeinden gegenüber, namentlid die Direktive für
Überfälle find wertvoll und finden ſich bei feinem der früheren Schriftfteller, aud)
bei Vegetius nicht, dem andere Teile des Inſtituts offenbar entlehnt jind. Aud)
Maurifios ijt benupt; feinem 9. Kapitel entjtammt 3. B. die gar nicht in den
Zufammenhang gehörige Berechnung des Raumes für eine Maſſe von 300 000 Pferden.
Das 18. Institut bejchäftigt fic) mit der Kriegsweiſe der
Feinde des Reiches.
Es geht der Reihe nad) die Türken, Bulgaren, Franken, Siaven und Sara=
jenen (Araber) durd. Leos Hußerungen über die Türken enthalten dasfelbe, was
Maeurifios (XI) über die Avaren jagt. Sonjt weichen Leos Angaben wenig von
denen feines Vorgängers ab. Die interefjanten Mitteilungen über das Kriegs—
weſen der Sarazenen bilden noch jet eine der beiten Quellen unjerer Kenntnis
von den arabijchen Kriegsaltertümern ®).
Das 19. Inſtitut iſt dem Seefriege gewidmet und von großer
geihichtlicher Bedeutung ?).
Die Seemadjt des Reiches zerfiel in zwei Teile: die faijerliche Flotte (ro
Basıkırov nAcnuor) und die von den Provinzen oder Thematen gejtellte Flotte
10 Heuarıxov rchuov). Die kaijerliche Flotte bejtand aus „Dromonen“ von ver—
) Ühnlih nennt Friedrich d. ®r : La mere des succes la sage meflance (Art de la
Zuerre V).
8 Bol. v. Kremer: Culturgeſch. des Orients unter den Ghalifen I, (Wien 1875), ©. 222.
) Beſte Wiedergabe dieſes Kapitel in Gfrörers Byzantiniſchen Studien II (Graz 1873,
€. 49-435),
168 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
ſchiedener Größe: Einruderreihenfhiffe oder Zweiruderreihenjhiffe u. zw. folche mit
100 und jolde mit 200 Ruderern. Unter den Zeritörungsmitteln des Seekrieges
nennt Leo vor allem dad „Kunjtfeuer“ [$ 6), welches mit Donner und feurigem
Rauche (vera Aporrns xai xanvov noontgov) aus ehernen Röhren (sipo») her:
vorgeht und die Schiffe, auf die es gejchleudert wird, in Brand jtedt. Dies iſt
wohl die interefiantejte Stelle, welche bezüglich des vielgenannten „griechijchen
Feuers“ erhalten ift, weil ſie am meijten auf einen dem Schießpulver gleihenden
Treibjag (Ausjtogladung) deutet, während andere Angaben desjelben Leonini:
ihen Injtitutes® nur auf Brandſätze jchließen lajjen!)., Ohne Treibjag wären
namentlich die hinter den Schilden zu verdedenden Handiyphonen (zepooipuwa),
mit denen der Kaijer die Schiffsjoldaten auszurüjten heit, garnicht zu erflären. „Wir
jelbt lafjen fie von verſchwiegenen Werkmeiſtern verfertigen, und jie enthalten
den ung allein befannten fünftlihen Satz.“ Die Brandjäge wurden offenbar mit
den von alter8 her üblihen Wurfmaſchinen geichleudert. Daneben aber gab es
eben jene Raketen, welche teil® von fejten Gejtellen (dem erzüberzogenen Rohren)
abgeſchoſſen, teils als Handrohre losgelaſſen wurden.)
Das 20. Inſtitut enthält eine Sammlung von Maximen
und Lehrjägen, die Leo meijt älteren Schriftitellern entlehnt
hat. Biele davon jind vecht gut; andere erjcheinen uns als bloße
Gemeinpläße.
Den Beichlug des Werkes bildet eine Nefapitulattion.
Dies ift der Inhalt der ITaoadovıg rwv &v srok£uoıg rarrızar. —
Sleichgültig ob der Bajileus jelbjt Redaktor diejer Arbeit war oder
ob jie auf jeinen Befehl von Leo Magiftros zujammengejtellt wurde ?) —
fie gibt die Summe des militäriichen Wiſſens, das fic) aus dem Alter:
tum bis in das 10. Ihdt. gerettet hatte. Das Werf jteht genau in
der Mitte zwijchen dem 5. und dem 15. Ihdt., und da das Mittel:
alter feine zweite kriegswiſſenſchaftliche Leiſtung von gleicher metho-
diſcher Tüchtigkeit und gleichem Reichtum des Inhalts hervorgebracht
hat, jo darf man Leos „jummarische Überficht der Kriegskunſt“ als
den militärwifjenschaftlichen Höhepunkt jenes Zeitraums überhaupt
bezeichnen. Allerdings, diejer Hohe Rang wird in doppelter Weiſe beein-
trächtigt! Erjtlich it das Werk feine eigentliche Driginalarbeit, jondern
großenteils ein Konglomerat aus älteren Schriftjtellern ; dann aber tjt aud)
der hijtorischsetynographiiche Horizont desjelben verhältnismäßig eng.
Der Hauptjache nach behandelt Leo lediglich das überfommene Erbe
der mafedonischerömischen Kriegskunft, und wenn er auch im 18. Inſtitute
I) Bol. Jähns: Handbuch einer Geich. des Kriegsweſens (Leipzig 1880) ©. Sul.
?) Append. ad Constantini libri I de caerim. aulae byzant. p. 456 sq. Bonn.
2. Die Militärjchriftiteleer vom 10. bis 12. Jahrhundert. 169
die Kriegsweiſe feiner Feinde zu erläutern jucht, jo geichteht das doc)
nur hinfichtlich der Morgenländer mit einiger Ausführlichkeit. Darin aber
liegt jene Einjeitigfett, welche für ung den Wert der Leoniſchen Arbeit
jo wejentlich vermindert. Mafgebende Berührungen mit dem auf
germanticheromantjchen Grundlagen neu entwidelten Weiten hatten
den Byzantinern bis auf Leos Zeit gefehlt; der Geiſt des occidentalen
Kriegsweiens war auf ihren Vorſtellungskreis noch ohne Einfluß;
mit einem Worte: das Werk tft eben vor den Kreuzzügen gejchrieben.
Man muß beflagen, dab feine ähnliche Arbeit aus dem 12. oder
13. Ihdt., aus der Zeit Manuels I. oder des lateiniſchen Katjertums,
überblieben ift. Doch ift damals etwas Ähnliches wohl überhaupt
nicht entitanden; denn die gewaltjame Erjchütterung des oſtrömiſchen
Lebens durch die Kreuzzüge verjchüttete die Brunnen der Wiſſenſchaft.
Das Werf Leos hat möglicherweije auf die Taftif der deutjchen
Ottonen eingewirkt, dagegen in der Renaiffancezeit auf die Ideen der
Begründer de3 modernen Kriegsweſens feinen Einfluß ausgeübt.
Zuerſt erſchien nicht der Originaltert, fondern eine geringwertige, lateinijche
Überjegung (Bafel 1554), welche John Cheke (Checus) von Cambridge hergeftellt
und dem König Henry VIII gewidmet hatte. Ihr folgte eine italienifche Über:
ſezung von Bigafetta unter dem Titel: Leone Imperatore. Dello schierare
in ordinanza gli eserciti (Venedig 1586). Erſt 1612 gab de Meurs (Meurfius)
den Originaltext heraus und fügte demjelben auf Wunfc des Prinzen von Naſſau—
Dranien die lateinische Überjegung des Checus bei. In demjelben Jahre 1612 er-
ihien eine neue Auflage von Pigafettad Übertragung (Leyden 1612) und eine neue
italienische Überſetzung von Andrea u. d. T.: Degli ordini e governo della
guerra con la vita del Imperatore Leone (Neapel). — Dieje verjchiedenen
Übertragungen in die italienijhe Sprache madten nun aud) italieniiche Kriegs-
leute auf das Werk aufmerkſam. Im Jahre 1652 veröffentlihte Majolino
Sensi civili sopra la tatica di Leone imperadore (Venedig); der ausgezeichnetite
Fahmann jedoch, auf den fie gewirkt, ift Fürft Raimund Montecuccoli, der
in jeinen »Memorie«e die Inſtitute Leos nicht jelten citiert und noch häufiger
daraphrafier. Im Jahre 1745 gab Lami zu Florenz die gejammelten Werte
des Meurfius heraus und veröffentlichte bei diefer Gelegenheit im 6. Bande aber:
mals ſowohl den griechiſchen Tert als die Übertragung I. Chekes, u. zw. nad) ſorg—
fältigem Vergleiche mit dem medicäiichen oder jowie unter Hinzufügung des bis
dahin fehlenden Kapitels Quomodo adversus Sarazenos pugnare opporteat.
Diefe Ausgabe ift die beſte. Sie führt den Titel: Leonis Imp. Tactica sive
de re militari liber. Joannes Meursius graece primus vulgavit et Notas
addidit. Jo. Lamius ex absolutissimo Codice Laurentiano mutilum supple,
vit atque restituit. — Endlich wurde dad Werf aud) in die Mathematicorum
veterum opera (Bari® 1693) aufgenommen, in die es eigentlich gar nicht gehört.
170 Mittelalter. I. Die Buzantiner.
Im Jahre 1771 erſchien zu Paris die franzöfifche Überfegung des Oberften
Joly de Maizeroy u. d. T.: Institutions Militaires de l’Eiwpereur Leon
le Philosophe, avec des notes et des observations, suivies d’une disser-
tation sur le feu gregeois et d’un trait& sur les machines de jet des an-
ciens«. Es ijt das eine ganz vortreffliche Arbeit, präzis, einfichtig und formvoll.
Sie wurde dad Vorbild einer deutichen Übertragung, welche von 1777 bis 1781
zu Wien in fünf Bänden u. zw. anfangs anonym herausfam; erjt ipäter nannte
fih der Autor: J. W. von Bourfcheidt. Der leonijche Tert iſt bei weiten
weniger treu wiedergegeben als von Joly de Maizeroy; ja es jcheint, ald ob
Bourjcheidt jich überhaupt gar nicht auf das Original, jondern nur auf die fran-
zöſiſche Überſetzung ſtütze; dennoch aber iſt dies Werk, welches den Titel „Kaiſers
Leo des Philoſophen Strategie und Taktik“ führt, von Wert u. zw. durch ſeine
Exkurſe. Es ift eine der inhaltreichſten Arbeiten, welche nad Friedrichs des
Großen militäriſchen Werten in der zweiten Hälfte des 18. Ihdts. über die Kriegs—
kunst gejchrieben wurden, doppelt interefjant, weil ihr Verfaſſer ein Öfterreicher
ift, aljo nicht unmittelbar der friedericianiſchen Schule angehört.
Niemand hat ſich begeifterter über die Inftitutionen Leos ausgeſprochen als der
Fürſt v. Ligne. Er nennt fie ein „unfterblihes Bud“ (Catalogue rais. 1505).
Schon die Vorrede entzüdt ihn fürmlid. »Il n'y a jamais eu qu’un seul
Souverain«, jo ruft er aus »qui ait écrit comme cela, et ses Instructions
ä ses Generaux ne peuvent être compardes qu'àâà cette ouvrage icie. Ich
weiß nicht, ob Friedrid; dem Großen durch dieje Zujammenftellung nicht doc) zu
nahe getreten wird. Indes, der Fürſt verjucht fein Urteil zu begründen. »Ces
deux Princes«, meint er, »ont tout prevu, et ce n'est que comme cela qu’ils
sont les images de Dieu sur la terre. Les autres les repr&sentent bien
male. — Sa, de Ligne geht nod) weiter: »Ces deux ouvrages sont sup6rieurs
à celui de la troisitme tête couronnde de me£rite, c'est à dire à Cesar.
Les Commentaires «donnent des exemples, mais jamais des preceptes.
Tout ceci peut encore se suivre à merveille... J’ai, en verite, pour
l’Empereur L&on la plus haute consideration«,
An einigen Stellen jenes Werkes bezieht der Baſileus fich in leider
unbejtimmten Ausdrüden auf noch andere militäriſche Schriften
aus jeiner Feder, welche daher die Gelehrten aufzufinden, bzw.
jeitzuftellen bemüht find. So gab Joh. Alb. Fabricius in jemer
Bibliotheca graeca ein Fragment vom Seewejen unter dem Titel
Leonis Naumachia sive potius supplementum capitis XIX Tacti-
corum heraus (Bibl. graec. 1720. t. V. p. 372). Dann zeigte ſich
Bandini geneigt, dem Leo die 12 Bücher der Problemata
militaria zuzujchreiben, welche in der großen Florentiner Taktiker—
Handjchrift unmittelbar vor den Inftitutionen jtehen?). Haaje pflichtete
») Epistola de celeberrimo codici tacticorum bibl. Laurent. (Florenz 1766.)
2. Die Militärfchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 171
dieſer Anficht beit), und der Berner Profefjor Müller wies darauf
hin, daß auch der Berner Coder der Taftifer (ehemals Cod. Bongarsii)
jene Broblemata enthalte?). Endlich trat Köchly Bandinis Auffafjung
bei und gab einige Abjchnitte der PBroblemata, griechiich, in der ur:
jprünglichen Schreibweife und ohne Erläuterungen heraus?). Dieje
Selecta quadem ex ineditis Leonis tacticis capita bringen 9 Kapitel
vom Kriegswejen der Alten und 5, welche jich auf die wichtigjten
Srundjäge der byzantinischen Kriegskunſt beziehen.
Ad. Aufjtellung des Fußvolkes, der-Reiterei und eines gemijchten Heeres.
Kriegdamtöbezeihnungen bei den Alten. Benennung der Seereöbewegungen.
Formen der Phalanx. Tiefe und Breite der Truppenaufjtellungen; Raum, den
fie erfordern; Abjtände. Über das Bogenſchießen.
Ad 2. Bewaflnung des Fußvolkes und der Reiterei (2 Kapitel, die wegen
ihrer jchlichten Kürze den Kapiteln 30—39 des VI. Inſtituts des Hauptwerkes vor—
zuziehen find). Was hat der Belagerte zu tun? Was der Belagerer? Wie legt
man, ohne Aufjehen zu erregen, jchnel einen befejtigten Grenzpoften an?
Die Problemata entjprechen dem Hauptwerfe teilweije wörtlich;
z. X. weichen fie aber auch jehr wejentlich ab, weil der zujammen-
bangende Tert der Inititutionen bier in emzelne Paragraphen oder
auch in Frage und Antwort aufgelöit iſt.
89.
Das mafedonijche Katjerhaus zeichnet jich durch literarijche Nei—
gungen aus. Schon der niedrig geborene Bafilios I. entwarf für
jeinen Nachfolger eine noch erhaltene, kurzgefaßte „Regierungskunſt“.
Diefer Thronfolger jelbjt, Leo VI., hat außer den militärischen auch
noch theologijche Gegenjtände bearbeitet. Beide übertraf der Enfel,
Konftantinos VII. Porphyrogennetos (dev Burpurgeborene), welcher
den Thron von 912 bi8 959 inne hatte. Er muß emen großen
Teil jeines Lebens den Studien gewidmet haben, und nod) jeßt
zeugen umfangreiche, wenn auch freilich geiltloje Schriften von feinem
Bienenfleiget).
Unter den Werfen Konjtantins, welche militäriſches Interejie
erregen, jteht in erjter Reihe jein Taktikon (Bıßktov raxrınöv, zrüg
ı) al, Jahrb. f. Philologie und Päbagogif I, ©. 88.
», (Ebd. IV, Supplementband, Leipzig 1836, 1. Heit.
», In den beiden Indices lectionum in literarum Universitate Turicensi. Zürich 1854.
*, ®gl. Lebeau: Histoire du Bas-Empire. Ausg. von Et. Martin (Paris 1836). Siehe
beionder# ©. 328 und 392 ff.
112 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
öpellovovv 01 zara yıv ve nal ara Yaharravy uayouevoı srohgueiv
örreg Eunygaııe Kovoravrivog Baoıkeus 6 rov “Pwuavou viög).
Hirſch hat nachzuweiſen verjucht, dab dies Werk, ein wertloſes Plagiat aus
Leos VI. Inſtituten, nicht von Konjtantin VII. herrühre, fondern von deſſen Entel
Konjtantin VIII. (1025—1028) 1). Salomon dagegen hält es für viel älter und
bezeichnet al8 VBerfafjer einen anderen Konjtantin, Sohn des Kaijerd Bafilioß' L,
welcher im Jahre 868 noch bei Lebzeiten ſeines Vaters den faiferlihen Rang er:
hielt und 878 ftarb*). Angeſichts folder Kontroverjen halte id mid wieder an
die Überlieferung.
Das Buch ift eine Zujammenftellung taktiſcher Vorjchriften mit
geichichtlichen Erläuterungen aus älteren Kriegsſchriftſtellern. Trotz
jeine8 jtattlichen Umfanges verdient es feine nähere Berüdjichtigung ;
denn e3 deckt ſich großenteil3 mit Leos Imjtituten, ohne fie an Wert
zu erreichen. Noch mehr als Leo wirft Konjtantin Zeiten und Syiteme
durcheinander, jo daß man oft völlig im Unklaren bleibt, ob es ſich
um das Kriegswejen ferner Vergangenheit oder um die Regierungszeit
des Purpurgeborenen jelbjt handelt.
Ausgabe von Meurjius al® »Liber tacticus quomodo debent qui
terra marique pugnant bellum gerere« zu Leyden 1617. WReproduziert und
mit lateinijcher Überjegung verjehen in de Meurd gejammelten von Lamius
edierten Werten (Florenz 1745, VL)S). .
Sehr viel fnapper gehalten it Konſtantins Strategifon
(Froaenyırov sregi EI» dıapöogwv EIvov). Doch /auch dieſe Eleine
Schrift iſt von geringer Bedeutung; denn jte bietet lediglich eine
Bujammenftellung aus älterer Literatur über die bei verjchiedenen
Bölfern — Perjern, Avaren, Türken und Hunnen — übliche Kriegs:
weile jowie über die Art, fie zu befämpfen, und geht dabei über Das
von Maurifios (XT) und Leo (XVII) Gebotene nicht hinaus.
Ausgabe und Reproduktion an derjelben Stelle wie die des Taftifon‘).
Nicht ohne Friegswiffenjchaftliches Intereſſe jind Drei andere
Schriften Konftantins: die Statiftif des Kaiſerreichs (De thema-
tibus), das Werk über Bolitif und Staatsverwaltung und das
über die Cäremonien.
. 1) Göttinger Gelehrte Anzeigen 1873, St. 18, ©. 496 ff.
2) Szäzadok. (Organ ber ungariſchen Hiftorijchen Gejellichaft) 1878.
») Die Ausgabe des Taktikon ift nicht vollftändig. Nah Haaſes Anficht gehören auch die
Xraltate de naumachia, de strategematibus und de piratica, welde in einigen alten Sand:
fchriften dem Purpurgeborenen augeichrieben werden, in das Biblion taftifon.
4) Val. über Taktikon und Strategifon: Bincent: Notice et extraits de la bibl. du Roi,
t. XIX, pars 2, p. 848 ff.; Müller: Fragm, hist. Graec. V, prolegg. p. 13, und ®eiher:
Poliorcötique p. 199, 296.
2. Die Militärjchriftfteller vom 10, bis 12. Jahrhundert. 173
Die beiden Bücher regi row Yeuarov (de thematibus oder
de praefecturis imperii orientalis) fnüpfen eine Art Landes-
beichreibung an die Einteilung des Reiches in „Themata“ d. h. in
Milttärbezirfe. Im eriten Teil werden die 17 Themata des Orients,
im zweiten die 12 Europas verzeichnet. Es iſt ein trocdener und ober:
flächlicher, geographiich-itatiftiicher Abriß, deſſen geringer Wert jchon
daraus erhellt, daß er meilt aus dem Suvexdnuog des Hierofles,
d. h. aus einer Überficht der 64 Eparchien des oftrömijchen Reiches
abgeschrieben ift, welche 400 Sahre vor der Regierung des Purpur—
geborenen verfaßt worden war. — In der Einleitung führt Konjtantin
das Wort éud auf tagma — legio, Standquartier, Militärbezirk,
Provinz(?)!) zurüd.
Das 1. Buch der Ieuara erſchien mit lateinifcher Überfegung von Vul—
canius zu Leyden 1558, das 2. mit lateinifcher Lberfegung von Morel
zu Paris 1609. Dann gab Meurjius das ganze Werk in Constantini Por-
phyr. Opera 1617 heraus, Dieſer Edition folgte die in de8 Banduri Impe-
rium orientale mit Kommentar von de [’YSLe (Paris 1711) und die in des
Lamius großer Ausgabe der Werke des Meurfius (VI). — Joly de Maize-
roy gab einen Extrait du livre de Thematibus in feiner Überjegung von
Leos Taktik (I, 56—0).
Das Werk zroög rov !dLov viov Pouavov (de administrando
imperio) hat Konjtantin an jenen Sohn Romanos gerichtet; es joll
dieſen über die Regierungskunft, insbejondere über die den Friegerijchen
Nachbarvölfern gegenüber mnezuhaltende Politik belehren. Wohl ent-
hält die Schrift viel von dem Aberglauben und der Unmijjenheit des
10. Ihdts., aber doch auch eine Fülle intereffanter Nachrichten über
Abitammung, Wohnfige, Machtverhältniffe und Gebräuche der Rufjen,
Betjchenegen, Bulgaren, Türken, Sarazenen, Dalmatiner, Chrowanten,
Franken und anderer Reichsfeinde, und dieſer Reichtum zum Teil
originalen Meateriales, der natürlich auch in militärticher Hinficht
ergibig it, wird von Le Beau als jo bedeutend veranjchlagt, daß er
dies Werk in gewijjem Sinne mit den Schriften Herodots, Strabong
und. Ammtans vergleiht. — In friegstechniiher Hinſicht iſt
1) Bgl. über bie Bücher de Thematibus, bezw. über bie Kriegsverfaſſung des byzantiniſchen
Raijerreiches: Gibbon: History of the decline and fall of the Roman Empire (2ondon 1782
bi® 1788, chap. 53). Finlay: History of the Byzantine and Greck Empires from 716—1453
(London 1858/54, p. 13—15, 32—40).. Rambaub: L'’empire grec au X siöcle. Constantin
Porphyr. (#ari3 1870). Hirſch: NKonftantin VII. (Berlin 1873), Programm der Königftäbtijchen
Realichule).
174 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
die Stelle von Interefje, in welcher der Burpurgeborene jeinem Sohne
aufs dringendite die Geheimhaltung der Zujammenjegung des
griechijchen Feuers empfiehlt.
Dies Feuer jei von einem Engel dem erjten Könige der Chriſten, Konſtantin
dem Großen (323—327), mit dem ausdrüdlichen Befehle anvertraut worden, es
nirgends anders als in der Stadt der Chriſten (d. h. in Sonjtantinopel) zu ver-
fertigen ; der große König habe auf dem Altare Gottes die Geheimhaltung
gelobt und jeden verflucht, der ed wagen werde, Milhung und Bereitung des
griehiihen Feuerd einem Fremden mitzuteilen, gleihviel ob König, Erzbiſchof
oder ſonſt welchen Standes.
Ausgaben von Meurjius, Banduri und Lamius a. d. a. O.
Die zwei Bücher ouvrayua (de caerimoniis aulae Byzantinae)
handeln von den Gebräuchen, welche am Hofe, in der Kirche, im
Feldlager jowie bei öffentlichen zeiten und Spielen beobachtet wurden,
enthalten aber auch einen bejonderen Anhang über das Kriegs—
wejen (Praecepta imperatori Rom. bellum cogitanti .
observanda.)
Ausgaben von Leich (Leipzig 1751— 1754) und von Reiske (Bonn 1829).
Auch die Basilica, das Geſetzbuch Konjtantins VII., enthält
Beitimmungen über Kriegswejen und Sriegführung.
Die eigenen Arbeiten Konjtantins begründen nur einen Teil jener
Bedeutung in der Gejchichte der Wiſſenſchaften. Fat noch wichtiger
it er dadurch geworden, daß er eine encyflopädiiche Anthologie der
jeientifiichen Projaliteratur der Griechen veranlaßte, welche alles
Quellenjtudium entbehrlich machen jolltee Diefe EncyElopädie
zerfällt in 7 Hauptgruppen: Gejchichte und Politik, Acderbau und
Landwirtichaft (Tewrrovıza), Roßarzneikunde (Lrrriargıre), Medizin
(Tergıra), Tiergeichichte, Heiligengejchichte und Epigramme. Hat
dieje Sammelarbeit auch manches verjtümmelt und entjtellt, jo war
ihre Frucht doch eine dauernde; feines der in jenen Auszug auf
genommenen Werfe verfiel völliger Vergefienheit, wenn ſie auch nur
zum Teil herausgegeben worden jind.
Die Encyklopädie der Gejhichte und Politik umfakte
unter 53 Titeln die hiſtoriſche Literatur der Griechen von Polybios
(140 v. Chr.) bis auf Theophylaftos Simofattes (650 n. Chr.) in
gruppenmweijer Gliederung nad) Maßgabe des Inhalts, wie: Tugend
und Laſter, Sentenzen, höfiſches, diplomatisches, jtatsrechtliches Wiſſen,
von Gejandtichaften, von der Jagd, von der Taktik, Strategie, Be
2. Die Militärjchriftiteller vom 10. bis 12. Jahrhundert. 175
lagerungsfunft, Demagorie u. j. w. — In militäriſcher Hmficht
fommen davon die Titel sregi orgarnynuarew, sregi ouußohng sroltuam,
regi rolrogriag und zregi Önunyogıwv in Betracht. Leider zeigen
die militärijchen Abteilungen der Encyklopädie, u. zw. in noch höherem
Maße als alle übrigen, die Neigung der Redaktoren, um der Raum
erjparniS oder der Bequemlichkeit willen, den Text plöglich und will-
fürlich durch Hinweis auf andere Titel zu unterbrechen.
Nur ein Teil der militärischen Artikel ift ediert, insbejondere ward das
Kapitel (repi argarnynuarew), Heinere Bruchſtücke kriegsgeſchichtlicher Literatur
im Sinne Frontind und Polyäns, von E. Müller auf Grund einer Athos-
handſchrift als Excerpta de strategematis herausgegeben und neuerdings von
Beſcher durd den Titel neoi rologxıwv bereichert. — Die dnunyooiaı, d. h. die
Beiipiele militärifher Beredjamfeit (contiones militares), find mit vorzüglidher
Sorgfalt zufammengejftellt. Den Eingang dieſer Militärrhetorif haben Köchly und
Rüftomw in ihren „Grieh. Kriegsichriftitellern“ (TI, 2 ©. 14 ff.) griehifh und
deutih wiedergegeben ').
8 10.
Daß ein Fürjt wie Konjtantin Porphyrogennetos einen großen
wilfenichaftlichen Stab um jich verjammelte, läßt ich denfen. Bon
den in dieſer Hinficht erwähnten Männern treten als militärijche Rat-
geber und Mitarbeiter Heron und Bafilios Patrikios hervor.
Bon Heron ?) wird berichtet, daß er eine Sammlung von Regeln
(ragerBohai Ex ww Orgarnyırav sragarasewv) aus Athenaios, Biton,
Heron dem Alerandriner, Philon und zumal aus Apollodoros „mit
Umgiegung der Form“ zu einer Schrift „Poliorketika“ mit einem
Anhange über Geodäſie gejtaltet habe?).
Ed. pr. De obsidione repellenda et toleranda, de mechanicis bellieis
et geodesia von Barocio (Venedig 1572). Griehiich und lateiniſch bei The—
venot (Bari 1693).
) Über die Vebeutung biefer dnunyooraı läht fih Konftantin VII. jelbft in jeinem Buche vom
Carimonienweſen bes buzantinifchen Hofes eingehend aus (Caerim. I, c.837—%; II, ce. 47 und
Append. ad libr. I. Die Haupthandſchrift der Taktiker zu Florenz fügt zwifchen alte Kriegsſchrift
heller und die Taktik des Purpurgeborenen wirflihe dnunyooda mporgentixol noös evdpelar ein,
weihe offenbar auf den früher beiprocdhenen byzantinifchen Anonymus [$ 4) zurüdzuführen find. —
Bal bierüber: RKöhly: Anonymi byzantini rhetorica militaris (in zwei Zürcher Leftionsfatalogen
1855/6) und Köchln und Rüftowa.a.D.
rn) Die Zeit biejed jüngeren Heron ijt übrigens nicht völlig außer Frage. Einige meinen,
er babe ſchon unter Herallios (610 — 641) gelebt; andere bezweifeln überhaupt jeine Autorſchaft. —
Bel. Drapeyron : L’empereur Heracliuns et l'’empire Byzantine au VII sicele (Bari 1869) und
Memoires pres. par div. savants à l’acad. des inscriptions. I, p. IV.
) Die Notiz über den Uriprung der Roliorletifa jteht in der Geodäſie.
176 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
Bafileios Peteinos Patrikios jcheint die taktischen Titel der
hiſtoriſch-politiſchen Encyflopädie bearbeitet zu haben. Er war cubiculi
praefectus Konſtantins und auch noch unter Romanus I. ein mächtiger
Mann. — Lange Zeit wurde ihm auch das „vevuayıra“ überjchriebene
Buch zugemwiejen, welches Fabricius in jeiner Bibl. graeca (VII)
abgedrudt Hat; indes hat neuerdings K. K. Müller nachgewiejen,
daß dieje Schrift dem Bajileios nur gewidmet ijt?).
Dem Texte gehen nämlid 12 Verje voraus, die den Ratrifiv8 wegen jeiner
Weisheit und feines Sieges über die Araber feiern und ihn auffordern, die vor—
liegenden Naumachika zu ftudieren, um an der Hand der darin gegebenen Vor—
ſchriften Kreta zu erobern.
8-11;
Wie jeine Vorgänger auf dem Throne, Leo und Konjtantin, wird
gewöhnlich auch Nikephoros Phofas als Kriegsjchriftiteller aufgeführt;
doch erjcheint es höchſt zweifelhaft, ob er jelbit Verfaſſer des mit
jenem Namen in Berbindung gejegten Buches iſt. Nifephoras II.,
der von 963 bis 969 regierte, war ein tapferer Fürjt, der vor
feiner Thronbefteigung glänzende Siege über die Hamaniden in
Syrien und Mejopotamien erfochten, Kreta zurücerobert und jechzig
jefte Pläße eingenommen hatte. Auch als Kaijer bewies er Energie,
und es läßt jich nicht verfennen, daß das von ihm verfaßte oder
veranlaßte Reglement über den Grenzfrieg (rzegi rrage-
deourg rol£uov)?), trog offenbarer Anlehnung an das 17. Inftitut
Leos VI., den Stempel noch weit höherer Selbjtändigfeit und prak—
tiicher Sicherheit trägt, !als die Arbeit Konjtantins. Der Charakter
der Berfallzeit tritt jedoch auch in diefem Werfe injofern entjchieden
hervor, als es feine Spur kriegeriſcher Initiative aufweiſt. Dies
läßt jchon der Titel ahnen; denn rragadgour, bedeutet, wie aus
dem ganzen Buche, bejonder8 aber aus dem 6. Kapitel desjelben,
hervorgeht, jjoviel wie „Begleiten“ oder „Cotoyiren“ des TFeindes
im Gegenjage zu zragauovn, d. h. dem ruhig beobachtenden Verharren
gegenüber einem nicht in Bewegung begriffenen Feinde. Mehr als
Gegenüberfigen oder höchitens Begleiten mutet Nifephoras den Heeren
8. Müller: Eine griehifche Schrift über Seefrieg (Würzburg 1882). — Iene nur vom
Seekriege handelnden Naumachila bredien mit dem 6. Kapitel ab. Der Reft ift verloren.
2) Lambecius überjegt den griech. Titel mit De re militari (Comment. de Bibl. Caes. VII, 482)
umgeht alſo die Echwierigfeit, ihn wiederzugeben ; Fabricius verſucht dies durch den Ausbrud De
eventibus bellicis et excursione (Bibl. graec. VI, 347).
2. Die Militärjhriftfteller vom 10. bi8 12. Jahrhundert. 177
nicht zu, welche er gegen die Einfälle der Barbaren an die Nord-
grenze jeines Reiches jendet, und damit iſt denn allerdings in denkbar
deutlichiter Wetje anerkannt, daß man willens war, das Gejet des
Krieges vom Feinde zu empfangen.
Die Schrift zählt 25 Kapitel. — Es iſt zunädft von der Einrichtung der
Grenzwachen die Rede, vom Dienjt der Späher und der Art, wie man bem Feinde
an wichtigen Punkten zuvortommen und dort befeftigte Poften jchaffen jolle. Dabei
wird bejonder® der Sicherung der Waflerläufe gedacht. Dann wird auseinander:
gejegt, wie den Einfällen räuberifcher Reitericharen zu begegnen und wie durch)
Kundichafter (namentlich unverdächtige Kaufleute) die Anjammlung größerer feind:
liher Streitkräfte rechtzeitig in Erfahrung zu bringen jei. Immer aufs neue
fommt der Autor auf die Plünderungszüge der Barbaren zurüd, bei denen ein-
geborene Provinzialen nicht jelten dem Feinde die Hand gereicht zu haben jcheinen.
Da gelte ed vor allem, den Gegner im Auge zu behalten, ihn möglichjt ungejehen
zu beobadhten, indem man ihn gejhidt begleite, ihn zur Berjplitterung ver:
führe und jede Teilung der Invafionsarmee zum Überfall benutze. Namentlich
die Augenblide, da der Gegner einen Engweg durchſchreite, jeien dazu geeignet.
Ausgedehnter Gebrauch ſei vom Hinterhalt zu machen. Bleibe der Feind gar zu
fange in der Provinz, jo empfehle ſich als Demonjtration ein entichlofjener Einfall
in ſein Gebiet; ziehe er jid) dann zurüd, jo bejege man jchnell die Schlüfjelpuntte
und ſuche, ihn in den Defileen zu vernichten. Unter Umjtänden habe der dux
dem Feinde jedoch zu folgen u. zw. in zwei Kolonnen. — Auch über die Bes
handlung de eigenen Heeres werben Unweijungen gegeben: über Stand, Be-
waffnung und Übung der Mannſchaft, über Marjhordnung, Sicherung, Troß,
über die Belagerung fejter Pläge und endlich auch über eines der beliebtejten
Kapitel der Byzantiner: die Nachtgefechte, welche jehr geeignet feien, dem ab-
ziehenden Gegner große Verluſte beizubringen.
Atmet die Schrift auch nicht den Geiſt der DOffenjive, jondern
den der Rejignation, jo find ihre VBorjchriften doch offenbar feine
bloßen Theoreme, beruhen vielmehr auf bejtimmten Erfahrungen.
Ausg. grieh. und latein. von Haaſe: De velitatione bellica domini Nice-
phori Augusti im Corpus scriptorum historiae Byzantinae, Pars XI (Bonn 1828).
Ungefähr gleichzeitig mit dem Reglement über den Grenzfrieg
und vielleicht auch unter den Aufpizien Nifephoras’ II. entjtand jenes
Militärlerifton, das unter dem Titel "Egunveia rov Erri Oroarev-
uarow “al rrolsuıaev rrageraseım Pwvov dem großen, zu Anfang
des 11. Ihdts. abgejchlofjenen Reallexikon des griechiichen Gram—
matifer8 Suidas angehängt zu werden pflegt und fich auch hinter
dem Lerifon des Thomas Magijter ‚Paris 1532) findet. Hier führt
es den Titel: radıg sale Kai ovouadiaı Ev agyovrum dx roü
Jähns, Gedichte der Kriegswiſſenſchaften. 12
178 Mittelalter. I. Die Byzantiner.
Alıavoi, der lateinisch folgendermaßen wiedergegeben iſt: »Ex
scriptis Aeliani libellus de antiqua ratione instruendarum acierum
et ductorum militarium appellationibus«. Dieſe Überjchrift gibt
die faſt ausschließliche Quelle des Glofjariums richtig an. Denn
nach Köchly iſt diejer »Catalogus vocabulorum tacticorume« nicht
etwa aus dem Werke des Suidas, jondern unmittelbar aus Ailtanos
jelbft excerpiert und dann wieder von Suidas zur Verwendung in
jeinem Lerifon im einzelne Glojjen zerpflüdt worden. Der Katalog
iſt eme rein nomenklatoriſche Definitionstabelle der Bhalangentaftif,
deren Skelett jomit die ganze antike Kriegführung und ihre Theorie
überlebte.
Ausg. von Köchly und Rüſtow in den „Griech. Kriegsſchriftſtellern“ II, 2
S. 217—233.
8 12.
Ein jpäter Niederichlag antiker Kriegsmwifjenichaft auf griechiſchem
Boden iſt endlich) der Traftat des gelehrten byzantinischen Poly—
hiſtors Michael Konjtantinos Pfellos (1020— 1105), welcher den
Titel sregi reoleuınng rafewg führt. Er leitet ſich damit ein, daß
der Philoſoph zwar nicht Krieg zu führen habe, ſich aber doch auf
Krieg und Feldlager verjtehen müfje, und handelt dann im meilt
wörtlichen Ercerpten aus Ailians Taktik von der Schlachtordnung der
Griechen. — Wie aljo Ailianos am Ausgange des 10. Ihdts. jteht,
jo beherricht er auch das einzige nennenswerte Werfchen der byzan-
tiniſchen Militärliteratur des 11. Ihdts.
Ausg. bei Köhly und Rüftow a. a. DO. ©. 234— 238,
8 13.
Dies find die legten Ausläufer der byzantinischen Kriegswiſſenſchaft
und jomit die legten Triebe, welche die antike Kriegswiſſenſchaft auf
griechiichem Boden zeitigte.e Wohl erhob ſich unter Baſilios U.
Bulgaroftonos (976—1025) das Kriegsweſen der Nomäer noch
emmal zu bedeutenden Leiftungen; bei dem Tode des „Bulgaren-
töters“ beherrichte jeine Flotte wieder das gejamte öſtliche Gebiet des
Mittelmeeres; jeitdem aber jinft die militärische Macht des Reiches
unaufhaltſam; das wechjelvolle Syſtem der aus den Adelshäujern
Komnenos, Dufas, Angelos, zum Thron emporjteigenden Dejpoten
Anhang. Die arabifche Feuerwerkerei. 179
bezeichnet ein Zeitalter der Auflöjung, Zuchtlofigkeit und Feilheit.
Die Kriegswiffenichaft iſt verjtummt; die Gejchichte aber redet noch,
und unter denjenigen ihrer Werke, welche militärijches Intereffe haben,
vagt vor Allen die AAefıag der Kaifertochter Anna Komnena
hervor, welche in 15 Büchern die Gejchichte Alerios’ I. (1069—1118),
des Vaters der Verfafjerin, jchildert. Aus ihren Schlachtbejchreibungen
jpricht ein Fräftiger, mit den Künjten der Strategie und Taktik nicht
unvertrauter Geijt, und für die BZuftände des Kriegsweſens zur
eriten Kreuzzugszeit jind ihre Darjtellungen von namhaften Werte').
Dann aber vernichtete das lateiniſche Kaijertum (1204—1261) Die
legten Reſte des Wohlitandes und der Bildung, welche ſich auch nach
Wiederherjtellung einheimischer Herrichaft unter den Paläologen
(1261—1453) nicht wieder zu erholen vermochten. Nur die fait
unangreifbare Yage der Hauptitadt, deren Geſchick ja im dejpotifchen
Reichen immer entjcheidend it, erflärt e8, daß der völlige Untergang
fich jo lange verzögerte. Endlich erlag Konjtantinopel den Osmanen,
und num fiel der Schwerpunkt alles wiljenjchaftlichen Wollens und
Könnens, für den jahrhundertelang die Stadt am goldenen Horn
gegolten hatte, ins Abendland, u. zw. zunächit nach Italien.
Anhang.
Die arabiſche Fenerwerkerei.
8 14.
In nahen, wenn auch meist feindlichen Beziehungen zum byzan-
tiniſchen Reiche jtand die islamitiiche Welt. Das Streben der
Araber, jich zu unterrichten, war groß und führte jie u. a. auch dazu,
griechische Kriegsjchriftiteller in ihre Sprache zu überjegen. [A. $ 29];
eine eigentlich jarazenische Militärliteratur jcheint jich jedoch nicht ent-
wicelt zu haben; wie auf faſt allen andern Wiſſensgebieten blieben
die Semiten, Perjer und Türken auch auf dem des Krieges weſentlich
1) Ausg. im Corpus scriptorum historiae Byzantinae. Vol.I von Shopen (Bonn 1839),
II von Reifferfcheid (Bonn 1878). — Franzdf. von Couſin (Paris 1655). Deutih in Schillers Allg.
Sammlung hiſtor. Memoiren vom 12. Ihdt. an (Jena 1790, D. — Bal. Fuedly: De Alexiade
Annae Comnenae (Züri) 1766). Hegemwifh: Hiftor. und liter. Auffäge (Kiel 1801), Wilmans:
Anno Comnena (Pertz' Arhiv X, S. os ff.). Ofter: Anna Komnena. (Raftatt 1869.)
12°
180 Mittelalter. I.
Empfangende und Bewahrende !); nur nach einer Richtung ind ſie
als Bindeglied für die Gejchichte der Kriegswiſſenſchaft von Intereſſe,
nämlich in Bezug auf die Kriegsfeuerwerferei.
Ein arabijcher Autor, der um die Mitte des 10. Ihdts. jchrieb,
erwähnt ein „Buch über das Feuer, das Naphta und den
Gebraud, welhen man im Kriege davon macht.“ Leider
{ft dieſe Schrift verloren; doc) ein 300 Jahre jüngeres Manujfript der
Leydener Bibliothef, als deſſen Verfafjer ganz naiv Alerander der
Große genannt wird, die „Abhandlung über Kriegsliiten,
Einnahme der Städte, Berteidigung der Päſſe u. ſ. w.“
(1225) jcheint den wejentlichen Inhalt jenes alten Buches aufbewahrt zu
haben. Es lehrt in den zwei Kapiteln, welche von der Pyrotechnik handeln,
die Zubereitung der Naphta, die Anfertigung von Feuerwerksförpern
zu Glimpf und Schimpf, die Kunſt, brennbare Stoffe fortzujchleudern
und jie jo einzuhüllen, daß die Verbrennung gejichert bleibt.
Hauptingredienzien der Brandmiihungen find die verſchiedenen Arten von
Naphta und Erdöl, dann Teer, Harze, Ole, Pflanzenjäfte, Metalle und endlich
Fette verfchiedenfter Tiere: das de8 Seehundes, ded Haushundes, des Bären, des
Wolfes u.j. mw. Dabei iſt e8 bemerfenäwert, daß in diejem ältejten arabiſchen
Feuerwerlsbuche de8 Salpeterd gar nicht gedacht wird.
Der „Zraftat vom Reiterkampfe und den Kriegs—
maschinen“, welchen Ledjn- Eddin- Haßan-Alrammah um das
Jahr 1290 u. zw. „nach Anleitung jeines Vaters, jeines Großvaters
und anderer berühmter Meiſter“ jchrieb, enthält eine volljtändige Ab-
handlung über Feuerwerferei, in welcher der Salpeter bereits die
Hauptrolle jpielt. Zur Reinigung desielben bedient der Verf. jich,
wie es noch heute geichieht, der Holzaiche — ein großer Fortichritt
gegen das Verfahren des Marcus Gräcus [8 6); denn die Wiche
jcheidet die fremden Salze aus, deren Beimiſchung die Wirkung des
Salpeters beeinträchtigt und ihn jchnellem Verderben ausjeßt.
Als Kriegsmittel empfiehlt HakansAlrammah in erjter Reihe Glasbälle, die
mit erplojiblen Kompofitionen gefüllt und mit einem Zünder (ekrikh) verjehen
find. Die Heinjte Form diefer Bälle heißt „Kichererbjen“, die größte ftellte man
ſtatt aus Glas auch wohl aus Baumrinde oder Bapyrus ber; fie hießen „khes—
manat.“ Neben jolhen Wurfgeſchoſſen jchildert der Autor die Feuerlanzen, ins—
) Benlers Bibliotheca orientalis (Leipzig 1846) führt Tein einziges militärijches Wert in
arabifcher, perfiicher oder türfifcher Sprache auf, das Älter wäre als bas 18. Jhdbt. — Graf Münfter
hat 1840 ein Verzeichnis arabijcher Werte über Kriegswiſſenſchaft lithograpbieren laſſen, weldye er im
Orient fuchen ließ. Ich babe e8 nicht zu Geficht befommen. — Bgl. Reunaub: De l’art militaire
chez les arabes au moyen-üge (Journal asiatique 1848, no. 9 ff.)-
Undang. Die arabijche Feuerwerterei. 181
bejondere die jog. „Blumenlanzen“, an deren Spipen Heine Glasgefäße mit
pyrophoren Mifhungen in Geftalt einer Blütenkrone angeordnet wurden. Ähnlich
wurden Armbruftpfeile und Wurffpieße ausgeftattet; ja es werden Spieße darges
jtellt, die faft ihrer ganzen Länge nad) mit Erplofionshülfen befegt find. Auch
Streittolben und Morgenfterne wurden mit Brandjag gefüllt. Sehr außgebreitete
Anwendung findet die Rakete, zumal zur Beflügelung von Brandpfeilen.
Dad Manuſkript befindet fi in der Nationalbibliothet zu Parid. Den
arabiihen Tert veröffentlihten Reynaud und Favé in »Le feu gregeois et les
origines de la poudre à canon«. (Paris 1845.)
Die wirkliche Feuerwaffe tritt dann zuerjt in einem Manu—
jfripte des Aſiatiſchen Muſeums in Petersburg auf. Es iſt dies eine
im 15. Ihdt. für einen Mamelufen-Sultan hergeitellte Kopie einer vom
Anfange des 14. Ihdts. herrührenden Handichrift, als deren Verfaſſer
Schems - Eddin Mohammad gilt, der Sohn des Abu-Belr, Sohn
des Cayym Aldjuziam, welcher in dem bibliogr. Wörterbuche des Hadji
Khalfa als Verfaſſer einer „Kriegskunſt Mohammeds“ genannt wird.
Die eine von diejem arabijchen Autor erwähnte Feuerwaffe iſt
ein geſtielter Handmörjer, der Madfaa!). Er bejichreibt ihn wie folgt:
„Rimm 10 Drachmen Salpeter, 2 Dramen Kohle, 1,5 Drachmen Schwefel.
Dieje made zu feinem Pulver und fülle damit "/s der Höhlung des Madfaa; mehr
nimm nicht, weil er jonjt zerfpringen könnte. Lafje den Madfaa aus Holz drechſeln
und zwar jo, daß die Länge dem Durchmeſſer entjpricht“. (Auch den Zeihnungen
nad ijt die Seele des Madfaa in der Regel ebenjo breit als tief.) Treibe das
Pulver mit kräftigem Stoße hinein; lege einen Bolzen oder eine Kugel (bondoc) ?)
darauf und zünde dad Brandzeug an. Die Länge des Madfaa muß in rihtigem
Verhältnis zur Größe der Mündung jtehen; wäre er tiefer als jene breit ift, fo
wäre das ein Fehler. — Der Schütze nehme fi wohl in adt“.
Die zweite Feuerwaffe ift in der Überjchrift bezeichnet als eine
„Lanze, aus der du einen Bfeil hervorgehen lajjen
fannit, der in des Gegners Brujt eindringt“. Vermutlich hat man
es hier mit derjelben Waffe zu tun, welche etwa ein halbes Jahr:
hundert früher bei den Chinejen aufgefommen war und Toslostjisang
genannt wurde ®).
I) Madfaa (medfaa) = propulsorium, projectorium. m fpäterer Beit = Kanone.
2) Bondok bedeuter urſpruͤnglich „Hafelnuß”, feit dem 10. Ihdt. die mit der Armbruft geworfene
Kugel ; heutzutage ift eslein Ausdruck für Handfeuerwaffe überhaupt.
*) In der Geſchichte per Dynaftie Sung wird berichtet: „Im erften Jahre der Periode Stai-
Khing (1259 n. Eh.) ftellte man die „Banze des ungeftümen Feuers” (to-lo-tsl-ang) ber: Man legte
in ein langes Bambusrohr eine Handvoll Körner (offenbar Bulver und Schrot), legte Feuer an; eine
heftige Flamme brach hervor und die Körner wurben mit einem Geräuſche wie das eines Paos hinaus:
weftoßen und verbreiteten fi bis auf etwa 150 Schritt (Recueil des 24 historiens de la Chine.
Livr. 127, fol. 14). „Pao“ ift eine Steinſchleudermaſchine.
182 Mittelalter. 1.
Die Waffe ftellt fich als eine lange Nöhre dar, deren Wände ziemlih dünn
find. Die Seele hat fünf Finger Breite (Durchmeſſer). Im dieje Röhre ijt ein
Madfaa eingeihoben und mit dem Rohr durd einen jeidenen Faden verbunden,
der durd Löcher in Rohr und Madfaa geſchürzt ijt und den Zwed hat, den
Madfaa zurüdzuhalten, wenn abgefeuert wird. Wie Ladung und Zündung ges
ihehen, wird nicht mitgeteilt und es ift ſchwer zu verftehen. Jedenfalls fann die
Wirkung nur gering gewejen jein. Wenn der Madfaa als Kammer diente, jo
mußte ihn der Rüdftoß im Rohre halten und e8 brauchte des jeidenen Fadens
nit; lag die Bulverladung hinter ihm, jo mußte fie überaus jchwad fein, wen
der Faden nicht reißen jollte,
Man erkennt aus dieſen Schilderungen, daß es jich eigentlich
nur um Spielereien handelt, von denen ein wirklicher Nugen im Ge—
jecht nicht zu erwarten jtand. Die erſten Bejchreibungen brauch
barer Feuerwaffen find abendländischen, deutjchen Urjprungs. ($ 37.)
Neben jenen neuen Waffen zeigt das Petersburger Manujfript
auch all die alten FFeuerwerkstörper in vollem Gebrauche.
Es jind das u. a.: Feuertöpfe, Feuerkolben, Feuerlanzen u. dgl. m. Die Schrift
berichtet auch von einer jeltfjamen Art, ganze Reiter mit Feuer zu umgeben und
dadurch den erjchredten Feind in die Flucht zu jagen — eine Erfindung, die ein
arab. Mipt. der Pariſer Bibliothet (No. 1128, anc. fonds) noch näher erläutert.
Dieje wichtigiten Angaben über die orientaliiche Pyrotechnik find
in dem vom Oberjten Favé bearbeiteten 3. Bande von Napoleons III.
Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie jamt den dazu ge
hörigen Figuren auszüglich wiedergegeben (Paris 1862).
Mittelalter. Il. Die Abendländer. 183
II. Aapitel.
Die Abendländer.
8 15.
Während nach altaermanischer Auffafiung das Kriegführen ein
Recht, ja eine natürliche Lebensäußerung jedes freien Mannes war,
it es bemerfenswert, daß die wiſſenſchaftliche Anjchauung des frühen
Mittelalters, joweit jie unter dem Einfluffe der lateinischen Über-
lieferung jtand, den Krieg geradejo al3 eine Betätigung des Stats-
lebens, als ein Mittel der Statskunſt auffaßte, wie es die Byzantiner
getan hatten. Doch wenn im Often für die „Statswiffenjchaft der Tat“
vor allen Dingen nach praftiichen Behelfen gejucht wurde, die man
am beften in den jtrategijchen und taktiſchen Schriften der Alten zu
finden überzeugt war, jo vertiefen jich die Forſcher des Abendlandes,
den Impulſen ihrer germanischen Blutbeimiſchung folgend, ſofort in
die ſchwierigen Brobleme über die Weltjtellung des Krieges, über jein
Verhältnis zum Chriftentum, zum Völkerrecht, zur Lehnsverfaffung;
jie erwägen die bejondere Berechtigung des Krieges gegen die Un—
gläubigen und jegen diefem den Krieg zwiſchen den Glaubensgenojjen
ald unberechtigt entgegen; fie verlangen bald nicht nur den Land»
frieden, jondern den Weltfrieden, oder fie bejchäftigen ſich doch mit
den Mitteln zur Einjchränfung, zur Milderung, zur Humaniſierung
des Krieges.
Daneben kommen eigentlich Friegswiljenjchaftliche Gegenjtände
jehr jpärlich zur Geltung, anfangs nur in den Encyklopädien, welche,
entjprechend dem Unternehmen Konftantins VII. [$ 9), namentlich von
franzöſiſchen Königen während des 13. und 14. Ihdts. angeregt und
von hervorragenden Getjtlichen bearbeitet wurden; dann in den
literariſchen Nachklängen der Kreuzzüge, welche zu neuen Waffentaten
im heiligen Lande aufrufen und die Mittel dafür nachweiien wollten.
— Auf jene encyklopädiichen Arbeiten jtüßt ſich bejonders die erjte Fleine
deutiche Abhandlung über Kriegskunſt, welche nach der Niederlage
von Sempach der Dechant Johann der Seffner jchrieb. — Die
Heeresverfaffungen deden fich wejentlich mit den Feudalverfajjungen;
doch erläßt man jchon im 12. Ihdt. für beftimmte Gelegenheiten
bejondere Heereögejege, und im 14. Ihdt. treten neben die Schriften
184 Mittelalter. II. Die Abendländer.
über das ritterliche Leben und die ritterlichen Künſte jelbjtändige
Arbeiten über die Feuerwerferei und Büchjenmeijterei, deren Vorläufer
ſich in einzelnen Stellen byzantinischer Schriften, wie in Werfen des
Albertus Magnus und des Noger Bacon finden. Der Boden aber,
auf dem die neue Wiſſenſchaft der Artillerie ihre eriten Schritte tut,
iſt Deutichland.
I. Gruppe.
Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften.
8 16.
Das Verdienjt in einer Zeit tiefiten WVerfalles der Wiljenjchaft
einigermaßen die Kenntnis der alten Klaffifer bewahrt und fort-
gepflanzt zu haben, teilt mit Boethius und Caſſiodorus vor allem der
heilige Jfidor. — Iſidore Hijpalenfis, um 570 zu artagena
von eimer gotischen Königstochter geboren, wurde 594 Biſchof von
Sevilla und jtarb im Jahre 636. Er iſt das helljte Licht der Wiſſen—
Ichaft, das dem Abendlande fait ein Sahrtaujend durch geleuchtet
hat, und jein bedeutendites Werk find die Originum seu Ety-
mologiarum libri XX, eme wahre Encyflopädie des damaligen
Willens, vorzüglich der antiken Tradition und eins der Eoftbarjten
Denfmale für die Gejchichte der Wiſſenſchaft!).
Die ältejte datierte Ausgabe ift die Wiener von 1472, die beite die von
Dtto, weldhe den 3. Band der Lindemannihen Sammlung Corpus grammati-
corum veterum bildet. (Leipzig 1833.)
Die 20 Bücher behandeln: Rhetorik, Aritymetit, Muſik und Aftronomie,
Jurisprudenz und Chronologie, Theologie, Spraden, Anthropologie, Zoologie,
Kosmographie, Geographie, Städtefunde, Mineralogie nebſt Maß und Gewicht,
Aderbau, Kriegswejen und Spiele der Alten, Koftümkunde In kriegswiſſen—
ihaftliher Hinficht find das 5. und das 18. Bud) bemerkenswert.
Das 5. Buch »De juris prudentia« enthält die eriten Keime
des mittelalterlichen jus gentium und des jus militare und
verdient deshalb bejondere Beachtung. Höchſt merkwürdig iſt die
Flare, nahezu modern anmutende Definition, welche der heilige Biſchof
vom Kriegsrechte gibt. Er jagt (V, 4 und 7):
»Jus militare est belli inferendi solemnitas, faederis faciendi nexus,
signo dato egressio in hostem, vel pugnae commissio. Item signo dato re-
) Bgl. Hersberg: Die Hiftorien und Chroniten des Iſidor v. Sevilla (Göttingen 1874).
1. Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften. 185
ceptio; item flagitii militaris disciplina, si locus deseratur; item stipen-
diorum modus; dignitatum gradus; proemiorum honor, veluti cum corona
vel torques donantur. Item praedae decisio et pro personarum qualitatibus
et laboribus justa divisio; item principis portio«.
Das Völkerrecht präcijiert Jfidor folgendermaßen: »Jus gentium est se-
dium occupatio, aedificatio, munitio, bella, captivitates, servitutes, post-
liminia, faedera, paces, induciae, legatorum non violandorum religio, con-
nubia inter alienigenas prohibita«.
(Dieje Definitionen Iſidors erhielten durch Gratian (1150) eine Stelle
im fanonijhen Rechte und wurden jo der zweiten Hälfte des Mittelalterd übers
liefert. Unendlich oft kommentiert, find fie doc jelbjt an der Schwelle der Neu—
zeit nur jehr unvolllommen begriffen worden) !).
Das 18. Bud) »De re militari et ludis veterum« ijt ganz
jummarijch gehalten und bringt (abgejehen von dem die Schaujpiele
betreffenden Kapitel) nur eine Bejchreibung der antiken Kriegs:
initrumente, ſowie einige Angaben über Pferdefunde und Reitkunſt.
dennoch verdienen dieje jpärlichen Daten erwähnt zu werden; denn fie
bezeichnen den Ausgangspunkt der weſteuropäiſchen, germaniſchen
Kriegswiſſenſchaft der nachrömiſchen Zeit.
Bi),
Ein halbes Jahrtaujend verrann, bevor Iſidor einen Nachfolger
fand. Auch dieſer war wieder ein Geiftlicher: Dincent de Beauvais
(Vineentius Bellovacensis) ein gelehrter Benediftiner, der, um
1190 geboren, i. 3. 1264 jtarb. König Louis IX., der ihn liebte,
torderte ihn auf, eine Encyflopädie zu jchreiben, und Vincent ging
darauf ein; allerdings nur im dem Sinne, eine Sammlung wichtiger
Stellen aus den ihm befannten Autoren über die vorzüglichiten
Bıilfensgebiete zu jammeln. So entjtand die Bibliotheca mundi
oder dad Speculum majus?), in dejjen erjtem Teile, dem Speculum
doctrinale, das 12. Buch von militärijchen Dingen handelt?).
Da erkennt man denn freilih, daß der Verfaſſer fich Hier auf einem ihm
iremden Boden bewegt, der allerdings auch wenig bearbeitet war; denn während
Vincent jonjt immer aus möglichjt vielen Quellen zu ſchöpfen judt, folgt er hier
(ediglih dem Vegetius und (bezügl. der Waffen, Kriegsmaſchinen und Kriegs:
—
!, ®8gl. Nys: Le droit de la guerre et les pröcurseurs de Grotius (Bruxelles 1882).
N Nachdem ſchon 1481 zu Bafel eine Auswahl der Schriften Vincents veröffentlicht worden,
erihien das Werk ald Speculum quadruplex 1624 zu Douai. Bol. Schlofier: Vincent? v. B.
hand: und Lehrbuch (Heidelberg 1819).
) Nach Schlofjerd Zählung ; gewöhnlich gilt dies als das 11. Bud).
186 Mittelalter. II. Die Abendländer.
zeichen) dem Iſidor von Sevilla. Da diejer aber jelbft ausſchließlich auf Vegetius
jußt, jo gewährt die Benutzung jeiner Origines feine Bereiherung des Stoffes.
Auf Iſidor führen aud die Betrachtungen über Kriegsrecht zurüd, wenngleich fie
nicht direft auß den Origines jondern aus Gratians Dekretalen entnommen find.
Bon irgend welcher Eelbftändigkeit militärischen Wifjens, von einem Widerſcheine
der Kriegskunſt des 13, Ihdts. jelbjt ift in Bincents Werte keine Rede, und jo fommt
ihm eben nur das Berdienft zu, die Tradition fortgepflanzt und die Kriegskunſt
al8 einen Gegenjtand wiſſenſchaftlicher Doltrin aufrecht erhalten zu haben.
g 18.
Es iſt jchon darauf Hingewiejen worden [A. 8 37], daß bereits
jeit dem frühen Mittelalter Vegetius einen namhaften Einfluß auf
die kriegswiſſenſchaftlichen Anſchauungen der Abendländer ausgeübt
hat. Diefer Einfluß jteigert ji im 13. Ihdt. und tritt fait
überall, ganz bejonders aber in zwei wichtigen Werfen: den libri
tres de regimine principum des Megidius Romanus [$ 19) und
in des Königs Alfonjo X. Leyes de las siete partidas [$ 28)
deutlich zu Tage. Es beruht das auf einer nahen Verwandtichaft Der
Heereszuftände eben diejer Zeit mit denen des 4. Ihdts!).
Die Kriegsverfaffung des ausgehenden Altertums entiprach in
vielen Zügen derjenigen des entwidelten Feudalweſens, das unter der
Berührung mit der orientalischen Kultur einer Neugeitaltung entgegen-
veifte. Wie im 4., jo waren Jauch im 13. Ihdt. Angriff und Ver—
teidigung twejentlich auf die beiden Hauptiwaffen verteilt; jener fiel
der Neiterei und einer nicht zahlreichen, leichtbewaffneten Elite des
Fußvolks anheim, dieje den Mafjen des jchweren Fußvolks. Vegez
preift die meilt aus Barbaren gebildeten Reitergeſchwader jeiner Zeit
als in jeder Hinficht vorzüglich und denen der Alten überlegen,
während jeine Klagen über Entartung und schlechte Ausbildung
durchaus dem Fußvolk gelten. Im 13. Ihdt. decken jich der Haupt:
lache nach Reiterei und Nitterichaft, und dieſe beiteht aus der
Blüte des Kriegerjtandes, während die Maſſe der Fußgänger nur
geringen Wert hat. Vegez gejellt jeiner Neiterei ausgejuchtes Fuß—
volf; er empfiehlt den Angriff per equites probatissimos et velocissi-
mos pedites; jein Linienfußvolf bildet in mehr oder minder fompalter
Mafje das Zentrum der Schladhtordnung, das nicht einmal zum
Gegenjtoße vorgehen, jondern nur den Kampf der aus Reiterei und
1) Bal. Henri Delpech: La tactique au XIII siecle (Paris 1886) II.
1. Antike Reminitcenzen und Lehrichriiten. 187
Leihtbewaffneten zujammengejegten Flügel fichern joll. Die Ver—
hältnifje des 13. Ihdts., namentlich jo weit jie unter dem Einfluffe
der Kreuzzugserfahrungen zur flügelweijen Anordnung der Heere geführt,
erlaubten die Übertragung jener vegetifchen Vorjchriften auf die An-
ordnung der Feudalheere; das Studium begegnete dem Bedürfniffe. —
Auch die allgemeinen Regeln des Römers wurden jorgfältig beachtet.
Mehrfach rühmen die Ehronijten: wie (3. B. bei Steppes 1213 und
Bouvines 1214) das eine Heer mit dem Rüden gegen die Sonne, das
Fußvolk in überhöhender Stellung angeordnet worden jei. Gleich dem
lateinischen Autor zählen auch die Kriegsleute des 13. Ihdt3. die einzelnen
Heeresabteilungen vom rechten zum linken Flügel und geben jenem den
Vorrang. — As Vorausjegung tüchtiger Kriegsleiſtung erjcheint dem
Vegez emme jolide Schutzbewaffnung und gerade eine jolche ward
im 13. Ihdt. mit ebenjoviel Eifer als Erfolg angejtrebt. Vegez
empfiehlt es, die ausgejuchte Mannjchaft mit zwei Schwertern, einem
kurzen und einem langen auszurüjten; die Ritterichaft bewaffnete jich
tatjächlich in diejer Weile. Vegez rät, den Bogen durch die wirkjamere
arcabulista zu erjeßen; im 13. Ihdt. jpielt die Armbruft eine hervor:
ragende Rolle, zumal bei den Plantagenets, den eifrigen Lejern der
Epitoma. Die vegetiſchen Borjchriften Hinfichtlich der Führung der
blanfen Waffen jowie der Feldzeichen finden jich meijt treulich befolgt.
Nicht minder trifft man in den Gebräuchen des Belagerungsfrieges
vielfache Spuren des lateimijchen Autors, und auch die Benennungen,
welche Vegez für die Truppenteile anwendet: turma für Weiter:
geihiwader, cohors und legio für Fußvolf, jind diejelben, welche die
Autoren des 13. Shots. gebrauchen. Zuweilen werden jogar dem
Degez Lehren zugejchrieben, die er tatjächlich gar nicht gegeben hat,
nämlich da, wo es angemejjen jchien, die Anwendung irgend eines
recht erfolgreichen technischen Verfahrens gewiffermaßen durch römischen
Urjprung zu adeln!). Dies zeigt deutlich, wie Hoch VBegez den Menjchen
jener Tage jtand.
8 19.
Bon hervorragender Bedeutung in der Gejchichte der Stats wie
der Kriegswiiienichaft jind des Aegidii Culumnae Romani De
1) 8. B. das Schleudern des Brandfaſſes vor Monafteriolum, von dem Johannes Zuronenfis
ezäblt. Bgl. Alvin Shulg: Das höfliche Leben zur Zeit ber Minnefinger (Leipzig 1879) II, ©. 384.
188 Mittelalter. II. Die Abendländer.
regimine principum libri tres. — Egidio entitammte der
Familie der neapolitantichen Colonna, wurde aber nach jeinem Geburts—
orte Rom gewöhnlich Aegidius Romanus (frzj. Gilles de Rome)
genannt. Noch jung fam er nach Paris, wo er einer der ausgezeid)-
netjten Schüler des hl. Thomas von Aquino wurde, der feinerjeits
wieder ein Jünger des deutjchen Grafen Albertus Magnus war 8 34).
Bald jeiner Gelehrjamkeit wegen Hochberühmt und durch den Ehren:
namen Doctor fundatissimus ausgezeichnet, begann der vornehme
Staliener als Auguftinermönd Borträge in Baris zu halten, und König
Philippe le Hardt, welcher damals für jeinen Sohn einen Lehrer juchte,
wählte den Aegidius. In diejer Stellung jchrieb der Gelehrte um
1280 jein berühmtes Werf, das jeinem edlen Schüler, dem jpäteren
Könige Philippe le Bel, als Anhalt und Richtichnur dienen jollte.
Sn der Folge wurde Egidio General feines Ordens, 1292 Erzbijchof
von Bourges und im Jahre 1316 jtarb er hochbetagt als Kardinal.
Auch Egidios Lehrer, der hl. Thomas, hat ein Buch de regimine prin-
cipum für den König von Eypern geſchrieben, und das Verhältnis beider Schriften
ijt noch nicht völlig Mar geftellt. Der ital. Militärliterator Galeano Napioni
behauptet, daß von dem unter Thomas v. Aquino Namen gehenden Werke, dem
Heiligen nur die beiden erften Bücher angehörten. Hat Egidio ihn fortgeſetzt
und ift er aljo etwa nur der Verfafjer des uns befonder® interejfierenden 3. Buches ?
Der ſpaniſche LKiterarhiftoriter Elemencia erflärt dagegen die beiden Werte,
troß des gleichlautenden Titels, für mwejentlich verihieden, und er ijt in der Lage,
hier zu entjcheiden; denn ſowohl die Bibliotheca nacional zu Madrid als die
Sammlung im Escorial befißt mehrere Codiced® De regimine, von denen die
einen dem bl. Thomas, die andern dem Wegidius zugejchrieben werden.
Die drei Bücher de regimine prineipum jind in der Zeit ge
Ichrieben, da Philipp der Schöne noc Kronprinz war, aljo zwiſchen
1271 und 1285. Das 1. Buch hat einen wejentlich philoſophiſch
moralischen Inhalt; das 2. bietet die Grundzüge der Stats und
Gejellichaftslehre; das 3. Buch endlich geht näher auf das Wejen
des States und auf die Mittel ihn zu beherrichen und zu verteidigen
ein. — Dies 3. Buch zerfällt in drei partes. Der erjte diejer Teile
handelt: »propter quod bonum inventa fuit communitas domus,
civitatis et regni«, der zweite Teil »quomodo regenda est civitas
aut regnum tempore pacis«, der dritte und legte endlich »quo-
modo regenda sit civitas aut regnum tempore bellie. Dieier
Abjchnitt, der etwa den achten Teil des ganzen Werkes ausmacht, gibt
1. Antife Reminiscenzen und Lehricriften. 189
ihm jene militärtjche Bedeutung. Es erjcheint aber jehr merkwürdig,
wie nahe verwandt ſich die Gejamtanordnung von Egidios Arbeit
mit der jiebenhundert Jahre älteren Schrift des byzantinischen Ano-
mus [$ 4) erweilt, die der gelehrte Auguftinermönch doch wohl
ihwerlich gefannt hat.
Der militärische Teil von Egidios Werf zerfällt in
B Kapitel, die fich jehr eng an den Gedanfengang wie an den In—
balt der Epitome des Vegetius anlehnen, aber doch auch manche
agene Betrachtung und manches Streiflicht aus der Zeit des Autors
aufgenommen haben.
l. Quid est militia et ad quid est instituta et quod omnis
bellica operatio sub militia continetur. — 2. Quae sunt regi-
ones illae in quibus meliores sunt bellatores et ex quibus artibus
elegendi sunt homines bellicosi. — 3. In qua aetate assues-
cendi sunt iuvenes ad opera bellica et ex quibus signis cog-
noscere possumus homines bellicosos. — 4. Quae et quod ha-
bere debent homines bellicosi ut bene pugnent et ut eos strenue
bellare contingat. — 5. Qui sunt meliores bellatores, an urbani
et nobiles vel agricolae et rurales.
Dieje fünf der Heeresaujbringung gewidmeten Kapitel jind faft ganz
dem erjten Buche ded Begetiuß entnommen und haben für die Zeit, in der fie
von Colonna reproduciert wurden, d. h. für das durch Feudalverfafjung und Söld-
nertum beherrſchte 13. Jahrhundert eigentlih nur den Wert, ein unerreichbares
Peal Hinzuftellen, fromme Wünſche zu formulieren.
6. Quod in opere bellico, nimium valet exercitatio armo-
rum et quod ad incedendum gradatim et passim et ad cursum
et saltum exereitandi sunt bellantes. — 7. Plura alia ad quae
exercitandi sunt homines. — 8. Quod utile est in exereitu
iacere fossas et construere castra, et qualiter castra sunt con-
stituenda et quae sunt attendenda in construetione castrorum.
Was Egidio in diefen drei Kapiteln von der Ausbildung jagt, ift ebenio
unvermittelt importiert wie der Inhalt der erjten fünf Kapitel. Intereſſant iſt
die Erwähnung und rühmende Hervorhebung der gewöhnlich als „SKriegsflegel“
bezeichneten Handwafje!). Wie völlig Colonna jeine Anſchauung der des Vegetius
unterordnet, erhellt aus der Einbeziehung der Lagerbefeſtigungskunſt in den Kreis
der eigentlichen Truppenausbildung: eine durdaus römiſche Auffajiung, für die
der Autor unmöglidy in feiner Umgebung ein Analogon zu finden vermochte.
— ——
!) Näheres über den Inhalt der Kapitel 1—8 vgl. bei Alwin Schuld: Höfiiches Leben zur
Het der Minnefinger II (Leipzig 1880), €. 160 ff.
190 Mittelalter. II. Die Abendländer.
9. Quae et quod sunt consideranda in bello si debeat pub.
lica pugna committi.
Da kommen denn die alten, wohlbelannten, immer aufs neue bin und
bergewendeten Erwägungen über die Bedenklichkeit und Ungewißheit dead
Kampfes und über die Möglichkeit, die eigene Stärke wie die des Feindes richtig
zu ſchätzen und die Vorteile der Stellung zu würdigen.
10. Quod utile est in bello ferre vexilla et construere du-
ces et praepositos, et quales esse debeant qui in exercitu vexilla
portant et qui equitibus et peditibus praeponuntur.
Died Kapitel hätte eigentlich da8 6. fein müſſen; denn mit den Maßregeln,
die es vorträgt, d. 5. mit der Einrihtung von Truppenförpern und
der Aufſtellungder Befehlshaber, wird die Heeresbildung doch erft vollendet.
11. Quibus cautelis debet uti dux belli, ne suus exercitus
laedatur in via).
Eolonna empfiehlt wie Vegetiuß für den Marſch in Feindesland jorgfäl:
tigite Relognoscierungen, insbeſondere au den Gebraud) von arten. „Wie die
Schiffer Seekarten entwerfen, auf denen die Häfen, die gefährlichen Stellen u. dgl.
in richtigen Maßen verzeichnet find, und welche leicht erfennen lafjen, wie zu
jegein jei, wo man fich befinde und wovor man fid) zu hüten habe ... jo darf
auch ein Heer niemals auf einer Straße vorrüden, auf der es durch Hinterhalte
geſchädigt werden könnte, wenn nicht der Befehlshaber die Beichaffenheit der Wege,
die Berge, Flüſſe und was jonjt auf dem Marjche begegnen mag, verzeichnet
oder abgemalt bei fich hat“. — Nun weiß man ja, dab e8 zu Egidioß Zeit See-
farten (Bortulane) gab; aber Zandfarten werden jonft nirgends erwähnt.
12. Qualiter ordinandae sunt acies si debeamus contra
hostes vel contra adversarios dimicare. — 13. Quod deridendi
sunt in bello omnes percutientes caesim et quod eligibilius est
percutere punctim. — 14. Quod et quae sunt illa quae hostes
potentiores reddunt et quot modis et qualiter debemus hostes
invadere. — 15. Quomodo homines bellatores stare debeant si
debent hostes percutere, et quomodo debeant declinare a pugna
si non sit bonum pugnam committere.
Diefe vier Kapitel handeln alfo von Schlahtordnung, Waffenge
braud, Kampfweije und etwaigen Mitteln, einer Schlacht auszu—
weichen). Sie find verhältnismäßig felbftändig, d. h. fie ftellen die taktiſchen
Lieblingsformen des 13. Ihdts. in den Vordergrund. Für die bejte Berteidigungs-
jtellung erflärt Egidio die runde oder, einem an Zahl ſchwachen, aljo leicht zu
umfafjenden Feinde gegenüber, die zangen= oder hufeifenförmige., Die vieredige
1) Bol, Alwin Schul: Höfifches Leben zur Zeit der Minnefinger II, (Leipzig 1880), ©. 209 f.
%) Desgl. ©. 161, 243, 286 - 238.
1. Antike Reminiscenzen und Lehrichriften. 191
Stellung rät er nur da anzumenden, wo das Gelände dazu nötige Die beite
Angriffsform ift der Keil. — Beim Gebrauche des Schwertes jei der Stich un—
bedingt dem Hiebe vorzuziehen. — Das 14. Kapitel gibt großenteild nur eine
weitere Ausführung des neunten. Bemerkenswert ift e8, dab Colonna das von
Begetius empfohlene Mittel, die Gegner dadurd zu ſchwächen, daß man Zwie—
ipalt in ihren Reihen bervorrufe, verwirft. „Diefe Maßregel”, jo bemerkt der
ritterfiche Kardinal, „ift nicht zu empfehlen, obgleid; Vegez fie vorichlägt, denn
fie jheint dem Anftande zu widerſprechen“.
16. Quot genera bellorum? quot modis devincendi sunt
munitiones et urbanitates, et quo tempore melius est obsidere
civitates et castra. — 17. Quomodo debent munitiones obsideri
et quomodo periculosius impugnari possunt munitiones obsessae.
— 18. Quae et quot sunt genera machinarum eiicientium lapides ;
per quae impugnari possunt munitiones. — 19. Quomodo per
aedificia impulsa ad muros civitatis impugnari possunt muni-
tiones, — 20. Qualiter aedificanda sunt castra et civitates, ne
per pugnam ab obsidentibus faciliter devincantur. — 21. Quo-
modo muniendae sunt civitates et castra.. — 22. Quomodo re-
sistendum est impugnationi factae per cuniculos et qualiter
machinis lapidariis et aliis aedificiis ').
Daß Colonna dem Belagerungskriege fieben Kapitel widmet, zeigt,
welche Bedeutung derjelbe im 13. Ihdt. Hatte. Der Kardinal unterjcheidet drei
Arten, befejtigte Pläße zu gewinnen: durch Durft, durch Hunger oder durch Kampf.
Bei legterem handelt es fi entweder um den gewaltfamen oder den fürmlichen
Angriff, und dieſer bedient fich entweder der Minen oder des Wurfzeugd oder
der Angriffsbauten. Hier find des Verf. Angaben vom höchſten Werte.
Über die Minen (cuniculi) jagt er: „Es gibt deren zwei Arten; entweder
will man fi einen unterirdiihen Weg in die Stadt bahnen, um fie nachts zu
überrafchen oder man untergräbt die Mauer, jtügt fie durch trodene Ballen und
füllt den Hohlraum mit Brandjtoffen. Nun zieht man die Arbeiter zurüd, läßt
die Truppen zum Sturm antreten und legt Feuer an die GStüßballen. Dann
türzt die Mauer ein. Die Galerien müfjen mit Holz ausgelegt werden, und die
ausgeworſene Erde ift zu verbergen, damit fie vom Feinde nicht bemerkt wird“.
Geſchah letzteres, ſo ging der Belagerte mit Gegenminen vor.
„Die Wurfgejhüge (petrariae) zerfallen in vier Arten. Jede von ihnen
hat eine Rute (virga), die man niederzieht und mit Hilfe eine® Gegengewichtes
emporjchnellt. Zumeilen reicht das nicht aus und man muß nod Stride zu Hilfe
nehmen. Um Ende der Rute ift eine Schleuder angebracht. Das Gegengewicht
(am kurzen Arm der Rute) ift entweder fejt oder beweglich oder beides zugleid.
1) Bgl. Alwin Shulg: Höfiiches Leben zur Seit der Minnefinger II (Leipgig 1880),
S. 316—978 unb Band I, ©. 7.
192 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Seit ift e8, wenn ein mit Steinen, Sand, Blei oder jonjt beſchwerter Kajten un—
verrüdbar mit der Rute verbunden ijt. Dieje Art von Maſchinen nannten die
Alten trabucium. Sie werfen am genauften, weil das Gegengewicht ſtets
gleihmäßig wirft; man fann damit faft eine Nadel treffen. Hat man ji) in der
Seitenrihtung geirrt, jo richtet man entiprechend nad) der entgegengejegten Seite:
hat man zu kurz geworfen, jo jchiebt man die Maſchine vor oder wählt ein
leichtere Geſchoß . . . Die Geſchoſſe find daher vorher zu wiegen. — Eine andere
Art, bei der fi) daS bewegliche Gegengewicht an der Rute um eine Are dreht,
nannten die Alten biffa. Hier wirkt das Gegengewicht, weil es beweglich an der
Rute herabhängt, beim Falle ftärfer (denn es verlängert den Hebelarm); daher
wirft die biffa weiter, aber nicht jo genau. — Eine dritte Art heißt tripantium.
Sie hat ſowohl ein feſtes als ein bewegliches Gegengewicht und vereinigt die Bor:
teile der beiden erjten Arten. — Bei der vierten Gattung wird das Gegengewicht
durch Menſchenkraft eriegt: die Leute. ziehen an Striden. Dieje Maſchine wirft
nicht jo große Steine; aber fie ijt leichter jchußbereit zu maden und kann daher
öfter werfen. Alle Arten von Wurfmaſchinen find entweder den beſprochenen
gleich oder aus ihnen entitanden. Die belagerte Zeitung muß Tag und Nacht
beworfen werden; und daher ift nacht? ein brennender Gegenftand an den Stein
zu befejtigen, um zu wiflen, wohin man trifft”.
Berdienfte um die Klarjtellung der bier gejchilderten mittelalterlihen Wurf:
zeuge hat fih Napoleon III. erworben. Die Ergebniffe der "von ihm veran-
laßten Unterjuhungen finden fid) im 2. Bande jeiner Etudes (p. 29 ff.). Neuer:
dings hat General Köhler einen wichtigen Schritt weiter getan!) und Rejultate
gewonnen, denen gegenüber ich meine eigenen früheren Anfchauungen, namentlid)
die Einteilung der mittelalterlihen Artillerie in Hohe und niedere Gewerfe, aufgebe.
Das Trabucium ift der Triboc der Deutihen (ital. trabocco, frzj. tre-
buchet), welcher bereit3 in dem thüringiihen Kriege Ottos IV. (1212) erwähnt
wird. Die Biffa ift die Blide oder Bleide, welce zuerjt in einer Verordnung
Kaifer Friedrich® II. von 1239 urkundlich genannt wird und deren Name in der
Folge auch auf das Tripantium des Colonna überging. Die von diefem unbe»
nannt gelafjene vierte Art der Schleudermajhinen ijt offenbar die gewöhnliche
Betraria, welche immerhin nocd Steine bis zu 6 Ztr. Gewicht werfen konnte.
Vermutlich ift auf diefe Maſchine auch der niederdeutfche Ausdrufd Paderel zu
beziehen. |
EColonna irrt, wenn er annimmt, daß dieje Wurjmajchinen bereit® von den
Alten gebraudht worden jeien?); fie find wahrſcheinlich byzantiniſcher Herkunft
und treten im Abendlande erjt zu Anfang des 13. Ihdts. auf. Er jcheint auch
zu irren, wenn er meint, daß außer dem von ihm aufgeführten Wurfzeuge fein
anderes bejtehe, wenigjtens feine, das auf anderen Prinzipien beruhe. Bielmehr
haben ſich (abgejehen von den großen Windarmbrujten) vermutlich die Katapulte
und der Onager der Alten auch im Mittelalter erhalten, jene (die „Ballifte“ des
!) ſtriegsweſen ber Nitterzeit IIIa (Breslau 1887) ©. 119 ff.
2, In demjelben Jrrtum befindet ſich audy Lipfius [XVI, $ 34).
1. Antike Reminidcenzen und Lehrſchriften. 193
Vegez) als Tarant (mangonellus) diejer unter dem Namen der Mange, Rutte
oder Polers.
Die von Egidio Kolonna erwähnten Angriifsbauten jind: Widder,
Kate, Maus, Sau, Fuchs, Maulwurf, Türme, (Ebenhöhe, Bergfried.)
Aries (Zummler), sus (Soge), vulpes und talpa find Majchinen zur
Brechelegung, teild durch Stoß, teild dur Mauerbohrung. Auch die „Katze“
dient oft diefem Zwede (als „Schildkröte“); meift aber ift unter der Bezeichnung
Katze“ ein Deckungswerk, eine Laufhalle (vinea) zu verjtehen. Dasjelbe gilt
von den musculi. Die Ebenhöhe ift mit einer Yallbrüde (sambuca oder exostra)
verjehen.
Wie bei diefen Angriffsmaſchinen, jo führt Colonna auch in Bezug auf die
Berteidigungsmahregeln die Anweiſungen des Vegetius mit geringen
Anderungen bis auf jeine Zeit fort. Für die Baumeije der Befeftigungen ſelbſt
bringt er nur wenige neuere Angaben.
23. Qualiter construenda est navis et qualiter committen-
dum navale bellum et ad quae bella singula ordinantur.
Egidio führt zehn Kampfweifen zur See auf, deren erjte in der Anwendung
deö ignis incendiarius, d. 5. des griechijchen Feuers beiteht.
Wenn man das Werk des Aegidius im großen und ganzen über-
blikt, jo erjcheint als das verdienjtvollite wiljenjchaftliche Charakte—
riſtikum desjelben: die Einreihung der Eriegskünftleriichen Abhandlung
in ein Lehrbuch vom Leben des States. Der große Grundjat des
Clauſewitz, daß der Krieg nichts anderes jet als die fortgejeßte Stats—
politif nur mit neuen Mitteln, der erjcheint dem gelehrten Kardinal
als eine jo jelbjtverjtändliche Sache, daß er es nicht für nötig findet,
ihn bejonders zu begründen; aber er gibt ihm durch die Überjchrift
des legten Teiles jeines 3. Buches einen Ausdrud, der nicht einfacher
und jchlagender jein kann: »Quomodo regenda sit civitas aut
regnum tempore’belli.e Die Ausführung fußt ja num freilich durch-
aus auf jeinem antiken Vorbilde; die Kriegsverfaffung der eigenen Zeit
it jogar ganz außer Augen gejegt; das Unterjcheidungsvermögen war
in diejer Hinficht noch nicht genügend ausgebildet. Immerhin hütet
ſich Egidio davor, wie es doch jo viele jpätere Autoren getan, das
vegetijche »milese für identijch zu nehmen mit „Ritter“ ; ex umjchreibt
es an- den entiprechenden Stellen mit »bellator«.. Und da, wo
e3 ſich um handgreifliche Dinge handelt, wie bei den Mafchinen zum
Angriff umd zur Verteidigung feſter Plätze, da kümmert er fich doch
auch ganz ernjtlih um die Wirklichkeit, ſtützt jich nicht allein auf jeine
Bücher und jchafft jo ein Werk, das, indem es die alte Tradition
Jahens, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 13
194 Mittelalter. II. Die Abendländer.
aufnimmt, fie zugleich weiterbildet. Mit Necht nennt ihn Naptone:
Il nostro Vegezio del secolo XIII.
Golonnas Werk hat während des Mittelalters eine bedeutende
Autorität 'genofjen und iſt infolgedeffen vielfach abgejchrieben worden.
Hänel citiert in jeinem Manuffriptenfataloge der Bibliothefen Weit:
europas 25 Kopien.
Noch aus dem 13, JHdt. ftammt angeblich der Cod. ms. 448 der kgl. öffentl.
Bibl. zu Bamberg. Aus dem 14. Ihdt. befigt die kgl. Bibl. zu Berlin zwei
Handichrijten (ms. lat. fol. 97 und 429), die Bibliotheca Ashburna in der
Laurentiana eine und eine zweite aus dem 15. Ihdt. Die Bajeler Univerjitätd-
bibliothet Hat zwei Manujfripte: eines von 1459 und eines von 1469.
Schon Philipp der Schöne lieh den lateinifchen Tert von Henri de Ganchy
ins Franzöſiſche überjegen; ind Caftilianijche übertrug ihn Caftrojeriz
um 1340 unter Alfonjo XI VBerdeutihungen kommen unter dem Titel
„Bon der Fürjten Regiment“ feit dem 15. Ihdt. vor. Mehrere Handſchriften
derart bejigt die Hof- und Statsbibliothef zu Münden.
Der erite Drud iſt der Augsburger von 1473. Ein franzöjijcde
Überfegung Simons de Hesdin eridien 1497, die des Henri de Ganchy 1517
unter dem Titel »Miroir exemplaire«e. Eine catalanijde Überjegung wurde
1480, eine caftilianifde 1494, eine limoufinijche 1594 herausgegeben.
Berdeutjcht erfhien der das Kriegsweſen betreffende dritte Teil des 3. Buches
zuerft in Hahns Übertragung (Braunſchweig 1724) und neuerdingd — wenig-
ſtens größtenteil® — in Alwin Schul’ „Höfifches Leben zur Zeit der Minne—
finger”. (Zeipzig 1880.) ')
8 20.
Nicht ohne innere Berührungspunfte mit Egidios Werk it em
Traftat, der unter Philipps des Schönen Regierung von einem avocat
royal u. zw. wahrjcheinlich von dem Normannen Pierre du Bois
geichrieben und jenem Könige gewidmet wurde. Der Titel lautet:
»Summaria brevis et compendiosa doctrina felieis
expeditionis et abbreviationis guerrarum ac litium
regni Francorume. Dieſe ungedrudte in der Barijer National:
bibliothef (No. 10316) aufbewahrte Abhandlung bejchäftigt ſich mit
den Meitteln, welche nötig jeien, um jowohl die Kriege als auch die
I) Die Ed. pr. von 1473 im Beſitz des Verfaſſers. — Vgl. über das Wert: Hahn: De re
militari veterum et mores praesertim medii aevii (Braunjcdhweig 1724). — Conte Galeani
Napiome bi Eocconato : Della scienza militare di Egidio Colonna (Memoiren der Turiner
Alabemie t. XXVIII. 1822. — Bibl. der Berliner Sriegdafademie D. 274). — Müller: Aegidii
Romani de regimine principum liber tres abbreviati per Leoninum de Padua ($eitichrift
für die gefammten Staatswifienihaften 1880).
1. Antite Reminiscenzen und Lehrichriften. 195
inneren Streitigkeiten, die Prozeſſe, ein für allemal glücklich zu beendigen.
Die Niederichrift dürfte in das legte Jahrzehnt des. 13. Ihdts. fallen.
Die Auffafjung diefe® merkwürdigen Verkünders des ewigen Friedens kenn—
zeichnet es, dab er jeine Schrift nicht, wie das jonjt zu geichehen pflegt, etiwa mit
einer Schilderung der Süßigkeiten des Friedens beginnt, jondern mit Auseinander-
jegung der Borteile einer neuen Kriegführung, als deren Erfinder der
Verfafier fich jelbit bezeichnet. Es jei ein ganz verfehrted Verfahren, dab die Stra=
tegie ji gewöhnlich auf die feiten Plätze jtüge, oder eben gegen dieje angriffs-
weife vorgehe, obgleich bei ſolchen Unternehmungen die Ritterjchaft weit weniger
augzurichten vermöge, ald dad mangelhaft gerüjtete und jchledht geübte Fußvolk.
Das müfje aufhören! Die neue doctrina felicis expeditionis et abbreviationis
guerrarum lehrt, die feſten Plätze einfach zu ignorieren, dagegen das feindliche
Gebiet ſyſtematiſch und rüdjichtslos auszuplündern und zu verwüften, um fo den
Feind, womöglid ohne Kampf und ohne die Seelen der Gefahr ewigen Höllen-
jeuerd auszufegen, dur Hunger und Elend zur Unterwerfung zu zwingen. — Hödjt
wünjchenswert jei es, da8 ganze Univerjum der Herrſchaft eines einzigen Volkes,
u. zw. derjenigen der Franzoſen zu unterwerfen, da die Franzoſen ein jugement
plus sür bejähen que les autres peuples, de ne pas agir inconsideröment
et de ne pas se mettre en opposition avec la droite raison!). Demgemäß
entwirft der Berfafler einen wohlerwogenen Plan, wie Philipp le Bel alle
anderen Völker, jei es gütlid durh Verhandlungen, VBermählungen u. dgl., oder
mit Hilfe der neuen Strategie, d. h. aljo durch Weltverwüftung zur Unterwerfung
bringen könne. (E8 ijt daS Berfahren Louis' XIV. in der Pfalz!)
Dies iſt der Inhalt des eriten Teils; der zweite, welcher von
Beleitigung der Prozeſſe handelt, geht uns bier nichts an. Die
Inhaltsſtizze lehrt, wie außerordentlich jtarf bereits um die Wende
des 13. und 14. Ihdts. das Selbitgefühl und die Eroberungsjucht
der Franzoſen waren und wie die legtere fich jchon damals mit der
Masfe des »combattre pour une idee« zu jchmücken verſtand; fie
(ehrt ferner, wie wenig militärisches Willen der Verfaſſer bejaß, der
nicht einjah, dat eben die Feſtungen der Durchführung jeines rohen
Verfahrens entgegenitanden; endlich aber zeigt auch fie den Krieg we-
\entlich als eine Statsaftion aufgefaßt und nicht ungejchieft mit
dem jurtjtiichen Prozeſſe paralleliſiert.
g 21.
In der Zeit der Kreuzzüge hatte der hi. Abt Bernhard von
Clairvaur in jenem Tractatus de nova militia seu exhor-
1) Bol. de Wailln: Un opuscule anonyme, intit. »Summaria etc.» Lu dans les
sceances du 5. et 12. fevr. 1847. Acad. des inscriptions et belles lettres. Vol. XVII.
13*
196 Mittelalter. II. Die Abendländer.
tatio ad milites Templi (ca. 1130) die Berechtigung des „Krieges
für Chriſtus“ nachzuweiſen unternommen ?). Anderthalb Jahrhunderte
jpäter erläuterte eimer der berühmtejten Defretaliften, Benricus de
Segufia (Hojtienjis) im jener Summa aurea super titulis
decretalium aufs neue diefe Frage ?).
Der gelehrte Biſchof von Oſtia unterjcheidet dabei zwiichen denjenigen Sa—
razenen, welche, wie z. B. die in Sizilien, dem Zepter des Kaiſerreichs unter-
worfen find, und denen, welde außerhalb des Reichsverbandes jtehen. >Alii
autem qui dominium Romanae Ecclesiae non recognoscunt sive Imperii
Romani, impugnandi sunt.« (V, rubr. de Sarracenis.) Der Krieg gegen ſolche
Ungläubige heißt ein „römijcher Krieg“ und ijt an und für fi gereht. »Bellum
quod est inter fideles et infideles potest dici bellum Romanum et hoc
justum. Hoc enim Romanum voco quia Roma est caput fidei nustrae et
mater. (I, rubr. de treuga et pace.)
In ganz demjelben Sinne jprachen jich auch alle anderen Kano—
niften aus, und die gleiche Auffafjung begegnet uns bei den Legiften.
Bartolo da Safjoferrato (geb. 1314 F 1357), das Haupt der fog.
Poſtgloſſatoren, unterjcheidet in der Lectura ad Digestum
novum?) denjenigen Teil der Menjchheit, welcher dem römischen
Reiche angehört grundjäglich von den Fremdvölkern, auf die jomit
der antife Barbarenbegriff übertragen wird.
Und zwar umfaßt diefer alle »populi extranei qui non fatentur impera-
torem romanum esse dominum universalem«: Griechen, Tataren, Juden,
insbejondere aber Türken und Sarazenen. (II, De captivis et postliminio re-
vereis et redemptis ab hostibus.)
Dem Bartolo jchließt ich faſt wörtlich der Mailänder Giovanni
de Cignano (F 1385) an, einer der berühmteſten Nechtsgelehrten der
Bolognejer Schule und päpjtl. Legat, der ſich auch) eifrig mit Theo—
logie, Philojophte und Ajtrologie beichäftigte. Er jchrieb um 1360
einen Traftat De Bello, in welchem er das unbedingte Recht des
Bapites auf das hl. Yand verfocht, welcher aber auch anderweitig
hinsichtlich der Auffaffung des 14. Ihdts. vom Kriege jehr interejjant üt.
Lignano zufolge gibt e8 einen geiftigen und einen förperlichen Krieg. Das
bellum spirituale wird im Himmel zwiſchen Gottes Heerjharen und den abge=
fallenen Engeln, auf Erden zwijchen der menſchlichen Seele und den Leidenihaften
geführt. Ebenjo wie diejer Kampf ift aud) das bellum corporale von Gott ge=
jept und unerläßlid und fteht wie jener unter dem Einfluß der Gejtirne. Aber
1) Drud Paris 1645 (IV, p. 96—102). Meuer Abdr. der Ausg. v. 1690: Paris 1839,
2) Ausg. Bafel 1573. *) Ausg. der gefamten Werte Bajel 1562.
1. Antike Reminiscenzen und Lehrichriften. 197
nur dann ijt der Krieg gerecht, wenn er von einem wirklichen Souverain unter:
nommen wird, der kein Oberhaupt über fi hat, und wenn er in der Abficht
geführt wird, zu einem rechtihaffenen Frieden zu gelangen. »Bellum justum
tendit in bonum, nam tendit in paceın et in quietem universi«. In diefem
Sinne braude Gott, ald medicus altissimus, den Krieg ald Heilmittel.
Die merkwürdige Abhandlung wurde mit Zufägen von Paul Lignano als
Tractatus elegans de bello, de repressaliis et de duello jhon im Jahre
1487 zu Bavia mit gotijchen Lettern gedrudt. (Erplr. unter den Inkunabeln
der Salzburger Studienbibliothel.) Sie ift aud dem Traltate De bello von
Paris de Puteo [XV, 8 54] in der Ausgabe von 1525 angehängt.
Doch nicht nur die Nechtsfrage des Krieges gegen die Uns
gläubigen beichäftigte im 14. Ihdt. die beiten italienischen Köpfe;
jondern der Wunjch, die erlojchene Begetjterung für die Kreuzzüge
neu zu entflammen, veranlaßte zwei Abhandlungen, in denen der
militärifchen Seite der Gottesfriege näher getreten tt. Auch
deren Berfafjer waren Italiener.
Der eine dieſer Nachzügler der Kreuzfahrer ijt Marino Sanuto
gen. Torfello (Torrellus), der Sohn eines venetianiichen Senators.
Begeijtert für den Gedanken der Befreiung des hl. Grabes, unter:
nahm er fünf Reifen in den Orient und jchrieb heimgefehrt den Liber
secretorum fidelium crucis super Terrae sanctae
recuperatione et conservatione. Er überreichte ihn 1321
zu Avignon dem Papſte, den er, wie auch manchen anderen Fürjten,
vergeblich für einen neuen Kreuzzug zu entflammen verjuchte.
Das Buch Handelt in drei Abjchnitten von der Möglichkeit und von den
Mitteln die Macht des Sultans zu breden, von den Wegen und der Art und
Weije, einen neuen Kreuzzug zu unternehmen und weiter in 15 Abfchnitten von
den bisherigen Kriegen gegen die Ungläubigen. Dabei werden denn vor allem
die militäriſchen Mittel jorgjam ind Auge gefaßt; bis in die Einzelheiten der
Bewaffnung hinein ift die notwendige Heeredausrüftung durchgeſprochen; Marino
Sanuto zeigt fi ald erfahrenen Ingenieur und erläutert namentlich die Bela=
gerungsmaſchinen recht gut.
Torſello unterſcheidet hinſichtlich des Wurfzeugs die machina communis
und die machina lontanaria, beide mit beweglichem Gegengewicht, alſo Bliden.
Er gibt für die Verhältniſſe der Maſchinen, ihrer Ständer und Seitenſtreben de—
taillierte Angaben, bei denen die Maſſe des Gegengewichtes als Grundlage und
Ausgangspunkt dient; aber ſeine Ausdrucksweiſe iſt zu unklar, um ſichere Schlüſſe
zuzulaſſen. Je nachdem man weit oder kurz werfen will, ſoll man die Krümmung
des eiſernen Hakens am Ende der Rute, an dem ſich die Schleuder befindet, ent—
ſprechend ändern; denn das modifiziere den Abgangswinkel des Geſchoſſes. Dies
198 Mittelalter. II. Die Abendländer.
befteht in einem runden Steine, dejjen Gewicht wieder zur Schwere deö Gegen
gewichtes in beftimmtem Verhältnis zu jtehen habe. — Napoleon III. Hat
nad diejen Vorſchriften ein Geſchütz bauen lafjen, das auf ein Gegengewicht von
8000 kg beredinet war; doch zeigten ſich die Ständer zu ſchwach und die Seiten
ftreben zu fteil angefegt, jo dab man das Gegengewicht nicht über 4500 kg ans
zunehmen wagte. — Intereſſant iſt aud die von Marino Sanujo erwähnte
muschetta (feine Fliege, davon „Mustete“), d. h. ein Geſchoß der großen Stand-
armbrujt, welches wie der vireton eine Art Drall aus Bergamentjtreifen gehabt
zu haben jcheint.
Das Liber secretorum Fidelium crucis wurde 1621 zu Dannover ge-
drudt und findet ſich auch im 2. Bande von Bongars Gesta Dei per 'Francos.
Einzelne wichtigere artilleriftiide Momente hat Napoleon III. hervorge—
hoben in den Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie II, p. 27, 31, 36, 42;
ebenfo General Köhler in feiner „Entwidelung des Kriegsweſens der Ritterzeit“
IlIa, ©. 186, 197. — Intereffanter als in militärijcher Hinficht iſt da8 Wert freilich
noch in geographijcher Beziehung. Torſello hatte den Plan, den Wohl—
ftand Egyptens zu vernichten, die Waren Indiens über Bagdad, Bafjora, Tauris
nad) der afiatiihen Mittelmeerfüjte zu lenken. Er gibt Karten diefer Gegenden
und ift der erfte Europäer, der Afrika als vom Meer umgeben daritellt: eine
Kenntnis, die er wohl im Orient gewonnen, wo Ibn el Vardi bereit? 1252
ſolche Karten gezeichnet Hatte.
Zu gleichem Zwede wie Torjello jchrieb der um 1270 geborene
Baveje Guido da Digevano in der Mitte der dreißiger Jahre des
14. Ihdts. jenen Thesaurus regis Franciae acquisitionis
Terrae-Sanctae de ultra mare, nec non sanitatis corporis
ejus et vitae ipsius prolungationis ete. Guido gehörte zu den
hervorragendjten machinatores jeiner Zeit und verbreitet jich weit—
läufig über alle Arten von Kriegsmajchinen, gibt Zeichnungen der-
jelben und empfiehlt jogar eigene Erfindungen.
Bibl. nationale zu Paris. (Fonds Colbert. No. 9640.) Der Zraftat ijt
nie gedrudt worden.
$ 22.
Mehr oder minder unter dem Einfluſſe derjelben Ideen, welche
Lignano über den Krieg formuliert hat, jtehen drei andere Autoren,
des 14. Ihdts.: Caruſi, Baldus und Bonnor.
Fra Bartolomeo Caruſi, Biichof von Urbino, verfaßte um 1370
einen Tractatus de re bellica spirituali per compa-
rationem ad temporalem.
Dieje Schrift iſt eigentlich weniger ein asketiſches Werk als ein militärifches ;
denn der fromme Berjafjer geht bei feinem jorgfältigen Vergleihe zwiſchen den
1. Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften. 199
Anfehtungen, welde der Ehrijt zu bekämpfen habe, mit dem wirklichen Kriege
derartig ins einzelne, daß er den Gang eines Kriegslehrbuches innehält und ſich
überall auf Frontinus und Vegetius jtügt.
Die Handichrift befindet ſich in der Pariſer Nationalbibliothet und ift,
meines Wifjend, niemals abgedrudt worden.
Baldi degli Ubaldi (1327— 1400) hat in jeinen Kommen-
tarien zum Corpus juris civile und in jenen Konjilien?!)
die Weltitellung des Krieges auseinander zu ſetzen verfucht.
Er fordert fünf Bedingungen für den gerechten Krieg, die er unter Die
Rubrifen persona, res, causa, animus und auctoritas ordnet. Wer Krieg führt,
muß dazu perjönlich befähigt und mächtig fein; das Ziel des Kriege® muß be-
rechtigt jein. Der Krieg muß notwendig fein, darf nicht willfürlic herbeigeführt
werden ?); er darf nicht wildem Rachetrieb entipringen, und endlid muß der Fürft,
welcher ihn erklärt, dazu berechtigt fein.
Bon höherem militärtichen Intereffe als dieje Schriften ijt eine
dritte, welche Honore Bonnor (Bonnet), ein Provencale, Prior von
Salon, verfaßt hat: der auf Befehl König Charles’ V. von Frankreich
für den Dauphin gejchriebene, doch dem SHerricher jelbft gewidmete
Arbre des batailles. Das Werf entjtand um 1380, aljo zu
der Zeit des Schismas zwijchen den römiſchen und den franzöfiichen
Päpſten. Bonnor hofft, daß der Dauphin, wenn er zur Regierung
fomme, den Frieden iwiederherftellen werde. Den Hauptinhalt des
jtatswiljenjchaftlich- militärijchen Werkes bildet eine Darftellung des
mittelalterlichen Kriegsrechtes, doc) jind auch andere Elemente feines-
wegs ausgeichlojjen.
Dem Titel und dem Inhalte entfprechend eröffnen jich einige Handichriiten
mit dem Bilde eines Baumes, in dejien höchſten Zweigen Geiftlicdye um die Tiara,
tiefer hinab Fürſten um eine Krone, darunter dann Ritter um eine Burg und
endlich ganz unten Bauern und Söldner um Beute jtreiten.
In ber einleitenden Widmung jagt Bonnor: »Ce que j'ay mis en mon
livre prend son fondement sur les loix, sur les decrets et sur naturelle
philosophie, qui n'est autre chose que raison de nature, et aura nom ces-
luy livre l’Arbre des Batailles. — Si m’est venue une telle imagination
que je vois un arbre de deuil au commencement de mon livre ouquel à son
dessus vous poves veoir les regnes de Ste. Eglise en tres fiere tribulation
tant que oncques telle ne fut: apr&s pov&s veoir la grande discension qui
est au jour d’hui et Roys et aux Princes... entre les nobles et les Com-
munes, et sur cet Arbre ferai les quatre parties de mon livre.
!) Opera omnia (Benebig 1598).
7, Dem entipricdht ein Paſſus des 17. Titel® der „Boldenen Bulle“ Kaiſer Karla IV., welcher es
verbietet, Fehde⸗ Urſachen zu erbichten (1356).
200 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Das Werk zerfällt in 4 Teile, deren erjter von der Entjtehung
und dem Wejen des Unfriedens Handelt; der zweite jpricht von den
Erjchütterungen der vier großen Reiche der Vergangenheit, der dritte
von den Zweifämpfen und Kriegen und der legte von der jtats-
rechtlichen Stellung des Krieges. — Die Hauptmomente des Inhalts
jind die folgenden:
I. (12 Kapitel.) Quelle chose est bataille? En quel lieu fut
premierement trouue bataille? Des tribullations de lesglise jadis passes
Les sept anges (aus der Offenbarung Johannis.)
II. (18 Kapitel.) Des tribullations des quattre plusgrands
Royaulmes de jadis. Dieſes Kapitel behandelt u. a. folgende Themata:
Comment fut premierement Rome ediffitee. Gouvernement des senateurs.
Du bon roy Alexandre. De la vaillantise de Messire Scipion. De la de-
struction de la cite de Cartaige. De la bataille qui fut entre les Allemans
et les Romains. De messire Scilla ennemy des Romains. De Jullius
Cesar. Du bon prince Octavien. Dont vient Jurisdicetion seigneurale de
tout le monde. Qui fut le premier juge entre les hommes.
III. (8. Kapitel.) Champ clos pour prouuer son droit. — Ce n’est
possible chose que celui monde soit sans bataille? Comant force est prin.
cipal fondement de bataille.e. Comant cognoist on que ung homme a la
vertu de force? Quelle est la plus grande vertu: d’assaillir ses ennemis
ou les atandre? (der Berfafjer beantwortet dieje Frage im Sinne des Angriff;
denn »selon lescripture est plus vertueuse chose de bien donner que de
bien prendre.«< Alſo donner bataille, nidjt prendre bataille!) Pour combien
de choses est ung chevalier bien hardy? Ung homme doit plustot morir
que sen fouir de la bataille.e. Commant doit estre pugny celui qui se part
de la bataille de son seigneur et va combattre les ennemis sans son com-
mandement?
IV. (136 apitel.) Queldroitvientbataille?— Par quelle droit ne
pas quelle raison puet on mouvoir guerre contre les Sarrasins? Se l’empereur
puet commander guerre et quelles gens luy doivent obeir. De les autres
princes que l’empereur peuvt ordonner guerre. Si l’empereur puet ordonner
guerre contre l’esglise? Dieje Frage wird von dem geiftlichen Autor merkwür—⸗
digerweije bejaht; denn die Schrift jage, wer dem Fürften nicht gehorche, der folle
fterben. — Quelles choses sont necessaires & faire bataille? Feldherr und
Truppen. Erſterer, der duc de bataille, werde aud) connestable oder mareschal
de l’ost genannt. Die Truppen müßten tüchtig jein und follten »selon une
glose que nous avons en droit« geordnet werden in 3 ordenances: 1. af&
legion zu 7000 pions und 719 gens d’armes & cheval; 2. ald compaignie zu
20000 (?) & pie und 5000 à cheval, und 3. al® cinquantisme zu 555 homes
à pie und 66 à cheval. Neuerdings jei das freilih nidt mehr Braud, viel:
mehr formiere man die Truppen in batailles von ganz beliebiger Stärke. —
in NE un —
1. Antike Reminiscenzen und Lehrſchriften. 201
Quelles choses appartiennent au bon chevalier, quelles au bon Duc de
bataille? Comant et pour quel cas doivent estre pugnis les chevaliers?
Comant si force est vertu moralle? Comant si force et vertu cardinalle ?
An dieje allgemeinen Fragen reihen ſich einzelne völker- und friegsrechtliche
Erörterungen: über Vaſallenpflichten, Soldredt, Löſegeld u. dgl. m. Eingehend
werden die fragen der Lehnsfolge bei doppelter Abhängigkeit des Vaſallen be:
iproden. Unter den Rechtsſätzen verdient hervorgehoben zu werden, dab in
Konflittsfällen ein Clericus eher jeinem Vater beizujtehen habe ala jeinem Bis
ihofe, und daß die Behauptung, der König von Frankreich jei fein Untertan
(subject) des Kaijers, falſch fei; jener fei vielmehr tatfählih dem Kaifer unter:
geordnet; denn die Schrift fage, e& jolle nur ein Herr auf Erden jein. Diejer
Sag im Munde eines franzöſiſchen Abtes und in einem dem Ktönige von Frank—
reich gewidmeten Buche ift in der Tat höchſt merkwürdig! — Die Prinzipien des
Soldredtes feinen auf Grund der lombardiſchen Gejege aufgejtellt zu jein.
Sie geben Auskunft darüber, wann ein Sold rechtmäßig gefordert, wann er ver-
weigert werden dürfte Ein Ritter, der gegen jeinen Willen vom Könige ins
Feld befohlen wird, habe Anjprud) auf gaige. Die Frage: si ung homme va
en guerre par vaine gloire, s’il doit avoir gaiges? verneint der Verfaſſer,
ebenfo die, ob ein Mann Sold verdiene, wenn er zu Felde ziehe pour piller.
Ferner wird gehandelt über den Erjag geborgter Rüftjtüde, die in der Schladt
verloren: gingen, über das Recht der Yürften, anderen ihresgleihen den Durd-
zug zw verweigern, über die Rechtsfolgen des freien Geleites, über die Erhe—
bung de8 Löſegeldes und über die Folgen des Waffenſtillſtandes. —
Hieran reihen ſich die nicht uninterejjanten Kapitel des Armes et des bannieres,
wobei das Wappenrecht beiprodhen wird, und dad des couleurs des armes
(Gold, Purpur, Azur, Weiß und Schwarz.) — Weiter folgen die Doctrines sur
la nature et condicion de champ clos. Bonnor iſt überzeugt, daß der ge—
rihtlihe Zweikampf zu verwerfen jei; denn .er heiße Gott verfuchen, und
gar nicht jelten unterliege der Unſchuldige. Solange die® Rechtsmittel indefien
gelte, müjje es aud nad) allen Regeln angewendet werden. Niemals z. B. dürfe
etwa in Abmwejenheit de Fürjten die Fürſtin als Kampfrichter fungieren. Der
Angegriffene habe den erjten Streidy zu tun. — In einem Anhange werden
endlich noc die Eigenjhaften guter Kaifer und Könige erörtert.
Bonnors Arbre des batailles bejchäftigt jich, wie aus Diejer
Inhaltsangabe hervorgeht, ganz vorzugsweije mit militärjuriftiichen
Dingen. Taktiſche Fragen werden gar nicht berührt, wenn man dahin
nicht Die trois ordenances de lost rechnen will, oder die Anweilung
zur Wahl des LZagerplaßes, wobei der Verfaſſer jich auf die doctrine
d’un docteur beruft, qui s’appelloit Monseigneur Vejece ou
livre de chevalerie. Seltjum it Bonnors mit Bibeljtellen unter:
jtüßter Nat, die Truppen nicht vor, jondern nach der Schlacht jpeijen
zu lajjen.
202 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Das Werk des provencalijchen Abtes erfreute jich bis ıns 16. Ihdt.
großen Anjehens und wurde jehr oft abgeichrieben und paraphrajiert.
Die Nationalbibl. zu Paris befigt allein 15 Abjchriften des Arbre des
batailles von denen die beiden vornehmiten (Fonds francais 1267 und 1274)
der obigen Inhaltsangabe zu Grunde gelegt wurden. Die Bibl. de Bourgogne in
Brüfjel weijt zwei Manujfripte de Arbre auf (No. 9009 und 9070). In Deutic
land jcheint fi nur eine Handidrift zu befinden, nämlich die der Weſtermannſchen
Gymnafialbibliothet zu Frankfurt a. d. O.). Die Nationalbibl. zu Madrid be-
figt eine von Diego de Valencia im erjten Viertel des 15. Ihdts. hergejtellte Über:
jepung ins Spaniſche: »Arbol de batallas«. Die mit gotijchen Lettern gedrudte
Editio princeps (1477?) befindet fich in der franz. Nationalbibliothet und hat
weder Titel nod Datum. Eine zweite Ausgabe erſchien 1480 zu Lyon; von 1493?)
und 1495 datieren Pariſer Ausgaben, wie die früheren in gotijher Schrift und
mit vielen Holzichnitten verziert. Neuerdingd wurde dad Wert von E. Nys
nad) einer unter Auberts Leitung rezenfierten Brüjjeler Handichrift herausgegeben.
(Brüfiel 1883 >).
Nahe verwandt dem Arbre de bataille erjcheint das Bruchitüd
eines franzöjiichen Kriegsbuches der Berner Stadtbibliothef (ms. 607,3,
das dort den Titel führt: De re bellica, fragm. saec. XIII. (?)
Erhalten find der Schluh des 13. Kapitels, das 20. »Pourquoi la moitie
des gages aux cheualiers doit estre gardee as herberges«, das 21. »Com-
ment cil que ley doit essaucier et legions doivent passer par les degrez«,
da8 22. »De la difference des trompeurs des armees et des clasiques«
(Bläjer) und der Anfang de 23. Kapitels: »Comment ley doit garder que li
cheualiers ne se desconfortent.«
8 23.
Die erjte ſchwache Regung friegswijjenichaftlicher Be—
tätigung in Deutjchland zeigt ſich bemerfenswerterweije unmittel-
bar nad) der jchweren Niederlage DOfterreich® bei Sempach 1386.
Der Verfaſſer jagt: „Des hochgeporen durchleuchtigiten furitens
heerczogs Leopold von Ofterreich ungeordneter Streitt ift mir, Johann!
dem Seffner, dy zeitt techant der jchulen zu Wyenn in geiftleichen
rechten, als jer zu herczen gangen, daz ich ein junder ler der jtreitt
ı) Vgl. über diefe Handichrift den Aufjag von Kreßner: L’arbre des batailles in Herrigt
Archiv für neuere Sprachen LXVII, wo aud ein Teil ber interefjanteften Kapitel abgebrudt ift,
deren Wortlaut übrigens vielfadh von dem der erwähnten Pariſer Manuſtripte abweicht.
2) Die Ausgabe von 1493 ift jeltfamermeife König Charles VIII. zugeeignet.
2) Auszüge aus der Brüfjeler Handichrift bei E&. NyVs Le droit de la guerre et les pre-
ceurseurs de Grotius (Brüſſel und Leipzig 1882).
1. Antike Reminiscenzen und Lehrichriften. 203
hab gezogen aus den puchern der weijen vnd bejunderlic) aus dem
puch Begecii, der von der Nitterichaft hat gejchrieben.“
Wie es bei dem geiftlichen Stande des Autors faum Wunder
nehmen kann, it die „Ler von dem ftreitten“ ohne jede praftijche
Kenntnis aus allerlei Definitionen und Regeln zujammengeitellt,
welche Seffner, jeiner Angabe nach, in den heiligen Schriften, jorvie
bei den Sirchenvätern Hieronymus und Augustinus (4. und
5. Ihdt.), bei Iſidorus 8 16], bei Claudianus (einem Epifer des
4. Ihdts.), bei Vegetius [A. 8 37], bei Sidonius (einem bijchöf-
lichen Dichter des 5. Ihdts.), bei Jakobus Aquienſis (?), bet
Solinus (einem Naturhiftorifer des 3. Ihdts.), bei Valerius
Marimus (dem Berfajfer der „Memorabilien“ 30 n. Chr.), bei
Damascenus (einem Mönche des 8. JHdts.) und bet Jojephus
Flavius (1. Ihdt. n. Chr.) aufgetrieben hat. — Die bunte Blumen—
leſe dieſer Uuellenjchriften fennzeichnet übrigens mehr den Berfafier
als jene Arbeit.
Seffner zufolge hat zuerjt der afiyriihe König Ninus Kriege geführt. —
Nach Fjidor gibt e8 vier Arten von Kriegen: der „gerechte Krieg“ ift der, welder
„von dem cdaijer und von den rechten erlaubt ijt durch widerpringen des erbs
oder zu vertreiben die veind; vnd aljo was der ftreitt gerecht des edelen furjten
Herczog Leupold von Oſterrich; wann er hatt vmb jein vaterleich erb geftritten.“
— Iſt ein Herriher nicht in der Lage, Frieden halten zu fünnen, jo joll er zu—
erſt für gute Kundſchaft jorgen und die „hinderhutt“ vorteilhaft aufjtellen. „So
haben wider den edelen furjten herezog Leupolden die Sweinczer gehabt großen
vortail, wann fie der maljtatt all gelegenhaitt gar wol weiten. Ich hor aud)
jagen, das er ab einer hohen talzu in gelauffen“. — Den verfolgenden Feind
jol man in „haymlich gmus vnd infeln“ verführen, d. 5. in ungangbare® Ge—
fände: Moos, Moor u. dgl.
Das Heer ordnet man meift in drei Teile. „Zu der hinderhutt jol man
getrew, mendlich beherczt Leutt ſchicken, wann deran leit großer troft des ſigs,
ald man das mag merfen an dem ftraitt der zwayer fürften, des vömijchen
Kunigs Rudolffs von Habspurg vnd funig Ottakchers von Beham, des hinderhutt
floh) ab dem jeld, darumb müßt er dernyderligen des ſtryts.“ — Auch eifriges
Gebet verhelfe zum Siege, wie das der Verfaſſer ſelbſt im Jahre 1394 bei Herzng
Albrechts Turnier in Wien erlebt. — Dem geordneten Heere joll der Führer eine
Anrede alten, zur Tapferkeit ermuntern und Lohn verheißen. Denn mit Recht
ihreibe Jacobus Aquienfis, „daz der phaw hat die natur, wenn man jn anſicht
vnd fobt, jo zerjpraitt er jein vedern. Sydonius ſchreibt in „ayner epijteln, jeite
mal daz dy leuff der pherd werden mit geichray geraiczt, michels mer werden ges
raiczt dy leutt, dy naturleichs (068 begerent, wenn man jn dy er vnd lob des
ſigs vorczelt“. — Der Fürft foll fich möglichſt vom Kampfe ſelbſt zurüdhalten,
204 Mittelalter. II. Die Abendländer
wie das auf Verlangen des Volkes aud David gegenüber Abjalon getan. Iſt
e3 aber notwendig, jo darf er freilich das Gefecht nicht ſcheuen: kämpft doch fogar
dad Wiejel mit dem Bafılisfen. — Bon der Flucht jind drei Arten zu unter:
jheiden: „Die erit flucht ift wenn der menſch nit getraut füder zu fommen, vnd
ift der verzagnus... Die ander flucht ift, wenn die chrafft der veind, die man
fuder treibt (?), und heißt der vnerberdait ... . die dritt flucht ift wenn ainer
vrſach hat zu fliehen vnd die iſt leublih!“ So floh David vor Saul. — Ge:
fangene ſoll man jorgjam hüten, „und ijt ain notturfft, den fiechen und gemunden
und erflagen die lieb der menjchait zu erzeigen“. — Iſt der Feind über:
wunden, jo ift der Streit zu Ende, und e8 bleibt nur übrig, Gott zu danken, zu
belohnen, zu jtrafen und die Beute zu verteilen.
Sehr merkwürdig iſt das dringliche Anempfehlen der Sorge um
die „Hinderhut.“ In ihr Elingt offenbar die Erinnerung an Sempach
durch, wo das lagernde Nitterheer, troß jeiner keineswegs unauf:
merkſamen Vorhut, dennoch überfallen wurde!). — Es iſt ein jchöner
Zug, daß in diefem älteften Denkmale deutjcher Kriegswiſſenſchaft, das
fretlih an und für jich recht ärmlich it, der Gedanke der Humanität,
„die lieb der menjchait“ jo warm ausgejprochen wird.
Seffners „Ler“ fteht in einem dem Grafen Attems auf Podgara bei Görz
gehörigen Manujfripte der jog. „Hagenjhen Chronik“ von Öfterreich und jchließt
fih unmittelbar an die Erzählung der Niederlage von Sempach an. Gejchrieben
ift die „er“ um die Wende der Jahre 1394 und 1395; die erhaltene Abjchrift
jtammt aber erjt von 1451®).
8 24.
Dem gleichen Jdeenfreije, wie Seffners „Ler“ entjprang ver:
mutlicd der Pulcher tractatus valde de materia belli et
modis omnibus bellandi, welcher den Sammelcoder qu. 901
der Grazer Univerjitätsbibliothef eröffnet.
E3 find im ganzen 17 Blätter; die folgenden, nicht durchweg
von Dderjelben Hand gejchriebenen Bejtandteile des Duartanten ent-
halten Abhandlungen über den hl. Bernhard, die HI. Elijabeth u. dgl.;
der Goder ijt aljo jedenfalls geiltlicher Herkunft. Die legte Ab-
handlung ift datiert u. zw. von 1396. — Das Liber continens
materiam bellandi enthält 34 Kapitel:
De modo bellandi — Cause pro quibus debet bellari — De modo
bellandi contra affines — De modo addiscendi bellari — Qui sunt apti ad
1) Bol. Bürfli: Der wahre Winkelried. Die Taktik der Urjchweizer (Bürich 1886).
2) Bol. Mart. Maper: Unterfuchungen über die öfterr, Chronik des Matthias oder Gregor
Hagn. (Archiv für öſterr. Beihichte. LX. Bd. Wien 1880.)
2. Heered= und Dienftordnungen. 205
bellandum — Modus docendi pueros ad bellum — De modo vitandi pro-
dieiones — Quomodo oportet deludere inimicos — Quale consilium conue-
niat bellantibus — Quomodo prouisio habeatur in bellando — Alius modus
— De modo habendi victualia — De itinere obseruando per bellatores —
De modo ponendi campum — De custodia habenda — De custodia ducis
belli — De itinere assecurando — De suspectuosis euitandis — De modo
conferendi cum suis sapientibus — Quomodo cognoscantur timidi in bello
— Quomodo debentes bellare debeant admoneri — Quomodo inimici re-
ducantur ad odium ducis eorum — Quomodo inimici omnino non obsi-
dientur — Quomodo debet leuari campus — De modo pugnandi — De
modo eundi ad campum — De quibus debet prouideri in bello — De modo
ordinandi acies — Alia cautela — De signis habendis in bello — Quo-
modo dux debet se exercere in bello — Ubi debet stare dux in bello —
Quomodo debet resisti inimicis — Alius modus ordinandi acies.
Die ganze Arbeit iſt eme Baraphraje der organtijatoriichen
und taftijchen Kapitel des Vegetius. Diejer Autor wird bereits
in der 5. Zeile und nachher noch unendlich oft citiert. Neben ihm,
jedoch nur nebenjächlich, werden auch Caſſiodor und Seneca gelegentlich
angeführt. Dinge oder doch Wendungen, welche nicht bei Vegez vor:
fommen, finden jich jehr jelten und jind dann ohne Bedeutung.
Bemerfenswert erjcheint der bejondere Nachdrud, welcher für den
Angriff auf die Keilform gelegt wird. Der Verfaſſer weiſt darauf
hin, daß fich diejer Formation auch die Meerfiſche bedienen, um die
Flut zu durchſchneiden.
2. Gruppe.
Heeres- und Dienſtordnungen.
8 25.
Eine wiſſenſchaftlicheBßBehandlung des Heeresverfaſſungs—
weſens hat im Mittelalter nicht ſtattgefunden. Auch ſoweit es ſich
um geſetzliche Feſtſtellungen handelt, iſt die Literatur ſehr arm;
doch gerade deshalb darf an dieſen ſpärlichen Überlieferungen nicht
ganz mit Stillſchweigen vorübergegangen werden.
Da iſt denn in erſter Reihe der Kapitularien Karls des Großen
md jenes nächiten Nachfolgers zu gedenken, d. h. derjenigen all»
gemeinen Anordnungen der Reichsgewalt, welche über die eigentümlichen
Rechte der einzelnen Stämme binausgingen und für alle Teile
des Neiches Geltung hatten. Obgleich diejelben allerdings immer
206 Mittelalter. II. Die Abendländer.
nur für den Einzelfall erlafjen wurden und feine organische Gejet-
gebung darjtellen, jo haben fie eine jolche doch weientlich erjegt und
Jind in diefem Sinne jchon im Jahre 827 von dem Abte Anjegiius
von Fontanella gejanımelt worden. Ihre Sprache tt die lateinijche.
In Bezug auf das Heerwejen werden die Kapitularien bedeutend, ſeit
Karl die Kaiſerkrone trug und jeit er als jolcher im Jahre 802 allen
Untertanen einen Eid abnehmen ließ, im welchem jie unterjchiedslos
die Heerbannspflicht auf jich nahmen, die er dann durd) das im
Sahre 803 erlaffene Capitulare de exercitu promovendo näher
regelte. Weitere Beitimmungen, meiſt Milderungen der urjprünglichen
Anforderungen, brachten die Kapitularien von 805, 807, 811 und
813 unter Karl jelbit, 819 und 828 unter Ludwig dem Frommen.
Die Heeresverfafiungsgejepe der Karolinger verfolgen vornehmlich) den Zwech,
die gejamten Streitkräfte des Neiches für den kaiſerlichen Kriegsdienſt verfügbar
zu machen, den Heerbann, welchen das Feudalſyſtem aufzujaugen drohte zu er-
halten, die Scharen der Bajallen aber in möglichit ausgiebiger und wirkſamer
Weile den Statdzweden dienjtbar zu machen.
Die beite Ausgabe ift die in den Monumenta Germaniae historica von
Boretiuß 1883,
Da der Inhalt der Kapitularien großenteils auf Statseinrichtungen
berechnet war, die ſchon im 10. IHdt. verfallen waren, jo gerieten
jie frühzeitig in Vergefjenheit; die bisherigen ungeichriebenen autonomen
Nechte der einzelnen Stämme, ſowie die Lehnsrechte der Bajallen
und die Dienſtrechte der Minijterialen, jpäter die Stadtrechte traten,
an die Stelle des immer undeutlicher werdenden Neichsrechts, 3. T.
auch in Heeresverfafjungsfragen. Indeſſen Haben doch wohl allezeit
gewilje allgemeine Beitimmungen unangefochten Geltung gehabt, wie
das insbejondere aus einer Matrifel hervorgeht, welche ſich aur
die Aufitellung eines Neichsheeres unter Kaiſer Otto II. für emen
Zug nach Italien bezieht.
Abdrud bei Waig: Deutiche Berfajiungsgejchichte VIII, Kiel 1878, ©. 134 i.
Bedeutender als die ottonische Matrifel it die von den Gelehrten
viel umijtrittene jog. Constitutio de expeditione Romana,
welche unter dem Gewande eines karlingiſchen SKapitulares Die
Zujammenjtellung derjenigen Normen enthält, unter denen die Lehns—
leute zur Romfahrt aufgeboten wurden.
Berg, der die Urkunde in den Monumenta Germaniae historica (t. IV
abdruden ließ, wollte ihr allen Glauben abſprechen. Er jegt ihre Entjtehungs-
2. Heered= und Dienjtordnungen. 207
zeit unter Friedrih I. Senkenberg hält fie für das Gefeg eines der ſächſiſchen
oder fränkiſchen Könige, wahrjcheinlich Konrads II. Eihhorn nimmt an, daß
der in einer um 1190 gejchriebenen Handichrift erhaltene Tert wenigſtens 100
bi8 150 Jahre früher entftanden fei. Dönniges Hält die Entitehung unter
Konrad II. für dad Wahrſcheinlichſte. Nitzſch datiert fie vor oder ſpäteſtens
gleichzeitig mit Konrads II. Weihenburger Dienftreht. Weiland vermutet, daß
jie unter Einwirkung des Aufgeboted zur Romfahrt im Jahre 1189 fabriziert jei.
Ficher endlih nimmt an, dab der Konjtitution eine gereimte Borlage zu Grunde
liege, welche vermutlich in der erjten Hälfte des 11. Ihdts. in Lothringen ent:
itanden jei und das damals geltende tatjächliche Recht verzeichnete. Dieje wohl
aus Konrads II. Tagen ftammende Vorlage jei dann zur Zeit Kaifer Friedrichs I.
in die Form eine Gejepes Karls d. Gr. gebracht worden, wobei der Berfertiger
ih jedoch inhaltlich durchweg an die Angaben der alten Vorlage hielt und ſich
lediglich auf erflärende Zujäge u. dgl. beſchränkte, ohne jogar offenbar veraltete
Angaben zu bejeitigen. Demgemäß jei die Konftitution in erjter Reihe als
Zeugnis für die Zuftände des 11. Ihdts. zu betrachten, und ihre Übereinftimmung
mit den anderweitig überlieferten Verhältniſſen des 11. und 12. Ihdts. jei jo groß,
da man fie unbedenklich als glaubwürdige Duelle benupen dürfe !).
8 26.
Das wichtigjte Denkmal praftijchen Kriegsrechts, das ung
aus dem Mittelalter überfommen it, knüpft jich) an den Namen
Kaiſer Friedrichs I. In dem Streben, das Recht zu wahren, hatte
der große Hohenjtaufe 1155 ein Yandfriedensgejeß erlaſſen, welches den
Beginn einer neuen Epoche bedeutete, weil es jich über den provinziellen
Charakter ähnlicher älterer Berfügungen erhebt und dauernde Geltung
für daS ganze Reich beanjprucht. Ihm zur Seite gingen Erlafje zur Er-
haltung des Lagerfriedens, wie der von Aſti im Jahre 1155; dann
aber folgte das bedeutende Heeresgejet vom Juli 11582), welches
‚sriedrich nach eingehender Beratung mit den Fürjten zu Brescia
erließ. Dies Geſetz teilt allerdings mit faſt allen ähnlichen Akten
des früheren Mittelalters die Eigentümlichfeit, daß es Feinerlei
allgemeine Grundjäge aufjtellt, jondern nur einzelne Bejtimmungen
anemanderreiht, die nicht einmal ein deutlich erfennbarer Logijcher
Faden verbindet. Anordnungen, welche jedermann angehen, wechjeln
mit jolchen, die nur beitimmten Kreiſen gelten, vorbeugende Be—
1) Bgl. Fider: Über die Entitehungsverhältnifie der Constitutio de expeditione Romana.
Sitzungsberichte ber Alademie zu Berlin 1873. 73. Band.)
») Bgl. W. v. Biejebredht: Geſch. d. deutich. Kaijerzeit Va. (Braunſchweig 1880) ©. 153.
208 Mittelalter. II. Die Abendlänber.
jtimmungen mit Strafandrohungen; aus dem Ganzen aber ergibt jich
doch ein lebendiges Bild der zeitgenöffischen Zujtände.
Das Geſetz bringt 25 Paragraphen. Davon beziehen fih vier auf Körper:
verlegung, Mord und Totjchlag, vier auf Diebitahl und Raub, zwei auf Brand»
jtiftung und zwei auf Streit und Händel, einjchließlich der VBerbalinjurien zwiſchen
NRittern. Zwei bejchäftigen ji mit dem Auffinden fojer Pferde und vergrabener
Güter, je einer betrifft die Aufnahme Herrenlojer Knehte, da8 Zujammenleben
der Krieger mit Weibern, oder deutjher Männer mit Romanen. Bier Paragraphen
beziehen fich auf die Jagd, zwei auf Warenverteuerung durch Zwiſchenhändler
und das Auffinden von Wein, und endlich handelt je ein Abjchnitt von Verhü—
tung der Feuersgefahr und vom Angriff auf einen mit Reichstruppen bejegten
Plag, der jeltfjamerweije bejonders verboten wird. — Die Strafen find jehr ftreng
und graufam und wurden durch Kirchenſtrafen noch verfchärft.
Überliefert iſt das Gejep von Ragewin, dem Schüler und Gehilfen
Ottos v. $reijing, in Gesta Frideriei imp. lib. III. cap. 26. Den Tert hat
Willmanns in den Monumenta Germ. hist. XX hergeitellt ').
Das Heergejeß jcheint nur für den einen Feldzug gegolten zu
haben, wie denn Ähnliche Verordnungen, namentlich während der Kreuz—
züge, nicht jelten erlajjen worden find: jo die Statuten Henrys LI.
von England (1188) 2), die Gejege Richards Löwenherz (1190) ?)
u.a. m., auf die hier nicht eingegangen werden kann.
Die Kriegseinrichtungen der ſchweizeriſchen Eidgenojjen
fanden ihre Begründung im Jahre 1393 durch den in Zürich be
ichlofjenen, jog. „Sempacder Brief“, den die alten acht Orte be
ſchworen und der über ein Bierteljahrtaujend die Grundlage des eid-
genöſſiſchen Wehrweſens blieb. Er enthält ſowohl jtatsrechtliche Be-
jtimmungen als aud) eine Kriegsordnung im Sinne des hohenjtauftichen
Heeresgejeßes von Brescia.
Der Sempader Brief bejtimmt, daß fein Eidgenofje den anderen berauben
dürfe. Auch bei Auszügen unter dem Bundesbanner bleibt die richterlihe Ge—
walt des Heimatdortes gewahrt. Wer durch zwei Zeugen überwiefen wird, das
er flüchtig vom Banner jei, dejien Leib und Gut verfalle dem Richter. Alles
Plündern ijt verboten bis das Feld behauptet ift; dann mag mit Erlaubnis der
Hauptleute jeder, der im Streit gewejen, auf Beute gehen, dieje aber zu gleiche
1) Bgl. Elaner: Das Heeresgeieh Kaiſer Friedrichs I. (Jahresbericht bes St. Matthias
Gymnaſiums zu Breslau 1882). Bringt fowohl ben latein. Originaltert als die Verdeutſchung. —
Siehe auh Schuld: Das höfiſche Leben II, ©. 221—224 und Köhler a. a. ©. IIIb, 219.
m Abgebr,. in Guilelmi Parvi Hist. Anglicana lib. III, c. 38.
») Abgebr. mit der Chronica Rogeri de Hoveden 11%.
2. Heered= und Dienftordnungen. 209
mäßiger Berteilung ehrlich abliefern. Am Schluſſe heißt es: „Wir ſetzen ouch
vnſer lieben frovwen ze Eren dz deheiner under vns dehein frovwen oder todjter
mit gewaffneter hant jtechen, jlagen noch vngewonlich handlen jol durch dz jie
vn? lafjent zuo fließen in Genade Schirme vnd behuotnufie gegen allen vnſere
pyenden. Es were dann dz ein tochter oder ein frovw zu vil gejchreye® machte
dz vns ſchaden möchte bringen gegen vnſere vyenden oder ſich zu weri ftalte oder
deheinen anfiele oder wurfje...“ Wegen dieſer Rüdficht auf die rauen, die
übrigens auch auf Gotteshäuſer, Klöjter und Mühlen ausgedehnt war, Hat die
Urkunde wohl aud den Namen des „Frauenbriefes“ erhalten.
In Bezug auf die Art der Mannjchaftsaufbringung und das
Verhältnis der Waffengattungen in den ſchweizeriſchen Aufgeboten
bieten die „Reiſerödel“ treffliches Material).
Die Rödel enthalten die Namen der auszuhebenden Leute und die Art ihrer
Bewafinung; ein Eremplar nahm der Hauptmann mit ind Feld; das andere
ward in die Kanzlei gelegt, und daher bergen die Archive der meisten ſchweizeri—
ihen Kantone noch viele alte Reiſe- und Auszugsrödel.
8 27.
Auch für das jeit dem Beginne des 14. Shots. mehr und mehr
in den Vordergrund tretende Söldnerwejen fehlt es nicht an beleh-
renden Dofumenten, unter denen die eigentlichen Soldfontrafte
am merfwürdigiten find. Für Deutſchland bilden der Soldvertrag
Kaijer Karls IV. mit Meinede Schierjtedt v. 1373), das Yübeder
Urfundenbuc (Lüb. 1843—1883), das Soldbuch des deut-
ſchen Ordens vom Jahre 1410, endlich die betreffende Sammlung
des ſtädtiſchen Archives zu Köln a. Ah. hervorragendes Interejje.
Bündnisverträge, die ſich allmählich (zuerft mit Jülich) zu Erbver-
trägen über Kriegsvolksgeſtellung ausbildeten, bietet das Kölner Arhiv vom
Fahre 1251 an. Eigentlihe Soldverträge finden ſich jeit 1387 in ununter-
brodyener Folge vor. Gie bejtehen aus je einem „Prinzipalbriefe“, welhem „Trans:
fire“ jedes einzelnen „Helpers und Dienerd“ angehängt find. Der Soldvertrag
beißt „Firme“ weil er auf bejtimmte Zeit geſchloſſen wird. Jeder einzelne „Sol:
denere“ verpflichtet fi, die „gejtimpten“ (tarierten) Pferde zu halten, fie nicht
zu fandwirtihajtlihen Zweden zu benugen und auf Befehl des Hauptmannes
gegen jeden Feind der Stadt binnen fünf Tagen aufzufigen.
In Frankreich war die Kriegsverpflichtung der einzelnen Kron—
vajallen von fajt jedem unter ihnen derartig verflaujuliert, daß die
2) Bol. v. Rodt: Das bernerifche ſtriegsweſen (1840) und v. Ellger: Kriegsweſen und ftriegs-
funft der Eidgenofien im 14., 15. und 16. Ihdt. (1873).
2, Riedel: Cod. dipl. Brand. II; 2, 539.
ZäHns, Geſchichte der Kriegewifienichaften. 14
210 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Gewalt des Königs jehr bejchränft erjcheint. Zwiſchen ihm und Den
Lehnsträgern walteten fajt unaufhörlich Meinungsverjchtedenheiten über
ragen des Feudalrechts und der Heeresfolge ob, die ihn nötigten,
wohl oder übel, das Lehnsarchiv jedesmal mit ins Feld zu führen.
Als Philipp Augujt 1194 gegen Richard von England zog, wurde
bei Blois jein Nachtrab überfallen und ihm unter anderen Schäßen
das Archiv (chartrier) geraubt. . Philipp gab fich die größte Mühe,
es zurücdzuerhalten, weil es ihm faft unentbehrlich war; aber eben
deshalb weigerte ſich Richard, es herauszugeben !). Sahrhunderte
lang it der Ehartrier im Londoner Tower aufbewahrt worden, endlich
aber jpurlos verichwunden. Aus dem 13. Ihdt. ſind jedoch noch
ziemlich viel franzöftiche Mujfterrollen erhalten: die ältelte von 1214;
Daniel erwähnt deren außerdem von 1226, 1242, 1253, 1271/72
und 1296. Die Heeresgejegliteratur der Franzojen findet jich in Der
großen Recueil des ordonnances vereinigt ?).
Die Bejtimmungen, auf denen das mittelalterliche Kriegsweſen
Englands berubte, hat Rymer in jeine Foedera, conventiones literae
et cujusque generis Acta publica aufgenommen. (Haag 1745).
Für die italienischen Kommunal-Milizen it von be
jonderer Wichtigkeit das im Florentiner Statsarchive unter dem Titel:
»Libro detto di Montaperti« vereinigte Urfundenmaterial vom
Sahre 1260).
Das Buch war in der Schladht, nad) der es benannt ijt, mit dem Yeldherrn-
zelte und dem Fahnenwagen der Florentiner in die Hände der fiegreihen Sienejen
gefallen und von diefen als eins der ruhmvolliten Beutejtüde aufbewahrt worden.
Die Urkunden beziehen ſich auf dad Aufgebot, die Organifation, Verpflegung und
Verwaltung des florentiniihen Heeres; taktiiche Momente werden nur geftreift.
Trefflichen Anhalt für das Verſtändnis des ttalienijchen
Söldnermwejens bietet der Codice degli stipendiarii der floren-
tiniſchen Republik vom Jahre 1369 *).
Eine Sammlung italienijher Soldfirmen, ganz ähnlid wie die des
Kölner Archives, befindet fi) in der Bibliothek des Herzogd von Genua zu Turin,
!) Le Pre Daniel: Histoire de la milice francaise (1721).
2, Bgl. über die militärifh wichtigen Orbonnanzen ben Aufſatz: Code des lois antiques et
Capitulaires des rois de France im Journ. des Sciences militaires, 133, p. 119 unb einen
Artifel im Journ. de l’arm&e, t. II, p. 223.
3, 8. T. abgedbrudt in Ricottis Storia delle compagnie di ventura in Italia (Zurin 1846).
Bol. Hartwig: Quellen und Forſchungen zur älteften Geich. der Stabt Florenz II (Halle 1880), S 297 fi.
u. Köhler a. a. ©. IIIb, ©. 206/7.
* Bol. Ricotti 11 mn. Köhler a.a. ©, ©. 170,
2. Heered- und Dienftordnungen. 211
8 28.
Bon höherem Intereſſe als die meisten der bisher erwähnten Er-
laffe find die militärischen Abjchnitte der Leyes de las siete
Partidas, d. bh. der von Fernando III. von Leon und Kaftilien
begonnenen und von jeinem Sohne Alfonfo el jabio im Jahre 1260
vollendeten Geſetzſammlung, die noch anfangs des 16. Ihdts. als all-
gemeines Yandrecht bejtätigt wurde!). Hier jpielt das taktiſche Ele—
ment eine hervorragende Rolle.
Alfonjo bemerkt im 23. Titel des II. Teils über die Truppen: „Die Alten
(los antiguos), welde den Krieg kannten und übten, haben den verſchiedenen
Formen der Schlahtordnung entiprechende Namen gegeben. Truppen, welche ſich
in gerader Linie ordneten, bildeten dadurch einen haz (d. h. Garbe; vgl. Pha—
lang = Walze); diejenigen, welche ſich im Kreiſe aufftellten, bezeichnete man als
muela (Müpljtein). Den Namen cudo (Keil) gab man der von der Spitze
(aguda) bis zum Bagel (zaga) bejtändig breiter werdenden Anordnung; während
die im Viereck aufgeftellte Mafje ald muro (Mauer) angeiproden ward. it das
Viered jedoch hohl, jo daß e8 einen Hof darjtellt, jo nennt man e8 cerca (Um—
zäunung). Stleinere Abteilungen, welche auf den Seiten eines Haz angeordnet
ind, heißt man ala (Flügel) oder in Spanien ceitara (dünne Wand.) Einen
unregelmäßigen Haufen von ungewifjer Stärke nennt man tropel...
Die haces tendidas (breite Shlahtordnung) erfand man, um
die Truppen in ihrer ganzen Madıt, ja mit einem die Wirklichkeit noch überftei-
genden imponierenden Anjehen auftreten zu lajjen, wodurd) der Feind eingeſchüchtert
und dann feichter befiegt werden kann. Wuhßerdem aber vermag man einen
ihwächeren Gegner wohl auch mit einer jolden Schladhtordnung zu umfafien.
Die Alten jtellten mehrere Hazes hintereinander, um die im Kampfe ermüdete
Schlachtreihe (Treffen, acies) durd) die zurüdgehaltenen zu unterjtüßen.
Die Form der muela ift da anzunehmen, wo ed gilt, fi) nad) allen Seiten
hin zu verteidigen.
Mit dem cufo durchbricht man die Mafje eines fejtgefchloffenen ſtarken
Segnerd. Der Keil ermöglicht den Sieg aud) gegen große Überzahl; denn mit
ihm teilt man den Feind. Man bildet den cußo, indem man in das erite
Glied drei, ind zweite ſechs, ins dritte zwölf Reiter ftellt und jo ftetig verdoppelnd
fortfährt bis die vorhandene Mannſchaft erſchöpft iſt. Iſt deren Zahl nur gering,
jo mag man lieber nur einen caballero an die Spike jtellen, in das zweite Glied
zwei, in das dritte vier u. j. w.
Der muro wird zum Schuß des Gepäds oder der Fürſten bergejtellt, die
in feine Mitte aufgenommen werden. Man bildet ihn bei der Nachhut, während
die Hauptmajje des Heeres im Gefecht jteht.
H Sieis Partidas (P. II, titul. XXIH, ley 16), Madrid, Inprenta Real 1807. Abdrud des
betreffenden Abſchnittes nebft franzöftfcher Überfegung bei Delpech: La tactique au XIII* sidcle
(Barid 1886, I, »Tactique de l’Infanterie«). Dasſelbe mit Verdeutſchung bei Köhler a. a. ©.
Ib, Anhang.
14*
212 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Die cerca oder der corral (Hof) wird gleihfalld zum Schuß des Königs her⸗
gejtellt u. zw. nur von Fußvolk in drei Gliedern. Damit keiner weichen kann,
werden die Leute mit den Füßen aneinandergebunden. Bor ſich jtoßen fie die Spiehe
mit dem Schub in den Boden, und noch weiter vor errichtet man einen Wall von
Seldfteinen, den man mit Wurfjpießen jpidt. Bogner, Urmbrufter und andere
Leute mit Schuß» und Wurfwaffen verteidigen ihn. Sit daß Heer des jo ge-
fiherten Herrſchers fiegreidh, jo beweiſt die Unbeweglichkeit einer ſolchen Truppen
anordnung jeine Verachtung des Gegners, die ſich nicht einmal die Mühe nimmt,
zu verfolgen; wankt dagegen jein Heer, jo findet es an der cerca einen Stüß-
punkt, bei dem es fid) neu ordnen mag und wird dann doppelte Anjtrengungen
maden, das Gefecht wieder berzuftellen.
Bu den alas nimmt man feine Zufludt, wenn die einzelnen Abteilungen
des Heeres zu weit voneinander ftehen; fie füllen dann die Zwijchenräume und
hindern den Feind in diefe einzudringen. Aber auch wenn biejelben eng, ja
vielleicht zu eng beieinander ftehen, find fie nüglidh: fie fönnen dann außen vor=
gehen und den Feind von der Geite fafjen.
Unregelmäkige tropeles braudt man entweder zur Ergänzung der eigenen
durhbrodenen Schlachtordnung oder zum Angriff auf den Rüden des Gegners...
Alfonjo X. war einer der bejtunterrichteten Fürjten feiner Zeit.
Es ıjt fein Zweifel, daß er den Vegetius fannte und zwar nicht aus
zweiter Hand, jondern jehr gründlich. Sein in mehreren Treffen
aufgejtellter haz ijt die Legion des Vegez, jeine muela dejjen orbis,
jein cuno dejjen cuneus; jeine Verteidigungsitellungen find, gerade
wie die des Vegetius, als quasi murus gedacht. Dennoch hat
Delpeh gewiß Recht, wenn er meint, daß es fich in dieſer Ley
der Sieta Partidas Ffeineswegs um bloße gelehrte Nachahmungen,
jondern um die Schilderung der wirklich) im 13. Ihdt. üblichen Ge
jechtsformen handle. Nicht nur, daß die lateinischen Bezeichnungen
überall durch kaſtillaniſche erjegt jind!): auch die Strafandrohungen,
welche das Geſetz abjchliegen, verpflichten die Führer gerade wie auf
die disziplinaren, jo auf die taktischen Vorjchriften, was nur unter
der Vorausjegung geichehen fonnte, daß die Truppen im jtande waren,
fie zu befolgen.
8 29.
Nicht ohne Interefje für das Verftändnis des mittelalterlichen
Kriegswejens, wenn auch feineswegs jo ergiebig als man vorausjegen
jollte, find die Satungen der großen NRitterorden, unter
denen die der Templer die ältejte und vorbildliche it.
I) Schr merkwürdig ift die Bezeichnung haz, welche, indem fie fih an das fpan. Wort für
„Garbe“ anſchließt, zugleich das latein. »acies« wiedergibt.
2. Heered- und Dienjtordnungen. 213
Die Regel der Tempelherru bildet, ſowie jie ung vorliegt,
fein einheitliches Ganzes. In Ermangelung der vermutlich unterge-
gangenen Driginalhandichriften muß man ſich mit drei Kopien aus
dem 13. und 14. Ihdt. begnügen, welche zu Rom, Paris und Dijon
aufbewahrt werden und nach denen neuerdings Henri de Curzon »La
Regle du Temple« herausgegeben hat. (Paris 1886.)
Die Negel beiteht zunächjt aus den Satzungen, auf welcde
jich der Ordensitifter Hugues de Payns 1123 mit jeinen
eriten ſieben Genojjen geeinigt hatte, und mit welcher Teile
der Regeln der Chorherrn vom hl. Grabe und der vom hl. Bernhard
[$ 21] gejtifteten Gijterzienjermönche verbunden wurden. In diejer
Form fand die alte, lateinisch abgefaßte Negel 1128 auf dem Konzil
von Troyes Beitätigung dur) Papſt Innocenz II. u. zw. wejentlich
unter Teilnahme des hl. Bernhard, der in den Fratres militiae templi
das von Gott jelbjt gewählte Werkzeug zur Vernichtung des Islam ſah.
Dieje Regle primitive enthält in militärischer Hmficht nur einige
Angaben über die Ausrüftung der Ritter.
Jeder von ihnen joll drei Rofje und einen escuier haben, der nit um Lohn,
fondern um Gottes willen dient und den der Ritter daher auch unter feinen Um—
ftänden jchlagen darf. Zaum, Bügel und Sporen dürfen nicht mit Gold oder
Silber verziert werden; wer vergoldeten Harniſch befigt, joll ihn übermalen oder
das Gold abfragen laſſen. Schild und Lanze find nie zu verhüllen. Die escuiers
und sergans, welde dem Orden nur auf Zeit angehören, dürfen den weißen
Mantel der Ritter nicht tragen.
Der Urregel reihen jic) die Statuts hierarchiques an.
An der Spige jteht der Maitre, ein mächtiger, doch nicht abjoluter Sou-
verain. Ihm jtehen vier Pferde zu. Sein Stab umfaßt 2 Fröres chevaliers,
1 Frere chapelain (jeder mit 3 ®f.), 1 Frere sergent (2 ®f.) 1 Ecrivain sar-
razinois (Dolmetſcher), 1 Turcople (leichter Reiter), 1 Huffchmied, 1Koch, 2 Fuß⸗
fnechte. Der Meijter führt die Ordensfahne: den gonfanon baucent, und bes
wohnt im Felde ein großes rundes Zelt. — Der zweite im Rang ijt der S6n&chal,
der berechtigt ift, jedem Kapitel beizuwohnen; er darf nicht hinausgeworfen werden
(jetè fors). Sein Stab bejteht au 2 escuiers, 1 compagnon chevalier, 1 fröre
sergant, 1 diacre &crivain und 1 6dcrivain sarrazinois, 1 turcople, und 2 Fuß—
knechten. Er führt diefelbe Standarte und dasjelbe Zelt wie der Meifter. — Der
Mare&chal iſt Bertreter von Maitre und Senehal jowie die höchſte kriegerifche
Autorität und verfügt über des Orden? Waffen und Pferde. Unter ihm ftehen
Provinzial-Marſchälle, namentlih in Tripolis und Antiohien. Sein Stab und
jeine Equipage find ähnlich eingerichtet wie die der beiden erfigenannten Groß—
offiziere. — Der Commandeur de la terre et royaume de Jeru-
214 Mittelalter. II. Die Abendländer.
salem ift Haupt der erjten Ordensprovinz und Großſchatzmeiſter. Sein Gefolge
entipricht dem der jchon beſprochenen Gebietiger; außerdem umfaßt e8 den nod
zu erwähnenden Drapier. Dem Kommandeur unterjtehen die Fermen und Do—
mänen ber Provinz; er verteilt die Brüder derjelben und verfügt über die Kriegs—
beute mit Ausnahme derer an Waffen und Rofien, die dem Marſchall zufallen,
und unter ihm jteht auch der Hafen von Acre mit feinen Schiffen. — Der Com-
mandeur de la cit& de Jerusalem bekleidet zugleich die Würde des
Hospitalier de8 Ordens; er wadıt über das Geleit der Pilger und rüjtet jie mit
Lebensmitteln und Pferden aus. Auch ihm fteht die »tente ronde« zu, um
möglichit viel Gäfte beherbergen zu können. Zehn ihm gejellte Ritterbrüder jind
mit dem Geleit der Pilger und der Wade bei den Reliquien des bl. Kreuzes be—
traut. — Die Commandeurs de Tripoli et d’Antioche jtehen den
beiden andern Provinzen des Orient? vor und find entſprechend außgejtattet.
Dagjelbe gilt von den Kommandeuren in den Provinzen des Abendlandes, von
denen die Regel erjt Frankreich, England, Poitou, Aragon, Portugal, Bouille
(Apulien) und Ungarn erwähnt. — Der Drapier bejhäftigt jih mit allem,
was die Kleidung der Brüder betrifft. — Außer diejen Großoffizieren jtehen über
den Ritterbrüdern in den Provinzen die Commandeurs des maisons
und, als Lieutenants des Marſchalls, die Commandeurs des chevaliers,
welche im Felde je einer »estage« (Rotte oder Reihe) von Rittern befehligen. —
Seder Chevalier hat, wie jchon erwähnt 3 Pferde und 1 ecuyer; nur aus—
nahmsweiſe wird ein viertes Pferd und ein zweiter Knappe zugelajien. Jeder
hat ein Zelt für fich und fein Zubehör. — Unter den Freres sergents ragen
fünf hervor: der Sous-mar6chal, der Gonfanonier, der Cuisinier, der Ferreur
und der Commandeur du port d’Acre, deren jedem 2 Pferde, 1 Knappe und
1 Belt zuftehen, während die andern Sergents, jelbft wenn fie Hauskommandanten
find, nur 1 Pferd haben. Der Untermarjchall ift eine Art Intendant, fein Kriegs»
befehlshaber; der Gonfanonier waltet ald Haupt aller Ecuyers über deren Mannes:
zudt und Haltung. — Eine ganz bejondere Stellung nimmt der Turcoplier ein,
das Haupt der Turcoples, der leichten Hilfstruppen des Tempels. Wie den
Großwürdenträgern jtehen ihm 4 Pferde zu, und er darf auch Ritterbrüdern bis
zur Zahl von neunen befehlen; zehn müſſen dagegen ſtets unter einem Comman-
deur de chevaliers jtehen, dem dann der Turcoplier ebenfalls gehordt. Steht
diefer indefjen an der Spike jeiner Turcopolen (ein Ausdrud mit dem auch eine
leichte Reitergarde der griechiichen Kaifer bezeichnet wurde) jo empfängt er jeine
Befehle nur vom Meijter oder vom Marihal. — Mit dem Berpflegungsdienft
im Felde wurden bejondere Commandeurs de la viande betraut.
In taktijher Hinjiht formierten ſich die estages der Ritter zu
seschieles« (Staffeln, Schwadronen); denn es heißt in S 103 der Regel:
Quant il est guerre et cris lieve, les commandeors des maisons doivent
leur proies recuillir... et tuit venir en l’eschiele dou Mareschau, et puis
ne s’en doivent partir sans congie. Et trestous les freres sergens doivent
aler au Turcoplier. Et trestous les freres chevaliers et tous les freres
sergens et toutes les gens d’armes sont au commandement dou Mareschau
2. Heereö= und Dienftordnungen. 215
quant il sont as armes«. Das gejtaffelte Geſchwader war, wie eine jpäter an-
zuführende Stelle deutlich erfennen läßt, als »pointe«, als Spitz, d. h. als
Schlachtkeil formiert, geradejo wie die Reiterei auch nod im 15. Ihdt. focht.
Einige Angaben über den Lagerdäenſt finden fid in den 88 148—155
unter der Überſchrift: »Coment les freres doivent prendre herberge«. Eine
Kapelle bildet den Mittelpunkt, um den die Ritter lagern, was erjt auf gegebenen
Befehl geihehen darf: »Herberges vos, seignors freres, de par Dieu!« Zus
nächſt der Kapelle liegen die Zelte der Würdenträger und das für die Lebens—
mittel. Kein Ritter darf ohne Erlaubnis zum Furragieren reiten, fich überhaupt
nicht aus Rufweite entfernen und nicht ohne Befehl abjatteln. Die Nationen der
Pferde verteilt der Granatier, die der Menſchen der Commandeur de la viande,
und jedermann bat fich beim Empfang in der Reihenfolge zu halten und fid)
genügen zu lafjen.
Marihdienjt. »Coment li frere vont en rote. ($ 156—160). Nies
mand darf jatteln und auffipen bevor es der Marſchall befohlen, jeder hat darauf
zu achten, da nichts vergefien wird. Beim Aufbruch folgen dem Ritter jeine
$nappen; aber wenn die Marihordnung eintritt, haben jie ihm vorauf zu reiten.
Nachts Hat man fich till zu Halten. Reiten mehrere Ritter hintereinander und
der eine will mit dem andern reden, jo foll das immer in der Weije gejchehen,
daß der vordere nad) hinten reitet, damit die Knechte jtet3 überjchaut werden, und
jo, daß der Zug nicht durch den Staub des Hin- und Herreitenden behelligt wird
(aljo unter dem Winde), Sonſt darf feiner feinen Blaß verlafien, niemand neben
dem Buge herreiten, und jobald »cri lieve en route« hat jeder zu Schild und
Lanze zu greifen und auf des Marſchalls Befehl zu warten.
Vorſchriften für das Gefecht. »Coment doivent aler en eschiele
les freres«. ($161—163). Wenn die Brüder in Gefchwader gereiht find (sont
establis par eschieles) darf fein Ritter von einem zum andern gehen noch auch
aufjigen ohne Erlaubnis. Beim Marſch im Gejchtwader reiten die Knappen,
welche die Langen der Ritter tragen, diejen voraus; die mit den Pferden folgen
ihnen. Niemand darf torner la teste de sa beste devers la coe por baeter
(fämpfen), ne por cri, ne por autre chose, puisqu’il vont en eschiele. Um
ſich mit Helm und Lanze zu bewaffnen, bedarf es der Erlaubnis, nicht jo, wenn
der Ritter nur die coiffe de fer, die Maichenfapuze, iiber das Haupt werfen oder
wenn er durch einige Bewegungen feines Pferdes prüfen will, ob der Sattel gut
gegurtet ift. Auch einen unterliegenden Bruder beizuftehen, mag der einzelne
Ritter dad Glied verlafjen, Hat aber nad vollbradhter Hilfe jofort in dasfelbe
zurückzukehren. — »Quant le Mareschau prent le confanon por poindre«
(anzugreifen; $164—168). Wenn der Marjchall aus der Hand des Untermar—
ihall3 die Standarte nimmt, um zu attaquieren, jo joll er 5—10 Ritterbrüder
bejtimmen, ihn und die Standarte zu wahren, und dieje haben nun bei ihm aus—
zuarren und dürfen fi nur injoweit am Gefecht beteiligen, als es in ihren
unmittelbaren Bereih kommt. Die andern Brüder dagegen mögen den Feind
vorn oder hinten, recht3 oder links angreifen, doch jo, daß fie den Standartens
haufen und diejer fie ſtets unterftügen fünne. Einer der Kommandeurs joll einen
216 Mittelalter. II. Die Abendländer.
zufammengerollten Gonfanon an der Lanze tragen, um die offene Standarte zu
erjegen, falls diefer irgend ein Unglüd zuftieße. Ind wenn der Marſchall verwundet
oder abgeſchnitten würde, jo daß er ne peust fornir la pointe, d. 5. daß er den
Spig (den Schlachtkeil) nicht Herzujtellen vermödte, jo ſoll der Ritter mit dem
Gofanon ploié das an feiner Stelle tun. Die eschiele der Ritter darf, nahdem
fie gebildet worden, unter feinen Umftänden ander ald auf Befehl des Meijters,
bezügl. ſeines Stellvertreter®, wieder aufgelöjt werden, es ſei denn, daß fie mit
Gewalt zerfprengt werde, oder daß ein Engweg zum Abbrechen zwinge und man
gehindert fei, rechtzeitig die Erlaubnis zu erbitten. Über Ungehorjame wird jtrenges
Gericht gehalten und ihnen das Recht abgeſprochen werden, das Ordenslleid zu
tragen. Niemand darf aus den Reihen weichen; jelbft Berwundete Haben erit
um Erlaubnis zu bitten, wenn jie zurüdgehen wollen, und fall fie das nicht
vermögen, jo haben jie einen Bruder damit zu beauftragen. Ritter, welde von
ihrer Standarte ablommen, müſſen ſich baldmöglichſt der nächſten anſchließen,
wenn nicht einer des Tempels, ſo einer der Hoſpitaliterritter oder überhaupt der
Chriſten. Auch in dem Fall, den Gott verhüte, daß die Chriſtenſcharen geſchlagen
würden, darf doch kein Ritter dem Schlachtfelde dem Rücken wenden, um die
guarison aufzuſuchen, ſolange noch die Standarte flattert (tout come il y eust
confanon baussant en estant). Der Fahnenflüchtige wird für immer ausgejtoßen.
Den hierarchiichen Teil der Regel ergänzt der Abjchnitt über die
Election du Grand Maitre du Temple; daran reihen jich
die Strafbeitimmungen (Penalite) und endlich ausführliche Vorjchriften
über die Vie conventuelle, unter denen die SS 366—375
(Discipline de la campagne) noch einige Ergänzungen bzgl. der
Haltung im Lager bringen. Dann folgen Normen über die Tenue
des chapitres ordinaires, Nachträge zum Strafwejen und
endlich die Formen bei der Reception dans l’ordre.
8 30.
Nach dem Vorbilde der Templer bildete jich die jchon im 11. Ihdt.
organtjierte Genojjenichaft der Hojpitaliter ebenfalls zu einem
geiftlichen Ritterorden, dem der Johanniter, um, dejjen eriter Meiſter
Raimund de Buy (1150) war, von dem auch die Regel des Ordens
jtammt. Die urjprüngliche Faſſung derjelben iſt freilich mit dem
Haupthauje zu Accon 1291 verloren gegangen; doch haben jich
jpätere Redaktionen erhalten?).
Die militärische Organijation war jehr jorgfältig durcdhgebifdet und murde
auf den Ordendfapiteln durch ausführliche Bejtimmungen immer neu geregelt.
») Bgl. Herauet: Der Johanniterorden und feine Berfaffung (Würzburg 1865).
2. Heered- und Dienjtordnungen. 217
Namentlich ließ man ſich die Beſchaffung des Kriegsmaterials angelegen ſein, mit
dem außerordentlich ſparſam umgegangen wurde. Genau war feſtgeſtellt, was
jeder von den Würdenträgern an Pferden, Waffen und Dienern zu beanſpruchen
hatte, und alle Ritter waren verpflichtet, die ihnen aus den Ordenskammern ge—
lieferten Kleider und Waffen in gutem Zuſtande zu erhalten und die durch ihre
Schuld beſchädigten Stücke zu erſetzen. Bevor ſie neue erhielten, mußten die
alten abgeliefert werden.
8 31.
Aus dem Johanniterorden zweigte ſich zu Ende des 12. Ihdts.
der Orden der Deutſchen Herren zu S. Marien ab, deſſen
Regel 1198 von Innocenz III. beſtätigt wurde. Die älteſte Faſſung
der Statuten iſt die lateiniſche (nicht, wie man bisher annahm, die
mitteldeutſche).) Urſprünglich ſtimmte die Regel der Deutſchherrn
mit der Tempelregel überein; im Jahre 1245 wurde ſie revidiert
und ihr, wahrſcheinlich von dem Kardinal Wilhelm v. Sabina, eine
neue Faſſung gegeben. Im diejer erjcheint jie al8 eine Zuſammen—
arbeitung der Regeln beider älteren Orden: was ſich auf die Kranfen-
pflege bezieht, ijt der Regel der Hojpitaliter entlehnt, während Die
Beitimmungen über das Kriegswejen faſt wörtlich) den Statuten
des Tempels entnommen jind.
Da in jeder Komthurei eine Abjchrift der Statuten befindfich jein mußte,
haben fich deren mehrere erhalten. In der Schloßbibliothel zu Königsberg be-
finden ſich allein fünf (drei deutjch, eine fatein. und eine deutſch und franzöſiſch),
welche vielfach; voneinander abweihen?). Auf dem großen Kapitel zu Marien:
burg wurde i. 3. 1442 beichlofien, ein Normal-Manuſkript Herzuftellen. Dies
fog. „neue Ordensbuch“, welches im Geh. Archiv zu Königsberg aufbewahrt wird,
ift unter dem Titel: „Die Statuten des Deutſchen Orden?“ von Ernit
Henning mit einem Glofjar und einigen Erläuterungen herausgegeben worden.
(Königsberg 1806).
Die Gejamtjtatuten des deutjchen Ordens zerfallen in die
39 Kapitel der Regel, die 52 Kapitel der Gejege und die 64 Kapitel
der Gewohnheit. — Die „Regeln“ gliedern jich wieder in Drei
Teile: der erjte jpricht von den drei vornehmen Gelübden (Keujchheit,
Gehorjam, und Armut), der zweite vom Spitaldienit, der dritte von
1) Bel. Perlbach: Duellenkritit der Deutfchorbensftatuten in ben, dem Andenlen an G. Waitz
gewibmeten hiftor. Auffägen (Berlin 1887).
*) Auch im inneren Deutfhland finden ſich natürlich Eremplare der Orbensitatuten ; jo befigt
J. 3. bie fol. öffentl. Bibl. zu Bamberg eine Handſchrift berjelben aus dem 15. Yhbt. (ms. 1191),
218 Mittelalter. II. Die Abendländer.
bejonderen Pflichten der Ritter. Diejen dritten Teil führen Die
„Geſetze“ und „Gewohnheiten“ gewiljermaßen näher aus. —
Was die Statuten an rein militärtifchen Dingen enthalten, tt
übrigens weit weniger, als man erwarten Jollte.
Dad 24. Kapitel der Regel, welches von den Dingen handelt, „di czu der
vitterfhaft geboren“, weift darauf hin, daß es gar manderlei Waffen und
vielfahe Kampfweife gebe; es verzichte daher auf bejondere Vorſchriften; alles
wird der „beicheidenheit”, d. h. der Entſcheidung deſſen überlafjen, „der der obirjte
vnd' den bruderen iſt“; ihm jollen die „witczigiften bruderen des landes, do man
ynne vrliougit, ader di do fegen’w’tig ſint“ mit ihrem Rate beiftehen. Die Haupt:
jadhe bei allen Kriegshandlungen ift der Gehorjam, der jei „die ubirguflde allir
guten dinge® (Gef. 36); zu der „allerjwereftin jchult“ aber zählt es „ap ein
bruder von deme vanen oder von deme here vluhet als der vorczagete”. (Geſ. 46.)
„Alle die brudere, die der wapene pflegen, die geboren zcu deme marſchalke
vnde jullen im vndertenig jein nehijt deme meijtere“. Unter ihm jteht die Ge—
jamtausrüftung mit Waffen und Rofien. In feiner Abweſenheit vertritt ibn
der „grojltumpthur.“ (Gew. 20—22.) Der marjdall jal nit an vrloup des
meijter8 (ap her fegenwertig ijt) an die viende jprengen noch heizen fprengen
(d. 5. angreifen), is enjei denne, da8 jogetane not darczu tivinge. (Gew. 25).
Niemals darf ohne Befehl gejattelt noch „getroßt” und aufgebroden werden.
Beim Marjche reitet der Nitterbruder jeitwärt® oder Hinter feinen Knechten—
um jie ftet3 im Auge zu haben. Jeder hat feine Stelle genau innezuhalten und
„zeu fere gahen jal man do meiden.“ Reitet man über ein Waſſer, fo darf
während des Marjches nicht getränkt werden. (Gew. 45—47.) Angegriffenen
- Abteilungen Haben die Nachbarn jofort zu Hilfe zu eilen. (Gew. 48.) Ohne Er:
laubnis darf weder abgejattelt nod) gefüttert werden. „So der vane gejegt iſt,
vmme den jullin fie Herberge nemen zeu ringe“, u. zw. find die Zagerhütten io
anzulegen „das die bejtien (Pferde) innewendig fein“. (Gew. 49—51.)
Spärlid find die Vorjchriften über das Gefecht. — „Wenne der marichalc
ader der, der den vanen furet, jprengen jal an die viende, jo fal ein jarriant»
bruder einen vanen furen, vnder deme ſich die knechte jammeln vnd beiten (ab—
warten), bis da8 got ir herren wider gejendet. Nirnkein bruder jal an vrloub
jprengen, e denne der gejprengit hat, der den vanen füret (vgl. Gew. 25); wenn
ouch d’hat gejprengit, jo mag ein iclihir tun, das fein Hercze geweizet, vnd doch
aljo, das er, jo en daS dundet czeit, wider zcu deme vanen feren. Die brudere,
den d’vane beuolen ijt, die thun bei deme was fie müczen, jo das fie ſich do von
iht verren“. (Bew. 60). — Strenger Gehorjam, Aufmerkſamkeit auf die Befehle
und möglichit fejte® Zuſammenhalten — das ijt aljo eigentlih der Inbegrifi
der gejamten Kriegskunſt der Deutjchherrn, jomweit fie aus den Ordendjtatuten
erfennbar ijt. — Über die Hilfstreitfräfte der Ritter: die Zurcopelen, d. b
die leichten Reiter, die Knechte, und die in caritate, db. h. als unbejoldete Frei-
willige dienenden Genoſſen Handelt ein bejonderes Geſetz de Hochmeiſters
Konrad v. Feuchtwangen.
3. a. Das Ritterwejen. 219
3. Gruppe.
Werke über einzelne Dweige des mittelalterlichen Kriegswefens.
a) Das Ritterweſen.
8 32.
Im Mittelpunkte der ritterlichen Zeitinterefjen und deingemäß der
ritterlichen Literatur jteht das ZTurnierwejen. Aber auch mit anderen
Kreiien des Sports: Waffenjpielen, Jagd, Pferdezucht, Meitkunft,
jowie mit dem höfiichen Cäremonial u. dal. iſt das Witterweien jo
eng verfnüpft, daß jene Literatur den ftrengeren Charakter eigentlich
friegswifjenichaftlicher Haltung niemals gewonnen hat und demgemäß
diejes Gebietes hier nur andeutungsweile gedacht werden darf.
Die Blüte des deutjchen Rittertums und mit ihr die des Turnei
fällt in die Zeit der ſtaufiſchen Kaiſer. Doc, haben jich aus diejer
feine fachwiſſenſchaftlichen Werfe erhalten; unjere Kunde fließt viel-
mehr faſt ausschließlich aus den höfiſchen Gedichten, von denen als
glaubwürdigjte Quellen der „Biterolf*, jowie die Werfe Wolframs
v. Eſchenbach und Ulrichs v. Lichtenjtein gelten). Bejonders wertvoll
erichemmt Ulrichs Schilderung des „Zurnay von Frijach“ am
13. Meat 1224, eines Kampfſpiels mit gejchlojjenen Schlachthaufen ?). —
Eine Satire iſt: The Turnament of Tottenham or the wo-
veing, winning and wedding or Tibbe the Reeves daughter Ther,
welche um 1300 Gilbert Pilfington, Pfarrer zu Tottenham jchrieb?).
Wenig jünger dürfte des Konrad vom Würzburg „Turnei von
Nantheiz“ jein, ein Gedicht, das ein Turnier Richards Löwenherz
feiert*). — Ein ebenfalls hieher gehöriges franzöftiches Werk führt
den Titel: C’y est ly traitie de cheualerie a tous allans
et venans, translat& du latin en langue vulgare en 13775). —
Am lebendigſten jchildert das Qurnier des 14. Shots. Peter der
Suhenmwirt, den man den „Stnappen von den Wappen“ nannte,
weil er der berühmtejte Wappendichter jeiner Zeit war. Er begleitete
1377 den Herzog Albrecht III. zum Ritterzuge nach) Preußen, und jeine
1) Aus diefen Dichtungen hat Niedner vorzugäweije den Stoff für jeine Schrift „Das beutiche
Zurnier des 12. und 13. Ihdts.“ geihöpft (Berlin 1881).
2) Abbrud u. Erläuterung bei General Köhler a. a. D©., IIIb, ©. 362 u. 20.
s, Ausg. von Bodwell (1681) und bei Berchy: Ancient Engl. Poetry p. 9.
*) Ausg. von Bartich (Wien 1871).
5) Ausg. bei NRoifant be Brieur: Recueil de pi&ces en prose et en vers (Gaen 1671).
220 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Gedichte Hallen wieder vom Lobe und freudig begeijterter Schilderungen
des Turniers!).
Den volliten Glanz ritterlichen Lebens jtrahlt das Buch des
jtreitbaren Bafton de foir, genannt Phoebus, aus, jenes Seigneurs
de Bearne, der 1331 geboren, jchon mit 14 Jahren jich im Kampfe
gegen England die Sporen verdiente, dann am der Seite des Gaptal
de Buch in Preußen focht und endlich daheim entjcheidend über jeinen
Rivalen, den Grafen von Armagnac, ſiegte. Diejer Phoebus, der,
wie es in der Vorrede jenes Werkes heißt, jich ſtets hervorgetan
en armes, en amours et en chace, hinterließ Le livre nome
lordre de Chevalerie, le livre des esthaz et de la
chasse. Es iſt das die volljtändigite und bejtangeordnete Abhandlung
über Jägerei, welche das Mittelalter hervorgebracht, und an dieje
ichließt jich eine Darlegung über die Bedingungen ritterlichen Lebens,
welche ungefähr ein Viertel des ganzen Werkes füllt und (wie es
heit) verfaßt wurde par un tres vaillant cheualier leque a la
fin de son eage mena sainte vie en un hermitaige.
Das Wert Gaſtons findet ſich Handichriftlic in der Nationalbibliothef zu Paris
und in der fgl. öffentl. Bibliothek zu Dresden. (ms. O. 61). Letzteres Eremplar
ift mit den herrlichſten Miniaturen außgejtattet. — Der in Proja gejchriebene
erjte (theoretijche) Teil de8 Jagdbuches iſt nicht gedrudt worden; der verfifizierte
zweite (praftifche) Teil erihien anfangs des 16. Ihdts. zweimal zu Paris.
Regeln der weltlichen Ritterjchaft, wie jie Gajtons de Foir Bud)
abjchliegen, finden ſich mehrfach unter den franzöftichen Proſawerken
diejer Zeit.
Bol. 3. B. die Dresdener Handidrift (O. 62. 1.), welche mit den Worten
beginnt: »Pour maquiter dune promesse que jay faite a dame de grant
renomee,. .
8 33.
Die hippologiſche Literatur des Mittelalter war dürftig.
Bis zum 12. Ihdt. bringen die Schriftiteller lediglich Wiederholungen
der in der Konſtantiniſchen Encyflopädie 8 9] enthaltenen Kapitel über
Roßarzneikunſt. Erſt Kaifer Friedrich II. von Hohenjtaufen gab
diejen Dingen einen neuen Impuls. Diejer große und geiftreiche
Herrjcher wies energiich darauf Hin, daß das praktische Leben den
Zuſammenhang mit dem methodischen Wiſſen zu juchen Habe, weil es
1) Ausg. mit wichtiger Einleitung von Brimijfer (Wien 1827).
3. b. Feuerwerlerei und Büchſenmeiſterei. 221
in diejem jeinen beiten Regulator finde. Schrieb er doch der Uni—
verjität Bologna, indem er ihr eine Ariftoteleshandichrift über-
jandte: „Die Wiljenichaft muß der Verwaltung, der Gejegebung
und der Kriegsfunjt zur Seite gehen, weil dieje jonjt entweder in
Trägheit verjinfen oder zügellos über ihre Grenzen jchweifen; . . .
denn ohne Wiſſenſchaft entbehrt das Xeben der Regel
und der Freiheit?)“. Dem entiprechend behandelte er jelbjt jeine
Liebhabereien wifjenjchaftlih. Sein Werk über die Falkenjagd ijt nicht
nur merkwürdig weil e8 ein Kaiſer jchrieb, jondern weil es die jcharf-
ſinnigſte Sachkunde bezeugt und zugleich eine geradezu bewunderungs-
würdige Naturbejchreibung der Vögel enhält. — Nach Kaijer Fried—
rih8 eingehenden und genauen Anweiſungen verfaßte jein Stallmeijter
Jordanus Rufus (Giordano Ruffo) aus Calabrien denn auch um
d. J. 1230 ein jelbjtändiges Werk über die Natur und die Be
handlung der Roſſe unter dem Titel Hippiatria.
Es findet fih im Cod. Nanciani No, 71 der Marcu&bibliothet zu Venedig,
in einem Coder der Raurentiniihen Bibl. zu Florenz und in der Parijer Natio-
nalbibl. ms. 7, 136. Das lat. Original gab Molinus 1818 zu Padua heraus,
Eine italienifche Überjegung »Libro dell’arte de mareschalchi per conoscer
la natura delli cavalli« erſchien 1492 (1554) zu Venedig.
Wol eine Bearbeitung diejer Hippiatria iſt des Lorenzo Ruſſo
(Aufius) interefjantes Liber marescalciae (ca. 1300).
Mehrere Handiriften in der Nationalbibl. zu Neapel. Ein ſchönes, ganz
voljtändiges Mif. im Kölner Archiv (No. 291): »Liber de mareschalchia« in
191 Kapiteln. Es ſtammt von der Wende bed 14. und 15. Ihdts. und ift neo—
politan. Urjprungs. Ausgaben: Ed. pr. 8. Il. e a. — Dann Paris 1531. —
Italieniſch: Venedig 1548. Deutih: „Wie man ains jeden ro oder pferd aigen-
ihafft ertennen, auch jein manderley krankhayten ärtzneyen mag“ u. j. w. (Auges
burg 1535). Franzöſiſch: 1533 und öfter.
b) Feuerwerkerei und Büchjenmeijterei.
8 34.
Um diejelbe Zeit, da den Arabern die Miſchung des Schieß—
pulvers befannt geworden zu jein jcheint, wird fie auch jchon in
Deutihland und England von Männern der Wiſſenſchaft befprochen.
Albert Graf von Bollitädt, ein edler Schwabe, war 1193 zu
Yauingen geboren und ftarb al3 der weltberühmte Doctor universalis,
») Bol. Bd. v. Raumer: Geſch. der Hohenftaufen III, ©. 277 (Ausg. v. 1872).
222 Mittelalter. II. Die Ubendländer.
al® Albertus Magnus im Jahre 1280 zu Köln Er war der
Humboldt jeiner Zeit, und die jtaunenswerte Belejenheit des gelehrten
Biſchofs in den antiken, byzantinijchen, arabtichen und jüdiſchen
Schriften äußert jich überall. So gibt er denn auch, u. zw. offenbar
auf Grund der Schrift des Marchus Graecus [8 6], in jeinem Werke
De mirabilibus mundi eine Schilderung des aus Salpeter,
Kohle und Schwefel gemijchten Bulvers und der Eigenſchaft desjelben,
petardenartig Blit und Donner zu bewirken oder die Raketen jteigen
zu laſſen.
Gedrudt ijt die Schrift hinter Alberts Buch De secretis naturae (Amjterdam
1702.) Übrigens wird die Autorjhaft Alberts bejtritten ').
Stand Albertus Magnus ganz in dem Gedanfenfreije Des
Aristoteles, jo erjcheint der britiiche Mönch Roger Bacon (geb. 1214,
geit. 1294) als Fühner Neuerer. Diejer Doctor admirabilis iſt der
erſte jelbjtändige Exrperimentator; er leitet den Zerjegungsprozeß der
Scholajtif ein, und jeine geiftlichen Genofjen haben es natürlich nicht
verabjäumt, ihn zum Märtyrer der Wiſſenſchaft zu machen. — War
dem Albertus das Pulver nur wichtig als Gegenjtand gelehrter
Tradition, jo wendet Bacon ihm bereits perjönliche Unterjuchungen
zu, von denen er in jeiner Epistola de secretis operibus
artis et naturae et nullitate magiae handelt.
Bacon fpridht da von dem mit Salpeter gemijchten ignis volans, das Blig
und Donner nachahme, und von dem geringe Mengen audreihen würden, um
eine Stadt oder ein Heer zu zeritören. Um diejen Stoff zu erzeugen, bedbürfe
man außer des Salpeter8 auch Schwefel und »Lucu vapo vir can utriet«: eine
tabbaliſtiſche Formel für „pulverifierte Kohle“.
Ganz ähnlich äußert ſich Bacon in jenem Opus majus.
Merkwürdigerweije bezeichnet er die mit einer Pergamenthülle verjehene
Ralete bereits als ein bekanntes Kinderſpielzeug. — Bedeutungsvoll ift es, dab
der Verfaſſer den Salpeter durch volljtändige Löſung in Waller und durd Kry—
jtallijation zu läutern lehrt.
Die Epistola de secretis erſchien 1542 zu Paris und 1618 zu Hamburg;
da® Opus majus gab Jebb 1733 zu London heraus ?).
8 35.
Wie im Altertum und im Oriente handelte es ſich offenbar auch
im Abendlande zuerjt nicht um „sFeuerwaffen“ jondern um das
) Bol. Sieghart: Albertus Magnus (Regensburg 1857).
2) Bol. Schneider: Roger Bacon (Augsburg 1837). Die das Pulver betreffenden Stellen
find abgedrudt bei Gmelin: Geſch. der Ehemie. I, ©. 8 fi.
3. b. Feuerwerkerei und Büchfenmeifterei. 223
„Feuer als Waffe“ Die wirfjamjten Formen, in denen es dabei
dem Kampfe diente, waren Die Feuerlanzen, Schaftrafeten und
Schwärmer. Indem man dann fleine Sabröhrchen an Armbruſt—
bolzen befeſtigte, zunächſt nur um zu zünden, erfannte man gewiß
jehr bald, daß durch eine derartige Verbindung zugleich die Schuß—
weite und Durchichlagsfraft der Bolzen vermehrt würden, die Bolzen
aber den Schwärmern als Steuer und Nichtungsruten dienten. So
fam man auf die frei fliegende Nafete mit dem Stabe,
deren Benugung zu Anfang des 14. Ihdts. mehrfach bezeugt wird.
Dieje Etappen des Fortſchritts lafjen fich nicht eigentlich urkundlich,
Schritt für Schritt, erhärten, ergeben ſich aber aus der Sache jelbit
und haben im einzelnen auch mannigfache Spuren hinterlafjen.
Math. Lupus, einer der Schüler des Leonardo Brunus Aretinus jagt in
einem Gedichte über die Geſchichte jeiner Vaterſtadt San Geminiano: die Ein
wohner derjelben hätten fih im Kriege mit Bolterra um 1309 der »canones«
bedient. »Et qui canones incluso pulvere fertis« und weiterhin »Dux in ea
interiit stridentis sulfuris ietu.« Der Ausdruck canones bedeutet hier uns
zweifelhaft nur Hohlrohre; es find Raketen, welche zijchend, jaujend (stridens) in
den Feind fuhren. Faſt gleichzeitig fommt diefe Waffe in den Niederlanden vor;
die canones heißen hier »bussen (Büdjen) met kruijte.. In den Genter
Rechnungen von 1314 wird berichtet: die flandrijhen Bürger hätten ſich diejes
Berteidigungsmittel® gegen die Seeräuber an ihren Küften bedient !).
Neben der Nafete geht, wie im Orient, die Feuerlanze ber. 8 14.)
Diejfe wurde im Abendlande, wohl ihres byzantinischen Urjprungs
wegen, „Nömerferze“ (chandelle romaine) genannt und anfangs
meijt mit mehreren Ausjtoßladungen und zwijchen diejen liegenden
Brandfugeln geladen, eine Form, die noch Biringuccio [XVI$ 41]
bejchreibt. Sie bedurfte nur geringer Umwandlungen, um zu emer
wirklichen ?zeuerwaffe zu werden. Die „Klotzbüchſe“ des cod.
germ. 600 der Münchener Bibliothef [$ 305 ift eine jolche, und
diefe Übergangsform hat fich bis in die jpäteiten Zeiten erhalten;
noch Ende des 18. Jhdts. tritt jie aufs neue in den jogenannten
„Espignolen“ hervor. Es lag jehr nahe, einer jolchen Borrichtung
jtatt mehrerer, gelegentlid) nur eine Ladung zu geben, und durch
diefe Pfeile und Brandfugeln auszuſtoßen, urjprünglic) wohl nur um
zu zünden, dann aber, bei jteigender Verbefjerung des Pulvers und
1) Bol. Lentz Notice sur l’invention de Ja poudre a canon et des armes ü feu in ben
Nouvelles archives historiques et philosophiques. T. II, p. 589 ff. (Gent 1840.
224 Mittelalter. II. Die Abendländer.
ihr entjprechender jchnellerer Erplofion, auch in der Abficht, durch
die Durchichlagskraft des Gejchofjes zu wirken. — Damit aber war
auch im Weiten, wie etwa ein halbes Jahrhundert früher in China
mit dem To—lo-tſi-ang 8 14), der Schritt von der Nömerferze zum
Feuerrohr getan. Nicht mehr das Feuer diente als Waffe, jondern
man bediente fich einer Feuerwaffe.
Die Berbejjerung des Pulvers durch Herjtellung reineren
Salpeters jcheint bejonders erfolgreich in den Niederlanden angejtrebt
worden zu jein, welche zur Zeit der Kreuzzüge innige Verbindungen
mit Byzanz unterhielten. Während alle anderen Sprachen das
laternijche Wort »pulvis« zur Bezeichnung des Treibjages angenommen
haben, entwidelte jic) für dieſen im niederdeutfcher Mundart ein
eigener Ausdrud: „Kraut“ (frut, kruyt, Erijt), ein Wort, das gleich
dem griechiihen gaguaxov zugleich Heilmittel und Zaubermittel
bedeutet. Aber nicht nur die Verbeſſerung des „Donmerfrautes“
jondern auch die der Feuerwaffen, ja ihre erjte wirklihe Nutz—
barmadhung für Kriegszwecke, führt, joweit das Abendland
in Frage jteht, auf Deutjchland zurüd. Dafür jpricht die in allen
Ländern Europas verbreitete Sage von der Erfindung des
Pulvers, bzw. der Feuerwaffen, durch einen deutichen Mönd,
der gewöhnlich als em Freiburger, Berthold Schwarz, bezeichnet
wird, während nach anderen Überlieferungen ein Mainzer Mönd)
zwifchen 1290 und 1320, wieder nach einer anderen Konjtantin
Antlig (Anklig) von Köln der Erfinder war!). Nur einmal, anfangs
des 15. Ihdts., bezeichnet ein Artilleriewerf den Niger Berchtoldus
als einen „maiſter von Sriechenland“, und auch hier iſt doch der
deutjche Name Berthold unangetajtet geblieben [XV $ 5718).
Der belgiſche Major Renard fagt in einem Artitel über die belgijche
Artillerie”): »On rencontre parmi les manuscrits interessants relatifs annales
gantoises une espece d’annuaire administratif remontant à l’an 13W0 et
rapportant d’annde en annde les noms des magistrats et les principaux
&v6enements survenus pendant leur administration. Or dans ce registre on
lit & la date de 1313: »Item in dit jaer was aldereerst gevonden
in Duitschland het gebruik der bussen van eenen mueninck.«
Wenn dieje Eintragung wirklich vom Anfange des 14. Ihdts. herrührte, jo wäre
ſie von höchſter Wichtigkeit. Leider ſind meine Bemühungen, dieſelbe in einem
1) Bl. Lens: Notice sur l'invention de la poudre A canon et des armes à feu in ben
Nouvelles archives historiques et philosophiques. T. II, p 589 ff. (@ent 1840).
») Revue militaire beige. Tome III, p. 584 (Lüttich 1848).
3. b. Feuerwerkerei und Büchjenmeiiterei. 225
der möglicherweije gemeinten Codices der Genter Bibliothef aufzufinden, erfolglos
geblieben, troß der freundlichen Unterjtügung des Vorſtandes.
In dem Reglement de monnaies tant de France qu'6trangeres (Pariſer
Nat. Bibl. Nr. 353 du Puy) findet fich fol. 70 folgende Notiz: „Le dix-sep-
tieme mai 1354 le dit Sr. Roy (Jean I) estant acertene de l'invention
de faireartillerietrouveeen Allemagneparunmoinenomme&
Bertholde Schwartz, ordonna aux generaux des monnaies faire dili-
gence d’entendre quelles quantit6es de cuivre estoient au dit royaume de
France tant pour adviser des moyens d’iceux faire artillerie que sembla-
blement pour empescher la vente d’iceux à @trangers et transport hors le
royaume“,
Unter allen Umftänden wird man annehmen müjjen, daß ein
deutjcher Mönch entjcheidenden, allgemein anerfannten Einfluß auf
die Herjtellung oder Anwendung der Feuerwaffen im Abendlande geübt
hat. Die Italiener jind einjtimmig darüber; auch ein Byzantiner,
Chalcocondilas, bezeichnet um 1470 in dem Corpus. script. hist.
Byz. (45 lib. V p. 251) Deutjchland als den Ausgangspunkt der
bewunderungswürdigen Erfindung, und obgleich noch feine aftenmäßigen
Beweije für dieje jeit Jahrhunderten allgemein anerkannte Tatjache auf-
gefunden worden find, nötigt jchon der Umjtand dazu, der alten
Überlieferung die höchfte Bedeutung zuzufchreiben, daß im 14. und
15. Ihdt. die Deutjchen ausjchlieglich eine artillerijtijche
Literatur befigen und daß Ddementjprechend in allen Landen
deutjche Büchjenmeijter die erjte Rolle jpielen.
„Am 3. Nov. des zweiten Regierungsjahres Henry's VI. (1424) wurden
40 £ den vier Büchjenmeiftern (Gunnemeystere) aus Deutihland bezahlt, welche
lange Zeit im Dienſt Lord Henrys, des legten Königs von England gewejen“
(Gesta Henriei V. ed. Williams, p. 22). — König Charles VII. von Frankreich
erftattet dem maitre d’artillerie, Kaſpar Bureau, eine Summe, welche diejer einem
deutichen Juden gezahlt, „pour apprendre certaines choses subtiles, touchant
le fait de l’artillerie“. (Pere Anselme, p. 140). |
Ich denfe mir den jchwarzen Berthold (um diefen zumeiſt über:
(teferten Namen beizubehalten) als einen rheinischen Mönch, und
wenn er, in fomijchem Gegenjag zu jeinem deutjchen Namen, einmal
„ein matjter aus friechenland“ genannt wird, jo erinnere ich mich, daß
dies genau zu derjelben Zeit, nämlich anfangs des 15. Ihdts., ge
ſchieht, da in Deutjchland die Überlieferung von Marchus Graecus
neu belebt war [S 6 u. 34]. Ich denke mir den erperimentierenden
Mönch mit dem Traftate des Marcus ausgerüftet, den ja Albertus
der Große ebenfalls kannte, und nehme an, daß er von der Nafete,
Zähne, Geichichte der ſtriegswiſſenſchaften. 15
226 Mittelalter. II. Die Abendländer.
bzw. der Feuerlanze, zur Kloßbüchje (espignole) und weiter zum
Einzellader vorſchritt. Das ihm jpäter zugejchriebene Pulverrezept,
wie die Aufftellung großer Steinbüchjen ſchon durch den Erfinder jelbjt
ſind natürlich Zutaten der verzerrenden und vergrößernden Fama. —
Sch gebe zu, daß dieje Vorſtellung zur Zeit noch nicht beweisbar iſt;
aber fie hat die übereinjtimmende Tradition bei den nächjten Gene:
rationen für jich und entipricht dem analogen Gange der Dinge bei
den Arabern [$ 14]. Die meijten großen Erfindungen tauchen ja in
verschiedenen Yändern und verjchiedenen Köpfen auf (man gedenfe bzgl.
der Dampfmaschine nur an Lionardo da Vinci, Bapin und Watt!); aber
die Erfindung wird da fixiert, wo fie die entjcheidende
Folge hatte, und das war Hinjichtlich der Feuerwaffen, nach dem
ganz allgemeinen, übereinjtimmenden und damals nie angefochtenen
Urteile des 14., 15. und 16. Jhdts., Deutjchland.
In jüngfter Zeit ift General Köhler gegen dieje alte Überlieferung auf—
getreten und hat nachzuweiſen verjucht, dab die Feuerwaffentechnit von
den Nrabern nah Spanien übertragen und erjt von dort aus
über Italien und FZranfreid nah Deutjhland gelangt jei.!
Ganz neu ijt diefe Anſchauung freilich nicht. U. A. hat ihr jhon der Haupt-
mann Dr. Mori Meyer in jeinem „Handbuch der Bejchichte der Feuer
waffentechnit" Ausdrud gegeben (Berlin 1835), nidyt nur durch die Anordnung
jeiner Daten, jondern auch durch die direfte Behauptung: „Von Algefiras, wo
1342 Ritter aller Nationen waren, verbreitete ji die Nachricht vom Pulver—
geſchütz raſch durch Europa“. Den Beweis dafür ijt Hauptmann Meyer aller:
dings jchuldig geblieben; aber auch General Köhler vermag für jeine Auffajjung
einen ſolchen unmittelbar nicht zu führen und jchlägt deshalb den Weg des
indireften Beweijes ein. Zu dem Ende jtellt er die bisher angenommenen Nadh-
richten über das frühe Vorkommen von Feuerwaffen in Deutjchland z. T. in
Stage. So wendet er ſich namentlicdy gegen die Nachricht der Chroniques
messines par Huguenin, daß Meß i. J. 1324 couleurines et serpentines
bejefien habe, eine Nachricht, auf welche Lorédan Larchey den höchſten Wert gelegt®).
Allerdings muß jene Bezeichnung der Geſchütze befremden, weil fie einer jpäteren
Zeit angehört. Nun find aber die Chroniques messines eine abgeleitete Arbeit,
welche auf ein altes NReimgedicht zurücführen: „La guerre de Metz en 13248,
und in diefem jteht an Stelle von coleurines und serpentines der dem 14. Ihdt.
durchaus entjprechende Ausdruck espignoies. DPiejer Ausdruck fann aller
dings engins älterer Art (Standarmbrüjte) bezeichnen, ebenjo gut aber audı
engins & feu, und da die Bearbeiter des Neimgedichtes ſolche darunter verjtanden
1) Die Enttwidelung des Kriegsweſens und der Kriegführung in ber Ritterzeit Illa (Breslau 1887).
2) Origines de l'artillerie francaise (Paris 1862).
°) Publ. par E. de Bouteilles (Paris 1875).
3. b. Feuerwerkerei und Bichjenmeiiterei. 2327
haben, jo ift doch wahrjcheinlicher, daß es fich um Geſchütze handelt als um älteres
Berfzeug. Köhler inde® nimmt das leptere an. — Brügger Rechnungen v. F.
1339 führen neue Majchinen „die man heet ribaude“ als Feuerwaffen auf!).
Benn nun dag Inventar des gejamten Zeuges der Stadt Braunſchweig in dem
„Grundbuche“ von 1368 neben Bliden und Paddarellen (petrarise), aljo altem
Verfzeuge, unterjcheidend auch zwei „Ribolde“ erwähnt, jo jpricht die Wahrſchein—
lifeit dafür, daß man es hier ebenfalls mit Feuerwaffen zu tun habe. Köhler
dagegen meint, „daß fie durd den Segenjat zu den Steinjchleudern und weil
Armbrüfte ſonſt nicht genannt werden, fich als jolche entpuppen“. Mir fcheint
der Grund durchaus nicht ausreihend. Bringen doch ſchon 18 Jahre früher die
Stadtrehnungen Aachens von 1346 ganz unzweifelhafte Nachrichten vom Vor—
!ommen der Feuerwaffen!“) Erzählt doch eine Handfchrift des Archivs von
Zournay (cuir noir fol. 20) jogar von Schießverſuchen zu Doornif i. J. 1346 1%)
Lerjagte doch Gillis Nypegheerite, Hauptmann der Genter Weber, 1347, mit
Schüflen aus Ribaudefins eine franzöſiſche Heerihar vor Caſſel). — 1356 finden
hd Geijhüge in Nürnberg, 1362 in Erfurt, 1364 in Bayern, 1368 in Frankfurt a. M.
erwähnt. — Merktwürdigerweije werden bei der Ausrüſtung der Hanjaflotten in den
däniſchen Striegen 1363 und 1368 feine Gejchüge aufgeführt, und auffallend
it es auch, daß die Augsburger 1362 bei dem Zuge gegen Zwingenberg, die
Kölner 1366 bei dem gegen Hemmersbach (den erhaltenen Kojtenberehnungen zu:
tolge) fein Feuergejhüg mitführten. General Köhler ſchließt daraus, daß fie feins
bejaßen. Aber wie jollte eine Stadt von der Bedeutung Kölns feine Feuerwaffen
gehabt haben, wenn Brügge deren nachweislich jeit 27, Doornif und Machen
jet 20, Nürnberg jeit 10 Jahren befaen!? — Ich glaube, daß gerade im Gegen:
teil alle erhaltenen Nachrichten auf den Niederrhein als auf die Heimat der
abendländischen Feuerwaftentechnit deuten. Die Kölner Rechnungen v. 3. 1370
weiien Ausgaben für Büchſen nah; wenn fie vier Jahre früher bei dem Unter—
nehmen gegen Hemmersbad) nicht aufgeführt werden, jo darf man daraus, meiner
Meinung nah, nur jchließen, daß fie aus irgend welchen Gründen nicht mitge-
nommen worden jind. — Auch den oben mitgeteilten Bafius aus dem Reglement
des monnaies über die Erfindung des Berthold Schwartz erflärt Köhler für
geräliht. Die Handichrift diejes Neglements rührt freilich erit aus dem 16. Ihdt.
ber; aber es ijt aud) nicht im entferntejten einzujehen, welches Intereſſe der Ab—
ihreiber hätte haben können, um fälichend jenen Sag einzujchieben. Lacabane
bat ihn in einem Aufſatze der Bibliotheque de l’&cole des chartes ganz aus:
ı) feropn de Xettenhove: Hist. de Flandres (Brügge 1874, III, 246).
®) Baurent: Aachener Stabtrehnungen aus dem 14. Ihdt. (Machen 1866). »Item pro una
busa ferrea ad sagittandum tonitrum 5 schilde. — Item pro salpetra ad sagittandum cum
buss 7 sch. — Item magistro Petro carpentario de ligneo opere ad busam 6 sch. — Item
! Dugtzin de clavis et opere sue ad eandem busam 6 sch.
») Pierre de Bruges, potier d’etain de sa profession, jtellte feine conollles vor. Sie
\hoflen Bolgen, die mit zweipfündigen Bleiftüden bejchwert waren, zwei Mauern durchſchlugen, in
dad Stabtinnere eindrangen und einen Menjchen töteten. Offenbar handelte es ſich hier um ein ge
aoflenes Geſchütz, ſonſt hätte der Peter von Brügge nicht Zinngießer fondern Schmied jein müllen.
Leng a. a. O) *) Ebenda.
15*
ae EI — =
228 Mittelalter. II. Die Abendländer.
drüdlich als echt anerkannt ; Libri übernahm ihn in feine „Geſchichte der mathemat.
Wiſſenſchaften“ (1838); Napoleon III., Favé, Lorédan-Larchey und Suſane find
ihm binfichtlidy ihrer Werke dabei nachgefolgt, und ich fann die Gründe, aus denen
Köhler den Sap beanjtandet, feinedwegs als überzeugend anertennen.
Somit erjcheinen mir denn die Ausführungen des Generals Köhler die
Wahrjceinlichleit des Vorkommens von ?Feuerwaffen in Weftdeutfchland im
erjten Viertel des 14. Ihdts. nicht genügend erfchüttert zu haben, um die altherge-
bradyte und durch den Reichtum der frühen deutſchen Wrtillerieliteratur jo ftarf
unterjtüßte Überlieferung vom deutjchen Urſprung des abendländiihen Geſchütz-
wejen® aufzugeben. Die machinas de truenos, mit denen der wenig zuver—
fäflige Gefchichtsjchreiber Konde i. J. 1325 den König von Granada die Stadt
Baza beſchießen läßt, und die pelotas de hierro que se lazaban con fuego,
welche er denjelben König 1331 gegen Alicante verwenden läßt, jind mindeftens
ebenjv fragwürdiger Natur wie die oben bejprocdhenen Meper Espignolen von
1324. — Es ijt jafehbrwohl möglich, daß die arabijdhe Erfindung,
deren wir im Anhange zum vorigen Kapitel gedadyt haben, in Südeuropamit
der deutjhen zujammengetroffen ijt; aber in bobem Grade un:
wahrſcheinlich ijt es, daß die legtere überhaupt niht gemacht wurde.
Man dürfte die Ddeutjche Erfindung in die erjten Jahre des
14. Ihdts. zu fegen haben. Sie verbreitete fich jchnell. Schon 1326
befahl die Signoria von Florenz die Beichaffung metallener Kanonen
und eijferner Kugeln‘), Schon vor 1344 Außert ſich Petrarca in
jeinem Dialoge »De remediis utriusque fortunae« wie folgt:
Da ruft der Eine: „ch befige unzählige Majchinen und Baliiten!“ Der
Dichter antwortet: „ES ijt ein Wunder, daß du nicht auch jene metallenen Eicheln
(Ogivalgeſchoſſe?) haft, die ein Flammenſtoß unter jchredlihem Donner entjendet.
Es war nit genug, daß der erzürmte Gott vom Himmel bligte; auch das
Menichlein muß von der Erde donnern! Seine Wut ahmte den Blik nad, und
was jonjt aus den Wollen gejchleudert wurde, da8 wirft man nun aus einem
hölzernen aber hölliichen Inftrumente, das nad), einiger Meinung die Erfindung
des Archimedes iſt. Der aber gebraudte es, um feiner Mitbürger Freiheit zu
ſchützen; ihr aber unterdrüdt damit freie Völker! Diefe Peſt war bisher noch jo
jelten, daß man fie wie ein Wunder beftaunte; nun aber ift fie, da man bei den
ichlechtejten Dingen ſtets am gelehrigjten, jo gemein wie jede andere Art von Waflen“.
8 36.
Das ältejte abendländijche Bulverrezept, welches erhalten
it, jcheint aus den dreißiger Jahren des 14. Jhdts. zu jtammen und
lautet folgendermaßen:
„stem daß ift daz pphver damit man auf der phyß ſchieſt. Pa
foll man nemen zv zway tail lindains oder jaelmwaidens kols vnd zway tail jal
1) Qacabane (Bibl. de l’ecole des chartes. Iser. 2, p.50). *) Ausg. Genua n. 1745, p. 99.
3. b. Feuerwerkerei und Büchjenmeijterei. 229
petre. vnd denn daz fonftail fol man avch nemen jolfor vivi oder rechten jwefel.
vnd derzv fol man avd nemen firnis glaz (Firnis-Glanz) den zehenden tail. und
daz fol man alz derr machen. vnd jol ez inder ain ander ftozzen zou ainem polver in
ainem morjer. vnd wenn man ez in die pohh tut jo fol man daß dem loch da
man den jlvzzel in die pohß trocht hinain zu dem polver giezzen ainen tropphen
leckſilvers“.
Das Rezept ſteht in einer ſehr gemiſchten Handſchrift der Münchener Hof—
und Statsbibliothet (Cod. J. m. 4350), deren theologiſcher Hauptteil lateiniſch
abgefaßt iſt. Auf der erſten Seite von Bl. 92 ſteht: „an. 1338“ ete. Auf
die frei gebliebenen Stellen des Manufkriptes jind von einer offenbar faum
jüngeren Hand allerlei Notizen, namentlich Roßarzneivorſchriften und auch (auf
Bl. 31b) das Pulverrezept eingetragen.
8 37.
Die ältefte artilleriewifjenfchaftliche Handichrift des Ubendlandes
it der Codex germ. no. 600 der Münchener Hof und Stats—
bibliothek, welchen der Katalog bezeichnet al8 „Anleitung, Schieß—
pulver zu bereiten, Büchjen zu laden und zu bejchießen“.
Es jind roh gezeichnete, mit dick aufgetragenen Farben ausgemalte
Darstellungen, 3. T. mit kurzem Text verjehen, welche anfangs
artillerijtiiche WBerrichtungen, weiterhin aber verjchiedene Gejchüße,
Schleudermajchinen und anderes Kriegsgerät älterer Art veranjchaulichen.
Der auf Bapier gejchriebene Coder zählt 22 Folioblätter, don denen Die
meijten auf jeder Seite eine bildliche Darjtellung und die 9 erjten kurze Beijchriften
aufweifen. Offenbar ijt die Handichrift nicht ganz volljtändig. — Eine Fakſimile—
Kopie derjelben bejigt daS Germanijche Mujeum zu Nürnberg. (Nr. 25661.) Die
9 wichtigſten Darjtellungen find in Eßenweins „Quellen zur Geſchichte der
Feuerwaffen, herög. vom Germ. Mujeum” in farbloſem Steindrud wiedergegeben.
(Leipzig 1877). — Die erjte Mitteilung über diefe Bilderhandſchrift machte R.
von Rettberg im „Anzgr. f. d. Kunde der deutjchen Vorzeit” (1860, S. 405).
Er glaubt, daß fie um 1345, fpätejtend 1350 entitanden ſei, und diejet Zeitbe—
ſtimmung ſchloß ſich Oberſtlt. Würdinger in feiner „Kriegsgeſchichte von
Bayern“ (München 1868) an. Der Major Toll ſchätzte das Manuſkript um
% Jahre jünger („Eine Handſchrift über Artillerie aus dem 14. Ihdt. Archiv
j. Art.» u. Ingen.-Offz. 60. Bd., 1886, S. 148). Eßenwein datiert es von 1390
bis 1400. Ich nehme aus inneren Gründen die Entjtehung des Wertes wie
Rettberg und Würdinger um 1350 an.
Die auf Pulvermahen und Büchjenmeijterei bezüglichen Dar:
jtellungen haben folgenden Inhalt:!)
1) Ich gebe den Zert unter engftem Anſchluß an das Original in neuem Deutic und folge babei
wie bei den Erläuterungen, den Arbeiten Tolle, Efjenweins und Köhlers.
230 Mittalalter. II. Die Abendländer.
Bl.1. Bild: Eine männliche und eine weibliche Figur neben einem Fake.
— Tert: „Wenn du Salniter faufeit oder gewinnjt, willſt du ihm ausſuchen,
ob er gut jei, fo ſtoß deine Hand darein. Sit, daß fie dir feucht wird darin, jo
ift er nicht qut; bleibt jie troden, jo ift er gut. Auch greif mit der Junge an die
Hand; ijt fie verjalzen, jo iſt der Salniter nicht gut; ift jie ſüß, jo ift er gut.
Bl. 2a. Bild: Ein Mann an einem Tijche hält eine Wage. — Tert:
Willit du ein gut jtart Pulver maden, jo nimm 4 Pfd. Salniter, 1 Pb.
Scwejel, 1 Pfd. Kohle, 1 Unze Salpetri und 1 Unze Salarmoniat, item Yır
Kampfer und jtoß das alles wol unter einander, tu gebrannten Wein dazu, ſtoß
damit ab (d. 5. feuchte ed damit an) und diürre das wol an der Sonne, jo hait
du ein ſtark beleibig (dauerhaftes) Pulver, deſſen 1 Pfd. mehr tut als jonit
3 Pd. tun möchten und ift auch behaltig und wird je länger je beſſer“H.
Bl. 2b. Bild: Ein Mann hält eine Flajche über Feuer. — Tert: „Tue
Kampfer und gebrannten Wein in ein Qucurbit und brenne das aus, und was
aus dem Gucurbit geht (alfo Nampferjpiritus), davon wird das Pulver gar jtart.
Bl. 3a. Bild: Ein Mann hält ein Beden; ein anderer gießt etwas auf
einen Koblenhaufen. — Tert: „Alfo follft du das Kob gutmachen: Nimm Linden:
oder Albern= (Pappeln-) Holz, das ijt das bejte; füttre das wol in einen Bad-
ofen umd verbrenne das gar und ganz, und nimm jein etwan viel und jtürz ein
Beden darüber und verdämpfe das Kol alſo. Aber willft du das allerbeite Kol
maden, jo brenne das Kol jehr wol und löſche e8 ab mit gebranntem Wein
und dörre das Kol an der Sonne, jo haft du gutes Kol“.
Bl. 3b. Bild: Zwei Männer an Mörjern mit Stampfen beichäftigt. —
Tert: „BWillit du ein ſchlecht (gewöhnliches) Pulver maden nur von dreien
Stüden, jo nimm 4 Pd. Salniter, der faſt gut jei und wol geläutert, 1 ®ib.
Schwefel und 1 Pfd. Hole und jtoß das ab mit gutem Wein, da Kampfer in
gefotten jey, und dörre das an der Sonne. Denn wo nicht Kampfer dabei iſt,
das Pulver erwirt (erſchöpft ſich) und verdirbt gern. Aber der Kampfer hält alles
Pulver auf und iſt aud kräftig in altem Pulver wenn man ihn daran tut“.
Bl. 4a. Bild: Ein Mann, der einen Topf in den Ofen jtellt. — Tert:
„Willſt du Pulver wiederbringen, das verdorben ijt, jo nimm guten
Salniter 4 Pfd., Salpeter 1 Pfd., Nampfer 1 2. und jiede das in gutem
gebranntem Wein oder jonjt gutem Wein und jtoß das Pulver damit ab, und tu
das Pulver aljo feucht in irdene Hafen und jeß die Hafen in einen Badofen der
nicht (jtärker) glühe, denn ehe darin gebaden jei, und lab das Pulver alfo wol
in dem Ofen jtehen, jo fommt es jchon wieder und wird gut und jchnell. Es
wäre dann, daß das Pulver mit dem Gewicht verderbt wäre (durch Auslaugen
des Salpeters zu leicht geworden); das müßte man jcheiden“.
Bl. 4b. Bild: Zwei Männer, die ein Gefäß über Feuer halten. — Tert:
„Den Salniter follft du alſo gießen. Nimm Salniter in einen irdenen
u 1) „Salpeter” bebeutet hier im Gegenfage zu „Salniter” (dem gereinigten Froftallinifchen Salpeter)
ein ftaubförmiges Präparat, das in jpäteren Feuerwerlsbüchern „Salpotrifon, Salpatrita oder Sal.
pertica” genannt wird. „Salarmonial” ift Weinfteinjalz. — Das obige Rezept ergibt ein ſehr viel
falpeterreicheres Pulver als bie erfle, vermutlich ältere Vorſchrift des vorhergehenden Baragrapben.
Bon Knollenpulver ift noch feine Kebe.
3. b. Feuerwerkerei und Büchjenmeijterei. 231
Tigel und tu so Schwejel dazu und vermache den Tigel gar wol und fege ihn
in eine Glut, und wenn ein blauer Dunjt davon geht, jo bridy den Tigel auf,
jo ift der Salniter zergangen; den magjt du gießen wohin du willjt oder in
welchen Model du willſt. tem, willft du den Salniter färben rot, fo reibe
Zinnober flein und jchütte den daran; item, willft du ihn grün färben, jo nimm
Srünjpan u. j. w.“ (Das Schmelzen des Salpeters ijt jehr bemerfenswert ; es
wird in den Wrtilleriebüchern erjt feit 1530 wieder erwähnt).
Bl. 5a. Bild: Ein Mann hält eine Meine Büchfe in den Armen; ein
anderer hadt auf einem Amboß ein walzenförmiges Holz entzwei. — Text:
„Alſo jollit du eine Büchſe laden mit dem Klog. tem du jollit nehmen
dürr Birfenholz oder Abrein, das ift das bejte, und made daraus Klöße und nimm
ein Maß von dem Rohr an der Büchſen (d. h. von der Kammer) und als weit
al® das Rohr jei, als weit und als lang foll audy der Kloß jein, jo ift er gerecht.
Auch nimm ein Gluteifen und brenne den Klogen vorn (wo das Geſchoß gegen
gelegt wird), jo wird er (hier) deito härter; doc) je weicher der Klo (an und
für fih im ganzen) deito beſſer ift er“. — Die Heritellung diejer Klöße, von
deren Zwed jogleid die Rede fein wird, gehörte zur Bedienung der Geſchütze, da
fie nicht auf Vorrat gearbeitet werden konnten, wei jie jonjt eingetrodnet wären.
Bl. 5b. Bild: Zwei Männer laden ein, etwa 4 Fuß langes, mit der
Mündung jenfreht nad oben gerichtetes Geſchütz. Der eine hält zwei becher-
förmige Rulvermaße; der andere holt mit einem Schlegel gegen einen in die
Mündung gejegten Antreiber aus, um die Kugel zu verfeilen. Die Gejtalt des
Geſchützes ijt die eines abgefürzten Kegels, der mit dem diünneren Ende nad)
unten auf einer wenig übergreifenden Fußplatte jteht und über den oben ein
Hohlcylinder von nahezu gleihem Kaliber (10-12 Zoll) aufgejchoben ift. Diejer
chlindrijche Teil, der das Geſchoß aufzunehmen hat, ift etwa 1 Fuß lang; der
hintere fegelförmige, der beftimmt it, Pulverladung und Pfropf zu bergen, hat
3 Fuß Länge Es ift das aljo eine Steinbüchje mit Kammer von derjelben Form
wie fie Redufius beichreibt. [8 38]. Auch hier hat die Kammer die doppelte Länge
wie das Vorhaus, der Flug. Im Schwerpunft befindet fich ein jtarfer, beweg—
liher Handhabungäring. (Die Maße beruhen auf dem Berhältnis der Größen
von Mann und Gejhüß in der Zeihnung und treffen alfo nur dann zu, wenn diejes
Verhältnis einigermaßen richtig dargeitellt iſt). — Tert: „Item, wenn du eine
Büchſe ladeit mit dem Kloß, jo leg den Stein (das Geſchoß) faſt hart an den
Klog und verfeil ihn mit weichem Holz. Die Keile jollen nicht hart jein oder
eine Büchfe möchte davon brechen; fie follen auch glei lang und did und ganz
jein; fie jollen auch gleich getrieben werden. tem, und über die Keile ſoll man
einen Stein verjhoppen mit Heden (Werg) und mit Lehm oder mit Heu oder
was ſolchen Dings ijt“. — Der fejt eingetriebene Kloß follte durch jeinen Wider-
itand dem in Staubform dicht zufammengeprehten Rulver Zeit geben, zufammen-
zubrennen, bevor es auf das Geſchoß wirkte. Zu dem Ende blieb zwiſchen Klotz
und Ladung aud noch ein leerer Raum von derjelben Größe wie der Klotz. Da
dad Borhaus oder der „Bumbhart“ der Kammerbücdjen meiſt nur die allernot=
wendigſte Länge zur Aufnahme der Nugel hatte, jo reichte dieje noch über die
232 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Mündung hinaus. Wenn jie nicht hinausfallen jollte, jo mußte jie verfeilt
werden. Dies gejhah (wie e3 die Zeihnung darjtellt) in der Weiſe, daß die
Büchje jenfreht auf den Boden gejtellt wurde, der daher einen breiten, fuhbrett-
artigen Anjag hat. Die Keile mußten weich fein, damit die Büchſe nicht gejprengt
wurde, und damit der Widerjtand ſich gleichmäßig äußerte, mußten fie auch gleich
gang und did fein; jonjt wäre die Kugel jeitwärts abgelenft worden. — Nach
dem Berfeilen wurde diefe nod) verjchoppt, d. h. der Spielraum ward durch Werg,
Lehm oder Heu ausgefüllt, um das Entweichen der Gaje möglichſt zu hindern.
Bl. 6a] Bild: Ein Mann feuert eine Karrenbüchſe ab, u. zw. eine
große Lot- (Blei) Bühje Das Rohr hat etwa 4 Zoll Durchmefjer umd
an 6 Saliber Länge; jeine Seele jcheint cylindrijch zu jein, und da der Boden
des Rohre flach abgerundet ift, fo darf man annehmen, dal es feine Kammer Hat.
Dad Mundjtüd ift dur einen Stulpring verjtärkt, gegen den ſich das Gefäh
(Schaft, Lafete) jtemmt. Dieſes Gefäh hat vorn die Bejtalt einer jlahen Mulde
und läuft hinten in einen langen Stiel aus. Rohr und Schaft find durd ein
in der Mitte umgelegtes Eiſenband jowie durd einen großen jihelförmigen Hafen
dicht hinter der Mündung verbunden. Nahe unter der Mitte des Schaftes liegt
eine Achſe, mit der er beweglich verbunden ijt; denn durd den Stiel des Schaftes
und ein unterhalb desjelben jchräg abwärts laufendes Holzjtüd, das ſich wie ein
Lafetenſchwanz auf den Boden jtüßt, ijt ein langes, handbreites, flahgefrümmtes
Stüd Eijen gezogen, das offenbar als Richthorn (Gradbogen) dient. Dies
Prinzip der Lafetierung ijt während des ganzen Verlaufs des 15. Ihdts. herrichend
geblieben. Die Räder jind jo niedrig, dab jie dem bedienenden Manne nur bis
zur Hüfte reichen. Letzterer ſteht zur Rechten des Gejchüges, zündet mit dem
glühenden Loseiſen an und Hält die linfe Hand vor die Augen. — Tert:
„Wenn du eine Büchje willjt bejchießen, jo jtehe über Ort, d. i. 10 oder WU
Schritt hinter der Büchſe und ebenjoviel daneben. Denn wenn eine Büchſe
bricht, jo jpringt fie nur hinter ſich oder neben ſich aus, daß jie jelten über Ort
(im Winfel) bridt. Oder entzünde jie mit einem Luder (d. i. mit einem in
Schwefel getränften Lappen)) das du deſto jicherer feieft davor. Gedenf an
diefe Lehre“.
Bl. 6b. Bild: Ein Mann feuert ein Gejhügrohr ab, welches mit der
Mündung nad) unten jentvecht aufgetellt it. — Tert: „Eine neue Büchje
ſoll man aljo beſchießen. tem lade die Büchje fait wol mit Pulver
ohne Klotz (d. 5. Hier ohne Kugel) und verfchlage den Pumhart (das VBorderteil
der Büchje) davor mit einem harten Klotz und fäge den Kloß vor der Büchſe ab
und jtelle den Boden über fih und den Pumhart unter fich auf einen Herd und
laß die Büchfe jich jelber beihießen, und welche Büchſe aljo beiteht, die iſt ſicher
gut und beleibt wol, man wolle denn Mutwillen treiben“.
Bl. Ta. Bild: Ein Mann, der in einem auf einer Tafel jtehenden Mörjer
reibt. — Tert: Anweifung zur VBerfertigung verjchiedenfarbigen Pulvers.
Bl. Tb. Bild: Zwei Männer, die ein aufrechtitehendes Rohr in derjelben
Art wie auf Bl. 5b laden. Dies Geſchütz hat feine Kammer. — Tert: „Willit
ı) Davon rührt vermutlich die fpätere Bezeichnung Ludel“ für Bündfchnur ber.
3. b. Feuerwerkerei und Büchienmeijterei. 233
du eine Büchſe meijterlih und recht laden, jo fieh zuerſt, daß das Pulver gut ijt.
tem nimm ein Maß und ftoß es in die Büchſe und teile die Maß in 5 Teile,
als du im der Figur wol fiehit, und lade die 3 Teile mit Pulver als die Mai
jagt, jo ijt-fie mit Pulver recht geladen. Denn der Klotz bedarf jeine Weite;
jo foll zwifchen dem Klo und dem Pulver aud) eine Weite fein, da das Teuer
zu rechter Brunft und aud) zu rechter Kraft mag fommen. tem, danach magit
du dann einen Klotz (d. h. Hier ein Bleigefhoh) und einen Stein dejto beſſer
ihiegen“. — Es heißt das alfo: man foll ®%/s der Büchje mit Pulver füllen und
dad Geſchoß derart einführen, daß zwijchen ihm und der Yadung nod) Ys der
Büchje frei blieb. Dieje mußte alſo 5 Kaliber lang jein.
DB. 8a. Bild: Ein Mann, der an einem Dejtillierapparate beſchäftigt
it. — Tert: „Alſo jolft du Salarmoniat (Weinjteinfalz) gut machen. Es
it gut zu Pulver, das man lange behalten will... .“ Die Bereitung jtimmt
mit der in dem jpäter maßgebend gewordenen Feuerwerksbuche [X V, $ 58] überein.
Bl. 8b. Bild: Ein) Mann, der von einem an der Dede hangenden
Topfe etwas abfragt, das in ein darunter gehaltenes Gefäß fällt. — Tert:
„Alſo madt man Salpeter. tem nimm Salniter 4 Pfd., Salarmoniat 1 Pfd.,
Ganffer 1 Lt. und jiede das in gebranntem Wein, bis der Salniter wol zer-
gangen, gieß dann ab in einen anderen Hafen, der die Form (wie Figura zeigt)
babe, und hänge den in einen Keller, und laß ihn einen Monat alfo Hangen.
Danach gehe darunter und jchabe dem Hafen außen den Kies ab, und danad)
geb allweg über 9 oder 10 Tage und wijche dem Hafen außen das Weihe und
das Graue ab; das iſt das bejte sal petri, das jemand gehaben mag und 1 Bid
gilt 6 Gulden“.
BL.9a. Bild: Zwei Männer an einem Faße. — Tert: „Willjt du Schwefel
verjuchen, ob er gut jei oder nicht, jo nimm einen Knollen Schwefel in die Hand und
hebe ihn zu den Ohren. Kradıt dann der Schwefel, daß du ihn Hörjt krachen, fo ift er gut,
jchweigt der Schwefel aber jtill und kracht nicht, jo ijt er nicht gut. Und jo muß man ihn
machen, als du hernach wol hören wirjt, wie man ihn bereiten ſoll.“ — BL. Ib it leer.
Bl. 10a. Bild: Zwei Männer, der eine mit einer Handbücdje; der
andere mit einem Ringe in der Rechten, welcher, wie es jcheint, zum Stugelleeren
(mejfen) dient. — Tert fehlt. — Über den Handſchützen gehen die Anfichten
auseinander. Er Hält die beträchtlich lange Büchſe vornübergeneigt mit der Linken
vor ſich hin, wie es eigentlich unmöglid) ift, eine Waffe von offenbar nicht unbe:
deutendem Gewichte zu halten.) In der Rechten hält der Schü eine Stange,
die jich vorn in zwei Spitzen zu teilen jcheint. Eßenwein hält diejen Stab
für eine Gabel zum NAuflegen des Rohre, Toll für das Loseifen. Einen bogen=
förmigen Strid, der von der Mündung der Büchſe zu der Gabeljtange hinüber
führt, erflärt Eßenwein für eine jpäte zufällige Verunreinigung der Zeichnung ;
Zoll hält ihn für eine Zündfchnur, die aus dem Rohre herabhangt und jchlieit
daraus, daß die erjten Handbüchjen feine Zündlöcher hatten, die Yadung vielmehr
durch eine Feuerleitung von der Mündung aus mit dem gabelförmigen, glühenden
1) Bei Ehenmwein in dem die Sanbieuerwaffen behandelnden 2. Teile der Quellen zur Geld. der
Feuerwaffen bargeitellt.
234 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Loseijen in Brand gejegt wurde. In diefem Falle ging der Schuh natürlich nicht
gleich nach dem Anzünden los; der Schüge hatte noch Zeit genug, die Büchſe mit
beiden Händen zu faflen und ihr die erforderliche Richtung zu geben. Köhler
ſchließt fich im wejentlichen der Anficht Tolls an, erflärt die Waffe jedoch für
feine eigentliche Handbüchfe, fondern für eine „Klopbücdje“, die mehrere Schüſſe
abgab, deren jeder feine befondere Ladung hatte, welche jic) nad) dem Abgehen des
vorherbefindlihen Schufies entzündete. Sole Klotzbüchſen wurden von der Mün—
dung her entzündet. Diefe Erklärung wird durch eine Handichrift der Wiener Hof:
bibliothet (Nr. 3069) bejtätigt, die jich als eine etwa dv. J. 1400 ftammende Be-
arbeitung des Münchener Coder 600 darjtellt und in der eine ganz ähnliche Figur
ausdrüdlich mit der Bezeichnung „Die Klotzbüchſe mit drei Schuß“ verjehen iſt.
Übrigens wurden auc noch im 15. Ihdt. wirkliche Handrohre nicht jelten bon
der Mündung ber abgefeuert. [XV, 8 64] Abgejehen von dem einen langen Dand-
rohr der Tafel 10a zeigen alle anderen Heinen Büchfen der Münchner Handſchrift
diefelben Formen wie die großen.
Den folgenden Bildern fehlen nun durchweg die Beifchriften. Die auf ihnen
dargeitellten Geſchütze beitehen, wie fi) aus der Farbe ergibt, ſämtlich aus
Eifen und find mittels eiferner Bänder auf Holzunterlagen befeftigt, die wiederum,
leichterer Beweglichfeit wegen, auf Beftellen verfchiedener Art ruhen. Die größeren
Geſchütze, welche ohne Holzfafjung erfcheinen, haben etwa 1 m Länge und 20 cm
Mündungsdurcmefler, verengen ich fonifch gegen den Boden zu und mögen 2 bie
3 Str. wiegen. Die Meineren jind etwa 1%.‘ lang und in der Mündung 2 bis 3
weit; jie haben ſämtlich die Form hoher didrandiger Becher. Dergl. find auf
Bl. 12a zu dreien auf einem jchaufelfürmigen Brette befeitigt, das mit Hilfe einer
vertifalen großen Schraube geſenkt und gehoben werden fann. Es ift eine Art
Orgelgejhüg mit einer Schraubenrihtmajhine — Auf BI. 13a
liegen vier Rohre im Kreuz, mit ihren Bodenftüden faſt zufammenjtoßend,
aufeiner runden Eceibe, die fich um eine durch ihren Mittelpunft gehende
Schraube drehen und mitteld eines Richtbogens neigen läßt. Diefe Einrichtung
erlaubte im Augenblide des Sturms eine Art Schnellfeuer. — Bl. 15b, BI. 168
zeigt ein aus 15, um einen Mittelcylinder gelegten fleinen Rohren zuſammen—
gejeßtes Gefhüg, das auf einem vierkantigen, in einer Gabelſpitze (Wippe) liegenden
Balken befejtigt ift, durch deſſen Schwanzteil eine etwa 1 m hohe Richtfchraube
läuft, die ein Mann an ihrem oberen furbelartigen Anſatze dreht. Es ijt aljo
eine Art Gatlinggejhüg. — Bl. 17a ftellt zwei Rohre dar, die beide auf
demjelben kurzen Balken aber nad) entgegengejegten Richtungen befeftigt find.
Der Balten dreht ſich in der Gabel eines Unterfages und ift unten mit einer
halbkreisförmigen Scheibe verjehen, welche an der Peripherie mehrere Löcher auf—
weilt, durch die Bolzen gejchoben werden fünnen, um fo den Balten beliebig zu
elevieren. Der daneben dargejtellte Mann trägt Schwert, Ringpanzer, Eifenhut
und Beinjchienen, während ſonſt die Artillerijten der Handſchrift unbewaffnet,
jogar 3. T. barhäuptig erjcheinen. — Abbildungen folder Vereinigungen mehrerer
Lot-Büchſen laufen durd die gejamte artilleriftiiche Literatur des 15. Ihdts.;
gerade das ältejte Werk derjelben, Konrad Kyeſers „Bellifortis“ [XV, 8 4] üt
3. b. Feuerwerkerei und Büchſenmeiſterei. 235
reih daran, aber auch die jpäteren, jelbit die im 16. Ihdt. gedrudten, bringen
he noch, und unzweifelhaft haben fie eine bedeutende Rolle gejpielt. Gejchichtliche
Angaben über den Gebrauch derartiger Injtrumente gewähren aus fehr früher
Zeit italienische Schilderungen "), und aus dem Anfange des 15. Ihdts. hat fich
jogar ein Originaleremplar (fünfläufig) erhalten, welches im Mujeum zu Sig-
maringen aufbewahrt wird. Es leuchtet aud ein, daß man den Gefahren, die
aus der Langſamkeit und Schwierigkeit der damaligen Bedienung erwuchſen, zu
begegnen bejtrebt war, indem man mehrere geladene Rohre gleichzeitig in Tätigkeit
brachte. Denn jo mochte man hoffen, den Gegner, der es keineswegs erwarten durfte,
daß einem abgegebenen Schufje ſogleich nod) einer oder gar mehrere andere folgen
würden, wirkungsvoll zu überrafchen. Lagen joldhe Vereinigungen von mehreren
Lotbüchſen auf Karren oder Wagen, jo nannte man jie Ribaude oder Ribaudequins,
indem man eine Bezeichnung der fahrbaren Armbrufte auf fie übertrug. — Auf
8. 17b findet ſich eine Art Hoher NRahmlaffete auf niederen Blodrädern, eine
Borkehrung, welde allerdings für das Meine Rohr, eine Lotbüchſe, zu groß er:
iheint. Immerhin handelt es fich Hier um ein Belagerungsgeihüß, denn das
Serüjt fteht einem Turme gegenüber, und bei wenig jtärferer Abmefjung einzelner
Teile des Geſtells würde es ſich aud) jehr wohl zur Aufnahme einer Steinbüchſe
eignen. Dies jind die wejentliditen Typen der ohne Tert dargejtellten Büchjen.
Sp interefjant und wichtig der Inhalt diejer fojtbaren artille-
riſtiſchen Neliquie tft, jo reicht er doch nicht aus, um ein genügendes
Bild von dem Stande der Gejchügtechnif zu gewinnen, den dieje im
14. Ihdt. überhaupt erreicht hat. Gar nicht die Nede iſt von den
großen, 3. T. Eolojjalen Stalibern, welche als „Legeſtücke“, d. h. als
wagerecht auf mächtige Holzunterlagen gebettete Brechgeichüge, gegen
Ende des Jahrhunderts tatjächlich zur Verwendung famen: wie die
Nürnberger Chrimhild (1388), die große Srankfurter Büchſe vor
Tannenberg (1399) u. U. Eben darum muß man Nachdrud darauf
legen, daß in der Münchener Handjchrift (mag fie jelbjt auch erſt im
legten Viertel des Jahrhunderts hergeftellt, d. h. abgezeichnet und
abgejchrteben worden jein) doch ein Niederjchlag der Büchjenmetiter:
fimit der Zeit von etwa 1350 vorliegt. Jedenfalls jtellt jich in ihr
das ältejte wijjenjchaftliche Werf über Artillerie nicht nur Deutjchlands
jondern Europas dar.
Übrigens enthält die Handjchrift auch interefjante Darjtellungen
des mittelalterlihen Wurf: und Schußzeugs.
Die Abbildung einer Blide entjpridt genau dem tripahtium des Egidio
Colonna [$ 19]. Sehr merkwürdig tft die Zeichnung eines Onagers auf BI. 15.
1) Bl. Eitadella: Hist. de la domination des seigneurs de Carare; jomwie Mitteilungen
des }. f, Artillerie-Gomite, 1868, XX und Wille: Über Kartätſchgeſchütze (Berlin 1871).
236 Mittelalter. II. Die Abendländer.
Sie beweijt, daß dies Geſchütz der Spät-Römer ſich durch das ganze Mittelalter
erhalten Hat. General Köhler hat nachgewieſen, daß es mit den als „Mange“
oder „Rutte“ bezeichneten Gejhügen der Chronijten und Dichter gleichbedeutend
ift). Werner bringt diefer Coder die einzigen Zeichnungen, welde ji) von
großen Stand= und Wagenarmbrujten aus dem 13. und 14. Ihdt. erhalten
haben u. zw. z. T. mit den Spannvorrichtungen, unter den die Schraube (vis)
als ganz bejonders wichtig hervorzuheben ijt ?).
S 38.
Die ältejte eigentliche Geſchützbeſchreibung, welche uns
befannt wurde, gibt das Chronico Travisano des Reduſio da Quero
beim Jahre 13769). Da heißt es:
„Est eniim bombarda instrumentum ferreum fortissimum cum trumba
anteriore lata, in qua lapis rotundus ad formam trumbae imponitur, habens
cannonem a parte posteriore secum conjungentem longum bis tanto, quanto
trumba, sed exiliorem, in quo imponitur pulvis niger artificiatus cum sal
nitrio et sulphure et ex carbonibus salicis, per foramen cannonis praedicti
versus buxam (buccam ?). Et obtuso foramine illo cum concono uno ligneo
intra calcato, et lapide rotundo praedicetae buccae imposito et assentato
ignis immittitur per foramen minus cannonis, et vi pulveris accensi magno
cum impetu lapis emittitur“. — D. h. „Die Bombarde ijt ein eijernes In—
jtrument mit weitem Vorderteil (trumba), der den hineinpajlenden runden Stein
aufnimmt, und einem hinteren doppelt jo langem, aber dünnerem Rohr (cannone),
in das durch die dem Vorterteile (buxa) zugefehrte Offnung das ſchwarze,
fünjtlih aus Salniter, Schwefel und Weidenfohle bereitete Pulver getan wird.
Hat man dann jene Offnung durd einen hineingejchlagenen Holzpfropf feit ver-
ichloffen, die Steinfugel in das Mundjtüd eingejebt und verfeilt, jo wird durd
das fleine Loch des hinteren Rohres Feuer gegeben, worauf die Kraft des ent-
zündeten PBulver® den Stein mit großer Gewalt hinausjchleudert.“
Aus den fiebziger oder achtziger Jahren des 14. Ihdts. ſtammt
eine Anweijung zur Läuterung des Salpeters in einer Hand»
ichrift des Archivs von Rothenburg ob der Tauber, welche Kerler
im Anzeiger für die Kunde der deutjchen Vorzeit mitgeteilt hat*).
c. Befeſtigungsweſen.
8 39.
Sehr ſpärlich find die literarifchen Überlieferungen auf dem
Gebiete der Befeſtigungskunſt. In der deutichen Gejchichte wird ein
1) Rriegweien und Sriegführung der Ritterzeit IIIa (Breslau 1887), Taf. II, Fig. 7.
n Ebd. Taf. II. Fig. 5.
3) Abdrud der Ehronif bei Muratori: Rerum ital. scriptores, vol. XIX, p. 754 (Rai»
land 1730). Bgl. aud) Hodyers Geſchichte der Kriegstkunſt, I. Bandes 2. Hälfte, S. 7 der Zufäge und Er-
l[äuterungen (Göttingen 1797). — *) Jahrgang 1866, Sp. 426. Wieder abgedrudt bei Köhler IIla, 5.254.
c. Befeſtigungsweſen. 237
eigentlicher Kriegsbaumeifter zum eritenmale in der 2. Hälfte des
12. Shots. namhaft gemacht, nämlich Bifchof Benno von Osnabrüd,
welchem König Heinrich IV. u. a. den Burgenbau gegen die Sachjen
übertrug!) und welcher jomit gewiß genötigt war, eine Art von
Syſtem zu entwerfen, wenn auch nicht niederzujchreiben.
Das 20. Kapitel des Ägidius Romanus, welches vom Feitungsbau
handelt [819], erhält noch einige Erläuterung durch den Inhalt einer
Heinen Abhandlung über dasjelbe Thema, die fich indem Dietionarium
des Johannes von Garlanda vorfindet. Die Lebenszeit Ddiejes
Mannes iſt ungewiß, wahrjcheinlich fällt fie um die Wende des 12.
und 13. Shots. Sein Dietionarium iſt eine Encyflopädie der
Künſte und Wiffenichaften, ſoweit diefe unmittelbare Beziehungen
zum praftichen Leben haben. Eine Handfchrift des Buches aus dem
14. Ihdt., welche ji) zu Cambrai befindet (No. 867) iſt dadurch
interejjant, daß ein Scholiaft viele Erklärungen in franzöfifcher Sprache
zu dem lateinischen Text hinzugefügt hat.
Das Dictionarium ift nicht gedrudt. Mone teilt einiges daraus mit im
„Anzeiger für die Kunde des deutjchen Mittelalters“ 1835. Da auch diejer Jahr:
gang ſelten geworden ijt, jo wiederhole ich den militärischen Paſſus, der in feinem
fonderbaren Durdeinander von baulichen Einrichtungen, Berpflegungswefen, Be-
fagung u. j. w. ein charafteriftiiches Zeichen der Zeit ift, und füge die Erflärungen
des Scholiaften in Klammer bei:
„Si castrum debeat decenter construi, duplici fossa cingatur. situm
loci natura muniat, ut mota super rupem sedem debitam sortiatur, vel
naturae defectui succurat beneficium, ut muralis moles ex cemento (mortier)
et lapidibus constructa in arduum opus excrescat. super hanc erigatur
sepes horrida, palis (de peus) quadrangulis et vepribus (ronsses) pungen-
tibus bene sit armata postmodum vallum (castel vel baile) amplis gaudeat
interstitiis (epasses) et fundamentum muri venis terrae maritetur. muri
autem supereminentes columpnis exterius collocatis appodientur. super-
ficiis autem trullae (trouele) aequitantem et cementarii operam repraesentet.
cancelli (crestel) debitis distinguantur proportionibus. propugnacula (bretes-
ques) et pinnae (pignon vel toureles) turrim in eminenti loco sitam muniant.
nec desint crates sustinentes molares ejiciendos, si forte castrum obsideatur,
ne defensores oppidi ad deditionem cogantur. muniantur et farre, blado
et mero, arvis (bacons) et pernis (flikes) et baconibus et carne in succidio
(souchies) posita. hillis (andoulles) et salsuciis (saussices) vel tucetis
(bondin) et carne auilla et carne bovina et carne arietina et leguminibus
diversis, fonte jugiter scatiente (souriant): posticis subtilibus et cataractis
ı) Krieg dv. Hodfelden: Geſch. der Militärardhitectur in Deutſchland von den Römern bis
zu den Kereuzzügen (Stuttgart 1859).
238 Mittelalter.
(boues) subterraneis, quibus opem et succursum allaturi latenter incedant.
assint et lanceae, catapultae (saiete barbée) peltae (targes) anchilia (escus
reons) balistae (arbalestes) fustibula (mangonnel) fundae (fundes) baleares,
sudes ferrei, clavae nodosae, fastes, torres (brandon), ignem sapientes,
quibus obsidentium assultus (assaus) elidantur et enerventur, ne propositum
consequantur; arietes (engien) vineae vites (garite) crates, balearia et
ceterae machinae. assint et manni (palefroi) et gradarii (cacheour) et
dextrarii (destrier) palefridi usibus militum apti, quibus exeuntibus ut
melius animentur. concinant tibiae (buisines) et litui et buxus (frestel)
et cornu (cornet) et acies et cunei et legiones vel cohortes et exercitus
a tribunis militiae ordinabuntur, vel etiam cum prosiliant ad troiampium
(tournoi) vel ad troianum agmen vel ad tornamentum vel ad hastiledium
(bouhourdich). assint et ronsini sive succussatorii vel succussorii, vernis
(sergant) et vispilionibus (bedel) et coterellis (pieton) apti. sint etiam in
castro viri prudentes tam clarigatores (desfieur) quam caduciatores (apaiseur).
assint et carceres, mansionibus debitis distincti, in quorum fundum de-
trudantur compediti in manicis ferreis positi, et cippi (cep) et columbaria
(pellor). assint ex excubiae (gaites) vigiles.
Aus wenig jpäterer Zeit begegnet bereit3 ein handjchriftliches
Denkmal der Tätigkeit eines Architekten: das Album des Dillard de
Honnecourt, Netjejfizzen eines pifardiichen Baumetjters, etwa aus
dem Jahre 1230.
Das Original befigt die Nativnalbibliothet in Paris (ms. lat. 1104). Aus
gaben veranftalteten Laſſus und Darcel (Paris 1858) und Willie (Urford 1860).
An militäriſch interejjanten Gegenjtänden bringt das Album u. a. einen
fünfedigen Turm mit Scharten, dann die Einrichtung eines arc ki ne fant um
die Grundriizeichnung eines fort engieng con apiele trebucet. — Der ar
infaillible ijt eine Armbrujt mit fonifcher Verlängerung der Bolzenute, deren
Zwed leider nit Har wird. Von dem fort engin qu'on apelle tr&buchet
fehlt bedauerlicherweije der Aufriß, welcher einjt vorhanden war. Biolletzle-Duc
bat nach Villards Angaben eine anſchauliche und einleuchtende perjpektivijce
Zeichnung diejes Gegengewichtswerfzeugs fonjtruiert und mit Erläuterung ver:
öffentlicht H.
Aus einer Notiz Almirantes (p. 577) jcheint hervorzugehen, dat
der Belagerungsfrieg des 13. Ihdts. jelbjtändig abgehandelt üt
indem Opusculum Ildefonſi, Regis Deigratia Romanorum
et Castellae, deiis qui sunt necessariaad stabilimentum
castri tempore obsdionis [$ 28].
Es iſt das eine Handſchrift aus der Zeit des caitiliichen Königs Don
Alfonjo el Sabio (1252—1282) in der jpanifchen Academia de la historia.
1) Dietionnaire raisonne de l'’architecture francaise du 11. au 16. siecle V, p. 2%
(Paris 1861).
Schlußbemerkung. 239
Schlußbemerkung.
8 40.
Vergleicht man die mittelalterliche Literatur des Abendlandes
mit der des Oſtens, ſo zeigt ſich eine äußerliche Ähnlichkeit in dem
Wechſel zwiſchen Fruchtbarkeit und Sterilität, der hier wie
dort hervortritt. Beiden Kreiſen iſt das 5. Ihdt. ein Zeitalter ab—
ſoluten Schweigens. Das 6. Ihdt. dagegen bringt Lebensregungen
hier wie dort, im Orient freilich unvergleichlich viel bedeutungsvoller
als im Occident, da für dieſen nur ein einziger Name zu nennen iſt:
der bi. Iſidor. Mit dem 7. Ihdr. tritt wieder überall völlige Stille
en, welche im byzantinischen Weiche bis zum Beginn des 10., im
Abendlande jogar bis zur Mitte des 13. Ihdts. währt. Aber im
Titen erlifcht (von einigen arabijchen Arbeiten abgejehen) mit dem
11. Ihdt. das Licht der Kriegswiſſenſchaft überhaupt, während es
jet dem 13. Ihdt. im Weiten heller und heller aufflammt. Im
14. Ihdt. läßt ſich Hier bereits, zum erjtenmale jeit dem Untergange
der Haffischen Bildung, wieder eine Sonderung der jachwifjenjchaftlichen
Beitrebungen erfennen, an denen nun auch Deutjche teilnehmen.
Wägt man den Wert der griedhijchen und der abend-
ländijchen Militärliteratur gegeneinander ab, ſo unterliegt es
feinem Zweifel, daß in quantitativer wie namentlich auch in formaler
Hmficht die Wage jich Itark zu guniten der Byzantiner jenkt. Anders,
jobald man nach den Anfängen neuen Lebens, nach dem wirklichen
Fortjchritte fragt. Da ergibt jich, daß die Byzantiner wenig mehr
getan haben, al3 das antife Erbe weiter zu jchleppen und hie und
da umzuprägen. Und zwar it es nur ausnahmswetje der Geiſt
der Alten, der fie anzieht und bejchäftigt; zumeiit handelt es ich für
lie immer nur um die Form. Wie bezeichnend erjcheint es doch in
diefer Beziehung, day gleichtwie Orbifios, der ältejte byzantintjche
Kriegsjchriftiteller, ein auf Älians Taktik beruhendes „Wörterbuch
der Phalanx“ bearbeitet hat, auch noch die legten Regungen militär-
literariſcher Betätigung am goldenen Horn eben wieder jolchen lexi—
kaliſchen Bearbeitungen der älianiſchen Taktik galten! — Formen
und Worte! Der Inhalt it längst nicht mehr lebendig, und der
Reit iſt Schweigen. — Ganz anders im Abendlande! Hier gebt
neben jchwächeren Überlieferungen des antifen Formalismus ein von
240 Mittelalter.
Sahrzehnt zu Jahrzehnt fraftvoller aufitrebendes Denken her, das ic
einerjeits unter religiös-ethijchen, bzw. jtatsrechtlichen Gefichtspunften
mit dem Kriege beichäftigt, andererjeits ritterliche und artillerijtiiche
Technif eigenartiger Betrachtung unterzieht. Hier tft Individnalität,
Wachstum, Zukunft! Und daher geht denn auch die weitere Ent-
wicelung der Kriegswiſſenſchaft nicht von der byzantinischen Tradition
aus, jondern von den lebensfähigen Keimen der mittelalterlichen
Literatur des Abendlandes.
Drittes Buch.
Das funfzehnte Jahrhundert.
Yähne, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 16
Drittes Bud.
Das funfjehnte Dahrhundert,
I. Bapifel.
Allgemeine Kriegswillenfchaftfiche Werke.
l. Gruppe.
Die SKearbeitung der antiken Überlieferung.
81.
Gering nad) Umfang und Vertiefung war im eigentlichen Mittel-
alter die Kenntnis der literarifchen Überlieferungen des Altertums,
namentlich joweit es ſich nicht bloß um lateinische Dichter, Redner und
einige Gejchichtsichreiber, jondern um Fachjchriftiteller handelte. Im
kriegswiſſenſchaftlicher Hinficht kam lediglich Vegetius in Betracht.
Mit dem 15. Ihdt. aber beginnt, wie eine folgerichtige Anlage von
Bücherfammlungen durch Abjchriften lateinischer und Überfegungen
griechischer Werfe, jo auch eine wejentliche Erweiterung des Interejjen-
freijes, eine Fülle neuer Entdedungen, ein verjtändnisvolles Ver—
ienfen in eigentliche Fachſchriften. Zunächſt war Italien der Schau-
platz dieſer Entwidelung, wo jie außerordentlich gefördert ward durch
die von der Balfanhalbinjel vor den Osmanen fliehenden Griechen;
ja die griechischen Studien hingen von dieſen Flüchtlingen in jo
beitimmter Weiſe ab, daß mit dem Dahinjterben der byzantinischen
Einwanderer während des eriten Viertels des 16. Ihdts. auch die
griechiichen Studien in Italien abjtarben, freilich nur, um nun von
den Deutjchen aufgenommen zu werden. Doch auch vorher jchon
hatten dieje regen Anteil an der Wiedererwedung der antifen Kultur,
und die deutjche Erfindung der Buchdruderfunit wurde ein gewaltiges
Hilfamittel für die Verbreitung diefer Studien, welches jehr frühzeitig
auch der militärijchen Renaiſſance entgegenfam.
16*®
Ihr '
244 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
— 6.4
Es iſt ſchon darauf hingewieſen worden [A. 8 37], wie eifrig
ım 15. Ihdt. dasjenige Volk, welches zuerjt unter den Wejteuropäern
eine großartige Neorganijation des Kriegsweſens durchzuführen be-
itrebt war, das der Engländer, fic) mit Vegetius bejchäftigte, indem
es durch Überfegungen die Epitoma weiteren Kreifen zugänglich
machte. Auf eben diefem Wege folgte, unmittelbar nach dem Er-
jcheinen des erjten Vegez-Druckes (Ütrecht 1473) ein Deuticher nad).
Ludwig Hohenwang von Thal Elchingen verdeutichte den Vegez
und widmete jeine Arbeit dem Grafen von Laufen (Würtemberg),
defjen Dienftmann er vermutlich war. Eine ſehr jchöne Handjchrift
dieſer Überjegung bildet den erjten Teil eines hochintereffanten, weiter
unten [$ 36] näher zu bejprechenden Kriegsbuches Philipps von
Seldened, welches ſich in der großherzoglichen Bibliothek zu Karls—
ruhe befindet (Durchlach Nr. 18); eine zweite befigt, Moned Angabe
nach, die Bibliothef zu Linz. (9. ©. XL. c. 8). — Diejer deutjche
Vegez ift nun eines der erjten Bücher, welche in Deutjchland über-
haupt gedruckt worden find. Die erjte Ausgabe erjchten zu Ulm
um 1475; fie iſt jehr jelten und entbehrt, wie die meilten In—
funabeln, Titel, Zeichen und Kuſtos, beginnt vielmehr gleich mit
der Zueignung: „Dem wolgebornen herren, herren Johanjen Grauen
von Zupffen, landgrauen zu jtielingen, herren zu Hewen, Embeut ich
Ludwig Hohenwang von Tal Eldhingen gehorjfam mit dienjten.“
Nach der Widmung heißt e8 weiter: „Des durchleichtigen, wolgebornen
Grauen Flavii Begecit Renati kurcze red von der Ritterjchafft
zu dem großmechtigjten kaiſer Theodofio, feiner bieder vierer.“!) —
Folgendes iſt die Inhaltsangabe:
Das erjt buch weiſet vnd lernet erwelung der jungen, vß welchen enden
oder welche Ritter zu beweren ſyen, oder mit welher vbung der wouffen zu
vnderweiſen. — Das ander buch haltet in gewonhait der alten Ritterſchafft
oder wie man anſchicken ſol ein fußzeug. (Infanterie), — Das dritt buch
alle wouffen, die zu dem veldftreit nicz find. — Das vierd bud erzelt allerlai
gerijt, bolwerck vnd gebew, dardurd die jtet gewonnen oder vorgehalten mugent
werden/— Uber in ainem Yyeglichen krieg ift nit als gar gewon fig zu erlangen
die mengin vnd vngelert jterfin als kunſt und vbung. — Dieſen vier Büchern
!) Bwei Eremplare diefer jeltenen Ausgabe befist — Bibliothet zu Wolfenbüttel, eins
das germaniſche Muſeum in Nürnberg, eins bie fgl. öffentl. Bibl. zu Dresden, eins die WibI. des
Serzogs von Genua in Zurin.
1. Die Bearbeitung der antiten Überlieferung. 245
bat Hohenwang als fünftes Buch einen Atlas Hinzugefügt, den auch die Dur:
lacher Handjchrift aufweift und von dem der Berf. jagt“ „Wann aber mangerley
gerift, bolwerd vnd gebew in den vierden buch begriffen iſt vnd fain ſach ganz
tlarlich durch bedeutnus der wort als durch zaigen ain?® monſters begriffen/mag
werden, darum hab ich das funft Bud, gejeczet mit figuren darzu gehoerend
ond ſoliches vßweiſend“.
Der Text der vier Bücher iſt eine einfache buchſtäbliche Ver—
deutſchung der Epitoma. Der Überſetzer redet die Sprache' des Tages,
einen ſchwäbiſchen Dialekt ohne literariſche Feinheit, aber mit ſo
gutem Verſtändnis des ſachlichen Inhalts, daß man geneigt wird,
ihn für einen erfahrenen Kriegsmann zu halten. In ſeiner Vorrede
an den Landgrafen ſpricht er sich eingehend über den Wert
der Kriegswiſſenſchaft und ſein Verfahren bei der Überſetzung aus.
Er ſagt: Ile — — pp /v pirered [x f {
„Wie wol ewer großmechtigkait in Reitery, frieghlouffen vnd anderen ſachen
bewertlich geubt iſt, ye doch alt erber vnd nuczlich herkomen vnſer eltern je
merden, weiß ich vch alleweg allergeuelligoft. So ich aber die biecher des durd)-
leihtigen Grauen Flavii Vegecii, in latein kurcz begriffen, verlefen hab, nun
diefelben ze teutſchen vch als meinem gnedigen herren ze jchiden, vermain ich
wolgeuellig vnd nuczbar fein. Wann in angelangtem oder jelbangehebtem krieg
funjt der Reitery (d. 5. bier „Kriegsfunft“ überhaupt) faſt gut jein, ziweiuelt
nieman. Durch welhe die freihait behalten wirt, das veld gebumwen, das land
befhirmet vnd das reich gejterdt. Welhe vor zeiten (all ander vnderwegen gelaßen)
die facedemonier vnd darnach die Roemer in eren gehebt haben, wann alle andere
ding in der find begriffen oder durch die andere ding zu eruolgend hoffnung it.
Das ijt die, die den friegenden nuczlich ift, durch die fi das leben behaltend vnd
fig eruolgend. Was mag aber fchedlicher® geſein, warın folihs nit wißen; da=
durch das land befumert, verderbt und zu dem letjiten, das, das großf iſt, zer-
itört wird. So aber die allain folihen nucz leut vnd land fachet, it fie billich
für all zu beijhirmung vnd Hail des lands als ain befunder zuflucht ze bruchend“,
— Um des Verjtändnifjes der „puren layen“ willen, hat Hohenwang zum Schluß
feiner Berdeutfhung eine Erflärung der im Terte beibehaltenen lateinischen Kunit-
ausdrüde in alphabetijcher Reihenfolge gegeben; ausdrüdlih aber erklärt er fich
in der Borrede jelbjt über jeine Berdeutfhung des Wortes miles. „Ob aud
geichrifften (das ift der hailigen vnd auch der haidnifchen) zu gloubend iſt, vindt
man den namen des ritters auch dem reiter oder foldner zugeaignet fein, doc)
mit vnderſchid desjelben, al& bezeugt der mantuanijch poet, das ijt virgilius
(buccoliorum prima) da er alfo jpridt: „Impius bec tam culta novalia miles
Habefit“. Darumb wo ir vindent in diefen biecher Ritter oder ritterfchafft, ſolt ir
verjtain reitery vnd reiter, die allweg der Ritterjchafft in dienjten als iren herren
beimonend vnd leib und hab mit in wagend“. Dieſer Bemerkung entjpredhend
iind miles, tiro, militia jtet3 mit „Ritter“ und „Ritterjchaft“ überjegt. Man
* i
4 Ur *
nd
246 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
darf übrigens nicht vergefien, daß nad) mittelalterlihem Sprachgebrauche „Reiter“
nicht unumgänglich Berittene bedeutet, jondern ebenjo wie „Reifige“ für „Striegs-
leute“ ſchlichthin gebraudt wird, da ſolche denn doc der Mehrzahl nad be:
ritten waren.
Sehr bezeichnend für die Auffafjung des lateinischen Textes wie
für die militärtichen Zuftände des 15. Ihdts. find die Erflärungen
der römiihen Kunſtausdrücke, umd daher jollen Ddiejelben,
unter Fortlaffung der citierten Beweisjtellen, ſowie unter Beiſeite—
laſſung derjenigen Stichwörter, die nur mit einem Hinweiſe auf Tert-
jtellen abgefunden jind, hier abgekürzt wiedergegeben werden.
Acies!) ijt ain fpicz. — Ale haißent fligel vnd find x x x Reiter in dem
zeug. — Aries ift ain wider. — Agger ijt ain bajty. (Eine jehr bemertene-
werte Erläuterung, welche beweijt, daß Hohenwang unter einer Bajtei ein Wert
aus Erde und Flechtwerk verjtand). — Auxilia find zufecz. — Balista ijt ain
armbroft, welher mangerlai gewejen: als carrobaliste, manubaliste, arcubaliste,
welhe ains taild iren namen verloren habent als scorpiones, die nun baliste
haißent. — Bucina ijt ain bujan, geiprodyen als bocina (d. i. Poſaune). —
Comes ijt zu zeiten mer dann ein furjt. — Consul ijt ain burgermaifter, ge—
ſprochen von dem, das er rat gibt, gleich als rex don regieren. — Centurio,
als liuius jpricht, was der, weldyen man nun primipilum haißt. — Classica jind
gebogene herhorn. — Contubernia jind rotten, aljo daz allweg zehen rittern ain
decanus dor was. — Cornua jind die vßeren tail des zeugs. (Zeug bedeutet
hier alſo Schlacdhtordnung). — Cuneus ijt ain bejamelte mengin der ritter, ge
ſprochen al® coneus, vnd ijt der fußknecht und nit der reiter. (Der Begriff des
„Keils“ erſcheint in diefer Erklärung ganz bei Seite gelajien, wa® um jo mehr
auffallen muß, als, namentlich für die Neiterei, keilförmige Gejechtsiormen im
15. Ihdt. geradezu vorherrichten). — Olasses werdent reiter gehaißen von tailung
wegen des zeugs. (Aljo im Sinne von „Abteilung“). — Cohors wird von dem
wort cohercendo geſprochen, und wieviel die ritter hab, ijt mangerlai mainung. —
Cataphracti equites jind die mit Platharnaſch bededet find vnd auch bededte
roß habent. — Dux ijt ain herezog, ain fierer des zeugö, von welhem er den
namen bat. — Decanus ijt zehen rittern vor, die vnder ainem zelt wonent. —
Expediti et impediti jind bering oder unbering. — Exostra ijt ain jhurmger.
(Eigentlidy ijt es eine auf Walzen fortzubewegende Maſchine, eine „Katze“, wie
es das Mittelalter nannte). — Ferentarii jind ritter von ringen wouffen, als
ichlingen, jchwerter, geihoß. — Impedimenta jind waher- vnd Holcztrager (!) —
Nota jind zaichen, dabi man ain gancze mainung veritat. — Semissis iſt andert-
halber vinger. — Uncia ijt ain lengin drier vinger vnd nit allwegen ain gewicht
Nach Hohenwangs Äußerung ſoll auch der als fünftes Buch
dem Texte angehängte Atlas zur Erklärung des Vegetius, namentlich
1) Nur der beſſeren Überſicht wegen wende ich hier Antiqualettern an; Hohenwang druckt
lateiniſch wie deutſch gleichermaßen gotiſch.
1. Die Bearbeitung der antifen Überlieferung. 247
des vierten Buches, dienen, und bis zu eimem gewiſſen Grade trifft
die8 auch zu, indem sambuca, exostra, telleno, turris ambulatoria,
currus falcatus, falerica, malleoli, murices, musculi und aries
durch Zeichnungen erläutert werden; der Hauptjache nach aber hat
der Atlas gar nichts mit dem Vegetius zu tun und wird daher mit
den identijchen Abbildungen des Valturius [$ 41] und den gleich—
artigen der Veteres de re militare scriptores an anderer Stelle
8 10] zu würdigen jein.
Den Drud des deutichen Begez, der zu den Inkunabeln der deutjchen Buch—
druderfunft gehört und vielleidyt das ältejte ihrer weltlichen Werte ift, jchreibt
Ebert dem Johann Zainer zu. (Allg. bibl. Leriton, Lpzg. 1821— 27). Früherer
Tradition zufolge war Hohenwang jelbit der Druder, habe ſich als ſolcher anfangs
zu Ulm aufgehalten und dort die Berdeutichung der Artis moriendi gedrudt,
ipäter aber in Thal Elchingen eine eigene Druderei eingerichtet. Auf Grund diejer
Überlieferung erfundigte ji) vor jegt hundert Jahren von Heineden an Ort und
Stelle; doch wuhte man weder in der bücherreichen Benedikftiner-Abtei noch in
dem Dorfe Thal Elchingen (Fagjtkreis) irgend etwas von einer Ortsdruderei, von
Hohenwang oder vom deutichen Begetius. (Nachrichten von Künjtlern und Kunſt—
fahen, Dresden 1786)}).
83.
Ein Jahr nach der Editio princeps des Vegetius erjchien die
jenige von des SrontinusStratagematalibri Ill (Rom 1474).
— Des Vitruvius Architectura wurde zuerjt 1486 von
Sulpicius in Rom herausgegeben u. zw. mit Frontins Buch de
aquis. Im nächſtfolgenden Jahre ſtellte Theod. Gaza von Theſſa—
lonich jeine Übertragung von Ailians „Theorie der Taktik“
ins Lateinische her, welche dann jogleich in jenes große kanoniſche
Corpus rei militaris aufgenommen wurde, das unter dem Titel:
Veteres de re militari scriptores, scilicet Vegetii, Aeliani,
Frontini et Modesti opera im Jahre 1487 zu Nom erichten. Bon
diejer Sammlung, welche, immer aufs neue aufgelegt und bearbeitet,
bis gegen Ende des 17. Ihdts. ald die rechte Pidce de resistance
aller kriegswiſſenſchaftlichen Bejtrebungen erjcheint, ijt bereits näheres
mitgeteilt worden [A 8 4. — Auf den den Veteres beigegebenen
militäriſchen Bilder- Atlas wird am anderer Stelle eingegangen
werden 8 10).
1) Näheres über die ältefte Ausgabe bes beutichen Vegez dal. in den Annalen der deutichen
Siteratur und in Baumgartend Nachrichten von merkwürdigen Büchern.
ur
248 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Was außerhalb des Kreiſes diejer Veteres an antifen Schrift-
jtellern, die kriegswiſſenſchaftliche Beziehungen haben, herausgegeben
wurde, hat nur philologifches und bibliographifches Intereffe; denn
es blieb ohne Einfluß auf die militärischen Studien der Zeit. Doc)
jet erwähnt, daß 1469 zu Rom die Kommentarien Cäſars zuerit
gedrudt wurden. (Ausgabe des Aleria.) Eine Mailänder Ausgabe
derjelben von 1477 bringt bereitS einen Inder der in den Denk
würdigfeiten erwähnten Ortlichfeiten. Dann jtellte Jean du Chene
»au noble vouloir et plaisir du Duc Charles de Bourgogne«
eine zweite Übertragung der Kommentarien ins Franzöſiſche her!),
welcher gleich darauf eine dritte folgte: die translation en gaulois,
die der Mönch Gaguin für jenen Schüler, König Charles VI.
ausführte, der als galliicher Eroberer von Italien ji) gern als
ebenbürtigen Gegner Cäſars betrachtete. Du Chenes Werk, von
dem jich in der Dresdener öffentlichen Bibliothek eine Pergament-
handfchrift befindet, ift feine eigentliche Überjegung, vielmehr freie
Nachbildung unter Mitbenugung anderer Schriftjteller, namentlich
Suetond. Gaguin dagegen ijt wirklich” nur Translator und gab jein
Wert 1500 zu Paris heraus. Diefen franzöfiichen Arbeiten folgte
eine Übertragung ins Spanijche von Don Diego Lopez de Toledo
(Toledo 1498), und jomit läßt jich fejtitellen, daß das Interejje an
der Beichäftigung mit Cäſar während des legten Viertels des 15. Ihdts.
in Wejteuropa offenbar zunahm.
2. Gruppe.
Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandſchriften.
84.
Die techniſchen Zeichnungen antiker Codices, wie ſie namentlich
in den byzantiniſchen militäriſchen Enchklopädien häufig begegnen,
famen den Neigungen des ausgehenden Mittelalter in eigentümlicher
Weile entgegen. War das doch die Zeit, in welcher man allen
möglichen Geheimnijfen „mit Hebeln und mit Schrauben“ auf die
Spur zu fommen hoffte, in welcher man wähnte, die Riegel, die den
Eingang zu übernatürlicher Macht verjchlöffen, heben zu Eönnen,
») Die erfte Übertragung der Kommentarien ins Franzöſiſche und damit zugleich die erſte Über:
ſetzung derjelben in eine abendlänbiiche Sprache jcheint 1356 unter Charles V. vorgenommen worden zu jein.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandſchriften. 249
wenn des gebrauchten Schlüſſels Bart nur recht „kraus“ ſei. Nicht
verworfen wurde das Unverſtandene, ſondern um ſo ſorgfältiger
überliefert, je weniger man im ſtande war, es zu begreifen. Antike
Traditionen und eigene Erfindungen wurden in ſeltſamer Art mit
aſtrologiſchen, myſtiſchen und alchymiſtiſchen Elementen verquickt, und
namentlich die Feuerwerkerei bildete die Brücke zwiſchen dieſem
geheimnisvollen Wiſſen und der Lebenspraxis, zumal der größte Teil
jener z. T. nekromantiſchen Technik dem Kriegsweſen zugewendet war.
Feuerwerkerei und Büchſenmeiſterei umgab zu Ausgang des 14. und
zu Anfang des 15. Ihdts. noch ein eigenartiger Nimbus, der nicht
frei von unheimlichen Nebenlichtern war und der die Feuerkundigen als
eine der vornehmſten Klaſſen der Wiſſenden überhaupt, namentlich
aber al3 berufene Träger Friegerijcher Geheimkunſt erjcheinen lie.
In der Tat hatten jene Männer phyſikaliſche und chemijche Kenntnifje
und zugleich Beziehungen zu dem verjchiedenen Zweigen militärischer
Doktrin; eignete jich num auch einmal ein Herr ritterlichen Standes
dies verborgene Wiſſen an, jo fonnte e8 nicht fehlen, daß er hoher
Autorität genoß. Einem Manne jolcher Art verdanken wir die
ältejte kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichrift, die zugleich das ältejte
deutiche Kriegsbuch allgemeinen Inhalts it, das überhaupt erhalten
blieb. Konrad Kpyefer, ein fränftjcher Edelmann, 1366 zu Eichjtädt
geboren, der, jeiner eigenen Ausſage zufolge, bet den meiſten Fürjten
Europas als fundigjter Kriegsmann berühmt war, jchloß dies Buch
Im Jahre 1405, während er als Berbannter in den böhmischen
Wäldern lebte, mit einer Widmung an Kaiſer Ruprecht ab und gab
ihm den Titel Bellifortis, d. i. der Kampfitarfe (Bello fortis).
Das höchſt merhwürdige Haupt-Manuſtript gehört der Univerfitäts-
bibliothef zu Göttingen (cod. ms. phil. 63), bejteht aus 140 Foliopergament-
blättern und ijt mit vielen farbigen Darjtellungen, 3. T. jogar mit ſehr jchön
ausgeführten Miniaturgemälden gejhmüdt. Ein furzer lateiniſcher, meijt in
dexametern, jelten in Proſa abgefahter Tert erläutert die Itonographie. Trotz
ded neuen, etwa aus dem Jahre 1600 jtammenden Einbandes ijt die alte Ord—
nung der Blätter wohl erhalten. Ganz volljtändig it die Handſchrift allerdings
nicht mehr, und einzelne Darjtellungen find durch Übertuſchen und Nadelpunttierung
geihädigt').
i) Bgl. über den Göttinger Eodeg: dv. Eye: Beiträge zur Kunſt; und Sulturgeichichte vom
Beginne des 15. Ihdts (Anzeiger für Kunde der beutichen Borzeit 1871) und Ejienmwein (ebd. und
in ben „Quellen zur Geſch. der Feuerwaffen“)
250 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Der Inhalt des Bellifortis zeigt, welch große Pieljeitigfeit
von einem Kriegs- und Büchjenmeijter der deutjchen Frührenatjjance
verlangt wurde; denn obgleich das Buch allerdings vorzugsweiſe von
friegerijchen Dingen handelt, jo }pielen doch auch eine Menge anderer
technijcher Gegenftände hinein, die dem Bejchäftigungsfreiie eines
jolchen Mannes gegenwärtig fern liegen. Wenn aber auch bei einem
Werke, das jo verjchiedenartige Materien umfaßt, gewiß manches aus
anderen älteren Schriften entnommen jein wird, die nicht auf uns
gefommen jind, jo iſt der Göttinger Coder doch offenbar ein einheit-
liche8 Ganzes und eine Originalarbeit, aud) im bandjchriftlichem
Sinne. Die Mehrzahl der mit der Feder umrifjenen, ziemlich flüchtig
in Wafjerfarben hergejtellten Bilder jcheinen von der Hand des Ver:
faſſers ſelbſt herzurühren; nur -in den jorgfältig ausgeführten
Miniaturgemälden, die den Stempel der böhmischen Malerjchule
tragen, glaubt Eſſenwein eime andere Hand zu erfennen. Der
Zulammenhang zwiichen Bild und Wort iſt oft loje; e8 kommen
jogar Zeichnungen vor, bei denen der für die Erklärung offen ge
laffene Naum gar nicht bejchrieben it, und umgefehrt Schriftitellen,
über denen die ergänzende Abbildung fehlt. Einige Male jagt der
Berfafjer auch, daß er die Erläuterung nicht geben wolle, vielmehr
die Entzifferumg des geheimnisvollen Bildes dem Scharfiinne des
Leſers überlajje.
Auf dem WVorblatt des Bellifortis iſt ein Phönix Ddargeitellt,
vermutlich als Sinnbild der ſich durch Kyeſers Werk verjüngt aus
der Aſche erhebenden Kriegswiſſenſchaft; denn ſelbſtbewußt tritt der
Berfaffer auf. Den Tert eröffnet ein Exordium von 17 Ber
zeilen, das den Titel »Bellifortis« und den Namen des Urhebers
»Conradus Kyeser, natus Eystetensis« fundgibt. Dem folgt in
gebundener Rede eine Begrüßung der gelamten Chrijtenheit und die
Widmung an König Ruprecht von der Pfalz, jowie an alle Reiche:
jtände, die der Verf. vom Kaijer abwärts in genauer Gliederung
gewiljermaßen an ich vorüberführt. Ihnen allen möge der Bellifortis
als Not und Hilfsbuch dienen. »Datum sub castro Mendici in
habitatione Exulis anno Domini Millesimo quadringesimo quinti.«
— Auf Blatt 4a eröffnet jich das Buch durch eine Darjtellung von
ſechs Planeten. (Venus fehlt.) Es jind Neiterfiguren im Koftüme
der Zeit und jollen gewiſſermaßen den kosmiſchen Hintergrund abgeben
1. Kriegswiflenichaftlihe Bilderhandichriften. 251
für die ihnen folgenden irdiſchen Dinge, deren Geſamtmaſſe in zehn,
je mit einigen Verſen eingeleitete Kapitel geſondert iſt. Die Dar—
ſtellungen der Kriegswerkzeuge, welchen die beiden erſten Kapitel ge—
widmet ſind, werden noch beſonders eingeleitet durch die Abbildung einer
gewaltigen Speerklinge, die mit einem kabbaliſtiſchen Monogramm
und der rätſelhaften Inſchrift »Meufaton« (?)verjehen iſt, ſowie mit
dem Reiterbildniſſe Aleranders d. Gr. in der Tracht des aus-
gehenden 14. Ihdts.
Das 1. Kapitel enthält faſt nur Darjtellungen von Streit-
farren und Katzwagen.
Die mit Spiefen und Sicheln bewehrten Streitfarren haben den
Zwech, gegen geichlofiene Haufen von Spießern vorgefhoben zu werden, um
deren feſte Ordnung zu brechen und jo den nadjrücdenden Kriegerhaufen geeignete
Angriffspuntte zu verſchaffen. Zugleich follen fie dem eigenen Fußvolk Sicherheit
gegen den Echod ſchwergerüſteter feindlicher Reitergeſchwader gewähren, indem jie
um deſſen Aufſtellung aufgefahren werden. Bejonders auffallend ijt ein auf
einem Zapfen drehbarer Streitfarren, jehr abenteuerlich ein anderer in ®ejtalt
eines „Capud armatum“ — Pie Katzwagen, welde meijt mit fleinen Feuer—
rohren verjehen find, jollen den Belagerungstruppen gededte Annäherung an den
Fuß einer Feitungsmauer fihern, um deren Gefüge hier mit Widder, Spighade
oder Mauerbohrer zu zerjtören. BI. 17 gibt eine Andeutung der Art, in welder
die Fahrzeuge einer Wagenburg zuſammenzuſchieben jeien.
Das 2. Kapitel (Blätter 28b— 50) iſt als »furibundum«
(wuterfüllt) bezeichnet und enthält wejentlih Belagerungsgerät.
Beſonders reih jind in diefem Kapitel die fahrbaren Sturmhütten
(Kagen) und die bewegliden Schutzſchirme vertreten, außerdem Vorrichtungen,
um einzelne Leute in die Zinnen zu heben, aufjchraubbare Belagerungs=
türme, Sturmbrüden, geflodhtene Schirme zur Bedahung von Laufgräben,
ſpaniſche Reiter mit vier eingejegten Beinen u. dgl. m. Darjtellung wie Be—
ihreibung find recht kindlich, und die erläuterten Inſtrumente erſcheinen oft jo
unpraftijch, dab man nicht jelten an ihren wirklichen Gebrauch faum zu glauben vers
mag. Bemerkenswert ijt (auch wegen vorzüglicer Ausführung) die Abbildung
einer großen Bleide (Schleuderwurfzeugs) ohne Beischrift (Bl. 30). Eine andere
von noch fomplizierterer Konjtruftion mit Göpelrädern zum Serabziehen des
Gegengewichtsfaftens (BI. 48) ift folgendermaßen erläutert:
Hec est blida grandis, qua castra omnia vincuntur
Nam lapides proicit, turres et menias scandit
Opida, castella, urbes resecat civitates.
Das 3. Kapitel ift der Hydrotechnif gewidmet und wird
von der Geitalt des Waſſerengels „Salatiel“ eingeleitet.
252 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Die Zeichnungen ſtellen Schiffe, Schiffbrüden, Wajjerleitungen, Schöpf- und
Mühlenwerke, Schwimm- und Taucherapparate dar. Intereſſant ijt die Abbildung einer
Schiffbrüde (BE. 53), die aus mehreren nad) unten verjüngten Kajten zu
ſammengeſetzt wird, welche durch eijerne Scharniere verbunden jind und durd
Anker fejtgehalten werden. Ein Schiff, von dem es heißt „Navis ista versus
aquam citissime currit“ ijt in der Mitte mit Rädern verfehen, ohne daß deutlich
würde, wie diejelben bewegt werden follen. (BI. 54b). Ein Bonton zeigt
eine Einrichtung, die gejtattet, e3 auch zu Lande ald Wagen zu benupen. Außer
den Schiffbrüden fommen Tonnenbrüden vor. — Auffällig erfcheint e8, daß
eine verhältnismäßig große Zahl von Tafeln (5) dem Taucherweſen gewidmet
ist; offenbar hat dies im mittelalterlichen Kriegäwejen, u. zw. nicht nur bei der
Marine, eine bedeutende Rolle gejpielt. Schon Roger Bacon [M.$ 34] bejchreibt
ausführlich die Taucherglode; auch in der Weltchronit des Rud. von Hohenembs
(Münden cod. germ. 15) v. J. 1350 findet jich eine Zeichnung derjelben, und
die Handjchriften des 15. Ihdts. find voll von Darftellungen von Schwimm—
gürteln, Shwimmijtiefeln, Luftflaſchen und Taucherhelmen ver-
jchiedenartigjter, oft rätjelhafter Konjtruftion. Im Kriege verſuchte man Fluß—
arıne oder nafje Gräben, jei es als Taucher auf deren Sohle oder ald Schwimmer
mit Hilfe tragender Apparate zu überjchreiten, um Botjchajten zu vermitteln.
Überaus häufig findet man luftdichte, aufgeblafene Lederkiſſen dargejtellt, die um
den Leib gejchnallt werden und durd einen Schlaud mit dem Munde des Trägers
in Verbindung jtehen. Daß man aber wirklich mit Hilfe einer jolhen Ausrüſtung,
gleich einem Dudeljadpfeifer Luft nachblaſend, über die Oberfläche des Waſſers
dahingejchritten ſei, das ſcheint doch faum glaublih, jo oft es auch darge-
ftellt wird®).
Das 4. Kapitel (von Bl. 66a an) handelt von den Steig-
zeugen.
In Erfindung von Steigzeugen war das Mittelalter außerordentlich fruchtbar
Es jind die mannigfaltigjten Arten von Leitern, Sprofjenpfojten und Schwung
baten, deren man jich zur Erjteigung von Mauern und Türmen bediente.
Das 5. Kapitel umfaßt dieArs ballistaria. (Blatt 73— 81.)
Die Einleitung bildet das Abbild einer capre barba, d. h. eines mit Eifen-
fpigen (Ziegenbart) bewehrten rollbaren Holzſchirns zur Beobadtung und Be-
jchießung des Feindes. Dann folgen Zeichnungen verjchiedener Armbruſte,
ihrer Spannvorrichtungen und Bolzen mit manch interejjanter Einzelheit. Zum
Spannen dienen der Flafchenzug, die gewöhnliche Winde, die Schraube und das
gezahnte Rad. — Außer in Kyeſers Handſchrift finden fich für diefe verfchiedenen
Spannvorridtungen nirgends Andeutungen, weshalb gerade das 5. Kapitel ſehr
wichtig ericheint. — Unverſtändlich bleiben freilid die Einrichtungen der riefen:
haften Schußmaſchinen auf den Blättern 79b bis 831.
Das 6. Kapitel (bi Bl. 89a) beichäftigt ſich mit dem
Belagerungsfriege.
', Bal. Effenmwein im Anzeiger f. db. Runde der deutichen Borzeit 1871.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 253
Leider find die dargeftellten Dinge z. T. wenig anfhaulid. Man ficht,
wie Krieger, kwelche in einem Hohlwege zu einer Burg emporfteigen, dadurch
zerihmettert werden, dab die Verteidiger einen mit fchweren Steinblöden be-
lafteten Wagen auf fie herabrollen lafien. Ein Blatt zeigt, wie neben Hunden
auch Gänje zur Burghut verwendet werden — wohl in Erinnerung an die fapi-
toliniihen Gänſe. Unter den Annäherungshindernifien fommen am häufigiten
sußangeln vor. Eine Zugbrüde Hat die tüdifche Einrihtung, nit nur
aufgezogen jondern auch gejentt werden zu können, jo daß man die Betretenden
undermutet in den Graben ftürzen fann. Höchſt naiv ift eine dargejtellte Kriegsliſt:
Ein Faß mit Wein wird ins Freie geftellt; Kriegsleute fommen, jehen, beraujchen
ih, und die Betrunfenen werden von den Bauern mit Knütteln erjchlagen —
ein würdiges Gegenftüd zu dem Einfangen der Affen mit Pechjtiefeln !
Das 7. Kapitel (BI. 90— 98) bringt allerlei Geheimmittel.
Es handelt fi befonders um die Bereitung von Beleudhtungsgegen-
tänden, Kerzen, Fadeln, z. T. mit übernatürlidyen Eigenſchaften. Bemerkens—
wert erfcheinen drei Reiter, welche leuchtende oder flammende Bälle auf außer:
ordentlich hohen Stangen tragen (Cignallihter?), dann eine Burg unter Nacht—
himmel, deren Zugang zwei nadte Kinder mit brennender Zauberkerze bejchreiten,
und endlid eine Burg, auf deren Bergfrit ein Leuchtfeuer flammt.
Das 8. Kapitel it ein Feuerbuch: de ingeniis ignum.
Das Kapitel beginnt mit einer projaifhen Abhandlung über die Bereitung
des Schießpulvers. Mehrere Rezepte von „griechiſchem Feuer“ be-
zeichnen Salpeter, Schwefel und Kohle als dejjen Hauptbeftandteile. Dann verbreitet
das Kapitel fich über die Herjtellung von Feuerwerkskörpern: des Kanonen
Ihlages (BI. 101), namentlich aber des fog. fliegenden Feuers, d. h. der Raketen,
auf welche der Verfaſſer offenbar befonderen Wert legt und deren eine Bl. 102
darſtellt. Kyeſers Rakete hat ebenfowenig eine Seele wie die des Marchus
Öraecus iM. 86], wohl aber fennt er die Einführung eines Brandjaßes in medio
fistulae und den Raletenſtab; denn wenn auch die auf BI. 102 von einem Geftell
abfliegende Rakete ohne Stab dargejtellt ift, jo empfiehlt er diefen doc im Text
als Steuer. Sein Rafetenpulver befteht aus 32 T. Salp., 3T.©. ud 5 T. K.,
fein Bücjjenpulver aus 6 T. Salp. und je 1 Teil ©. u. K. Vielleicht ift mit
dieſem „pulvis cum quo incendunt pixides“ das Anzündpulver gemeint (Bf. 101).
Zu den Raketen gehört aud) der draco volans, der aus Pergament und Leinwand
bergejtellt wird, fyeuer jpeit und den ein Reiter über feinem Haupte an einem
ziemlich langen abrollbaren Bande fteigen läßt. Allerhand Mittel zur Brand-
fftung haben ebenjo geringes Interefie wie der abgejhmadte Vorſchlag, den
Feind dadurch in Schreden zu verjegen, da man ein mit brennenden Holzjtüden
beladenes Pferd auf ihn zujagt. — Deſto bedeutfjamer find die leider ſparſam
eingejtreuten Darjtellungen von $euerwaffen. Bl. 104b bringt eine Bod-
büchſe größeren Kalibers, ein Mittelding zwifchen Handfeuerwaffe und Geſchütz,
und zwar im Augenblide des Abfeuerns, jo daß man deutlich erfennt, wie der
Schuß ohne direftes Zielen als Bogenſchuß abgegeben wird. Die eiferne Röhre
254 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
ift außen polygen, innen rund. Hinten ift ein Holzjtiel eingejchoben, und die
Lage des Zündlochs beweist, daß dieje Art von Schaft ziemlich tief hineinreicht.
Das Ende des Stiel jteht auf dem Boden; das Geſchütz jelbft ift vorn auf eine
Gabel gejtellt. — Interefianter erjcheint noch das auf Bl. 108a dargejtellte Ge-
ihüg. Es iſt eine Steinbüchje, welche in einem Blode ruht, der ſich mit jchild-
zapfenartigen Armen auf Ständer jtügt. Das Geſchütz jteht in einer fahrbaren
Sturmbütte, ift alfo eine jog. „Tarraßbüchſe“. Sein Rohr bejteht aus Eijen, ift
mit zwei Ringen umgeben und hat eine enge Kammer und ein Geſchoß von etwa
1, Fuß Durchmejier. Am Fußende des Gejtelld ijt ein Richthorn angebracht
aber der Schuß, bei dejjen Abgabe die Büchſe dargejtellt ift, ift unzweifelhaft ein
hoher Bogenſchuß. Auf ziemlich nahes Herangehen mit dem Gejchüge weiſt der
Umjtand hin, daß die Hütte der Bedienung Schuß gegen Pfeile bieten joll, was
aus der erläuternden Beijchrift hervorgeht:
Tutamen pixidis sic constat aptum de lignis
Sursum que levata sicut iam deponere potes
Si lapis jacitur per fenestram cum aperitur
Sed cum seratur sagitta nulla subintrat.
General Köhler bemerft zu diefer Büchſe): „ES ijt unmöglich, jich unter
diefem Gejchiig eine große Büchſe vorzuitellen, da ſowohl die Schildzapfen als der
hintere Teil des Gejtells jo zerbrecjlich erjcheinen, dah ſie dem Rückſtoß einer
großen Bichje nicht hätten widerjtehen fünnen. Man mag fid) das Pulver noch
fo ſchwach voritellen: der Widerjtand, den ein Stein von 1 Ztr. Gewicht entgegen:
ſetzte, brachte es doc) zum AZufammenbreden, und der Rüditoß war nicht zu
vermeiden. Man kann diefe Konjtruftionen nur als Verſuche auffafien“.
Die ſeltſamen Vereinigungen mehrerer Büchſen zu einem einheitlichen Ge
jchüße, die jchon der Münchener Coder germ. 600 [M. 8 30] aufweiſt, zeigen ſich
auch bier. Drei Heine Rohre, die nebeneinander auf einem flahhen, um eine Are
auf= und abwärts beweglichen Blocde befeitigt jind, werden folgendermaßen erläutert:
Est hoc instrumentum pixidum trium ita fabratum
Emittitur prima sequitur prima quoque trina.
Eine andere Vereinigung dreier Büchſen, von denen die mittlere das doppelte
Kaliber hat wie die zu den Seiten, iſt in fich ſelbſt ohne Gejtell zujammen-
gejhraubt. Dazu lautet die Beifchrift:
Similiter prima det vocem statim sinistra
Demum lapis magnus jinimicis repente nocebit.
Sechs Meine, um einen im Gejtelle drehbaren jechsedigen Block gereibte
Büchſen bilden ein primitives Nevolvergejhüß, das folgendermaßen erklärt ift:
Contus ille magnus ille pixidum sex stat revolvendus
Emissa prima redit altera demum secuta
Decipiunt hostes, post primam non timent ultam.
I) Entwidelung bes ſtriegsweſens ber Ritterzeit IIIa (Breslau 1887).
2. Kriegswifienichaftliche Bilderhandſchriften. 250
Sechs andere Rohre finden fich wagerecht auf einer Scheibe angebracht, die
gedreht und der durd eine einfache Richtſchraube auch die gewünjchte Erhebung
gegeben werden kann. Dies wird in nachitehender Weije erläutert:
Hec rota movetur per circoferentiam istam
Pixis nam post pixidem statim mittit lapidem
Hostis sic decipitur per hoc atque fallitur,
Das 9. Kapitel handelt von der friedlichen Berwendung
des Feuers.
Es werden Bäder, Herd und Schlot-Anlagen, Räucherwerk und Sprengungen
dargeftellt. Bemerkenswert erjcheinen u. a. einige Erdminen und Baumjprengungen
jowie die Abbildungen eines Dampfbades.
Das 10. Kapitel beichäftigt ji) mit Waffen und Werf-
zeugen.
Bunt durcheinander finden jich die Schilderungen von Mefjern, Schrauben,
Scheren, Feilen, Sägen, Überſchuhen, Fußangeln, Schleudern, Spießen verſchiedener
Art, Luftfiffen und anderen Dingen. Befremdlic wirkt die Zufammenjtellung des
Keufchheitsgürteld einer Frau mit dem Hufbeſchlage eines Pferdes auf ein und
demjelben Blatte (1308). Die Schladhtjenjen, eijernen Kampfdrifhel und Morgen-
iterne leitet der Berfaffer von den Türfen und Tataren ber und erflärt fie für
zwar bäuerifche, doch fehr wirffame Kriegswaffen. — Die Rüſtung der an ver-
ichiedenen Stellen des Buches dargeftellten Krieger ift bei größerer und geringerer
Volljtändigkeit immer von Eijen. Den Kopf dedt der Eijenhut oder die Keſſel—
baube mit Halsbrünne; Elbogen und Knie ſchützen Feine Nadeln; die Bein-
ichienen find mit Scharnieren verjehen. Gemeinere Krieger tragen das ältere
Kettengefleht mit tuchenem Lendner oder auch nur Brujtplatte und Eijfenhand-
ſchuhe. Die Schilde find Mein und zeigen am unteren Nande eine geringe Spitze:
daneben kommen große Septartjchen vor u. zw. nicht nur für Schügen, jondern
auch für Lanzenkämpfer zu Fuße.
Das ift der wejentliche Inhalt des ältejten deutjchen Kriegs—
buches. ES jchließt mit einem längeren Gedichte, in welchem der
Verfaſſer einen Überblick jeiner Wiljenjchaft, jorwie einige Andeutungen
über jeine perjönlichen WVerhältnifie gibt, von denen jchon Notiz
genommen wurde. Den Bejchluß macht Kyeſers Bildnis nebjt zwei
Wappen, eines der ältejten Porträts, die in Deutjchland entitanden
ind. Es jtellt den vierzigjährigen Verfaſſer in halber Lebensgröße
dar; er trägt furzes Haar und furzgehaltenen, jpiten Kinnbart; die
flugen Augen und der fejtgeichlojfene Mund reden von Schlauheit
und Energie, muten aber nicht ſympathiſch an.
Außer der Haupthandichrift des Bellifortis iſt nun noch eine
Reihe anderer Handſchriften zu erwähnen, welche mehr oder
256 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
minder vollftändige Wiederholungen desjelben Werkes jind. —
Göttingen jelbjt bejitt noch eine Papierhandjchrift vom Anfange des
15. Ihdts. (ms. phil. 64), die als ein zweites Eremplar des Bellifortis
zu betrachten it, doch mehrfach von dem Hauptmanuffripte abweidt.
Titel und Einleitung fehlen; die Zeihnungen find weit jchledhter ausgeführt:
einige derjelben (Bl. 25—28 und 44b) haben deutjche Beiſchriften, die z. T. den
Verſuch machen, antite Versmaße nadjzubilden. Da heißt es z. B. bei einem
Instrumente zum Niederziehen einer Zugbrüde von außen:
Diefer zug, der zuhet fallbrüden vnd turen ind ain vejtinen vnd jtetten.
Das gewappnet vold fol ſich daran henden vnd ziehen.
Bei der ſchon erwähnten, tüdijc eingerichteten Zugbrüde wird gejagt:
„Diß ift ain betrogen brud vnd wellet wer darüber gant, wenn man wil,
jo man die vnderen jail ziehet, jo vellet jy, vnd mit den oberen riht man ſy
wieder uff“.
Die Burghut durd Tiere bejingt folgender Berg :
„Nachtwach befinnet ain hund vnd ain gans. ain hund pilt yedman an;
Aber die durchwächtig gang ift beßer, wan fie befinnet zu nacht menſchlichen gang“.
Die Erklärung eines Schußzeugs nah Art der Euthytona lautet
wie folgt:
„Diß it ein gefhoß, gen. Sonifer, daz als vil ijt als ein tünend eifen.
Wenne man cz zu zühet und darnach uzlat, jo jchießen die eyjen uß vnd legent
Es zubet ſich mit ainem Woualten (?) ſayl, vnd die haggen an den jeyten ziehent
fih zu. Wen man die Shoß uß lat jo ſchüßet ez weytt“.
Hier bilden die Planetengötter den Beſchluß der Handjchrift, und dann
folgt der Tert des weiter unten zu würdigenden deutſchen Feuerwerksbuches
in feiner alten und urjprünglicdden Form [$ 58).
Im wejentlichen übereinjtimmend mit dem Göttinger Bellifortis
ft der Tractatus de arte bellica hexametris com-
positus der Wiener Hofbibliothef (ms. 5278).
Die Erläuterungen jind bier z. T. in Geheimjchrift gegeben und bald in
(ateinifcher, bald in deutjcher Sprache abgefaht. Angehängt ift ein Fecht- und
Ringbuch aus der Mitte des 15. Ihdts.
Hundertfünfzig Blätter einer ehemals gebundenen PBapierhand-
jchrift der fürſtl. Fürſtenbergiſchen PBrivatbibliothef zu Donau:
ejhingen (Nr. 860), welche ich nicht gejehen habe, jcheinen, nad
den Angaben des gedrudten Katalogs, der Wiener Handjchrift jehr
nahe zu jtehen. Titel, Vorrede und Schluß fehlen.
Wie das zweite Göttinger Eremplar ijt aud) eine in Heidelberg
aufbewahrte Wiederholung von Kyeſers Werf (cod. Palat. germ. 787)
mit dem Feuerwerfsbuche [$ 58] verbunden.
2. Kriegswiſſenſchafttliche Bilderhandichriften. 257
Auf dem Titelblatte der jehr bejcheiden ausgeſtatteten Handſchrift fteht:
In gottönamen. m dem jar ald man jchreyb vierhundert iar vnd darnach in
dem dreybigiten jar ward anegehaben, diß buche zu jchriben“. Nun folgen zu=
nächſt zwei Abjchriften des Feuerwerksbuches [$ 58], zwijchen welche andere artille-
riftiiche Angaben eingejchoben jind, und dann das Bilderbuch mit Beifchriften in
lateiniſchen Hexametern, weldyes jedoch nur rein militärische Dinge, nicht den
ganzen Inhalt des Bellifortis wiedergibt. Leider iſt die Arbeit nicht vollendet ;
die Zeihnungen find großenteil® nur in leifen Umriſſen angedeutet oder fehlen
gar. Die Berje jind, namentlich zu Anfang, oft jchwer lesbar; erjt von ©. 68
an, wo eine andere Tinte und deutlichere Charaktere angewendet find, mindert
fh die Schwierigkeit. — Hervorzuheben ift S. 62 u. 63 eine rätjelhafte Gruppe
von Kreifen gleiher Durchmeſſer mit den Beilchriften: „Franken IIII.,
Sachſen IIIIJ, Venedig IIIIJ“. — Auf ©. 76 beginnt ein Vers, zu dem die
Figur fehlt, mit einer Beziehung auf Philon [A. $ 12], ebenjo eine Beifchrift
auf ©. 78b. Auf der vorhergehenden Seite follte offenbar ein großer Setzſchild
zu folgenden Berjen gezeichnet werden:
Positus clipeus est ista bene formatus
Armigeros binos tegens ubicumque locatus.
S. 101b zeigt eine „Katze“ mit Mauerbohrer und folgende Beifchrift:
Cattus ista coclear cum defendicto prono
Homines armatos et moenias (!) ducit frequenter,
Merkwürdig erjcheint auch die Berpflegungsanmweifung auf ©. 70.
Sunt panes biscocti que bis coquuntur in lora
In castellis, castris nutriunt morantes in ede
Annisque triginta servantur a corrupcione.
Lora d. i. potionis mellitae genus; es handelt fi aljo um ein Rezept
zur Bereitung von Lebkuchen (Honigfuchen). Ob dergleihen wohl wirklich jo dauer:
haft gebaden werden kann, daß er dreißig Jahre lang genießbar bleibt ?
Nahe verwandt dem Kyejerichen Werke ijt eine JEonographie
der Karlsruher Bibliothek (Durlach 241).
Diefe jpätejtens vom Anfange des 15. Ihdt. herrührende Handſchrift bringt
jehr ähnliche Darjtellungen wie der Bellifortis u. zw. aud mit Erflärungen in
lateinifhen Herametern. Sie enthält u. a. auch ein Kapitelverzeichnis des Begetius.
Leider fehlt der Anfang.
Endlich ift noch einer Handjchrift des Bellifortis zu gedenken,
welche anjcheinend in neuejter Zeit verloren gegangen it. In einem
der eriten Jahrgänge des „Anzeiger für die Kunde des dentjchen
Mittelalter8* (1838, ©. 607) berichtet nämlich Mone von einem
Eremplar des Bellifortis, vom Jahre 1395 (!), welches ich im Muſeum
u Innsbruck befinde und die Bezeichnung IX. B. fol. trage.
Jahns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 17
258 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
Mone beichreibt das Eremplar ziemlih genau. Der Eingang beginne:
„Hoc est exordium Bellifortis intitulatum‘“; das Bud jei dem Pialzgrafen
Ruprecht gewidmet, der Autor werde in jeiner „Grabſchrift“ auf Bl. 146 ge-
nannt „affabilis largus exul mitis socialis Hyeser Conradus decessit tunc
Eystetensis“ und er jei eben diejer Grabſchrift zufolge ein berühmter Kriegsmann
gewejen. Stimmen diefe Daten nun auc nicht damit, dab das Haupteremplar
i. 3. 1405 vollendet wurde, jo ift dody fein Zweifel, daß es jich tatſächlich um
Kyeſers Werft handelt. '
Gegenwärtig findet jic) das Manujfript weder im Ferdinandeum,
dem Mujeum zu Innsbrud, noch auch, wie mir die Vorſtehung
des FFerdinandeums am 4. Dezember 1882 mitteilte, in der dortigen
Universitätsbibliothef.
8 5.
Unter den anderen friegswiljenjchaftlihen Bilderhandichriften
Deutjchlands stehen der Entjtehungszeit nach dem Belliforti8 am
nächiten die folgenden:
Allerley Kriegsrüjtung, Codex der II. Abteilung der Kunjt-
jammlungen des A. H. Katjerhaujes zu Wien. (Ambrajer Sammlung
No. 49), der angeblich vom Ende des 14. Ihdts. ſtammt umd,
im Falle, daß dieje Datierung zuträfe, vielleicht noch älter iſt, als
Kyejers Werk.
Es jind 28 Pergament: und 15 BapiersFolioblätter. Die Ausführung der
Beichnungen ijt flüchtig. Die Hauptmaſſe der Darjtellungen bezieht jih auf
Streitlarren; im übrigen finden ſich die üblichen jahrbaren Hütten und Schirme,
Leitern, Sturmjenjen, Taucherapparate u. dgl. m. — Die Streitfarren fimd
meift mit Senjen, Spießen und Schwertern oft in abenteuerlicher Weiſe bewehrt.
Lateinische Herameter erläutern die Bilder ; zur, Seite ſtehen profaische Verdeutſch—
ungen, welde jedody nicht immer wirkliche Überjegungen der Derameter find.
Die verjchiedenen Streittarren werden den erlauchteſten Heldengeitalten der heiligen
wie der Profangejchichte zugejchrieben: dem Gedeon, Attila, Troilus, Alerander
d. Gr. (nad) des Arijtoteles Angabe), dem Robert von Sizilien, Hektor, Bilde-
brand von Berona u. j. w. Es heißt z. B.: „Der dharr ijt gehaißen der jcharpfe
precher, vnd den fand Achila, der chunig von Vngarn, da er twang Hijpanien
vnd Schottenland . . . Der charr haißt der juden darr. Den fand Judas
Maccabäus gegen die Philijter vnd legte fie danieder . . . Das iſt ain darr zu
jtreit und haißet der krichiſch Ygel, den fürt der groß chaiſer Conſtantin . . . Der
charr ijt gehaigen das ochſenhorn, den fürt der herre Hannibal von Chartagine
di die Römer . . .“ u. ſ. w. — Man jieht: mit den geihichtlichen Kenntnifjen
des Verfaſſers jtand es übel; aber nicht minder erfennt man, welche Bedeutung
ihm die Streitwagen für Kriegszwede zu haben ſchienen. — Ein jechsräderiger
Karren mit langen Seitenjenjen iſt mit acht ganz Meinen Feuerrohren belegt.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 259
Ähnlichen Charakters ift das Bruchſtück einer Jkonographie
in der Bibliothek des Vereins für das Würtembergiiche
Franken zu Weinsberg.
Es jind 20 jtarfe Bapierblätter mit Federzeichnungen und beigejchriebenen
Berjen. Ich habe die Handſchrift nicht jelbjt geſehen; eine Beiprechung derjelben
in dem „Anzeiger zur Runde der deutſchen Vorzeit“ jet fie in die Wende des
14. und 15. Ihdts. Aus den dort gebotenen Auszügen jei beijpielaweife die
folgende Bemerfung mitgeteilt, weldye neben der Darjtellung eines Geſchützes mit
jwei einander entgegengejegten Läufen jteht:
Diß buchjen find in ain jchießen gut, Es iſt ain geruſt vf ainem halben jibn.
So man jtrihent ſchuß daraus tut; ‚ Mag man jy ober hoc) oder nider tribn.
Intereffanter it en Sammelcoder der Hof- und Stats—
bibliothef zu München (cod. lat. 197), welcher eine deutjche
und eine italienische Ikonographie enthält.
Die deutſche Bilderhandſchrift füllt die Blätter 147 und muß in
den zwanziger Jahren des 15. Ihdts. entitanden jein; denn es heißt z. B. von einem
Geihügihirm: „Den ſchirm hat ber Ardinger (d. i. Erdinger v. Seinsheim)
vor Sacz (Saas) gehabt“ — das war im September 1421. An einer anderen
Stelle it die „wagenburgt, daruff die Hußen vechten“ jfizziert. Überdies werden
Züge der Büchſen „derer von Münden“ und „derer von Nürnberg“ erwähnt.
Die Feuerwaffen find von überrafchend altertümlihem Gepräge, zumal diejenigen
gewiſſer ſprachrohrförmiger Feuertuben auf Meinen Handfarren und Böden. Etwas
beſſer fonjtruiert find die auf Streitwagen liegenden feinen Büchſen, welche mit
Rulverfammern von nur balbfalibrigem Durdymefier verjehen find. Über die
intereffante Darjtellung einer Holzburg vgl. $ 71. Anmerkung.
Bon dem italienijhen Teil des Sammelcoder wird jpäter die
Rede fein [$ 19).
Auch das Germaniihe Muſeum in Nürnberg bejigt eine
hiehergehörige Handſchrift (No. 25801).
Es ijt ein Oktavheft mit rohen Zeichnungen von SKtriegdmajdinen und
wenig Tert. Die dargeitellten Feuerwaffen find jehr Hein und von urjprünglidjter
Form. Alte Werfzeuge und jahrbare Armbrujte jpielen offenbar eine bedeutendere
Rolle ala die Geſchütze.
8 6.
Auch noch in den vierziger und fünfziger Jahren des 15. Ihdts.
it die Grumdgeitalt des Bellifortis maßgebend für die kriegswiſſen—
ihaftlichen Bilderhandichriften Deutichlands; die Feuergeichüge aber
treten im Ddenjelben bedeutend mehr in den Vordergrund. Beides
zeigt ich deutlich in einer dem jtädtiichen Archive zu Köln gehörenden
Sonographie (3. 1), welche den Titel führt: „Dißes it ein buxen—
17*
260 Das XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
buch vnd hat gemachet Augujtinus Dachßberg von münchen, em
moler vnd em buchjenjchieger, in dem tore, do man zalt von Chriſt
geburt 1443“. — Die Zeichnungen jind von lateinischen und deutjchen
Erklärungen begleitet. Wie der Bellifortis beginnt auch dies Büchjen-
buch mit den Darjtellungen der Planeten (Saturn, Jupiter, Mars,
Sonne, Merkur und Mond); wie im Bellifortis folgt dann Alerander
mit der Siegjahne jowie das myſtiſche Speereijen mit der Inschrift
„Menfragon“ (Mannbrecher?) Bon den einzelnen Darjtellungen jind
folgende, der Neihenfolge nach, hervorzuheben:
Kämpfende mit Nüdficht auf den Stand der Sonne. — Streitwagen unter
der Bezeihnung „Sporn, der ſechs Pferd bezwinget“. — „Gewappnet Haupt“
und andere Streitfarren. — Eine keilförmig angeordnete Wagenburg
mit folgender Beilchrift: „Ein mijer jtritter jol ſin wegen in ſtarkem jtrit aljo
ordnen: des erjten einen wagen, nach dem anderen danad) zween nebeneinander,
darnad) dry, darnad) vier, ie mer vnd mer nach der lenge ung du fi alle ordneit
nad) dei heres fraft. Dar in teille das roßvolt, alfo teillejt du alle ſpitz. Dieß
ordnung brud, jo du bijt in der frömbde“. — Streitwagen mit Spießen und
feinen altertümlidhen Büchfen. — Schirme, erfunden von den Juden und
von König Alexander. — Sepihild. — Zelt. — Fußeiſen, gegen melde
der Gebrauch von Eiſenſchuhen und Rechen empfohlen wird. — Steigzeuge.
— „Sonifer“ ijt, wie in der zweiten Göttinger Bellifortishandichrift (ms.
phil. 64), ein mihverjtandenes antikes Seilfhuhzeug benannt und dabei bemerkt
„wen man in mit gejchwindem zug züchet, jo jchüßet er uß vnd tötlet alles,
daz er treffet“. — Sehr wunderliche Rekonftruftionen von Ballijten. — Arm:
bruft. — Pfeile. — Schleudern. — Sturmtürme, insbejondere Ebenhöche mit
Fallbrüden. — Sagen. — „Kluge thurn“, d. h. aufjhraubbare Ebenhöche. —
„Züge“ d. h. große Standjchleuderwerte. — „Münchkapp“ d. i. ein Spigwagen
zum Sturm. — „Steinbodhorn“ desgl. — Mauerſchere. — Im ftritten zu
ſchiff“ jol man Fäſſer jchleudern, die mit gepulvertem Kalt gefüllt find, um
dem Feinde die Augen zu blenden, oder jolche mit dünner Seife, um die „ſchif—
brügge“, d. h. das Ded des Gegners, „jlipfferig“ zu machen. — Leitern umd
Steigzeuge. — „Gelidert jhiff von geringem Holzwerd mit leder vberzogen“. —
Schöpfwerfe, Heber, Taucher. — „Wilde“ feuertragende Roſſe. — Tonnenbrüde.
— Waflergenius als gießender Knabe. — Bäder. — Waſſerkunſt. — Schwimm-
gürtel. — Reiter mit einem Rafetendradhen. — Feuertragende Taube. — Zubereitung
von Brandpfeilen. — Kteufchheitsgürtel. — Sehr bemerkenswert ift die Darftellung
des Anſchießens einer Büchſe, was in der Weije erfolgt, daß das jchari:
geladene Geihüg mit der Mündung auf den Erdboden, bezw. eine fejte Unterlage
gejtellt ift, jo daß es, losgebrannt, in die Höhe fliegt. Die Zeichnung jtellt die
jelbe Gejchügprobe, welche auf BI. 6b des alten Münchener Coder 600 erläutert
wird [M. $ 37), in jehr anſchaulicher, wohl etwas übertriebener Weife dar; der
Büchjenmeijter ſchaut mit untergejhlagenen Armen triumphierend zu. Die Er-
2. Kriegdwifjenichaftlihe Bilderhandicriften. 261
läuterung lautet: „Item bie fi), wie du ein große buren machſt ſchießen hod)
in die luft vnd der jtein und der Moß (Kugel und Spiegel) beliebent hie niden
vff d’erden, vnd das ift ein Fluger fin, dey ſicht man geren vnd bringet jelten
gewin“. Border: und Hinterteil der Bombarde find nahezu gleich lang (4 Kaliber)
und glatt cylindriih. Jenes hat ca. 2, dies nur 1%4 Kaliber Durdymefjer und
eine jtarf vortretende Bodenplatte. — Fahrbare Sciffbrüde. — Beratung des
Büchfenmeifter und der Frau Sapientia an einem Bulverfaffe. — Untergraben
einer Feſte. — Verteidigung gegen einen Sturm durch herabrollende Wagen. —
Deckkörbe, unter denen Leute mit Spishaden arbeiten. — Hunde und Gänfe als
Wächter. — Zum Abſchluß: das Bild eines Fuchjes,
8 7.
Im jechiten Jahrzehnte des 15. Ihdts. treten zu dem gewöhnlichen
Beitande der militärischen Ikonographien außer den artilleriftijchen
Elementen auch noch diejenigen der Fechtkunſt Hinzu, welche inzwischen
eine umfangreiche Literatur hervorgebracht hatte, von der in dem
Abjchnitt über „Hofekunſt“ noch näher zu reden fein wird. — Über-
ſichtlich und ergiebig ſtellt ſich dieſe Miſchung in einem Kriegsbuch
dar, welches in zwei Exemplaren erhalten iſt, von denen das eine in
der f. E. Hofbibliothek zu Wien (ms. 3062), das andere, beſſer
ausgeführte, im Striegsarchive des Gr. Generalitabes zu Berlin
(no. 117) aufbewahrt wird. Letzteres Eremplar, deſſen Originals
eınband in vielfacher Wiederholung den brandenburgiſchen Adler zeigt,
itammt vermutlich aus dem Belize des Kurfürſten Friedrich IL.,
des Eiſernen.
Das Kriegsbucd beginnt mit einer Abjchrift des alten Feuer—
werfbuches [$ 58], welche in dem Wiener Exemplar bezeichnet tt:
„Beichriben per Johannem Wienn. Anno ıc. Tragesimo septimo“,
während ſie in dem Berliner Eremplar von 1453 datiert iſt. Daran
reiht jih Hans Bartliebs Onomatomantia, d. h. eine Lehre der
Kunit, die Namen von Kämpfern mit der Kalenderitellung des Kampf-
tages in Übereinſtimmung zu bringen [8 50). — Dann folgt das
Buh von den Iconismis bellicis: 127 Zeichnungen, welche
in vielen Einzelheiten unmittelbar an den Bellifortis erinnern und
durch eine Daritellung von vier pojaunenblajenden Engeln eingeleitet
werden, die vom Himmel niederfahren. Die leicht farbig angelegten
Zeihnungen find ziemlich roh ausgeführt; nur eine: die edel gehaltene
Geſtalt des Waſſerengels Salatiel, hat künſtleriſche Bedeutung.
262 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte.
Der Inhalt ordnet fih wie folgt: 3 Kampfftüde; 1 Planetenbild; Unter:
grabung eines feiten Schloßes, 15 Tafeln mit Handwerkszeug, 30 mit
Steigzeug und Sturmleitern; 1 Planetenbild; 28 Tafeln mit Hagen, fahr
baren Schirmen, Setztartſchen u. dgl.; 1 Planetenbild; 24 Tafeln mit Feuer:
werfötörpern, Brandmitteln, pyrotechnifher Magie, Ofen und Netorten,
fowie 20 Tafeln mit Büchſen von z. T. höchſt altertümlicher Form; darunter
2 Elbogengejhüge, eine Wiederholung der Gabelbüchſe aus Kyeſers „Bellifortis“
und ein ungejchäftetes Handrohr mit einem Stab, das bereits an die Wange,
nicht an die Schulter, angelegt wird; 1 Planetenbild; 2 jymbolijche Darjtellungen
(darunter der Speer mit der Zauberinſchrift wie bei Kyeſer); 1 Planetenbild;
Kampfjzene, in der fi die Gegner truppenweije hinter Septartichen formieren,
von denen eine das huflitiiche Abzeichen des Kelches zeigt. Wagenburg, teils
mit Büchſenſchützen bejegt, teild mit fahrbaren Büchjen größeren Kalibers belegt;
13 Tafeln mit Streitwagen und Sturmlarren (dabei das „caput armatum“)
3. T. in Verbindung mit Gejhüßen. Proſpelt einer befejtigten Burg ; 31 Taieln
mit Darjtellungen älteren Wurf- und Sturmzeugs, darunter mehrere
Bleiden, Standarmbrufte, Detail$ der großen Schleuderwerte, Brechſchrauben,
aufihraubbare Holztürme, aud) noch einige Streitfarren und Setztartſchen. Be
jonder8 bemerkenswert erjcheint hier eine Nachbildung des vegeziihen Onager,
deflen Fortgebrauch im Mittelalter zuerjt General Köhler feitgeitellt hat. Es iſt
das unter dem Namen der „Mange“ oder der Rutte“ in den Chroniken und
Urkunden erwähnte Gejhüg. Ferner ift eine Wagenbüchje hervorzuheben , welche
gegen die des Codex 50 der Ambrajer Sammlung, die Ejienwein in den „Quellen
zur Gejchichte der fyeuerwaffen“ (A. KVID) nadıjgebildet hat, injofern einen Fort:
jchritt zeigt, als auf den Aren des Fahrzeugs ein mächtiges Holzplateau auf-
liegt, auf dem ſich ein niedriges Gejtell mit 2 Ständern erhebt, zwijchen denen
fih die in Holz gefahte Büchſe um einen eijernen Bolzen bewegt. Eine Bor-
rihtung zur Feſtſtellung einer beftimmten Erhöhung iſt jedoch nicht vorhanden".
— sKometenbild; Gebrauch des Laſſos; 4 Tafeln Detaild® von Gattelzeug und
Rüſtung. — Planetenbild; 5 Darjtellungen fortifitatoriih armierter Burgen:
13 Tafeln mit Hindernismitteln und Hebezeugen. — Planetenbild:
der Waflerengel Salatiel; 31 Darjtellungen von bydrotehniihen Dingen:
Brüden, Schöpfrädern, Taucerwertzeugen u. dgl.
Den Beichluß des Kriegsbuchts macht eine Abhandlung unter
dem Titel: „Her Albrechts von Lannenbergk Kunjt“: ein buntes
Durcheinander vieler pyrotechnijcher und poliorfetiicher Anweiſungen,
welche großenteils tllujtriert find.
Die dargejtellten Gegenstände find im wejentlichen diejelben wie in den
übrigen Bilderhandichriften. Hervorzuheben find: eine fahrbare Bleide, ein feites
Schloß mit „Igel“ (Baliffadierung), ein Bockſchirm für eine gejhäftete Hand—
büchje, ein „geruft um die großen wergf hoch vnd nydder zu richten“, d. 5. eine
1) Bol. Köhler: Kriegsweſen und Kriegführung der Nitterzeit IlIa, ©. 162, 320, 332.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 263
Art Rahmenlafette mit Richthörnern, und endlich das Hebezeug für eine jchwere
Büchſe von jehr primitiver Geftalt.
8 8.
Ebenfalls brandenburgijcher Herkunft ift, alter Überlieferung
zufolge, das „Kriegs und Pixenwerch,“ welches als Nro. 51
der Bücheret der Ambrajer Sammlung der 2. Abteilung der kunſt—
hiſtoriſchen Sammlungen des A. H. Kaijerhaujes zu Wien angehört.
Dieje ausgezeichnet jchöne, auf Pergament in gr. Quart ausgeführte
Sonographie hat auf 119 Bl. 236 Bilder ohne irgend welchen Text
und iſt im ihren trefflichen, leicht bemalten Zeichnungen durchaus
eigenartig und originell, wenngleich unter den dargejtellten Gegen-
itänden als jolchen fich nur wenig Neues findet. Bei den meijten der
geihilderten Tätigkeiten wiederholt jic) das Bildnis des anordnnenden,
ernjt waltenden, bärtigen Meijters in langem Gewande, desjelben, der
auf dem erjten Bilde das Buch knieend dem Fürſten überreicht. —
Bemerfenswert jind vorzüglich folgende Darjtellungen:
Rulverproben durch Schmeden und Anzünden. Abkratzen des Salpeterd von
den Mauern und von Gefähen, die eigens zum Anſetzen des Salpeterö bejtimmt
ind. Gewinnung von SHajeljtauden zur Kohle. Umgießen von Schweiel.
Kanonenbot (gerudert). Bejejtigungen aus Hürden und Holz, darunter ein aus
verjhränften Balten gebildeter Bau, der auffallend an die auf der Trajansfäule
dargejtellten römischen Holzfejten erinnert. Orgelgeſchütze. Springen einer Büchje.
Aufihraubbare Holztürme. Härten von Lanzenipigen. Telegraphie mit aufge-
jtedten Kerzen, deren Zahl gejprocdhen zu Haben jcheint. Armbruiter. Stand
armbrujt. Schirme. Leute, die auf wagerecht liegenden Rädern über Gletjcher
gehen. (Stimmt nicht redit zu der angeblidy brandenburgiicden Herkunft der
Handichrift). Verſchiedene Geſchütze in muldenartigen Laden, andere mit primis
tiven Elevationsvorrichtungen. Kammerbüchſen zur Hinterladung. Schießen mit
Veilen aus Büchſen. Belagerungsidirme. Neiter in Terrain, auf welchem
Fußangeln und Schlingen liegen. Standſchleuder. Schanztorb u. j. w.
89.
Wohl auch noch) den funfziger Jahren zuzuschreiben iſt das „Rüſſt—
und Büchſenmeiſterbuch von Hanns Hens von Nürnberg,
Jegiger Zeytt Organijt bei Sandt Martin“, eine Bergamenthandichrift
der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar (cod. qu. 342).
Das jeltjame Titelbild jtellt drei fingende, ſtart farrifierte Männer dar,
deren mittlerer wohl Hentz jelbit ift. Der Tert ihres Gejanges lautet: „Ich pin
vey ir, ſy weiß nit!“ — Den Anfang der Darjtellungen bilden auch bier fahr:
264 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
bare Schirme mit allerlei jeltfjamen Bezeihnungen: Ochs (kann um einen
Drehbolzen gewendet werden, ohne die Raditellung zu ändern), Spitz, Münchs—
tutt, Schiebtartſche, Septartihe. Dann folgen Steigzeuge Der Waſſer—
läufer hat an den Sohlen flofjenartige, in Scharnieren bewegliche Blechbretter.
Bl. 7b—22a find mit den mannigfaltigiten Arten von Karrenbüdjen an-
gefüllt. Bl. 23—27 bringt Hebe- und Bredzeuge. BI. 28 jtellt die Ein-
rihtung des „Anjtoßes“ einer großen Büchje dar, 28b eine Pulverjtampfe,
29 eine Bohrmaſchine mit Göpel, 30 „Werde in die Höhe zu werfen“, d. h.
Mörſer zu Brandkugeln, 32 Franzöſiſche Thorbefejtigung mit Zugbrüde,
36b eine Starrenbleide!), 37 Schiffbrüden (eine vom diesjeitigen Ufer mit
Flaſchenzug Hinüberzuziehen, den ein Wafjerläufer am jenjeitigen Ufer verankert
hat). 44 fi. Mühlen u. dgl. — Den Beihluß des Buches, Bl. 55—82, macht
eine ſchöne Abjchrift de Feuerwerksbuches mit einigen Anhängen. — Einige
Darftellungen, namentlich die Karrenbüchſen, die fahrbare Brüde mit Flajchenzug
und die franzöfifche Feitung verdienen bejondere Beachtung. Die Ausführung
der Zeichnungen ijt mittelmäßig.
Ungefähr in dieje Zeit dürfte auch die Herjtellung einer Jkono—
graphie von 158 Blättern fallen, welche die kgl. Bibliothek zu
Dresden aufbewahrt. (OÖ. b. 13). Sie ijt jchlecht ausgeführt und
verrät oft völligen Mangel an Berjtändnis.
8 10.
In die jechziger Jahre des 15. Ihdts. fällt die Entjtehung des
Atlajjes, welcher dem deutſchen Begez [$2] und dem nod)
zu beiprechenden Kriegsbuce des Roberto Balturio [$ 44
beigegeben iſt. Es ijt wahrjcheinlich, daß man es hier 3. T.
mit jehr alten Überlieferungen zu tun hat, welche wohl italienijchen,
bzw. byzantinischen Codices antiker Kriegsjchriftiteller entitammen, die
uns heute nicht mehr erhalten jind und aus demen vielleicht im 13.
und 14. Ihdt. jchon nur die Zeichnungen fopiert und weiter über:
liefert worden find. Das gilt freilich nur für einen Teil des Inhalts
jener Atlanten; das meijte ijt eines Schlages mit dem hergebrachten
Beitande aller Sonographien: e3 find Übertragungen der im eigenen
Gebrauche stehenden Werkzeuge auf die römische Vorzeit oder freie
Gebilde der Einbildungstkraft.
Der Atlas des deutichen Vegetius beiteht aus 63 Tafeln
in folgender Reihe:
1) Es ift das genau biejelbe Figur, welche Napoleon III. in feinen Etudes als jFig. 2 auf
Tafel I des erften Banbes ald »Engin volant« bringt, ohne feine Quelle zu nennen.
2
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 265
=
. „Sambuca ijt ain turn vnd dienet zu dem jturmen“. (Rollbare
Ebenhöhe, die von den darauf jtehenden Kriegsleuten jelbjt an die
Mauer herangezogen wird, mit der fie durch eine aufgehafte Leiter in
Berbindung gejegt iſt).
. „Eroitra hat in der mitten ain brugg vnd dienet zu dem jturm“.
. „zelleno ijt damit leut vf die mur geworffen (d. h. von außen ber
gehoben) werdent“.
.Turris Ambulatoria, in teutjch aim ziechturen“. (Unten ragt
ein Geſchütz hervor).
. „Das iſt ain ziehturen, damit ain jtat vberhöcht wirt“. (Eine
Tarrasbüchje geht voraus).
. Dasjelbe, doch nicht in Turmgeitalt, jondern als Bodtonjtruftion mit
zinnenartigem Aufjag.
. Desgleihen, nur andere Einrichtungen, von denen die eine aufſchraubbar,
die andere in Geſtalt eines achtedigen Turmes ausgeführt ift.
.„Das ijt ain ander (?) Streitwagen mit odhjen angericht.“? (Trägt
4 Mann: Armbrujter, Bogner, Spieker und einen mit furzem Schwert
und Kampfhammer, an deſſen Stelle in der Dresdener Balturius-
bandichrift ein Mann mit einer Feuerlanze fteht. Im gedrudten
Balturius ift diefer Krieger, der zugleih die Ochjen lenkt, nur mit
einer gewöhnlichen Lanze verjehen und der Bogner fehlt überhaupt).
.„Das iſt ain currus falcatud, in teutſch genant jtreitiwagen“.
(Beipannung mit zwei Pferden; Bejagung fünf Mann: der Roßelenter
ohne Trutzwaffe, Bogner, Armbrujter, Handbüchſenſchütz und Spieher.)
In der Dresdener Balturiushandichrift ift die Geißel des Roßelenkers
(jedenfalls irrtümlich) als Fackel illuminiert; der VBalturiusdrud zeigt
an Stelle des Armbrufters einen zweiten Spieher.
. „Das ijt ain windwagen vnden mit redern angericht“. (Ein Wagen
mit Meinen Windmübhlenflügeln, deren Naben durch Zahnräder mit den
vier Blodrädern des Gefährts in Berbindung jtehen und fie in Be-
wegung jeßen jollen).
- „Das ijt ein ſchrauben damit eijen gebrochen wird“. (Inſtrumente
zum Brechen von Gittern).
.„Wie ain getilt () vor ainer porten gemadt fol werden“. (Dreh:
bare Balijadenthür).
. „galerica, ain Scießzeug wie die Alten gebruchet haben“. (In
jpäteren Ausgaben des deutſchen Vegez bezeichnet als „PBhalarica, ein
band armbroft, wird aud) zu fewr pfeyln gebraudt“. Interejjante
Darjtellung einer nevrobaltiftiihen Schußmaſchine, die jedenfall® auf
ein antikes Vorbild zurüdzuführen iſt).
. „Malleoli find feurpfeil in ainer jolihen form angericht“. (Dar—
jtellung einer Schußmafchine "mit jtählerner übermannshoher Stand»
jeder, die, zurüdgemwunden und dann plötzlich losgelaſſen, mit großer
Kraft gegen einen vor ihr auf einem Gerüſte ruhenden Pfeil jchlägt
*
GE: a
266
Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifjenichaftlihe Werte.
und diefen ſomit forttreibt. — Übrigens ift Malleolus die Bezeichnung
des Pfeile nit in der Schußmaſchine. Dieſe heißt bei Valturius:
Gatapulta. Hohenwang hat diefen Ausdrud nit).
. „Murices find fußeyfen, die allwegen vber ſich jtand“.
„Musculi jind, damit durch ain mur gegraben wird“. (Maus:
förmige Holzgehäufe, in denen drehbare Mauerbohrer verborgen find).
. „Das jind werd, damit wajjergraben erihöpft werden“.
(1. Einfacher Heber; 2. Waſſerſchöpfrad).
. Desgleichen. (Blajebalgartige Vorrichtung).
. Deögleihen. GHeberwerke).
. „Das ijt ain werd zu waßer in ainer folihen form“. (Unverjtändlid).
. „was ijt ain arie$, in teutich genannt ain wider”. (1. Bon Menjcen
‚auf ihren Armen getragen und vorgejtoßen; 2. am Schmwungieil
bangend).
. Ein Aries, der in einer als Flechtwerks-Teſtudo geftalteten fahrbaren
Sturmhütte hangt und gegen eine Mauer arbeitet. — Eine von
Pferden vorgejhobene jpige Sturmhütte.
.„Das iſt ain wider mit ochjenheuten vberzogen“. (Fahrbare Sturmbütte).
. „Das ijt ain wider mit weiden für jeur gezeinet“. (Fahrbare Sturm:
hütte).
. „Das Werd ift wie ein ziechturen vnd dienet zu den ſturm“. (Biehturm
mit Fallbrücke. Er hat die Geſtalt eines ungeheuren Draden aus Flecht⸗
werf, ift mit Geſchütz armiert und mit Mannſchaft bejegt. Im den
ipäteren Begezausgaben lautet die Erflänung: „Diß ift ein wunderbarlid
groß Arabiſch werd mit geihoß, laytern, u. bruggen. Auch mit
leuten erfült, zum jturm angeridht“.
„Das find Steiglaitern vnd die in mangerlai form“.
. „Das iſt damit ain ziehbrugg gejperret wird. GFeſtlegehaken).
. „Das find bolwerf in mangerlay gejtalt vnd form“. (Unter Bohl—
werfen find hier Schleudermafhinen verjtanden. — Die erjte diejer
Daritellungen zeigt eine Blide mit direftem Hintergewicht am Schwengel.)
. Blide mit zwei Hintergewichtskaſten.
. Blide mit einem Hintergewichtsfaften, der durd) ein Räderwerf zurüd:
gezogen wird. Diejer Werfzeug heißt bei Balturius Machina versilis.
. Blide mit zwei Hintergewidhtsfaften, ähnlich wie R. R.
Drehbaße, Meines Gejhüg auf turmartigem Gejtell; bei Balturius
alö turris tomentaria bezeichnet.
. Große auf jchwerem Blod feitgeihnürte Büchje mit Anftoh; bei Val—
turius lombarda genannt.
« „Das find buchßen in mangerlai form vnd geftalt*. (Diele
Überjchrift ift offenbar verftellt; fie gehört vor V. V. — Dargeſtellt iſt
dasjelbe Gejhüß wie unter W. W., doch im Augenblid des Abfeuerns
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 267
Y.Y. Acht Meine Rohre auf drehbarer Scheibe, mit den Böden zujammen-
jtoßend; bei Balturiuß al® „Machina tormentaria“ bezeichnet.
2.2. Büchſe primitiver Form in Lade mit Rädern und kurzen Rihthörnern.
A. A. A. Büchje mit einer Schraube am Boden, um fie in einen Anftoß fejtzu-
ihrauben. Diejer Anjtoß, der mit einer Mutter verjehen ift, heißt bei
Balturius compago.
B.B.B. Feitgelegte Büchſe mit beweglihem Schirm. (Tarrasbüdje).
C.C.C. Hebezeug um eine Büchje vom Sattelwagen zu heben.
D.D.D. Büchſe in einer Doppellade, welche durch Richthörner und Borjtedbolzen
in einem unter dem Fluge angebradhten Gejtell eleviert werden fann.
E.E.E. 1. Sonderbarer Sattelwagen in Bejtalt eines Ktreisfegmentes. (Als
Sattelwagen bezeichnet Valturius diefe Karre; in den fpäteren Vegez—
ausgaben ift jie al$ jahrbare Lade dargejtellt, auf weldyer das Geſchütz
abgefeuert wird.) — 2. Sattelwagen, in dem das Geſchütz aufgerichtet
transportiert wird.
F.F.F. 1. Büchſe mit jehr enger Pulverfammer, deren Länge die des Fluges
übertrifft. (Bei Balturius jind Kammer und Flug gleich lang). 2. Zwei
Geſchoſſe, weldhe das Anjehen von Bomben haben. 3. Ein
Elbogengejhüp, bei Valturius mirabilis machina. (Über 2 und
3 vgl. weiter unten!)
G.G.G. „Das ijt ain werifende brugg vber waher“. (Zugvorricdtung).
H.H.H. Schwimmbhäute.
J.J.J. Kaſten- und Tonnenbrüden.
K.K.K. Schwimmende Türme auf einem Floße.
L.L.L. Fahrzeug mit gepanzertem Bug.
M.M.M. „Das ijt aud) ain fugel, die in waßer brinnt“.
N.N.N. Ein Waſſerläufer. [Bgl. ©. 252.)
0.0.0. „Das ijt ain galen mit gewouffneten leuten angericht“. (Galeere mit
Zurm).
P.P.P. Eine PBontonbrüde.
Die Holzjchnitte diejer erjten Ausgabe des deutichen Begetius
ind genau diejelben wie die in des Valturius de re militari libri XII;
nur it die Reihenfolge geändert, jie find größer und gerade entgegen-
gejeßt gewendet. Man könnte die Frage aufwerfen, welche Original,
welhe Kopie jeien. Indeſſen abgejehen davon, daß Hohenwangs
Vegez⸗Verdeutſchung früheitens 1473 erjchien, während Valturios
Verf um 1460 gejchrieben, 1472 gedrucdt wurde, jprechen auch)
innere Gründe dafür, dab das italienische Werf als Driginal
zu betrachten iſt. Nicht nur, daß jich in ihm die Zeichnungen
unmittelbar an den Tert anjchließen und zwischen beiden eine Wechjel-
beziehung bejteht, welche im deutjchen Vegez fehlt: einige der von
Balturio dargejtellten Kriegsmajchinen werden jogar dem Herren des
268 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Autors, dem Sigismund Bandulph Malatejta geradezu als dejjen
Erfindungen zugejchrieben; ob mit Recht oder Unrecht, it für
die Frage der Priorität faum von Belang.
Die dem Malatejta zugeichriebenen Erfindungen find die auf den Tafeln
A.A.A. und F.F.F. des deutjchen Vegez dargeitellten Geſchütze und Geſchoſſe
In den legteren hat man die eriten Bomben erkennen wollen. Valturio jagt
von ihnen: „... . Inventum est quoque machinae hujusce tum Sigismundi
Pandulphi qua pilae aeneae tormentarii pulveris plenae cum fungi aridi
fomite urienus emittuntur“. Dies Hohlgeſchoß bejtand in der Tat aus zwei
bronzenen durd Scharniere verbundenen und mit Bändern überfreuzten Halb:
fugeln; aber obgleich in der Beiſchrift ausdrüdlich gejagt wird, daß die Kugel
mit Pulver gefüllt ſei, jo ericheint ihr Gebraud zum Wurf, den Balturio er:
wähnt, doch nicht wohl möglich, weil ein jo zerbrechliches Hohlgeſchoß das Rohr
der Bombarde gewiß nicht unzertrümmert verlaffen hätte, es jei denn, dab das
(Mehl-⸗) Pulver darin jo fejtgejtampft gewejen wäre, daß überhaupt feine Erplojion
erfolgen konnte. Dann aber war es fein Sprenggeſchoß, jondern blos
eine Brandfugel, deren Metallhülle lediglich den Zwed hatte, fie beſſer
werfbar zu machen; und jo wird es auch wohl gewejen jein!). — Das Elbogen-
geijhüß, die mirabilis machina, ijt eine ganz tolle Konjtruftion, gehört
aber dem Malatejta nicht an, findet jich vielmehr ſchon in älteren und gleid-
zeitigen deutichen Jfonographien, z. B. in dem Berliner Manujfript von 1453.
[$ 7). Das abenteuerlie Geſchütz bejteht aus zwei Röhren, die im rechten
Winkel aneinanderjtoßen. Bei Balturius bildet die wagereht liegende Röhre
die Bulverfammer, die ſenkrecht jtehende den Flug. Eine Zeihnung in dem
deutjchen Begez von 1534 und eine andere -bei Nicolas Maridhall [XVI S 4
und 6] zeigt dagegen in beiden Rohren Zündlöcher und keinen Berjhluß am
unteren Ende des Horizontalrohrs, jo daß das Monjtrum bier zu gleichzeitigem
Wurf und Schuß bejtimmt erjcheint. Dies ijt aud) die Meinung des Diego Uffano®).
In jpäteren Vegez-Ausgaben weicht der Atlas vielfach von
dem des erjten deutjchen Vegez und des Balturio ab. Die Zeich—
nungen wimmeln von Mikverjtändnifjen, welche oft beweijen, daß die
Darjteller feine Ahnung von der Bedeutung des Gegenitandes hatten;
zugleich aber werden eine Menge anderer Gegenjtände aus den älteren
deutjchen Ikonographien übernommen: mit bejonderer Vorliebe aben-
teuerliche Streitiwagen, wie das caput armatum u. dgl.; ja es fehlt
jogar die Speerflinge mit der myſtiſchen Injchrift nicht, die bereits in
Kyejers Bellifortis begegnet. Dieſe Darjtellungen finden ſich ſowohl
im Deutjchen Vegez von 1534 wie in den Ausgaben der Veteres de
re militari von Budäus (Paris 1535 ff.)
1) Bol. Jahn: Handbuch einer Geih. des Kriegsweſens. 5. 810.
») Bol. ebda. ©. 796.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 269
=..11.
Bon unvergleichlich jchöner Ausführung iſt ein encyklopädijches
Verf in der Sammlung des Fürften Waldburg-Wolfegg-
Waldjee, welches das Germanische Mujeum unter dem Titel „Ein
mittelalterliches Hausbuch des 15. Ihdts.“ (Leipzig 1866) veröffentlicht
hat’). Es jcheint jchwäbiichen Urjprungs zu jein; die herrlichen
Zeichnungen aber jollen auf Zeitblom zurüdweiien. Der Inhalt
gruppiert jich wie folgt:
1. Wappen des erſten Befigerd. 2. Landichaft mit Gauflern und FFechtern.
3. Bemerkungen zur Mnemonit (Gedächtniskunſt) in abſcheulichem Latein. 4. Die
Blanetengötter. 5. Sittenbilder; darunter Badhaus, Vorbereitungen zum Turnier
mit Krönigen, Wett: und Scharfrennen, Hetzjagd, Minneburg und Liebesgarten.
6. Hausmittel. 7. Spinnrad und Wappen ala Zwifchenbilder. 8. Berg:, Hütten-
und Münzmwejen. 9. Pulver-Geſchütz- und Kriegsweſen. Der fpezielle
Inhalt diejes legteren Kapiteld ordnet ſich folgendermaßen:
Zwei Zeichnungen einer Bulvermühle, die fih von der Getreidemühle
nur dadurch unterjcheidet, daß jie fein Beutelwert hat. — Ein Büchſenwagen,
der das jchwere Geſchütz nicht oberhalb der Arebene, jondern unterhalb derjelben
trägt. — Zwei Schlangenbüchſen, eine auf einem „Bödlin“ mit Richtbogen,
eine, die auf vier fleinen Blodrädern läuft, eine jogenannte „Heuſchrecke“. Das
Rohr ift mit eifernen Bändern auf einem Blod (der Lade) befejtigt, der hinten
in einen Schwanz endet. Die Lade dreht fih um einen eijernen Bolzen am
Borderteil des den Büchſenwagen überdedenden Holzplateaus. Der Schwanz
fann zwijchen den beiden Hörnern für eine bejtimmte Neigung fejtgejtellt werden ;
eine Erhöhung ift jedoch nicht möglich und auch eine Änderung der Seitenrihtung
nur dur Berjchiebung des ganzen Wagens. immerhin zeigt fich hier gegen
früher (3. B. gegen die Handichriften von 1437, bzgl. 1453) [8 7] ein entjchiedener
Fortſchritt). — Heb-, Brech- und Schießwerfzeuge u. a. ein „Tann:
zapfen“ zum Zerbrechen von Nettengliedern und einige Marterinjtrumente. —
Drei Zwingerbüchſen zum Schießen durch „Slitzfenſter“, darunter zwei zum Tief—
ſchuß eingerichtete mit hochgeichweiftem Schwanzende, eine zum Bogenſchuß in
einem jogenannten „Froſch“. Zwei diejer Geſchütze haben Schildzapfen; die eine
der zum Senkſchuß beftimmten Büchjen liegt dagegen im Blod mit Eifenbändern.
— Katze mit Seitenwänden und Dedel und Büchſenſchirm (Tarrad) um die
Bedienung einer „Schermbüchſe“ zu deden. — Ein Heereszug in drei Zeilen
nebeneinander geordneten Zügen): innen Proviant- und Gepädwagen, außen
Acht aufgejchlojien die Büchjenwagen. Jeder Wagen mit vier Bauernpferden
I) Eine eingehende jehr lehrreiche Beichreibung ber Handichrift, welcher auch obiger Text folgt,
bt Frhr. v. Retberg: Kulturgeſchichtliche Vriefe über ein mittelalterl. Hausbuch (Leipzig 1865).
5, Diefe Beichnung des Hausbuchs findet ſich auch im Münchener Cod. 756, ſowie in Napol&ons
Etudes III, Zaf. 15, Fig. 8, melde Köhler auf feiner Tafel V, Fig. 10 reproduziert hat. (Text
bau: Illa, ©. 320.)
270 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte.
beijpannt, der Führer meift auf dem hinteren Sattelpferde. An der Vorderjeite
des Wagens ein „Fähnlein mit Zagel* (fejtitehendem Wimpel) und dem Wappen
des Beſitzers. In den Gallen zwijchen den drei Zeilen die Züge des Fuhvolls)),
teils Schügen mit Armbruften oder Zuntenbücjen, teil® Wappener mit Spießen,
Helmbarten, Streithämmern oder Beilen. Den Heereszug beſchließt die Schar
der Reiſigen, auf den Seiten durch Mleinere Abteilungen gededt. Alle Teile der
viergliedrigen Gleve find deutlich erfennbar: der volljtändig gewappnete Kürifjer
mit der Lanze, der leichter bewaffnete Schüte, der Schwerttämpfer und der Kinabe®)-
— Ein Drade, d. i. ein Streitwagen, welcher durd; mehrere Bare Hinten ange:
ſpannter Pferde gegen den Feind gejchoben wird. Ein Büchſenwagen mit einer
Drehbaße. Eine Karrenbüdje mit Durchfall, d. h. tiefem Lager, jo daß
jie hinten zwijchen zwei „Zeugtrüchlin“ herabhängt, in denen Munition aufbe-
wahrt wird. — Ein Feldlager. In der Mitte das Hauptzelt des Kaiſers.
Den inneren Kreis der Zelte umgibt die innere Wagenburg, d. h. eine aus den
Proviant- und Packwagen zujammengejhobene Zeile von Wagen, deren Körbe
aus Flechtwerk bejtehen. Dann folgen nad) außen zu Zeltgafien und endlih als
legte Wehr die aus den äußeren Marjchzeilen zujammengefahrenen Büchſenwagen,
unterbrochen von einzelnen Karrengejhügen. — Berjchiedenes Handwerkszeug:
Bank zum Einjpannen, Lade zum Schneiden großer Schrauben oder zum Aus-
bohren von Geſchützrohren. Setzwage. Steigzeuge und Gliederleitern. Büchjen-
ihirm nad jeinen einzelnen Teilen. — Bleide und Bockbüchſe. — Zmei
große Hauptbüchſen in feften Lagern mit ihren Anjtöhen. — Büchſe mit
Froſch nebit Sperrad und Hafpel. Wagenbüchſen mit geteiltem Blod®),
Scyildzapfen und wirflihem Prognagel; zwei davon mit Schleppnägeln unter
dem Nohre. — Hebebof („alter Bod“) mit Scheiben und Hajpel, wie er im
allgemeinen erjt anfangs des 16. Ihdts. durch den Flaſchenzug („zug auf die
neue art“) erjegt wurde. — Hebezeug mit Schraube ohne Ende. — Einfache
Dleide. — Wagenbücdje mit Schildzapfen und Durchfall. Froſch mit doppelter
Bewegung zur Höhen- wie zur Seitenrihtung®).
Den Beihluß des 9. Kapitels und damit der gefamten Bilderhandichrift
bildet eine kurze „Büchjenmeifterei”, welche mit den üblichen Ermahnungen an
den Meijter beginnt und dann die gewöhnlichen Rezepte bringt.
Die ſchöne Handjchrift gibt ein gutes Bild der Kriegseinrichtungen
des lebten Viertels des 15. Shodts.; denn aus inneren Gründen
darf man thre Entjtehung mit ziemlicher Sicherheit in die achtziger
Jahre jegen.
I) Ebenſo wie bei ber Anordnung bed Marlgraſen Albrecht Achilles für den Zug nach Neuß i.3. 1474.
2) Dieje Nachbildung der von Charles VII. von frankreich i. 3. 1456 eingeführten lance garnie
ericheint in Deutfchland erft nach den Sriegen mit Karl d. Kühnen von Burgund. Sie Täht fih aus
den Dienftbriefen von 1480 an nachweiſen. Worher beftand die deutſche Gleve meift aus zwei Gtreit-
baren und einem Diener mit zuſammen vier Pferden.
2) Einen „geteilten Block“ nannte man das Gefäß, wenn ber Blod, in welchen bas Büdienrobr
eingelaffen war, auf dem Bode fidh mittels eines Scharnierd auf unb nieber bewegen Lieb.
4) Bemerkenswert ift es, dab unter den Darftellungen feine Wagenarmbrufte und teine Mörfer
vorfommen. Xrauben und Delphine zeigt noch fein Mohr.
\
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 971
8 12.
Noch jünger als das Waldburg-Wolfeggiche Manujfript find
zwei biehergehörige Codices aus Heidelberg und Frankfurt a. M.
Cod. Palat. Germ. 126 hat folgenden Titel: „Dys buch der
ftryt vnd büchjen ward gemacht in der Vaſsnacht ald man zalt
von Chriſti geburt 1496 jar. Dar uff jollen die Büchjenmeifter
haben groß acht, for war“. Dieje auf einem vielgewundenen Spruc)-
bande gejchriebene Überjchrift, umgibt die Figur eines Mannes in
bequemer bürgerlicher Tracht mit der Beilchrift: „Philips Mönch,
der Pfalz Büchſenmeiſter.“ — Der Inhalt des gut ausgeführten
Buches iſt der folgende:
Bl. 2. Anordnung von Kriegshaufen und von hinten durd) Pferde geſchobener
Streifarren. 3—5. Maſchinen zur Wulverbereitung. 6. und 7. Eine große
alte Steinbüchje auf ihrer Unterlage mit Hebezeug, Sattelmagen und Ladezeug.
8—21. Allerhand mechaniſche Vorrichtungen wie Brunnen, Wagen, Brüden,
Schöpfräder, Leitern, Krane, Göpel und Sturmbrüden. 22—29. Geſchütze in
Laden, meijt mit Rädern und Rihthörnern, auch Streitfarren mit mehreren Heinen
Rohren (25 eine Drehbaße; 28a eine Hafenbüchje mit Bock und eine Handbüchie
mit Luntenhahn). 30—31. Bleiden. 32. Schöpfrad. 33. Ein Mann, der über
Waſſer läuft. 34. Tarras (Gefhügichirm). 35. und 36. Befeitigte Plätze (Stadt
und Burg) mit Verpfählungen vor der Mauer. 37. ift leer. 38. Angriff eines
Schloßes. 39—41. Hebezeuge und Geſchützzubehör. 42—43, Intereſſante Dar:
itellung eines beginnenden Gefechtes.
Überaus prachtvoll ijt das früher dem Nate der freien Stadt
Frankfurt gehörige „Ruft- und feuerwerd=-buych, zujamen gebracht
von viln bewertten meijtern vnd der kunſt verjtendigen“, das ſich jebt
in der Frankfurter Stadtbibliothek befindet. (Ms. 40.) Es zerfällt
m 9 Bücher.
Die erjten fünf Bücher bilden zujammen ein Lehrwerk der Feuerwerks—
funjt. Es beginnt mit einer z. T. abgewandelten, 3. T. erweiterten Paraphraſe
des alten Feuerwerksbuches 8 58), an das ſich zunächſt einige Lehrverſe mora-
liſchen Inhalts, dann die Erfindung des Pulvers durd Niger Berchtholdus, die
zwölf Fragen und eine Reihe pyrotechniicher Borjchriften jchließen, u. a.: „Meyjter
Hans Wyderſtein, oberjt burmeijter gewejt der jtat zu norenberg, hat jonden und
von vil ſynen meyſtern gehort: wer die allerbejten folen haben will, der nehme
birten“. Bereitung des „Atryment3 zu burjen puluer vnd füerpfylen vnd andern
ſtarlen fiierwerten“. Zulegt: „Ein fonjt wie man puluer lang behalten fan“
Es ift Raum zu weiteren Nachträgen gelafjen.
Das 6. Bud) ift das Burjenbucd, das mit den mannigfaltigiten Formen,
zumal an Lafeten, reich illujtriert ijt, ohne dab doch Bilder und Text in direkter
272 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Beziehung ftänden. Der Gegenjtand der Lehre ijt auch großenteil® dem alten
Feuerwerksbuche [$ 58] entnommen: „Ayn jtein gerecht zu haben zu einer yglichen
burjen, ſy ſy grois oder elein. . Ayne lere wie man Moß made. .. Keyner
buxſen ift zu getrawen. .. Eyn houeliche konſt it dies, ob du gerne wißen
wolts, wo du des nachts hyn jchiefeit“ . . u. j. w. Letztes Tertitüd: „Ayn
bagel geihoj® mad alfo . . .“ — Unter den Bildern find intereflant: p. 47 das
eines im Kreiſe drehbaren Hinterlader®, p. 51 das eines Elbogengefhüßes und
die den Beſchluß machende Reihe von Gejhügen und großen Handbüdhjen auf
drehbaren Geitellen.
Das 7. Buch heißt Rüſtbuch. Es Wyingt mit jporadifchen Beijchriften
jehr verjchiedene Segenftände: Taucherapparate, Pumpen, Waſſerräder, Brüden
aller Art, Streitlarren, Sturmſchirme, Bleiden, Steigzeuge, Türme, Sturm-Mäuje,
Teſtudines in wirklicher Scilfrötenform, den Wafferläufer u. dgl. m. Die Zeich-
nungen jtimmen großenteil® mit denen des Valturius überein.
Das 8. Buch enthält die Heymlichleidt der AJnjtrumente Es be
handelt den Quadranten, allerlei Handwerkszeug, Schrauben jowie jefrete Rezepte
zur Metallbehandlung.
Das 9. Buch ift wieder ein Keuerwerfsbud. Es jpricht über die Her-
jtellung der ?Feuerpfeile, Feuerkogeln, über Löten und Legieren, aber auch vom
Mefien der Höhe und Breite. Es ijt offenbar unfertig.
8 13.
Das reichhaltigite Werk diefer Art ijt zugleich das jüngjte: das
Kriegsbuch des Ludwig von Eybe zum Bartenftein v. 3. 1500. —
Die Eyb find eim altfränkiſches Adelsgejchleht. Der ältere Ritter
Ludwig, unjer® Autors Vater, von 1440 bis 1486 der treue
Diener Albrechts Achilles, it einer der eriten Typen des deutichen
Beamtentums!). Sein Sohn Ludwig war erjt im reichsjtädtischen,
dann im pfälziichen Dienfte, Ipäter brandenburgischer Hauptmann auf
dem Gebirg und Hofrichter zu Kulmbach. Bon ihm rührt die prächtige
Foliohandjchrift her, welche aus dem Anſpachiſchen Fürftenbefige an
die Bibliothek der Univerfität Erlangen gekommen ijt, (ms. 1390) —
ein großes militärisches Bilderbuch mit Beilchriften. Der Text beginnt:
„Nachdem aber nun vil meiner Gnädigen Herrn der Fürſten, auch grafen,
freien Ritter und knecht findet, die zu adelichen Ritterlihen guten ſachen geneigt
ind, hab ich Ludwig von Eybe zum Hartenjtein, Ritter, derzeit des durchlauch—
1) Ludwig ftand dem hohenzollernichen Markgrafen mit Rat und Tat zur Seite, begleitete ihn
auf dem Feldzuge gegen Karl den Kühnen und mwibmete nad Wlbrechts Tobe auch befien Söhnen
jeinen Dienft. In hohem Alter erhielt er dad wichtige Amt eines Landrichterd am kaiſerl. Landgericht
des Burggrafentums Nürnberg und ſchloß fein tatenreiches Leben i. 3. 1502. — Bol. Vogel: Des
Nitterd Ludwig v. Eyb z. H. Aufzeichnungen über das kaiſerl. Landgericht zu Nürnberg. I. Abt. 1867.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 273
tigen hochgeborenen Fürjten vnd Herrn, Herrn Bhilippien, PBialzgraffen bey
Aheyn . . . elf Jahr gedient, dies Kriegsbuch gemadt u. von vil aus ander
landen u. ortten zujamenbracht, eins teil® angeben, daraus ein Yeder ber-
itendiger des friegd etwas nehmen mag. Anno XVe (1500), ond jeiner Gnaden
vigdom (zu Amberg) 11 Jar geweit“.
Folio 1—15 fehlen. Auf zwei unnumerierten Pergamentblättern jind
höchſt intereſſante Darftellungen runder Bajtillen aus Flechtwert und Holz
gegeben, deren eine ein pallifadierter Schügengraben umgibt. Bl. 16—33a
ihildern Fechtkünſte mit Schwert, Spieß und „Degen“ (Dolcdhen). Bl. 33b
bi 43a jtellen die Ringkunjt dar. ©. 43b „hebt ſich an ein buch nützlich und
meifterlich zu Fechten von des Reichs Hofgeriht; da fiht man bloß, in grauen
Röden mit Schild umd mit Kolben“. Es ijt eine ausführliche Darjtellung der
noh näher zu erwähnenden gerihtlihen Zweifämpfe. [8 48). Die Streit:
tartihen find mannshoch, haben am oberen und unteren Ende fuhlange Stadeln,
die zum Stoß wie zum Niederringen des jeindlihen Scildes bemußt werden;
einige der bejonders dargejtellten Tartjchen laufen au in große Gabeln aus. —
8. 54561 jchildert den Kampf mit Schwert und Heiner Rumdtartiche. —
S. 52 „hebt jidh an ein Buch von Wagenburgen zu maden“ „Mit unge:
lahrten Leuten irreftu und ift die Wagenburg nichts nug“. Bl. 62—66b find
dargejtellt eine freisrunde Wagenburg mit dreifahem Einſchluß, der Zug der
Bagenburg in vier Zeilen, ein Ovallager mit doppeltem Einſchluß und ein
Treiedlager. Die beigegebene Auseinanderjegung [$ 28] ijt vielleicht czechijchen
Urprungs. — BI. 69—89 folgen Bilder der verjchiedenartigiten Kriegsgeräte:
Streitwagen von z. T. ganz unmöglicher Konftruftion, Rollſchirme und andere
„treibbar werd im jtreit an ein jpiß“, fahrbare Sturmgabeln und allerlei Heine
Geſchütze mit jchwerfälligen Vorrichtungen zur Elevation und Deprejiion. Ferner
Dleiden und anderes altes Wurfzeug ſowie verjchiedene Arten von Kriegsbrüden.
— Bl. 89b zeigt den bekannten, Zuft in feinen Gürtel blajenden Waflergänger ;
ihm folgen andere Shwimm=- und Taucderapparate z. B. 92a eine Hülle
für den ganzen Mann mit Heinen Fenſtern vor den Augen, von dejien Kopf ein
Schlauh ausgeht, der, über das Waſſer emporragend, Luft in die Hülle ein-
läßt; ein um die Hüften des Tauchers geſchlungener Strid mit einem eijernen
Haken gejtattet ihm, jich irgendwo auf dem Grunde zu befejtigen. Ferner Stiefel
mit Luft zu füllen; Luftkifien. — Gegen Ende des erjten Hundert$ der Blätter
eriheinen Reiter mit yeuerapparaten: Körben, Ballen und Lanzen, ſowie
Abjperrungsmwerte: Ballijadierungen und Baltenkonjtruftionen und im Gegen-
ja dazu Schraubmwerte zu Sprengungen von Gittern. — Mit S. 100 beginnt
en Bühjenbud, das jih durd mehr ald 80 Tafeln fortjegt: die Geſchütze
iind meift auf der Are dargejtellt; 104b bringt die rohe Zeichnung einer Bohr:
majhine, 110 ein Geſchütz, welches von einem hinter ihm in der Gabel gehenden
Bierde farrenartig vorgejchoben wird. Groß ift die Zahl der Winde- und Hebe-
jeuge, der Göpelmwerfe und oft jehr mwunderlihen Gejchügmontierungen. Eyb
bezeichnet diefe Sammlung jelbit mit Recht als „gute und geringe oder gar
abenteuerlicher Zeug zu Büchſen und anderen Dingen“. — Aufs neue folgen
Jathns, Geſchichte der Krriegswiſſenſchaften. 18
274 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
dann Gegenjtände der Hydrotechnik: Faß-, Schiff: und Fallbrüden, Luft⸗
Kiien, Schwimmgürtel, Pumpen; ©. 215 ein aufjchraubbarer Stodwertsturm,
216 eine fahrbare Brüde. — ©. 239 fängt ein neuer Abfchnitt an mit den
Worten: „Das Buch heißt von Abenteur und du findeit darin gemalt mandı
boflih und nutzlich jtud — kannſtu es verjtehen!“ (sic!) Es Handelt fich dabei
um Leitern der mannigfaltigiten Art: Stangenleitern und Stridleitern , jchiefe,
geihlofjene, ſchwebende u. j. w., dann um Steigzeug, Brechzeug, Schirme, aber audı
wieder um Biüchjen mit ihren Schirmen und Anftöhen, ihrem Ladezeug und ihren
Pulvertruhen jamt deren Geheimſchlüſſeln. — Eine Schlußabteilung umfaßt bier
diejenigen Gejtalten, mit denen gerade ein Jahrhundert früher ein anderer
fränfifcher Edelmann, Konrad Kyeſer, den Eyflus diefer militärencykflopädifchen
Werke begonnen hatte: die großen Rittergejtalten der Blaneten.
8 14.
Wenn ich Eybes Werk die jüngjte der kriegswiſſenſchaftlichen
Bilderhandichriften nannte, jo iſt dies in Bezug auf den vermutlichen
Zeitpunkt des Arbeitsbeginnes zu verjtehen, nicht in Bezug auf die
Beendigung. Denn e3 gibt allerdings einige Ikonographien, die, zu
Anfang des 15. Ihdts. begonnen, auch noch im 16. Ihdt. fortgeführt
wurden. Lud doch der faſt planloje Charakter diefer Sammlungen,
welcher fich dem des modernen Albums vergleichen läßt, unwillkürlich
zu jtetem Weiterjpinnen des einmal angefnüpften Fadens ein. Bei—
jpiele jolch andauernden Sammelfleiges finden ſich zu Weimar umd
zu Hermannjtadt.
Im Februar 1621 bot Chriſtoffel von Waldenrodt, ein fränkijcher
Edelmann, dem Herzoge Johann Ernit von Sachſen „ein fajt altes
in Folio gejchriebenes und gemaltes ingenier= kunſt- umd
wunderbuch“ zum Kaufe an, welches er angeblich i. 3. 1590 zu
Warſchau um 100 Reichsthaler erworben hatte und welches, wie ihm
verfichert worden, „dem Sfanderbeg gehört haben joll“. Da
dieje Handjchrift urjprünglich wirklicd; aus dem Bejige des berühmten
Helden der Albanejen jtamme, ift zwar unmwahrjcheinlich, doch nicht
unmöglich; denn Georg Kajtriota lebte von 1414 bi8 1467, umd
in dieſer Zeit ift der Kern der Sammlung entjtanden: der Kern;
aber unzweifelhaft ift noch weit ins 16. Ihdt. daran fortgearbeitet
worden. Vermutlich jollte des Skanderbegs großer Name den Herzog
zum Kaufe reizen, und in der Tat erwarb Johann Ernit das merk:
würdige Buch u. zw. für nur 5 Gulden. Gegenwärtig gehört es der
2. Kriegswiffenichaftliche Bilderhandſchriften. 275
großherzoglichen Bibliothek zu Weimar (cod. fol. 328)'). Es beiteht
aus 325 Pergamentblättern und bildet eine der allervollftändigiten
militäriſchen Ikonographien. Die Herſtellungsweiſe iſt durchweg
gleichartig, obgleich gewiß viele Hände im Laufe der Zeit daran
gearbeitet haben; es ſind leicht ſchattierte Umriſſe mit ſpärlichen
Beiſchriften.
Die Zeichnungen werden nad) und nad) immer beſſer. Bis ©. 97b beziehen
ſie jih auf Kriegsinftrumente, Dinge des Bauweſens u. dgl. Dann folgen Dar-
jtellungen aus dem öffentlichen und privaten Leben, die zwar zuweilen dunkel in
ihrer Bedeutung, oft aber von hohem kulturhiſtoriſchem Intereſſe find, wie z. B.
die von Kunſtſtücken der natürlichen Magie. BI. 151 nimmt die Darftellung der
Kriegdgeräte, Geſchütze, Feuerwerfsförper u. dgl. wieder auf, Der die Feuerwaffen
betreffende Teil beiteht aus mehreren Serien; die ältejten geben noch Typen des
14. Ihdts. wieder. Bemerfenäwert jind befonders: die Wiederholung der Bockbüchſe
aus der Kyeſer'ſchen Handjchrift und zwei Hakenbüchſen, welche General Köhler
reproduziert hat”). — Die einigen Bildern zugefügten kurzen Erklärungen find
deutich; die bei weiten längſte derjelben (BI. 62) ijt die Erläuterung und Be-
ihreibung eines „heimlich verborgenen Zugs“ unter der Brüde einer Burg.
Unter den Zeihnungen am Schluß des Buches finden fich ſämtliche Dar-
itellungen der gedrudten Ausgaben des Balturius und des deutjchen Vegez
wieder [$ 10).
Durch Data gejichert iſt die überaus langjame Fertigitellung
einer militäriichen Bilderhandjchrift im jächjiichen Nattonalmujeum zu
Hermannstadt in Siebenbürgen. Ihr Titel lautet: „Diejes hernad)
geichrieben funjtbuch it zujammengetragen und gerijjen worden
durch Hanns Haafenwein auß dem Haajenhof bey Landshut im
Bayerland. Angefangen 1417, vollendet im tar der wenigern zaal 1560.“
Diejer Titel rührt natürlich nicht von dem urjprünglichen Verfafjer her,
jondern von einem Fortjeger, der die 3. Abteilung des Werkes her-
geitellt hat, dem „Konrad Haaſen von Dornburg vom gejchlecht
aus dem Haajenhofe bei Landshut“, welcher durch 40 Jahre an dem
Buche weiterjchrieb, an dem alſo im ganzen 143 Jahre lang, offenbar
mit großen Unterbrechungen, gearbeitet worden it.
8 16.
Gegenüber diejer reichen Fülle deutjcher Bilderhandichriften hat
Frankreich eigentlich gar nichts Ähnliches aufzuweiien; denn ein
1) Näheres über bie Handſchrift bei Bulpius in den „Euriofitäten der phyj.-Titerar.:artift.:
biftorifchen Bor: und Mitwelt”. X. Bandes 4. Stüd. 1824.
m ftriegämweien u. Sriegführung ber Ritterzeit. IIIa, ©. 32% u. 333.
18*
276 Das XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine kriegswifjenichaftliche Werte.
hiehergehöriges Manujfript Machines de guerre der Pariſer
Nationalbibliothef (ms. franc. 1914) ift jicherlich nur Wiederholung
einer deutjchen Vorlage. Es jtammt aus der Sammlung des Herzogs
v. Coislin, Bischofs von Meß, und it erjt im 17. Ihdt. einer ver-
mutlich lothringijchen Urjchrift aus der zweiten Hälfte des 15. Ihdts.
genau nachgebildet worden.
Die Handichrift enthält Zeichnungen der verichiedenen bouches à feu und
affüts, alaisages des pieces, engins, chausse-trappes (Fußangeln), &chelles,
mantelets, lances & feu u. j. w. — Eine Reihe diejer Darjtellungen hat General
Fade im 3. Bande der Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie auf
mehreren Kupfertafeln wiedergegeben und p. 173—185 erläutert. Sie bieten für
den in der deutichen Militärliteratur des 15. Ihdts. bewanderten Lejer nichts Neues.
8 17.
Nicht jo umfangreich wie die deutjche, doch von faum geringerem
Interejje, ja in einigen Punkten jehr bedeutungsvoll iſt die ifono-
grapbijche Literatur Italiens.
Bon der Hand des Venetianers de Fontana!) befigt die Münchener
Hof- und Stat3bibliothef ein aus der pfalzgräflichen Bücherei ſtammendes
in roten Samt gebundenes Pergamentmanuffript (Ikonogr. 242),
welches den Titel führt: Bellicorum instrumentorum
liber cum figuris et fietivys literis conscriptus, das um 1420
gejchrieben jein muß. Es iſt eine Sonographie ganz nad) Art
des Bellifortis, nur von viel geringerem Umfange und weit weniger
jorgfältig, jedoch mit Fünftleriicher Leichtigkeit ausgeführt. Das
Mejentliche des Inhalts läßt ſich etwa unter folgende Stichworte
ordnen:
Fahrbarer Widder. — Igniferus instrumentus. — Gefängniſſe. — Be
jeftigungsturm, der im Erdgeichofle mit ganz kleinen Gejhügen früheſter Kon—
itruftion verjehen ilt. Das erjte Stodwerf verteidigen gewaltige riejenhafte
Haken und Spiehe, die durd ein Kurbelwerk in Bewegung gejegt werden, welches
durch die Höhe des ganzen Turmes geht. Aus dem oberen Stockwerke desjelben
fliegen Pfeile. — Sturmleitern. — Zujammengejegte Kähne. — Wafjerwerfe. — Dar:
jtellung eines Schlofjes, das von der Thorbefejtigung aus einen Fluß bejtreicht,
auf dem Schiffe heranrudern ; u. zw. fcheinen es nicht Feuerkugeln jondern Raketen
zu fein, mittel® deren der Strom unter Feuer genommen wird. Uberbhaupt
ipielen die Raketen eine große Rolle in diefer alten Schrift, welche deutlich er-
fennen läßt, daß ihre Benugung, ja ihre Vervolllommnung der der Geſchütze
1) Die Entzifferung des in Ehiffern gejchriebenen Namens verbante ich ber Büte des bamaligen
Kuftos der Hanbfchriftenabteilung der Münchener Bibl., bes Herrn Profefior Dr. Mever.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 277
vorausging und erſt ſpäter in Verfall und Vergeſſenheit geriet. Während ſonſt
andere Feuerwerlsbücher und Ikonographien Anweiſung geben, Tauben und Katzen
eines belagerten Ortes zu fangen und dann die mit Feuerwerkskörpern belajteten
Geichöpfe frei zu laffen, damit fie den Brand in ihre Heimat trügen, fonjtruiert
de Fontana fünjtliche Vögel, Hajen und Fiiche als fliegende, rollende, ſchwimmende
Raketen; ja er hat über dieje Brandrafeten und Torpedos jogar ein bejonderes
Bud geichrieben, welches die Bibliothef zu Bologna bewahren joll. — Im
übrigen finden fih im feinem Werte die gewohnten Inſtrumente der deutichen
Stonographien: Springbrunnen, Bumpwerte, Hebezeuge, Orgeln, Masten, Kriegs—
ihiffe, Bäder, aber auch allerlei geſpenſtiſches Blendwerk: Auferjtehende Tote,
feurige Teufel und Laterna-magica-Bilder. (Apparentia nocturna ad terrorem
videntium.)
Die Überjchriften der Erläuterungen jind lateinijch, dieje jelbjt aber in Ge—
beimjchrift gehalten.
8 18.
Die Nationalbibliothef in den florentiniichen Ufftzien bejigt einen
von 1430 datierten PBapiercoder, welcher unter dem Titel Ordegni
mecanici eine den deutjchen Bilderhandjchriften ganz entjprechende
Sammlung von Zeichnungen mit jpärlichem lateinischen Texte enthält.
Eingeleitet wird das Manuffript durch die Geſtalt eines Kriegers, dem Gott
zuruft: „Defende oves meas, ex quibus te custodem eleg!“ Dann folgen
Daritellungen von Waſſerwerken verjchiedener Art, von Hebewerken, Sturmleitern
(fahrbare, mit Einrichtung für wechjelnde Neigungen), Kriegswagen mit Segeln,
Heritellung eines Bergdurchitiches (Tunnel), Mühlenwerfe, Blide (mit der Über:
ſchrift brichola), bededte Räderfahrzeuge u. dgl. m. Den Beſchluß macht eine
Daritellung des Drahentämpfers St. Georg.
Dieſe Handichrift, in der das militäriſche Element nur jehr
bejcheiden auftritt, ijt offenbar die Grundlage einer anderen Jkono—
graphie derjelben Bibliothef (No. 2401), in welcher die kriegeriſchen
Dinge weit reicher vertreten jind. Die Zeichnungen jind hier auf
Pergamentblättern ohne jeden Tert aneinandergereiht; erſt am
Schluß beginnt eine jchnell wieder abreigende Abhandlung in italie-
nicher Sprache. Abgejehen von diefem unzulänglichen Bruchjtüd
ericheinen folgende Darjtellungen erwähnenswert:
Hydrojtatiihe Maſchinen. Taucherweien. Berjtärfung wanfender Mauern.
Dann p. 42 der Grundriß einer freisförmigen Befejtigung mit vier
weitausfpringenden Rondelen, in welche die in jtarfen Abjäten gehaltenen Eingänge
führen. Hinter der äußeren, vermutlich als Wall gedachten und elbarba genannten
Einſchließungslinie, liegt eine doppelte Mauer, in welche nur ein Eingang führt.
(Das Ganze erinnert an Dürers Zirkularbefeitigung.) Dann folgen: Flaſchenzüge,
278 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte.
Mühlenwerte, Minen in Felfen, Umgebung einer freisförmigen Befejtigung mit
Wolfsgruben, Fußangeln u. dgl., große Majchinen zum Pfeilſchnellen, mißver—
itandene Rekonſtruktionen antiter nevroballiftiicher Geſchütze, Bliden, Schiffbrüden,
gewaffnete, bededte Ruderbote, Bombarden alter Form zum hohen Bogenjhuß,
fleinere mit rohen Richtvorrichtungen, Zeihnungen von ſchön fanellierten Lang:
geſchützen, die offenbar von jpäterer Hand hinzugefügt jind, und endlich Hebeliwverte.
8 19.
Bon hohem Intereffe ift die Jfonographie des Sienejen
Jacopo Mariano gen. Taccola mit dem Beinamen „Archimedes“ ?).
Die Urjchrift derjelben befindet jich in einem Sammelbande (cod.
lat. 197) der Münchener Hof und Statsbibliothef?) 8 5).
Es jind flüchtige, aber höchſt ausdrudsvolle Skizzen, die teild von Taccola
jelbjt erfundene Gegenjtände, teild Maſchinen vder Waffen darjtellen, weldye ihm
von anderen zugänglich gemacht wurden. Für die Autorichaft Marianos ent-
jcheidet eine Notiz auf fol. 96: „1441 dominus Antonius Catelanus presbiter
de Civita Tortose die XVa mensis Aprilis vidit hec designia ac etiam
rotulum in quo erant machinae et tormenta antiqua designata ex manu
mei mariani Jacobi de Senis“. Die Eintragung der Skizzen, d. h. aljo zugleid)
da8 Sammeln des Materials, hat ungefähr ein Vierteljahrhundert lang gedauert.
Sm Jahre 1427 3.8. jchreibt der Berfafler: heute habe er vier ingenia fertig
gebradt: 1. im Tiber eine Brüde zu fundieren ohne das Wafler ablenten zu
müſſen,“ 2. am Molo im Genueſer Hafen binnen kürzefter Zeit eine Mauer zu
fundamentieren“, u. j. w. Die Erfindungen auf dem erſten Blatte werden einem
gewifien Dragamanente de Maiolica zugeichrieben; auf fol. 80 heißt es
in demjelben Sinne: „Bartolomeus Pasquini docuit“. Einmal gibt der
Verfaſſer ein Geſpräch mit Pippo Brunelescdyi wieder, der ihn warnt, jeine Kon-
jtruftionen jedermann zu zeigen, und das jcheint den Taccola in der Tat ſehr
vorfichtig gemacht zu haben. Bevor er ein Blatt verborgte, jchrieb er eine Notiz
darauf, um jein Urheberrecht zu wahren, 5. B. „Marianus designavit oder invenit
die 8% mensis Decembris“, und nachdem er das Blatt zurüderhalten hatte,
vermerfte er „vidit omnia ista in domo suae habitationis“. Auch wenn er
dergleihen Entwürfe anderen gezeigt, pflegte er e& zu notieren, 3. ®. fol. 82
am Rande: „9. di dicembre deno (demonstro) domino Petro de Micheglis
de Sena in designis bombardam ad bissulam (ad ciconiam) ac ad item tunc
dixit volebat immediate conferre cum famulo Franeisci Piceini“. Dieje An:
gaben gewähren einen Blid in das geheimnisvolle Arbeiten der Adepten des 15. Ihdts.
ı) Bol. über Taccola: Milaneji: Documenti per la Storia dell' Arte Senese. II, 284— 286
(Siena 1854) und Milaneii: La Scrittura di artisti Itallani J (Uutograpbenfatfimilia).
2) Nachdem ich die Jdentität einiger Zeichnungen des Münchener Coder mit joldhen der venetiani-
ſchen Reinjchrift von Taccolas Wert feftgeftellt, hat Herr Profefior Dr. Meyer bei näherer Durd)
forſchung des überaus ſchwer leöbaren Inhalts die Beweife dafür gefunden, daß man es hier mit einem
autographen Konzept zu tun babe.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 279
Die trefflihe Ausführung der Zeichnungen und der originale
Charakter des Ganzen geben diefem autographen Sammelbuche ein
hervorragendes Interejfe. Allerdings enthält es (wie ja auch Fon-
tanas Handichrift und die vorher erwähnten Florentiner Codices) jehr
vieles, was nicht mit dem Kriegsweſen zu tun hat, und unter dem,
was jich wirklich darauf bezieht, iſt eine große Maſſe freier Spekulation,
die wohl niemals handgreifliche Gejtalt angenommen, niemals praktiſche
Berwertung gefunden hat. Es waren geiitreiche Erperimente. Die
Figuren find mit der äußerſten Raumerjparnis durcheinander gehäuft.
Biele davon finden jich auch im Balturius wieder 8 10] und gehören
überhaupt zum wandernden Gute dieſer Wiſſenſchaft; viele aber
jheinen doch auch ganz original. Die dargeitellten Geſchütze ſind
meiſt jprachrohrartige Feuertuben, die den Namen »bombarda« oder
»bissula« führen.
Eine Jauszügliche Bearbeitung und Reinjchrift diefes Münchener
Autographs, welche vielleicht erit nad) Taccolas Tode fertig gejtellt
wurde, befindet ji) in der Marcusbibliothef zu Venedig unter dem
Zitel: »De machinis libri decem, quod scripsit 1449%«.
Hinzugefügt ijt die Bemerkung »Eos Paulus Santinus addita
praefatione Bart. Colleone didicavit«!.
Es ijt eine geordnete Wiedergabe des Wejentlichen aus Taccolas
Sammelbud).
Bon bejonderem Intereſſe iſt die jorgfältige Darjtellung einer Rulvermine.
— Unter dem Bilde eines mit 3 Minenjtollen untergrabenen Hügelſchloſſes jteht
folgende Erläuterung: „Fiant caverne per fossores penetrantes usque sub
medium arcis. Ubi senserint strepitum pedum sub terra, ibi faciunt
cavernam latam ad modum furni, in eam immittuntur tres aut quatuor
vigites sursum apertos plenos pulvere bombarde; inde ab ipsis vigetibus
ad portam caverne ducitur funiculus sulphuratus.. Qui obturata porta
caverne lapidibus et arena ac calce, accendatur. Sic ignis pervenit ad
vigites, et concitata flamma, arx in medio posita comburitur““.
8 20.
Bon demjelben Baulus Santinus, welcher dem Werke des
Taccola in Benedig die Vorrede hinzugefügt und es dem berühmten
venetianijchen Eondottiere Bartolommeo Eoleone gewidmet hatte, bejitzt
1) Bol. über dad Manujfript: Balentinelli: Bibliotheca manuscripta San Marei V
1872, p. 193 und das V. Memoire des Promis zu Saluzzos Ausg. von Giorgio Martinid Trattato
(Zurin 1841).
280 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifjenichaftlihe Werte.
die Pariſer Nationalbibliotdef einen Tractatus de re militari
et de machinis belliecis (cod. lat. 7239), welcher als »ma-
nuscrit de Constantinople« großen Rufes genießt. Das prachtvolle
mit ungefähr 400 Miniaturen gejchmüdte Pergamentmanuffript
gelangte i. 3. 1688 in Folge der Bemühungen des franzöjiichen
Sejandten bei der Pforte, des Nenegaten Girardin, aus dem Serail
an den Marquis von Louvois. Ein jehr jchönes Fakſimile desjelben
ließ der Gavaliere de Saluzzo anfertigen, mit dejjen Bücherfammlung
es in die Bibliothef des Herzogs von Genua überging (ms. 311).
Bor dem Pariſer Original iteht von der Hand Anſe's des Billoijon!)
vermerkt: Tractatus »Pauli Sanctini Ducensis de re militari
et machinis bellicis eleganter ibi depictis, scriptus sub eo
tempore quo primum in uso fuit pulvis tormentarius, hoc est
circa 1330 vel 1340.«
Die Bezeichnung des Verfaſſers al® Ducensis veranlaßt Promis jeine
Heimat in Duccio, einem piemontefiichen Flecken des Sejiatales zu juchen; indes
jind die Santini eine befannte Familie Quccas, und jo wird ftatt Ducensis wohl
Lucensis zu lejen jein.
Die von Villoiſon angegebenen Jahreszahlen 1330 oder 1340
find entichteden faljch?); denn der größte Teil von Santinis
Arbeit ijt eine Wiederholung der zehn Bücher des
Taccola, dejjen Erfindungen allerdings mehrfach verbefjjert und mit
mehr Klarheit auseinandergejegt jind. Die Ausführung iſt jorg-
fältig, und jo bietet ji in Paul Santinis Werk eine Quelle
reicher Belehrung über das ältere Kriegsmejen dar, aus welcher denn
auch von Carpentier, VBenturi, Omodei, Promis, Reinaud et Fave
und Napoleon III. um jo eifriger gejchöpft worden it, als diejen
Forſchern die durchaus ebenbürtigen deutjchen Ifonographien wohl
meift ganz unbekannt geblieben find. — Einen eigentlichen Titel hat
das Buch nicht; die Anfänge der Berzierungen desjelben jind vor-
handen; aber der Binnenraum iſt unausgefüllt geblieben. Der In—
halt zerfällt in eine kurze Einleitung und in den Bilderatlas. Jene
Einleitung bat 20 Kapitel:
!) Bgl. Notices des Mass. de la Bibliotheque du Roi. Vol. VIII. part. 24 An 1810
ad. no. XVI.
2) Auch Lorebon Larchey beteiligt fich in jeinen Origines de l’artillerie frangaise (Paris 1869 „
an dieſem Jrrtum und ftügt feine Anficht darauf, ba er angibt, bad Wert jei nicht, wie man meine,
einem ungar. Könige (?) jondern einem griech. Kaiſer zu Nutzen gejchrieben, wie aus ben brei legten
Seiten hervorgebe.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderbandicriften. 281
De pulsione guerre. (Aufzählung der zum Kriege notwendigen Dinge.)
De pietate ducis bactaliarım. (Mit jchönem NRitterbilde und der Devife:
„Quod uis nolo, quod nolis volo“. Die Anforderungen an den Feldherrn
errinnern jehr an die Leos des Taktikers M. $ 8]). De providentia ducis contra
hostes suos. De placentia ducis contra hostes suos potentissime impotentes.
De tempore incipiendi bellum secum astrologia. (Wer Krieg führen will,
bedarf einen astronomum valentissimum in arte sua. Großes Bild desjelben).
De prudentia ducis commodica armor gente tempore noctis rumpentis
hostes suos. De pulvere et vento contra hostes. De castellanis sive
oppidianis exsite vincendis. Qualiter dux honeste abire debet ab hostis
suis. Intereſſante Übereinftimmung mit dem deutichen Kriegsbuche von 1530
XVI, $ 12]). De perrogativa solis. De recupatione ducis contra inimicos
et hostes suos. De ponte transeundo sine strepitu. De hostibus capiundis
sine proelio. (Alles, was der Feind genießt, wird mit einem Schlafmittel verjept,
und dann überfällt man den Schlafenden).. De vincendis imbello hostibus
igne. (Anwendung bon Feuerpfeilen gegen Reiterei). De victoria optinienda
cum lumigeriis ac latergeriis tempore noctis contra hostes tuos, Civitates
roche sive castella acqueruntur in casibus istis ex quibus dux bataliarum
debet sepe scpius sus (?) memorie collorare et sunt iste videliae. (Dabei
eine Anweijung bombardas und cerbatanas zu jprengen). De castello defen-
dendo cum calana et pulvere sive igne. De castellis defendendis a machinis
frangentibus muris. De castellis defendendis cum saxis, fumo et igne.
Nun folgt der Bilderatlas. Jedes Blatt desjelben hat eine
laterrifche Legende in gotiſchen Lettern. Hier können natürlich nur
einige der bemerfenswertejten Daritellungen hervorgehoben werden.
Ritter, die auf verfehrt beicylagenen Pferden reiten. (Falſche Färte.) Ber:
laffenes nur vom Hunde bewactes Kajtell. Bewäfjerung des Feldes oder eines
Fiſtungsgrabens durch fommunizierende Röhren. yeldlager. (Genrebild. Saum:
tiere für Lagerbedürfnifie). Steigzeuge: arbor ambulatoria, scala ambulatoria.
Sturmzeug: pluteus murus frangens, vinea ambulatoris pugnans. Fluß—
iverre aus großen jchwimmenden beweglichen Klögen. Die Verſchiedenheit der
Bejejtigungsanlagen in Bezug auf den Flußlauf. Steigzeuge: scalae ambulatoriae
adcendi muros et descendendi intus ad aliam partem. — Qui in Italian
vincere desiderat, der bedarf vor allem der Schiffe mit beweglicher Yandungs-
leiter. — Zufammenzujegende Brüden. Reiter mit Feuerjtangen oder vielmehr
Feuerförben, deren einer an der Yanzenjpige angebradjt ijt, während der andere
an einer Stange hängt, die vom Sattel ausgehend zwiſchen den Ohren des
Pierdes liegt. Hebelwert (levatorius ambulatorius utilissimus). Gewichts—
glodenuhr. Schraubhebel. Currus bombarda. (Streitfarren mit feinem Geſchütz
und beweglichem Blendſchirm). WMannigfaltige Leiterfontruftionen z. T. von
überaus Künjtlicher Art. Turris ambulatoria. Grohe Standichleudern: Passarinus
alias tolleone und manganum. — Die dargejtellten Feuergeſchütze jind von
ſehr altertümlicher Form, fünnen aber nicht Mein gewejen jein, da zu ihrer Be—
282 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaitliche Werte.
wegung gewaltige Hebezeuge gebraudyt werden. — Auspumpen von Waſſer
mittels Blajebälgen. Schöpfbrunnen mit Tretrad und Göpel. Pumpen. Wahl:
werfe, z. T. mit Pferden. Untergrabung einer Burg und deren Eprengung
durch pulvere bombarde. Zu jdjleudernde Feuerfäfler. Aquaeducte. Angriffs
majhinen mit Brandkörben u. dgl., Seefahrzeuge mit Sturmmwiddern. Gepanzerte
Kagen und Hunde mit Brandjeuern. Befejtigungen auf Injeln, in Baumwipfeln
und auf Flößen. Zugbrüden. Wolfsgruben. Sturmpfähle Kaſtell auf zwei
verbundenen Schiffen. Laternen- und Feuer-Reiter. Drei Feuerrohre auf einem
Maultier. euer: und Sihelwagen. Scoppetarius (Reiter mit Feuerhandrohr,
das auf eine vom Sattel ausgehende Gabel aufgelegt wird). Flußübergänge
auf Furten, jhwimmenden Brüden und mit Shwimmgürteln. Inſtrumente zur
Hebung verjunfenen, Gutes. Schiff- und Haften-Brüden. Transport von Kriegs—
material, insbejondere Büchſen, auf Maultieren und auf Schiffen. Hafen, um
Schiffe zum Kentern zu bringen. Taucher. Sturmtürme Bleide. Endlich:
Zwei Karten, worunter eine mit Ortönamen das Nordgebiet der Balkanhalb—
injel umfaßt und u. a. die Bezeihnungen: Belgrado, Rufjia, Bulgaria, Kon-
jtantinopel, Adrianopel und Sofia aufmweilt. Solimbrea, Nitopoli$ und die
ſerbiſchen Städte find mit dem Kreuz, Gallipoli, Eno und alle bulgariihen Orte
mit dem Halbmond verjehen.
Überblidt man diefe Inhaltsangabe, jo zeigt ſich, daß Santini
(abgejehen von den beigegebenen Karten) den Gegenjtänden nach abjolut
nicht anderes bringt, als was auch die älteren oder gleichzeitigen
deutichen Bilderhandjchriften bieten. Aber auch die Art der Behandlung
und Ausführung diefer Gegenjtände zeigt nirgends erhebliche Xer-
jchiedenheiten oder gar Vorzüge, und jo muß man anerfennen, dab
Santinis Arbeit ihren großen Ruf wohl vorzugsweije dem glücklichen
Umjtande zu verdanfen hat, daß fie in der Pariſer Nattonalbibliotbet
aufbewahrt wird, während die vielen gleichwertigen deutichen Manu:
jEripte in den minder befannten, Eleineren Bücherfammlungen deutjcher
Univerjitätsjtädte verjtreut find.
8 21.
Auch einer der berühmtejten Befeitigungsfünjtler Italiens iſt umter
den Sfonographen aufzuführen: Francesco di Biorgo Martini, d. b.
Francesco, Sohn eines Giorgio, Neffe eines Meartino.
Er ward um 1423 zu Ciena geboren. Seine erjten Arbeiten waren Stulv-
turen am Dome zu Orvieto. Dann ftand er ald Ingenieur im Dienfte des
Herzogs von Urbino, jpäter in dem jeiner Baterjtadt Siena, erbaute ferner in
der Nähe) Roms die Veſte Campagnano und legte 1492 gegen die befürchtete
Landung der Türken in Apulien Küftenbefeftigungen an. Im Alter wurde er
Mönch und ftarb etwa um 1506. Seine militäriihen Kenntnifje erwarb er un-
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandſchriften. 283
zweifelhaft am Hofe Federigos don Urbino, Gonfalonieres des Papſtes, eines der
tapferften und friegsfundigjten Fürſten des damaligen Italiens. Wohl auf An—
regung diejed, auch als Ingenieur befannten Feldherrn, jchrieb Francesco feine
Abhandlungen über die Architeftur und über die Majchinen.
Die friegsbaumifjenichaftlichen Leiſtungen des ausgezeichneten
Sienejen werden an anderer Stelle näher gewürdigt werden [8 76];
hier joll jener nur im allgemeinen gedacht und ein Wort über jeine
die Kriegsmaſchine betreffenden Arbeiten gejagt werden.
Die wichtigſten Handjchriften jind die folgenden:
Der Eoder 148 in der Bibliotheca del Duca di Genova zu
Turm, welcher aus der Bibliothek des Gavaliere Saluzzo jtammt.
Es iſt ein Originalmanuffript Francescos, und umfaßt ſowohl den
Trattato d’architettura wie den Machinarum liber. Sehr
jaubere jchöne Ausführung auf Pergament ; Eleine Initialen auf Gold-
grund; Ddurchlaufender Text; unendlich viele NRandzeichnungen des
Autors.
Der Eoder XVII, 1.31 in der Nationalbibl. (Uffizien) zu Florenz,
welcher aus der Magliabechiana jtammt. Ebenfalls Autograph und im
wejentlichen gleichen Inhalts wie der Coder Saluz30-Genua.
Der Eoder 238 der fgl. Privatbibl. zu Turin enthält nur den
Trattato d’architettura u. zw. in einer Abjchrift aus dem 16. Ihdt.
Der Eoder 383 derjelben Bibliothek, Pergamentblätter in grünem
Sametbande, jind das Originalmanujfript der Abhandlung über
die Maſchinen. ES hat feinen Titel, jondern beginnt mit folgenden
Worten: »Ad Incelytum Principum Fredericum Urbinatum Fran-
cisci Georgii Senensis opusculum de Architectura ipso pietum
atque excogitatum praefatio«.
Gleich einigen deutichen Jkonographien eröffnet auch dieje ein Bild Aleranders
». Gr. Bon dem Inhalt verdienen hervorgehoben zu werden: — Bl. 9a drei
Heine Büchſen früheſter Konftruftion; 9b Sturmbalten ; 10a jahrbare Schilde;
10b Blide; 11b Hebezeug für ein jchon moderneres Langgeſchütz; 18a Büchſe
iehr alter Form, die vor einem Anſtoß liegt und durd große Kaſten gededt wird,
welche fie wie Schartenwangen rechts und links einjhliehen; 18b Waffen und
Werkzeug; 25a und b Sturmleitern; 26a und b Geſchützhebezeug; 29a große
Standjchleuder; 29b Steigzeuge; 31b auseinanderzunehmendes Ponton; 33a und
b Bliden mit einem, bzw. zwei Gegengewichten; 34a und b Sturmzeug (Hütten
u. dal.); 35a und b jahrbare Sturmleitern; 39a Annäherungshindernigmittel
Bolfsgruben, Fußangeln u. dgl.); 39b Brüden; 41b Schiffbrücke; 48a Bombarde
ſehr alter Konftruftion, die einen mächtigen Bolzen ſchießt, der faſt jo lang iſt als
284 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
das Geihüg. An dem phallusartigen Balten jind mit Ketten zwei Kugeln be-
fejtigt. 48b Blide; 62b lÜÜberjchreitung von Gewäſſern auf Schläuchen, Tonnen
u. dgl. m.; 64b Steigzeuge; 668 Blide; 67b Mine und zugleich Andeutung,
wie eine Durchtunnelung mit Hilfe der „bosola“ vorzunehmen [$ 18]; 70a Schwim:
mende auf Luftkäſten; 70b Grundriß einer reisförmigen Feitung mit runden Boll:
werten 8 18]; 72a Blide mit zwei Gegengemwicdhten; 72b zwei primitive Yang-
büchjen mit ganz rohen Glevationsvorridtungen Pfoſten mit durdhgeitoßenen
Balfen ald Auflager); 75a Grundriß einer freisförmigen Feitung, faſt wie TOb:
75b VBiered- zeitung mit Barbacane; 76a Feitung in Rautenform mit kreis—
fürmigen Bollwerten u. dgl. m.
Dies Inſtrumentenbuch, das übrigens auch jehr viel nicht mili—
täriiche Dinge enthält und einerjeits an die Florentiner Ordegni
mecanici [$ 18], andererjeit8 an Taccolas Entwürfe erinnert 8 19],
wurde 1. 3. 1568 von dem Herzog Guido Ubaldo Urbino dem Herzoge
Emanuel Bhilibert von Savoyen, dem ausgezeichneten Feldherrn Karls V.
und Philipps II., zum Geſchenk gemacht. Ein Fakſimile derjelben befindet
jich in der Biblivthef des Herzogs von Genua (ms. 179).
Der Eoder S. IV. 5 der Libreria communale zu Siena tt ein
Autograph Francescos, ein Sammelbuch, das jich zu dem eben be-
jprochenen Quriner Coder ungefähr jo verhält, wie die Münchener
Handjchrift des Taccola zu dem Manujfripte in der Marcusbibliothef.
Sein Inhalt erinnert im höchſten Maße an die Zeichnungen der deutjchen
Bilderhandjchriften, wimmelt aber fajt noch mehr als diefe von Un—
wahrjcheinlichkeiten.
Bemertenswert jind: Bombarden aller Art mit gewaltigen Anſtößen; Leitern,
Hebe- und Schleudermajdinen, Tonnen und Sciffbrüden, Schiffe mit Rädern.
Andentung von Höhenmeflung und Entfernungsmeflung.
Eine Kopie diejes jienefiichen Coder v. 3. 1837 befindet jich in der
Bibliothek des Herzogs von Genua zu Turin (ms. 333).
8 22.
Von bedeutendem Wert iſt ein italienisches Bildermanujfript aus
der zweiten Hälfte des 15. Ihdts. in der Nationalbibliothef zu Paris
(Fonds du Roi no. 6993). Es jind Zeichnungen ohne Tert, ohne
Titel und Datum, aber von großer Eleganz der Formen und Orna-
mente und jener klaren, jchönen Anjchaulichkeit, welche die italientichen
Arbeiten fat zu allen Zeiten aufgewiejen haben.
Das M. ©. enthält 135 kolorierte Gefhüßzeichnungen, nämlich 34 jchwere
Bombarden, 5 Kanonen mit Schildzapfen in Xaffeten, 5 Kanonen auf Rad-
2. Kriegswifienichaftlicye Bilderhandicriften. 985
laffeten, 25 Golumbrinen auf Gejtellen, 46 Hakenbüchſen und 1 mörferartige
Bombarde. — Man hat es hier offenbar mit dem bildlihen Jnventare eines
Arjenald zu tun, wie dergl. ja damals auch in Deutſchland bergejtellt wurde.
862) General Favé hat in den Etudes III p. 170 ff. einige diefer Zeichnungen
reproduziert.
8 23.
Die italienischen Künftler des 15. Ihdts. haben ſich viel mit dem
Kriegswejen beichäftigt, und jo enthält auch ein Driginalmanujfript
des Bonaccorjo Öhiberti, des jüngeren (geb. um 1465), welches in
den Uffizien zu Florenz aufbewahrt wird und eine herrlich gezeichnete
„Schule der Architektur und Plaſtik“ vorjtellt, eine Menge von mili-
tärtichen Gegenjtänden. Manches davon ift genau in derjelben Weife
dargejtellt wie bei Valturius. — Bemerkenswert erjcheinen:
Eine mittelalterlihe Stadtmauer mit vorgelegter Barbacane. Eine jehr
mertwürdige Stadtbefejtigung: Tenaillenfront mit Türmen auf den ausjpringenden
Binkeln, während in den einjpringenden die Thore liegen. Eine Bajtille franzöfticher
Art mit einem halbmondförmigen Brüdenfnopf vor der einen Curtine. — Kurze
Sinterladungsbombarden ; Serpentinen auf hohen Rädern mit einer Vorrihtung,
welde gejtattet, die das Rohr tragende Lade auf dem Lafetenſchwanze ſowohl jeit-
wärts als auch jenfrecht zu bewegen; Handrohre (Kantenläufe), davon nur eines
mit einem Schaft, der bis zur halben Länge des Rohres läuft; Elbogengeſchütz;
Mörjer mit jehr langer Kammer; Serpentine mit Richthörnern auf dem Lafeten-
ſchwanze; dergleichen auch zu dreien auf einer Lafete; Bombarde in Lade, am
Boden mit beweglihem Sicherungsichilde für die Bedienung. (In den Laden
iind die Gefhüge mit Seilen fejtgejhnürt; mur die Mörjer zeigen am Fluge
Ihildzapfenartige Anjäge, mit denen fie auf dem Stuhle ruhen u. zw. anſcheinend
jentreht. Die Bombarden haben am Boden Schraubengewinde, um in einen
‚metallenen ?) Anjtoß verichraubt zu werden.) Hebezeug für Geihüß; Rohre, die
mit 4 Ausjtoßladungen 4 Geſchoſſe feuern. — Großes zweigejchofjiges freisrundes
Feſtungswerk aus Flechtwerk, wie ein ungeheuerer Bienenforb mit Schießicharten.
— Miedriger Turm mit nevroballijtiicher Pfeilmaſchine (wie bei Valturius);
Shußmajcine, die einen Wurfipieß dur eine mächtige, aus der Senkrechten
tüdwärts gebogene Feder fortſchnellt (desgl.); von Ochjen gezogene Sichelwagen ;
tahrbare Türme; Ebenhöche; fahrbare Schirme und Geſchütze dahinter; Hebel,
um einen Mann auf die Mauer zu ſchwingen; mausjörmige Angriffsfarren, deren
Inneres gewaltige Schrauben füllen (wie bei Valturio); Sturmleitern der ver:
ihiedenften Art; Bliden; Teftudo; Widder; Tonnen- und Schiffbrüden; Schweins-
läde, mit deren Hilfe Waſſer überſchwommen werden joll.
Auch diefe Ikonographie zeigt den alten Beſtand des Kriegs—
gerätes in dem vom Mittelalter, bezüglich von der Antike überlieferten
Formen, mit manchem Abenteuerlichen untermijcht. Es iſt bezeichnend
286 Das XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
für alle diefe Werfe, daß jie Lieber die traditionellen Figuren nad)
bilden, als unmittelbar ins volle Leben greifen und ihre Vorbilder
auf dem Waffenplage oder auf der armierten Stadtmauer ſelbſt Juchen.
5 24.
Die bei weitem bedeutendfte Erjcheinung unter den Italienern
des 15. Ihdts., welche jich mit dem Kriegsweſen beichäftigten, ijt um-
zweifelhaft Lionardo da Vinci. — „Die ungeheueren Umriſſe von
Lionardos Wejen wird man ewig nur von ferne ahnen fünnen!“ ruft
Burdhardt in feiner „Cultur der Renaiſſance“, und in der Tat jteht
man in da Vinci wohl der gewaltigjten jener wunderbar vieljeitigen
BVerjönlichkeiten gegenüber, welche im Quattrocento und im Cinque
cento fait auf allen Gebieten menjchlichen Wirkens Ausgezeichnetes
geleiſtet haben.
Lionardo ward 1452 auf dem Kaſtell Vinci geboren und lernte zu
Florenz malen, modellieren, goldihmieden und weben, pflegte aber zugleich eifrig
mathematische Studien jowie Mufit. Etwa um 1480 jcheint er als Ingenieur
in den Dienjt des Sultans von Ügypten getreten und mehrere Jahre mit ted-
nijchen Arbeiten in Syrien bejhäftigt gewejen zu fein. Dann vertaujchte er
diejen Dienjt mit dem des Herzogs Lodovieo Sforza (il Moro) von Mailand.
Hier gründete er eine Akademie der Wiflenjchaften, begann 1490 jeinen „Zraftat
von Licht und Schatten“ und ſchuf zugleich jein wunderbar jhönes „Abendmahl“
jowie ein Neiterjtandbild des Herzogd, das jpäter von den Franzoſen zerjtört
wurde. Daneben bejchäftigte ihn die Schiffbarmahung des Kanal? von Marte-
jana und die Kanalijation des Ticino. Nach dem Sturzge des Herzogs lebte
Livnardo anfangs auf feinem Landfige ganz den Studien, wandte ſich dann nad
Florenz, um neue Lorbern als Maler zu erwerben, trat jedod) 1502 als „Ingegnere
Generale“ in den Dienjt des Ceſar Borgia, um die Befeitigungen dieſes Füriten
zu befichtigen, zu verbejjern und neue zu errichten, ſowie Kriegsmaſchinen zu er
bauen. Aus dieſer Zeit dürften die meiften feiner friegswiljenichaftlihen Zeich—
nungen herrühren. Bon 1507 bis 1511 lebte Lionardo wieder in Mailand,
vorzugsweile mit buydraulifchen Arbeiten, Duellenbohrungen u. dgl. bejichäftigt
Im Jahre 1514 jiedelte er nah Rom über; dod) die Abneigung des Papites
und Michelangiolos Eiferjucht hinderten ihn an größerer künſtleriſcher Tätigkeit:
er bejchäftigte jich vorzugsweife mit dem Problem des Fliegens und der Yuft-
ihiffahrt, bi8 er 1517 einer Einladung Francois’ I. folgte und jeinen Wohnfig zu
Amboije nahm, wo er zwei Jahre jpäter jtarb.
Lionardo hinterließ feine Handzeichnungen und Manujfripte
jeinem Freunde Francesco da Melzo. Es war ein unermeßlicher Schat,
der jegt viele Foliobände füllt. Die Vorarbeiten für jeinen Traktat
über die Malerei, der zuerjt eine willenjchaftliche Begründung diejer
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandichriften. 287
Kunit unternimmt, aſtronomiſche und geophyſikaliſche Unterjuchungen,
mannigfaltige Majchinen, Brüden, Schleujen, Schwimmgürtel und
Zaucherhelme, Fallichirme und Flugvorrichtungen, Andeutungen über
die Bewegung einer Barfe durch Dampf, die Behandlung dynamijcher
Probleme, hydrojtatiiche Experimente, Unterfuchungen über die Natur
des Feuers und des Lichtes, perſpektiviſche, optische und anatomijche
Abhandlungen, architeftonijche Entwürfe und endlich eine Fülle friegs-
techniſcher, insbejondere auch artilleriftiicher Angelegenheiten, füllen
dieje Bände. Da Lionardo jeltjamerweife mit der linfen Hand von
rechts nach links jchrieb, jo bieten jeine Schriften für die Entzifferung
die denkbar größten Schwierigfeiten !).
Die Manujfripte find nicht beifammen geblieben. Eine Anzahl derjelben
faufte i. 3. 1610 Graf Arundel, und dieje befinden ſich jept im Britiſh Muſeum;
andere famen in Beſitz des Lords Aſhburnham und find neuerdingd von der
italieniijhen Regierung getauft und der Laurentianiſchen Bibliothef in Florenz
überwiejen worden?) ; die meijten aber gelangten an die Ambrofianiiche Bibliothet
zu Mailand. Leider wurde dieſe Hauptjammlung von den Franzojen nad) Paris
entführt; nur der von Pompejus Aretin im 17. Yhdt. zufammengeitellte „Eoder
Atlantieus“ blieb in der Ambrojiana zurüd.
Der Eodice atlantico, wohl die merfwürdigjte Ikonographie
der Welt, enthält 400 Blätter mit 1700 Entwürfen, welche ſich
großenteils mit ganz denjelben Problemen bejchäftigen, wie all die
übrigen Bilderhandjchriften des 15. Ihdts., aber nicht im Sinne des
Sammlers und Kopijten, jondern in dem eines jelbitändigen denfenden
Geiſtes, eines tiefjinnigen genialen Forſchers.
Als Lionardo mit Zodovico Moro über feinen Eintritt in mat-
ländiſche Dienſte verhandelte, erbot er ſich diefem Fürſten gegenüber,
tolgende Dinge berzuitellen:
1. Sehr leicht zu transportierende, jchnell zu jchlagende und abzuräumende
Brüden. 2. Jnjtrumente zum Ableiten des Waflerd aus Feſtungsgräben und
zur Herjtellung von Fallbrücken. 3. Minenanlagen. 4. Bombarden zum Schießen
von Feuerkugeln und Rauch (alſo Mörjer). 5. Untergrabungen. 6. Offenfive
und defenfive Streitwagen mit Artillerie ausgerüjtet, hinter denen Fußvolk ohne
Schaden und Hindernis avanciren kann. 7. Jede Art von Geichügmaterial.
8. Jede Art des alten Wurfzeug®: briccoli, manghani, arabucchi ed altri in-
1) Dr. Jean Baul Richter hat in zwei Bänden eine Auswahl der Schriften Lionarbos mit
ı22 Zafeln nad Handzeichnungen des Meifterd herausgegeben (Bonbon 1888).
⁊) Trattato di Architettura militare e civile di Idrostatica, Geometria e Prospettiva,
Libri di Mulini e Machine, Trattato di Fortificatione e Machine militari di Leon. da Vinct.
Cod. membr. fol. XV, sec. Bemwunberungsmwürbige Zeichnungen !
288 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine triegswiilenichaftliche Werte.
strumenti. „Je nad Erfordernis werde ich die Waffen bis ins Unendliche
variieren“. 9. Waffen und Injtrumente für den Seetrieg, Pulver, Feuerwerk und
Schiffe, weldhe der jchweriten Artillerie widerjtehen. 10. Hochbauten und Waſſer—
bauten jeder Art.
Alle dieje Dinge jind in der Tat im Codex Atlanticus vertreten.
Die militärtich wichtigen Zeichnungen desjelben finden ſich in einem
Fakſimile-Atlas vereinigt, welcdyer von dem Erzherzoge Rainer von
Dfterreich dem Prinzen Ferdinand von Savoyen zum Gejchent gemacht
wurde und den Titel führt: Disegni d’Architettura militare di
Leonardo da Vinci, colle spiegazioni del medesimo, tratti dagli
originali da Gius. Francois, Imp. reg. Primo Tenente e Luigi
Ferrario.. Milano 1841. (Bibl. del Duca di Genova, no. 312).
Die Darjtellungen jind hier in 6 Abteilungen zujammengejtellt.
1. Pili, darde e fronde; triboli (Fußangeln), coltelli, fulminaria, ballestri
und sbaratrona.
2. Catapulta. Verſchiedene Schleudermajcdinen mit langem Arm, Meinem
Löffel (darin Kugel), der durch plögliches Loslaſſen eines gewaltjam angejpannten
bezw. aufgerollten Seiles oder durdy dad Zurüdjchnellen eines gewaltfam zurück—
gebogenen Holzarmes in Bewegung gejegt wird. — Balista. Riejenarmbruite,
darunter eine, deren Doppeljehne fünf Mannslängen hat. Auch Schleuderarmbruite.
3. Attrezzi di Assedio. Sturmdächer mannigfaltigiter Konjtruftion. Leitern.
Steigzeuge. Streitwagen mit folofialen drehbaren Sicheln bewehrt. Brüden
aus zujammenzubindenden Hölzern. — Attrezzi castrensi. nijtrumente um
das Anlegen der Sturmleitern zu verhindern. Befejtigung jchwerer Holztonjtruftionen
in der Mauer. Enorme wagerehte Mübhlenflügel, durch mächtige Zahnräder
hinter der Mauer bewegt, fegen den Wallgang und machen jeden Aufenthalt auf
demjelben unmöglid.
4. Archibugi e Spingardelle. Primitive Handfeuerwaffen und Orgel
geſchütze, unter den lepteren einige jehr interefiante Konjtruftionen: rotierende
Batterien von Bücjjenrohren, die auf dem Mantel großer Treträder in 4 bis 8
Reihen tangential angebradt find, durd Drehung in die Schußebene gebradt und
dann lagenweije abgefeuert werden. Drgelgejchüße, bei denen 12 Läufe von
einem gemeinjamen foniihen Mantel umjchlojjen jind u. dgl. m.
d. Canne di cannoni e di bombarde. Maße der Falkonen, Eolovrinen,
Gannonen und Bombarden. Spingarde e bombarde montante Mannigfaltige
Rihtungsvorrichtungen. (Doppellade mit Zähnen und Klemmkeil, Richthörner
oder Schwanzitügen auf Bolzen für leichtere Gejchüge [tav. 23 und 32]. Die
Bombarden liegen in jehweren Laden, die jedoch mit vier Rädern verjehen find,
denen aber trogdem der mächtige Anjtoß nicht fehlt. Unter den Geſchoſſen für
leichtere Geſchütze ericheinen noch wurfjpießartige Bolzen (tav. 32). — Mortai da
I) Abgebildet bei Angelucci: Documenti inediti per la storia delle armi da fuoco
Italiane. (Turin 1869). Hier finden fich auch interefjante Beiprechungen.
2. Kriegswiſſenſchaftliche Bilderhandicriften. 289
Bomba. Die Rihtung der Mörjer geichieht durh ein Zahnrad. Mörſer find
bejonder® zur Berteidigung der Breche zu empfehlen; eine jolche it jtet3 unter
einem Feuerregen zu halten.
Bon ganz eigenartigem Intereſſe find die Angaben, welche Lionardo über
den jog. „Architronito“, d. h. über eine Dampfkanone, macht und welche be=
weijen, daB ihm der Gebrauch der Erpanfion des Wajjerdampfes ald bewegende
Kraft befannt war. Wahrſcheinlich gab ihm das Vorbild des Heronsballes
A. $ 11] Anlaß zum Entwurf des Arcditronito, den er, anjcheinend ohne jeden
Srund, als eine Erfindung des Archimedes bezeichnet. Lionardos Beſchreibung
der Dampffanone lautet wie folgt: „Der Arditronito ijt eine Majchine von
jeinem Kupfer, welche mit großem Geräuſch und vieler Gewalt eijerne Kugeln
tortichleudert und praftifche Anwendung findet (?). Ein Drittel diejes Injtrumentes
beiteht in einer großen Majje Feuer und Kohlen. Wenn das Wajjer recht erhigt
it, jo ſchließt man die Schraube des Gefähes, in dem es ſich befindet. Sofort
entweicht alles Waſſer unterhalb, jteigt in den erhitten Teil der Maſchine und
verwandelt jih in Dampf. Diejer wirft jo mächtig, daß man mit Staunen feine
But fieht und das Geräujc hört. Die Maſchine warf eine Kugel von 1 Talent
und 6. —“ Daß dieje Erläuterung deutlic) jei, wird wol niemand behaupten,
und auch die beigegebenen Zeichnungen hellen jie nicht auf").
6. Fortificazioni. Vgl. unten $ 75.
Auch mit Heritellung der Geſchütze und der Munition
hat Lionardo ſich beichäftigt.
Die Tafeln 3 und 4 des Codice Atlantico jhildern das Bohren oder viel-
mehr Nahbohren der Kanonen. Das Injtrument, deſſen ſich Lionardo zu
dieſem Zwecke bedient, ijt ein Eylinder, welcher der Länge nach mit Leiten von
rehtwinfligem Querſchnitt und jcharfen Kanten bejegt ift, die in gleichen Zwiſchen—
räumen von der halben Breite ihrer Köpfe aufgejtellt find. In dieje Leijten ijt
nun merfwürdigerweije eine Spirale eingejchnitten, die allerdings das Rohr mit
Zügen verjehen muß. Das in der Bearbeitung dargejtellte Rohr ift beiderſeits
offen, aljo zur Hinterladung bejtimmt. Die vorne herausragende Bohrjtange ijt
mit Drehhebeln verſehen). — Fünf Figuren bejichäftigen ſich mit der Her—
tellung des Pulvers. Die eine zeigt einen Ofen für die Abdampfung der
Zalpeterlöjung, die zweite eine Pulvermühle (Mahlgang mit zwei Steinen), die
dritte einen Apparat zum Sublimieren des Schwefels, die vierte einen Troden=
ofen umd die fünfte eine Mijchmajchine mit einem jchmalen um feine Are dreh—
baren ſenkrecht aufgejtellten Stein, der die in einer Schale eingegebenen Sub-
tanzen zermalmt und vermengt, während die Schale jih um ihre vertifale Are
dreht ?). — An einer anderen Stelle gibt Lionardo auch ein Rezept zur Herftellung
von griedhijhem Feuer.
Endlich finden jich im Eodice atlantico auch einige Unterjuchungen
über die Schteßfunjt, insbejondere über die Wirfung des Bulvers
1) Abgebildet bei Grothe: Leonardo da Binci ald Ingenieur und Philofoph (Berlin 1874.)
2), Ungeluccia.a. ©. °) Grothe a. a. ©.
Jähns, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 19
290 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werfe.
im Rohr, die zwar große Irrtümer und viele Dunfelheiten enthalten,
doch interefjant find als einer der ältejten Verſuche, diefe Vorgänge
wiljenjchaftlich zu erklären.
Lionardod Auseinanderjegungen beziehen ſich namentlich auf den Einfluf,
den Länge und Weite des Rohres, jowie die Stellung des Zündlochs auf die
Kraftäußerung des Pulvers ausüben, dann auf die Urſachen des Rücklaufes und des
ihm entiprechenden Steigen der Nateten, endlich auf die Umſtände, von denen die
Tiefe des Eindringens der Geſchoſſe in ein Mauerwerf abhängt. Stein= und
Bleigeſchoſſe werden hinſichtlich ihres balliftiichen Wertes verglichen; (von eifernen
iſt dabei nicht die Rede). Flugbahn und Fluggejchwindigfeit werden erwogen,
und da bemerkt Lionardo u. a.: „Die Kugeln der Bombarde machen eine Meile
in 5 Beitabjchnitten . . .“ hierauf folgt eine nicht mehr deutliche Berechnung,
als deren Nejultat er firiert, daß eine jolche Kugel in der Sekunde 110 Meter
zurüdlege Y.“
8 25.
Dies wäre eine Überficht der militärifchen Bilderhandichriften
des 15. Ihdts.! Ihre Eigenart bejteht wejentlich darin, daß die Dar-
jtellungen mannigfaltigiter Kriegs und Arbeitsgeräte um ihrer jelbit
willen hingejtellt oder doch nur mit jparjamen Reimen bzgl. Beiſchriften
begleitet, zunveilen auch (wie im deutjchen Vegez) mit fremden Terten
ganz äußerlich verbunden werden. — Ein volles Jahrhundert Liegt
zwijchen Konrad Kyeſer und Ludwig von Eyb, doch nicht viel wiſſen—
ichaftliche Entwidelung. Ein ungeheuerer Stoff wird fajt ohne Kritik
fortgeichleppt, Altes und Neues fompiltert; Dinge, die in den dar:
geitellten Formen teil3 mißverjtanden, teil$ ganz unmöglich ind,
werden immer wieder überliefert; denn obgleich man jie nicht begrifi
und nicht ausführen konnte, jo imponierten jie doch. Es iſt großen
teil8 ein ungeprüftes Erbe, das hier von Gejchlecht zu Gejchlecht
weitergegeben wird und von dem das Wort des Fauſt gilt: „Du
alt Geräte, das ich nicht gebraucht, du jtehjt nun Hier, weil dich mein
Vater brauchte!“ Dft aber war auch) letteres nicht einmal der Fall,
jondern es handelt jich um bloße Bhantafien, um „Abenteuer“. Hin
jichtlich der Brauchbarfeit jtehen (wenn man vom Codice Atlantico
abjieht) die alten Handjchriften den jüngeren voran; je mehr jte jich
dent 16. Shot. nähern, um ſo krauſer breiten die phantajtiichen Ele
1) Wal. außer ben jhon genannten Werfen auch: Bromis ın ben Memorie istoriale zu dem
von Saluzzo herausgegebenen Trattato di Architettura de Francesco di Giorgio-Martini (Turin
1841) — beſonders Memoria I — jowie Uzielli: Leonardo letterato e scientato im Saggio delle
opere di L. d. Vinci (Mailand 1872).
3. Dienjtordnungen. 291
mente jich aus und entheben die dargejtellten Gegenjtände dem feiten
Boden der Wirklichkeit. Dergleichen lag in der Zeitrichtung über:
haupt: man erinnere ſich 3. B. der jeltjamen, faſt unausführbaren,
jedenfalls höchſt unpraftischen Fahrzeuge in Burgfmairs „Triumphzug
Maximilians!“ So mijchen ſich auch in den militärischen Sfonographien
Erfahrung und Einbildung oft in unbefangener Kindlichfeit. Daneben
aber quillt und jtrömt eine Fülle echten Lebens und treten uns Die
Formen der Sriegsgeräte und Standwaffen, deren fich das 14. und
15. Ihdt. tatjächlich bediente, Deutlich und klar entgegen, und jo nahe
verwandt untereinander auch alle dieſe Werke jind, jo nahe, daß man
jie auf den erjten Blick oft lediglich für Kopien ein und desjelben
Originals Halten möchte: es jtimmt doc) feines völlig mit dem anderen
überein; im jedem it irgend etwas Bejonderes enthalten, das dem
anderen fehlt, und jo offenbart jich ein überfliegender Kormenreichtum,
eine Miſchung alter und neuer Elemente, eine findliche Verehrung des
Überlieferten neben phantajtijchem Erfindungsdrang, welche deutlich
erfennen laſſen, daß all dies Treiben im Boden der Renaifjance
wurzelt. Im Deutjchland wie in Italien offenbart es ſich in nahezu
gleihen Formen; hier wie dort verjchwiltert jich einer pedantijchen
Prlege der Tradition tief geheimnisvolles Sinnen und fühnes Hinaus—
greifen in eine Welt wiljenjchaftlicher Technik, die man ahnte und die
doch von dem zeitgenöjjtichen Können noch durch einen unüberbrüde
baren Abgrund gejchieden war. Der literariiche Typus diejer Gärungs—
periode ijt eben die Jkonographie, welche daher zu den charakteriftiichen
Kennzeichen des Geijteslebens im 15. Ihdt. gehört. Weder vor Konrad
Kyejer noch nad) Ludwig von Eyb tritt dergleichen in auch nur an-
nähernder Eigenartigfeit und Fülle auf — unſere eigene Zeit, die ja
in jo mancher Hinficht dem 15. Ihdt. ähnelt, etwa ausgenommen.
5. Gruppe.
Dienflordnungen.
8 26.
Die praktische Renaiſſance der Kriegskunſt läßt jich nad)
drei Richtungen verfolgen: in dem Streben nach methodijcher
Ordnung des gejamten Heerwejens, wie fie durch Einführung des
Söldnerweſens und Erſtarkung der auf die Städte geſtützten Königs—
19°
292 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
macht möglich wurde und endlich jogar zum Erlaß feiter Ordonnanzen
für dauernd aufzujtellende „ſtehende“ Truppenteile führte, dann in
der mit einer neuen Einrichtung der Wagenburgen verbundenen
Schöpfung eigentlicher Feldartillerie und endlich in der
jtetig wacdjenden Bedeutung des Fußvolks. Dieſe drei
Elemente durchdringen jich, wenn auch nad) Ort und Zeit in ver-
ichiedener Weije, auf das Innigjte, und um diefen Zujammenhang
richtig würdigen zu können, ift es notwendig, einige Worte über dei
Entwidelungsgang der Taftif der Übergangszeit voraus:
zuſchicken.
Die Taktik des Mittelalters war die Taktik der Ritterſchaft.
Nicht in dem Sinne, daß es jich dabei lediglich um die Taktik der
Reiteret gehandelt hätte; das war nicht der Fall. Wohl jtand der
Kampf zu Roß im Vordergrunde; feineswegs jedoch herrichte er allein.
Gar nicht jelten focht auch die Ritterichaft zu Fuß; die Normannen
waren darin borangegangen, Franzoſen und Deutjche nachgefolgt.
Aber weder im Sattel noch zu Fuß führten die Schwergeharnijchten
das Gefecht allein; für das einleitende Scharmütel ftanden ihnen
Fernwaffen: Bogen und Armbrujt, ergänzend zur Seite, und das
Fußvolk mit den blanfen Waffen bildete beim Fußgefechte die freilich oft
ziemlich tote Hauptmafje. — Die herrjchenden taftiihen gormen
waren für beide Arten des Kampfes, für den zu Roß wie für den
zu Fuß, diejelben, nämlich zum Angriff der Keil, zur Ver
teidigung der runde oder vieredige Haufen.
Der Keil ift die uralt germanijche Angrifisform'), welche während
des ganzen Mittelalter lebendig blieb 2).
Der Einbrud mit einem ſolchen „Eberkopf“ beabjichtigt, den feindlichen
Haufen mit dem eigenen zu durchreiten oder zu durchichreiten, dann im Rüden
des Feindes Kehrt zu ſchwenken und den Gegner num von hinten ber aufs neue
zu durchbrechen. Was Richer in diejer Hinfiht von den Kämpfen der Franken
gegen die Normannen jagt (896 und 943 n. Ehr.), das gilt für das Reitergefecht
der Deutjchen nod bis zu Ende des 15. Ihdts.: „Die Barbaren wurden durch—
broden; dann machte man in ihrem Rüden Kehrt, durchritt ihre Haufen von
neuem und dies gejhah dreimal hintereinander.“
') Bol. Jähns: Handb. einer Geſch. des Kriegsweſens (Leipzig 1880) ©. 438 ff.
2) Ich teile in dieſer Hinficht die Anfiht des Generald Köhler (1886) im Gegenjahe zu ber
von Rüftom, Delbrüd und Bürkli. Gegen Rüftoms Auffaffung babe ich mid bereits 1880 ın
meinem Handbuch, ©. 920 audgeiprocden.
3. Dienjtordnungen. 293
Für den Gebraud des Keils im 13. Ihdt. find Alfons X. von Kajtilien
und? Agidius Romanus Hafiiiche Zeugen [M. 88 28 und 19). Von den
Stedingern heit es in der Schladht bei Altened 1234: „Hadden ohre jlacht-
ordnung gemalet vorn ſpitz and achter breet“ "). — Im 14. Ihdt. jchildern den
Keil als Augenzeugen ritterliher Kämpfe die Dichter: Peter der Sudenmirt
(M.$ 32] und Meijter Ottofar. General Köhler hat überzeugend nachgewieſen,
daß die Darjtellung der höfiſchen Dichter von der ritterlichen Fechtweiſe nur durch
die Keilform der Schladhthaufen verjtändlihd wird. Eben dieje beherrichte aber
auh die Angriffsweije des Fußvolkes. Wie Agathiad die Taktit der Alemanen
bei Caſilinum 553 n. Chr. jhildert, indem er fagt, fie hätten die Form des
griehiihen A angenommen und die Epite ihres Keiles habe dem Kopfe eines
Ebers geähnelt, jo fochten aud) ihre Nahltommen 1339 bei Laupen im cuneus?)
und bei Sempad) 1386 „mit dem Spitz ... alſo man zu jtrytende pfliget zu
tunde“). Dasjelbe gilt von den Flamändern bei Rooſebeke 13824 und von
den Lüttihern 1408 bei Othe>). In Bezug auf die Murtenſchlacht 1476 heißt
es von den Schweizern: „Rattſchlagotten . . . . wie viel ſpitzen . . ..“) — ber
bald nach sdem Murtenſtreite ſcheinen gerade die Schweizer zuerſt ſich von der
teilförmigen Anordnung des Fußvolks, vermutlicd; wegen der überaus jchwierigen
KRangierung, abgewendet zu haben und zum Gebraud vierediger Gewalthaufen
übergegangen zu jein, alfo für Angriff und Verteidigung jih auf ein und diejelbe
Srundform bejchränft zu haben. Die andern Deutjchen verharrten etwas länger
bei der alten Angriffsform des Fußvolks. Das beweiſt u. a. eine Nachricht
des italienischen Arztes Aler. Benedictus, welcher al® Augenzeuge der Zruppen-
hau beimohnte, die Lodovico Moro 1495 bei Novara über das faijerliche Kriegs—
volf abhielt, das ihm Georg von Ebenftein zugeführt hatte”). Benedictus jchildert
die Ausführung eines „Spiegelmujters“, d. h. eines Übungsmanövers, wobei ſich,
auf ein Signal hin, das Viereck plöglid zum Keile formiert habe. Diefer jei
dann in Flügel abgejchwenft, und endlich Habe man einen Kreis, den gel, ge-
bildet, indem die einen erjt langjam marjdierten, darauf Halt machten, während
die andern im Lauf ihre neuen Stellungen einnahmen. — Der italienifche Kriegs
ihriftiteller della Valle führt noch 1521 den Keil als regelrechte Formation auf
XVL8$8]; aber im allgemeinen folgte die Infanterie aller Bölter den Schweizern
dinfihtlich des ausſchließlichen Gebrauches vieredfiger Gewalthaufen aud) zum Angriff
chon vor dem Beginne des 16. Ihdts. nad. — Die Reiterei blieb, in Deutjchland
wenigitens, der Keilform länger treu. — Es gab 2 Arten der Keilordnung : die
ine war ein einfaches Dreied, die andere, welche übrigens jhon im 12. Ihdt.
von Saro Grammaticus als uralt erwähnt wird®), läht dem Dreied einen vier-
‚digen Haufen folgen. Dies war die gewöhnliche Angriffsform der Neiterei des
ı) Schuhmacher: Die Stabinger (Vremen 1865) ©. 243.
r, Narratio de conflictu Laupensis. Gleichzeitige Duelle (Schweiz. Geſchichtsforſcher II).
”, Jal. Twinger v. Königshofen. Gleichzeitige Chronik (Hegel, Deich. Stäbtechronifen VIII u. IX).
+) Bericht Froiſſarts Chronique des Quatre-Valois und Chr. des Flandres.
5) Monftrelet. Ed. Buchon, 182. 59) Bonftetten bei Ochjenbein: Urkunden zur Schlaht be»
Rurten (Freiburg 1876), ©. 492. ) Alexander Benedictus bei Wende: Scriptores rerum
rermanicarum (Leipzig 1767) II, 1612. 9 Historia Danica. I u. VI.
294 TDas XV. Jahrhundert. TI. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte.
15. Ihdts. Co focht Albredt Achill 1450 am Weiher von Pillenreutb; io
war die Anordnung, welche er feinem Sohne Johann 1477 für den Feldzug
gegen den Herzog von Sagan vorjcdrieb [$ 28]; jo jtellen die Zeichnungen
zu dem „Anfchlag über die Random zu ziehen“ 1478 das Verfahren dar, [ebd
und jo gibt um 1480 Philipp v. Seldenecd mit allen Einzelheiten umd äußeriter
BERG die „Feldbeſtellung“ der Reiterei 8 36).
Für die Verteidigung tft die natürlichjte —
unzweifelhaft die kreisförmige; denn ſie ſchließt bei dem geringſten
Umfang den größten Inhalt ein.
Inſtinktmäßig ſcharen ſich die wilden Roſſe zum Ringe, um den heran—
dringenden Wölfen mit dem Schlag der Hufe zu drohen, und auch die Büffel
wehren fi in jolden Ringen, die Hörner nad) außen. Für und Moderne, die
wir uns eine ftrifte Verteidigung der Reiterei auf der Stelle faum vorſteler
können, iſt es freilich widerſtrebend, Kavallerie in ſolcher Weiſe kämpfend denken
zu ſollen, und doch iſt es für eine Reihe von Gefechten vom 11. bis 15. Ihdt.
ausdrüdlich bezeugt). Das Fußvolk vermag man fi leichter in Ringe oder
freisfürmige Haufen aufgejtellt zu denken; aber eine jolde Anordnung biete
doch auch wieder jo eminente Schwierigkeiten Hinfichtlich der Nangierung, dar
anzunehmen ijt, freisförmige Formationen feien entweder nur tumultuarijh aus
der Marjhordnung oder von weichenden Gefechtstörpern zufammengeballt worden,
oder man habe zunächſt jei e8 hohle, jei es volle Bierede gebildet und dann deren
Eden abgerundet. Während des 15. Ihdts. ift die jo gebildete Mafje, der runde,
jpießjtarrende Haufe, welchen die Landsknechte „Igel“ nannten, die allgemein
übliche Berteidigungsftellung des Fußvolles. Fugger jcheint es im „Spiegel der
Ehren“ als etwas ganz Bejonderes hervorzuheben, daß Markgraf Friedrich von
Brandenburg i. 3. 1492 dem Könige Mar zu Ehren ein Feldmanöver ausführe:
ließ, bei dem eine „gevierte Ordnung“ Fußvolls dur mehrere Reiter:
gejhwader angegriffen mwurde®). General Köhler bemerkt hiezuf): „ES jcheint
demnach, daß es ſich Hier um einen Berjud handelt, die jpitige Ordnung durd
die gevierte zu erſetzen“. Dieje Anficht teile ich nicht; denn der Keil war niemalt
eine Berteidigungsftellung; vielmehr glaube ich, e8 handelte fi um den Berjud,
die Defenfip- Formation des Kreiſes durch eine ſolche im Viereck zu erjegen.
Daß neben Keil und Kreis übrigens zu allen Zeiten flache wie
tiefe VBieredshaufen, namentlich für das jtehende Gefecht, im
Gebrauch waren, verjteht jich von jelbit.
Die Bedeutung des Fußvolks im den feudalen Heeren fommt
durch nichts anderes zu jo hoher Geltung, al3 durd) das Schützen
gerecht. Während des Hundertjährigen Krieges mit Frankreich er:
jcheinen die Archers der Engländer geradezu als das charakteriſtiſche
Element des britiichen Heerwejens. — Indes alle dieje Erjchemungen:
1) Bol. bie Beugnifie bei Köhler a. a. ©. IIIb, ©. 256.
) ©. 1057. ?°) Kriegsweſen der Ritterzeit IIIb, ©. 263.
|
|
|
|
3. Dienjtordnungen. 295
das Fußgefecht der Schwergerüjteten, das Ferngefecht der Bogner
und Armbrujter, find doch im Sinne der Zeit immer nur accefjorisch,
ind eim Beiweſen des eigentlichen Ritterfampfes, da8 man als uns
entbehrlich hinnahm oder auch mitmachte, jedoch für nichts weniger
erachtete, als für die grundlegende oder gar für die entjcheidende
‚Form des Gefechte. Dies ſprach jich unverkennbar jchon in der
Organtjation der Feudalheere aus; denn deren unterjte Einheit war
die Gleve (lefe, Glene), d. h. der Reiterjpieß, la lance. Die
Gleve aber bildete ein „ehrbarer” Mann, d. h. ein Schwergerüfteter
mit jeinem Gefolge. Der mit der Lanze bewaffnete Glevener, „der
Meiſter“, hielt em Streitroß und für die Reiſe einen Zelter; das
Gefolge beitand urjprünglich) nur aus einem berittenen Diener; als
dann aber jeit den Kreuzzügen die Fernwaffen an Geltung gewannen,
verlangte man auch noch einen berittenen Schüßen und jchuf damit
die jog. „Doppelte Gleve“, die alfo aus zwei Streitern (dem Meiſter
und dem Schüßen) und aus dem Diener mit zujammen vier Pferden
beftand. Ein Spießreiter, der bloß von einem Diener begleitet war,
galt num nicht mehr als „ehrbarer Mann“, jondern nur als „Ein-
ſpänniger“). Späterhin nahm — im Laufe des 13. Ihdts. — die
Zahl der Schügen in manchen Gegenden noch zu, zumeilen unter
Berzichtleiftung des Glevners auf das zweite Pferd; ja nach dem
großen deutjchen Städtefriege (1388) wurde es in Süddeutjchland
üblich, der Gleve außer den zum Gefecht meiſt abjitenden Schüßen
auch noch zwei überhaupt unberittene Knechte beizugeben: einen Schügen
und eimen Spießer. Troß dieſer allmählichen Umwandlung der Gleve
war jedoch das infanterijtiiche Element derjelben jchon der Zahl nad)
zu ſchwach, um nennenswerten Einfluß auf die Taktik zu gewinnen.
Allerdings warben die Kriegsherrn neben der in den Gleven ver-
tretenen feudalen Streitmacht auch Söldnerjcharen, die zuweilen jogar
m überiwiegender Zahl zu Fuß auftraten; aber die treibende Kraft
lag doch immer im den Gejchwadern der Gewappneten, in welchen jich
diejenigen Männer zujammenfanden, die wegen ihrer Sugenderziehung,
ihrer Lebenserfahrungen und ihrer Ausrüſtung jich jelbit und aller
Welt als die eigentlichen und berufenen Kriegsmänner galten. Neben
1) General Köhler in feinen ausgezeichneten Forſchungen über „Die Entwidelung bed Kriegs»
weiens und ber Striegführung in der Ritterzeit” (ILIb, Breslau 1889) faßt dieſe Dinge 3. T. anders
auf ; ich halte aber die Alten über diefe Frage noch nicht für geichloffen. Bol. ©. 270. Anmerf. 2.
296 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswilienichaftliche Werte.
dieſem Knochengerüſte des Heeres erjchienen die Söldnerjcharen faſt
nur wie Fülle. — Wenn das anders werden follte, jo bedurfte es
eines Kriegsvolfes, in dem der Adel (wenigjtens der Zahl nach) nur
eine untergeordnete Rolle jpielte, und es bedurfte der Erfindung
neuer Streitmittel, welche das Übergewicht der ſchwergerüſteten Ritter
aufzuheben im jtande waren. — Das erſte diejer beiden Elemente
war ein friegstüchtiges Fußvolk von Landleuten und Städtern, das
andere waren die Feuerwaffen, zumal das Feldgeſchütz, und die
Brüde zwijchen beiden Elementen war die Wagenburg.
Kriegstüchtiges Fußvolk, ein „Heer der Gemeinen“, trat
ichon während des 14. Ihdts. wiederholt und Feineswegs ohne Erfolg
gegen Ritterheere in die Schranken. Die wejentlich zu Fuße fechtenden
Flanderer bereiteten 1302 der franzöfiichen Chevalerie bei Kortryf eine
furchtbare Niederlage, und diefer „Sporenjchlacht“ folgten von fieben zu
jieben Jahren zwei andere friegeriiche Ereignifje, welche bewiejen, daß
jich in den abgelegenen Gebieten des deutjchen Reiches, in den an Roſſen
und Geld armen Gegenden der jüdlichen Hochgebirge und der nörd-
lichen Marjchen, nicht nur die alte Bauernfreiheit frijcher erhalten
hatte, als in den allen Welteinflüffen offenen Hauptländern, jondern
daß die urwüchjige Kraft des dortigen Fußvolfes auch im jtande war,
den gefürchteten Ritterheeren die Spibe zu bieten. Im Jahre 1315
jiegten die Schweizer am Morgarten über den djterreichiichen, i. 3. 1332
zu Oldenmwörden die Ditmarjchen über den norddeutjchen Adel. Bier:
undzwanzig Jahre nad) dem Tage von Morgarten folgte dann der
von Zaupen, und mit ihm beginnt die Blüte des eidgenöjjiichen Kriegs—
wejens, welche aus der glüclichen Verbindung des intelligenten Bürger:
tums mit der bäuerlichen Naturfraft hervorjproß und welche für
Deutjchland, ja für Europa den Beginn eines neuen Lebens des
Fußvolks bedeutet.
In Deutſchland waren es, der Natur der Dinge nach, beſonders
die Städte, welche die Entwickelung des Fußvolkes pflegten. Da
aber die vorzüglichſten Gegner der Städte, ihre ritterlichen Nachbarn,
weſentlich mit Reiterei fochten, ſo bedingten Kriegs- und Fehdezüge
eine Geſchwindigkeit des Ortswechſels, der das Fußvolk zu genügen,
oft nicht im ſtande war. Aus dieſem Grunde machte man es wenigſtens
teilweiſe beritten, aber nicht auf Pferden, ſondern auf Wagen. —
Wagenzüge waren ja den Streitern von jeher als Troß gefolgt, meiſt
3. Dienjtordnungen. 297
jogar in ungeheuerer Menge, und hatten, zu Wagenburgen zu:
jammengefahren, von alters her den Truppen al3 Rüdhalt im Kampfe
gedient.
Als Rüdendedung und Zufluchtsort erſcheint die Wagenburg bei Leo VI.
[M. $ 8], und iſt zu ſolchem Zwecke ſogar bereits mit Geſchützen verſehen. Die
italieniſchen Freiſtaten folgten dieſem Vorbilde, wie das beſonders die Schlacht
von Certomondo 1289 lehrt, und vielleicht hat Graf Philipp von Flandern,
welcher dieſer Schlacht beiwohnte, jene Anwendung der Wagenburg in ſeine
Heimat übertragen. Jedenfalls bildete er 1304 in der Schlacht bei Mons-en—
Pevele aus feinen eng ineinander verſchürzten Wagen hinter der Armee eine
dreifadhe Linie. In demjelben Jahre umgaben die Franzoſen ihre Lager bei
Fampoux in der Nähe von Arras mit Wagen u. j. w.®).
Seit der Berbindung des jtädtijchen Fußvolkes mit den
Wagen traten dieje aber in eine ganz neue Bahn ihrer Ber:
wendung. Sie wurden aus bloßen Impedimenten zu Erpediten.
Die Königshovener Chronik berichtet z.B. zum Jahre 1332: „Under
dem fam die gewonhait vf, daß die antwerglüte vf Wagens wurden
ritende wanne man vßzogegte in reife (Krieg) Wann vormals gingen
je zu fuße“. Dreihundert gewaffnete Fußgänger, welche Straßburg
1354 dem Herzoge von Oſterreich zu Hilfe ſandte, „ritten“ zu je
ſechſen auf einem Wagen. Und ſo findet man nun allenthalben fünf
bis ſechs Knechte auf einem Wagen vereinigt, u. zw. ſtellen die Bilder—
handſchriften dieſe Leute ſtets mit gemiſchter Bewaffnung dar, wobei
die Fernwaffen (Bogen, Armbruſt und Handrohr) vorherrſchen. —
War ſomit den Wagen, welche bisher immer nur die Rolle eines
paſſiven Hindernismittels geſpielt hatten, eine wichtige Aufgabe im
Bewegungskriege zugefallen, ſo lag es nahe, die Wagen auch im
Bewegungsgefechte zu verwerten und von ihnen aus, als von
überhöhender Stellung her, zu ſchießen.
In den Schlachten auf dem Boverhoulder Felde (1381) und bei Roojebete
(1382) bedienten ſich die Flamänder der fahrbaren Ribeaudequins, d. h. leichter
mit Gejchügen bededter Karren, um ihr Heer zu umſchließen und jomit nicht
nur durch das Hindernis, welches dieje an und für ſich darjtellten, jondern auch
durch deren Feuerwirfung den Feind abzuhalten. In gleicher Weije dedten die
Lütticher i. 3. 1408 ihre Flanken in der Schlacht bei Othee.
Aber auch für die DOffenjive juchte man die Wagen nußbar
zu machen. Man ging darauf aus, Vorrichtungen zu erjinnen, um
Streitwagen ohne Gefährdung des Gejpannes unmittelbar an den
1 al. Köhler a. a. O.
298 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Gegner heranzubringen. Diejem Bejtreben entjprangen die Erperimente
mit Stoßwagen, welche durch Hinten angejpannte Pferde vorgejchoben
werden jollten, Experimente, von denen fajt alle Ikonographien Ab-
bildungen bringen. Daneben her gingen die mannigfaltigjten Kon—
jtruftionen von Streitfarren, die, von Menjchenhand gejchoben, den
Zwed hatten, in die mächtigen Haufen gejchlofjener Kreije oder Vierecke
von Fußvolk oder Reiterei Breche zu legen und auf diefe Weile den
eigenen Spiekerangriff Durch mechanische Winfelried-Taten vorzubereiten.
— So lagen die Beziehungen zwiſchen Fußvolk und Heerwagen, als
die Feuerwaffen höhere Bedeutung zu gewinnen anfingen.
Das Geſchütz, welches bis gegen Ende des 14. Ihdts. lediglich
zum Wurf oder zum hohen Bogenjchuß verwendbar gewejen war,
hatte jeitdem durch Verlängerung der Rohre und bejjere Unterlagen
die Fähigkeit gewonnen, dem direkten Schuffe zu dienen. Aber jeine
Schwerfälligfeit und die Zujammenjegung der Heere, die noch vor:
wiegend aus Neiterei beitanden, hinderte anfangs doch noch den ar:
tilleriſtiſchen Erfolg.
Bei Tannenberg (1410) erwies das Geſchütz fich mehr ſchädlich als nützlich:
ja noch in der Schlacht bei Warna (1444), wo die polniſch-ungariſche Macht
ebenfall3 aus Reiterei bejtand, konnte Hunyadi feine Artillerie nicht in der Front,
jondern nur im Rüden des Heeres verwenden H.
Inzwiſchen aber hatten Zahl und Bedeutung des Fußvolkes zu=
genommen und zugleich) war das Gejchüg beweglich geworden, da
man die Rohre einzeln oder zu mehreren auf Wagen und Karren ans
brachte, d. 5. aljo, entweder die Heerwagen mit Artillerie ausrüjtete
oder die bisherigen Streitfarren zu ganz eigentlichen Feldgejchügen
umſchuf. „Wagen“ und „Geſchütz“ wurden gleichbedeutend. Wer
seldartillerie verwendete, der verwendete eben Wagen; wer „Wagen“
hatte, der hatte Feldgeſchütz. Nun vollends zog man die Heer:
wagen aus dem Hintertreffen, wo ſie als Wagenburg, als Reduit
gedient, recht eigentlich ins Wordertreffen; nun vollends wurden jie
zu einem gewaltigen Streitmittel. Als jolches finden wir jie denn
auch in den Bilderhandichriften der Italiener wie der Deutjchen ;
beiden Völkern aber war der Wagengebrauch bei weitem nicht jo
natürlich und naheliegend, al3 den Stämmen der ojteuropätichen Ebene,
den Slaven, bei welchen die Wagenburg oder (wie die Ruſſen es
) Bol. Köhlera.a. ©.
m
3. Dienjtordnungen. 299
nannten) die „Wanderjtadt“ (guljaigorod) von jeher eine ganz her-
vorragende Rolle gejpielt Hat. So fam es, daß, als die Böhmen
für ihren Glauben zu den Waffen griffen, ihr großer Feldherr Zizka
dazu jchritt, in die Wagenburg oder (was damals eigentlich dasjelbe
bedeutete) in die wagengetragene und wagenverjchanzte Feldartillerie
den Schwerpunkt jeines Heeres zu verlegen. Dadurch gewann das
hufjitiiche Heer, das ja zum größten Teil aus Fußvolk beitand, einen
ſtarken Anhalt, der e8 widerjtandsfähig und bald jo furchtbar machte,
daß der Schlag, den die Huffiten gegen das feudale Kriegsmejen
führten, dies jtärfer erichütterte als alle bisherigen und für die Folge—
zeit entjcheidend wurde. Das wichtigjte Streitmittel des emanzipterten,
um jeine höchiten Güter fämpfenden Böhmenvolfes war die mit dem
Fußvolk und dem Geſchütz eng verbundene, jehr mandvrierfähige
Wagenburg.
In der eriten Hälfte des 15. Ihdts. knüpfte fich auch die Fort—
entwidelung des Fußvolkes vorzugsweile an die huſſitiſchen
Einrichtungen, an den Wagenburgfampf, und ging alfo mit der
des Geſchützweſens Hand in Hand. Aber eben bier trat bald ein
Mipverhältnis ein. Die Kleinen Gejchüge, welche zur Armierung der
Wagen dienten, wurden von anderen fahrbaren Feldgeichügen, von
Kartaunen und Schlangen, zum Schweigen gebracht, denen gegenüber
die Wagenburgen nun nicht mehr zu Halten waren. Infolgedeſſen
löſte jich auch die Infanterie wieder von ihnen [os und verband ſich
mit dem neuen Feldgeichüg. Die Elite des Fußvolkes wird zur
Patrikularbedeckung der Artillerie; dieſe jelbjt gewinnt an Beweglich—
feit. — Das erjte Fußvolk, welches ohne Wagenburg und nur mit
geringer Artillerie, aljo wie im 14. Ihdt. lediglich auf ſich ſelbſt
gejtellt, und doch mit großartigem Erfolge auftrat, war das der
ihmweizerijchen Eidgenojjen in den Burgunderfriegen; die Tage
von Granjon, Murten und Nancy machten Epoche; die eidgenöjftiche
Fußvolkstaktik wurde im ganzen Abendlande zum Vorbilde genommen.
Und da war es nun von großer Bedeutung, daß die Fernwaffen,
namentlich die Feuerwaffen, bei den Schweizern nur eine untergeordnete
Nolle ſpielten. Schildlos, doch in den Vordergliedern geharnijcht,
führten fie mit beiden Händen den Spieß oder die Helmbarte, in
geringerer Anzahl auch jogenannte „Kurzwehren“ ?).
1) Bol. Bürlli: Der wahre Winlelried. Die Taltik der Urjchmeizer (Zürich 1886).
300 Das XV. Jahrhundert, I Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Der etwa 18 Fuß lange, jtarfe Langſpieß Hat bejonders den Zwed,
das Fußvolk gegen den Anprall der jchweren Reiterei zu fihern. Die Mannſchaften,
welche „die Stange hielten“, jtanden daher in den eriten Gliedern der Haufen
und trugen den Stangharniih. Da deſſen Beichaffung koſtbar war, jo mußten
die „Spießgefellen“ nicht nur jehr jtarfe, fondern auch einigermaßen wohlhabende
Leute fein ; fie genojjen deshalb bejonderes Anfjehen. — Die Hauptmaſſe war
mit der Helmbarte bewaffnet. „Helm“, eigentlid) „Halm“ heißt Stil, „Barte“
heißt Art; die Helmbarte ift aljo eine Stilart, welche jehr verjchiedenen Zweden
diente. Um als Kurzſpieß gebraucht werden zu können, endete der etwa 9 Fuß
lange Schaft mit einer ftarfen Spitze; um das Schwert zu erjegen, welches die
Helmbarten-Männer nicht führten, war die vordere Seite mit einer Breitart ver-
ſehen; um die Geharnifchten von den Pferden reißen zu können, war an der
hinteren Geite ein Widerhafen angebradt, mit dem man in die Fugen der
Ritterrüftungen eingriff. — Die Kurzwaffen waren befonders Morgenjterne
und in der Folge für bejondere Gefechtszwede die Bidenhander (mit beiden
Händen zu führende Langſchwerter).
Naturgemäß wies dieſe Bewaffnung auf den Kampf in ge
Ihlojjenen Majjen hin, und frühzeitig entwidelten die Schweizer
die Neigung, jolche Maſſen jehr tief zu jtellen, wobei neben der
Steigerung des Sicherheitsgefühles gegenüber den jchweren NReiter-
gejchwadern vielleicht aud) der Einfluß des bergigen Geländes mit:
gejpielt Hat, das ja nicht oft Gelegenheit bot, die einzelnen Körper
eines größeren Heeres in breite Fronten auseinander zu falten. Dicjer
legtere Umjtand hat denn auch vielleicht dazu beigetragen, die feilfürmige
Aufjtellung, welche doch in den hinteren Gliedern jehr breit jein
mußte, zuerjt bei den Schweizern verſchwinden und dem tiefgeitellten
Viere weichen zu lafjen S. 293).
Wie weit die eidgendjjiichen Einrichtungen von den andern Süd:
deutjchen angenommen wurden, lehrt am beiten eine bisher noch
nie gewürdigte Abhandlung aus dem letten Viertel des 15. Ihdts.:
Philipps von Seldenet „Verzaychnus der ordenung“. [$ 36]. Bei
aller Annäherung an das Vorbild treten dabei auch Unterjchiede
hervor. Offenbar jpielen bei Seldenef die Schüßen eine größere
Nolle als bei den Schweizern, wenn auch feineswegs eine jo große,
daß fie als das treibende Element jeiner Fußvolkstaktik erjchienen.
Auch bei ihm geht vielmehr deren Renaiſſance von der gejchlojjenen
Kampfart mit den blanfen Waffen aus. Seldened jtellt jedoch dieje
geichloffenen Mafjen nur ausnahmsweiſe jo tief wie die Eidgenoſſen;
in jeiner Normalordnung jtehen jie nur ein Viertel oder (falls die
3. Dienjtordnungen. 301
Schügen von den Flügeln her ausgeſchwärmt find) ein Drittel jo
tief al3 breit. Dieje Norm und damit zugleich die Gliederung der
Heere in möglichjt viele Eleinere Haufen haben tüchtige deutjche Kriegs-
ferner lange aufrecht zu erhalten verjucht [XVI. 89]; doch vergeb-
(ih; auch in dieſer Hinjicht drang das jchweizerifche, hier durchaus
nicht nachahmungswerte Betjpiel durch).
Die jüdromanischen Völker, Italiener und Spanier, bei denen
die Wagenburg böhmijcher Art niemals recht zur Geltung gelangt
war, bedtenten jich doch meist der Streitfarren, um ihre Aufjtellungen
Ihirmend zu umgeben. In Italien aber beitanden diefe gegen Ende
des Jahrhunderts meiſt aus kleinen Gejchügen, den Cerbatanen Orſinis.
[$ 45]. Übrigens nahmen die Italiener um die Wende des 15. und
16. Ihdts. die eidgenöffiiche Fechtart an, wie es ſchon früher auch
die Franzoſen getan, welche Louis XI. in Übungslagern unmittelbar
von Schweizern drillen ließ. Am längſten bewahrten fich die Spanier
ihre urjprüngliche Kampfart mit Rundjchild und Schwert oder Kurz-
jpieß. Erjt während der großen Kriege in Italien gingen fie im
zweiten Viertel des 16. Ihdts. ebenfalls zur jchweizerischen Taktik über.
8 27.
Es iſt vielleicht nicht ohne Bedeutung, nicht zufällig, daß Konrad
Kyeſers Bellifortis in Böhmen gejchrieben wurde. Hier hatte ſich jeit
Kaifer Karl IV. ein jtarfes Gefühl für jtatliche und kriegeriſche Macht
entwidelt und jchon gegen Ende des 14. Ihdts. zu manchen praktischen
Einrichtungen geführt, die im eigentlichen Deutjchland fehlten oder
jelten waren. Dahin gehört bejonders die Aufjpeicherung genügenden
Kriegsmaterials für das Aufgebot des Königreiches in wohlgeordneten
Zeughäufern und Proviantmagazinen. Seit WenzeslausIV. lenkten num
Stats und Kriegsweſen ganz entjchteden in die Bahnen altezechiicher
Sonderart ein, und i. 3. 1413 jchrieb auf Wenzels Befehl fein Unter:
fämmerer Hayef von Hodetin eine Kriegsinjtruftion gelegentlich
eines Zugesgegen Putow von Riſenberg und Skal, in welcher jener Sonder:
geijt bereits jtarf hervortritt. — Aber auc) in rein militärtjcher Hinficht
iſt dieſe Neystarssj Ceské zrjzenj woyenske& sepsan& na rozkaz kräle
Wäclawa od pana Hägka Hodetjna von bedeutendem Intereſſe!).
1, Abdr. in der Beitichrift des Böhmiihen Muſeums I (Prag 1828), ©. 29—38. Deutſch im
Gilb. Angers Illuſtr. Geſch. der !. f. Armee, I, ©. 112—117 (Wien 1886).
302 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiiienichaftlihe Werte.
Dieje Kriegsordnnung ijt die ältejte Fundgrube der czechiichen Kriegstermino-
logie. Bemerkenswert find unter den Schußwaffen die pawezy, d. h. die großen
Setztartſchen, und unter dem Fußvolke die Waffengattung der cepnici, d. h.
der Flegler, welche eifenbejchlagene Drifchel führten, namentlich aber die wozy,
d. h. die Kriegsmwagen. Bei jedem derjelben jollten 2 mit Schild und Lanze
bewaffnete Knechte jein, unter dem Wagen ein Brett und eine Kette bangen.
Ferner gehörten zum Wagen eine Hakenbüchſe (Mittelding zwiihen Geihüs und
Handfeuerwaffe) jamt Zubehör, 2 Beile, 2 Schaufeln, 2 Kragen, 2 Arte, 2 Rade-
hauen, 1 Spieß mit Hafen und Fahne jowie 1 Tarras (eine Art jpan. Reiters).
Mit den Äxten, Beilen, Kragen, Radehauen und Schaufeln jollten beim
„Zuge“ (Marich) Arbeiter vorausmarjcieren, um die Wege auszubeflern.
Der Geijt religöjen Ernjtes, welcher Hayeks Kriegsartikel durch-
dringt, erjcheint in der Kriegsordnung des Johann Sizka
v. Triocnow, die diejer begeijterte Feldherr der Huſſiten jieben bis
zehn Jahr jpäter dem bedrängten Ketzervolke gab, zu düjterer, doch
hinreigender Gewaltjamfeit geiteigert!).
Dur dieſe Kriegsordnung geht ein Zug jtrenger Asfeje, und mit mert:
würdiger Menjchenfenntnis ijt alles berüdjichtigt, was kriegeriſche Majien ent-
flammen und doch zugleid im Zaume halten fann. Überall wird darauf bin-
gewiejen, daß es fi) um einen heiligen Streit handle. Die Marjhordnung
ijt in einer bi8 dahin völlig unerhörten Weije bis in die geringjten Einzelheiten
hinein geregelt und durch einjichtige Anordnungen gejichert, was um jo notwendiger
war als die feßeriihen Deere nit nur aus Männern, jondern aud aus Weibern
und Kindern bejtanden. — Den Beginn machen die vier Prager Artikel. Dann
folgen dringende Ermahnungen zu Urdnung und Gehorjam, jtrenge Vorjchriften,
das Lager nur nach Befehl des ältejten Hauptmanns aufzuſchlagen, zu verlafien
oder zu verbrennen. „Bor dem Heeresaufbruche, vor einer Unternehmung oder
Kundmahung eines Befehls, vor einem Ausfalle joll das ganze Heer zu Gott
beten und in feinem Angejichte nieend den Leib des Herrn verehren . . . Dann
jtellt jich das Volk, jede Schar unter ihrer Fahne in Ordnung; das Feldgejchrei
wird verkündet und ſogleich beginnt der Marſch. Diejenige Schar, welche Befehl
hat, an diefem Tage vorauszuziehen, bleibt bei den Fahnen und feine anderen
dürfen ji) ihr beimengen. Much die Übrigen follen unter ihren Fahnen in Ord-
nung fortziehen und fich nicht vermifchen, nicht aus den Haufen treten.....
Sollten wir durch der Vorpojten und Hauptleute Nachläſſigkeit Schaden erleiden
. jo jollen fie an Leib und Gut gejtraft werden, jie jeien gleich Fürſten
oder Herren. Sollte uns aber Gott helfen und wir unſere Feinde jchlagen, ihre
Schlöfjer, Veſten und Städte erorbern oder Beute im Felde machen, jo joll alles
was dem Feinde abgenommen, es jei viel oder wenig, auf einen Haufen gebracht
ı) Bisfas Hriegdordnnung ift vom Domherrn K. Ungern in ben Alten ber tgl. böhmijchen Ge—
jellfchaft der Wiffenihaften für d. 3. 1790 (Wien und Prag 1791, ©. 389 ff.) verbeuticht worden.
Ein Abdrud davon findet fih in Meynerts „Geſchichte Öſterreichs“. (Wien, 1842—1850. Bd. III,
©. 561 f.), in Angers Geſch. der F. f. Armee. 1, ©. 119—120 (Wien 1886) und bei Gen. Köhler
a.a.D. (III, ©. 358 f.\.
3. Dienjtordnungen. 303
werden. Dann mögen die dazu erwählten Ältejten aus den Herren, Rittern,
Städtern und Bauern die Beute den Armen und Weichen nad) Billigfeit und
Gerechtigkeit verteilen... .. Wer aber etwas eigenmädtig behält, der foll als
ein Dieb der Güter Gottes und des Volfes an Leib und Leben gejtraft werden... .“
Zänterei, Händel, Lärm, VBerwundung und Todjchlag werden bei ſchweren Strajen
verboten. Entweihung und unerlaubte Abjonderung find angeſichts des Heeres an
Leib und Gut zu jtrafen. Würfler, Räuber, Blünderer, Säufer, Flucher, Huren und
Hurer dürfen im Deere nicht geduldet werden. Handelt es ſich doch um einen
Kampf um des lieben Gottes willen, für die Freiheit und Wahrheit des gütt-
lichen Geſetzes und befonders zur Beſchützung der böhmischen und ſlaviſchen Nation.
Bejondere Borichriften ergingen über Wahl und Befejtigung der Lagerorte
(Berhaue, Wolfsgruben, Erdwerfe), Doc jind davon nur Bruchjtüde erhalten,
welche Anlaß zu der Annahme gaben, Zijta habe ein eigenes Buch über Be-
jejtigungsfunjt (de castramentatione) gejchrieben.
Der Wagenburgen gedenkt Zizka in jeinem SHeeresgejege mit
feinem Worte; aber gerade die Ausbildung des Kriegswagenfampfes
wurde ihm die Grundlage jeiner durchaus rationellen Kampfweije und
das vornehmſte Mittel, Defenfive und Offenjive auf das Zweckmäßigſte,
ja in oft wahrhaft genialer Weiſe zu verjchmelzen ?).
8 28.
Die böhmijche Kriegsweiſe verbreitete jic mit großer Schnelligkeit
über die Nachbarlande u. zw. auf dreierlei Art. Erjtlich traten viele
Fremde, zumal Polen und galiziihe Ruſſen, unter die Fahnen mit
dem Kelche, lernten die Huffitiiche Taktik fennen und brachten fie ihrer
Heimat; dann aber zogen czechiiche Heerführer und Kriegsbanden ins
Ausland, um hier entweder ald Söldner zu dienen oder das räuberijche
Kriegsrottenleben der Hujfiten auf fremdem Boden fortzujegen; endlich
(und dies war unzweifelhaft die wirfjamjte Propaganda) lernten die
Feinde jelbjt im Striege von den Böhmen, würdigten den Wert ihrer
Fechtart und eigneten ich diejelbe an. Ste waren geradezu genötigt,
das zu tun; denn wenn fie Artillerie der Artillerie entgegenjtellen
wollten, jo bedurften jie der Wagen u. zw. im Bordertreffen. Ver:
fügte man aber einmal über Kriegswagen, jo war e8 nicht nur er:
wünjcht, jondern unbedingt notwendig, mit ihnen zu mandvrieren,
und wollte man die feindliche Wagenburg jtürmen, jo gebührte der
Vorkampf dem Fußvolf; denn nur dies vermochte es zu leiften. So
trat denn feit den böhmischen Kreuzfriegen in ganz Deutjichland das
» Näheres in meiner „Geſchichte des Kriegsweſens“ (Leipzig 1880) ©. 891 ff.
304 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Fußvolk und mit ihm das Söldnerwejen in den Wordergrund der
Heere u. zw. in jo enger Berbindung mit der Artillerie, d. h. mit
der Wagenburg, daß man dies legtere Wort oft kurzweg für
„Heer“ überhaupt gebraucht findet und daß die damals in Deutjch-
land erlajjenen „Wagenburg-Ordnungen“ zumeiit auch „Deer-
Ordnungen“ jind.
Die ältefte deutjche Ordnung dieſer Art iſt diejenige, über
welche jich die Fürjten und Stände Schlejiens 1421 auf dem Tage
von Grottkau einigten. Sie betrifft die Ausrüftung der Wagen !). —
Dann folgen die Gejege des Nürnberger Reichstages.
Den Beginn madt der Entwurf des Reichsheergeſetzes von 14262.
Diejer enthält feine taktifchen Vorſchriften; wohl aber finden fich deren, vermutlich
auf Grund der Kriegsordnung Ziska's, in dem Heeresgeſetz vom Mai 14279,
welches nur einige unwejentliche Bejtimmungen des Entwurfes vom vorhergehenden.
Jahre fallen läßt und für den Fall von Streitigkeiten unter den Fürjten, Herren
und Städten Schiedsgerichte angeordnet. — Wieder mit der Ausrüjtung der Wagen
bejhäftigen fi die auf dem Tage von Nürnberg 1428 von den Kurfürſten
erlajjene Verordnung) und die i. %. 1429 vom König Sigismund
mit den jchlefiihen Fürften beratene Vorſchrift, welche er zur Nachachtung
den deutjchen Fürjten und Städten mitteilte). Der König verlangt hier 18 Mann
auf den Wagen, davon 6 mit Armbrujten, 2 mit Handbüchſen, 4 mit Hauen,
4 mit Driſcheln und 2 als Fuhrleute. Zu jed Wagen joll eine Hawnice (Stein-
büchje) mit einem Schod Steine gehören und auf einem bejonderen Wagen ge:
fahren werden. — Das allgemeine Bild der Anforderungen an eine deutjche
Wagenburg diejer Zeit gibt die vorzüglide Wagenburgordnung von 1430,
melde das Nürnberger Archiv in „Alte Fragmenta von denen Gejhichten Königs
Benceslai“ (S. I. L. 221) aufbewahrt). — Endlidy bringt die abjdhließende
Bereinigung der Stände d. d. Nürnberg W10. März 1431 ein Heeres:
gejeß, da& zugleich den Operationsplan für den bevorjtehenden Feldzug in Böhmen
enthält \. Die Artifel 2 bis 8 jchreiben den Vormarſch in 7 Wagenburgen
(Heeren) vor; Artikel 10 bejtimmt, daß die „Fußgonde . . . gli halb bußen
und halb Armbrufte”* haben und in Haufen von 10, 100 und 1000 Mann ge—
teilt werden jollen (11). Artikel 17 verfügt, dab die Vorhut täglich wechſeln,
und 18, daß das Nennbanner den Mari eröffnen jolle. Wichtig jind bier auch
die Vorfchriften über die Kriegszucht, zumal weil einige der betr. Artikel offenbar
auf alter Überlieferung, insbejondere auf dem Heeresgeſetze Kaiſer Friedrichs 1.
!) Script. rer. Silesiac. VI, ©. 11.
2) Deutiche Reichstagsaften VIII, 170 Nr. 391. 9 Ebd. IX, 35 Nr. 81. * Ebd. IX, 165.
5) Ebd. IX, 316. General Köhler bemerkt in Bezug auf biefe Berorbnung: „Aus einem
Schreiben der Stadt Ulm an Nörblingen, dem eine Abſchrift der Verordnung beilag, erjeben wir, daß
dieje für die Etädte neu war; denn Ulm fagt: an der ir merfen mugent, waz daz ift.”
Bol. Würdinger im Anzar. f. Kunde d. deutich. Vorzeit. 1872, ©. 342 u. Jäahns a. a. O.
©. 945. 7) Deutiche Reichdtagsalten IX, 537 Nr. 410,
3. Dienjtordnungen. 305
[M.$ 26] beruhen, während andere aus Zisfas Kriegsordnung herübergenommten fein
dürften‘). Interefiant erſcheint auch die Bejtimmung, daß die Fürften Schöffen
mit jich führen und ihnen einen Stroffer (Profoß) beigeben jollten. Es ift das
der erite Anja zu einer Kriegsgerihtsordnung.
Die Neichsgejege regten nun an zum Erlaß von Reglements
einzelner Städte und Fürften jowie zu taftijchen Übungen mit
der Wagenburg. Bon dahin gehörigen Aufzeichnungen find mir
rolgende befannt geworden:
Die Schickung von der Waynburg d. d. Marienburg
19. April 1433. (Danziger Archiv, Schubl. 37, no. 53) 2).
Die Forderung lautet auf 30 Wagen außer den „warpen oder Speihe-
wayen“ und verlangt für den Wagen „10 manne und 4 oder 5 gute armbrojt
mit ſyne pfilen im fücher und idermann eynen guten jchilt, item 4 qute lange
lodbuchjen, zu iglicher buchjen 4 pfund pulver und 2 jchod gelote“ Gleigeſchoſſe).
Item zu jedem Wagen „2 jchod pfile, 2 glevenyen (Spiehe), 2 jtark fethen, 1 hewe,
I jpaten, 1 jchuffel, 1 bret czweyer guter finger dide, das da reichet an der
breite enne jpannen von der erden“. Zu 20 Wagen gehört „eyn buchje, die eyn
ſteyn jchujt als eyn gut haupt“.
Die Wagenburgordnung für Frankfurt a. M. v. J. 14449),
Die Übung mit der Waninburg zu Erfurt i. I. 1447),
Die „Ordnung, die wir Marfgraf Albrecht (ſpäter Kurfürft
von Brandenburg) gelegt haben vnd wöllen, daß jie von allen den
unjeren joll gehalten werden.“ Sie jtammt aus d. 3. 1462°).
Die Ordnung Markgraf Albrechts v. 15. Mat 1475 bzgl.
der Einrichtung der Wagenburg im Falle eines Angriffs; ebenfalls
im Nürnberger Archive ®).
Die Ordnung Markgraf Albrehts v. 3. 1477, welche be-
jonders durch die Vorfchriften über den Marjch der Wagenburg wichtig
it. Sie bewahrt das fal. Statsarchiv zu Berlin (mappa marchica) ?).
„Markgraf Albrechts Anjchlag über die Random zu ziehn
mit einer Wagenburg von 300 Wagen und mit jechs Zeilen,
an jeglicher Zeile 50 Wagen, die bis an den Furt, da man übers
ziehen will, gehen jollen.“ Dieje Dispofition befindet jich mit mehreren
1) gl. darüber Köhler a. a. O. III, ©. 222.
2) Buerft mitgeteilt von General Köhler a. a. D. ©. 2%.
>) Neujahrabl. d. Ver. f. Geich. u. Altert. Frankfurts. 1873.
* Hartung KRammermeifters Erfurtifche Annalen in Mendend Scriptores rerum germani-
carum, ©. 1195, wiebergegeben in Jaͤhns' Hanbbud ©. 945.
5) Bol. Wür dinger: Striegägeihichte von Bayern II, ©. 380 (Münden 1868) u. Jähns
a.a. D. S #7. 9) Bol. ebda. ©. 387, bagl. 948. ”) Bol. Jähns a. a. D. ©. 949.
Jähnms, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 20
306 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijienihaftlice Werte.
anderen Gefechts- und Belagerungs-Anjchlägen aus der Zeit des
PBommernfrieges Albrecht Achills (1478 und 1479) in einem Coder
des Kurmärkiſchen Lehnsarchivs.
F. d. Raumer hat diejelben unter dem Titel: „Beiträge zur Geſchichte der
Churmarf Brandenburg im 15. Ihdt.“ in dem von Leopold v. Ledebur heraus:
gegebenen „Archiv j. Geſch-Kunde des Preuß. Staates“ I (Berlin 1830) wörtlich
abgedrudt. — Der „Anſchlag über die Randow zu ziehn“ hat bejonderes Intereſſe
dadurd, daß ihm ein Heiner von Raumer reproduzierter Plan beigefügt ijt. Die
Pommern jtanden jenjeits der Randow mit dem r. Flügel an das Schloß Vier-
raden gelehnt, das auf dem Plan in Gejtalt eine rumden grabenumgebenen
Turms dargejtellt ijt. Bon den 6 Zeilen, die fi) aus der in aus und ein-
ipringenden Linien gehaltenen Wagenburg auf den Fluß zu entwideln, iit das
in der Mitte marjchierende Heer eingejchlofien. Es bejteht aus dem Hauptbanner,
dem in feilförmiger Anordnung 2 Haufen Schügen und ein Haufe „Spigbrecher“
vorausgejandt find. Der Übergang gelang; denn es folgt auf ihn „Wie man
ji auf Vierraden fürgejchlagen hat am Montag nad) Exaltationis anno 1478“;
u. zw. geſchah der „Fürſchlag“, d. 5. die Belagerung, auf beiden Ufern der
Randow.
Eine rem wiſſenſchaftliche Behandlung des Gegenſtandes bietet
endlich: Die „notdurfft ordenung vnd geſchick der wagenburck
in ein feldt zu denen Veind vnd von denn Veindenn“, welche
den Beginn von Philips von Seldenecks „Verzaychnus der ordi—
nung“ bildet und etwa um 1480 gejchrieben jein dürfte. 8 36).
Der wejentliche Inhalt diejer bisher noch nicht veröffentlichten aber
hoch interefjanten Abhandlung it folgender:
„Zum eriten: einen gutten wagenburdmeijter, dem man getramen
muß vnd der weiß derjelben anfangk vnd alle zugehorung zu gebenn vnd das zu
jagen vnd weh auch antworth vmb die frage der wagenburgk . . . zu geben.
Ein jegliher reiiwagen zu der wagenburgf fol mit fetten gejchidt jein.
Zu jeglihem reißwagen geboren drey redlich fnecht, zuvorderjt das der
ein hun wol faren — vnd die zwey joln wol geupt jein mit jren wern vnd mit
jren darjtehn vff den jätteln, auch vff den wagen wartten und helffen futteren.
Ein jeglicher wagen jol habenn zwue jhauffeln vnd zwue hawen vnd zween
baden oder pideln vnd zwey multerlein (?) vnd etlich vberrich ſeyle, auch ein
oder zivenn vberich fettel, die zugericht ſein mit gurtten vnd jtegeraif. Vnd fol
haben ein jeglicher wagen ein gut fehlein, das wol gepundt jey vnd waher
halten möge.
Ein jeder wagenburgd fol 16 großer venlen haben von zwut farb; rot
vnd weiß, vmb der fichtbarlichfeit willen. Vier großer fenlein bedarf der wagen:
burgdmeijter, die vier farb haben. An das eine gemalt jei „Hauptbuchßen“, an
das andere „Armbroſt“, an das dritte „Helmpartten“ und an das viert „Spieh“,
damit man dem vold vnderrichtung geben möge.
3. Dienjtordnungen. 307
Die Puchßen auf den wegen vnd farren find einem bejonderen
Hauptmann zu vertrauen. — Sit ein form puchhen, die mit der wagenburgf
genn vnd jtein jchiffen als groß ein päßkügel. Ein furm puchhen, die pley
ſchißen als groß die eyer. Aber eine püchhen, die man nennt wagenpuchßen, der
eine 6 centner ſchwer jey. — Bon jolhen buchßen jol man ordnen zu den (vor—
deren?) Wagen die hafenbuchhen mit zweyen großen Buchßen als fie vorgenannt
fein. — Zu diſem geſchoß allen fol puchhenmaijter, die mit jchihen fünnen, und
was notturfft zu den püchhen geboren; das fol alles darzu gebradjt vnd mit den
Büchjen führen.
Es jollen auch etlihe hündert ſtabſchlingen gemadt vnd verordnet
werden, damit man jtein werff, das iſt zum ſtürmen auch zum jchlagen wider
roß vnd mann vaſt gut. — Auch etlich Hundert mit zaden vnd ringen bejcdhlagener
flegel oder reißhel (?), die dienen zu dem jchlagen. — Nud) etlich hundert
aaljpieß, die dienen zu den jtürm in der wagenburg. — Auch hundert
Schaufeln, (die müſſen einem bejonderen Hauptmann untergeben fein, der die
Berihanzungsarbeiten leitet).
Man ſol auch einen prüden wagen haben mit balden, vehern vnd
prittern, vnd die vorderjten wagen jollen die prüden tragen.
Der Wagenburgdmeister hab einen redlihen Hauptmann bei ſich,
mit dem er vber die wagenburgd vnd der notdurfft jchaffen möge. Er jol aud)
zu zehrwägen einen antreiber haben. Vierundzwanzig redliche vnd gejchidte
fnecht jollen injonderheit auf den Wagenburgmeiiter warten. — Er habe aud)
zween gezimmerte galgen vnd den hencker darzu. An dem galgen fol bangen:
ein Schwert, ein folb, ein jtrid, ein peyl vnd ein peßenn.“ (Räuber jollen geköpft,
Diebe gehängt, Aufrührer mit Handabhauen bejtraft, Lügner mit dem Beſen oder
in bejonders jhlimmen Fällen mit dem Kolben durch die Gaſſen der Wagenburg
getrieben werden). — Die Führer der Wagenburg follen — und keck ſein
und die Wege über Berg und Thal wohl kennen.
Im allgemeinen rechnet man auf zwölftauſend Fußknechte ſechſte—
halb ,ç hundert Wagen, auf dreitauſend Pferde GReiter) dreihundert
Wagen. Demgemäß find die Truppen auf die Wagenburg zu verteilen. Dieſe
jelbjt wird, je nad) der Stärke des Heeres in 8, 12 oder 14 Zeilen angeordnet.
Hat man nur 300 Wagen, jo begnügt man fich mit 6 Zeilen. In diefem Falle
nimmt man 45 Wagen zur erjiten, 25 zur zweiten, 15 zur dritten, wieder 15 zur
vierten, 25 zur fünften, 45 zur jechiten Zeile, jo dab aljo die Zeilen nad) innen
zu immer fürzer werden. Ferner formiert man zwei „Schlußflügel“ von je 15
oder 14 Wagen; dieje fahren auf jeder Seite zu alleräußerit und jollen, „wo es
not tut furſchlagen vnd zu jtatten fomen“, aljo gegen den Feind mandprieren,
während jich die Wagenburg jchließt, indem von den inneren Zeilen die not-
wendige Anzahl Wagen nad) vorn und hinten vorgejchoben wird. — In breiten
Gegenden verdoppelt man die üblichen 8 Zeilen wohl auf 15 (ſeltſamerweiſe nicht
auf 16). Hit aber mit der Wagenburg ein Wald zu durchichreiten, jo muß man
jie möglichſt jhmal, doch nie enger als vierzeiligq anordnen und Leute mit Daden
und Schaufeln vorausjenden, um den Weg zu bereiten. Sobald als möglich hat
20*
308 Tas XV. Nahrhundert. I, Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
man jedoch wieder in breitere Front aufzumarjchieren. Einen Wald, der weniger
als eine halbe Tagereije breit it, umgeht man lieber. — Kommt man an Waſſer—
läufe oder Mooje, jo muß der Wagenburgmeijter fie mit einigen jeiner Leute be-
jehen und die beite Übergangsitelle erfunden und ob ſich auch Holz dabei findet.
Die UÜberbrüdung gejchieht dann mit dem an Ort und Stelle vorgefundenen und
dem auf dem Brüdenwagen mitgeführten Material. Dies legtere joll man beim
Durchſchreiten von Wäldern und Heiden dadurd bereichern, daß man „Wellen
oder Büchel“ (Faſchinen) heritellt, deren jegliche mit drei Winden gebunden jei,
um jo Gräben und Moje zuzudeden. Sobald der Fluß oder die naſſe Stelle
überjchritten und die Brüde abgehoben ijt, müſſen jich die Brüdenwagen wieder
an die Spigen der Zeilen jegen. — Gilt es über ein Gebirg zu ziehn, jo teile
der Wagenburgmeiiter das Fußvolk und weile jedem Wagen 10 oder 20 Mann
zu, um ihn hinaufzufördern. „Desgl. jol man die roß in afiterjilen fahen und
jedem wagen zwey oder drey zugeben, die beim kopf zu führen jein“. Den
äußeren Zeilen der Wagenburg jind einige Rotten verlorener Knechte zuzuweiſen,
die mit feuchtem Stroh und Heu viel Rauch machen, um den Feind zu bienden,
damit er die mit der Wagenburg unternommenen Manöver nicht zu erfennen
vermag. Am beten überjchreitet man indejjen ein Gebirge zur Nachtzeit. Dabei
läßt man die Mannjchaft mit ihren Haden arbeiten und Flopfen, dab es flingt,
als befejtige man die Wagenburg, während man doc über die Höhe abzicht.
Will man lagern, jo muß der Wagenburgmeijter die Ortlichfeit genau
prüfen, ob Holz, Waſſer und Fütterung vorhanden, ob die Räumlichkeit ausreicht
und wie die Zugänge zur Stellung beichaffen find. Dann ijt der Raum auf die
vorhandenen Wagen zu verteilen. „Pie mitteljten zwey zeil, darauff der plaß
(Allarmplaß) jol werden, die jol haben 100 wegen vnd an jeder zeil 50 wegen.
Die nächſten zwue zeil darnadı uff beider jeiten jollen auch haben 100 wegen.
Danad) die eußerjten zwey zeil jollen haben 300 wegen vnd die jol man jtreden
in das veldt die jechs zeil hinüber das veldt ald man wißen wil (?). Ob man
dann darauf wolt machen acht zeil, jo brich mitten die äußer zeil vff beiden
jeitten ab vnd für jie herfürer zu dem vorderſten banner, jo werden der zeil acht.“
— Das Lager joll geradlinig und geviert geräumig angelegt werden; über-
ihiegende Wagen find durh Zujammendrängen, mangelnde durch erweiterte Ab-
jtände auszugleichen. Wo die Gaſſen auf Lagerthore jtoßen, da jollen auf jeder
Seite drei Wagen mit allem Zubehör bereit jtehen, um zu bindern, „daß man
jme vber die leng die gafjen nicht abgewinne“. Jeder Zeilenführer holt vom
Zelt des oberjten Hauptmanns Loſung und Tagesbefehl und teilt fie, joweit es
ſich gebührt, jeiner Zeile mit. Sind während des Lagernd Wagen zum Speis-
empfang oder anderen Zwecken zu entienden, jo haben jich daran alle Zeilen
gleichmäßig zu beteiligen und die Lücken find auszugleihen. Mitten im Plage
lagert allein der Fürſt, rechts von ihm jein Kämmerer mit dem nächſten Hofitate.
Grafen, Freie, Ritter und Edle liegen an der dem Ringe nächſten Zeile, an den
zwei äußeren Zeilen die guten Leute von der Landſchaft. Die beiten von den
Städten jollen „an den vier ortten“ (Eden) lagern und Thor und Markt hüten.
Diejer Markt, auf dem viel Brod und Wein feil jein muß, ijt auf beiden Zeiten
3. Dienjtordnungen. 309
des Lagers außerhalb desjelben anzulegen. Alles was zur Artillerie gehört ijt
unter deren Hauptmann zu einem bejonderen Binnenlager zufammenzuhalten.
— ill man jih „vergraben“, jo lege man den Graben drei Schritt vor die
Wagenburg und vergejle aud den „heimblichen grabenn“ nicht, „der ojfentlich nit
zu ertennen iſt“.
Beim Aufbruch iſt durch die vier „hör jchreier“ bei Leib und Gut anzu-
befehlen, daß alle Lagerfeuer zu löjchen jeien, damit fein Unglück gejchehe. Beim
ersten Blajen wird gefüttert und getränft, beim zweiten angefpannt, beim dritten
aufgejeiien. Der Übergang aus der Lager: in die Marfh-Ordnung gejchieht
durch zeilenweiſen Anjchluß, bzw. „Streden“ (Aufmarih) der Wagen. — Bill
man angeſichts des Feindes aufbreden, etwa um ein beijeres „gewarſam“
(Stellung) einzunehmen, jo blende man den Gegner durd Aufjtellung leerer
Wagen und formiere dahinter die Hälfte der Wagenburg in vier Zeilen, zwijchen
denen dann das Heer und die andere Hälfte der Wagen bindurd zieht und fo
fort, jo daß unter allen Umjtänden eine ftehende dedende Wagenburg vorhanden
ijt, die in jedem Augenblicke nad hinten und vorn geſchloſſen werden fann.
„Um Streit zu pflegen“ (zum Gefecht) formiert man die Wagen-
burg in der Bierung (d. h. quadratiich) mit drei „pläßen“. Die „puchßenswegen“
fommen in die äußerjten Zeilen u. zw. womöglich zwijchen je fünf Wagen immer
einer mit Geihüg. Namentlid) aber find damit „die vier ortte“ zu bejegen.
Beim Marihe in Feindesnähe ijt die Wagenburg von vornherein zu jchließen.
Die Pferde der äußeren Zeile einer zum jtehenden Kampfe gerüjteten Wagenburg
jind nad) innen zu verbringen, um die Verteidiger nicht zu hindern. Man hüte
jihh vor zu enger Aufitellung der Wagen, da man jonjt das Geſchütz nicht bequem
gebrauhen kann und die Büchſenmeiſter verführt werden, zu hoch zu halten,
während jie auf die Fürbüge der Roſſe des Feindes jchießen jollen. Im Inneren
der Wagenburg müjjen Gaſſen durd die Zeilen führen, um eine Unterjtügung
der angegriffenen Front durd die auf den Plätzen aufgeitellten Haufen zu er:
möglihen. — Beim Kampfe von Wagenburg gegen Wagenburg im
freien Felde ift die rechte Flanke der feindlihen Wagenburg mit dem Geſchoß
anzugreifen und auf diefe Weije dem Gegner Vorteil abzugewinnen, bevor das
Volt in den Streit tritt. it das Gefechtsfeld bergig, jo jtrebe man dahin, die
Höhen zu halten, um den angreifenden Gegner zum Steigen zu nötigen oder,
jelbjt angreifend, mit der Wagenburg bergab vorgehn zu können. Dod) lajje man
ſich aus jo vorteilhafter Stellung nicht leicht herausloden. — Bon einem Angriff
mit einer feilförmig angeordneten Wagenburg, wie fie 1443 Dachßberg
empfahl [$ 6), ſpricht Seldened gar nicht.
Das Buh von Wagenburgen in dem Slriegsbuche des
Ludwig von Eybe v. 3. 1500 wurde bereits erwähnt. 8 13] °).
Es jcheint czechiichen Urjprungs zu jein; denn auch gegen Ende des
Jahrhunderts bejchäftigte man ſich in Böhmen noch jehr eingehend
mit dem altnationalen Kampfmittel.
1) Näheres vgl. Jähns a. a. D. ©. 950.
310 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
8 29.
Einer der berühmteiten czechiichen Kriegsmänner, der Ritter
Wenzel Wlẽek von Cenow, fahte i. 3. 1490 die Summe jeines
milttärtichen Wiffens in einer „Zug: und Schlacht- und Lager
Drdnung der NReiterei, des Fußvolks und der Wagen“
zujammen, welche er dem Könige Wladislar von Böhmen und Ungarn
zueignete und welche als der bedeutendjte wiſſenſchaftliche Niederjchlag
der kriegskünſtleriſchen Entwidelung der Ezechen zu betrachten ijt ').
Wie die meijten diejer altböhmiſchen Schriftjtücte ijt auch Witefs Abhandlung
nicht mehr in allen Punkten verjtändlich; ſie jcheint überdies in ihren einzelnen
Teilen etwas durcheinander geworfen und nicht durchaus vollftändig zu fein; im
großen und ganzen aber gibt fie doc eine Anſchauung der Taktif, wie jie jich
zu Ende des 15. Ihdts. wejentlich unter hufiitiihem Einfluffe bei den Völkern des
Oſtens herausgebildet hatte. Die Nriegsart Ziztas freilich iſt es nicht mehr, ſchon
deshalb nicht, weil der Traktat für einen König geſchrieben ward, der über weit
mehr ungariſche Reiterei als über böhmiſches Fußvolk gebot und weil als die zu
betämpfenden Feinde in erſter Reihe nicht Abendländer ſondern Türken gedacht
find. Indes wird doch auch der Kampf gegen deutſches Fußvolk erwähnt. Wltekt
gibt zuerjt eine Anweijung, die Reiterei zu ordnen u. zw. Gejchwader in der
Stärte von 100 bis zu der von 40000 Pferden. Danı folgt eine Ordnung des
Fußvolks ohne Wagen. Beide Waffen jtellt Wilcet mindejtens doppelt jo tief
als breit, ein Verfahren, das gewiß urjprünglich auf den Marſch innerhalb der
Wagenburg berechnet war, nun aber auch beibehalten ward, wo die Truppen
ohne Wagen auftraten, was dann allerdings Feine Berechtigung mehr bat.
Immerhin erjcheint die Wagenburg dem Berfajier jo wichtig, daß er den König
bittet, er möge befehlen, auf 20000 Mann jtet3 1000 Wagen zu halten. Die
Wagenordnung, welche er entwirft, entjpricht im wejentlichen derjenigen der Zeiten
Ziztas. Er verlangt, daß die Zahl der in den äußeren Zeilen fahrenden Wagen
das anderthalbfacdhe der in den inneren Zeilen jei; denn er jchließt die Burg mit
den überjtehenden Zeilen der äußeren Zeilen. — Außer den reglementarijchen
Beitimmungen enthält Wlcels Abhandlung aucd manchen Fingerzeig bezüglich
dejien, was gewöhnlich als „angewandte Taftif“ bezeichnet wird. Dabei wird
großes Gewicht auf das Überhöhen mit der Wagenburg gelegt, u. zw.
namentlich in dem Sinne, daß eine äußere Wagenzeile auf dem Höhenrande fahre,
während die anderen Zeilen durd) den Kamm gededt blieben. Dies jcheint ein
Hauptmoment der berühmten Geländebenutzung jeitens der Hufliten geweſen zu jein ®\.
Was dem Wagenburgfampfe jeine hohe Bedeutung gab, das
war, abgejehen von der Sicherung des Fußvolks gegen die Reiterei
1) Eine (ungeordnete) Verdeutſchung in der Dfterr. milit, Beitfchrift, IV. Heft. Wien 1836. —
Bol. Balady: Über die Kriegskunſt der Böhmen (Beitjchrift des Böhm. Mufeums. Prag 1828) unb
Ungera.a.D.1, ©. 145 ff. 9) Näheres bei Jähns a. a. DO. ©. 896 ff.
3. Dienftordnungen. 311
und abgeſehen von der Einrichtung fahrender Geſchütze, jene innige
Verbindung von Defenſive und Offenſive, die das Staunen
der Zeitgenoſſen war und in der Geſchichte der Kriegskunſt einzig
daſteht.
830.
Schon oben S. 300] wurde auf den Einfluß hingewieſen, welchen
die Fechtart der jiegreichen Schweizer auf die taktische Anordnung des
Fußvolkes zunächſt in Süddeutjchland, nach und nach aber in ganz
Europa gewann. — Dazu fam nocd ein anderes Moment. Die
jtraffe Organijation der politijchen Gemeinden der Eidgenofjenjchaft
hatte jich auf die im Felde jtehenden Striegergemeinden übertragen,
und dieſe wurden nun auch in organijatorijcher Hinficht das
Vorbild der Söldnertruppen, welche Fürjten und Städte aufitellten,
namentlich in dem jtammverwandten Deutichland. In diefem Sinne
it die Gegenüberjtellung von „Ordnung vnd Eyd der
Eydgenoßen“ und „Der gemainen Eyd“ zu veritehen, welche
Seldene? in ſein Kriegsbuch aufgenommen bat und welche zugleich
den Unterjchied erfennen läßt, der für diefe organijatorijchen Grund-
bejtimmungen aus der Verichiedenheit des Verjonals hervorgeht; denn
in der Schweiz handelte e8 ich um gejeßlich ausgehobene Kucchte,
in den anderen Teilen des Reiches um frei geworbene Söldner.
Die ordenung vnnd Der eyde der eydegenoßen vnnd
der gemainen jchiweyger, jo fie zu veldt ziehenn oder jr Haubtleut
jun ein veldt jchidenn.
Unter diejer Überjchrift jtehen bei Seldened die Eide der „Haubtleute,
Fenderichs und Vnderfenderichs“, der Eid „derer, die zu dem banner vnd fenlein
geben jein‘, der Eid des „Schuczen-Haubtmanns“, der „aller anderen, die bevel
haben‘, der Eid derer, die „für oder hinder die Banner vnd fenlein geordnet find,
der Eid der „Schuczen‘ und der der Wagenmeilter. — Dieje Zujammenjtellung
zeigt ſchon, dab die Eide jehr ins einzelne gehen, den Pflichtenfreis eines jeden
Mannes genau umjcreiben, und dies ijt für das deutiche Landsknechtsweſen
wieder vorbildlicd; geworden. — „Ein Haubtmann muß jchweren zum erjtenn des
gemeinen vold& vnder jme nug vnd ere zu furteren vnd jchaden zu wenden vnd
das vold nirgend zu verfuren noch fein zug für ſich jelbjt furzunemen on der
reth jme zu gebenn jein wißen vnd willen, und darinnen das bejt zu thun alles
getreulich vd ongeuerlih.” — Einige allgemeine Bejtimmungen über Manns:
zucht, welde die Verordnung abjchliegen, jtimmen im mejentliden mit denen
des alten Sempaderbriefes [M. $ 26) überein.
312 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Der gemaynen eyd, jo die furitlichen herren oder jtatt ire
fnechte, die jie bejtellen vnd ſchicken, laßen jchweren.
E3 wird nur der Eid der Rottmeijter, Fendrich und Knecht mitgeteilt. Pie
Knechte find bei ihrem Eid gehalten, feine „Gemein (Ntriegägemeindever-
jammlung) zu halten, es jei denn mit des Hauptmanns Wiſſen und Willen.
Die Strafbejtimmungen der Artikel richten ſich vorzugsweiſe gegen Aufruhr,
eigenwillige Unternehmungen, Raubzüge u. dgl. Wehr und Harniſch find den
Knechten zu liefern und jollen bei der Heimkehr zurüdgegeben werden. (Beides
wird wohl nur jelten gejchehen jein!)
Dem Hauptmann joll man „zu jolld geben vff feine perjonn zwolif gulden
ein monat, d. i. dreinacher jolt, vnd jeinem Knecht itij qulden den monat; xxx
tag für ein monat geredinet. — dem Rottmeijter vnd fenderich dj gld die monat,
ijt anderthalber jolt. — dem waybell, pfeyffer vnd trumenjchlager v qulden
vnd einem jden gemainknecht iiij qulden einen monat.“
„gu acht jpießen gehört eine buße und eine heimparte“, zu Hundert
Spießen ein Wagen (2 Streitbußen und 10 Hakenbüchſen). — Dieje Bemerkung
iſt offenbar die jüngjte in dem von Seldened angelegten Kriegsbuche; ſie zeigt,
gegen jeine „Ordnung der Fußknechte“ [$ 36) gehalten, eine volltommene Ver—
änderung des Verhälniſſes der Wafjeninnerhalb des Fußvolhkes.
In der „Ordnung“ bildeten die Helmparten die Hälfte des gefamten Fußvolks:
Schützen und Spießer zufammen erreichen fie erjt; jet werden auf 8 Spieße nur
je eine Helmparte und eine Büchſe gefordert; darin iſt unzweifelhaft ein ge-
waltiger Fortſchritt der Einwirkung des jchweizeriihen Vorbildes zu erkennen!
Einige disziplinare Bejtimmungen jchließen ab.
Eine Heer- und Lagerordnung ganz ähnlicher Art wie Kaiſer
‚Friedrichs I. Heergejeg von 1158 [M. 8 26] ijt die „Bejtellung des
Heeres“, welche Kurfürjt Albrecht Achilles von Brandenburg für
den Bommernfrieg i. 3. 1478 erließ und welche jich in dem jchon er:
wähnten Codex des Furmärfiichen Lehnsarchives findet. [$ 28]. Sie
enthält ſowohl Sriegsartifel als Vorjchriften über Befehlsverteilung
und Sicherheitsdienjt. Folgendes iſt der Wortlaut:
„tem bei Leib und Gut joll niemand feinen Freund beihädigen oder be—
rauben oder keinerlei Unfug treiben, mit denen, die im Deere zuführen. Welcher
darüber tut, der foll gejtraft werden, ohne Gnad mit dem Schwert, ala Raubes
Recht if. — Item alle die Rumor anheben, die jollen gejtraft werden nad)
Erkenntnis meines gnädigen Herrn und feiner Gnaden Räte, die Sr. Gnaden
ungefährlich zu jich nimmt, und ein Jeder nad jeiner Gebühr. — tem wo id
aber Rumor begeben, das doch nicht fein foll bei Verliefung der Strafe vor an-
gezeigt jo foll niemand bei Verliefung des Leibs dem andern zulaufen, außerhalb
der, die daran geordnet find; die jollen jcheiden und darin handeln nach Gebür
bi8 an meinen gnäd. Herrn und Hauptleute. Denn wann das jollt jein, daß
3. Dienjtordnungen. 313
jedermann zulief, jo erichlügen wir alle einander; ſonſt iſt es leicht zu jteuern,
und man ſoll niemand darin anjehn Freundſchaft oder einigerlei VBerwandnis
dem andern, jondern einen gemeinen Nuß darin juchen, zu Nuß meinem gnäd.
Herrn, der Herrihaft und dem Heer; und wer jich der Strafung enthielt (weigert)
joll männigli den Hilfe tun, die dazu beichieden find, dab die jtrafen mögen
und Ordnung halten. — tem wer da ftiehlt, der joll ohne Gnade gejtrait
werden mit dem Strang. — tem welcher den Freunden nähme, der joll
ohne Gnade geitraft werden nad Grfenntni® meines gnäd. Herrn oder jeiner
(Snaden Hauptleute nad) Gejtalt der Sahen. — Item es joll niemand futtern,
dann wie es alle Nacht beruft wird; auh nicht ausſchlagen (ausziehn) ohne
Geſchäft meines gnäd. Herrn oder des Hauptmanns. Welcher darüber tut, dem
will man für feinen Schaden jtehen, ob man etwas verlöre. (Mit einer Strafe
iind dieſe Eigenmächtigkeiten aljo doch nidyt bedroht.) — tem daß man feine
Grube im Deere graben joll, dadurd die Yeute am Reiten oder Gehen ver:
bindert würden. — Item da man jtill fei im Deere. — Item jo
man futtern will, joll jedermann auf das Fähnlein und Wagen warten und
alles nach dem Fähnlein reiten, fahren und gehn, und jollen futtern, da man
ſie hinzeigt, bei einander, unzertrennt; und ob jie an einem Ende nicht alle zu
juttern fänden, jo joll doc) feiner heimfahren, reiten oder gehen, jie haben dann
alle gefuttert, und ferner mit einander fahren, wo man Futterung findet, und
jollen dann, jo fie alle gefuttert haben, in der Ordnung wieder heimziehn, al&
ſie ausgezogen find, und foll der Nicolajttau (?) mit den Wagen und Trabanten,
jo viel man deren jchafft, mitziehn. — tem der Futterhauptmann, dem wird
man allewege zuordnen, davon er die Feld bejtellt (Dedung der Fouragierung)
und die warten, das Volk zu bewahren. — tem wo man futtern will, da joll
man allewege voraus befichtigen lajien. — Item alle Morgen, es jei in Städten
oder im Feld, jol man ausjchiden Ainechte, den zu verwahren ijt, die da be-
tigen alle Ding, ehe man auszieht zu futtern oder anderes, und nad) ihnen
wieder zujperren, bis fie wiedertommen. — Item daß man Ordnung made und
das Heer teile in 8 Teile, daß alle Tage der Teile eines das Heer
Tag und Naht bewade in Futterung und wo es not iſt. Derſelbigen
Teile einen lege man zu den Büchſen; damit kommt es in 8 Tagen wieder an
einen. — Item wo man Bühjen wird legen, dab man dazu lege 1000,
darunter 200 Reifiger mit Wagenknechten und Allem, die ſich vergraben bei den
Büchſen; damit die Büchſen allweg bewahrt find und man nicht alle Tage ab
darf wechieln. — tem daß niemand jage aus dem Heer oder aus den Städten,
jonden wenn man auftrummet, daß jedermann auf den Plaß zu
Haufen rüde, es jei in dem Heer oder in den Städten, wie jeder geordnet jei,
jo lange daß die Hauptleute das Ping befichtigen lafjen und zu Nate werden,
wie man tun will, daß man dann noch heem (heimlich) Geichäft handele. — Item
zu beitellen die Sharwädter Tag und Nacht nad Notdurftl. — Item zu
ordnen über jeglihe Zeile einen Hauptmann, der alle Nacht wihe,
was ſich jein Zeil mindert oder mehrt oder wer Fremdes darin füme, dab den
Yauptleuten wiße zu entdeden. — Item VBiertelmeijter zu jegen im Heer in
314 Tas XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswiijenichaftliche Werte.
der äußeren Zeil, in jeglibem Biertel zwei, auf dak man wiſſe allwege
Tag und Nacht, daß die Wagenburg bewahret jei. — tem alle Nacht je über
0 Wagen ein Hein Feuer zu machen, einen Steinwurf von der Wagenburg.“
8 31.
Sn dem Erlafje feſte Ordonnanzen für dauernd aufzu—
jttellende Truppenförper gingen allen anderen Nationen die
Franzoſen voran.
Nach) dem jchweren Hundertjährigen Ringen Frankreichs mit Eng-
(land jonderte König Charles VII. aus den Söldnermafien, welche
jein Reich überjchtvemmten und deren Verjuche, über die Oftgrenze
vorzudringen, an dem Widerjtande der deutſchen Neichsjtadt Met,
an der Energie der jchweizeriichen Aufgebote und des elſäſſiſchen Land—
volks gejcheitert waren, jene berittenen Ordonnanz-Kompagnien
aus, die man, nicht mit Unrecht, als das Nejt der jtehenden Heere
Europas bezeichnet hat. Das Original des merkfwürdigen Ediftes,
durch welches der König vom Schlojje de Louppy aus die Or—
gantjatton Diejer Kompagnien am 26. Mat 1445 jeititellte, findet
jich jeltjamerweije nicht in dem grand recueil des ordonnances
du Louvre, jondern im Britiih Mujeum (no. 11542) und iſt, joviel
ich weiß, bisher nie volljtändig herausgegeben, wohl aber in eim-
gehenden Auszügen wiedergegeben worden }).
Charles VII. errichtete 15 compagnies d’ordonnance, deren jede 100
hommes d’armes zählte, die aus den tüchtigjten Edelleuten des Königreiches
ausgewählt waren und von 500 leichten Reitern begleitet wurden, nämlich von
100 Bagen oder Ecuyers, 305 berittenen Schützen (archers) und 100 coutiliers
Knappen). Eine Ordonnanztompagnie bildete aljo ein gemiſchtes Reiterregiment
von 600 Pferden, das von einem capitaine befehligt wurde. Außerdem gab es
an Offizieren: den lieutenant, einen enseigne, einen guidon und den marechal
des logis. — Die Ernennung von zwei Fähnrichen (enseigne und guidon) für
jede Nompagnie zeigt, dab man die hommes d’armes nicht mit ihren auxi-
liaires vermijchte, daß vielmehr die ſchwere und die leichte Neiterei gejondert
fämpfen konnten. In diefem Falle führten der capitaine und der enseigne die
gendarmerie, d. h. chevaliers und deren Ragen; der lieutenant und der guidon
befehligten die archers und coustilliers.
Wie die gejamte abendländijche jchwere Reiterei hatte auch die
der Franzojen bisher in großen Gejchwadern (en escadre), aljo im
tiefen Maſſen, gefochten. Mit der Einrichtung der Ordonnanzfompagnten
1) Conf. Bibl. de l’Ecole des chartes; t. III, p. 127; article de Mr. Vallet de Viriville.
3. Dienftordnungen. 315
ſcheint es üblich geworden zu jein, eine jehr flache, hagfürmige Auf-
itellung (en haye) zu wählen, um auf dieje Weije die Wirkung des
Geſchützfeuers zu vermindern. Deutjchland folgte dieſem Vorbilde nicht;
noch gegen Ende des 15., ja noch im erjten Viertel des 16. Ihdts.
formiert es jeine Reitergeſchwader in tiefen steilen. [$ 36 u. XVI 8 93.)
Zwei Jahre nach Aufitellung der Ordonnanzkompagnien (9000
Pferde) errichtete König Charles eine Fußvolfsmiliz von 16000
Francs-Archers; aber diefe Schöpfung, für die fich auch fein
Nachfolger Louis XI. lebhaft imterejjierte, wollte nicht gedeihen und
janf bald wieder ins Nichts zurüd.
Vielleicht war es diefe Erfahrung, welche den Herzog Karl den
Kühnen von Burgund bewog, NWeiterei und Fußvolk in ein und
demjelben Organismus zu vereinigen. Als er ſich i. 3. 1471 entſchloß,
das franzöftiche Vorbild nachzuahmen, jeßte er jeine »ordonnance«
nämlich aus »lances« zujammen, deren jede in ſich aus Neitern und
Fußknechten gemijcht war.
Zufolge der Grande ordonnance d.d. Abbeville 31. Juli 1471
bejtand jede „Lanze“ aus 3 Neitern: dem homme d’armes, jeinem Bagen und
einem Knappen (coustilier), und aus 6 Fußkämpfern: 3 Bogenjchügen (archers),
einem Armbrujter (arbaletrier), einem Büchſenſchützen (couleyrinier) und einem
Spießer (piquenaire). Auf dem Mearjche jollten übrigens die 3 Bogenſchützen
auf Kleppern reiten, im eigentlichen Gefechte jedod) abjigen. Ein jehr detailliertes
Reglement ordnete den gejamten Pienjtbetrieb: 6 Yanzen bildeten eine chambre,
2 chambres eine dizaine, deren Befehlöhaber dizainier hieß. Einer diejer di-
zainiers war zugleic) als »conducteure Führer der ganzen Abteilung ?).
Die Miihung der Waffen, welche übrigens auch in Deutjchland
hie und da üblich war, wo man, zumal feit dem großen Städte
friege, (1388), dem Ritter außer reifigen Knechten zuweilen auch Fuß-
fnechte beizugejellen pflegte [S. 295], jcheint ſich in Burgund nicht be
währt zu haben; denn der Herzog gab fie bald wieder auf. Nur die doch
immerhin berittenen, wenngleich zum Fußgefechte bejtimmten Bogner,
lieg er im Verbande der Lanze; von den anderen ihr zugejellten
‚sußfnechten aber weiß die Grande ordonnance, die er i. 3. 1473
von der Abtei St. Marimin bei Trier erließ und die das Werf
der burgundiſchen Heeresverfafjung abſchloß, nichts mehr.
I) ®gl. de la Chauvelays: Les armees de Charles le Temeraire dans les deux
Bourgognes (Faris 1879). — Das »conducteur« Karla entipricht volllommen dem italienijchen
»condottiere«.
316 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijjenichaftliche Werte.
Das „Original“ diefer grande ordonnance, weldes angeblidy nad der
Murtenichlacht 1476 in Karls Zelt erbeutet wurde, befindet fih in der Berner
Stadtbibl. (A. 219) und führt den Titel »Loix et ordonnances ou
Statuz militaires de Mon Seigneur le Duc Charles, Duc et
conte de Bourgogne etc. dez. Lan 1473. Das auf Pergament ausge-
führte Titelbild jtellt im Mittelfelde den Herzog dar, wie er einen Ritter zum
Chef einer jeiner Urdonnanzlompagnien erhebt, . indem er ihm Kommandojtab
und Statuten überreiht. Dies Vorblatt mag wirflid aus der Murtenbeute ber-
rühren; der auf Papier gejchriebene Tert dagegen fcheint eine Kopie des 16. Ihdts.
zu fein. — Andere Eremplare der Ordonnanz befinden jih im Wiener Ardive
[$ 32], in der Münchener Hof: und Statsbibl. (cod. gall. 18) und in der Parijer
Nationalbibl. (ms. frang. no. 9847). —- Der Tert des Berner Exemplare ijt ab
gedrudt in des Generals Guillaume: Historie de l’organisation militaire sous
les ducs de Bourgogne.
Ein Bild des Zuftandes des burgundiichen Heeres nad) diejer
Neorgantjation hat uns einer der Gardehauptleute Karls überliefert,
Dlivier de la Marche. Diejer tüchtige Mann war 1422 geboren
und jtarb 1501 im Dienjte der Maria von Burgund. Er war jeinem
Herrn, den er jeines enormen Fleißes wegen „Karl den Arbeiter“
nannte, treu ergeben und jchrieb während jeiner Amtsführung Denk
würdigfeiten, welche zu den wichtigjten Quellen für die Zeit von 1453
bis 1492 gehören und namentlich für die Gejchichte des burgundijchen
Kriegswejens von hohem Werte find. Beſonders mitgeteilt hat daraus
Buchon in den Chroniques et memoires sur l’histoire de France
(Paris 1836) den »Estat de la maison de Bourgogne. 1474«!). —
Hieraus und auf Grund einiger anderer ergänzender Nachrichten ergibt
ſich nun nachfolgende Überjicht.
Die oberjte Verwaltung lag in der Hand eines Hoffriegsrates unter
dem perjönliden VBorfige des Herzogs, dem vier Ritter als vortragende Räte
dienten, während zwei Sefretäre die jchriftlihen Ausfertigungen bejorgten.
Ein Hoffriegsrat war Tresorier de la guerre, welchem Kriegszahlmeiſter zur Seite
jtanden. — Die höchſte Kommandojtelle war die des Marſchalls von Burgund,
der in Abwejenheit des Herzogs den Überbefehl führte, andernfalls die Vorhut
führte. Als Lieutenant des Marjchalls fungierte der mardchal de l’host, der
Feldmarſchall.
1) Wichtig für die burgundiſche Heeresgeſchichte iſt eine Abſchriftenſammlung von Alten umd
Ordonnanzen, welche die fgl. Bibliothef in Haag bewahrt (t. 255): Histoire militaire des Pays-
Bas avant l’etablissement des troupes reglées. Es find 2 Bände. Der erjte beginnt mit ben
Ordinanchier ende geboden die de stede ende Casselrie houden in orloghen und führe bis
zu einem Erlaß Karls V. über die Lehnäfolge v. 3. 1520. Der zweite Band beginnt wieder mit bem
I. 1411; er enthält bejonbers viel Orbonnanzen aus der Beit Karls des Kühnen, auch Stadtrechnungen
über Ariegsunternehmungen u. bgl. m.
3. Dienjtordnungen. 317
Tie Yanze bejteht jegt au dem homme d’armes, jeinem Pagen und dem
Nnappen (mit zuj. vier Pferden, da ein Saumroß hinzukam) und aus drei
archers. Fünf Zanzen bildeten eine chambre, deren fünf eine escadre, vier
escadres die compagnie, an deren Spige der conducteur als 101. lance jtand.
Unter ihm befahlen die vier chefs d’escadre, deren einer als lieutenant fungierte.
Auch das Fußvohk wurde num jelbjtändig in Kompagnien geteilt, welche
300 Mann zählten und von einem capitaine, einem porte-enseigne und einem
reuidon befehligt wurde. Je einer centaine jtand ein homme d’armes als
centenier vor, und jede Hundertichaft wurde wieder in trentaines eingeteilt.
Tas Fußvolk bejtand aus archers à pied, aus coulevriniers und piquenaires,
Dieſe Infanterie hatte zugleich die Aufgabe, als Partikularbedeckung der
Artillerie zu dienen, die in Karls Armee nicht nur als Belagerungstrain,
ſondern auch als Feldgeichüß bereits eine jehr bedeutende Nolle jpielte. Die
leichte Artillerie bejtand aus serpentines auf Wandlaffeten, die z. T. mit Nicht:
hörnern verjehen waren. An der Spige des Geſchützweſens jtand ein Ritter als
maistre de l’artillerie, dem ein receveur als Zahlmeijter beigegeben war, mit
welchem wieder ein contröleur forrejpondierte. Bedienung und Führung der ein-
zelnen Stücke war Sache der gelernten Stücdmeijter (maistres des oeuvres) und
gewifier Edelleute, der bombardiers.
Die Kompagniehefs waren verpflichtet, ihre Leute in den Garnijonen
regelmäßig zu üben. Die jchwere Reiterei focht ſowohl nad) deutſcher Art im
„Spitz“, als nad) franzöfiiher en haye. Die Schützen jaßen zum Gefechte ab,
und die Bifentiere hatten vorzugsweiſe die Aufgabe, ihnen als Schuß zu dienen.
Zu dem Ende marjdierten jie vor den Schüßen und bildeten unter Umjtänden
auch hohle Kreisordnungen, welche die Schügen und deren Pferde aufnahmen.
Falls die Heeresjtärfe es gejtattete, wurden drei Treffen gebildet: Avant-
garde, bataille und arrieregarde, wobei jedody auf gegenjeitige Flankierung
wie namentlich die Schlacht vor Murten zeigt) faum Rückſicht genommen ward.
Der Sold wurde vierteljährlich gezahlt, die Verpflegung von der Mann=
ihaft jelbjt bejorgt, die während des Friedens meijt in Gaſthäuſern Unter-
tommen fand Auf Märjchen erhielten die Leute Uuartierbillets; Stroh und
Heu muhte der Wirt unentgeltlich liefern, Lebensmittel und Hafer nach feſter
Tare. Ein Tagemarſch jollte 5 bis 8 Stunden währen, jeden dritten Tag
durfte geraitet werden. Marjchfommijjare überwacdten die Befolgung diejer Vor-
ichriften und die Abrechnung. Das Verlajjen der Fahne auf dem Marche wurde
mit achttägigem Soldabzuge, vor dem Feinde mit dem Tode bejtrait.
Die burgumdiichen Heeresbeitimmungen jind von hohem Intereſſe,
weil jie für die Organtjation faſt aller europätichen Armeen unmittelbar
oder mittelbar zum Vorbilde geworden find.
8 32.
Die nahe Verbindung, in welche Kaiſer Marimilian I. durch
jene Gemahlin, Karls des Kühnen Tochter, mit Burgund trat, ließ
318 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswilienichaftliche Werke.
ihn begreiflicherweije den in dieſem Lande zuerjt methodijch geordneten
Verhältnifjen des „Kriegsjtates“ bejondere Aufmerkſamkeit jchenfen.
Die für den Erzherzog angefertigte Abjchrift der großen burgundijchen
Ordonnanz von 1473 befindet jich noch jet im Wiener Archive’).
Vielleicht Hat der Kaiſer jich mit weitausjchauenden Plänen für
eine grundlegende Organijation jeines Heerweſens getragen; perfekt
geworden it aber nur die Einrichtung geregelter Reitergejchwader
durch die Inftruftion über Aufitellung von 100 Kyrißern in
des Kaiſers und Neiches Sold, die Mar am 24. Mat 1493
einem Schreiben beifügte, durch welches er jeinen Rat Ulrih von
Weisbriach zum Hauptmann über eine Anzahl Kyriger und Ein-
pännige annimmt.
Die Originalurkunde befindet ſich im Archive der f. f. Hoffanzlei zu Wien.
Ein Abdrud unter dem Titel „Das erite Küraſſierregiment in Djterreich“ iteht in
Kaltenbaeck's Kalender un. * 1849 und in Meynerts „Geſch. des Kriegs—
weſens der öſterr. Monarchie IL, S. 12 ff. (Wien 1854) ?).
Unter einem „Kyrißer“ — man einen ritterlich gewappneten Lanzen—
reiter, geradeſo wie man unter einem „Harniſch“ (corselet) einen Spießer zu
Fuß veritand. — Nach der Inſtruktion jollten nun von den 100 aufzujtellenden
Kyrißern je 25 unter einem Hauptmann jtehen. Jeder Kyrißer hatte jich „ielb-
jieben“ zu halten, d. h. er jollte haben: 1 Knappen, groß und jtarf genug,
um in drei Jahren Trabant zu werden, zwei Pferde und 1 Marſtaller,
1 leihten Büchſenſchützen und 2Nnedte, welche Einröjier und wie andere ge
rüstet find mit Reisſpieß, Hundskappe, leichtem Hauptharniſch (wälſcher Schalern, die
am Sattel hangt). Außerdem joll jeder Kyriier einen jungen Edelmann haben
mit einem ledernen Tärtichlein, Hinter- und Borderteil, Blehhandichuhen, unter den
Adhjeln einen Panzerfled auf die Juppen genäht und Behäng von Panzerringen.
Endlich hält jeder Kyrißer im eigenen Solde noch einen Trabanten mit Border
teil und Helmparte, weldyer nebjt dem Marjtaller dreier Roſſe warten bilit.
„Wird ein Plaß unter den Kinechten leer, jo jteigt ein Kinappe zum Tra-
banten, ein Trabant zum Marjtaller, ein Marjtaller zum Einjpännigen (Knechte) auf.“
Neben den 25 Gleven (denn jo muß man die Kyrißer mit ihrem Gerolge
nennen) unterjtehen nun jedem Hauptmanne noch 200 guter einjpänniger
Knechte, von denen je vier einen Trabanteıt (in faijerlihem Solde) haben,
der ihnen die Roſſe wartet.
Als Offiziere jtanden jedem Hauptmann zur Seite: ein Fähnrich, der zu-
gleich jein Lieutenant war und den großen Fahnen verwahrte, und einRennfähnrid,
der das Nennfähnlein verwahrte und zugleich die 200 jelbjtändigen Knechte führte.
1) Bol. Ehmel: Aftenftüde u. Briefe zur Geſch. d. Haufes Habsburg im Zeitalter Marimilians ]
(8b. I, ©. 62 u. 82).
2) Auszüge in der N. milit. Zeitichrift (Wien 1812, Heft IX) und in Angers „II. Geid.
der ?. f. Armee I, ©. 179 (Wien 1886).
3. Dienftordnungen. 319
Die Stärke jeder der vier Fahnen betrug alfo: 1 Hauptmann, 1 Fähnrich,
1 Rennfähnrid, 23 Kyrißer, 26 junge Edelleute, 52 Knechte, 26 Maritaller,
265 Trabanten, 26 Knappen, 26 Büchſenſchützen, 200 Einjpännige und deren
50 Trabanten, zujammen 458 Köpfe, alle vier Fahnen aljo 1832 Köpfe. —
Ein gemeinjhaftliher Vorgejegter für alle vier Fahnen wird nicht erwähnt.
„Beim Reiten und Ziehen“, aljo während des Marſches hat der Renn-
fähnrich, obgleich er Befehlshaber der 200 jelbitändigen Einjpännigen ijt, nicht mit
diejen zu marjchieren, jondern als Führer der Vorhut (Rennfahne), mit den jungen
Edelleuten der Kyrißer vorauszureiten. Dann folgen die Kyrißer mit ihren Knechten,
Zrabanten und Knappen und endlicd) folgen die 200 jelbjtändigen Einjpännigen.
Über die Gefechtstaktik iſt nichts gejagt; aber es ijt anzunehmen, dad;
im Kampfe der Nennfähnrich die 26 jungen Edelleute, welche beim Marjche die
Nennfahne bildeten, mit den ihm injtruftionsgemäß unterjtellten 200 Einfpännigen
als leichte Kavallerie ebenjo unter jeinem Kommando vereinigte, wie in der alt:
franzöſiſchen Ordonnanz lieutenant und guidon unter dem ihrigen die archers
und coustilliers S. 314).
Bon der Mannſchaft der Gleven fohten vermutlich die Büchjenjchügen
und die mit der Helmparte ausgerüjteten Trabanten zu Fuße. Doch aud) dieje,
wenigjtens die legteren, waren beritten. Denn da der berittene Knappe zum Tra—
banten befördert wird, jo fann diejer unmöglich ein zu Fuß gehender Nicht:
jtreitbarer gewejen jein!). Nichtjtreitbare enthält die Gleve überhaupt nicht. Die
Edelfnaben dürfen unter feinen Umjtänden als jolche bezeichnet werden; denn
ie bilden die Rennfahne. Wenn Kaltenbaeck die Zahl der Nichtlombattanten
auf 208 beredynet, jo fann er damit nur die Nnappen und Marjtaller meinen;
fegtere aber jtehen hierardyiich wieder höher als die Trabanten, und jo ijt nicht
einzujehen, wie er zu feiner Annahme fommt.
Für das Fußvolk hat Marimilian eine entjprechende „In—
itruftton“ nicht erlafjen, jo warme und nimmer müde Teilnahme er
auch Jeinen Landsfnechten widmete. Ihr Brauch und ihre Sayungen,
die Jich anfangs innerhalb der Gemeinden jelbjt entwidelten, wurden
aber doc) bald durch die VBorjchriften der Kriegsherrn bedingt 8 30)
und endlich in den „Ämterbüchern“ feitgehalten, welche um die Wende
des erjten umd zweiten Drittels des 16. Ihdts. auffamen. [XVI. $ 19.]
S 33.
Die italienijche Heerbildung des ausgehenden 15. Ihdts.
ipiegelt jich in der Heerordnung, welche Hector III. Manfredi,
Herr von Faenza, im Januar 1492 veröffentlichte ?). Sie lehrt,
daß auch für die Appeninenhalbinjel die Zeit der Kondottieren vorüber
1) Es gibt gleichzeitige Bilder ſolcher reitenden Hellebardiere. Bgl. Jähns: Atlas zur Geſch. des
Ariegamejend. Taf. 78, Rig. 4. ?) Abgedrudt bei Nicotti: Storin delle compagnie di ventura in
Italia (Zurin 1846). Bgl. Steger: Geſch. Franz Sforzas und ber ital. Condottieri (Leipzig 1865).
320 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
war. Dazu hatten verjchiedene Umjtände beigetragen: zunächit dic
vierzigjährige Ruhe in Italien vom Frieden von Lodi bis zum Feld—
zuge Charles VIIL., dann aber auch der Tod der berühmtejten Banden-
führer, wie Francesco Sforza, Jacopo und Francesco Piccinino,
Bartolomeo Colleoni, Roberto und Sighismondo Malateita, und
vieler anderer. Während ein Jahrhundert früher die Kriegsbanden
nach Tauſenden gezählt hatten, wurden fie num klein; hundert, hundert-
fünfzig Lanzen galten ſchon für einen jtattlichen Haufen. Infolgedefjen
wurde es den Fürſten leichter, unmittelbar die einzelnen Söldner
(lancie spezzate e provigigionati) anzumwerben und ihnen jelbjt-
gewählte Anführer zu geben, jowie jtrengere Zucht zu handhaben.
Dies ſpricht jich in der Kriegsordnung von Faenza deutlich aus.
Es ift den Söldnern unterjagt, die Auszahlung des ganzen Soldes aui
einmal, oder doppelten Sold vder Entjihädigung für verlorene Pferde zu fordern.
Die Strafen find jtreng. Niemand darf die Stadt ohne Urlaub und ohne Büra
ichaft für die Rückkehr verlajjen; wer über Urlaub bleibt, verliert den Sol».
Sehr ſchwere Strafen bedrohen Verſchwörung und Aufſtand; wer andere zum
Ausreißen verführt, muß jterben. Auch bei Ablauf der Vertragszeit hat jeder io
lange in der Stadt zu verbleiben, bis der öffentliche Ausruf erfolgt. Gläubiger
von Söldnern werden aus dem zurüdgehaltenen Solde befriedigt. Nicht eber
dürfen die Abzudanfenden gehen, bis fie geſchworen haben, nit gegen den
Fürſten zu dienen. Wer fich früher entfernt, wird verbannt und als Berräter
ausgerufen, und fein Bürge hat dem Statsſchatze den Sold zurüdzuzablen, den
der Entwichene empfangen.
Die Reiter wurden nah Yanzen angeworben, deren jede aus dem
Korporal, 1 Reiter und 1 Knecht bejtand. Der Sold einer Yanze betrug monatlich
12 Goldgulden (gegen 50 Tir.). Fußſoldaten wurden nah Rotten ange
nommen, die außer dem ‚Führer aus 2 Ktorporalen, 2 Gefreiten, 10 Armbrujitern
und 9 Mann mit blanten Waffen bejtand, wozu nod der jog. „tote Haufen“
fam, d. bh. die Diener, denen jedoch der Sold wie Streitbaren bezahlt ward.
Diejer betrug für den Mann drei Goldgulden. Jedermann verpflichtete jich auf
8 Monate, auf die eriten 4 fejt, worauf der Bertrag, wenn der Fürſt nict
fündigte, für weitere 4 Monat fortdauerte. In allen Rectsfällen und Strafjachen
entjchieden befondere, vom Fürjten ernannte Richter. Über jede Bejatung wurden
genaue Liſten geführt.
4. Gruppe.
Lehrſchriften.
834.
In der erſten Hälfte des 15. Ihdts. treten in Deutſchland noch
feine militärijchen Lehrichriften auf, die einen allgememeren Charafter
4. Lehrſchriften. 321
hätten; die didaktiſchen Arbeiten verfolgen lediglich fachwiljenjchaftliche
Zwede; e8 jind Fechtbücher, TFeuerwerfsbücher u. dgl., von denen
jpäter die Rede jein wird. Nur eine briefliche Injtruftion ver:
dient Erwähnung, welche Herzog Ludwig der Bärtige von Bayern-
Ingoljtadt an jeinen Sohn richtete, als dieſer i. 3. 1428 einige
niederbayerijche Edelleute, insbejondere die Zengern, befehdete. Dieje
Inſtruktion, welche Baader im Anzeiger für Kunde der deutjchen
Vorzeit (1872. ©. 165) mitgeteilt hat, befindet jich vermutlich im
bayer. Statsarchive zu München. Der Herzog jchreibt jeinem Sohne:
„Der krieg werdet dich lernen, wie du den treiben jolt; aucd die kriegslewt
vnd dein haubtlewt werdent dir wol jagen, was notdurft ijt. Sunder drew
dingk bat mir oft wol geraten: — Daß erjt: Wer wol chriegen wil, der acht
umb gut kuntſchaft, vnd vil vnd menigerlai; doch jolt du jn nicht getrawen, das
du jn jagejt, was willen du habejt zutun auf ir huntihaft. — Das ander,
das du vil lewt oft frageit, waz man zutun hab, und iedlichen bejunder. (Daz
tu nimmer, dad es ainer von dem andern noch vil lewt hören). Albeg nim
eines ieden anjlag in gejchrift bejunder, wie er es vor jm hab, das er es ennden
well; vnd ſitze dan alain vber fie all, und nim daraus ainen, ziween oder drei,
die zuennden jein, vnd die enndt dann nad rat, dem du getramweit. — Das
dritt: Halt all dein ſach in großer geheim vnd getraw deins kriegslewten als
du miynndſt mügeit, waz du willen zutun habſt. Dann ob du dein gejellen
taillen jullejt oder beieinander ligen, da chan ich dir nit aus geraten; wann du
jolt Deinen chrieg oft verferen, zwen tag, drei oder vier all beieinander, drei tag
oder vier don einander tailen. Nymer ſolt du deinen chrieg ainerlai treiben,
jondern in der wochen oder in ainem monet drei jtund oder vier jtund verferen
ond oft halden laßen vnd mwolreitend knecht ausjchiden, ob jie vnnſer veind er-
greiffen mügen“.
Als Hauptlehren diejer Kriegsmwersheit erjcheinen aljo: gute Kund—
ſchaft; genaues Erwägen jedes Ratjchlages, aber umverbrüchliches Ge:
heimbalten des erwählten Plans nicht nur vor Kundjchaftern, jondern
auch vor den eigenen Kriegsräten; häufiger Wechjel der Kriegsart:
bald vereintes, bald getrenntes Vorgehen.
8 35.
Wenn man von den Bilderhandichriften abjieht, jo iſt die erite
deutiche encyflopädijche Arbeit über das Kriegsweien
ein anonymes Kriegsbuch, das ungefähr vom Jahre 1450 jtammt.
Ein Exemplar desjelben befindet fich in der Wiener Hofbibliothef
(no. 2952), ein zweites in der Bibliothek der Artillerie und Ingenieur—
Edule zu Charlottenburg (C. no. 1671). Der Inhalt jeßt fich zus
Jäyns, Geichichte der Kriegewiſſenſchaften. 21
322 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiijenichaftliche Werte.
jammen aus dem alten Feuerwerksbuch, das jpäter zu würdigen jein
wird 8 58], einer Abhandlung über Befejtigungsfunft, von der das:
jelbe gilt [$ 71], und einer jolchen über Taktik, auf welche bier ein-
zugehen it.
Der Abjhnitt über die Befeftigung und der über Taktik
bilden eigentlih ein zujammengeböriges Ganzes von 12 Kapiteln, das in dem
Charlottenburger Eremplar in Kurſivſchrift gehalten ijt, während das Feuerwerks—
buch Steiljcrift von abwechjelnd jchwarzer und roter Farbe zeigt. — Major
Toll hat zu Ende des Wiener Eremplars die Jahreszahl 1457 gefunden; id
habe jie ebenjowenig zu entdeden vermocht wie der General Köhler edenfalls
ſtammt die Abhandlung über die Taftit nod) aus der Zeit vor 1460, da jpäter
jo einfache Verhältnifje, wie der Verfafler fie im Auge bat, faum noch vortommen.
— Das Wiener Cremplar jcheint das jüngere zu jein; es ijt zumeilen breiter
im Ausdrude ala das Charlottenburger. Lebteres wurde übrigens erjt 1882 für
die Artilleriefhule erworben u. zw. aus Augsburg. — In der Wiener Handichrift
hat auch das Feuerwerksbuch einige teils vorausgejandte, teil angebängte
Zufäge, die dem Charlottenburger Manujfripte fehlen: über Pulverbereitung,
über Anfertigung von Klötzen und namentlich eine interejiante Anweijung über
das Schießen mit Handfeuerwaflen, welde unten [$ 64] vollitändig mitgeteilt
werden fol. Diejem Wiener oder ift auch eine Heine kriegswiſſenſchaftliche
Bilderhandſchrift, jowie das geheime Jagdbuh Marimilians J. an-
gebunden, welches den Titel „Bon des hir; wandlung“ führt und von des Kaijers
eigener Hand geſchrieben ijt.
Die beiden Kapitel, welche die taftijchen Anweiſungen Diejes
Kriegsbuches enthalten, find von hohem Werte dadurch, daß fie die
ältejten taktischen VBorjchriften überliefern, welche wir überhaupt in
deutjcher Sprache beſitzen. General Köhler hat bereitS darauf hin—
gewiejen, dat allerdings vom großen Striege dabei nicht die Rede,
daß es vielmehr ausjchließlich die Fehde jei, welche dem Verfaſſer
vorjchwebe!). Es it das ein Zug, den dies Kriegsbuch mit der
brieflichen Injtruftion Herzog Ludwigs des Bärtigen teilt. Hinjichtlich
des Fleinen Krieges aber bezeichnet Köhler die Angaben des
Anonymus mit Necht als klaſſiſch.
Das 1. der beiden taktischen Kapitel iſt überjchrieben: Wie man
jn Eriegen ordnung vnd geſchickt jn ainem velde jol machen.
(Das Wiener Eremplar fügt Hinzu: „ains Flaines zügs dz gar gut
it). Das andere Kapitel hat den Titel: Hienach tat gejchrieben
1) töhler: Eine Handſchriſt über Kriegskunſt aus der Mitte des 15. Ihdts. (Unzeiger für die
Kunde der deutjchen Vorzeit, 1870, ©. 6, 37, 73 und 113). — Die beiden erften Abſchnitte diejeil
lehrreichen Aufjages bieten eine erläuternde, Beiprehung der Wiener Handſchrift (welche Köhler allein
fannte), die beiden anderen einen Abdrud der zwölf Kapitel derielben, welche dem Feuerwerksbuche folgen,
4. Lehrichriften. 323
ainß großenn Rayjigenn Zeugs ordnung vnd geſchickt (wider
an andern großen gezug) jnn atmen feld zu machen.
Von Wagenburg und Geihüg jieht der Verfaſſer in jeinem für kleinere
Verhältnijje beitimmten Aufſatze ab. Er jegt auseinander, wie die Ritterjchaft
joht „e das ufferjtund mit den buchjen vnd wagenburgen ze jtriten“, und er
meint, da dieſe Art auch jetzt noch angemefien je. Zu Fuße habe man ge-
wöhnlich eine feilförmige Ordnung gemadt, den „Spitz“, im erſten Gliede 3,
im zweiten 5, im dritten 7, und jo immer gliederweije um zwei Mann zu-
nehmend „bis ſy genug ijt“. Dann jei es darauf angefommen, den eigenen
Spitz unzertrennt zu halten, dagegen den des Gegners zu durchbrechen, und wer
das vermodt, der habe den Sieg davon getragen.
Das Kapitel über die Reitertaftif, das lebte des ganzen Buches, zeigt
in den beiden vorhandenen Eremplaren einige wejentliche Verjchiedenheiten und
ijt überdies in dem Berliner Coder unvolljtändig. Der Berfaffer, der gewih jelbjt
ein Ritter war, teilt jeine Neiterei in Schützen und Spießer ein. In dem
Wiener Eremplare werden außerdem auch nocd Abteilungen von reifigen Leuten
unterjchieden, die nur mit dem Schwerte fehten; davon ift in der vermutlid)
älteren Berliner Redaktion nicht die Nede. Der Fürſt oder Herr foll „etlich der
ba erzüglichiten jpießen . . . für fich gegen den finden ordnen; die jullent ſich
auch jo ſy aller nächſt mügent, zefamen halten vmb das man jy nit ze ring zer-
trennen müge; nachdem jol der fürjt oder herre mit finem fenlin zunächit fomen
vnd nah jm der gang zug“. — Wenn man zur Erflärung die jonjt erhaltenen
Nadırichten über die Fechtordnung der deutichen Ritterjchaft heranzieht, heilt dies,
daß vor dem Banner her ein Spik von Spießen trabte, hinter dem ſich dann
ein vierediger Haufe mit Schwertern anſetzte. Beide zujammen bildeten den Ge-
walthaufen. Vor diefem her zogen als Vorhut die „verlorenen Schüßen“, be-
rittene Armbrujter. Links von ihnen trabte ein Meiner Haufe von Spießern,
welcher dem Feinde „under die jchilt“, d. h. in die rechte Flanke rennen follte.
Rechts aber wurden die verlorenen Schüten von einem Haufen Schwerterreiter
jefundiert. Jeder Haufe hatte jeinen eigenen Hauptmann. Die Schügen leiteten
das Gefecht ein, indem jie ihren Bolzenhagel derart verteilten, daß immer eine
Gruppe ſchoß, während die andere ihre Armbrufte jpannte und fertig machte.
Hatten jie genügend gewirkt, jo erfolgte der Schod, u. zw. von allen Haufen
zugleih „röſchlich vnd fluds miteinander“. Die drei Haufen der Vorhut bleiben
aud dann zu Pferde wenn der Gewalthaufen etwa abgejejjen ficht, falls irgend
das Gelände es fordert. Der Verfaſſer macht auf die Bedeutung der Boden-
beichaffenheit mit Einjicht aufmerkſam.
8 36.
Bon hoher Friegswiljenjchaftlicher Bedeutung iſt eine bisher nod)
niemals gewürdigte Handjchrift der großherzoglichen Bibliothek zu
Carlsruhe (ms. Durlach) 18), welche mehrere militärische Schriften
enthält. Das Bud), ein Holzband mit Lederrüden, durchweg von
21*
324 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifjenichajtliche Werte.
demjelben jtarfen Papier erfüllt, iſt offenbar von vornherein dazu
bejtimmt gewejen, nach und nach Abjchriften Eriegswiljenjchaftlicher
Abhandlungen aufzunehmen; denn es eröffnet jich mit einer jchönen
Handichrift des deutſchen Vegez von Ludwig Hohenwang [8 2',
welche die Blätter 1 bi3 77a einnimmt, und es jchließt mit den 63
Figurentafeln ab, die auch der gedrucdten Verdeutjchung des Vegez
beigegeben find und die hier in farbigen Handzeichnungen die Blätter
123a bis 155a füllen. Der zwijchen dieſen antiken, bzgl. ikono—
graphiichen Bejtandteilen des Kriegsbuchs befindliche Raum tt nun
allmählich nahezu voll gejchrieben worden. An den Text des Vegez
reiht jich, ebenfalls jehr jchön, wenn auch ohne Verzierungen ge
ichrieben, eine „Notdurfft, ordenung vnnd geſchick der wagen
burd“ (BI. 78a bis 87a), über welchen Titel jpäter eine fräftigere Hand
die Überfchrift geſetzt hat: „Philips von Seldenned verzaychnus der
ordenung“, was ſich vermutlich auf den Gejamtinhalt des Buches
beziehen joll, joweit er nicht zum deutichen Vegez gehört. Gleichfalls
noch von funjtgeübtem Schreiber rührt die nächjte Eintragung ber:
„Die Ordenung vnd der eyde der eydegenoßenn vnnd der
gemeinen jchiweyger, jo fie zu veldt ziehenn oder jr Haubleut zu ein
veldt ſchicken“. (BI. 87b bis 91a). — Nun aber fommt eine rohere
Hand, wahrjcheinlich die des Beſitzers jelbit, deren Eintragungen
offenbar durch vieljährige Paujen unterbrochen worden find; denn
die Schriftzüge haben zuleßt einen anderen, greijenhaften Anjtrich.
Zuerſt eingetragen it von Ddiefer Hand „Der gemayn eyd, jo
die furjtlichen Herren oder ſtatt jrn knechten, die fie be
jtallen vnd jchiden, lagen ſchweren“. (BI. 91b bis 93b). — Hierauf
beginnt eine Abhandlung mit den Worten: „Nun will ich Philips‘
von Seldened meynen junen vnd erben zu erinderung vff jre ver:
begerung eine ordnung der fusknecht zu machen jchreyben“. (BI. 94a
bis 96a). Nach vier Blättern hebt dann eine größere Inſtruktion in
Briefform folgendermaßen an: „Friedrich von Seldened, nachdem du
deim bruder (Hanjen) gejchrieben vnd begert, dir von mir als deim
vatter bericht zu nemen, dir not jey zu wißen, ein felt zu be
ftellen... wie es dan in diejer landtartt der gebrauch iſt, will ich
dich berichten.“ (BI. 101a bis 116a).
Über die Perſönlichkeit des Verfaſſers habe ich bisher nicht® er-
fahren fünnen. Was die Zeit der Abfaſſung anlangt, jo läßt ſich aus
4. Lehrichriften. 325
inneren Gründen (vgl. unten Seite 332) für die leßte, jüngjte Abhandlung das
Jahr 1480 als jpätejter Termin fejtitellen. — Die Seldenecks waren ein altes
fränkiſches Adelsgejchlecht, eines Stammes mit den Küchenmeiſtern von Norten=
berg. Sie bejahen als Lehen der pfälziihen Kurfürften das Reichserbküchen—
meifteramt und jtarben gegen Ende des 16. Ihdts. aus. Die jept blühenden
Seldenel3 entjtammen einer morganatiichen Ehe ded Markgrafen Wilhelm Ludwig
von Baden (F 1780).
Ob die Wagenburgordnung Phil. v. Seldenef zum Ver—
fajjer hat, erjcheint mir zweifelhaft. Ihr Inhalt wurde bereits mit-
geteilt. [5 28). Vermutlich iſt jie ebenjo überliefertes Gut wie der
deutſche Vegez, und dasjelbe dürfte von der Ordnung der Eid»
genoſſen und der Gemeinen Knete gelten, deren an anderer
Stelle gedacht worden iſt. [$ 30). Bon Seldened jelbjt rühren da-
gegen unzweifelhaft die „Ordnung der Fußknecht zu einem
Feldſchlagen“ und die „Feldbeſtellung“ Her, welche in eine
Ordnung der Reiteret und in eine Abhandlung über die höhere Taftif
zerfällt. Dieſe Dinge find es, welche es hier zu bejprechen gilt.
A. Eine ordenung der fusknecht zu einem feldt-
ihlagenn jn einem flachenn oder breitenn felde.
1. „Eine gefirde ordenung, die jol aljo jein: Zihen 1000 knecht im
felt, jo geburt ſich 100 Mann in ein glitt (eins minder oder mer; dann es jol
almwegen je ein glitt ungerade jein.) . . . “ Beim „Ziehen“ richtet ſich die Zahl
der Glieder nad) der Stärke der vorhandenen Mannſchaft. So marjdieren 3. B.
500 Mann mit 5 Mann im Gliede, 1000 mit 9 oder 11, falld es der Weg er:
laubt. U. zw. zieht die Hälfte der Schüßen voraus; dann folgt die Hälfte der
Spiehe; dann fommen alle Helmparten, in ihrer Mitte das Banner; hieran reiht
jih die zweite Hälfte der Spieße und endlich die der Schügen an. „Vnd war
ein gejchrey fomt, jo jol man die zween theyll der ſpies nebeneinander führen (?)
vnd die heimpartten vnd panir mitten dortinjtoßen vnd die vorderen jchuczen jol
man aud; da vornen behaltenn vnd vff die linde jeytten jtellen, die hinderen
ſchuczen auch aljo, vnd fo ijt die ordenung gleih am gang gemacht, wie
vor ſteht:“
|
Helm: O parten
Fig. 1.
Dieje „gevierte Ordnung“ Seldeneds ijt jeine Normaljtellung.
Sie ijt keineswegs dasjelbe, was im 16. Shot. unter „gevierter Ord—
326 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
nung“ verjtanden wird, nämlich fein Quadrat, weder ein jolches nad)
der Zahl der Mannſchaft, noch ein ſolches Hinfichtlic) des eingenom
menen Raumes (aljo weder „Manns“= noch „Lands“-Quadrat), ſondern
ein Nechted. Denn da Seldenef bei 1000 Mann in jedes Glied
100 Mann jtellt, jo erhält er nur 10 Glieder, und wenn man (wie
üblich) auf den Mann in der Front 3 Fuß, im der Tiefe TYe Fur
rechnet, jo ergibt jich ein Nechtek von 300 Fuß Front und 75 Fuß
Tiefe, d. 5. eine Aufitellung, welche viermal jo breit als tief üt.
Dem entjpricht auch Seldeneds Zeichnung. — Das Fußvolk jest ſich
aus vier Waffen zujammen: Spießer, Helmparten, Schügen und (tie
aus weiteren Angaben hervorgeht) einigen Kurzwehren. Als Feld:
zeichen dienen ein Banner und mehrere Fähnlein. Dieje jtehen m-
mitten des von den Helmparten gebildeten Zentrums der Ordnung;
weiter nach außen folgen die Spießer, und die ‘Flügel werden von
den Schüten eingenommen. Lebtere find offenbar zum zerjtreuten
Gefechte beitimmt, und im Fall fie zu deſſen Durchführung ihre
Plätze auf den Flügeln verlaffen haben, werden dieje von den Spiekern
gejichert, deren Bewaffnung jie zu einer jolchen Aufgabe bejonders
geeignet erjcheinen lafjen mußte. — Sn Seldeneds Zeichnung nehmen
Spießer und Schüßen zujammen nur ebenjoviel Raum ein als Die
Helmparten, welche jomit al3 die Hauptwaffe erjcheinen; doch muß
es auch zu jeiner Zeit nicht jelten gewejen jein, daß die
Zahl der Schügen bei weitem die normalmäßige Stärke
überjtieg; denn er gibt für dieſen Fall zwei bejondere
Vorſchriften, je nachdem der Überihug an Schützen jehr groß
oder minder bedeutend wäre.
2. Hott man dan vill jhuczen, jo mag man halb jpieher und halb
ichuczen neben einander jtellen, doch die ſchuczen vff die linken jeytten. Wo
aber der jchuczen nit als vill ift als die ſpiß, jo mag man die mindern v. jo
vill gelider machen, al® man mag vnd die armbrujt: oder bogenjchuczen dor
vnder mijhen oder do mitten hinein ‚allein tun; vnd war das geſchieht, jo jol
man die banir vnd jenlein freimitten dor eintun. Vnd ein fenlein jun vorzud
vff das zihend (10.) gelit; zu der nachhut auch aljo, vnd vor die banir drew (3)
gelit mit helmpartten und auch drew dorhinder und uff der jchuczen jeytten ein
flügel mit ſpiſen ........ (unleſerlich) . . . Vm die banir einige gelider
mit kurezen wehren, vnd darnach die vberigenn helmparthenn allerwegen im
anderen oder drittenn glitt (darnach man jr vill oder wenig hott); darnach die
ſpies vnd ſchuczen theylenn bis ſie alle vertheyltt vnd verglichen werden. Alſo
iſt die ordnung beſchloſſen.“
4. Lehrichriften. 327
Dieje allerdings nicht eben klare Auseinanderjegung erläutert
Seldened durch eine Figur, welche jene Meinung bejjfer verdeutlicht.
(‚Figur 2.)
Spießer Bei (2.)
o eventuell
unb auch oO = Fähnlein
Schügen- O = Banner.
Helmparten
beimifhung
Spießer ·
flügel
Fig. 2 u. 3. Fig. 4.
3. Wo aber nit jo vill ſchuczen weren, jo jol man die ordenung mit
ſpießen vnd heimpartenn ganz machen vnd aus den jchuczen zween hauffen machen
vnd den einen hauffen dar voraus vff die lindenn jeytten neben die jpies jtellen
vnd do hindern den anderen thehll vff die rechte jeytten (Fig. 3).
Hier iſt aljo die Hauptmafje des Fußvolks (Spieße und Helm—
parten gemijcht) nicht flach, jondern jehr tief aufgeitellt, allerdings,
wie aus einer jpäteren Bemerkung hervorgeht, zu dem Zwecke, nad)
zwei Seiten Front machen zu fönnen. Unter dieſer VBorausjegung
itehen die Flügel der Spießer und Schüßen, welche auf den Flanken
angehängt jind, immer links der Hauptmafje des Fußvolks u. zw.
jo, daß die Spiekerflügel, nachdem die Schügen ausgejchwärmt jind,
den gemijchten Haupthaufen gegen jede Flankenbedrohung, fie fomme
von rechts oder links, durch eine Bewegung aus der Tiefe zu jichern
vermögen.
Dem entiprechend heißt es: „Daß man jich nicht mer bedorffe vmbkehren,
jo find die jchuczen allwegenn vff der linden jeytten und jollen die jpies allwegen
vfigericht jein bi8 man jiehet, wo man jie will angreyfienn. Bnd wenn man jie
angrenfit do vornen am hauffen, jo legen fie die jpis nieder (fällen fie) vor dem
banir, vnd die hinderen jollen ir ſpis vffrecht haben vnd pleyben. Vnd jo man
fie dan do binden angriff, jo feren fie ſich vmb vnd die hinderen jpis niderge-
loßen vnd die vorderen jpies wider vffgehoben.“
328 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
4. „Finden fusfnehteinen vorteyll im felt: waher, graben, berg
oder holez, jo jind die jpißer (verjchrieben, muß der Figur nad „helmparten“
heißen) vff die rechte, die jchuczen vff die linke jeytten nemen, jo lang als die
ordnung ijt, vnd vff der jchuczen ſeytte gegen die banir ein Flügel mit jpihen
vff die kureſt gewer, damit fie jich allerwege mögen ...?... vnd jr jchuczen
möglichjt deden mit den jpißen.“ (Figur 4.)
In dieſer, das Gelände berückjichtigenden Vorſchrift iſt Leider
nicht angegeben, mit welcher Seite jich die Ordnung an das ungang-
bare Gelände anlehnen joll, und auch jonjt wird nicht Klar, welche
Vorteile etwa von derjelben erwartet werden.
Hinfichtlich der anderen Waffen fügt Seldened folgende Be
merfungen hinzu:
„Hott man dan ein vebergejhucz (Feuergeihüg) vnd will das verborgen
juren, jo muß man es in der ordenung enmitten vor dem baner furen; das
dünft mic) auc das beit jeyn. Wan man aber das geſchucz nit verborgenn
furen will, jo joll e8 auch vff der jchuczen jeytten fein.“
„Ist dann ein reijiger Zugf (Reiterei) do, der fan fich jelbjt woll ordnen
dornach das feldt ift oder der plak vnd die ordenung allwegen behalten. Ob des
volds minder oder mer ijt, jollen die hauptleut alliwegen die Zall vberſchlagen, das
jie wißen mit den glidern in der ordnung zu fomen, des jie mogen bejchließen.“
B. Feldbeſtellung der Reiterei.
Wann der Zug ins Feld kommt, jo ift das erite dejien, der „das feld:
bejtellen“, d. h. die digziplinaren und taktiihen Anordnungen treffen jol, daß
er die Kriegsleute auffordert, Ordnung zu halten, gehorjam zu fein und alle
Streitigfeiten zu vertagen. Das muß jehr höflich gejchehen, zumal wenn „erlich
leut“, d. h. Edelleute höheren Ranges, im Haufen find. „Lieben herren
freunde und gejellen u. f. w.“ Dann ijt dem dazu erwählten Manne das Banner
zu überreichen und anzuempfehlen und damit zugleid; Anerkennung und Beijpiel
zu geben. Der ebrlide Mann wird fich bejcyeiden des Banners weigern und
meinen, es jeien bejjere Yeute da; aber e8 muß ihm dann höflich gejagt werden,
daß es bei jeiner Wahl bleibe. Er fann nun das Banner fliegen lafjen oder es
um den Spieß gewidelt tragen, wie man will. Dann werden die Leute mit
Namen aufgerufen, um ji an das Banner rechts, links, vorn und im Rüden
anzureihen und jo Glieder zu bilden, derart, dab das Glied, in welchem das
Banner jelbjt Hält, die Grundlage des ganzen Haufens wird. Dieſer aber wird
im Keil geordnet. Die Glieder vor dem Banner heißen „der Spig“, und in
diefem jollen „allwegen die fedmutigjten fein vnd mit pferd vnd harnaſch am
bejten gerüft; dan an diejelben leytt vill vnd ift aud am fordlidhiten und aud
am erlichſten.“ Im engiten Sinne wird unter „Spitz“ jogar nur das erjte Glied
verjtanden. Hat man taujend Pferde ohne die Schügen, jo fommen in das erite
Glied fieben Reiter und find fieben Glieder vor das Banner zu jepen. Jedes
lied vor wie nad) dem Banner joll zwei Gewappnete mehr haben als das vor:
4. Lehrichriften. 329
hergehende. Überjteigt die Zahl der Pferde taujend, jo bilde man entweder
mehrere Saufen oder verbreitere den Spiß (nehme neun oder elf Pferde ins erite
lied) und hänge mehr Glieder hinter dem Banner an. Es iſt durchaus not-
wendig, dal der Haufe von vorne nad) hinten jtetig breiter werde und eine fejte
„reine und ſchickliche“ Gejtalt behalte „und ſich fein langer vnformlicher zagell“
bilde. „Der hinderen glider yelichs mus zweyer gewopneter mer habenn glei)
nacheinander wie es von der jpiß her angefangen ijt. Alwegen das nedjt glit
binder dem banner zweyer meher dann bei dem banner, dornad aber das nedjt
glit zweyer mer dan das erjt vor jm; aljo mad) e8 vom anfang bis zum hindert
glid hinaus,“
Hat man 200 Pferde zu ordnen, jo find in die Spitz (das erjte Glied) fünf
zu nehmen und mit dem Banner (d. h. einjchl. des Bannergliedes) vier Glieder
zu maden (dann folgen nocd acht oder neun lieder nach), — Bei nur 100
Pferden ordnet man drei in das erite Glied und jtellt das Banner ins vierte Glied.
Reicht die Zahl der Edlen nit aus, um alle Glieder hinter dem Banner
mit jolden zu bejegen, jo nehme man redliche Knechte, die jtarf beritten find und
guten Harnajh haben. — Hit ein Fürjt im Feld, der feinen Befehl hat oder
haben will, der ijt aufs nädjite hinter da8 Banner zu ordnen.
Die eldbejtellung der Haufen ijt eine jehr mühjame und langwierige
Arbeit, deren jich der oberjte Hauptmann nur für den einen derjelben unterziehen
jol, damit nicht zu viel Zeit verloren geht. Die anderen Daufen, welde etwa
noch aufgejtellt werden, Nennfähnlein, Brennfähnlein u. j. w. find in
gleiher Weije wie der Haupthaufe von redlihen und gejchidten Leuten einzu—
richten, denen der oberjte Hauptmann vertraut. — Ueber alle Schützen ijt ein
gemeinjchaftliher Befehlshaber zu jegen, welcher für jede der zwei oder drei Ab—
teilungen derjelben einen Hauptmann bejtellt. Auch den Knaben gebe man
einen bejonderen Hauptmann u. zw. einen Edlen. Dieſem find einige erfahrene
Knechte zuzugejellen; denn es geſchieht nicht jelten, daß bei ſchlecht beaufjichtigten
Knaben zuerjt die Flucht einreißt. „Ein yglider Hauptmann, es jei zum banner,
fenlein, ſchuczen oder anderjt, der Hott jeiner Hauptmannſchaft vnd befelchs ere,
vnd man adt ja, das er jo gejhicdt vnd redlich jey, das er ſolch jeine haupt-
mannſchafft und befelle wiße und fund ausrichten. Dorumb jo tuet man jglichen
bejtellen vff jein Hauptmann zu warten.“
Wenn jo das Feld bejtellt ift, muß den Haufen abermals Höflih und ein—
dringlich die Pflicht des Gehorjams ans Herz gelegt und ihnen die allgemeine
Kriegdabfiht mitgeteilt werden. Dann find Zeihen, Gejchrei und Loſung mit-
zuteilen. Als „Zeichen“ wird Eichenlaub empfohlen, ala Gejchrei „Burgund“, als
Loſung „Unjere liebe Frau“, ald heimliche Lofer „der tegen oder das ſchwertt“.
Beim NReijen (d. h. auf dem Marjche) hüte man fich vor faljcher Sicher-
heit. Es ijt ratjam, feine Ordnung immer jo zu halten, als ob man jtet3 des
Feindes gewärtig jein müſſe. „Veracht nichts; dan aus verachtung kumpt ſchand
vnd ſchaden.“ Mancher ward geſchlagen eh er nur zu ſeiner wehr kam, das aber
iſt ſchmählich. Auch wenn man einmal nicht in der Ordnung reitet, muß doch
jedermann unter allen Umſtänden die Ordnung kennen und wiſſen, wo ſein
330 Das XV. Jahrhundert. T. Allgemeine friegswijienichaftlihe Werte.
Plag it, wenn der Ruf „In die Ordnung !* erihallt. — Um Zeit auf dem Felde
zu jparen, tut man gut, die Ordnung jchon in der Herberge mit Muße aufzu—
zeichnen und jedes Mannes Namen an die Stelle zu jchreiben, wo er jtehen joll. Dies
Verzeichnis nimmt der Hauptmann, der dad Feld bejtellt und richtet jih danadı.
Es find die Yeute zu beitimmen, weldhe voraus, neben und nad
traben follen, um den Zug zu fihern, Örtlichfeiten abzujuchen und den Haupt:
leuten Bejcheid zu geben. Iſt ein Nennfähnlein vorhanden, jo reitet dies
vor dem Zuge, die Schügen für gewöhnlich rechts desjelben, doc, nad) des Orts
und der Umſtände Gelegenheit auch wohl dahinter oder davor. Die Knaben
jollen, weil das wohlanjtändig und höflich ift, beim Marjche vor der Ordnung und
dem Zeuge (d. 5. dem Haufen der Neifigen) reiten, während jie ji im Gefecht
dem Haufen hinten anzujchliegen haben. Indes gilt anderwärts der Brauch), daß
jeder Reiter jeinen Knaben unmittelbar vor ſich reiten läht, damit im Fall plöß-
lihen Angriff3 jeder jeinen Sauptharniih und Spieß ohne Beſchwerung und
großes Gejchrei fchnell erhalten fünne. Aber wenn dann die inaben „aus dem
zeug ruden jollen“ geht es leicht „gar gräuglichen“ zu. Freilich entjteht auch
oft, wenn die Knaben geſchloſſen vorausrüden und von den Edlen und Knechten
zum Wappnen gerufen werden, große Verwirrung. Da will jeder der erite bei
jeinem Seren jein. Zuweilen aber reitet auch je eim Ainappe, jowohl während
des Marſches ald während des Gefechtes, unmittelbar hinter jedem Deren und
wartet dejien aud) im Kampfe jelbjt. Das wird gelobt aber auch getadelt.
Wenn man des Feindes gewahr wird, jo ift er von dem, der das
Feld bejtellt, oder redlichen Mannen zu „beſehen“. Seine Macht, Geichiet (taktiiche
Anordnung) und Ordnung find zu erfunden; es ijt fejtzuftellen, wie viel Haufen
er gebildet, wie ſtark jeder derjelben jei und in welder Anordnung diejelben
ziehen. Wenn jo einer den andern „bejichtigt“ gehört viel Geſchicklichkeit und
Sorge dazu, dag Richtige zu erkennen. Darum iſt es am beiten, der oberite
Hauptmann unterzieht ſich diejer Aufgabe felbit.
So man dann treffen (angreifen) will, jo follen jih die Xnaben
hinter dem Haufen halten und aufichauen, ob einer abgejtochen oder jonjt jeines
Pierdes verlujtig werde. Einen joldhen haben jie aus ihren eigenen Reihen wieder
beritten zu madhen. Die Schützen jollen ſich rechts des Haufens halten, einen
Steinwurf weit entfernt oder weiter und ein wenig vorwärts des Haufen®. Wenn
dann die gegneriichen reiſigen Haufen einander jchier berühren, jo jollen die
Schügen „vberzwerd“ (von der Flanke ber) Hinter der Feinde Banner einjegen,
um den Spit von dem Teil des Haufens hinter dem Banner abzudrängen. Ge-
lingt den Schüten das, jo jollen fie um den Rüden des Feindes herum fich von
links ber gegen da8 Banner wenden, um dejien Umgebung zu „entjdiden”.
Was nun den reijigen Zeug betrifft, jo ijt diejer in der jhon erläuterten
Keilform zu ordnen. Die Schügen find in jeinen Haufen niemals aufzunehmen,
jelbjt bei eiligem Rückzuge nicht; „dan fie fonnen dor in nüchts jchaffen; ſie
jrren jich jelb8 vnd ander.“ Much der befehlsführende Fürjt vder Kriegs—
bauptmann gehört nicht in den Haufen; ihm ijt vielmehr ein bejonderes Ge—
jinde zuzumeijen, das er nad) Gefallen ordnen mag und mit dem er am beiten
4. Lehrjchriften. 331
ſeitwärts-rückwärts des großen Haufens hält u. zw. ſo, daß er einen guten Über:
blict über den Gang „des jchlagens“ hat, um, für den Fall, daß fein Heer aus
mehreren Haufen bejteht, deren Zuſammenwirken beobachten und beeinflußen zu
fünnen. Befehle, welde er den .einzelnen Hauptleuten zujendet: warn und wo
jie treffen (angreifen) jollen, find immer durd) wohlbefannte Männer zu jenden,
damit fie Gehorjam finden und Irrtümer und Entſchuldigungen ausgejchlofien
bleiben. Hält er es für angemejjen, jo mag der oberjte Hauptmann aucd jelbit
mit jeinem Gejinde in das Gefecht eingreifen; immer aber habe er acht darauf,
dab niemand ſich dem Kampf entziehe und feine Flucht einreiße. Geſchieht das,
jo werfe er jelbjt fich ihr entgegen. Zweckmäßig ſei es, bei dem Gefinde des
Feldhauptmanns nod) ein zweites, verhülltes Hauptbanner zu führen; jinfe dann
das fliegende Banner des Haufens, oder reiße es der Feind an fich, jo laſſe zum
Erjag der Fürſt das jeine fliegen.
Den Reiſigen ijt and Herz zu legen, daß wenn fie nad gelungenem
Angriff den Feind durhbroden Haben, ſich jedermann gleich wieder „vff
die rechten handt in die feindt wende [val. ©. 292] vnd veglicher tue als ein
gutter gejell“, aljo nicht auf Beute ausgehe. — Kommt e8 zur Verfolgung, jo
werfe man die Schüßen voraus; wird man gejagt, jo laſſe man fie hinter ſich. Bei
jolhem Jagen fommt alles darauf an, dab man immer wieder Sammelpuntte
ihafft: Fähnlein oder Spieße, auf die man einen Hut oder eine Binde jtedt.
An ſolchem Zeichen ſchare man die Verfolger oder Flüchtigen, bis fie einen regel-
mäßigen Spit bilden, an den jid dann weitere Glieder anjchliegen mögen. Bei
fleineren Abteilungen ift das jogar in der Bewegung möglich, ohne durch Halten
Zeit zu verlieren. So geordnet, mag man aufs neue angreifen, und jeder, der
durch des Gegners Haufen dringt, muß, wie vorher, dem Feinde mit einer
Seitenwendung den Rüden abzugewinnen ſuchen und wieder dreinichlagen, nicht
aber blind drauflogreiten. U. zw. jollen die durchgebrochenen Neifigen Heinerer
Abteilungen von etwa 50 bis 60 Pferden ſich links wenden, weil das jchneller
geht (?); die durchgebrocdhenen größeren Abteilungen dagegen mögen ſich rechts
wenden; „dan ein großer Hauf muß ſich jamithaft wenden“ (und im allgemeinen
galt e8 immer für bejjer, dem Feinde die line Seite abzugewinnen, was durd)
die Rechtsſchwenkung geſchah).
„Thet vns dan der Allmechtig die gnad, daß wir mit den feinden ſchuffen
den ſig vnd das felt behilten vnd reiſig hab gewönnen, ſo ſol vnſer liebe frawe
das beſt pferd ſein vnd des lieben ritter ſant Jorg der beſt harniſch, den haupt—
leuten in aller recht (?) vnd dornach ein gleiche beutt.“ Hieran ſchließt ſich
eine weitläufige, ſchwer verſtändliche Auseinanderſetzung über Beuterecht, auf
die hier nicht eingegangen werden ſoll).
O. Anweijung zur Taftif größerer Abteilungen.
Der zweite Teil von Seldeneds Schreiben an feinen Sohn führt die Über:
ihrift: „Weldtbejtellung vnd Schicklichkeit, jo jie zu meiner zeit
1) Die Reihenfolge der Abſätze des obigen Tertes iſt in einigen Punkten geändert, um das
Bujanmeugehörige zu nähern und dadurch zugleich das Verſtändnis zu erleichtern.
332 Das XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswifienihaftliche Werte.
in Behem, Bolann vnd Preujenn vnd zuletjt in Oſterrych ge
braudt worden.“ — „In diejer land art“ (d. h. in unferer ſüdweſtdeutſchen
Heimat) jo beginnt der Verfaſſer, iſt eS nie gebraucht worden und auch in den
genannten öjtlichen Yändern jeit fünfzig Jahren faum mehr. Es leben wohl
nur wenig oder gar feine mehr, die bei jolhen Ordnungen gewejen jind. Ich
habs aud) nicht gejehen aber davon reden hören, und ich will es mitteilen;
denn obgleich jich die meijten diejer Ordnungen nur mit großer Truppenjtärte
beritellen lafjen, wie jie dem Sohne nicht zur Verfügung jteht, jo läht manches
davon ſich doch wohl verwerten, und überdies ijt ed dem Sohn gut, Dinge zu
wijjen, die nur wenigen befannt find, „jo went man, du jeyjt weyſer vnd geupter,
dan du bijt.“
Wenn man dor den Feinden hält und mit ihnen treffen will, io
gehört es fich, „ein dapfer vnd trojtlich wort zu thun“ vom oberjten Hauptmann
und vom Hauptmann jeder Rotte. „Lieben herren vnd freundt; ich getram dem
almechtigen got vnd bin ganz vngezweyfelt, der almedtig werd vns gnad vnd
jid wider vnſer feindt geben; dan ich jehe jo manden hochgebornen edlen furiten,
graven, herren, ritter vnd knecht mit jolchen erlicdden redlihen dapferen vnd
feden gemudt, das id) an jorg ſehe, jglicher werd jein leip gegen den feinden
nit jparen jondern erlichenn fechtenn, da durch der ſick vnſer werd u. j. w.“ Jeder:
mann joll fünf Paternojter, drei Avemaria und einen Glauben beten.
Bo groß Bolt ijt, empfiehlt es fih, viele Haufen und viel Treffen
gegen den Feind zu führen, zumal gegen dejien „großen Haufen“, damit diejer
jchon in Jrrung und Ungejchid fomme, bevor er mit unjerem großen Haufen
zufammenjtößt. Zu dem Ende ordne man links des eigenen Spipes eine jtarke
Abteilung von Schüßen, die im Augenblid, da der Feind angreift, gegen jeine
rechte Seite und unter feine Spieße ſchießt, auf ihn einjprengt, auf die Spiehe
ichlägt und womöglid in feine Spige eindringt. Solde Schügen heißen „Ber:
lorene Sch üßen“, und fie verdienen den Namen; denn ihr Gefecht zwiſchen
den beiden Haufen ijt in hohem Maße gefahrvoll. — „Gar vill beier wer es,
das die verlorne jchuczen alle hetten handbuchſen vnd damit fundten und mit
qutter vernunfft vff der feindt ſpitzen abſchießen. Kanſtu merden: was die treffen,
man oder ros, das es darnider ging vnd vngezweyfelt deines widertheyls jpi;
wird domit getrennt. Aber gar heimlich; muß man jold bejtellung halten, das
die feindt oder niemann deßen weyſt wird“,
Bilde eine Spieerabteilung von 20 bis 40 guten redlihen Gejellen und
jtelle ſie rechts deines eigenen Spikes oder auch, zurüdgehalten, neben dem
Haufen etwa in Höhe des Banners auf u. zw. in der Weife, dab der Feind
nicht leicht zu erfennen vermag, wie neben dem Haufen noch eine Sonderabteilung
bereit jei. Haben dann die verlorenen Schützen getroffen, jo werfe fich diefe
Abteilung von der anderen Seite her auf des Feindes Spitz. Eine ſolche Ab-
teilung nennt man „die vnder den jchilt gerent“ ; denn ihr Treffen ijt dem Feind
auf der linken Seite, da der Schild hangt und kein Wehr. — Womöglich lät
man jolchen, die als „Borjtatt“ unter den Schild gerennt haben, nod) eine Ab-
teilung zur Unterjtügung folgen. Überdies formiert man lints jeines eigenen
4. Lehrſchriften. 333
Haufens ein Geſchwader, um einem etwaigen Flankenangriffe der feindlihen Schüßen
entgegenzutreten. Dieje beiden Abteilungen heist man „flug“ oder „Flügel“.
it es wahrjcheinlich, daß der Gegner ſich ebenfalls der verlorenen Schügen,
derer, die unter den Schild rennen, und der Flügel bedienen werde, jo verdoppele
man womöglich die Zahl diejer jelbjtändigen Abteilungen.
Soldye Ordnungen find gut und dienen zum Sieg; denn der Feind wird
weich und zerrüttet, bevor er zum Hauptitoß fommt. „Wo vill geordneter hauffen
jeind, do mühen ſich auch vill leut weren; dan do groß hauffen vnd jchlagen
jeind, do wird gewonnen vnd verloren und in denjelben hauffen bleiben alwegen
vill leut, der feiner fein wer thu, auch kein jtreych empfehe; dorumb jo
müßen die das jhlagen gemwynnen, die do vorn vnd am ortt (auf
den Eden) jeindt vnd antreffen, die mühen es vollbringen“.
Bon größter Wirkung ijt ed, wenn man dem Feind inden Rüden
fallen fann; denn hinten ijt jeder große Haufe unverjorgt, und es find da
die mindejt guten Leute eingereidt. Zu dem Zweck empfiehlt es ſich, einen
Hinterhalt zu legen; der in dem Augenblide eingreift, wo vorn der Kampf
entbrannt iſt. Läßt fich das nicht machen, jo halte man hinter dem eigenen
Haupthaufen einen Mleineren zurüd, der ſich zu der Zeit, da fih die großen
Haufen treffen, jeitwärts herauszieht und dem Feinde mit ſtarkem Geſchrei
in den Rüden fällt. Das bringt meiſt äußerjte Verwirrung hervor und entjchict
des Gegners Trdnung. Gegen etiwaiges gleiches Verfahren des Feindes diene
eine zweite jpiegbewehrte Abteilung hinter dem eigenen Haupthaufen. Eine jolde
fann auc einem etwa durcdhgebrochenen Feinde geſchloſſen und friſch entgegen
treten und jie am Rüden oder Flankenangriff hindern, vermag auch der Flucht
des eigenen Haupthaufens zu jteuern. — Ein ſolches Berfahren iſt zu
Roh wie zu Fuß anzumenden; aber es ijt ein Geheimnis, von dem Philipp
v. Seldeneck nur jeinen Söhnen Hans und Friedrid Hunde geben mag. „Ic
bin dabei gewejen, das jold) geihid gemacht ijt worden; aber diegmals fein
ihlagen geichehen.“
Einige medizinijhe Vorſchriften für Mari) und andere Anjtreng-
ungen jchließen das überaus interefiante Buch ab.
8 37.
Die letzte reindeutjche didaktische Schrift über Kriegswejen, welche
bier zu erwähnen bleibt, it ein ſehr merkwürdiges Lehrgedicht, nämlic)
die „Lere, jo Kayjer Marimilian in jeiner erjten jugent
gemacht vnnd durch eyn trefjlichen erfarn man feiner
friegsräth jm zugeitellt tit“.
Würdinger (Kriegsgeich. v. Bayern II. S. 376) nennt dies Lehrgedicht die
Einleitung zur Kriegsordnung des Markgrafen Albrecht Achilles von Branden—
burg v. J. 1474, vermag ſich aber nicht mehr zu erinnern, wo er diejelbe als
jolhe aufgefunden habe. — Gedrudt ward die „Lere“ zuerit im Verein mit
Überfegungen von rontin und Onejander zu Mainz 1524 und 1532 [XVI, 83).
334 Das XV, Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Das Lehrgedicht it einem weilen Alten in den Mund gelegt,
welcher den jungen König unterrichtet und ermahnt. Der erite Teil
der Lehre it allgemem moraliichen Inhalts; ihr Anfang lautet
wie folgt:
„Durdlaudtigjter Edler Fürſt! Wie joll dem zu herrſchen anjtahn,
Thu betrachten, was du bijt und wirft. | Der jich jelb nit regiern fan!
Wie magjt du Gott bedanken immer mer | Des jad) ijt zu herrſchen nit wol gejtelt,
Der vnzalbarlich glüd, gut vnd ehr, Der nichts thut als das jm wol gefelt.
Sp er dir au gnaden verleihen that Das wirt feynem für tugent geacht,
Und für ander menſchen erhöht hat, Der auff niemandts dann jich ſelbs acht.
Als ein Fürft über fein vold zu berrichen. | Thu alles, das du wilt in der welt,
O herr, herr, nit laß in dir erlefchen So das niemandt dann dir gefelt,
Gott's forcht, lieb, treiv und gerechtigkeit, | So ijt es alles umbjonjt vnd neüt
Wahrheit, milde vnd barmberzigleit ... (nidhtig) ..... .“
Später geht der Lehrer auf das fürjtliche Amt der Kriegführung
ein, wobei er zunächjt von der jittlichen Weltjtellung des
Krieges jpricdt:
„Kriegen ijt große ſorgfeltigkeit, | Es jei dann, das Dein zu behalten,
Darzu villerley mie vnd arbeyt Da weer dich flucks vnd la Gott
Mit lauffen, wachen, reiten frühe vnd jpat, | walten,
Vnd weil niemandt, wie es zulegt gerat. | der das bös Vnrecht zu ftraffen,
Wiuil meynjt du, daß friegen ond reyjen | Da jpar nit mie, gut noch waffen.
Mac) armer leut wittwen vnd weyjen? Solch krieg fein Gott nit zu vnmut,
Es geiteht vil leut, gut vnd gelt, Da man niemandts gewalt nod) unrecht
Vnd darzu Gott größlich misfelt; thut.“
Und nun kommen Anweiſungen über Kriegsbedari.
„Vnd zuvor in dem jtud gedenf mein: | — Du muſt haben vil Teut zu fuß vud rof,
Wer kriegen will, do muB groß gelt jein; | Desgleidhen vil puchſen, pulfer vnd ge-
Dann vnder großen hauffen friegsleut | ſchoß,
Hilft wenig gelt ſo vil als neut. Mancherlei kugel vnd puchſenſtain,
Es will niemandts mer kriegen vmbſunſt, Darzu vil roß, wegen groß vnd klein,
Zu erlangen gnad, ehr vnd gunſt Bil hawen, ſchauffeln und ander geſchirr.
Oder den gemeynen nutz zu fördern, Wegweiſer, damit fie nit werden irr. —
Als man vor zeiten that bei den | Uber das geſchoß muß jein voran
Römern. Ein vnerjchrodner, gejhidter hauptmann,
Man findt jeßt unter hundert mit | Zeugmeijter, büchſenmeiſter vnd vil knecht.
einen, Die heben, graben, tragen, krums und
Der nit lieber zehn jöld hat denn keinen, | ſchlecht;
Vnd kan er ſeinen herrn nit betriegen, Damit ſie als die narren vnd blinden
So bedünkt jn, er mög nichts erkriegen. Nit vberfallen werden von den finden.
4. Lehrſchriften. 335
Ber fih von feinem geſchoß lat jagen, | In des feindes heer hab gut fundichafit:
Mus haben den jpott wie andrezagen... | Sparnit fleiß noch gelt zufolcher botichaft,
Mit dem allen ijt es mit genug, Dan ed mag fumen in einer jtundt,
Daß du Hajt leut, geſchoß gelt mit jug; | Daß alles zwiefach herwieder kumbt ...
Sie müßen auch darzu tauglid) jein, Wilt du, daß dein anjchlag wol gerat,
Damit jie dich nit bringen umb das dein. | So halt jn heymlich in deinem rat!...
Dann, welcher mit bajen hundt will Bor zeitten wos das ein groß lob
faben, | vnd ehr,
Mag wol jo viel jchaden ald nuß em= | Wer fein feindt lie fommen zu gleicher
pfaben. weer;
— Mit all dein kriegsvolck ſchaffſftdu neut, Ihm wardt abgeſagt bey guter zeit,
Du habſt dann fromm vnd geſchickt | Die hielt man für gut ritterlich leut.
hauptleut, Jetzund iſt der nit ein guter hauptmann,
Den mag man gut vnd ehr vertrawen Der ſein feindt nit mit vortheyl
Vnd auff ire anſchleg bawen, ſchlahen kann.
Die dich nit leychen vnd betriegen Jetzt wirt gelobt vnd gerumbt
Vnd umb deins ſelbs eygen gut kriegen, in kriegen,
Als jetzt geſchicht vilmal in der welt, Der ſein feindt kann vnd weyß
Damit bekummen fie gut vnd gelt... zu betriegen.“
Aus diefen legten Worten Fingt offenbar die Sehnjucht nach der guten
alten Ritterzeit deutlich hervor, die allerdings jo, wie fie den Menjchen des
15. Ihdts. vor der Seele jtand, nie dageweien war. Mar’ mächtig vorwärts
treibende Zeit trug doch ein Janushaupt, und es ijt das eine Antlip desjelben,
das rückwärts gewendete, welches uns hier mit biederer Treuherzigfeit anjchaut;
aber glei) darauf blidt das andere hervor und rät, fich in die neue Art
zu ſchicken.
Nun folgen Disziplinarvorjchriften: die Mannjchaft joll
in guter Ordnung, Zucht und Furcht erhalten, QTagdiebe und böje
Buben jollen geitraft und fortgeichiett werden. Dann aber wendet
der Lehrer jich der Betrachtung der Feldſchlacht zu:
Wilt du did im feldt in ein jchlaht | Dann das glüdsrad ift mißlich und gar
geben, rundt,
So wad) de platz vnd der gegend | Mag jich offt umbferen in einer jtundt. —
eben ;
Iſt's möglich, erfunde des feindts macht, Dein feldt geſchütz orden zu voran;
Vnd jn mit nichte jpar noch veradt. Hab die leut, die wihen mit umzugan ;
Dann verachtens hat mannid) her umb- Es iſt den feindten erger dann gifft,
bracht Zuvor wo man recht vnder ſie trifft.
Darum biß in dem allezeit wol bedacht. Es iſt kein erſchröckener Ding auff erdt,
Nimb war, kanſt du den platz ſo finden, Da hilft kein weer, harnaſch noch pferdt.
Daß man dich nit angreifen mag hinden. — Iſt deines reiſigen zeugs nit
Dein vorteil vbergib nit leichtlich; | zu lüßel,
Keins künftigen glücs vberhebe dih; | So verorden ein theil zum jcharmüßel.
336 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Die andern laß dann Hinfür brechen Es ſchickt fich zu zeiten nit übel,
Bnd vor dem fußzeug rennen undstehen; | Daß man heuffen madıt,haihendieflügel.
Dann fie mügen leiden mannichen ftoß, | Man mag fie auch wol teilen in zween
Haben fie gut harnaſch vnd ro. bauffen
Es jeindt auch vnter jnen vil edelleut, | Und jie beyd dem feindt zu jchaden laßen
Die böſer hertz haben als ſonſt ſchlecht lauffen.
leuti); Es iſt im feldt gar ein glückliche ſtundt,
Wiewol einem jeglichen zu vertrawen, | Soeinhauffdemandern zurecht hilf kumpt.
Noch iſt mer auf den adel zu bawen. Orden die ding mit deiner hauptleut rat,
Jr fodern vnd nachlomen eer wirdt bes Daß dir vnd jnen der feindt nit jchadt.
tracht, Wann man fumpt zuderrechten jchlacht,
Darauf der jchleht wenig bamwet und | Berman dein volt, hab dein jelb3 adıt.
acht. — Ob die deinen würden liegen nieder,
Laß dir deine Ordnung machen beiguterzeit | Das magjt du hernach bringen herwieder.
Beſſer iſt geharrt, denn übereilt im jtreit-
Zu forderten gliedern laß auserlejen ?),
Die freydig vnd mer im frieg jein gee | Du magjt ir mer als eyne geben.
weſen. Solt dir aber etwas mislingen im ſtreit,
Dann darnad) ich die förderjten halten | So hätten die deinen böſe zeit;
und jtehn, Würdeſt du umblommen oder fterben:
Demnad) richten jich die zu hinderjt gehn. | Wär manchem landt vnd leut verderben!
Beitehn die fodern wol vnd Ritterlich, Fürſten, an den vil vnd groß gelegen,
Denn dir ijt nit an eyner ſchlacht ge-
legen;
So fechten die hindern dejto fedlid); Sollen ſich nit fo liderlich geben
Dann der erjten treffen, ſchlahen vnd jherz | Mit jrem leib in ſolch jorgfeltigfeit;
Iſt beyderthail Hoffnung vnd herz. — Dann daraus fompt vil not vnd übel zeit“.
Dieje Weisheit ift nicht gerade auf fruchtbaren Boden gefallen. Das Gedicht
predigt die weile Zurüdhaltung des fürjtlichen Feldherrn, und doch bat ſich
niemand lieber und leidenjchaftliher ins Kampfgewühl gejtürzt als War, der
legte Ritter. Man denfe nur an die erjte Schlacht auf Guinegatte! — Intereſſant
find die Vorjchriften über da8 Verhalten bei Gewinn oder Berluit
der Schladt:
„Ob der feindt würd weichen oder fliehen, ı Vnd du der ſchlacht möchſt Haben nachthayl
Lak jm mit guter ordnung nachziehen; | Schem dich nit, zu fürkommen vnheil;
Nit lab dein vold die ordnung zer | Zeuch wider zurüd an gemijie jtell.
trennen; Gott geb es; jag ein jeder, was er wöll.
Lab jm nur eplich heuffen nacdhrennen; | Nit wag leichtlich dich vnd dein leut durch
Ob fie fi) wider würden umleren, rum noch zorn.
Da du dic) möchtſt am jchaden weeren. | Biß wol bedacht: mag's heut nit jein,
Ob aber ſich vordem begeb, fo gejcheh es morn.
Daß der feindt jterfer im feldt leg Vnd magjt du mit wider zurud feren,
1, „Böfe” heißt bier lampfluftig, „Ichlecht” foviel wie gering. Schon zwei Jahrzehnte nad
Veröffentlichung des Lehrgebichtes jcheint „bös“ aber nicht mehr in diefem inne verftanden zu fein;
denn man findet den Vers abgeändert: „Die (edelleut) feindt gemein mer gewandt zum fireit”.
2) Yet ift, nachdem Artillerie und Reiterei beiprochen worben, vom Fußvolke die Rebe.
4. Lehrichriften. 337
So bedent, wie du dic ſunſt magjt | Bis dir fomt rettung oder entihüttung.
weeren; | (Entjag.)
Mit graben, verzeinen brauch alt und ; Darzu die wagenpurg waren gut,
jung Die man vorzeiten hat in Hut.“
Treffend iſt die allgemeine Bemerkung:
„Mankannnitalledingratenvorder Zeit; | Es ijt nit allweg gut zu langer rath,
Man muß auch tun, darnad) es fich ergeit. | Man kompt zu zeitten vil zu jpat.“
Nur ungern wendet fich der Lehrdichter dem Belagerungs-
friege zu; auch hier wirft er einen bedauernden Blick auf die Vor—
zeit, in der, feiner allerdings irrtümlichen Meinung nad), die Feld—
ichlacht faſt ausschließlich geherricht und jchnelle Entjcheidung herbeis
gerührt habe.
„Es iſt auch nit alls an der ſchlacht —Was man von dem ſtegreyff jtürmen will,
gelegen; Das thu in eill, geheim vnd jtill.
Man mus fich jegt gar jeltzam frieg | Vnd darzu weih ich fein beier rath,
geben. ' Denn wer verjtandt vnd gute kund—
Vorzeiten ftund der fünig herz vnd macht ihafft hat.
Im feldt auff ritterliche that und ſchlacht, ... Hab acht, damit du dich befleiht,
Damit nit ſouil landt würden verheert | Daß du zuvor die weer zereiht
Und die armen leut verderbt vnd zerjtört. Mit deim geſchutz, fewerwerckh vnd pleiden;
Da erkant man ritterlich herz vnd hand; Nöt ſie, das nit mögen leiden.
Man focht da nit hinder der mawer Auff der mawern dein Handtgeſchütz
vnd wand. Treibs von jren ſtenden, bringt großen
Aber man hat ein andern ſinn erdacht, nütz. —
Vnd ſouil ſtarker ſchloß vnd ſtätt gemacht, Hab all deins zeug jelber gut acht,
Daß man ſie daraus mit mue bringen mag; Daß nit die leittern zu kurz gemacht
Dahinter iſt ſicher beherzt vnd zag. Werden; damit verſaumpt wird vil;
Es ſteht gar oft vnder der großen mawer Koſt leut vnd gut, wers merken will. —
Ein anmächtiger böſer verzagter bawer, Gibt dir nun Gott die gnad des ſigs,
Der eynem nit dörfft ein böß Wort geben, Daß du im ſturm obligſt
Stilt eynm ritterlichen mann ſein leben; Vnd gewaltig wirſt des ſchloß oder ſtatt:
Vnd mit großer arbeit, koſt und ſchaden | Wer da nit weerhafft in der tat
Mag man den jchelm faum herausjagen. | Erwürgt wirt, den tu verjchonen,
— Schloß vnd ſtätt beleger bei jeiner zeit; | Es jein weib, find oder mannen !!)
Dann der winter darzırfein fürdernußgeit. | Vergeuß nit vnſchuldig blut;
Nimb zuvor war die gegent umb die jtatt, | Dann das bringt gar jelten qut.
Was mawern, thürn vnd graben das } Dann wo erbarmung jcheint bei gewalt,
rumb gabt; Des Lob vnd ehr wirt gewonlid alt. —
Zug auff der waherfluß gelegenheit, In allen dingen gib Gott die ehr,
Ob jie fein grundlos, jchmal oder breit. | Von dem kompt glüd vnd der jig her.”
— — — —
1) Dieſer ſüddeutſche Keim gefiel in der Folge nicht mehr. Der Vers lautet 16555: „Wer ſich
mit weret, den thu man verichonen ; e8 fein mweib, finder oder mannsperſonen“.
Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 22
338 Das XV, Nahrhundert. I. Allgemeine friegswifjenichaftliche Werke.
Den Beſchluß der „Lehre“ macht eine bemerkenswerte, warme
Empfehlung des Studiums der alten Kriegsichriftiteller.
„Roc eins rath ich mit trewen, | Iren titel vnd gejchlecht gezirt,
Volge du mir, wirt did) nit gerewen: Das ir nit mer vergejien wird.
Mit fleiß jo lies der alten that — Den volg man nad; das iſt mein
Ir mannlid handlung, eer und jtat, leer,
Damit fie jn vnd jrem jtammen Sp wedjt dein lob, glud, jig vnd
Haben gejtifft ewigen namen, eer!
Diejer Empfehlung der Alten entiprechend, erichten, wie jchon
erwähnt ward, die „Lere“ zuerit als dritter Teil eines Kriegsbuchs,
deffen vorhergehende Teile Berdeutichungen Frontins und Onejanders
bringen. Das Gedicht jcheint jehr gefallen zu haben; denn es wird
wiederholt abgedrudt (3. B. in dem 1534 und 1552 bei Egenolph
verlegten Handbuche [XVI. S 16]), und es findet auch noch in die
nambaftejten Sriegsbücher der zweiten Hälfte des folgenden Jahr:
hunderts Aufnahme: jo bet Herzog Albrecht von Preußen und bei
Frönsperger. [XVI. 8 23 und $ 32]. — Erwägt man die Doppel-
jeitigfeit der Empfindung des Poems: Klage um das dahinjcheidende
Nittertum neben entjchloffenem Ergreifen der Wirklichkeit, jo erjcheint
e3 fait wie ein Denkmal des Geiſtes Marimilians jelbit.
Könnte man diejen doch mit gleichem Nechte wie den „legten Ritter“
den „erjten Soldaten“ nennen. In jeiner ganzen Lebensführung tritt
dieje Doppelnatur hervor. Der Fürjt, der jeine höchjte Ehre in
virtuojer Darlegung perjönlicher Kampftüchtigfeit auf dem Turnier—
plage jucht [S$ 53), iſt zugleich der Förderer, wenn nicht der Schöpfer
des modernen deutjchen Fußvolks, zieht mit dem Landsfnechtsipiehe
auf der Schulter zu Fuß in Köln ein und verjchmäht es nicht, Sold
und Zijchgeld von der englischen Krone anzunehmen. Der Fühne
Gamsjäger, der ſtolz darauf it, Armbruft wie Handbogen mit un:
vergleichlicher Meiiterichaft zu führen, ift doch der erite Fürſt,
welcher den „Stahl“, d. h. die Armbruft, zu gunſten des Feuerrohrs
von der Mujterung und damit aus dem Kreiſe der amtlich anerfannten
Kriegswaffen ausjchlieit, und tut fich als einer der fenntnisreichiten,
ja leidenjchaftlichiten Artilleriiten hervor. — Unzweifelhaft verdankt
das deutjche Kriegsweſen den Anregungen des oft weitblidenden Katjers
nicht wenig; jeine organiſatoriſchen Verſuche wurden z. T. bereits be
ſprochen 8 32] oder werden es noch [X VI, 8 74], und die artillerijttiche
4. Lehrichriiten. 339
Geite jeiner Tätigkeit iſt ebenfalls noch näher zu beleuchten [S 66]; aber
durchgreifende Erfolge vermochte Max doch nur in bejchränftem Maße
zu erreichen, weil der jchwerfällige Apparat der Neichskriegsverfaflung
wie der des diterreichtiichen Ständewejens es unmöglich machten,
grumdjägliche Reformen auf Me Dauer durchzuführen, und wohl aud)
deshalb, weil die Doppelnatur dieſes „Romantifers auf dem Throne“
ihn, wie auf jo vielen anderen Gebieten, jo auch auf dem des Kriegs—
wejens, an folgerechter Durchführung unternommener Pläne gehindert
hat. Mit bemerfenswerter Selbjtkritif äußert ſich Maximilian hierüber
in jeinem Memorienbuche folgendermaßen: »Rex in Rebus bellicis
multo plus audivit quam vidit. Etiam plus attemplavit quam
fecit; quia fortuna (vult?) —«
S 38.
Seit der mit den Sreuzzügen beginnenden zweiten Periode des
Mittelalter8 war die Bedeutung Franfreichs für humane Bildung
und Literatur hoch geitiegen. Der burgundiiche Hof verpflanzte dieje
Tendenzen nach den Niederlanden, welche überdies jelbjt durch die
Kreuzzüge, insbejondere durch die dynaſtiſche Verbindung Flanderns
mit Byzanz, jtärfere Anregungen gleicher Art empfangen hatten, als
das binnenländiiche deutſche Neih. Von hier aus verbreitete die
Strömung ſich jchnell über Niederdeutjchland, namentlich an den
Unter-Rhein. Das von außen Eingeführte verſchmolz mit inländischen
Stoffe, mit inländischer Art zu einem neuen ſchönen Ganzen, und
zumal die Herzöge von Gleve wetteiferten mit ihren burgundiichen
Bettern in literariichen Bejtrebungen und bibliographiichem Luxus ?). —
Dieſer Dinge gilt es eingedenf zu jein, wenn man die wohlgeordnete,
echt wiſſenſchaftliche Form jenes Kriegsbuchs bewundert, welches „der
durchleuchtige hochgeborne Herr und Fürſt, Herr Philipp, Herzog
zu Eleve, Graf von der Mark, Herr zu Winnental und zu Raven—
jtein“, verfaßt hat.
Diejer reihbegabte Fürjt, um 1460 von Beatrix v. Coimbra geboren, waltete
ichon 1478 als burgundijcher Statthalter von VBalenciennes und bewährte ſich in
den flandrijchen Kriegen des Erzherzog Marimilian gegen die Franzoſen
als treffliher Führer. Insbeſondere zeichnete er ji bei der Belagerung von
ı) Ihre Bücherihäge find völlig zeritreut worden. Gin Teil derjelben gelangte infolge der
Bermäblung Sibyllend von Eleve mit dem Hurfürften Johann Friedrich (1527) nad Sachſen und findet
ih jest in Dresden, Jena und Gorha.
D)#
340 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Benloo aus, und gleich) darauf nötigte er als oberjter Feldhauptmann des bur=
gundijch-öfterreichiichen Heeres die aufrührerifchen Liütticher mit ebenjoviel ÜÜber-
legung als Entjchiedenheit zur Unterwerfung. In der Folge jedod) trat er in
dad Lager der Gegner Marimiliand und behauptete jih lange Zeit zu Brüſſel
mit Geſchick gegen Herzog Albrecht von Sachſen. Als endlich Dfterreih-Burgund
mit Frankreich Friede ſchloß, zog der reich begüterte Philipp abenteuerlujtig an
der Spite einer Schar meiſt franzöfifcher Edelleute den Benetianern zu Hilfe
gegen die Osmanen. Ein auf Gephalonia unternommener Handſtreich ſchlug
jedoh fehl; ein Orkan warf den Herzog an die calabrijche Küſte. Er kehrte
beim, trat in franzöfiichen Dienst, fungierte jeit 1499 als Gouverneur von Genua
und wurde duc de Nevers, »premier exemple d’un 6tranger, créé duc et
pair«. (Boltaire.)
Bei der Thronbefteigung Louis X. i. 3. 1498 hatte Bhilipp
dem neugekrönten Herrn eine von ihm verfaßte »Description de
la forme et de la maniere de fonduire le faict de la
guerre« überreicht. Später, wahrjcheinlich 1506, als Erzherzog
Karl Herr der Niederlande wurde, widmete Philipp auch dieſem
Fürſten jein Werf u. zw. ebenfalls in franzöjiicher Sprache, offenbar
in der Abjicht, durch diefe Huldigung ſich mit dem Haufe Ofterreich
auszujöhnen, das eben mit jenem Karl zu jo univerlaler Größe
emporjtieg. — Philipp jtarb 1527.
Über den Verbleib de8 Widmungseremplars an Loui® XII. weiß
ih nichts. VBielleiht war es das fchöne im St. Omer gefundene Manuifript,
welches um 1840 dem General Bardin zu Paris gehörte. Ein minder wohler-
baltenes bejigt die franzöfiiche Nationalbibl. (No. 4653); diefem ijt ein livre du secret
de l’artillerie et de canonerie angehängt. [$ 60.] Das dem Erzherzoge über-
reichte Exemplar befindet ſich mit noch fünf anderen Kopien in der Wiener
Hofbibl. (No. 10899— 10902, 10949, 10981). Wahrjcheinlih aus Philipps eigenem
Bejige ftammt das der Bibliothek zu Jena gehörige Eremplar. Die kal. Bibliothet
in Hag bejigt ein jchönes franzöfiihes Manuftript aus den erjten Jahren des
16. Ihdts. (t. 314), über welches der Marquis de Chajteler in den M&moires
de l’acad&mie de Bruxelles (t. IV, p. 33) gehandelt hat.
In der Widmung an den Erzherzog, welche überjchrieben iſt »Qui a emu
l'aucteur à escripre ce traict6« bemerft Philipp »cognoissant que d’orese-
nauant ie deuiens vieil, parquoy ie crains que la puissance de vous pou-
uoir faire service, dont i'ay le coeur et vouloir, ne me faille.... jay
mené le mestier de la guerre desma ieunesse jusques à ceste heure: la
ou j'ay veu beaucoup de gents de bien, sages et vertueux & la conduicte
des armes, lesquels i'ay mis peine de regarder et aprendre les choses, que
je leur ay veu faire; non pas que i’aye retenu la dixiesme partie; mais
tant peu qu’il m'en est peu demeurer en memoire, veuil bien mettre peine
de vous rediger par escript, ainsi que pour une briefue instruction de
4. Lehrichriften. 341
toutes manieres de guerroyer .... par consideration que ma vie ne peult
estre de si longue durde, que pour vous servir en ces choses ici . ..«
Das flingt wie die Rede eines alten Mannes, und Frönsberger überſetzt dem-
gemäß auch „Nacddem ich nunmehr zu einem fchweren Alter fomme“ u. ſ. w.
Bar Philipp aber wirklich um 1460 geboren, jo zählte er 1506 doc) erit 46 Jahr.
Vielleicht übereihhte er den Traktat erjt zu Achen bei der Kaijerfrönung i. 3. 1519;
vielleiht war er aud) früher geboren, als man anzunehmen pflegt.
Sehr bald jchon wurde Philipps Werf verdeutjcht. Die
handjchriftlichen Uberjegungen führen den Titel: „Kurtzer bericht der für-
nembjten Mittel, Wege vnd Ordnung von frieg zu land und waßer...
Gemacht durch ... Herrn Bhilippjen, Herkogen von Cleff... vnd
dem... Garlen V. zu anfang jeiner Regierung gegeben. Aus dem
‚sranzöjiichen in das Teutſch gebracht“. — ES erijtieren mehrere
Manujfripte der Verdeutjchung.
Bemerkenswert ijt der aus Herzog Philipps eigenem Befige herrührende
Sammelcoder der herzogl. Bibl. zu Gotha und mehr nod) das Prachtexemplar
aus anſpachiſchem Fürſtenbeſitz in Erlangen (ms. 1620)9. ber die Münchener
Codices bavar. 1682 fol. und 2879 qu. hat Mone im „Anzeiger für Kunde des
deutſchen Mittelalters“ 1839 S. 113 berichtet. Die handſchriftliche Verdeutſchung
in einem Sammetbande des Berliner Zeughauſes (ms. 11) von 1550 iſt offenbar
zum Drud vorbereitet und auf Jlluftrierung angelegt; doch befinden ſich an Stelle
der Zeihnungen nur Zettel mit Angabe des darzujtellenden Gegenjtandes. Andere
deutſche Manujfripte bewahren die Bibliotheten zu Dresden (E. 117), zu Heidel-
berg (cod. palat. 132 v. 3. 1566) u. zu Caſſel,
Gedrucdt wurde das Werk erit lange nach Philipps Tode u. zw.
unter dem Xitel »Instruction de toutes manieres de guerroyer
tant par terre que par mer et choses y servantes. (Paris 1558) ?).
Eine zweite Auflage erichten 1583, eine dritte fünf Jahre jpäter.
Deutjch iſt der Traftat, jeinem wejentlihen Inhalte nad in der „Kriegs—
Regierung“ des Grafen v. Solms wiedergegeben. [XVI. $ 22.] Der Graf zog
diefe Form der Verarbeitung des Inhalts in fein eigenes Buch vor, um „dem
löblichen vnd verjtändigen Kriegsfürſten fein ehr vnd arbeit jelber zu laſſen“ und
damit man erfenne, daß „die hohen jtende, als die Fürjten, folder ehrlicher,
manliher jahen vnd Regierung jich angenommen vnd bejlihen haben... Vnd
wiewol ſich diefe borgundifche Ktriegsordnung ... .. mit vnſer Teutſchen nit aller-
dings vergleicht, jo ijt fie doch nit zu verachten.” — Einen leider jchlechten
Auszug hat Fröndperger in den II. Teil feines „Kriegsbuchs“ aufgenommen.
1) Sieben prachtvolle Miniaturgemälde veranihaulichen : Den ſtriegsrat, eine Belagerung (Stadt
mit feinen ftumpfmwinfligen Baftionen und z. T. zurüdgebogenen SHurtinen), einen Heeretzug, eine nad
mittelalterlicher Urt befeftigte Stadt, bie Erjtürmung einer Breſche, eine Schladht und eine Seeſchlacht.
7, Ein Eremplar in der gl. Bibliothel zu Berlin (H. v. 28020. 89).
342 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
[XVI 8 32.] Derjelbe beweijt, wie jo vieles andere, daß Fröngperger gar feinen
Sinn für die Unterjcheidung des Wejentlihen vom Unweſentlichen hatte.
Philipps Kriegsordnung zerfällt in zwei Hauptabjchnitte, den
über den Landfrieg und den über den Seefrieg. Der erjtere zählt
68 Paragraphen in 7 Kapiteln und bat folgenden Inhalt!)
1. „Bon den Rattſchlegen der Kriegshandlungen. Urjadhen da-
rumb man friegen mag. Bon den gebotten in einem veldleger ?).“ Es wird viel Nach—
drud auf die Bejchaffung der nötigen Geldmittel gelegt, „dan durch mangl von
der Bezallung geſchicht offt will vbels“. Zu den Beratungen über den Krieg joll
man feine Geijtlihen, Doktoren und Juriften zuziehen. — 2. Bom Beueld des
Conneſtabels oder Oberjten Beldthauptmanns. Ambt des Obriften Marſchalckhs
(mareschal de l’host, bei Fronsperger: Feldmarſchall), des Obriſten Quattier—
maiſters (mareschal des logis) und des Obriſten Prouoſen (preuost des mare-
schaulx). — 3. Vom Leger (Heer). Wie man es verfamlen fol. In was ort
man es aufrihten jol. Von den Lojamentern im Leger. Ordnung ainem leger
zuuerrudhen vnnd vber landt zuziehn“ (nach den Vorjchriften Karls des Kühnen,
der das alles jelbjt geleitet und den Dlivier de la Marche darum „Karl den
Arbeiter” genannt habe.) „Ordnung des geſchütz und wegenn vnd wie man mit dem
leger vber veldt ziehen mueh. Wie man vber die mwafler ziehen fol. Wie man
in mweitten vnd fchmalen land ziehen fol. Wie man ſich halten mueß, wan im
andern (neuen) lager ijt. Wie man die wacht (le guet) im leger bejegen jol.
Wie fih im lerman (Allarm) zu halten. Bon des Obriſten Marſchalckhs Rath.
(Kriegsgericht deg mareschal de l'host). Vom Beueld des Obriſten Prouoſen.
Bon der Prouandt (viures pour l’'bost), Vom Übriften Zeugmaijter im Leger
(maistre de l’artillerie),. Bon dem Beueld; im Generall (de faire visitation
sur les officiers. Der Fürſt oder jeine Vertrauten jollen jich überzeugen, daß
das Befohlene aud) wirklich geichieht), — 4 Von ainer Belegerung. (le
siege devant une ville) Bon der Zujhangung vnd von ainer Statt oder
Fleckhen zu beſchießen. (Comment on doibt faire aproches par tranchis ou
mandes pour estre sur.) Bon der Schang vor ainer Statt. Von dem Aus—
fallen derer, die in der Stadt fein. Bon Prügfhen, die man für ain Statt vber
die Wafjer maht (um die etwa durd einen Fluß getrennten Teile des Ein-
ichliegung&heeres zu verbinden). Von andern Zujchangungen, die man nit vil
braucht KKatzenn vnd Kraniche vnd andere von Holg Injtrumente, die mich vor
nit nutzlich dundhen des gejhüg halben, das man heutigs tags gepraudt.) Won
ainer Statt zu pnndergraben. Bon der Schang Roellanndt, (maniere de prendre
villes par un tranchis roullant, d. h. Bon der Erdwalze, welche Karl v. Burgund
vor Neuß angewendet habe.) Bon im Felſen zu hawen vnd auf wajler zu
ihangen. Waſſer aus dem Graben zu ziehen und ihn auszufüllen. Vom Sturm.
ı) Ich folge dem Wortlaut des Berliner Zeughaus-Eremplares von 1550, vergleiche es mit
Frönspergers Text und füge je nad) Umftänden charakteriftiiche Ausdrücke des franzöfiihen Originals
zum Bergleiche hinzu.
2) „Zeger” bedeutet hier, twie noch heute im Holländiſchen, „Heer“.
4. Lehrſchriften. 343
Wie man jich halten joll beim Anlauf. (I’ordre qu'on doibt auoir a assaillir.)
Wie man ji halten joll, jo ain Statt oder Fledhen mit Sturm gewunnen wurdt.
Bon der Peutt und Lojament in der Statt. Bon dem leger aufzebrechen (des-
logement),. — 5. Bon der Schlacht, nachdem das Land offenn, zwüngenn
oder in ainer laufen ift. Wie man dem Ktriegsvoldh, warn es zur jhladjt fompt,
zujprechen joll. Bon der Wegen vnd geihuß ordnung zu der Schlaht. Von des
fuesvolckhs Schladtordnung. Bon der Schladhtordnung im Treffen. — 6. Bon
der Bejagung. Wadt in der Statt. Bon den ausfpechern vnd Kundtichafitern.
Auf die beuth zu ziehen vnd vmbaujtraiffen vnd ander anforg (De faire courses
devant les villes des ennemis mettre embusches, dresser emprinses pour
surprendre villes.) Wie man ain Statt oder Fleckhen haimlich einjchleichen vnd
einnehmen joll. (La fagon pour prendre place ou ville d’emblee.) — 7. Wie
man jic halten joll wan man belagert württ. Wie man das geſchütz
in der jtatt, jo die veindt Hinzufchangen verwarn joll und von auff ſy zu ſchießen.
Bon der Wacht in der Statt, die belegert ij. (Du guet. Dazu der bejondere
Abſchnitt: De ne dire parolles vilaines aux ennemis et de ne parlementer
auec eulx sans commendement.) Wie man fi vor vndergraben huetten joll.
Bon etliche jterdhe der Statt in der noth. (Frönsperger fagt „in der nacht.“
Darnach jcheint es, als ob er überhaupt gar nicht jelbjtändig überjegt, jondern
ſchlecht abgeichrieben hat.) Wie man fi halten joll wann die veindt den fturm
anlaufien. (Remedes contre les tranchis roullants, bastilles et autres telles
choses etc.)
Das zweite Bud) handelt in ähnlichem Umfange vom Kriege
auf Dem Meere — Dann folgt ein Anhang, welcher eine Koſten—
berechnung für den monatlichen Aufwand einer Artillerie bringt, die
aus 4 Doppelfartaunen (Bafilisfen), 12 Kartaunen (Nachtigallen),
4 Doppeljchlangen (Singerin), 8 Mitteljchlangen (Quartana) und 24
Falkanetlein beſteht!). Endlich folgt der „Bejchluß in des tichters
Namen“, der jich wieder an denjelben Fürſten wendet, dem das
Werf überreicht worden, welcher im franzöfischen Terte durchweg mit
»monseigneur«, im deutjchen mit „Durchleuchtiger Fürſt vnd Herr“
angeredet wird.
Von bejonderem Intereſſe it der taftijche Abjchnitt, aus
dem deshalb hier einige Mitterlungen folgen mögen:
»Si vous auez peu de gents et que ce soit plain pais, mettez vostre
artillerie en rang tout deuant... et qu'ils ayent les pionniers
deuant eulx pour leur faire le chemin .... Il fault aussi auoir deux
bons chiefs pour mener vostre autre carroy, lequel doibt marcher en
deux bandes; les carrois doibuent marcher l'un apres l'autre si pres qu’il
1) In dem Erlanger Manujfript befindet ſich auch biefer Anſchlag. Das Berliner Zeughaus:
Eremplar legt dabei, wie ausdrüdlich bemerkt wird, die i. I. 1550 gültigen Preife zu Grunde.
344 Tas XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
est possible: et doibt le premier carroy de la bande qui sera à la main
gauche ioindre & la derniere piece d’artillerie, et l’autre bande de carroy
doibt cheminer a la main droicte, si loing d’icelle que est à la gauche...
que toute la bataille (que ie vous deuiseray cy apres) puisse passer et
la rencontrer ses ennemis ... Est ce que l'artillerie soit pres assez des
ennemis pour batre: le carroy se doibt arrester et l’artillerie desatteler et
faire son debwir de tirer et debuez auoir mis l’ordre de voz gents plus
d'un iect d’arc en derriere de vostre carroy .... et qui veult, pourroit partir
Vartillerie en deux et en mettre la moyti& au bout du carroy, et est à la
main droicte, de telle sorte que i’ay diet à la main gauche, et entre les
deux bandes de ladicte artillerie laisser l’entree que i'ay dicte dessus.
(d. h. zwijchen dem rechten und linken Artillerieflügel, von denen erjterer rechts
rüdwärts, leßterer linf3 vorwärts der in zwei Zeilen rangierten Wagenburg auf-
gefahren iſt, verbleibt der für das Vorgehn der Truppen notwendige Raum,
derjelbe, um welden die beiden Zeilen der Wagenburg voneinander abitehen.) —
Der Berfajier geht nun zur Rangierung der Truppen über. — Premiere-
ment debuez mettre vos pietons en ordre selon le nombre que vous
auez: c'est à scavoir premierement 50 on 60 couples, que |lon apelle com -
paignons perdus, qui vont deuant sans ordre, et apr&s debuez mettre
4 rangees de picques et puis 2 range&s de halebardes et une en-
seigne auec eulx, et puis apres plusieurs rangdes de picques, selon
que vous en aurez, iusques pres de la moytie. Et puis mettrez tous ces
remanants de vos enseignes et halebardes au milieu et mettrez le
remanant de vos picques apres en ordre comme les premiers. Et quand
se viendra à quatre rang6ees pres des derniers il y doibt pareillement
auoir deux rang6des de halebardes auec une enseigne et 4 rangees de
picques apres. Les halebardes, qui sont au milieu dudiet host (Daufe) de
pietons, doibuent estre couuertes de cost& de 3 a 4 picques d’espes.
Au coste gauche desdicts pietons, en la mesme ordre qu’ils sont,
debuez auoir vos gents de traict en 4 de front, tout de long vos auants
dicts pietons iusques aux derniers; et s'ils estoient plus de 4 de large, il
ne seroit pas bon; car les picques qui sont de costez pour les soutenir
ne seroient pas longues assez pour les soustenir contre choc de leur enne-
mis. (Die Schügen jollen ſich alfo in der Bedrängnis unter die Spiehe des
großen Haufens flüchten und darum nur 4 Mann breit jtehen.)
Et au cost& droict de vos dicts pietons debuez mettre vos cheuau-
cheurs, à scavoir 20 hommes d’armes de front et tousiours 20 ou plus,
selon le nombre que vous auez, et derriere eulx tous les coustelliers et
autres gents de defense qui ne sont pas hommes d’armes. Et vous fault
retenir encores un nombre d’hommes d’armes, que vous metterez deux &
deux, qui se ioindront au dehors des derniers 20 hommes d’armes, qui
coureont d'un coste ces demy lances et coustelliers, et d’autre cost
seront couuerts de leurs pietons. — Üeste diete ordonnance de cheuau-
cheurs doibt marcher ioignant les pietons au cost& droict d’iceulx et ne
4. Lehrichriften. 345
doibuent point se auancer si avant que la premiere rangee des pietons....
Et pourtant sont ils mis si en derriere, que pour auoir autant de course,
qu'il ya de la ou ils sont iusques au premier rang de leurs pietons, la ou
ils doibuent rencontrer, quand et quand et non plustot l’un que lautre.
Et les gents de traict à cheual debuez mettre derriere vostre
artillerie est si ladicte artillerie estoit mise en deux bandes deburiez mettre
lesdicts gens de traict à la main droicte.
... Cest ordre mise derriere tout le carroy n'est pas sans raison.
Car premierement quand vostre artillerie commence à tirer, vous debuez
entendre que aussi feront voz ennemis et que alors vous serez plus loing
de leur artillerie, qu’ils ne sont de la vostre: parquoy n’auront point si
beau vous batre que vous eulx: et aussi que quand gents commencent à
marcher pour combattre, ne doibuent iamais arrester jusques au chocquer.
Et pour ce conseille, que vous soyez hors de vostre carroy derriere et que
vous marchez si apoinct, que vous puissiez venir trouver vos ennemis
entre le bout de vostre carroy, qui est ä la droicte main et l’artillerie et
en ce faisant sera force à voz ennemis de planner deuant vostre artillerie
pour venir & vous, et aura vostre artillerie beau batre à sa volunte. Et
sils sont plus puissants que vous et leur ordre plus au large que la vostre,
touueront & vostre main droicte vostre carroy: parquoy ne pourrez com-
batre que autant de gents que vous estes de front et de voz ennemis qui
seront plus, fauldra qu'ils se mettent en desroy. Et debuez auoir
deux capitaines au derriere de vostre carroy, pour faict à faict que vous
entrez dedans, clorre et redoubler vostre carroy, affin que ne puissiez
auoir affaire que à l'entrée de vostre carroy, là ou vous combatez ...
aussi que nuls de vos gents ne puissent fuyr que par la ou ils combatent:
parquoi ils valent mieulx.«
Überfchaut man die Normaljchlacht Philipps, jo zeigt fich, daß
dee Wagenburg in ihr immer noch eine bedeutende Rolle jpielt.
Nicht zwar in dem Sinne, da von ihr jelbjt aus geftritten wird,
wohl aber in dem einer beweglichen Dedung der Flanken und des
Rüdens. Auch jetzt jind noch Pioniere und Gejchüge mit der Wagen-
burg verbunden; allerdings nicht mehr derart, daß die Geſchütze auf
den Wagen ruhen; aber fie gehen diejen vorauf. Gedeckt werden jie
durch die rückwärts folgenden Schügen, u. zw. links durch jolche zu Fu,
rechts durch berittene. Um die Länge der Wagenburgzetlen ijt die
diesjeitige Artillerie den FFeindeshaufen näher als die des Gegners
unjeren Haufen (vorausgejeßt, daß der Feind nicht ebenjo angeordnet
it, wie wir jelbjt). Abgejehen von den auf den Flügeln agierenden
Shügen ijt die gejamte Mafje des Heeres in nur zwei Haupt—
haufen geteilt: Fußvolk und Reiterei. Das Fußvolk bildet einen host,
346 Tas XV, Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werfe.
der abwechjelnd aus Spiegen und Helmparten zujammengejegt iſt,
doc) jo, daß auf allen Seiten mehrere Glieder Spieher die notwendige
Sicherheit gegen den Schock gewähren. Über das Verhältnis von
Breite und Tiefe der Aufitellung iſt nichts vorgeichrieben. Hundert
bis hundertundzwanzig verlorene Knechte gehen parweije dem Gemalt-
haufen voraus. — Die Neiterei hat im eriten Gliede 20 Reiſige, in
den folgenden ebenjoviel oder mehr (ein Reſt der Keilform). Die
leichten Reiter jchliegen fich den Neifigen an, werden aljo, außer den
Schüßen, nicht jelbjtändig verwendet. Nach links hin deckt den Reiter—
haufen der des Fußvolks, nach rechts Hin ein in tiefer Anordnung |
gebildeter Flügel von Neifigen, der, aufmarjchterend die Flanke fichert.
Auffallend it jchon dies faſt ängſtliche Seitendeden, befremdend aber
geradezu die Borjchrift, daß die Neiterei ich derart zurückzuhalten habe,
dat ihr Schod in der Höhe des eriten Gliedes des Fußvolkshaufens
ende. — Nicht minder vorjichtig gedacht ilt die Art des Gelamtver-
fahrens. Man joll den Feind beranfommen laſſen und ihm nur jo-
weit entgegengehen, dab man an der Stelle mit ihm zujammentrifit,
wo die Hörner der Wagenburg an die vorgejchobene Artillerie ans
jtoßen, welche den Gegner während jeines Anmarjches fortgeſetzt beſchießt.
Sobald jich die Haufen zwiſchen den Zeilen der Wagenburg befinden,
joll diejfe nach Hinten geſchloſſen werden, damit nicht nur die Flanken,
Jondern auch der Nücden des Heeres durch die Fahrzeuge gededt, wie
die Flucht verhindert wäre. Bewegt jich das Gefecht vorwärts, jo
hat die Wagenburg damit Schritt zu halten. Dieje joll zugleich die
breitere Front eines ftarf überlegenen Gegners brechen und die Über-
flügelung unjchädlich machen. — Herzog Philipp bemerft über dieie
Schlachtordnung: »J'ay combatu de ceste sorte a beaucoup plus
grande puissance de gents que ie n’estoye... et en beau pais
plain, et m'a Dieu donne la victoire et m'en suis trouue bien:
et me semble que c'est le plus seur combat, que lon scauroit
faire: toutesfois, il ne plaist par à chacun, pource qu'ils ne
peuuent pas combatre ou fuir à leur volunte; mais de ma part
le trouue bon et seur ainsile — Nur andeutend geht er auf andere
Schlahtordnungen ein. Falls man englijche archiers habe, jo möge
man in die Neihe der »pels« (Sturmpfähle) einige kleine Geſchütze
»orgues« einjtellen. Bet jehr bedeutender Heeresjtärfe, die jih nur
ſchwierig in je einen Haufen Reiter und Fußvolk zujammenfatjen laſſe,
4. Lehrichriften. 347
ohne Verwirrung herbeizuführen, möge man das Heer in auantgarde,
bataille und arrieregarde gliedern. Dabei ordne man die Reiter:
haufen a la facon d’Allemaigne im Spitz, jchtebe die Artillerie noch
vor die Avantgarde vor und lafje immer ein Treffen das andere
debordieren. »Je ne vous scauroy plus que dire touchant l’ordre
de la bataille; car j'en ay veu, leu et ouy parler de tant de
sortes plus hasardeuses et moins subtiles que male.
Auch vom Belagerungsfriege handelt der Berfaffer mit
Einficht und Verjtändnis.
Anſchaulich jchildert er die verjchiedenen Arten der Zuſchanzung, d. 5. der
Angriffsarbeiten, und wiederholt warnt er den Verteidiger vor den jo beliebten
Ausfällen. „Alle ausfell fein geferlic, vmb deswillen, das ein Heiner verlurjt
von irem voldh innen groß vnd ain großer verlurjt den veinden Hein iſt.“ — Auf
den Belagerungsfrieg und auf die kurzen, aber wichtigen Außerungen des Herzogs
bzw. der Verſtärkung mittelalterlidyer Stadtbefejtigungen wird an anderer Stelle
näher einzugeben jein 8 77).
Herzog Philipps Kriegsbuch hat einen lediglich praktischen Zweck,
erreicht diejen aber durchaus. Es it jehr knapp gehalten, zuweilen
jogar aphorijtiich; einige Dunkelheiten würden vermutlich verjchwinden,
wenn die Zeichnungen, welche offenbar urjprünglic) zu der Schrift
gehörten, beigefügt wären. Das Erfreulichite aber bleibt die Un:
mittelbarfeit der Auffaffung, welche nicht zurückiteht gegen die in
Seldenecks „Berzaichnus der Ordenung“; bejtändig hat der Lejende
die Empfindung, einem kundigen wohlverjuchten Fachmanne zuzuhören.
Philipps Description tjt die erſte militärische Schrift, welche ein
Deutjcher in franzöjiicher Sprache abgefaßt hat — leider aber nicht
zugleich die legte. Iſt doch eine Reihe bedeutender kriegswiſſenſchaft—
licher Werfe deutjcher Verfaſſer bis auf Friedrich d. Gr. Hin in fran-
zöſiſcher Zunge geichrieben worden.
8 39.
Aus dem eigentlichen Frankreich jind nur drei allgemein kriegs—
wijtenjchaftliche Werke des 15. Ihdts. aufzuführen. Urheber des erjten,
bedeutenditen, tjt eine Dame, Urheber des zweiten ein Unbefannter;
als Verfaſſer des dritten endlich gilt ein König. Alle drei aber find
durch ein geijtige® Band verbunden; denn jämtlich gehen fie von
Begetius aus. — Das erjte ijt der Livre des faits d’armes
et de cheualerie der Ehriftine de Pifan.
348 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Dieje ausgezeichnete Schriftitellerin wurde um 1365 zu Venedig geboren,
wo Tomajo, ihr Vater, der aus Piſan in den Bolognejer Alpen jtammte, Rat
der Republik war. Als Ehriftine 5 Jahre zählte, folgte ihr Vater einem Rufe
Charles V., des Gelehrten an den franzöfifchen Hof, an dem aud) die Tochter erzogen
und faum fünfzehnjährig einem jungen Edelmanne, Etienne de Gajtell, vermählt
wurde. Das Glück des Pares war von furzer Dauer: König Charles jtarb;
Tomaſo fiel in Ungnade und Armut; bald darauf jtarben auch er und Etienne. Die
2djährige mit drei Kindern zurüdbleibende Chrijtine widmete fih nun, durch die
ungewöhnlic) reihen Bücherfammlungen ihres Vaters und ihres Gatten unterjtügt,
den Studien. Sie begann zuerjt mit ſog. Dictiez, d. h. Heinen Dichtungen
Iyrijcher und epifcher Gattung, und machte damit entjchiedenes Süd. Insbeſondere
erwarb fie die Freundjchaft des Grafen von Salisbury. Diejer, der große Günſtling
König Richards, führte Chriftinens Sohn nad) England, um ihn mit dem eigenen
Spröfling erziehen zu lafjen. Aber Richard wurde von Henry von Lancafter
entthront und Salisbury fiel auf dem Schaffot. Chrijtinen blieb jedod die Gunſt
des englijchen Hofes; denn Henry hatte unter Salisburys Papieren Dichtungen
gefunden, welche die jchöne Frau dem Grafen zugejandt und welche den König
jo gefejielt hatten, daß er die lebhaftejten Verſuche machte, die berühmte Witwe
an jeinen Hof zu ziehen. Auch der Herzog von Mailand machte ihr ähnliche
Anträge; fie aber wollte Frankreich nicht verlajjen, rief aud) ihren Sohn aus
England zurüd und gab ihn an den Hof des Herzogs Philipp von Burgund,
in dejjen Auftrage fie das Leben des alten Gönners ihres Vaters, Charles V.,
zu jchreiben begann. Kaum war jedoch das erite Bud) diejes Werkes vollendet, jo
itarb Philipp; Chrijtinens Sohn verlor feine Hofjtelle, und die gelehrte Dame,
welche damals jchon 15 Bände herausgegeben hatte, welcher jedoch dieje literariichen
Arbeiten ebenjowenig wie die Gunjt der Großen Geld und Gut eingetragen
hatten, befand fich in peinlicher Lage, da fie aud) ihre alte Mutter und arme Ber:
wandte zu erhalten hatte. Im Jahre 1411 gab ihr der König eine Sratififation
von 200 Livres. Ihre Tochter zog fi in das Klofter von Poißy zurüd. Wann
Chriſtine ftarb ijt unbefannt. — Ein merfwürdiges Frauenleben des 15. Ihdts.!
Schon Ehriftinens Livre des faitset desbonnes moe-
urs du sage roi Charles V., das um 1405 vollendet wurde,
enthält, zumal in jeinem zweiten Teile, eine Menge friegswitjenjchaft-
(ich intereffanter Angaben). Durchaus methodiich behandelt jind dieje
Dinge aber, u. zw. in emer für eine Frau geradezu bewunderungs-
würdigen Weije, in dem Livre des faicts d’armes et de
cheualerie, welches die Nationalbibliothef zu Parts (Fonds frang.
no. 603) und in zwei Exemplaren die burgundiiche Bibliothek zu
Brüſſel (ms. 9010 und 10476) in jchön gejchriebenen, reich mit
1) Abgekürzt wiedergegeben in Xebeufs: Dissertation sur l’'histoire de Paris I1I, p. 81—389,
volftändig in Betitots M&moires V und VI und bei Budon I, p. 210 sq.
4. Lehrichriften. 349
Miniaturen verzierten Eremplaren bejigen!). Ein drittes Eremplar
der Bibliothek de Bourgogne (10205) führt Chriftinens Namen nicht,
it aber im weſentlichen identisch mit den andern. — Dies etiva aus
dem Sahre 1410 jtammende Werf (die 1408 gejchlagene Tongerer
Schlacht wird noch darin erwähnt) zerfällt in vier Teile. — Der erſte
handelt von der maniere que dourent roys et princes
du faict de leurs guerres et batailles selon l’ordre des
livres ditz et exemples des preux conquerents du monde. Der
zweite redet selon Frontin des cautelles d’armes, que il
appelle stratagemes, de l’ordre et maniere de combatre et
deffendre chasteaulx et villes selon Vegece et autres
aucteurs et de donuer bataille en fleuues et en mer. Der
dritte Teil jpriht du droit d’armes selon les lois et droit
escript umd der vierte vom droit d’armes en fait de sauf-
conduit, detreves, de marque et puis de champ de bataille.
Der 1. Teil beginnt mit einem Prologe, in welchem jich Chrijtine (xpine)
wegen ihres Unternehmens entichuldigt: »Moy non mie par arrogance ou par
folle presomption, mais admonest& de vraie affection et bon desir du bien
des nobles hommes en l’oflice d’armes suis ennorte apr&es mes autres
oeuvres passdes à parler en ce present livre du tr&s honnöte office d’armes
et de cheualerie«. Dann jegt die Verfafjerin auseinander, dab gerechte Kriege
erlaubt jeien und behandelt im wejentlichen folgende Gegenjtände: Kriegsgründe.
Worauf ein Fürſt bei Kriegsbeginn fein Augenmerk zu richten hat. Warum er
nicht jelbjt den Zug führen und fi den Wechjelfällen des Glücks ausjegen foll.
Über die Anforderungen, die an einen Connejtable zu jtellen find. Waffenübungen
der Alten. Haltung der berühmtejten Kriegsfürjten. Heeresaufbringung (nad)
Vegez). Pflichten des Führers. Belagerung und SHeereszug. (Flußübergänge
und Verpflegung) und andere Kriegsvorjchriften nad) Vegetius. — Rekapitulation.
Der 2. Teil beginnt mit den Stratagematen, bejonders denen des
Scipio, des duc Marius, Julius, Perikles, Pyrrhus, Lentulus, Fabius Marimus,
und jpricht etwas eingehender von den Lakedämoniern, Cäſar, Bompejus u. j. w.
Dann handelt Chriſtine ausführlic (und hier liegt der Hervorragende Wert ihres
Werkes und der bei weiten bejte und jelbitändigjte Kern desjelben) vom Städte-
triege: wie Städte zu erbauen, zu bejegen, zu verproviantieren und auszurüjten.
Vie Feitungen anzugreifen (bejonders interefjant: Ordenance de mettre siege
et ce qu'il y convient pour assaillir tres forte place selon le temps de
present ... . les pouldres et autres estoffes ... Les manteaulx.... Les
Abillemens (Ausrüjtungsgegenjtände), Pierres des canons, Abillemens pour
1) Das Brüffeler Exemplar 9010 ift mit einem Manuſtript des Arbre des batailles zufammen:
gebunden und flanımt aus dem Beſitze des Grafen Charles de Chimay, Chevalierd be Croy.
350 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
assaillir par mure . . . Les engins convenables ainsi que Vegece en fait
dassault et de defendre chateaulx et villes selon Vegere.
In der Einleitung des 3. Teiles jagt Chrijtine, daß ihr geraten worden
jei, von dem Arbre des batailles zu pflüden [M. $ 21). Ein Bild jtellt
dar, wie Chriſtine, die ein kräftiges Gartenmejler in der Hand hat, neben dem
beratenden maistre unter jenem literariijhen Schlahtenbaume jteht, in defien
Zweigen blaue Rittergejtalten fümpfen. Es folgt dann ein Zwiegejpräc mit
dem Meijter, das den Hauptinhalt des Werkes Bonnors refapituliert. Cinige
Punkte, die ſchon in legterem höchſt merkwürdig berühren, werden von Chrijtine
noch jchärfer hervorgehoben; 3. B.: »Si ung estudiant anglois estoit trouvez
es estudes de Paris on semblablement d’autre terre ennemie: si il pouvoit
estre pris et mis a reancon?e Die Berfafjerin entjcyeidet, man jolle ihm nul
grief ne desplaisir maden.
Der 4. Teil behandelt, ebenfalls in yorm eines Dialoges mit dem Meijter
und gleichfall® genau nach Bonnors Borbilde, die Fragen des feudalen Stat
und Völkerrecht es, fowie die des Duelld. — Das Wert jchließt mit den Worten:
»Ce livre nouvel comprent tous les acteurs qui ont traittie de l’art, in-
dustrie et cautelles de guerre. Car en toutes batailles seulent plus donner
vicetoire, sens et usage darmes que force ne multitude de gens mal en-
seignes. Item en la doctrine darmes et trouve quantite de choses qui
ont mestier au commun prouflit. Item qui desire paix si aprenge par art
dobtenir victoire, car nul chose necessaire a cellui quil pense que lui
puisse vaincre.e Dieje Bemerfungen zeugen von einer jehr reifen Auffafjung
ſowohl des Wejens der Kriegstunjt als der politifchen Bedeutung des Krieges.
Nahezu achtzig Jahre vergingen, bevor Ehrijtinens Werf gedrudt
wurde. Es geichahb unter dem Titel L'’art de cheualerie
selon Vegece, traictE de la maniere que les princes doiuent
tenir au faict de leurs guerres et batailles. (Paris 1488). Diejer
Titel nennt die Berfafferin nicht, wohl aber den Vegez, und das tt
der Grund, weshalb man oft auf den Irrtum trifft: der Livre des
faicts d’armes jei lediglich eine franzöftiche Bearbeitung der Epitoma.
Dat dies feineswegs der Fall ijt, wird bereits die Inhaltsübersicht
gezeigt Haben: nicht nur Frontin iſt neben Vegez eingehend benußt,
jondern mehr noch Bonnor, und in den den Belagerungsfrieg
behandelnden Abjchnitten ihres Werkes iſt Chrijtine jogar meiſt ganz
jelbjtändig.
Am interejlantejten find die Anſchläge für die Belagerung einer bedeutenden,
am Meere oder an einem großen Strome gelegenen Stadt, u. zw. nach den
Mitteilungen bochgejtellter Kriegsleute. Offenbar beziehen jie ji auf einen
wirklichen Kriegsfall, vermutlid” auf die 1377 und 1406 geplante Belagerung
von Galaid. Die Gejchüge jind als „große“ und „Heine“ Kanonen bezeichnet;
auch für die legteren werden Steine als Gejchofie genannt; da aber aud 53000 Rip.
4. Lehrichriften. 351
Blei aufgeführt werden, um Kugeln daraus zu gießen, wird wohl ein Teil der
feinen Kanonen aus Lotbüchjen bejtanden haben. Die Zahl der Geſchütze war
248, davon 36 Bombarden, welche hundert- bis fünfhundertpfündige Steine
warfen. Ein bejonders vertrauenswürdiges Ktanon, der Monfort, war mit 150
dreihundertpfündigen Steinkugeln ausgerüjtet. Die andern großen Geſchütze
baben nur 120, die Heinen 300 Kugeln, und außerdem wurden 600 erjt zur
Hälfte behauene Steine mitgenommen. Man erkennt, welde Bedeutung die
‚seuerartillerie bereit8 Hatte und wie jorgfältig man ſie zu einer großen Inter:
nehmung vorbereitete. — In andern Punkten folgt die Berfajierin dem Vegez, fo in
Bezug auf die vignes (vineae), die bei ihr ganz diefelben Abmeſſungen haben
wie bei dem Römer, die Chriſtine jedoc vorzugsweije zum Untergraben der Mauern
beftimmt. Auch bei Bejhreibung des Minenangriffs hält fie ſich durchaus, mehr
ald Egidio Kolonna [M. $ 19), an Vegez. Sie jchildert auch den pluteus,
einen fahrbaren Schirm der Alten, der oft in den Ikonographien des 15. Ihdts.
dargeftellt ift, verbreitet jich eingehend über die zum Sturme notwendigen Leitern,
über die zum Angriffe erforderlichen Armbrujte und bringt überhaupt eine Menge
der wichtigiten und belehrenditen Einzelheiten. Dennoch verzichte ich auf weitere
Auszüge, weil die interefjantejten Stellen leicht zugänglich wiedergegeben find in
Louis Napoleons Etudes sur le passe et l’avenir de l’artillerie. (I p. 17.
25. 28. 29. 38. 43. 45. II p. 3. 8. 13. 14. 20. 28. 30. 37. 47. 63. 64. 69. 71.
DI p. 126. 127.)
Ein Jahr nah dem franzöſiſchen Drude erjchien bereits eine engliſche
Überjegung : A book of Christine of Pyse drawn out of Vegecius de re
militari, translated from French into English by the command of Henry VII
by W. Caxton (Rejtminjter 1489). Der eigentlihe Titel lautet: The fait of
armes and chyvalrye. — Whiche translacyon was fynysshed the viij day
of juyll the said yere and enprynted the xiiij day of juyll next following«.
Das Buch ijt überaus ſelten; e8 wurde zulegt für 336 Piund St. verfauft.
Ein Beitgenofje Ehrijtinens war der berühmte Marjchall Jean
le Meingre de Boucicout, der den Beinamen le philosophe d’armes
führte. So tief er aber auch über die Kriegsangelegenheiten nachge-
daht haben mag: die Ergebniffe feiner Meditationen find für die
Wiſſenſchaft verloren; denn er hat nichts Schriftliches hinterlaſſen;
auch die interejjanten Denfwürdigfeiten, welche ein Zeitgenofje des
Marichalls verfaßte und Godefroy unter dem Titel »Livre des faitz
de Jean Bouciquaut« herausgab (Paris 1620) laſſen uns im jener
Hmficht im Stiche.
S 40.
In die Zeit der jchweriten Kämpfe Frankreichs mit England,
etwa in das Jahr 1425, fällt die Entjtehung einer Abhandlung über
»La maniere selon l’usance du temps pnt (present) de
352 Tas XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
arrangier ost en champ pour combattre«e, deren Hand:
ſchrift die Nationalbibliothef zu Parts bewahrt. (Fonds franc.
no. 7076). — Der wejentliche Inhalt lautet wie folgt '):
»Comme "Vegece mette plusieurs exemples et manieres darrangier
ost Heer) en bataille (si comme dit sera cy-apr&s) lesquelles peut-estre sont
en aucunes manieres differentes des ordonnances du temps pr6sent; la
cause est par aventure pour ce que commundment se combattoient adonc
les gens plus à cheval qu’ä pied, et autre si comme il ne soit quelcongue
chose et ordre des humains qui par espace de temps ne se mue et change,
me semble bon toucher en brief des ordonnances communes du
temps present, si que comme assez est scu de ceux qui armes exercent.
— C'est à scavoir faire son avantgarde de longue étendue de gens
d’armes arrangdes omnement serr&s ensemble, et que l'un ne passe l’autre,
les meilleurs et les plus élus au premier front; les mar&chaux avec eux
empres les etendarts et bannieres; et fait-on-esles (Flügel) aux costes, devant
esquelles est le trait, tant cannonniers comme arbalestiers et archiers
arrangies. (Die Ähnlichkeit diefer Anordnung mit der Philipps von Cleve ſpringt
in die Augen!) Apres la premiere bataille vient la grosse bataille, oü
toute la force des gens d’armes est mise, arrang6es tous par les ordres de
leurs chevetains (Hauptleute), leurs bannieres et enseignes levees. — Le
connestable fait crier sous paine du chief que nul ne se desroutte, et
dient aucuns, que se quantite de gent commune y a, que on doit
diicelle gent efforcier les esles des cotes par beaux rens par derriere le
trait, et que commis soient à bons chevetains; et aussi les mettre au de
vant de la grosse bataille si que se fuir veuillent que les gens d’armes
de apres les en gardessent. (Man jicht, wie nebenſächlich und mißtrauiſch
hier das Kommunalfußvolf betradytet wird!) Au milieu de la grosse bataille
est mise le prince de lost (im Gegenjaß zu der viel weijeren Anordnung
bei Seldened), la principale banniere devant soy, en laquelle est le regard
de la bataille.... — Apres vient la tierce bataille, que l'on dit arriere
garde, laquelle est ordonnee, et par derriere icelle sont les varlets des
chevaux qui aident les autres si besoing est ... et ils font estache (Ber:
pfählung), que par derriere on ne viengne envahir la bataille.... Si
assez y a gens d’armes et si on se doubte que par la (b. h. von hinten ber)
venissent les ennemis ... il faut faire une autre bataille qui le
dos a tourne& vers les dites batailles...
Et conseillent aucuns experts d’armes (quoique cette die maniere
d’arrangier ost soit la plus commune) que quand il avient, que l'on n’a
une trop grant quantit& de gens de commune mais plus de bons gens
d’armes, que toute l'’assemble&e soit mise en une seule bataille
sans avantgarde ne arrieregarde fors les esles. (Dieje waren aljo un-
erläßlich.) . . -
1) Ausnahmsweiſe citiere ich bier nicht nad der Handſchrift felbft, jondern folge dem Auszuge,
welchen Favé in feiner Histoire et tactique des trois armes gibt (Lütti 1850).
m
4. Lehrichriften. 3553
Nachdem der Berfafjer dann von den Schladhtordnungen des Vegez gehandelt
hat, erwähnt er die verjchiedenen engins et cautelles pour rompre les batailles,
d. h. der Streitfarren und der ribaudequins, die teils durch Menfchen, teils
durch Stiere oder Pferde gegen den Feind vorgejchoben wurden -[S. 297).
Die Abhandlung it interejjant, weil jie für ‚Frankreich die einzige
ihrer Art im 15. Ihdt. it; aber jie jteht an Klarheit und Genauig-
feit gegen die Darlegungen des deutjchen Anonymus, Seldenecks und
des Herzogs von Eleve doch zurüd.
Ss 4l.
Das dritte franzöſiſche Werk, welches bier zu nennen, der
Rozier de guerre, dejjen einzelne Lehrjäge teils als Rojen, teils
al3 Knoſpen bezeichnet find, ijt von vielumftrittenem Urjprung. Ge
wöhnlich wird König Louis XI. als Verfaffer des Buches genannt,
oder man nimmt Doch, wie de Barante in jeiner Hist. des ducs de
Bourgogne (Paris 1820) an, daß es unter den Augen jenes Fürjten
gejchrieben jei par de bons et notables hommes non seulement
doctes mais propre A la garde et defense d'un royaume. Wieder
nach anderen joll der Rozier auf Befehl Karls des Kühnen zur
Ergänzung der Trierer Ordonnanz von 1473 verfaßt worden jein.
Bon alledem it nichts bewiejen; aber es tjt allerdings wahrjcheinlich,
daß das Buch der Anregung Louis XI. jeine Entjtehung verdanft ;
denn man findet darin den Gedanken jerner Inftitution der Francs-
archers und erfährt, daß der König die Abjicht hegte, eine Grande
Phalange von 40000 Mann zu errichten, welche in vier Lieutenances
geteilt werden jollte. Der Befehlsbereich eines Lieutenant jollte dann
wieder in zehn Vicariats zerfallen, jedes Vicariat in zehn Capitaineries
zu zehn Dizaines, jo daß der unterjte Befehlshaber, der Dizienier,
10 Gensd’armes fommandierte. Als Grund gegen den Einfluß
Louis' XI. auf die Abfafjung des Rozier könnte man geltend machen,
dad dies Werk den Gebrauch fremder Soldtruppen tadelt, während
Louis ich tatſächlich nur inmitten feiner schottischen Garde jicher
fühlte und zehntauſend Schweizer in jeinen Sold nahm. Indeſſen
fommt es ja jehr häufig vor, daß die gelebte Praris der gepredigten
Theorie nicht entipricht. Das Buch dürfte um 1480 gejchrieben jein.
Die Nationalbibliothet zu Paris bejitt jechs Handſchriften des
Werfes (Fonds Franc. 442. 1238. 1239. 1240. 1965. 4986). Es
führt den Titel »Le Rosier des guerres, contenant plusieurs bons
Jahns, Geichichte der Kriegswiſſenſchaften. 23
354 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifjenichaftlihe Werte.
conclusions et advertissements pour la garde deffense et gou-
vernement du Royaume« und zerfällt in 9 Kapitel, welche folgenden
Inhalt haben:
Le 1. chap. est le prologue touchant les causes de ce Rosier. —
Le 2. chap. contient trois parraphes du monde, de la mort et de lame.
— Le 3. touchant lestat et propriete des Roys et des princes; avec ung
paraffe de Justice et un paraffe du bien commun. — 4. Des chevaliers
ordonnez pour la garde du bien commun et quelx gens on y doit eslire,
avec plusieurs paraffes de ce qui ensuit: des signes de fort chevalier; des
exhortations que le prince doit faire quant il veut aller en guerre; des
signes du saige chevalier; des choses qui sont necessaires et qui con-
viennent aux chevaliers et gens de guerre. (Dies Ktapitel ift im wejentlichen
eine Neproduftion der entſprechenden Abjchnitte des Begetius.) — 5. Des choses
qui convennient au prince, avec paraffe: comme il peut ordonner ses
gens pour en avoir prestement a toute heure et tel nombre quil luy plaire.
(In diefem Kapitel wird der bereit? auseinandergejegte Plan der Grande pha-
lange entwidelt.) — 6. Comment lost doit estre conduit; avec
paraffes: Ce que lon doit considerer avant bataille; comment on doit con-
duire son host savvement; de Renger un bataille; comment le prince
savua de quoy les ennemis sont plus fors que luy; quant on doit assaillir
ses ennemys; des Regles de batailles, de fuyte; de bataille par mer.
(Dies Kapitel iſt wieder durdaus von Begetius injpiriert. Wie diefer rät auch
der Rozier, dem Feinde ja nicht den Weg zur Flucht zu verlegen.) Damit endet
der militärische Teil des Buches, der aljo eigentlid nur die Kapitel 4, 5 und 6
umfaßt. — Le 7. chap. est des choses que le prince doit faire et con-
diderer en sa seigneurie. — Le 8. est preparatif au ix. — Le 9. chap.
Par le roy notre souverainn seigneur Loys XI de ce nom, filz du Roy
deffunct de noble memoire Charles VII .... contenant cronique abregee
du Royaume de France et daucuns autres Royaumes, depuis les premiers
Roys de France, insignes au couronnement du Roy, fait pour monsieur
le dauphin Charles son filz. — Dies neunte Kapitel ijt ein Reſumé der
Chroniques de Saint-Denis. Daß der König jelbjt e& verfaßt habe, iſt wohl
cum grano salis zu verjtehen; wahrjcheinlih aber iſt es in der Tat, daß es
zum Unterrichte des Dauphins, des fpäteren Charles VIII. ercerpiert worden iſt,
und da® mag dann auch wohl von den früheren Abjchnitten in gleicher Weiſe
gelten. Dies hiſtoriſche Kapitel endet mit der Nachricht von der Geburt des
Tauphins i. 3. 1470.
So wenig Selbjtändigeg der Rozier in jeinen militärtichen Kapiteln
nun auch bringt — faft alles, was jich nicht auf Louis' admintitrative
Pläne bezieht, jtammt tatjächlich aus dem Vegetius — jo interejjant
iſt er doch als fulturhiitoriiches Denkmal. Schon dieſe Herrichaft Der
Antike it an ſich bemerkenswert; dann aber gibt das Bud auch
4. Lehrichriften. 355
den beiten Schlüfjel für die franzöfiiche Kriegskunftiprache des
15. Ihdts.
Nod kommen die Worte armée und officiers nicht vor. Der Ausdrud
ost bezeichnet wie das deutſche „LXeger“ ſowohl Heer al® Lager; der baron ijt
ein Führer der Gewappneten (Ritter), der duc ein Feldherr. Noch immer ijt die
Rede von den engins d’artillerie, von den vitailles und dem vitaillement,
Tas Wort bataille bedeutet ſowohl Heerkörper ald Schladt. Ein ouvrage
batailleux ijt ein kriegswiſſenſchaftliches Wert.
Gedrudt wurde das Buch zuerjt 1522 u. zw. noch mit gottjchen
Xettern unter dem Titel: Le Rozier historial de France,
contenant deux Roziers: — Le premier rozier contient
plusieurs belles Rozes et boutons de instruction et beaulx en-
seignemens pour Roys, Princes, Cheualiers, Cappitaines et gens
de guerre, comme ils se doiuent maintenir, gouuerner et con-
duyre pour mener ostz et bataille contre leurs ennemys tant
par mer que par terre. — Le second Rozier, autrement Croni-
ques abregees, contient plusieurs belles roses et boutons extraictz
et issus de la maison de France et de Angleterre tant en ligne
directe que collateralle; paraillement Dallemaigne, Espaigne,
Escoce, Sicille, Flandres et autres tant des royaulmes chrestiens
que des infideles.
Auf der zweiten Seite des Buches iſt dargejtellt, wie dasjelbe dem Könige
überreicht wird. Das Bild wird von einem Gedichte begleitet, deſſen Schluß:
verje lauten:
De par l'humble et obeyssant subiect
Dont le nom est en reproche ny siet
Car qui appoint les lettres en assiet
Trouver le peult sil ne faut à son gect.
Aus den Wörtern »en reproche ny siete als Anagramm haben Ya Croir
du Maine und Gabr. Naude den Namen Etienne Bordier, andere Pierre
Cheniſot entziffert, wobei es allerdings auch noc zweifelhaft bleibt, ob damit
der beauftragte Verfaſſer oder der Buchdruder benannt ift ).
Eine zweite in manchen Einzelheiten abweichende Ausgabe erjchien ſechs
Jahre jpäter zu Paris ald Rozier ou Epithome historial de France,
diuise en trois partis. Cine abgefürzte Edition veranjtaltete der Präfident
V’Espagne (Paris 1616). Auf Grund der letzteren hat Ziegler im Anhange
jeiner Überſetzung der Arte della guerra des Madiavelli eine Verdeutſchung
der interejlantejten Teile der militäriichen Kapitel des Noziers geboten. Karls—
ruhe 1833.)
1) Bgl. über die Ausgaben und Handſchriften: Paris: Les manuscrits francais de la Bibl.
du Roi. T. IV, p. 116 sq.
23°
356 Tas XV. Nahrhundert. I. Allgemeine friegewifienichaftliche Werte.
Zwei burgundiiche Arbeiten des 15. Ihdts. von geringerem In—
terejje bejigt die Manujfriptbibliothef de Bourgogne. Die eine (Brüfjel
no. 18210) führt den Titel: La Salade par Antonio de la Sale.
Die Arbeit ijt dem Herzoge von Galabrien gewidmet und jteht, obgleich
franzöſiſch geichrieben, doch offenbar unter italieniijhem Einfluß. Sie gleicht in
vielen Stüden der in $ 42 zu beipredhenden Abhandlung des Aretinus. Der Ver—
fajier war Burgunder, hatte aber Italien beſucht, wurde 1428 Landrichter zu
Arles und dann Erzieher Louis IU., Grafen von Anjou und Provence jowie
Königs von Eicilien. Er iſt wejentlih Dichter und jein Werk verfolgt den Zwechk,
die Ritterſchaft fittlih zu heben und zu bilden. Es erſchien faſt ein Jahrhundert
nad) jeiner Niederjchrift im Prud. (Paris 1521, 1527.)
Das zweite Werk (Brüfjel 11124) ift der Livre de Chevalerie
von ©. de Eharny.
Es ijt ähnlichen Inhalts. Nach einer poetifhen Einleitung werden die
verichiedenften Fragen aufgeworfen, welche jich auf ritterliches Leben und Waffen—
dienjt beziehen. Zuweilen berühren diefe Fragen, welche jtet8 mit den Worten
»Charni demande« eingeleitet werden, wirflid; militärifiche Gegenjtände; 3. B.
Wie ſich 100 Gensdarmes verhalten jollen anderen gleich gut Gerüjteten gegenüber,
oder Wie man fih in einer belagerten Stadt verhalten joll; aber es fommt
nichts dabei heraus; der Verfaſſer bleibt in allgemeinen Redensarten jteden.
8 42.
Nicht reich, aber doch auch nicht jo arm wie die friegswifjenjchaft-
liche Literatur Frankreichs im 15. IHdt. tft diejenige der Jtaliener. —
Welch hohen Rang dieje der Friegsfünftleriichen Tätigkeit zuwieſen,
wie eng jie diejelbe mit dem humaniſtiſchen Ideal in Beziehung brachten,
zeigen bejonders die Schriften des gelehrten Lionardo Bruni.
Bruni, nad) jeiner Baterjtadt Arezzo gewöhnlich Aretinns genannt, ward
1370 geboren. Obgleich niedriger Herkunft nahm er bereits 1405 am päpjtlichen
Hofe die Stellung als secretarius brevium ein, und von 1427—1444 fungierte
er als Kanzler der Nepublit Florenz, der Herrin feiner VBaterjtadt.
Wohl als Teil eines größeren Werkes über Moraldisziplin und
zugleich als Unterweifung für einen vornehmen Jüngling iſt die Ab:
handlung De re militari ad Raynaldum Albicium, equitem
Florentinum, aufzufafjen, von der die Bibliothek zu Siena drei, die
Baticana (1043 lat. p. 209 ff.) und die fol. Bibliothek zu Dresden
(E. 374) je em Exemplar bejigt ').
ı) Das eine der Eienefer Manuftripte (20 BI. in einem Pergamentcodeg H. IV, 28) ift ein
Ralimpfeft und vermutlich Autograph Bruni, Das Dresdener Manufkript gehört einem Sammel
coder an, der u. a. auch eine zweite die Doftorfrage behandelnde Echrift von Kataldinus a. bem
Jahre 1431 enthält. Cie ift weit leidenichaftlicher al& die des Bruni, dabei pedantifch und mit über-
mäßigem Citatenaufſwand geichrieben.
4. Lehrichriften. 357
Im Mittelalter nahmen befanntlid die Doktoren den ritterlihen Rang in
Anipruch, wobei freilich äußerer Widerjpruch und innerer Zweifel nicht ausblieben,
und demgemäß zählt diefe Angelegenheit im 15. Ihdt. zu denjenigen, welche mit
Borliebe behandelt wurden. Zu den Schriften jolcher Art gehört der Traftat
De militia et jurisprudentia des Blondus Flavius h, und nicht
minder der bier in Frage jtehende Liber militaris des Brunus; denn er be=
handelt im wejentlichen den Wert der modernen militia, »que dignitatis honoris-
que loco prestantibus viris tribui solete, Brunus mweijt der Ritterwürde die
Bedeutung zu, daß fie einen Sammelplag jeder menſchlichen Tüchtigkeit bilde,
und vermittelt zwijchen ihr und den Anſprüchen der Willenjchaft, wobei er aber
auch jehr jorgfältig und genau auf das Rittertum der Waffen eingeht ?.. Die
Schrift jtellt daher Äußerungen ver Alten (Blaton, Arhidamos, Phileas der
Karthager) über Kriegsweſen und Kriegskunſt zujammen und gibt einen kurzen
Überbfid der römischen Kriegsverfaffung von Romulus bi8 Marius, wobei die
Zeiten allerdings jehr durcheinander geworfen werden. Gedrudt ijt der de militia
libellus hinter Migl. Maccioni Observ. in Jus feudale.
Noch bezeichnender iſt die in italienischer Sprache abgefahte
Rede, mit welcher Bruni dem Capitano di guerra Niccolo di
Tolentino den Kommandojtab übergab. Sie findet ich in der
Dresdener Bibliothek (cod. ms. O. 44. fol. 1—4) und wurde von
Otto Ed. Schmidt verdeutjcht °).
Nahdem Bruni glei) zu Anfang ausgeſprochen, daß die Kriegskunſt die
wichtigjte und höchſtzuachtende Tätigkeit jei, bemerft er, vermutlich in bewuhtem
Gegenjage zu dem Ciceronianiihen Worte: »Cedant arma togae, concedat
laurea laudie : „Der größte Philojoph weicht dem großen Feldheren. Im Ernite
dart man PBlato nicht mit Alexander, Ariſtoteles nicht mit Cäſar vergleichen.
Denn auf der Umſicht und Tatkraft eines guten Feldherrn beruhen Heil und
Errettung des States! Leben und Freiheit, alles Teuerjte und Höchſte, läßt ſich
nur mit den Waffen behaupten. Sicherlich hätte es Rom weniger genußt, wenn
Plato in feinen Mauern geboren worden wäre jtatt des Marcus Furius Camillus,
deſſen Lijt und Stärke die Stadt den galliichen Eroberern entriß. Und wäre es
für Jtalien ein Gewinn gewejen, wenn es den Ariſtoteles zu feinen Söhnen
gezählt hätte jtatt des Cajus Marius, welcher die zur Unterjohung Italiens
heranziehenden wilden Bölfer der Cimbern und Teutonen niederjchmetterte und
vertilgte!?“
843.
Papſt Nikolaus V. bejchäftigte jich mit dem Plane eines Türfen-
zuges und beauftragte den edlen Milanejen Lampo Birago mit dem
1) Bol. über diefen Traltat: „Serapeum“, 15. Bd. 1854.
”) Bgl. Herjhel im Serapeum. 17. Bd. (Leipzig 1856).
+) Val. Schmidt: Gian⸗Francesco Poggio Bracciolini. Ein Lebensbild. (Zeitihrift f. allg.
Geſchichte, Kultur-, Literatur: und Kunſtgeſchichte 1886).
358 Das XV. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Entwurfe desjelben, den diefer um 1454 verfaßte. Die Schrift, von
der ich ein Eremplar in der fgl. PBrivatbibliothef zu Turin befindet
(ms. 350), führt den Titel: Ad Nicolaum quintum pontificem
maximum strategicon adversus Turcos.
Der Verfaſſer ift fein Kriegsverftändiger und das Bud militäriih nicht
hervorragend. Bemerkenswert erjcheint, daß Birago in einem Bergleihe zwiichen
dem Luntengewehre der Janitjcheren und dem Handbogen letzterem unbedingt
den Vorzug gibt. — Näheres über das Strategifton bei Promis: Della vita
e delle opere degli italiani scrittori di artigleria, architettura e meccanica
militare; 1250—1560. (Zurin 1842.)
8.44.
Die bedeutendjte Arbeit eines Italiener diejer Zeit jind des
Dalturius De re militari libri XI.
Roberto VBalturio wurde um 1413 zu Rimini geboren und widmete
fih unter Leitung jeines Bater8 Cicco di Jacopo de’ Balturi den Wiſſenſchaften.
Im Jahre 1446 war Noberto apoftoliiher Sekretär in Rom; jpäter aber trat
er in den Hofdienjt de Ghismondo Pandolfo Malatejta, Herrn von Rimini, der
wie jo viele damalige Fürften Jtaliens zugleich Condottiere und Friedensfürſt,
brutaler Tyrann und feinfinniger Mäcen war). Auf Anregung diejes Mannes
ihrieb Valturio jein Werf, das er nad) langer Arbeit etwa um 1460 vollendete.
Die gewöhnliche Angabe: das Werk datiere von 1445, ijt falſch, ebenſo wie
die Behauptung, dat Balturio an dem Bau des berühmten Gajtello Sigismundo
Anteil gehabt habe, der i. J. 1446 vollendet wurde; denn damals war er nod
Sefretär der Kurie. Aber auch die Notiz Battgalinis, Valturio habe die zwölf
Bücher 1453 vollendet, ijt unmwahrjcheinlich, weil Roberto zuerjt mit einer Yebens-
bejchreibung jeines Herrn bejchäftigt wurde.
Dem hohen Rufe von Balturios Werk entſpricht die Zahl und Schönheit
der Ausjtattung der vorhandenen Handijchriften, deren ji in Rom, Florenz,
Modena, Turin (Bibl. des Königs und Bibl. des Herzogs von Genua) in Paris,
Lauſanne, Münden und Dresden finden. Am jchönjten find die in Modena und
Dresden. Der herrlidhe Dresdener Coder (Cimelie), in Jtalien auf feinjtem Ber
gament geichrieben, jtammt aus dem Bejite des ungarischen Königs Matthias
Gorvinus und wurde von Friedrich Auguſt II. erworben. Das Manujfript ent:
hält nahezu 100 Miniaturgemälde jowie pracdhtvolle Verzierungen und Initialen.
Sehr ſchön ift auch die Münchener Pergamenthandſchrift (cod. lat. 23467). Die—
jenige des Herzogs von Genua (ms. 308) ijt minder präcdtig i. J. 1466 zu
Benedig hergejtellt worden. Der Handjchrift der Kgl. Privatbibl. zu Turin (ms. 371)
fehlt das 12. Buch, und die ziemlich flüchtig gezeichneten Figuren find nur leicht
1) Bol. Priarte: Un condottiere au 15 siécle. Etudes sur les lettres et les arts a la
conr des Malatesta d’aprös les papiers d’etat des archives d’Italie. Orne de 200 dessins.
(Paris 1882). — Pandolſo ftarb 1468.
4. Lehrſchriften. 359
angelegt. In dem einen der beiden Barijer Exemplare (Nr. 7236 und 7237)
ind die Zeichnungen von Pajti, dem »mirificus artifex« hergejtellt.
In dem Buche, welches zugleich dem Lebensberufe wie den anti-
quarischen Neigungen des Malatejta jchmeicheln jollte, wird dieſer,
dem eigentlich nur der Titel eines Signor zufam, doch, dem Hoftone
jener Zeit entjprechend, al® rex und imperator angeredet und all
jein Tun als föniglich und heldenhaft bezeichnet. — Valturio jcherzt,
daß er, obgleich er niemals verwundet worden, über das Kriegsweſen
ichreibe; in der Tat genoſſen die Gelehrten damals vor den Kriegs—
leuten den Borzug, ſich wegen ihrer Kenntnis der alten Sprachen
über die Theorie der Kriegskunjt unterrichten zu können, die ja ledig:
{ih in den Werfen der Antife vorlag. Daher jind denn auch Vals
turios libri XII gan; aus den Autoren des Altertums gearbeitet.
Ber jedem Buche werden im Inder die benußten Schriftjteller ange-
rührt: vor allem Vegez, dann Cäſar, Ammianus Marcellinus, Dionys
von Halicarnaß u. a., Doch auch einige Kirchenväter. Diejen Quellen
entjprechend iſt das antike Kriegsweſen eingehend behandelt und mit
allerhand nebenjächlichen Erfurjen vermijcht, während die neuere Zeit
nur gelegentlich berührt wird und noch am bejten in der reichen Aus—
jtattung mit bildlichen Darftellungen zur Geltung fommt, durch welche
das Werk ſich wie ein Übergang von den Ikonographien zu den
Zehrjchriften darjtellt. — Die zwölf Bücher ordnen jich folgender:
maßen:
Die Eröffnung bildet ein elenchus oder index rerum. Dieſem folgt
die Widmung ad magnanimum et illustrissimum Heroem, Sigismundum
Pandulphum Malatestam, splendidissimum Ariminensium Regem ac Im-
peratorem semper invietum. Dann beginnen die zwölf Bücher: 1. Von der
eriten und zweiten Quelle der Kriegskunſt; von weldhen Bölfern fie den
Uriprung nahm und woher ihr Name Was die Kriegskunſt jei und in welche
Teile jie nad) der Lehre des Iphikrates zerfalle. Bon der Notwendigkeit
wiijjenihaftlider Bildung behufs rationeller Kriegführung.
„Das hatte Philippos wohl bedacht, als er jeinem zum Feldherrn zu bildenden
Sohne den großen Ariftoteles zum Lehrer gab.“ Als andere Beijpiele werden
Timotheus, Epameinondas, Fyrrhos, Mithridates, Scipivo, Cäſar, Auguftus u. a.
aufgeführt und endlich der Übergang zu Pandulfus gefunden, wobei namentlich
deſſen Berdienjte um die Bibliothef zu Rimini hervorgehoben werden und eine
Schilderung des Kaſtells von Rimini erfolgt. — 2. Vier Kapitel über den
Nugen, welden Philojophie und Geſchichte, Beredjamkeit, Poejie,
Muſik und Mathematif für den Feldherrn haben. »Dux enim
studere debet litteris; philosophiae et historiarum cognitioni; eloquentiae;
N en Ne m inne U Lu mo mn nu Sn Zn m nn mu
360 Das XV. Jahrdundert. I. Allgemeine tkriegswiſſenſchaftliche Werte.
poetis; musicae; arithmeticae et geometriae; astronomiae et etiam arti,
si qua est, perquirendorum fatorum; legibus ; medicinae ; gymnasticae et
equestri exereitationi. Plurimas quoque animae necnon corporis virtutes
inesse duci necesse este. „Sehr große Feldherrn haben ihre Gejchichte jelbit
geſchrieben!“ — 3. Bon der Witrologie und der Wahrjagung. — 4. Über
Gejeggebung, Heilkunſt, Kriegs: und Leibesübungen und von der Muße
der Kriegsleute. — 5. Bon den vier Kardinaltugenden und welde der
großen Feldheren ji in ihnen bejonders hervorgetan. Bon jolden Kriegslehren.
welche die Griechen Stratagemata nannten. — 6. Publiziſtiſche Ge
jihtspunfte: Berechtigung zum Kriege, Ankündigung desjelben, Verpflichtung
zu Bündnifien, Waffenftillitand, Friedensverträge, Vereidigung; „denn ein Krieger
ijt niemand, er habe denn zuvor dem Führer den Treufchwur geleijtet“. Aus:
hebung und Remontierung. Wahl des Feldern. Marſch- und Gejechtstaftif
der Alten. — 7. Bon Tagen übler Borbedeutung (>»Seu recte, seu
perperam, id fiat!«) Wahl! des Schladhtjeldes, Rekognoszierung des
Feindes. NKajtramentation. Verhandlungen mit dem Feinde. Was nad ver:
lorener, was nad) gewonnener Schlaht zu tun. „Dem Geſchlagenen goldne
Brüden bauen!" — 8. Vokabularium lateinijcher Kriegsausdrüde, das Bor:
bild des Glofjjars in Hohenwangs deutjchem VBegez [S 2], dod weit ausführlicher.
— 9. Was ift der Krieg und woher jtammen die in demjelben üblichen Be-
zeihnungen? — Belleidung und Bewaffnung der Ulten und Neueren.
Abgeſehen von drei früher gegebenen geometrijhen Figuren (Elevationsfejtitellung
für die Armbruft, Waſſeruhr und Sonnentreis) jowie von der Abbildung eines
Zeltes beginnen in diefem Buche die bildlihen Darjtelungen. — 11. Bom
Seetriege und vom Sciffsbau. Die Winde. Von der Nautik. Bon See
ſchlachten. Bon den Mitteln, Ströme zu überfchreiten. Brüdenbauten. Taucher:
wejen. Waflerläufer. — 12. Bon den Fahnen, Triumphen und Ehren
der Krieger.
Der Wert von Balturius’ Werk liegt, joweit nicht das Altertum,
jondern die Zeit des Verfaſſers jelbjt in Frage fommt, durchaus m
dem Atlas, welcher unmittelbar darauf von Hohenwang übernommen
und bereit eingehend gewürdigt wurde [S 10).
Nur wenige Figuren find nicht in den deutjchen Vegez übergegangen: ein
einfacher Bogen, ein Fallgatter, eine Hape zum gededten Heranbringen von Leuten
an ein Feitungsthor, eine Ebenhöche, ähnlid wie ‚Fig. F bei Hohenwang, dod
auch fähig, jchräg geitellt zu werden. Ein in einem Zimmerwerf aufgehängter
Mauerbreder. Fahnen. Turm mit Windfahne. Wafjerfahrzeuge, die mit Ruder:
rädern, bzw. mit Schrauben (!) fortbewegt werden jollen. Aus einzelnen Käjten
zujammenzujeßende gededte Schiffe Ein Schwimmer auf einer Holzplante.
Zujammenfafjung von Tonnen ald Brüdenträger.
Es iſt ein Beweis von der Bedeutung, welche die Zeitgenojjen
den zwölf Büchern Balturios beimaßen, daß dies Werf als das
erite aller Kriegsbücher gedrudt wurde. Ebert erklärt die
4. Lehrſchriften. 361
Veronejer Ausgabe von 1472 jogar für den ältejten aller italienijchen
Drude. Sie iſt jehr jelten!). Die zweite Ausgabe erjchten zu Verona
1482, bzgl. 1483 2); jpätere famen 1532 und 1535 zu Paris heraus.
— Überjegt wurde das Werk ins Italienische von Roberto di
Arragontia di San Severmo al® Opera de facti e precepti
militari dilo excellente missier Rob. Valturio (Verona 1433) ?)
und ins Franzöſiſche von dem Lyoneſen Loys Meigret als Les
douze livres de Robert Valturin touchant la discipline militaire.
(Baris 1554) *). — Die wichtigjten Stellen und wichtigiten Figuren
hat Favé ım II. Bande von Louis Napoleons Etudes reproduziert.
(5. 199 ff.).
Die Fülle der Figuren beweilt, dat Valturio der militärtjchen
Technik bejondere Aufmerkjamfeit zumwendete, und in der Tat jcheint
er nicht nur philologiiche, jondern auch phyfifaliiche Studien betrieben
zu haben; das Muſeo von Urbino bewahrt mehrere Majchinenzeic)-
nungen von feiner Hand. Aber die Aufnahme von Dingen wie Die
mirabilis machina oder die machina arabica in jeinen Atlas be
weiſt doch, daß es ihm durchaus an Kritik mangelte. Das lag freilich
in der Zeit, und weder er jelbjt, noch die Meitlebenden jcheinen es
bemerkt zu haben. Indeſſen auch jeine Schilderung des von dem
Malatejta zu Rimint erbauten feſten Schloſſes jpricht jehr deutlich da—
für, dat Valturio feine fachmänniſche Bildung bejaß; ſie iſt jo unklar,
dar fie auch durch die erhaltenen Schaumünzen de Pajtis’, welche
das Caſtell darjtellen, nur teilwetje verjtändlich wird’). — Jedenfalls
erfreute jich Noberto großen Rufes, und jeine Verbindungen reichten
weit. Etienne Baluze hat ein Schreiben veröffentlicht %), welches
1) Eremplare u. a. im Kupferftichfabinet zu Berlin (Nr. 2651), in der kgl. Öffentl. Bibliothek
zu Dresden, in der großherzogl. Bibl. zu Weimar, in der Bibl. Hauslab, jett Liechtenftein zu Wien,
m der BibL des Herzogs von Genua zu Turin. — Die 82 trefflihen von Matteo Pati, einem
Freunde Balturios, gearbeiteten Holzjchnitte entſprechen durchaus den Zeichnungen der Hanbichriften ; es
find ſchwungvolle Konture ohne Scattierung, welche als erite Kunſterzeugniſſe diejer Art in einem
datierten italienifhen Drude Bewunderung verdienen,
», Ein Eremplar in der pl. Bibl. zu Berlin (H, u. 9700), zwei im Berliner Zeughauſe
(A. 1 u. 2). — Die Holzſchnitte weichen hier und in den Überfegungen in Einzelheiten, doch nicht
weientiich ab.
2) Nah Dibdin (tom III 517) wäre Ramujio, der Herausgeber der zweiten Auflage, aud)
der Üiberjeger ‚In vulgar‘. Gin Eremplar in der f. k. Hofbibl. zu Wien.
*) Erpir. in der Generalftab3bibl. zu Berlin (B. 2439) und in der des dortigen Zeughauſes (A. 19).
5) Bgl. Friedländer: Roberto de Balturi, Zeitichriit f. Wiſſenſch. u. Geſch. des Krieges.
(Berlin 1850, Heft 2.)
s) Miscellan. L. VII. (Barid 1673—1715) vol. IV.
362 Das XV. Jahrhundert. L Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Balturio 1463 an den Sultan Mahomed II. richtete, um diejem die
Zwölf Bücher zu überreichen und zugleich jeinen Freund de Paſtis
al3 Borträtmaler zu empfehlen. Auch Bandulfs Nachfolger bewahrten
dem Gelehrten ihre Gunjt, und wie naiv auch vieles it, das er
gejagt und gezeichnet: einigermaßen verdient er doch das Lob, welches
ıhm em Freund am Schluß der Editio princeps jeines Werfes
Ipendet:
Prisca haec, Valturi, si tempora nacta fuissent,
Militiae ferres praemia magna tuae,
Teque Palatini cepissent culmina Phoebi
Roberte, aetatis gloria prima tuae.
Aeternos igitur vives cultissimus annos
Militiae verusque rex paterque simul.
Man muß dabei freilich den Ton der Zeit in Anjchlag bringen!
Als Valturio, 70 Jahre alt, jtarb, gedachte die Grabjchrift in der
Kirche San Francesco jeiner ausdrüclich als des Mannes, „qui de
re militari libros XII ad Sigismundum Pan. Mal. accuratissime
scripsit«.
845.
Faſt zwei Jahrzehnte nach Balturio trat ein ausgezeichneter
Italiener mit einer Arbeit auf, die bei weitem nicht jo berühmt üt,
wie die „Zwölf Bücher“ jenes Gelehrten, doch weit höhere praftiiche
Bedeutung hat. Drfo degli Drfini, Herzog von Ascoli und Graf
von Nola, der einem römtjchen Haufe entjtammte und den Krieg
unter Francesco Sforza gelernt hatte, jchrieb eine Abhandlung, die
man gewöhnlich) als Trattato del governo e exercitio
della militia bezeichnet und die ſich in der Pariſer Nationalbibl.
befindet. (M. S. ital. 958). Es iſt ein jehr jchön in Antiquabuch—
jtaben gejchriebenes Manujfript ohne Titel, mit einer aus Neapel
vom 2. Jan. 1477 datierten Widmung an S. R.M. (©. kgl. Mai.)
Das Buch beginnt mit folgenden Worten:
»] principi che hanno gratia di Dio governare deveno mectere studio
et dare omne opera possibile che li exereitii per li soi subditi se facciano
con rasone .... Et se in tucte le cose se deve usare diligentia ınulto
maiore bisogna ne la militia; per che li errori che se commetteno ne li
altri exercitiji non offendono lo stato del Principe per directum come
quello della militia.
4. Lehrſchriften. 363
Orſos Werk gewährt bejonders dadurch großes Intereſſe, daß
es ein vollkommenes Bild der Zujammenjegung eines italientichen
Heeres im legten Viertel des 15. Ihdts. entrollt.
„Nehmen wir,“ jagt Orſo, „eine Armee von ungefähr 20000 Mann an;
jie wird zujammengejegt jein aus 12000 Pferden, 6000 Fußgängern, 500 Schanz—
arbeitern, 50 jchweren Artilleriesfyahrzeugen, die von hundert Par Ochjen mit
100 Bedienungsmannjcaften gezogen werden, 100 anderen Fahrzeugen, welde
200 Gerbatane (feine Kanonen) aufnehmen und von 400 Pferden gezogen
werden. Ferner 100 Mann als Schreiber, Sekretäre und Offiziere im Gefolge
des Hofes. — Die 12000 Pierde werden gebildet aus 2000 Lanzen und 1000
Armbruftihügen. 1000 Lanzen jind zu 6 Pferden und das andere Taufend zu
5 Pferden gerechnet. Von den berittenen Armbruftihügen bejteht ein Drittel
aus Pienern und das andere Drittel aus Pagen. Der Diener trägt ebenfalls
Armbrujt und Küraß; der Page führt das Gepäd mit einer Borratd-Armbruit.
— Unter den 6000 Infanteriſten jind 1000 Armbrujter, von denen einige auf
dem Gepädwagen eine große Armbruft und den Küraß haben; 500 find Arke—
bujiere (scopettieri), von denen eine gewiſſe Zahl eine Heine Gerbatana führt,
die zwiſchen dem Schiopetto und der Gerbatane jteht, und die man zum Schiehen
auf eine Gabel jtügt. Wenn man vom Feinde entfernt iſt, fann man fie auf
dem Wagen transportieren. Der Reſt der Infanterie ift mit allerlei Handwaffen
bewehrt. — Die 50 jchweren Fahrzeuge mit 100 Ktanonieren und den 100 Paar
Ochſen werden unter der Yeitung des Artillerie-Führers wie folgt verteilt: —
Zwei Bombarden, deren erite eine 300 pfündige Steinfugel, die andere eine
200 pfündige ſchießt. Das größere Gejhüg wird von 8 Par Ochjen, das andere
von 5 Paren gezogen. Die 48 übrigen Wagen, mit zwei oder nur einem Par
Ochſen beipannt, dienen zum Transporte dev Rahmen, der Unterlagen der Bom—
barde, des Pulvers, der Steine, der Eijenteile, der Echüffe und aller übrigen
nötigen Etüde, worunter 4 Blajebälge. — Die 200 feinen Fahrzeuge nehmen
200 Gerbatane auf: 100 große und 100 mittlere. Sie find mit großen Leder:
ihirmen nad) Art der Seßtartjchen verjehen, um jowohl die Stüde ſelbſt als die
Schützen zu deden. Dieje Cerbatane jollen untereinander gleiches Kaliber und
aleiches Gewicht haben. Zu jedem Fahrzeuge gehören zwei Mann und zwei
Pferde, die voreinander in die Gabel geſpannt werden.“
Nach diefem Anschlag überwog die Neiterei das Fußvolk damals
in außerordentlicher Weije: jene war doppelt jo jtark als dies, und
die Artillerie bejtand aus wenigen, übermäßig ſchweren Bombarden
und einer Menge Eleiner Cerbatanen, die jo leicht waren, daß man
ſie faum zur Artillerie rechnen kann!). — Orſo geht in jeinen An—
gaben nicht jelten bis in die genauejten Details; aber er verliert jich
1) Diejelben Extreme zeigen fi in ben Mitteilungen über Wrtillerie, welche Francesco bi
Giorgio Martini in feinem Werke von der Architeltur madıt [3 76). Bol. Promis a. a. O. und bie
Auszüge in Napoleons „„Etudes‘‘; I p. 96 und III p. 198.
364 Das XV. Jahrhundert. I Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. |
nicht darin; er wei wohl, dab in alledem feine Sicherheit des Steg
liege, daß diejer vielmehr nur durch die Harmonie und das glüdlıd
Zuſammenwirken aller Teile des Heeres verbürgt ſei. Darüber jpri
er jich deutlich aus:
»Le defensione di stati et victorie non consisteno singularmente
bono Capitanio, ne per bono exercito, ne per multitudine, ne per fo |
de campo, ne per rechecza, ne per denari, ne per ornamento de gente
darme, ne per cautela et multe altre rasune et exempli se potteriano narrart
per comprobatione de questo, che per non essere piu proxilo se tacend
per che assai per che sia statu dicto et como in uno corpo perfecto in
sua natura li bisognia. Lo intellecto, li sensi et li membri particulari . .
Ma tucti li membri insiemi uniti, luno serve ad altro et fanno lo corpo
utile et ben governato da lo intellecto se fa lo homo perfecto in sus
natura et similimente in omne governo bisognia multe conrespondentie et
maxime ne la Milicia«.
8 46.
Auch einen PBrälaten hat man den italienischen Kriegsjchriftitellern
dieſer Zeit zuzugejellen: den Francesco Patrizio, Biſchof von
Gaeta, einen Sienejen, der daher oft auch ala Francesco Sannete
citiert wird. Er verdankt jeinen Ruf zwei Werfen, einem de in-
stitutione rei publicae (ca. 1470) und einem de regno
et regis institutione (ca. 1482).
‚Bon den neun Büchern des erjteren bringt das dritte: conscribendorum
tironum excubiarumque exercendarum rationes ab antiquis repetitas; da?
achte erläutert munienda urbis, das neunte belli} parandi rationes. Alles
das jind freilih nur Wiederholungen antifer Weisheit. — In dem zweiten Werte
gibt das jiebente Buch eine genaue Bejchreibung der »Bombarda« vom Anfang
des Guſſes bis zum Augenblid des Abfeuerns. Patrizio bezeichnet die Geſchütze
als instrumenta bellica quae fulminum tonitrumque instar .... firmissimos
quosque muros latissimaque moenia in ruinas scissa . ... decutiunt.
Die Werke Patrizios erjchienen unter folgenden Titeln: 1. De institutione
reipublicae libri novem. (Paris 1518, 1520, 1534). — 2. Enneas de regno
et regis institutione. (Paris 1519, 1585.) — Ein Auszug über das die Bom-
barde betreffende Kapitel findet ji bei Venturi: Dell’ origine e dei primi pro-
gressi dell’ artigleria (Mailand 1815).
847.
Ein Zeitgenofje Batrizios war Antonio Lornazzano, der am
Hofe des Francesco Sforza lebte. Geijtlicher Dichter von Haufe aus,
bejtimmte ihn der Umgang mit dem berühmten venetiantichen Con:
4. Lehrichriften. 365
Dottiere Bart. Colleoni, jeine eier auch der Kriegskunſt zuzuwenden
und zunächſt VBalturios Zwölf Bücher in italienische Verſe zu bringen.
Dieje Paraphraje erichten 1493 zu Venedig ald Opera bellissima
del arte militar und ift mehrfach neu aufgelegt worden, am bejten
su Slorenz 1520. Dann aber jchrieb er jelbit eine Abhandlung de la
integrita de la militare arte, welche er dem Herkules von
Eſte, Herzoge von Ferrara, zueignete und deren Handjchrift zu Parma
aufbewahrt wird. Auch diefen Traftat goß Cornazzano in Reime um
und veröffentlichte jein Kriegslehrgedicht als Opera nova in terza
rima la qual tratta de modo regendi, de motu fortunae, de
integritate rei militaris, et qui in re militari imperatores ex-
celluerint. (Bejaro 1507, Benedig 1570, Florenz 1520, Biacenza 1536).
Das Wert beweift, dab Cornazzano nicht eben viel bei Eolleoni gelernt hat.
Recht Hat er indefien im wejentlichen, wenn er die Handfeuerwaflen von den
arogen Geihügen ableitet und dies in jeiner allegorijierenden Art folgendermahen
ausdrüdt: „So wurde Mutter bombarda erſchaffen und gebar zwei Kinder:
schiopetto und spingarda.* — Die vielen Auflagen des Lehrgedichtes beweijen,
dab es Glüd bei den Zeitgenofien machte. Suarez de Figueroa übertrug es
unter dem Titel »Reglas de la milizia«e in fajtilianijche Berje. Das Manujfript
diejer Überſetzung befindet jid) in der Bücherſammlung des Escoriald; gedrudt
wurde fie 1558 zu Venedig.
Bemerkenswert iſt in Patrizios wie in Cornazzanos Werken Die
Nichtung auf die politiiche Stellung des Krieges, auf die Wechjel-
wirfung zwijchen Stats- und Kriegsweſen.
366 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
II. &apifel.
Fachwillenfchaffliche Werke.
l. Gruppe.
hofekunſt.
Eine niederſächſiſche zu Kaſſel aufbewahrte Handſchrift, welche
die ſieben freien Künſte aufzählt, nennt als ſiebente die Hofe—
kunſt. Zu denen, welche dieſe Kunſt ausüben, gehören vor allem
die „vechter, ſchermer, renger, ſprenger, ryter, ſtecher, ſchutzen u. dgl.“).
— Auf dieſem Boden alſo berührt ſich merkwürdigerweiſe zuallererſt
das Kriegsweſen mit den im Mittelalter herausgebildeten Künſten und
Wiſſenſchaften. — Die literariſchen Denkmale der „Hofekunſt“ be—
ſtehen, abgeſehen von den mehr hiſtoriſch gehaltenen Berichten über
öffentliche Preis: und Wettſchießen, in den Fecht-und Turnier:
büchern. Dieſe gehören nun zwar nur anhangsweiſe zur Kriegs—
wiſſenſchaft; aber im 15. Ihdt. gewähren ſie doch ein ſo eigenartiges
Intereſſe und überliefern ſo manchen Zug des Kriegsweſens, der ſich
kaum an anderer Stelle wiederfinden dürfte, daß ihnen doch hier
einiger Raum zugebilligt werden muß. Dabei iſt denn auch derjenigen
Werke zu gedenken, welche ſich mit Pferdezucht und Reitkunſt
beſchäftigen.
8 48.
Im 12. und 13. Ihdt. nannten die Deutſchen das Fechten mit
Schwert und Schild: „Ihirmen“, d. h. deden, parieren, und es
jpricht für den alten Auf deutjcher Fechtkunit, daß das italienijche
scherma, das jpantjche esgrima, das franzöjiiche escrime für „Fecht—
funjt“ eben von jenem deutjchen „jchirmen“ abgeleitet it. Der Fecht⸗
fehrer hieß „Schirmmeifter“, der Schüler „Schirmknabe“. Um die
Wende des 14. und 15. Ihdts. jcheinen ich öffentliche Fechtſchulen
in Deutjchland herausgebildet zu haben; Nürnberg bejaß deren i. J.
1426 nicht weniger als drei; jpäter wurden auch eigene Fechthäuſer
erbaut, 3. B. in Nürnberg und in Breslau. Großenteils gehörten
1) Bal. über dieſe Hanbichrift den Aufia von Erecelius im Anzeiger für die unbe der
deutichen Vorzeit. N. F. 1856. ©. 273 u. 308.
X
1. Hofekunſt. 367
die Fechter dem Stande der freigeborenen ſtädtiſchen Handwerker an,
die auch auf der Wanderſchaft ihre Waffen bei ſich trugen, um ge—
legentlich durch ein Schaufechten einen Zehrpfennig zu verdienen;
daher das „Fechten der Handwerksburſchen“. Neben ihnen erſcheinen
Studenten und Schreiber. Sie zeigten u. a. i. J. 1397 auf dem
Reichstage zu Frankfurt ihre Künſte, und dieſe Stadt blieb ſeitdem
der Hauptſitz der Fechter; hier erfreuten ſie ſich beſonderer Gerechtſame.
Im Laufe des 15. Ihdts. bildeten ſich dann mehrere Fechtervereine.
Der ältejte derjelben war wohl die St. Marcusbrüderjchaft vom
Löwenberge zu Frankfurt a. M., welche namentlich zur Herbſtmeſſe
großen Zulauf jolcher Männer hatte, die Fechtſchulen errichten wollten;
denn niemand gewann Geltung, der nicht von den „Meijtern des
Schwertes“ in öffentlichem Gefecht mit dem Hauptmann und vier
Meijtern geprüft worden war. Beſtand der Anwärter die Probe, jo
empfing er gegen 2 Goldgulden den Meifterjchlag und die „Haimlich-
keit“, d. h. die Kenntnis gewiljer Kunjtgriffe, umd durfte nun im
ganzen Neiche die Fechtkunſt lehren, wobei er meijt, gleich den fahren-
den Ärzten, von Ort zu Ort zog. Im Jahre 1487 erflärte Kaijer
‚sriedrich III. die Marrbrüder für zünftig, und mehrfach iſt ihr Privi-
legium erneuert worden, zuleßt i. 3. 1579. Indes entjtanden neben
ihnen noch andere „freie“ sechtervereine, deren berühmtejter der der
„Freifechter von der Feder zum Greifenflau“ war. Ihr Patron
war St. Beit, und dementjprechend jaß ihr Hauptmann zu Prag, wo
die Lade, d. h. das Archiv der SFreifechter aufbewahrt wurde. Übrigens
wurde auch diefe böhmiſche Schule in der Folge privilegiert, hielt
gleichen Brauch mit den Marcusbrüdern, verbot diejelben „jchlimmen
Stöße“, bzgl. „Sauhiebe“, und beiden Gejellichaften, denen noch
Rudolf II. i. 3. 1607 ein eigenes Wappen verlieh, galt als größte
Auszeichnung die Würde eines „Meijters vom langen Schwerte“.
Die Blütezeit der Fechtichulen (nicht die der betreffenden Literatur)
fällt ins 16. Ihdt.; damals glänzten bejonders die Schulen zu Nürn-
berg, Augsburg, Breslau und Prag; der dreigigjährige Krieg tat
ihnen großen Abbruch, doch hielten fie jich z. T. bis 1740).
1) Jahn und Eifelen: Die Deutihe Turnkunſt (Berlin 1816), Bader im Anzeiger für
die unbe der beutichen Borzeit, XII 1865, ©. 462, dann Scheibdler in Erſch' und Gruber Enchflopäbie
und endlih Egerton Eaftle: Schools and masters of Fence from the Middle ages to the
18. century (2ondon 1885).
368 Tas XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
849.
Das ältejte Lehrbuch der Fechtkunſt, das uns überblieben, jcheint
eine Dresdener Pergamenthandjchrift (C. 487) aus der erjten Hälfte
des 15. Ihdts. zu jein, welche den Titel führt: „Hie hebt jih an die
Ritterlih Kunſt deß langen jchwerts. In Sant Forgen
namen höbt an die kunſt des fechtens, die gedicht vnd gemacht hat
oh. Kiechtenawer". Diejer, „an großer maijter“, hatte, wie aus
der Einleitung hervorgeht, den beiten Teil jeines Werkes urjprünglich
„mit verborgenen vnd verdedten Worten gejchriben, darum daz Die
funjt nitt gemain jolt werden, vnd diejelbigen verborgenen Wortt
hatt maifter Sigmund, ain ringed, derzyt des fürjten rulbrecht
(Ruprecht III., 1398 — 1410), pfalczgraven bei Rin jchirmaiiter,
glojieret“.
Ein zweites Eremplar von Liechtenauers „Kampfbuch” bewahrt die II. Gruppe
der funjthiftoriihen Sammlungen des N. H. Kaiferhaujes zu Wien (ebemal.
Ambrajer Sig. Nr. 57), ein drittes, im 16. Ihdt. gejchriebenes, die Kal. Bibt.
zu Dresden (C. 487), ein viertes, etwas abweihendes, das Germaniihe Muſeum
zu Nürnberg in einem Sammelcoder (3327), welder auch noch Abhandlungen
über Feuerwerkerei, Ajtrologie, Medizin und allerlei Technik enthält. Alle dieje
Handichriften find leider jchwer lejerlid; und überdies oft unverftändlic.
Liechtenauers Werk bildet nun den Grundſtamm einer Reihe
anderer FFechtbücher des 15. Shots. Das ältejte diefer Sammelwerfe
dürfte eine Handjchrift der Gothaer Bibliothef jein (chart. no. 558
fol.), die von 1443 jtammt und von Bl. 35 an „Maijter Liechten-
amwers chunjt des langen Swerts“ enthält.
Ebenjo beginnt der von 1462 datierte vatifanische Goder Nr. 1449 mit
des Liehtenawers Fechter Khunſt . . . des eriten mit dem langen jwert,
darnach mit der glefen vnd mit dem ſwert zu roß, darnach mit dem kurczen
jwert zu champf . . . So hat er diejelbig chunſt igleich bejunder lagen ſchreiben
mit verborgen und verdadten Worten... . um der leichtiertigen ſchirmmaiſter
willen, dye jrr khunſt gering wegen“ N).
Sleichzeitigen Urjprungs wie die vatikaniſche Handjchrift it ein
Fechtbuch, welches der Meiſter Baul Kal für die Herzoge Ludwig
und Georg von Niederbayern angefertigt hat und welches ſich in der
Hof: und Statsbibliothef zu München befindet (cod. germ. 1507).
Auch dies Fechtbuch beginnt gerade wie die jchon erwähnte Liechtenauer-
Handichrift im Sammelbande 3327 des Germaniihen Mujeums zu Nürnberg,
1) Bgl. den Uufiag Frommanns im Anzeiger f. d. Kunde der deutichen Vorzeit 1853.
*, Ein Kopie im German. Mufeum zu Nürnberg.
1. Hofetunit. 369
mit den Worten: „Hye hebt fid) an die funjt, dDieliehtenawer mitjeiner
geſellſchafft gemadt vnd gebraudt hat in aller ritterlichen wer, daz
jm gott genädig jei!“
Aus allen diejen Schriften läßt jich doch fein deutliches Bild
der Kunſt gewinnen; oder es bedürfte dazu jehr eingehender Forſchungen
von jpeziell Sachverjtändigen. Nur einige Punkte jeien hervorgehoben.
Liechtenauer eröffnet jein Buch mit eimer Aufforderung an die
Jugend:
Jungk ritter leere So wechſt dein eere!
Gott lieb haben | Vnd leer khunſt, die dich czivet
Frawen ze eere, | Vnd in friegen zu eeren hoffiret...
Dann jtellt er in dem Abjchnitte: „Das it eyn gemein Leer
des ſwerts“ die Hauptregeln für das Schwertfechten zus
jammen‘, wobei er mit den Kunjtausdrüden für Diebe, Finten und
Dedungen beginnt, ohne jie jedoch gemügend zu erklären.
Insbejondere werden vier „Leger“ (Auslagen) unterſchieden:
Vier leger alleyn, Ochs, Plug, Alber,
Davon belt vnnd fleucht die gemein: Bon Tag dir mit ummer (?)
Neben diefen Bezeichnungen der Yeger fommen übrigens aud) andere vor:
für Ochs „Hochort“, für Alber „Dangendort“, für Tag die „Eijerne Pforte“
oder „Zwier“. Dieje eijerne Pforte jcheint der nürnbergiſche Coder 3227 für die
beite Auslage zu erflären ; denn da heißt e8 unter der Überſchrift: „Das ift von
der eyſerynen pforten: Die get nu an mit rechte das aller pejte gefechte!“, worauf
verihiedene Hiebe unter Namen wie „Noterzunge, Krawthacke, Wedermeifter“
u. dgl. gelehrt werden. Dieje Ausdrüde hatten allgemeine Geltung. Hans Sad)s
no jagt in jeinem „Fechtſpruch“ (Folivausgabe der Werte I, 307): „Die Kunjt
häft in vier läger flug : Aiber, Tag, Ochs und den Plug“, und jpricht vom „zornhaw,
kumpharm, zwerchhaw, ſchillerhaw, ſcheitlerhaw, Wunderverjagung, nachreifen, Über—
lauf, Durchwechſel u. j. w. Nur ſehr wenig Fechtkunſtausdrücke, wie „mutiren“
und „durpliren“ haben fremden Urjprung. — Den Borjchriften für das Schwert-
iechten zu Fuß folgen die für den Shwertfampf zu Roß, ebenfall® kurze,
meiſt rätjelhafte Neimmorte. Der Anfang lautet:
Dein jper beridt. | Dein end im abjchnelle
Gegenreiten mac) ze nicht; Hawe drein, nicht zucke
ab es enpfalle. von ſchayden linf zu im rude.
Nun folgt (bei Kal) das Ringen zu Roß, der Kampf des
unberittenen Spießers gegen den Speerreiter, der Kampf
mit Spieß und Schwert zu Fuß, der Schwerterfampf Ge:
wappneter zu Fuß (längite Bilderfolge) und der Kampf mit Aren
Jähns, Geichichte der Kriegewiſſenſchaften. 24
370 Das XV, Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werke.
(Luzernerhämmern). Den Beichluß des 1. Buches machen die Dar:
ſtellungen gerichtlicher Zweikämpfe.
Auf dieſe den Rechtsgebräuchen angehörenden Kämpfe kann hier nicht
eingegangen werden. Nur darauf ſei aufmerkſam gemacht, daß bei den Kämpfen
mit Schild und Kolbe der Schild ſelbſt als Trutzwaffe gebraucht wurde:
es iſt das ein Langjchild, deſſen Schmaljeiten in jehr lange Spigen auslaufen
und dejlen Langjeiten mit jpornartigen oder jiheljörmigen Klingen bejegt jind.
Zum „Kolbengerichte“ erichienen die Gegner in enganliegenden grauen Gewändern,
welche den ganzen Körper einichließlich des Hauptes gleihmähig bededten, Hände
und Fühe jedoch nadt ließen, jo dal die Fechter unjern Eijenfehrern überrajchend
ähnlidy jahen. Die Bilder zeigen, daß der Unterliegende den tötlichen Streich
meist nicht mit dem Kolben jondern mit einer der Scildjpigen empfängt. —
Überaus jeltiam (unjerm Gebiete aber natürlich vollends fremd) find die geridt-
lichen Zweitämpfe zwijchen Wann und Weib, die jtets in dieſen Fechtbüchern
veranjchaulicht werden H.
Nach den gerichtlichen Zweifämpfen wird der Kampf unge
wappneter, nur mit fleinen Rundjchildchen geihügter Schwert:
jehter zu Fuß, dann der Schwerterfampf ganz „bloßer“,
alſo auch unbejchildeter Männer, hierauf das Fechten mit „Biden-
handern“, das mit einjchneidigen Schwertern (Säbeln) und
das mit „Degen“ (langen Dolchen) geichildert. Den Beſchluß
macht das Ringen zu Fuß.
Wieviel von diejen Dingen auf Liechtenauer jelbjt zurüdzuführen
ist, wieviel jeine „Geſellſchaft“ ausgebildet hat, muß dahingejtellt
bleiben. Die Namen der hervorragenden Glieder der legteren
ſind uns übrigens aufbewahrt.
Das Fehtbucd des Germaniſchen Muſeums (32278) nennt in jeinem An-
hange als namhafte Meijter: Hanfa Pfaffe donbringer, Andreas Jude,
Joſt v. d. Nyijen und Niklas Prewß. — Raul Kal führt an der Spike
jeines Fechtbuchs auf: „Peter von Tantzk (Danzig), Yampredt von Praa,
Andree Ligniker, Sigmund Amring, Martin Hundsjeldt, Phylips
Berger, Reter Wildigaus von Glatz, Hand Spindler von Znaym, Hans
Seydenfaden von Erfurt, Jacob Lignitzer der Bruder, Hanmann von
Nürnberg, Hans Pägnützer, VBirgily von Krakau, Dietrihd Degenvechter
von Braunjchweig, Ott Jud, der der Herren von Öjterreich Ringer geweſen iſt,
der edel und veſt Stettner, der ein maiſter der maiſter aller ſchüller geweſen
iſt, vnd ich maiſter Pauls Kal, ain merer der kunſt, bin ſein ſchuler geweſen.
Dat im got genädig ſey vor in allen!“
1) Bgl. über dieſe Rechtsgebräuche u. A. Würdinger: Beiträge zur Geſchichte des Kamp’:
rechts in Bayern (Oberbayer. Archiv Bb. 36 und auch ſeparat, München 1877). — Siehe auch die
Anmerkung ©. 373.
1. Hofehunit. 371
Bier Schriften diejer Meijter jind dem vatikaniſchen Eremplar
von Liechtenauers Fechtbuch angehängt, nämlich):
Maiſter Andres kunſt, genannt der Liegniger: Das furcz
jwert zw gewappneter hant zu geleicher ritterlicher Were. (Im
ungebundener Rede).
Maijter Martins hundtfelg funjt mit dem furczen jwert
zu Kampf jn harnajch aus vier Huten. — Desjelben Fechten mit
dem degen. — Desjelben kunſt zu roß mit der glefen vnd
mit dem jwert.
Die Ringen, die jo gejaß Hat maijter Dtt, der hochgeboren
fürjten von Dfterreich ringer. „In allen ringen jüllen jein drew
ding: das erſt iſt kunſt, das andere iſt jchnelligchait, das dritt iſt
rechte anlegung der jterf“.
Peter von Dandgs zu Ingelitat Glojje und Auslegung
über den Tert der Kunſt, den Liechtenawer mit ver-
dadten worten gejeßt hat.
8 50.
Eine eigentümliche Stellung nimmt Hans Bartliebs Kampfbuch
ein, das in den dreißiger Jahren gejchrieben jein dürfte und in eine
bereits bejprochene Skonographie Aufnahme gefunden hat. [$ 7]. Es
iſt fein eigentliches Fechtbuch, jondern eine Onomatomantia, d.h.
eine Lehre der Kunjt, den Namen des Kämpfers und den Tag des
Kampfes in eine dem Aberglauben der Zeit entiprechende Überein—
jtimmung zu bringen. Der Anfang der Schrift wird genügen, fie zu
charafterifieren. Ste beginnt:
„Alle kunſt des Sigs ijt an dem Tag, der einem ytlichen namen zugehort.
Wißet auch, daz die hohen maijter alle gemeiniglid) die namen geteylt haben in
zwei teyle: den erjten vnſer Frawen namen Marie zugehort, den andern teyle
janct Jorgen. Alſo weßen name vnjer Frawe zugehort, den heyßen jie vnier
Frawen bruder, vnd welcher an janct Forgen teyle jtet, den heyßen jie ſanct
Jorgen bruder. Darauf wit: vnjer Frawen bruder haben drey Tage (Dienstag,
Donnerstag, Sonnabend) in yglicher wochen ganczen ſygk vnd den Suntag nach—
mittag; jo haben janct Jörgen bruder auch drey Tag (Montag, Mittwoch, reis
tag) ganczen ſygk vnd den Suntag vormittage . . .“
Ein höchſt fompliziertes, ajtrologiichen Berechnungen gleichendes Berfahren
lehrt dann, zu welder Stunde Ausforderung und Gefecht bei gewillen Namen
jtattzufinden habe, wobei jogar auf die Namen der die Derausforderung Über—
24*
372 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
bringenden Rüdfiht genommen wird, da auch dieje nicht ohne Einfluß auf den
Ausgang des Kampfes jeien u. dgl. m.
851.
Wahrjcheinlich einige Jahrzehnte jünger als Liechtenauer und jeine
Sejellichaft jind zwei Meijter, von denen uns Werfe überblieben jind,
deren Namen aber in den oben erwähnten Verzeichniſſen nicht auf
geführt find: Hans Thalhofer und Peter Falfner.
Hans Thalhofer jcheint nächſt Liechtenauer der bedeutendite
deutjche Fechtmeiiter des 15. Ihdts. geweſen zu jein und Hat wie
dieſer an der Spige einer großen Schule gejtanden. Sein Fechtbuch
ift in mehreren Exemplaren erhalten.
Zwei derjelben bejigt die herzogl. Bibliothef in Gotha (chart. Nr. 558
vom Jahre 1443 und membr. 114 v. %. 1467), zwei andere die Hof: und
Statsbibliothef zu München (cod. icon. 394 und 395). Ein Eremplar im ver
Ambrajer-Sammlung zu Wien (Nr. 55) ift von Michel Rotwyler gezeichnet.
Das Eremplar des Kupferitichfabinets in Berlin (H. s. 125) ijt mangelhaft
erhalten und faljd) gebunden. Auf ©. 63 diejes Eremplars, das aud) den Kampf
mit „Driſcheln“ enthält, jteht: „David vnd Buppelin vom jtain, gebruder, die
hand die kunſt, duy in dijem buch jtat, gelernet von Hanſen Dallofer.“ — Faſt
alle Eodices find mit demjelben Wappen gejchmücdt: zwei gefreuzte, durch eine
Krone geitedte, Schwerter.
In der älteren gothaiſchen Handſchrift von Thalhofers Fechtbucd von 1443 heißt
es: „Dis buch hat angeben Hans Thalhoffer vnd gejtanden zu malen“. In dem
um ſechs Jahre jüngeren Wiener Coder lautet dieje Stelle: „Das Buch ijt maijter
Hanjen Tallhöfers, und der ift jelber gejtanden mit jeinem Lybe biß daß man
das buch nah jm gemacht hat.“ Der yechtmeijter verfaßte aljo jein Bud in
der Weije, daß er dem Zeichner Modell jtand und dem Schreiber diftierte.
Die ältere gothaiſche Handichrift bringt S.5—11 Übungen mit dem Schwerte.
Dann folgt Hartliebs Schrift von der Tagmwählerei in etwas abgefürzter
Geſtalt. Mit ©. 35 beginnt Liechtenawers „Kunſt des langen Schwertes.”
Ihr reiht jih (S. 52—99) eine Darjtellung des gerihtlihen Zweikampfs
mit Stechſchild und Kolbe an, nocd ausführlicher als diejenige Pauls Kal, und
ihr folgt die nicht minder genaue Schilderung eines Kampfes auf Leben und
Tod, den zwei Gewappnete in gejchlojienen Schranken (en champ
clos) zu Fuß ausfechten. (S. 114— 147). Daran ſchließen fih Kämpfe Geharniſchter
mit Streitärten und Dolchen. Auf ©. 222 beginnt dann „die maß zu
allen Ryngen, die gemacht hat Ott, der eyn tauffter Jud ijt gewejen.“ Aller:
hand Zeichnungen von Rüjftgegenftänden beenden das Bud).
Die jüngere gothaiſche Handichrift enthält nicht wie die vorhergehende allge:
meine Anweiſungen zu den verjchiedenen Kämpfen, jondern die Zeichnungen mannig-
jaltigiter Nampfitellungen, neben denen die Kunſtausdrücke für den betreffenden
1. Hofekunſt. 373
Ausfall, die dargejtellte Dedung u. dgl. ftehen: Uberhaw, underhaw, ſtutzhaw,
wechielhaw u. j. w. Nicht jelten reimen ſich diefe Zujcriften:
Der freihow vom Tadı, | Link gen rechten,
daraus das Halsfahen mach! | das muß ftarde vechten!
Die Darjtellungen zeigen, dai man dem Gegner das Schwert zu nehmen
ſuchte, daß man ihn mit dem Fuße jtieß, daß man bejtrebt war, ihn zu faſſen
und niederzumwerfen, furz, daß man gerne mit dem Fechten das Ningen verband.
Zumeilen padte man gar dad Schwert an der Klinge und jtieß dem Gegner das
Gefäß ins Geficht oder führte mit dem Knopf einen „Mortſchlag“. — Auch diejes
Danujfript bringt den Nitterfampf in gejchlojienen Schranken jowie das Kolben—
gericht mit dem Stechſchild u. zw. ſowohl nach „frenkeſchen“ als nad) „ſchwebiſchen
Rechten“ Damit „hat das Schildvechten ain end. Das vns got allen kummer
wend!“ — ©. 169 heit e8 dann: „Hie facht an der Tegen Dolchfechten). Got
wöll vnſer aller pflegen!“ — ©. 221 „facht an das meher. Got wöll vnſer nit
vergegen!“ Dies birjchfängerartige Meſſer iſt der uralte Sachs, das einichneidige
Kurzſchwert. Neben ihm führten die Fechter zuweilen auch den Budeller (bouclier),
d. h. einen Heinen Rundichild. — Auf act Seiten wird das Gottesurteil zwijchen
Mann und Weib dargejtellt. — Dann folgen Kämpfe zu Roß mit dem Schwert
auf Hieb und Stich (S. 249 bis 266), umd endlich wird auf vier Blättern gezeigt,
wie jich ein Armbrufter gegen Lanzenreiter verteidigen Fünne.
Benau ſetzt Thalhofer das Verhältnis des yechtmeifters zum Kämpfer aus—
einander, bis zu dem Augenblid, da dieſer „gelert ift vnd in den ſchranken fol
gen.“ — Abbildungen von Waffen, Rüft- und Werf-Zeugen ſchließen das Buch ab.
Noch eingehender als in den Gothaer Codices find in den Münchener und
dem Wiener die gerihtlihen Zweitämpfe behandelt. Deren hatten jtatt=
zufinden in Fällen von „Mort, verraternuß, feßerey, trülos an finem herrn,
janfnüs in jtriten oder ſumfft (2), valich, nogogt an jungframwen oder frawen“ N).
Verwandten Inhalts wie die Thalhoferichen Handjchriften it
das Werft Peter Falfners: „Künſte zu ritterlicher Wehr“,
das in der II. Gruppe der kunſthiſtoriſchen Sammlungen des A. 9.
Karierhaufes zu Wien (Ambrajer Sammlung Nr. 54) aufbewahrt wird.
8 52.
Außer den Werfen benannter Verfaſſer enthalten die Beitände
der Büchereien noch manche anonyme Fechtbücher des 15. Ihdts.
Hier jeien nur noch drei Gothaer und eine Berliner Handichrift
erwähnt.
ı) Die Literatur über die gerichtlichen Zweilämpfe knüpft übrigens meift an die gothaiſchen
&remplare Thalbofers an. Bgl. Dreyer: Sammlung vermifchter Abhandlungen zur Erläuterung
der deutſchen Rechte und Altertümer (Roitod 1754, I). — Schlidtegroll: Xalhofer, Beitrag zur
Literatur ber gerichtlichen Bweitämpfe (Mürnberg 1817). — Udert: Fechtkunſt (Beiträge zur Älteren
Literatur oder Merkwürdigkeiten der berzogl. Bibl. zu Gotha, III, Leipzig 1838).
374 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Gotha (mbr. 109) enthält Darjtellungen des ritterlichen Zwei
kampfs auf Tod und Leben.
Gotha (mbr. 115) jtellt in 64 Bildern den Fechtunterricht dar,
den ein sacerdos (Priejter) jenem clientulus (Schüler) erteilt.
Gotha (chart. B. 1021) eröffnet jich mit einer bemerfenswerten
Allegorie der Fechtkunft.
Eine Menjchhengeitalt, die in der Rechten ein bloßes Schwert hält, hat einen
Adlertopf (Scharfblid), an Stelle des Herzens das Bild eines Löwen (Mut) und
Hirſchfüße (Schnelligteit).
Berlin (ms. germ. qu. 16) bringt unter dem Titel Gladia-
toria jchöne farbige Darjtellungen mit furzem Text.
Drei Abjchnitte behandeln den Kampij Schwergewappneter in den
Scranten, u. zw. „12 jtudh des jpieh zum ſtich vnd ſchuß; 50 ſtuckh des
ſwerts jamt den brücen“ (Baraden) und „36 jtudh des Degens“ (Dolds). —
Zwei Abjchnitte bejchäftigen jih mit den geridhtlihen Zweikämpfen im
grauen Gewand, nämlich „DS jtudh mit dem langen jchilt und den jwerten umd
5 mit dem langen jchilt und dem folben“, wobei auch der Kampf mit den Schilden
jelbjt zur Darftellung kommt. — Dann folgen je 1 Stüd mit dem „pudler“
(bouclier) und dem Schwert, mit dem Mejjer und dem „vngriſchen
ſchilt“ d. h. mit dem einjchneidigen jpigen aber breiten Kurzſchwerte und einem
Schmaljhild, deſſen Fuß eine lange Spige bewehrt, und ein Stüd „mit den
langen“ — Den Beihluß machen „T jtudh des haltens vnd tötens
wenn einer niedergeworffen iſt“.
g 53.
Fallen die FFechtbücher vorwiegend den Kampf zu Fuß ins Auge,
jo jteht dagegen in den QTurnierbüchern der Neiterfampf im
VBordergrunde. Und da tjt in erjter Reihe zu nennen des Königs
Rene von Anjou Forme et maniere coment ung tournoy
doist estre entreprins, ein Werf, das der ritterliche Fürſt wohl
um die Mitte des Jahrhunderts jeinem treschier et soeul frere
germain widmete und das die QTurniergebräuche Frankreichs in um—
faſſender Werje zur Darjtellung bringt.
Handſchrift im der fal. öffentlichen Bibliothek zu Dresden (S.O.58),
um 1467 in den Niederlanden hergejtellt. Wundervolle Miniaturmalereien be:
gleiten den Tert und find bejonders wegen der genauen Wiedergabe der Waffen
jehr bemerkenswert. — Ausgabe von Champohlion-Figeage und Dubois:
Les tournois du Roi Rene (Paris 1826) ').
ı) Val. Quatrebarbes' Gefamtausg. der Werte Renés (Paris 1826) und Qecon de la
Marde: Le roi Rene (Paris 1875).
1. Hofekunſt. 375
Wiederholt wurden die Taten einzelner Turnierhelden
Gegenſtand farbenreicher Schilderungen und Ddichteriicher Prachtdar-
jtellungen. Dergleichen liegt in der kgl. Bibliothek zu Berlin in
dem Turnierbuch Heinrichs des Mittleren von Braunjchweig (1468
bis 1532) vor (lib. pict. A. 2), in der Münchener Hof- und Stats-
bibliothef in dem Turnier- und Wappenbuch des Ritters Konrad
Srünenberger, in dem des Marx Walther (1477— 1489),
\owie in der Beichreibung der fünf Qurniere, welche, faſt gleichzeitig,
Sıgmund von Gebjattel, gen. Rad, durchfochten hat. Da beim
16. Ihdt. auf dieſe Dinge nicht mehr eingegangen werden fann, jo
jei hier vorgreifend noch des herrlichen Turnierbuhs Herzogs
Wilhelms IV. von Bayern gedacht, deſſen Origimal ebenfalls
die Münchener Bibliothef bewahrt. ES bezieht jich auf die Jahre
1510— 1545 und wurde 1817—1328 zu München herausgegeben.
Die Zeihnungen find in Farbenjteindrud von Theobald und Clemens
Senefelder nacgebildet. Der erflärende Tert, welcher eine recht gute Gejchichte
de& Turnierwejens enthält, rührt von Friedr. v. Schlihtegroll und Dr. Kief—
baber ber.
Andere Bibliotheken enthalten noch mehr dergleichen; doch darf
darauf hier nur eben hingewiejen werden. Eines diejer Helden ijt je—
doc) ausführlicher zu gedenken, nämlich des Kaijers Mlarimilian J.,
8 37], deſſen begeijterte Hingabe an alle ritterlichen Künſte welt
befannt iſt. In Bezug auf ihn kommen zwei Werke in Betracht: der
Weiß-Kunig und der Freydal.
Der Weiß-Kunig. Eine Erzählung von den Taten Mari-
milians I. von Marr Treigjauerwein nad) deſſen Angaben zujammen-
getragen (1514), iſt der projatiche Zwillingsbruder des poetijch-
phantaftiichen „Teuerdank“.
Mehrere Abſchriften desjelben hatten jich zu Ambras erhalten; i. 3. 1755
wurde das Werk (mit den Abdrüden der in Graz wieder aufgefundenen Holzitüde
Hans Burgkmayers und Schäufeleins) von Kurz böck zu Wien herausgegeben !),
und neuerdings erfolgt ein Abdrud desjelben im 6. und 7. Bande des Jahrbuchs
der Kunſtſammlungen des djterreichiichen Kaiferhaujes (1886 und 1887).
Bon hervorragendem Interefje iſt im II. Teile des Weih-funigs
die Darjtellung der wiljenschaftlichen und ritterlichen Ausbildung
Marimilians, derzufolge ihm fein Zweig damaliger Bildung unbekannt
geblieben ijt. Insbejondere wird ausgeführt „wie der Jung weiß
—
I) Bol. Frhr. R. v. Liliencron: Der Weißkunig (Hiftor. Tajchenbuch 1873).
376 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
funig bett die aigenſchafft, daß er in den Ritterjpilen
ainen yeden übertreffen wollt“, und indem die verjchtedenen
Nitterjpiele durchgegangen werden, ergibt jich ein lebendiges Bild von
der Bewaffnung und dem Waffengebrauche des 15. Ihdts.
„Der Jung weiß kunig lernt mit dem hbanndtpogen zu Rob vnd zu
fueß ſchießen“, u. zw. ſowohl „auf hußäriſch“ (ungariſch), als mit dem englijchen
Bogen. Lepteren habe er jo mächtig zu führen verjtanden, daß er „ainen hulgein
ſchafft, der fain eijen gehabt hat, durch ain did lerchain holg, das dan jonderlid
hert vnd drey ziwerchfinger did gewejen iſt, geichoßen“. (Dies iſt num freilic
unglaublid; aber ähnliche Leiftungen werden bei jeder einzelnen Waffenübung
erwähnt; wie es ſich denn auch von jelbjt verjteht, daß der weil; funig jedesmal
alle Mitjtreiter überwindet.) — Ferner lernte Mar mit „den burnein Arme
prujt vnd mit den ftahlin pogen (Stahlbogen) jchießen jowie „mayſterlichen
Ploß zu fehten (ungewappnet) mit jwertern, jtangen, furczen vnd langen
Degen, Landtsknechtoſpießen, Drijcheln, meßern vnd Tilitz (Dolch)“. Nicht minder
verjtand er es, „zu fueh in der Behamifhen pavejen (Gochſchild) und zu Rob
in dem huſariſchen Tärtjchlein mit dem langl, mit dem Sebel, mit der Mordt-
badn vnd mit der wurfhadn zu fechten. — Danach lernte er „im harnaſch
gewappnet zu fehten vnd anfennglichen zu fueß im alſpieß vnd in der
heimparten und danadı zu Roß mit dem Neitjwert vnd mit dem furczen Reit
degen, aud) mit dem folben vnd Raißſpieß, vnd warde darynnen gar maijterlichen
vnd au in Teutichen vnd Welſchen Stehen vnubertreffenlichen.“
Das glänzende Denkmal von Maximilians Qurnierlujt iſt der
Freydal, deſſen Origmal ji in der Ambrajer Sammlung befindet
und der neuerdings in vollendet jchöner Wiedergabe von dem E. f.
Oberitfämmerer Grafen Erenneville und dem Hofrat Quirin von
Leitner herausgegeben worden it. (Wien 1882). — Freydal
ichildert in 224 Abbildungen 64 jog. „Zurnierhöfe“, d. h. Ritter—
ipiele; ein bejonderes, von Mar eigenhändig forrigiertes Verzeichnis
von 13 Folioblättern nennt die Namen der Damen, vor denen, umd
die der Herren, mit denen der Kaiſer „gerennt, gejtochen, gekämpft
und gemummt“, und da die vortrefflichen Zeichnungen alles mit
großer Genauigkeit darjtellen, jo entrollt der Freydal ein vollfom-
menes Bild aller Arten von Ritterjpielen, die gegen Ende des 15. Ihdts.
üblich waren.
Mit dem Niedergange des mittelalterlihen Rittertums neigte ſich in der
zweiten Hälfte des 15. Ihdts. auch das Turnierwejen Deutjchlands dem Verfalle
zu. Der maßgebende Einfluß, den die vier großen Turniergejellichaften
1) Herr v. Leitner, ber gelehrte Schagmeifter der Hofburg, hat bem Werke eine ausgezeichnete
Einleitung vorangeichidt, deren höchſt Iehrreicher Auseinanderiegung ich oben weſentlich folge.
1. Hofetunit. 377
aus den „vier Landen“: Bayern, Schwaben, Franken und am Rhein, biäher
geübt, erlojh. Der Turnierhof, welchen die rheiniſche Nitterihaft auf Sonntag
nach Lichtmeß 1487 gen Worms berief, war der lette der vier Lande. Die Pflege
des Turnierwejend ging auf die einzelnen Fürſten über, und unter diejfen nahm
Marimilian die erjte Stelle ein. Er ſah den wahren Wert der Kampfipiele
in der Entwidelung jittlicher und förperlicher Tüchtigleit. Durch jein eigenes
Beijpiel ſuchte er die laue Ritterjchaft wieder für das Turnier zu begeijtern, erfand
neue Formen desjelben, führte die burgundiicden Waffenjpiele ein, behielt aber
immer das Wejen derjelben, die Borbereitung und Erziehung für den Ernſtkampf,
feit im Auge. Und wenn aus jeinen Einridtungen auch allerdings die geſamten
jpäteren QTurniergebräuche hervorgegangen find, jo war er perjönlich doc immer
bejtrebt, alle die nur auf theatraliichen Effekt berechneten Künſteleien, wie ſie in
den QTurnierbüchern des 16. Ihdts. jo grell hervortreten, vom TQTurnierplaße wie
vom Turnierzeuge fern zu halten.
Die Kampfjtüde des Freydal find unter vier Hauptgattungen
aejondert: Nennen, Stehen, Turniere und Kämpfe.
Das Rennen geihieht zu Roß in voller Stehrüftung. Gewöhnlich war
es ein „Sejchiftrennen“, bei welchem die Ritter des Gegners Tartjche an einer be—
itimmten Stelle derart zu treffen juchten, dab die „aufgeſchifteten“ Holzteile der:
jelben sich löjten und body über die Köpfe der Nenner abjprangen. Statt der
Tartiche wandte man aud Scheiben an, und unterjchied demgemäß „Geſchift—
tartichenrennen“ und „ejchiiticheibenrennen“. Wurde nicht nur Tartiche oder
Scheibe zeriplittert, jondern der Gegner auch „abgeitodhen“, um jo bejier! —
Eben darauf, den Gegner über den Schweif jeines Roſſes abzujtoßen, fam es
nun bei dem „Schweif- oder Scharfrennen“ durchaus an. — Eine bejondere Art
war das „Bundrennen, luſtig zu Sehen, aber jorgflid zu thun“; denn hierbei
waren nicht, wie bei den anderen Nennen, Hals und Kinn des Nenners durd)
einen eifernen „Bart“ gededt, jondern nur durd die vorgehängte Tartſche. —
Beim „Angezogen Nennen“ war die Tartiche mittels einer Schraube an die
Rennbruſt feit angezogen, jo daß der die Tartjche treffende Stoß unmittelbar den
Reiter ſelbſt mittraf und aljo das Abrennen erleichtert, mindeſtens jedenfalld der
Nennipieß gebrochen wurde. — Das „Krönl“ bejtand darin, daß der eine Gegner
im Rennzeuge, der andere im Stechzeuge erichien, doch jo, daß der Nenner eine
Stechjtange mit Krönl, der Stecher dagegen einen Rennſpieß führte.
Beim Stehen unterjhied man das „deutjche“ und das „welche Geitech“ ;
beim deutjchen wieder drei Unterarten. Zum deutichen „Hohenzeuggeſtech“ jahen
die Steher in hohen verfchlojienen Sätteln, die das Abjtechen verhinderten ; hier
fam es nur darauf an, die mächtigen Stechſtangen an einander zu bredien. —
Bei dem „gemeinen deutichen Gejtech“ galt es dagegen, dur einen fräftigen
Stoß mit dem Krönl auf die Tartſche des Gegners dieſen abzujtechen. Gleiches
bezwedte das deutſche „Geſtech im Beinharniſche“. — Beim „welichen Stechen“
waren die Gegner durch Schranfen getrennt, jo dab die Roſſe nicht aufeinander
prallen konnten. Die Stecher ritten an, indem fie einander die linfe Seite zu-
wandten und ftachen über den „Zaun“. Dabei war ein Derabitechen des Gegners
378 Das XV. Nahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
nur ſchwer möglich, weil die Ritter in dem mit hoher Nücdenlehne verjehenen
„Kirißſattel“ ſaßen; es erfolgte wohl nur dann, wenn das Roß infolge der
Wucht des Stoßes jtürzte oder ſich überjchlug.
„Nennen“ und „Stechen“ unterjcheiden ſich aljo, wie jhon aus dieſen Aus:
einanderjepungen hervorgeht, nicht ſowohl durd) die Art der Aufgaben und der
Ausführung, als durd die Ausrüftung der Kämpfer. Der „Rennzeug“ iſt minder
ihwer als der „Stechzeug“. Den Kopf des Nenners dedt der „Rennhut“ in
Form der gewöhnlichen Schallern, den des Stechers der gewaltige „Stechhelm“,
und demgemäß ift auch die übrige Ausjtattung verjchieden, wobei aber immer
darauf Bedacht genommen it, die große Yajt der Rüſtung von den Schultern des
Reiters möglichjt auf den Sattel abzuleiten.
Zum „Turniere“ trugen die Ritter einen „ganzen Kiriß“, d. h. den Harniſch
in eben der Gejtalt, wie er jener Zeit von den Neifigen im Felde gebraucht
wurde, wobei indejjen auch noch einzelne Verſtärkungen angebraht zu werden
pjlegten, jo dab der „Turnerszeug“ nicht völlig mit dem Feldzeug identifch war.
Die Känpfer brachen die „Reißſpieß“ jtatt der jchwereren „Renn- oder Stecdhitangen“,
fämpften auch vom Sattel aus mit den Schwertern, und in diefem Zeuge kam es
auch noc zum Kampf von Schar gegen Schar, jo dab das Turnier im Gegenſatz
zum Nennen und Stehen als die unmittelbare Kriegsvorübung erjcheint. Offenbar
iſt das „Iurnier“ gleichbedeutend mit dem „Feldrennen“, welches Marimilian
in jeinem bandjchriftlichen Entwurfe zum Freydal erwähnt, weldyes jedod in dem
ausgeführten Bilderwerfe nicht vorfommt, während das „Turnier“ wieder in dem
oben erwähnten Namensverzeichnifje nicht aufgeführt wird. (Vgl. 8. K. Hof:
bibliothef zu Wien, ms. 2835.)
Unter „Kampf“ furzweg veritand man das Fuhturnier. Noch um die
Mitte des 15. Ihdts. zählte diefes nicht zu den üblichen rittermäßigen Kampf—
ipielen. Zu Fuß zu fämpfen, zumal mit „Inechtijchen“ Waffen, widerſprach dem
Brauch. Dies Borurteil durchbrach Marimilian, dem die Erfolge der Schweizer
Elſaſſer und Yothringer gegenüber Karl dem Kühnen das Auge geöffnet hatten für den
Wert eines tüchtigen Fußvolkes. Er, der jo großen und erfolgreichen Anteil nahm an
der Schöpfung der „Landsknechte“ als eines nationalen Fußvolkes und dem jo viel
daran lag, die Abneigung des Adels, in die Reihen diejer Knechte einzutreten, zu
bejeitigen, erfannte es als ein qutes Mittel für diefen Zwed, den Kampf zu Fuß
in den Turnierbrauc einzuführen. Für ſolchen Kampf trug man Rüftungen, die
jih eng an die Modetracdht der Yandafnechte oder auch der Hofherren anſchloſſen:
jogar das Anbringen jteifer, rodartiger, abjtedbarer Schöße verjhmähte man
nicht. Man foht mit dem Schwerte, der Cordolatſch (coltellaceio d. bh. der
böhmijche, „Dujeghe* genannte Säbel) dem Degen (d. h. Dolch), dem Fauit:
hammer, dem Kolben, der Belmbarte, der Eouje, dem Alſpieß, dem Schefflin
(Wurfipieß), der Stange und dem Driſchel.
Marimilian durchdrang das Wejen der Kampfipiele in allen
Einzelheiten und erwies ſich dabei nicht mur als preiswerter Turnier:
held, jondern auch als vorzüglicher Harnijchmeister und Plattnerei:
1. Hojetunit. 379
verjtändiger, wenn er gleich den rein äußerlichen Nebendingen nicht
jenen Wert beimaß, den die zünftigen Harniſchmeiſter jener Zeit mit
geheimnisvoller Wichtigtuerei zu erhalten bejtrebt waren. Auch im
Weiß-Kunig wird hervorgehoben, daß nicht nur der Gebrauch der
Roſſe und Waffen, jondern auc) deren Eigenjchaften und Erzeugungs-
werfen Gegenjtände der Aufmerkſamkeit Marimilians gewejen jeien.
Die Beurteilung der Rojje für bejtimmte Gebrauchszwede, die Art
des für jedes Tier geeigneten „piß“ (Gebifjes), die „plattnerey vnd
harnajchmaijterey verjtand er durchaus“, und bejonders „Eunjtlich
was er mit der Artalerey vnd ſetzt vil gedänndh auf das geihuß“.
8 54.
In den von Martmiltan eingeführten Fußkämpfen der Nitter:
ichaft berührt jich der hochadelige Turnierplag mit dem mehr bürger:
lichen Fechtboden, zugleich aber auch mit dem von Schranken ums
friedeten Raume des gerichtlichen oder ehrengerichtlichen Zweikampfes.
— Ber der Menge von Kämpfen, die zu Glimpf und Schimpf durch-
tochten wurden, ergab jich bald die Notwendigkeit formaler Bejtim-
mungen und Sampfregeln. Nirgends vielleicht waren die Zweifämpfe
häufiger als in Neapel, und dort galt als höchite Autorität in allen
das Duell betreffenden Punkten der berühmte Lehnsrechtslehrer
Paris del Pozzo (de Puteo oder du Buy), welcher, 1413 zu
Sajtellamare geboren, als Generalauditor und Reichsverweſer Königs
Alfonſo fungierte und 1493 jtarb. Um der unaufhörlichen Anfragen
überhoben zu werden, jchrieb er den erjten Duellcodex, welcher
unter dem Titel Libellus de re militari, ubi est tota materia
duelli seu singularis certaminis i. 3. 1471 und bald darauf ebenda
in italienischer Strache al® Libro de re militare in materno com-
posta herausgegeben wurde.
Spätere Ausgaben wieder lateinisch unter verjchiedenen Titeln und mit
anderen verwandten Schriften, wie z. B. Yignanos Traftat de bello [M. $ 20),
in einem noch gotijch gedrudten titellojen Sammelwerke zu Mailand 1506; dann
ala Tractatus elegans et copiosus de re militari zu Mailand 1515, zu Neapel
1518 und 1521, zu Lyon 1534 und zu Venedig 1536 und 1540.
Das Werk iſt dem Kaiſer Friedrich III. gewidmet und gliedert
ih in der zweiten neapolitanischen Ausgabe wie folgt:
Den Beginn madt ein Prologo, in dem bei einem Wettitreite zwiſchen
einem Krieger und einem Gelehrten der erjtere die Würde der Waffen und der
380 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
disciplina et arte militare warm vertritt. — Dann folgen neun Bücher
1. Dela iustitia dele singulari Battaglie, duelli chiamati quale se fanno tra
cavalieri per dare Iudicio deli occurenti cas. — 2. Dela electione delo
loca dela battaglia. — 3. Del guagio de battaglia et prima dela giornata
desputata al combatteree — 4. Dela electione dell arme. — 5. Deli
campiuni quale se danno nela battaglia per cavalieri che de ragio ne ponno
dare campiuni. — 6. Quante cause se provenire ad guagio de battaglia. —
—
7. Dela nobilita de cavalieri che veneno ad battaglia. — 8. Deli casi
succedentono alle particulare battaglie et deli parti deli combattanti. —
9. De quilli que sono renduti per presoni in duello et data fede de an-
dareno ad requesta deli vincituri.
Welchen Anklang Pozzos Arbeit fand, geht daraus hervor, daß ihr wejent:
liher Inhalt dem Traltate della Valles über die Kriegskunſt [XVI. $ 8)
als viertes Bud angehängt wurde und mit demjelben ins Franzöſiſche über:
jegt worden ijt, während eine jpanijche Ülberjegung des Driginals als Libro
llamado batalla de dos i. J. 1544 zu Sevilla erjchien.
In Deutichland bejchränfte man fich auf Satzungen, welche für
bejtimmte NRitterjpiele verabredet wurden. Dahn gehört namentlich
die Heilbronner Turnierodnung von 1485, die Lochner ın
den „Zeugnijfen über das deutjche Mittelalter“ herausgegeben hat.
(Nürnberg 1837—1850. II. ©. 245 ff.).
8 50.
Die hippologiſche Literatur beiteht lediglich in volks—
tümlichen Wiedergaben der Irrrerergıxa der Konjtantinijchen Ency-
flopädie. [M. 8 9]. Eine Handjchrift diefer Art, die aus einer Bücherei
des deutjchen Ordens jtammt, findet ſich in der kgl. Bibliothek zu
Berlin (ms. boruss. fol. 213, p. 88 ff.). Sie führt den Titel:
Pferde ergeneye, ein buchelein, das uns gemacht hat meijter
Albrecht, kaiſer Friedrichs (II.) marjchtaller von Conjtantinopolen
aus Friechen. Die haben deje funjt verjucht an den roßen. [M. $ 33).
Bearbeitungen diejer Schrift ſind folgende Drude:
Wie man pferd argneienvnd erfennen ſol. a c. d.).
Propertees and medeynes for a horse. (s. 1. c. d.)?).
Pierdarzneibüchlein (Augsburg 1494) }).
Das Büchlein jaget von bewerter Erteney der Pferde.
li 2 1),
!) Banzer: Annales typographiei I u. III.
1. Hofekunſt. 381
Hippopronia, d. i. gründliche vnd ausführliche Beichreybung
von Art vnd Eygenjchafft derer Pferdt, durch Albrecht von Kon—
jtantinopel, weyland des Römijchen Kayjers Friedrich geweſener Hof-
ſchmidt und Marjtaller, jetzo aber durch einen fürtrefflichen Liebhaber
der Neuterey an Tag geben. 1612).
Der „fürtrefflihe Liebhaber” ijt der Frankfurter Wild. Hofmann, der
das alte Driginal ſehr entjtellt, in barbarifhem Deutſch und abjchredender Aus—
jtattung herausgab.
Ein handjchriftliches Roßarzneibuch der fgl. Bibl. zu Dresden
aus dem 15. Shot. (C. 311) bringt auch Anleitungen zum Täuſchen
beim Pferdehandel.
3. B. „Welch rozz treg iſt vnnd wan man es verlawffen wil, jo gib jm
wenn cezo trinken auf ein virtel ader mer, jo wirt es frolich vnd rejch.“
S 56.
Mit dem Zurnierwejen jteht die Heroldswiſſenſchaft (Heraldik)
im nächiter Beziehung, aus welcher jich allmählich als Hauptſtück die
Wappenkunde (»blason« vom altjächjiichen blas — Glanz, Ruhm)
entwicelte. Das erjte Buch über diejen Gegenjtand jchrieb wohl
um 1350 der berühmte Juriſt Bartolus de Saroferrato [M. 8 21]:
den Liber de insigniis et armis (gedr. in dejjen Tract. varii,
Benedig 1472), und bald folgten andere, namentlich franzöfiiche
Autoren, nah. Man liebte es, die Erfindung der Wappen an die
erhabenjten Namen des Altertums anzufnüpfen, und jo beginnt z. B.
der dem 15. Ihdt. angehörige Livre des Blasons der Berner
Stadtbibliothef (607,2) mit folgenden Worten:
»Le tres noble et tres puissant Roy Alixandre pour exercer le nom
et vaillance de ses chiefs et gouverneurs et dautres vaillant hommes vic-
torieus combatans afin quilz cussent plus noble vouloir et courage sur
leurs ennemis, ordonna par la houte deliberation de soy et de son conseil
et en special de tres noble docteur en philosophe nomme Aristote, de
donner aux chiefs, seigneurs et autres de sa compaignie enseignes, plames
et pennonse . . . und hieraus jowie aus den Abzeichen an den cottes darmes
der Mafedonier entwidelt ji dann das Wappenweſen.
Dieje Andeutungen müſſen hier genügen, da weiteres Eingehen
auf das Thema aus dem Rahmen unſeres Gegenitandes hinaus—
führen würde.
9 1) Ein Exemplar in der hippologiſchen Bibl. weil. des Ghrt. Beuth, welche mit dem geſamten
Nachlaß dieſes berühmten Technikers ſeltſamerweiſe in den Beſitz der Banafademie übergegangen iſt und
ich jetzt im Schinkelmuſeum des Polytechnikums zu Charlottenburg befindet.
382 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
2. Gruppe.
Seuerwerkerei und Büchſenmaächerei.
S 57.
Um die Wende des 14. und 15. Ihdts. beginnt eine vege ar:
tilleriftiiche Literatur in Deutjchland, wie jie jonjt fein Volk des da
maligen Europas aufzuweilen hatte. Den erjten Jahren des 15. Ihdts
gehört wohl das „Streyd-Bud von Pixen, Kriegsrüftung
Sturmzeug und Fewrwerckh“ an, welches die Ambrajer Samm-
fung (no. 52) bewahrt und welches dort als aus dem 14. Jhdt. ber:
rührend bezeichnet it. Es beginnt mit einer gereimten Einleitung,
die hier, nur wenig gefürzt, wiedergegeben werden ſoll.
In nomine patris et filii et spiritus sancti. Amen!
Ein news gedicht heb ih an ' tue dich fainer chunſt aufgegogen,
wie bumbardia fadht an die mer dan halb jey erlogen ...
vnd wie pufchjenwercdy von erjt ijt ers | Haimleich chunſt tue nyemandt fund,
dacht ' pehalcz pei dir zu aller jtund. —
vnd was hunjt damit wirt volpracht. ..“ Wie jih ein maiſter jol balden
Das nachgeſchriben dicht ift new Will er mit eren alten:
man praudt jogar zu fainer trew (?) ) Hab got lieb vor alln dingen,
Bumbardia ijt ſy genant; | jo dan dir nymer mislingen;
den maijtern iſt iv chunjt pechant.... jwer nit vil pen got,
in fuegt dem ritter vnd dem chnecht; | jo mwirjtu nicht der welt fpot.
in ijt waidenleich vnd gerecht | Er fol auch befint zu aller jtund
vnd behalt maniger jteten er | vnd trag einen warhaften mund;
vnd ijt auch offt der herren wer ... | er jol jih auch frunckchleichen zieh,
Ich wais an irer fug vnd vngefug; poes geſelſchafft ſol er fliehn:
ſy gehört gar in chainen phlueg (Fluch) er ſol ſich hueten vor trunkenhait,
noch zu chainem glukh in dem land; das im der wein tue chaind laid.
ſy pringet er vnd verſchmächet ſchand. Du jolt got fürderleich vor augen ban
Wer fi) difer chunſt annymbt dann ein ander raijig man,
vnd dann nicht darnach jynnt, wann wenn du mit der chunſt vmbgait
das er derjelben chunſt tue wie gar du dann bon jrewden lait.
jo Im vnd ir gehöret zue, du halt dich mandlich zu aller zeit
der pringt ſich ſelb vnd ander lewt wann großer troſt an ſolichen maiſtern
vmb er, guet vnd vmb die hewt ... leit!
Maniger tuet ji) aus großer dingen, — tem wann du Zewg wilt maden.
was er chunſt well volpringen, jo huet did vor dijen ſachen:
vnd warn jchimpf zu ernjt gat — wein, pbeffer, viſch vnd chnofleich,
wie pald er jein vergeiien hat. herte ayr vnd ſwebel zaich:
Drum lieber frewudt volige mir, baden, ſchreplin machen
ein trewen rat will ich geben dir: prießet dir churzleich das lachen.
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 383
Zieh aud), wann du die pufchjen wiltladen, | Er jol alles das dyunnen ordnyren wol
Das ſy dir tue chainen jchaden ; das zu banntwerden vnd facze ge=
auch jolt du friſch erlich nießen; | boren jol;
gejotten waſſer laß dich nit verdrießen; | was jtet vnd vejten nicht mugen ent-
gepraten hojt vnd fewchtre trandh pern
ift dir guet nad) meinem gedanfd. — | mujt jy an chunſtu gar gewern:
Dis ijt dir nit für mer quet | an tarrajen, fürpawn vnd an grabır;
warın das es dir ein vermanung tuet; | chunjt an zimerberich muejtu habn;
doch du dije regel wol behalt, dur jolt auch chunnen jublimiren
jo madjtu der chunſt halb werden alt. | mit jeperiern vnd confortiern;
Doch wildu dir jelber behalden er, doc wer es alles enwicht:
jo muejt der hunjt wijjen mer. hieteſtu der chunſte nicht,
Tu muejt wißen drew ding, ſo zu dem jhießen gehört,
die zur chunſt natturfftig find: dein lob wirt pald zerjtört.
zuerjt jol er chunnen jchreibn vnd leſen, Ehannjtu fein aber nicht vberall,
oder er möcht hart ain guet matjter wejen; | jo gedenndh doc, das es dir geuall
er ſol auch alles das chunnen ordineren, | vnd leren jy altag mer vnd mer,
jo zu den pufchjen jol gehören jo pehebjt leib, gutt vnd er.
von erjt auf vnez an das end; Wildu der chunſt mer habn, jo jued)
er jol auch jein damit behend. Im dritten capitel im anderen puech;
Doch wer das alles aus wann chain haimlich chunſt ijt bie
er funde dann menjurarum tragma vnd geichrieben ;
pondus. das gröfijt ijt pnderwegen peliben.
Überihaut man dies Einleitungsgedicht, jo wird zumächit betont, daß es
jelbjt und das dazu gehörige Buch, das ganze „dicht“, neu jei. Dann wird
hervorgehoben, daß die Bühjenmeijterei Segen wie Unſegen jtiften
tönne, aljo feinen lud) verdiene. Es mag ihr damals wohl noch oft geflucht
worden jein, und die Meijter der Kunſt wurden gewiß noch immer vom Bolf als
eine Art Schwarzfünjtler betrachtet. Um jo jtärferen Nachdruck legt das Gedicht
auf ihre Lebensführung: auf Gottesfurdht und Frömmigkeit als Grund
lage aller guten Xeiftungen. Daß der Umgang mit dem „Zeug“, zumal mit den
Chemikalien, bedenklich und leicht gejundheitsihädlich jei, wird anerfannt und den
Meijtern deshalb eine bejondere Diät vorgejchrieben, insbejondere vor Truntenheit
gewarnt. Unter den Anforderungen, die an einen Meiſter zu jtellen, ſteht Leſen
und Schreiben bezeichnenderweije oben an: ein Beweis, daß ein bedeutender
Teil der KHumftüberlieferung ſchon damals jchriftlic) feitgelegt war. Ferner joll
der Meijter jowohl der Büchjen als aud des gejamten älteren Belager—
ung3gerätes walten, ja jogar Fejtungsbauten herjtellen fünnen. Dod)
die genüge noch nit: die Hauptjache bleibe, daß er ſchießen fünne, und vers
möge er das auch nicht gar gut, jo müſſe er jich bejtändig üben, es bejjer zu
lenen. Wolle er mehr wifjen, als hier geboten werde, jo jolle er im 2. Buche
im 3. Kapitel nachſchlagen — vermutlich eine verdedte Anjpielung auf höhere
Einweihung nad bejonderen Xeijtungen; bier, in dem vorliegenden Bude
werde nichts Heimliches mitgeteilt; das Wichtigite jeiverihwiegen.
384 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
An die Einleitung reiht jich die Gejhichte der Erfindung,
welche in der befannten Werje vorgetragen wird. Site hebt an:
Es war ein maijter, hieß niger percchtold,
der was der jiwarczen chunſt gar hold.
Und nun beginnt ein Gemiſch von profaischen Anweilungen und
mannigfaltigen Darjtellungen von Waffen und Werkzeugen, welches
teil8 den Charakter eines Rezeptbuches, teils den einer Sfono-
graphie hat, wie deren bereit3 jo viele gejchildert worden find.
Im großen und ganzen lafjen jich die Dinge unter 73 verichiedene
Punkte ordnen, welche der Neihe nach aufgeführt werden jollen.
1. Die jhon erwähnte Gejchichte der Erfindung. 2. Alfo joltu jalliter fiedn.
3. Wie man quet puluer madt: 3 phunt jaliter, 1 p. jwebel, Ya p. lindentol.
Dazu geringe Beimiſchungen von Salpertii und Kampher, der in Wein gejotten
it. 4 Blatt mit Darjtellungen von jech® Geſchützen ältejter Konftruftion und
verjhiedenen Elevationsvorrichtungen im Charakter des Münchener Eoder 600,
ohne Text. 5. Der pejt jherm, den yemant gehaben mag .. . ijt genannt ain
müß (Maus). 6. Min jturm (Feuerlanze mit brennenden Zeug). 7. Drei Ge-
ihüße wie ad 4. 8. Feuerpfeil. 9. Schießen der fewerftangen (ohne Zeichnung.
10. Wie Fewrkuglen zu machen. 11. Zwölf Feine Büchfen wie ad 4, darunter
aber auch ganz befremdliche Dinge, z. B. die Verbindung einer großen Stand-
ichnepperpfeilmajchine [$ 10, Atl. des deutjchen Begez. O.) mit einer Büchſe
12. Zwölf Darjtellungen von „faczen, die man zu den mawren tribt vnd man
die gräben zuefüllet“. 13. Zeichnung einer nevroballiftiihen Standjdhleuder,
ohne Tert. 14. Mittel um den Ort des Untergrabens feitzujtellen (aufjpringende
Würfel u. dgl.) 15. Auf billige Weiſe Feuer in die Stadt zu jchießen. (Die
Steinfugeln werden im Kalkofen glühend gemacht.) 16. Kapen und Tauben als
reuereinjchlepper. 17. Mittel gegen das AZufrieren des Graben! (Man über:
dedt ihn mit einem Netz — „Garn“ — das in eine Miihung von Honig, DI
und „parumjafit“ (?) geträntt it). 18. Darjtellung einer Bleide ohne Tert.
19. Gatter, Kagen, Zinnen, Sturmleitern und drei gepanzerte Schiffe, davon eins
mit langem Sporn, eins mit Enterhafen, eins mit zwei Meinen Gejchügen.
20. Haten und Wehren für Schirme umd Kagen.
21. Zwelifjtufh jindzemwijjeneinemieglihen purjenmaiiter:
I. Ob fewr oder lufft den jtein treibt. TI. Was zur NWulverbereitung gehört.
III. Wie man ordentlich laden joll. IV. Kenntnis des Gewichts der Ladung.
V. Vie die Klotz fein jollen. VI. Wie die Steine in die Büchſe zu legen.
VII. Wie die „chewl“ (Seile) jein jollen. VIII Wie die Büchſen liegen jollen,
hoch oder tief. IX. Kraft und Stärke des Pulvers; Unterjchied von Pulver und
Kinollen. X. Wie man den Stein verfhoppen fol. XI. Wie man die Büchſe
zünden joll. XII. Wie man daraus zurecht zielgemäß jchießen joll.
22. Wildu ain chloezpukchſen laden gar hofleich, da du aus ſcheuſt zeben
oder zwelif ſchuß ains ladens. 23. Einen jtreihenden ſchuß auf dem land
2. Feuerwerkerei und Büchfenmacherei. 385
oder dem wazer zu tuen. Der jtain tut ober hundert Sprung vnd doc nicht
boh. 24. Das find die newe form der newen putchſen vnd find pefier
dann die alten, wann es gehöret allerlay jtain darein, jy jein chlain oder groß.
25. Hageljhuß. 26. Einen Ygel zu ſchießen. 27. Beihießung eines Turms.
Er joll auf einem Drittel jeiner Höhe gefaßt werden (von oben oder von unten
gerechnet?) 28. Brechverteidigungsmittel: feueriger Wurfjtod, Sturmfah, Sturm—
pfeile.. 29. Leitern. 30. Armbrujtipanner. 31. Seilzeugwerk zur Verbindung
über den Graben. 32. Leuchtkugeln (mit Spießglas). 33. Langbrennende Luder
(Lunte). 34. Bulvermine. 35. Sprengung eines Thors mit Hilfe von Pulver,
das mit „pewl pech“ zujammengefnetet ijt. 36. Giftige Dunjtlugeln. „Dieje
chunſt ijt guet, fie iſt aber nicht gotleich.“ 37. Schußfichere Schirme (um eine
Tonne oder Walze drehbar, jo daß jie vor dem Schuße weichen). 38. Wie man
aus einer für ein Zentnergejhoß bejtimmten Büdhje 5 Ztr. oder
auch einen Hagel ſchießen fann. 39. Ein Loffel. 40. Ein Snabel
(Kate mit Sturmfallbrüde),. 41. Fahrbarer Schirm in Mausform. 42. Fahr:
barer Schirm mit Büchje, die einen 23 Schuh langen eijenbejhhlagenen Bolzen
gegen die Mauer ſchießen fol. 43. Heritellung von Salpeter und Salar:
moniaf. 44. Wuerffj:pufhjen von holg. 45. Ein „amet“ (?). Es iſt ein
aufihraubbarer Turm. 46. Ein hölzernes Türſchloß. 47. Borrihtung zum Ab-
iprengen von Thorjclößern. 48. Sprengen einer Bücje. 49. Ladeißen.
50. Allerdand Steigeijen. 51. Salpeter zu maden. Dieſer und der Schwefel
yüjjen vereint den Stein treiben, „wann jaliter ijt chalt vnd jwebel hikig; das
jind duo contraria vnd mügn mit ainander nod) anainander nit jain.“ 52. Geil:
falle zum Menjchenfang. 53. Duadrant oder Medracz von Holz, Kupfer oder
Mefiing. 54. Turmiprengung mittel3 Pulvers, das in einen hohlen Stamm ge-
laden ijt (petardenartig). 55. Einen überlauten Schuß zu tun. 56. Herjtellung
von allerlei Feuerwerksſätzen, verjchiedenfarbigem Pulver, Wiederbringung vers
dorbenen Pulvers, Salpeterproben u. dal. 57. Fahrbare „weih“, Hebebäume
zum Aufheben der Thore und Edjteine. 58. Standarmbrujte und Bliden. 59. Re—
zepte zu bejonderen Bulvern. 60. Bücjiengerüfte, darunter eines, wie das im
Münchener Eod. 600, wo auf dem einem Sciffscompas ähnlichen Gerüſt 6 bis 7
Rohre radienförmig im Kreiſe liegen. 61. Allerhand Sturmzeug. 62. Anſchießen
einer neuen Büchje (wie im Mindener Cod. 600). 63. Schirme und Hagen.
64. Gebrauch des Duadranten. 65. Berjchiedene Vorrichtungen zur Gejchüß-
erhöhung: Richtſchraube, Richtrad, Gegengewidte. 66. Hebezeuge. 67. Unvoll-
tändige Skizze eines „reyswagens“. 68. Streitgar (Karre). 69. Verſchiedene
Berfzeuge. 70. „Bagelpufchje”, welche ein Bündel „pheile“ jchießt. 71. „Not-
beifer“, das find allerlei jonderbare Verbindungen von Katzen mit Geſchützen,
jowie andere jeltjame Aptierungen älterer Formen zu pyrotechniſchen Zweden,
jogar ein eiferner Mann in ritterlicher Nüftung, der mit Pulver und „Sciffern“
gefüllt ift. 72. Büchjen follen beim Faflen nicht mit Eifen, jondern mit Seilen
gebunden werden; denn nicht jene, wohl aber dieje hindern die Teile eines
Ipringenden Rohrs am Auseinanderfliegen. 73. Mannigfade, z. T. unverjtänd-
liche Rezepte und phantajtiiche Figuren.
Yähns, Geichichte der Keriegswiſſenſchaften. 25
386 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Einige diejer Punkte verdienen noch eine bejondere Erläuterung.
Zu 3. Die Pulvermijhung it ärmer an Salpeter wie die de Cod. 60)
in Münden [S. 230]. — Zu 13 und zu 39. Dieje Schleudermajcinen find Mangen
oder Rutten, welche in ihrer Einrihtung dem Onager des Vegez entjpraden
— Zu 21. Diefe zwölf Stüd werden wenig jpäter, allerdings in einigen Punkten
abgeändert, unter der Bezeihnung „die zwölf Büchjenmeijterfragen“, da:
artillerijtiihe Schibolet des 15. Ihdts. — Zu 22. Dieje Klotzbüchſen find die
Nachfolger der Feuerlanzen oder Römerkerzen mit ihren untereinander angebradıten
Ausjtoßladungen [vgl. ©. 223 u. 234]. — Zu 23. Es ijt das der fpäter jog.„® öll:-*
oder „KRoll-Schuß“, der endlid zum Nicochet weiterentiwidelt wurde. — Zu
24. Die Zeichnung jtellt als alte Form der Büchſe eine cylindriihe Kammer:
büchfe dar, deren Vorhaus ungefähr jo lang fit wie die Kammer; als new:
Form ift ein koniſches Rohr dargeitellt, bei dem ſich alio die Kammer
gewiſſermaßen ohne Abjag in das Vorhaus fortjegt, jo daß das Geſchütz tuben-
oder fprachrohrartig ericheint. Der Berf. legt großen Wert auf dieje „newe Liit“
und verjpottet jogar den Niger Bertoldus, der
„unter andern dingen von Meijtern, die da fih hand underwun-
mocht nit zu wegen bringen, von angend vntz an das ende [den
die kunſt, die num ijt Funden in damit werdent bebende.
Der Vorteil diejer Form bejtand darin, daß fie Steine verſchiedenſten Kalibers
aufnehmen konnte, und dem entſpricht es, daß der Tert angibt: bei den neuen
Büchfen jei der Stein nicht mehr mit einem Klogen zu „verjpiezen“, jondern mit
dider Aſche (äjcher der didh jey) oder mit gebranntem Lehm. Dies erleichterte
natürlich das Laden jehr, und unter den bildlichen Daritellungen von Geſchützen, die
ji) in den Handſchriften aus der erjten Hälfte des 15. Ihdts. finden, überwiegen
daher diejenigen koniſcher Rohre ganz entjchieden. Dennoch hat die neue Form
ji) faum bis über die Mitte des 15. Ihdts. hinaus erhalten, weil ſich bald ergab,
daß die Wirkung der koniſchen Rohre ganz ungleihmähig und jomit völlia
unberechyenbar war. Schon die Redaktion des Feuerwerksbuches von 1445 behandelt
die Kegelform als abgetan. — Zu 25. Der Hagelſchuß wird im Münchener
Cod. 600 noch nicht erwähnt, wobei allerdings zu bedenken ijt, daß er unvollendet
vorliegt. Nach Angabe unjeres Ambrajer Codex lagen die Meinen Dageliteine,
in najje Ajche gebettet, in einer Dolzkugel. — Zu 27. Verwandt ijt der Ygel.
Hier bejteht der Hagel aus „eijernen Schiffern“, d. 5. rautenförmigen Eijenjtüden,
und befindet jich in einem gußeifernen oder irdenen „chnoph“ (Kugel) u. zw. ein:
gelagert in träges Pulver. „Wann er an jein jtat chumpt, jo zeripringt er vnd
tuet großen jchaden“. Während aljo beim Hagel mehr auf eine kartätſchſchuß
artige Wirkung gerechnet ift, wird beim Igel eine Art Shrapnelſchuß beabfihtigt.
Freilich ift die Gefhohzündung nicht erklärt. Die Erläuterung fährt fort: „Du
follt did) aber gar wol huetten; wann die gluenden Schifferjtain find gar
misling zu jchießen; du jolt aljo ain puckchſen darzue haben, die ziwiefalt jen,
das ain tail geladen mit jchiffer, das ander fol jein geladen mit ainem jtain“.
Die Zeichnung jtellt zwei mit dem Bodenſtück aneinandergefügte fonifche Rohre
dar. Es ijt nicht einzujehen, wie diefe Sache gemeint if. — Zu 34. Die unter:
2. Feuerwerferei und Büchſenmacherei.
irdiihe Bulvermine wird „ain chlafter tief mit puluer und mit chloczen (Blei-
fugeln) geladen vnd mit jtainen zugefüllt . . vnd wann die chacz (des VBelagerers)
darauff fümmt oder volfh, jo zund das lueder an, jo wurfft das die ftain durd)
die chaczn und zerprecht“. Dieje frühe Bejchreibung einer Mine ift jehr interejlant.
— 3u 38. Um aus einer für Ztr.Gefhoß beftimmten Bühfed Ztr.
zu Schießen, ladet man das „Ror“, d. h. die Kammer voll; in das „vorgehews
des pumbarcz“, aljo in den jonjt zur Aufnahme des Geſchoſſes bejtimmten vor-
deren Teil des Geſchützes, wird ein Klog geladen und an der Mündung abgejägt.
Dann macht man „ain hulgen pumbart von einem chlain vas für die pufchjen“
und legt in diejes Faß den 5 Ztr. ſchweren Stein. Auf diefe Weife mag man
auch einen großen Hagel ſchießen. — Zu 42. Aus hiſtoriſchen Nachrichten erhellt
gleichfalls, daß man aus Steinbücjen gewaltige Bolzen bis zu zwei Ztr. Ge—
wicht ſchoß u. zw. zum Bredhelegen, weil man fürdhtete, daß die Steinfugeln an
der Mauer zerichellen möchten. — Zu 44. Die Hölzerne Wurfbüchſe iſt eine
Handgranate „voll jchifferjtein“. Sie beiteht aus zwei Halbfugeln, umd der
Hagel ijt in Pulver eingebettet. Auch bier ift über die Zündung nichts mit-
geteilt. Vielleicht gehörte die bezügliche Kunde zu den am Schlufje der gereimten
Einleitung angedeuteten Geheimnifjen. — Zu 49. Während im Miünd. Cod. 600 die
Ladung nad) der Länge der Büchſe abgeteilt wird, ging man, wohl nod) vor
Ausgang des 14. Ihdts., dazu über, die Bulverladung nad dem Kugel-
gewichte zu bemefjen. Die Ambrajer Handichrift zeigt, daß man dann aud)
jofort dahin fam, Lademaße „Ladeißen“, Ladejchaufeln herzuitellen, welche, mit
Rulver gefüllt und abgejtrichen, das betreffende Ouantum ohne Abwiegen ein
für allemal enthielten. „Ladeißen ijt peßer dann ein wag, warn es iſt behender ;
man graift in das puluer damit vnd aljo ladt man allezeit glei die pukchſen“.
Nahe verwandt dem od. 52 der Ambrajer Sammlung it der
Cod. 67 derjelben, der ungefähr v. 3. 1410 ſtammt, jedenfalls nicht
viel älter ijt, weil er auf den Appenzeller Krieg anjpielt, welcher 1408
beendet wurde. Eine Abjchrift diejes Manuffripts, die einige Jahr:
zehnte jünger zu ſein jcheint, befindet jich in der fgl. Bibliothek zu
Berlin als Anhang eines Exemplars von Thom. Lirers 1486 zu
Ulm gedrudten ſchwäbiſchen Ehronif. (Incunab. 10117a). Der Titel
it „Buchßen werkch“; die Handichrift enthält ungefähr 1200 Reim—
verje, Doch feine Zeichnungen.
Das Gedicht, welches allerdings weniger von poetiihem als techniichem und
hiſtoriſchem Intereſſe ijt, beginnt:
In nomine domine amen! ' wie bülfer und buchen ijt erdadht
Ich vahe an in gotte® namen von erſte ung an das end volbracht.
Ain niuw gedidt ob ich fan Es war ain maijter von friechen land
wie buchen werd) vahet an Niger Berchtoldus ijt er genant ...
25%
388 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Nach der in hergebradter Weiſe gejchriebenen Schilderung der Erfindumg
fährt der Meiiter fort:
Alle jtud von den büchhen
Lan ich dich hienach wiſſen
Du vindeſt, wie fich ein maifter halten jo!
Das er vejte und jtät behabet wol
die geichriben jtand in dijem buch Und jo mit gezug umgäut
wilt du jy gern lejen jo jud) wie er den ain wyſe bäut
Du vindeit frum und jchlecht | wie er das bülfer machen jol . . .
Guttes böjes und gerecht der maijter bedarf glüdes wol
der mit diejer kunſt umgon jol ...
Büchſenwerch ijt fie genant.
Nun folgt ein Preis der Kunjt und eine Darlegung ihrer Leijtungen, ſowie
der fittlihen Anforderungen, die an einen Büchjenmeijter zu jtellen feien, und der
Kenntniſſe, die er bejigen müſſe.
Alfo joll ji ain maijter halten | Er jol fidy Halten jpat und fru
will er mit eren alten. | das m der wyn fain laides tu . ..
Hab gott lieb vor allen Dingen | Bil trinten und baden
jo mag dir nit mijjelingen .. mag dir wol gejchaden.
Bor dem Einatmen des Dunjtes von altem Pulver jolle der Meiſter jich
hüten und beim Feuern jeine Stellung mit großem Bedachte nehmen. — Bei
Aufzählung der an einen Meijter zu jtellenden wiljenicaftlihen Anforderungen
ift der offenbar als Vorlage dienende Tert des Ambrajer Coder 52 mehrfach
mißverſtanden.
Den Beginn der eigentlichen Lehrvorſchriften bilden 17 weſentlich
pyrotechniſche Kapitel:
Von Salbeter, von dem ſchwebel, von den kolen; wie man ſalbeder ſieden
ſol; Wiltu ſalbeter lutern; Wiltu den beſten ſalbeter han; wie du gut ſchwebel
machen ſolt; Wiltu gut kol machen; Wiltu machen gemengten zeug. Von dem
beiten bülfer; von jalpeatica; von der gewicht; von guten fürpfilen. Wiltu ain
turn niederihießen. Ob du belegen bijt (Leuchtlugeln zur Aufflärung des Geländes
vor der Feſtungh. Von gutem buljer (dauerhaft aud in Feuchtigkeit, Bon
fünem bulfer (farbigem Pulver).
Dann wendet das Gedicht ſich den „Matjterfragen“ zu. Es
jind Hier nur zehn und 3. T. andere wie in dem Ambrajer Cod. 52.
1. Ob für den jtain müge tragen uß 6. Ob der jtain lind oder hertlich
oder der tünjt der dauon gait. er jol liegen an dem Flop.
2, Ob jalbeter oder jhwebel habe die fraft T. Wie man ain buch jol heben
den jtain zu treiben uß der büchſen. das ſy lige wol und eben.
3. Wieviel bulfers ainen jtain 8. Ob man das bulfer aljo geb
gewerffen mag von ainem Pfund, | in fnollen in die buchs fol laden.
4, Wieviel bulfersmanindiebuhstunfol. | 9. Wie man den jtain jölle veritopfen.
5. By welcherlaige holt man die Hoß | 10. Ob das bulfer nit wäre qut
jol bilden und wie man dann erdädhte
die den jtain mügent traiben. das man das uß der büchſe brächte.
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 389
Es iſt hierbei zu bemerken: zu 4. daß die Büchje höchſtens ein Drittel voll
geladen werden darf, weil man fonjt Gefahr läuft, daß fie jpringt. — Zu 5. Albern-
holz. — Zu 6. der Stein foll verbifjet werden. — Zu 7. „So leg jy auf das
halbe mit, nit tiefer den ains halmes brait“, d. h. das Rohr joll um eine
Kleinigkeit tiefer in die Holzunterlage eingebettet werden als die Hälfte feines
Durchmeijers beträgt. — Zu 8. Am beten mijcht man lofes und Knollenpulver.
„Nimm 23 bulfer fnollen, Us loſes“, die Knollen Hinten im Pulverjad. — Zu 9.
Das Verſchoppen ijt nicht unbedingt nötig, doc) für die Sicherheit des Schiehens beſſer.
An die Büchjenmeifterfragen reihen jich dann folgende, vorzugs-
weile der Gejhügbedienung gewidmete 19 Kapitel:
Wie man die büchs ſoll zerſchießen. (Man ladet mit 3 Sorten Pulvers
von verjchiedener Stärke, das z. T. nah ijt, füllt Quedfilber ins Waid- (Zünd-)
Loch und wählt einen jpigen büchenen Klo und verbeiht den Stein jehr feit.)
— Weliche buchs bas jchießet, die wyter oder enger, fürger oder lenger. (Am
beiten jind die über 6 Klotz langen engen Büchſen und die, welche einen Zentner
ſchießen, „two man jy in rechter höhe leit“.) — Bon guten Schirmen. — Wie ſich
ein buchs jelber anzündt. (Mit Hilfe einer Zündſchnur von getränftem Filz.) —
Vie man mit Wafler ſchüßt. („Das Waſſer“ ift eine jprengölartige Zuſammen—
jepung.) — Wie man oleum benedictum madt. — Wie fer die buch jchiejen fol.
(Eine Büchſe von 7 Klotz Länge joll dreißig Hundert Schritt tragen, die eine mehr,
die andere minder, je nachdem das Pulver it.) — Wie man fürspfil machen jol.
— Bon den fürn fuglen. — Bie man die ftang jchiefen fol. (Die 30 bis 40
Fuß langen Stangen werden vor den Stein gelegt.) — Bon dem Werffitod. (Feuer:
lanze mit verjchiedenen Ausstoßladungen.) — Bon fchwebelfergen. — Von gutem
zunder. — Bon den Moßbücdjen. (Es werden nad) und nad) 11 Klotz ausge—
itoßen.) — Wie man verbrennt ein pfal unter dem waher. (Mit Oleum bene-
dietum.) — Von wahertergen: „Und brünnt im tiefen waßer drin, vnd ijt doch
fain nüßer fin“. — Vom heimlichen ſchieſen. (Um den Schall des Schufjes zu ver-
mindern, jhlägt man Leim und Hopfen vor das Pulver.) — Wie man dir fain
haus verbrennen mag. (Man bejtreicht die Dächer mit einer Miſchung von Kalt,
Kuhmiſt und Aiche.) — Wiltu wol leren ſchieſen. (Man muB die Büchje und das
Pulver jowie die Gewichtöverhältnifie von Stein und Pulver kennen, Klöße von
einerlei Gewicht haben, die ganz gleihmäßig geichnitten find, genau laden, dafür
forgen, daß beide Räder gleich hoch jtehen und endlich den Quadranten liebhaben
und jtudieren.)
Den Beſchluß machen 6 Anweiſungen, die ſich teils auf Pulver:
bereitung, teils auf Gejchügbedienung beziehen.
Wie man bulfer jhaidet. — Wie jalbeter lang were. — Bon gutem jal-
beter. — Wie man jalbeter jol ofen. — Wo du zenacht hin jchiejeft. (Man
ummidelt den Stein mit einem Luder, das mit Schwefel und Pulver eingerieben
it; dann vermag man den feurigen Aufſchlag leicht zu erfennen.) — Schießen mit
glühenden Kugeln (im Kalkofen geglühte Steine). „Dis iſt vnkoſtlich vnd doc
qut; nieman waiſt wie we dz tut“. Deo gracias.
390 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
8 58.
Wenn in dem eben erwähnten Gedichte der Mönch Berthold ganz
im Gegenfa zu der jonjtigen Überlieferung „ain maifter von friechen-
land“ genannt wird, jo liegt da, wie jchon früher [S. 225] erwähnt,
eine Verwechjelung oder Vermiſchung mit Marchus Graecus vor [M.$6),
dejjen Andenken eben um jene Zeit wieder lebendig ward. Letzteres
[ehrt ein vom Anfange des 15. Ihdts. herrührender Papiercoder des
German. Muſeums zu Nürnberg (1481a). Diejes aus 48 Fleinen
Dftavblättern bejtehende Manuſkript führt den Titel: „Feuerwerks—
fünfte und Büchjenmeijterei“, der jedoch nicht original iſt. —
Den Eingang macht das Liber ignium des Marcus Graecus in
einer von den Pariſer Manujfripten mehrfach abweichenden Faſſung!).
Dann folgt das alsbald ſ8 59] näher zu bejprechende Feuerwerksbuch
u. zw. zweimal, zuerjt in jeiner ältejten, von der Wende des 14.
und 15. Shots. herrührenden Gejtalt und dann in der Faſſung, wie
es jich, etwa um 1425, definitiv feitgejtellt hat, wenn auch in etwas
ungewöhnlicher Reihenfolge.
Das Nürnberger Manujfript beginnt: »Hic invenies spe-
cies ignium a marco greco conscripte quore virtutis
et eflicacia ad comburendos castris (? hostes) tam in mare quam
in terra ut in plurimum eflicax invenitur«. (sic!)
Unter diejer Überſchrift folgt auf BI. 2 bis 12a eine Reihe lateinijcher Bor:
ichriften zur Bereitung brennender Flüfligkeiten, unauslöjchlicher "Feuer oder ſolchen
Feuers, das ſich durch den Regen entzündet, immerwährend brennenden Lichtes,
brennenden Weing, griechiichen Feuers u. dgl. m. Hie und da jteht eine deutich
geichriebene Stelle dazwijchen oder am Rande. — Bis dahin folgt die Handſchrift
offenbar lediglich der mehr oder minder direft auf Marcus Graecus zurüdführenden
Tradition).
Bon Bl. 12a an beginnen in deutjcher Sprache andere pyro—
technijche Anweiſungen, die einen vorwiegend artilleriftiichen Charafter
tragen, aljo von der FFeuerwerferet himüberführen zur Büchſen—
meiſterei.
Von den Büchſen, von Salpeter, von Bereitung und Behandlung des
Schießpulvers und vom Schießen. Bon Bl. 28a beginnen die Abſchnitte öfter
1) Auch in einer anderen alten Handichrift des Germ. Mufeums (3227a), weldhe Liechtenamers
Fechttunſt enthält [$ 49), find die erjten Blätter einem höchft altertümlichen liber ignium gewidmet,
cuis virtus et efficacia ad comburendo tam in mari quam in terra. Da handeln BI. 114 bis
13a vom Härten des Eiſens, Stahl, Steind u. ſ. mw. in beutfcher und latein. Spradye. Der Anfang
lautet: „Nu fpricht meifter allaym, das dy erite herte ift allermeift in taldem waßer.“
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 391
mit: „ES ward ein Maifter der kunt gefragt“ und auf S. 33a heilt es: „Dieje
funjt Hat ein Maijter gefunden, der hieß maijter Berchtold u. j. w.“ Am wichtigſten
aber jind die auf BI. 44 beginnenden zwölf Fragen, die mit der Wendung ein=
geleitet werden: „ES tut ein Maijter zwelf frag“.
Mit diefem Terte befinden wir uns auf dem Boden des deutjchen
„Feuerwerksbuches“, das im nächjten Baragraphen bejprochen werden
joll. Hier jei nur auf einen Bafjus hingewieſen, welcher von bejonderem
Snterejje in Bezug auf Die Verhältniſſe des Rohrs zum Durd)-
mejler des Gejchojjes jowie der Ladung zum Gewichte
desjelben ijt und welcher zugleich injofern merkwürdig erjcheint, als
für Kammer wie Flug lediglich die Eylindergejtalt ind Auge gefaßt,
die fonische Form [©. 386] aljo ignoriert wird. Es heißt nämlic):
„Wilt du dir ain jtainbuchjen heißen machen, ſy jei groß oder clein, jo
hai dir zween jtain machen in der groß, als du mwolleit, das die puchs werd
ihießen vnd wenn die zween jtain gehamwen werden, jo leg die zween jtain für
einander, das einer den andern rür, jo heiß dir dann das ror, da da pulver ein—
gehört Kammer), eben als lankch machen, als die jtain jind baid, vnd das vorhaus vor
dem ror, do der jtain inn ſoll liegen, anderttalb jtains land) vnd den poden hinder
dem zündloch aines halben jtains dikch; das ijt einer iglidhen jtainbuchjen ge—
rechtigkeit, ond das vor nicht mehr vaße dann je zu zehen pfunden jber des jtains
ein pfund pulvers.”
Durch diefe Ausernanderjegung jind alle Ausmaße bejtimmt,
auch die der Sammer, da man dieje (wie erhaltene Stüde lehren)
jtet3 Ys jo weit als lang machte; ihre Weite betrug aljo ?s des
Kugeldurchmeſſers.
General Köhler hat darauf hingewieſen, daß die i. J. 1411 zu Braunſchweig
gegoſſene „Donrebuße“, die berühmte „faule Mette“, genau der eben mitgeteilten
Vorſchrift gemäß, hergeſtellt war. Die Länge betrug 4 Kugeldurchmeſſer oder
2457 m, der Boden hatte e, die Kammer 2, der Flug 1!/2 Kaliber. Die Ladung
diejes Monſtergeſchützes war 32 kg Pulver; doch vermochte die Kammer 54, kg
zu faſſen. — Köhler fommt audy zu dem Ergebniffe, daß die Haufnige der
Huflitenfriege in ihren Proportionen durchaus den in der Nürnberger Handſchrift
gegebenen Anweijungen für Steinbücjen entſprach. Die Haufnigen lagen zu
mehreren unbefleidet auf eigenen Bichjenwagen, auf deren jtarfen Holzbühnen
lie mit eifernen Bändern befejtigt waren !).
Übrigens waren dieſe Proportionen bereits im Begriffe, zu ver:
alten. Schon der Ambrajer Eod. 67 ſpricht von 6 und 7 Klotz
langen Büchſen und jchreibt den langen Büchjen die größere Trag-
!ı) Köhler: Kriegäweien und Sriegführung der Nitterzeit IIIa (Breslau 1887).
392 Das XV. Jahrhundert. II. Fadywifienichaftliche Werte.
weite zu. E83 ijt das der Anfang jener Entwidelung, die zu den
langen dünnen „Schlangen“ führt. Aber auch da, wo dieje Ten-
denz nicht vorliegt und die Büchjen im wejentlichen den alten Charakter
bewahren, wird doch der Flug verlängert. Dies lehrt z.B. die Feder:
zeichnung des Durchjchnitts einer Steinbüchje in einem Manuſkripte
des German. Muſ. v. 3. 1428. (Nr. 24, 347)}).
Die Länge der Kammer beträgt auch bier noch zwei, die des Vorhaufes aber
drei Kugeldurchmeſſer; die Dicke des Stoßbodens it Y/s Kaliber. Die Zeichnung
befindet fih am Sclufje der Handichrift, welche unter medizinifhen Traftaten
auch eine Anweifung zur Salpeterbereitung enthält, wobei die Ajche zur Erzeugung,
nicht zur Reinigung des Salpeters vorgejhlagen wird.
8 59.
Aus den teilweile oder ganz gereimten LZehrjchriften für Büchien-
meijter, wie jie in den Ambrajer Codices 52 und 67 vorliegen, hat
jid) daS berühmte „Feuerwerksbuch“ des 15. Ihdts. entwidelt,
dejjen joeben bereits andeutend gedacht worden ijt. [$ 58]. Ein vor-
züglicher Kenner ſüddeutſchen Kriegsweſens, Oberjtlt. Joſ. Würdinger,
bringt das Feuerwerfsbuch mit dem Namen Abrahams von Mem-
mingen in Verbindung, eines ausgezeichneten Büchſenmeiſters, der
i. 3. 1410 für Herzog Friedrich von Tirol ein Feuerwerksbuch ver-
faßte.2). Ob dies vielleicht der Cod. 52 von Ambras, ob es eine
der Faſſungen des profaischen TFeuerwerksbuches ist, muß bis auf
weiteres dahingejtellt bleiben. Genug, daß das Feuerwerksbuch jich
als eine das gejamte damalige artilleriftiiche Wiffen umfajjende Samm-
fung älterer und neuerer Überlieferungen darjtellt und kurze Zeit
nach jeiner Entjtehung bereitS in zahlreichen Abjchriften über ganz
Deutjchland und Frankreich verbreitet war und in hohem Anjehen
Itand ?). Kein zweites vor Erfindung der Buchdruderfunit gejchriebenes
kriegswiſſenſchaftliches Werk findet jich noch jegt jo häufig in den
Bibliotheken als dies alte „FFeuerwerfsbuch“. Und es tritt da nicht nur
jelbjtändig auf, jondern mindeſtens ebenjo oft als Einleitung oder
Anhang allgemeiner Werfe über das Kriegswejen oder als Bejtand-
teil von Sammelcodiced. Dem entipricht es, daß es auch zuerjt von
allen Artilleriebüchern gedruckt worden it, freilich erjt zwölf Jahr:
ı) Köhler: Kriegsweien und Kriegführung der Ritterzeit IIIa, Taf. III, Fig. 8 (Breslau 1887).
2) Handfchriftl. Notiz Würdingersd im God. 719 bes German. Muſeums.
3) Bgl. Würdingers „Hriegsgeih. von Bayern u. f. w.” II, ©. 341 und 397 (München 1868).
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 393
zehnte mach jeiner Entjtehung, nämlich als Anhang des deutjchen
Vegetius in dejjen Ausgabe von 1529. [XVI. 8 4 und $ 40]. Aber
obgleich jein Inhalt jchon damals größtenteils veraltet war, jo ging
er doch, nur wenig gekürzt und geändert, auch in die Striegsbücher
des 16. Ihdts. über; ja manches daraus findet jich im der Artillerie-
Iteratur bi8 zu Ende des 17. Shots.
Die ältejte datierte Handfchrift enthält Cod. germ. 4902 der Mündener
Hof: und Stats-Bibliothek, welche Konr. Kauder aus Schongau 1429 fopiert hat;
leider ift fie ein Bruchjtüd. Vollſtändig ift ein oder von 1430, welcher zu den
aus Rom zurüdgegebenen Handichriften der Heidelberger Bibliothek gehört
(c. pal. germ. 787) [$ 4). Das Manuffript der Wiener Hofbibliothef
von 1437 (Mr. 3062) iſt das erite, welches unter den datierten Handſchriften eine
lange Reihe mannigfaltiger Darjtellungen von Gejhügen und Kriegsgeräten als
Anhang bringt [$ 7). Ein ähnlidyes Eremplar von 1445, welches einjt der
Bibliothek v. d. Horjt gehörte, hat Hoyer im Anhange zu jeiner „Sejchichte
der Kriegskunſt“ (II, 2 S. 1107—1147) jeinem wejentlihen Inhalte nad) abge-
drudt. Ob und wo das Original nod) erijtiert, habe ich nicht feitzuftellen vermodht.
Das Germaniſche Mujeum bewahrt ein datiertes Eremplar von 1452. Die
Jahreszahl 1453 trägt die Handichrift, welche einem Sammelbande des Kriegs:
arhivs im Berliner großen Generaljtabe angehört [$ 7). Es folgt ihr
ein Anhang unter dem Titel: „Das find die fewr, die maijter Achilles Thobor
geſchrieben hat“: Anweiſungen zur Bereitung ungewöhnlicher, 3. T. wohl gar
fabelhafter ?yeuerarten, die vermutlich byzantinijche Rezepte in mehr oder minder
unverjtandener Weiſe wiederholen. Bon 1454 jtammt eine Handſchrift in der
Bibliothek des Zeughaujes zu Berlin (m 1), die jich 1594 im Bejike
des Barons Chriſt. von Woltenjtein befand. Es ijt das inhaltreichſte aller mir
befannten Eremplare. Aus d. J. 1517 befigt die fgl. Bibliothef zu Dresden
ein Eremplar.
Unter den undatierten Handfhriften des Feuerwerksbuchs, ja vielleicht unter
allen itberlieferten Abjchriften die ältejten, jind wohl die „Feuerwerkskünſte umd
Bücdjjenmeifterei” des Germanijhen Mujeums (cod. 1481a) [$ 58) und die
des zweiten Bellifortiscoder in Göttingen (ms. phil. 64) [$ 4]. Xeptere iſt
jehr volljtändig und jtimmt großenteil® mit dem Drud im deutjchen Vegez von
1529 überein. Ferner find zu nennen: eine föftliche, jehr alte Abjchrift der
Bibliothef Hauslab-Liehtenjtein GRoßau zu Wien), welcher ein pyro=
tehniiches Nezeptbuh und ein vorzüglider Bilderatlad angehängt find; dann
das jchöne Mept. math. 4 Wr. 14 der Yandes bibliothet zu Kajjel und
das ms. 2 der Berliner Zeughausbibliothef, weldes älter ald Wr. 1
derjelben Bibliothek ijt, aus 70 Blättern beigeht, aber leider am Schluß ver-
jtümmelt ift; weiter in derjelben Bücherſammlung ms. 18, ungefähr aus derjelben
Zeit (etwa 1420) und ehemals in dem Befite des Hanns Otten v. Üchterdingen.
Die Faſſung diejer Handichrift weicht vielfah von dem gewöhnlichen Texte ab.
Sehr alt erjcheint der Cod 1597 der Leipziger Univerfitätsbibliotbel,
394 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
der nach der bis zu den „Zwölf ragen“ rot gejchriebenen Einleitung 78 Para—
graphen enthält. Merkwürdig ijt das niederdeutjche Eremplar der fgl. Bi-
bliovthef zu Berlin (ms. germ. 4 Wr. 867), das den Titel führt: „Kunſt
pußenpuluer to malen, bußen to jcheten, biyden vnd ander jchleudigfeit“. Als
Berfertiger diefer Handichrift, welche 139 Kapitel zählt, nennt fih Hans Schulten.
Dann ijt der Aufnahme des Feuerwerksbuches in das anonyme Kriegsbud von
ca. 1450 in Wien und Charlottenburg zu gedenfen [$ 35], jowie der etwas
erweiterten Faſſung des Feuerwerksbuches im cod. ms. Wr. 2987 der Wiener
Hofbibliothet, welche den Titel führt: „Die kunjt der puchſen, wie man die
bereyten fol, handeln und ordiniren mit jrer zugehorungen als dan die meijter
mit bejonderen fragen vnderjtehend geben“. Diejelbe Bücherſammlung bejigt eine
jpäte prachtvolle Kopie (Nr. 10895), welche eine gereimte Einleitung, viele Tert:
vermehrungen und farbige Darjtellungen von Gejhügen, Feuerwerlen und Wert
zeugen enthält. Alter und plumper find die Zeichnungen, welde dem God. 719
der Münchener Hof- und Statsbibliothef angehängt find. Im oder 734 derjelben
Bibliothek Hat ein benannter Künjtler, Dans Formſchneider, jeine lehrreichen
Darjtellungen unmittelbar in Verbindung zu dem alten Terte gejegt 8 62].
Das Feuerwerksbuch hat im Laufe des eriten Viertels des 15.
Shots. eine jtete Bervolljtändigung erfahren und tjt endlich, etwa um
1425, zu einem vorläufigen Abjchluß gelangt — nicht eigentlich zur
Abrundung; denn die Nachträge find feineswegs immer an gehöriger
Stelle eingefügt worden. Um die Mitte des Jahrhunderts machte Tich
dann abermals das Streben geltend, das alte Buch durch Einſchübe
und Anhänge zu vermehren, teils (wie in dem Eremplar Nr. 1 des
Berliner Zeughaujes) durch VBorjchriften über den Guß der Gejchüge,
teils durch pyrotechniiche Rezepte, teil® durch) Hinzufügung eines
Bilderatlafjes. Immerhin läßt jich überall die urjprüngliche Dis:
pojttton erfennen: der Verf. will zuerjt die einzelnen Elemente des
Pulvers, dann dies jelbjt in jeinen verjchiedenen Zujammenjegungen,
darauf die Bedienung der Gejchüge, einige bejondere Gejchoffe, Die
Schußarten und endlich gewilje Feuerwerkskörper jchildern. Aber das
Konzept iſt verichoben. In den eriten Teil find jchon Kapitel ge
raten, die nach hinten gehören, und durch das ganze Buch laufen in
allen Abjchriften immer wieder Anweifungen aus der Lehre vom
Salpeter und Pulver. Dieje Unordnung, welche jämtlichen Codices an-
haftet, findet jich nicht überall in derjelben Reihenfolge, und jo darf
man vermuten, daß jolche Rezepte urjprünglich einzeln auf Zettel
gejchrieben waren, die von den Redaktoren mit größerer oder geringerer
Einjicht in das Original oder im eine auch jchon anderweitig ver:
dorbene Kopie eingejchaltet worden find. — Bei dem gleich folgenden
2. Feuerwerkerei und Büchfenmacherei. 395
Auszuge des Feuerwerksbuches jchliege ich mich im großen und ganzen
der Anordnung des Stoffs in dem jehr vollitändigen Eremplare des
Berliner Kriegsarhivs an unter Zuhilfenahme des nur ein Jahr
jüngeren, noch reicheren God. 1 des Berliner Zeughaujes. Nur in
der Einleitung weiche ich von dem Codex des Kriegsarchivs ab, weil
diefer gerade hier eine jonjt ungewöhnliche Reihenfolge aufweiſt. —
Die ungehörigen Emjchaltungen jind durch edige Klammern um die
an faljcher Stelle jtehenden Titel angedeutet.
In der Geitalt, in welcher das Feuerwerksbuch am häufigiten
vorfommt, beginnt es mit einem Hinweiſe auf die Notwendigkeit
treuer Diener, insbejondere guter Büchjenmeiiter.
„Welcher Fürjt, Graffe, ritter, knecht oder jtäte bejorgent vor iren feinden
beligert und benot werden in ſchloßen, veiten oder jtäten, den ijt zu voraus ain
bedürfit, das ſy Haben Diener, die als frum vnd vejt lüt jein, das fie durch
eren willen Sel, ere, leib, leben vnd qut vnd was in got ye verlihen en gien
iren feinten daritreden vnd wagen, en das ſy flihen .. . .. Bejunders qut
büchſſen maijter vnd jhügen, damit fie ſich behelfen mögen, vnd wan das
it, das man von püchßen maijtern gut großen trojt nümpt, jo ift ein yeglich
furſt, herr, ritter oder fnecht vnd jtet bedurffent, das püchjenmaijter qut maijter
iind vnd alle die öl vnd pulfer qut beraiten fünnen vnd auch andere jtüd, die
nüg vnd gut jind zu dem piüchienpulfer, zu fewrpfeilen, zu fewrfugeln, die
man wirft (aus Bleiden u. dgl. Wurfzeug) zu fewrkugelln, die man auf der püchhen
iheuft, und zu andern jewerberden vnd die in diejem buch, das da haißet das
jeurberdbud harnach gejchriben jten.“
Dann folgen die „Zwölf Büchjenmeijterfragen“ [vgl. ©. 384
u. 388], eine fatechismusartige Injtruftton, welche, nur ganz wenig und
langjam abwandelnd, durch anderthalb Jahrhunderte den Kern des
artilleriftijchen Willens überliefert hat. Noch 1619 ericheint jie
in ihrer alten Form in dem von de Bry herausgegebenen „Kunit-
büchlen von Gejchüß und Feuerwerk“. Dieje „Zwölf Fragen“ find
Erfennungszeichen der Kundigen und Grundformeln der Zunfttradition
der Büchjenmeijter. Ste lauten:
1. Ob das fewr den jtain aus der pühhen treib oder der dunit,
der von dem fjewr gat. — Nu jprechent etliche, das fewr hab die frafft den jtain
zu treiben; Ich ſprich aber, der dunjt habe die frafit. Eremplum. Ein Beyipel.
Nym ein pfunt guten puluers vnd tu es in ain jennig (?) weinfah vnd vermach
es wohl, das fain dunjt dovon fumen müg, dan zu dem widloch, da du es ans
zündejt, jo iſt das puluer ze hant verprunnen und pricht der dunjt das vaß.
2. Ob jalpeter oder jwebel die krafft hab, den jtain zu treiben.
— Sprich ich: die pede! Dan wan das puluer entzindet wirt in der pichien, jo
396 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
ift der ſwebel aljo hitzig vnd der Salpeter aljo kalt, das die felten die bit nicht
geleiden mag, nod) die big die felten. Wan kelt und big find zwai widerwertige
ding; aljo mag ir yetweders das ander nicht geleiden, vnd ijt doch aind on das
ander nicht nüß zu dem puluer zu brauchen.
3. Ob lutzel puluer belder ein pidhjen pred oder weiter ſchieß,
aljo ob man die püchſen fult pis an den Floß. — Da jprid ih: wen man
die püchjen fült pis an den Moß, jo mag das vnd Sicht (?) nicht weite haben,
den ſchuß zu volbringen pis das das fewer ain tail hinter ſich aufprint vnd das
puluer den flog aufichleht. Iſt aber die pichs den drittail pis an den vierden
geladen, jo mag das puluer gemeindlichen ains mals prinnen vnd mag der dunit
jein krafft volbringen vnd jchewjt weiter vnd pricht die püchß vil ee dan von
dem, der fie fült mit gejtoßem puluer biß an den flog").
4. Ob ein linder Floß von lindenholk den ftain paß treib oder
von berttem hol als aihen vnd pücdein, als vil maijter prüfent vnd
ob diejelben flog fur oder lang, dürr oder grün jein jollen. —
Sprid ih: die hierten Mog fint nicht gut, wan darumb, jy jint ze hert und laßen
fich nit treiben pis auf jein jtat, vnd behelt den dunft vil paß dan die berten
og. Item: der Mob fol nit lenger fein, dan er prait jey®). Die pejten dürren
Hoß, die man gehaben mag, die machet man aus dürrem erlen holtz; aber die
allerpeiten grienen flog macdet man aus birdenholg alsbald ald von dem jtam
gehawen wirt.
5. Ob der jtain fer (ferner, weiter) gang, jo er hirt lig. — Sprich
ih: ye berten der jtain lig, Ye berter er gang, aljo das er gar wol verjtoppt
jey, das der dunſt davon nit gangen müg, jo wirt der dunſt jtard vnd jchemit
weit vnd bert.
6. Ob die pißen, da man den jtain mit verpißet, von linden
oder von hertem holtz füllen fein. — Sprich ich: welcher jtain gerecht in
die püchhen gehört vnd er nit mer weiten dan er bedarff vnd er getrang ligen
mus, jo joltu in verpißen mit dünnen berten pißen von aichen holtz; ijt aber
der jtain etwas ze clain, das er nicht aljo getrangt ligt, jo joltu in verpihen
mit dünnen pißen von dürrem linden holt ®).
7. Ob diejelben pißen dün oder did jein füllen. — Sprid ic,
das diejelben pißen did oder dünn jein jollen %) von dürrem holg; aber wan du
den jtain damit verpißezt, jo joltu den pihen mit einem jchroteijen an dem jtain
abhowen, alſo da& die pißen nicht für den ftain gangen.
8. Warmit man den ftain verfhoppen jülle, das der dumit
nit do von gien müg. — Sprid id: nym wachs vnd wechſe ein tuch damit
vnd thu (dreh) es ainfad zu ainem ſail vnd ſchopp das mit einem guten ſchopp—
eyien zwijchen den jtain vnd die büchjen, jo fert er ferr.
1) Bgl. M. 8 30 (BI. 7b des Münchener Coder 600). 2) Ebd. BI. 5a.
2) Nach anderer Lesart „mit tannenen bißen“.
*, Alſo je nach Umftänden, dem Spielraum gemäh.
2. Feuerwerlerei und Büchjenmacherei. 397
9. Od ein pühh weiter jheih don zweyerley puluer dan von
ainerlay. — Wenn du die püchien ladejt und ſchießen wilt, jo lug, das habejt
zwapyerley puluer vnd das du gut puluer an den boden legeit und das pöſt da=
rauf. So jdewit du weiter dan mit ainem; wan das tut die widerwertigfeit
paider puluer.
10. Ob der ftain den flog anrieren jol oder nit. — Sprid) ic: der
itain jol hert an dem Hoß ligen. Du jolt flog nemen vnd in mit ainem tuch
bewinden vnd jolt den Floß vnter ougen brennen das tail, das gegen den jtain
gehört, umb das, das er hert wert, vnd lad den jtain hert daran vnd verpiß und
verihopp den wol ?).
11. Ob das puluer jey zu tuen in die püchſen fnollenpuluer
oder gejtoßen puluer. — Sprich ih: Des fnollenpuluers zwei pfunt mer tun,
dan gejtoßenen puluers dru pfunt getun möchten. Aber du jolt das fnollenpuluer
beraiten vnd maden, als in dijem puch hernach geſchrieben jtot.
12. Wie jwären jtain ain pfunt puluers mit feiner frafit ge
werjfen mug vnd was jein redht trag ſey. — Sprich id: ain puchß jey
groß oder Hein, jo jolt alweg ain pfunt puluers ain neunpfündigen ftain treiben.
Sit aber der jtain nymme jo vil, gat auch des puluers ab.
Dabei ijt num bemerkenswert, daß, während die älteren Codices die
6. und 7. Frage in der oben mitgeteilten Faſſung enthalten, der
Coder von 1445 und die meijten jüngeren?) eine nicht unmwichtige
Fortentwickelung der dort enthaltenen Vorschriften aufweifen. Denn
es heißt da:
6. „Ob man den Stein verbyßen ſolle oder nit? — Sprid ich, diewyle die
Buchen vor dem pulverjaf als furk waren, wenn der jtein dar in geladen wart,
das er ein wenig für die Buchs gieng, zu den zyten vnd zu denjelben Buchen,
was bedurfft, das man den jtein verbißet. Aber zu den Buchen, die man
vegunt hat (1445), die die langen Ror haben vor dem pulverjad, jo die Buchs
eingeladen wirt mit pulver vnd mit jtein, da bedarff der jtein nichts denn us—
ihoppens.* — 7. „Warumb der jtein in den langen Buchßen nit verpißens be=
durfien? — Spridh id) darumb: Welhe Buchs ain langes Ror hat vor dem
pulverjat vnd die Buchs gegoßen ift, das ſy vor dem Moglod nit mer wyt in
hat, denn ze vordrijt daran, jo muß der jtain von not wegen getrang vnd glid)
ligen vnd auch glich ußfarn vnd bedarff feins verpißens.“
Hier zeigt ſich die alte, dem 14. Ihdt. entſtammende Form der Büchſen—
meilterfragen abgeitreift. Das neue Gejhüßmaterial mit verhältnismäßig langen
Rohren vor dem Pulverjad [$ 58], das aus Metall in einem Stüd gegojien
wurde, erlaubte bereitö eine vereinfachte Ladeweiſe, madıte das Verfeilen des Ge—
ihofjes überjlüflig.
!) Bol. M. 830 (BI, 5a des Münchener Codex 600).
*) Nicht alle, 3. ®. nicht das Eremplar des Generalftabs von 1453, auch nicht der Anhang bes
deutichen Vegez von 1529, wohl aber u. a. dad Manuffript Nr. 1 des Berl. Beughaufes von 1454.
398 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte,
Den Zwölf Fragen folgt eine furze Gejchichte der Erfindung
des Pulvers und des Büchſenſchießens!.
„Diſe kunſt hat funden ain maifter, hie Niger Berhtoldus. Wnd in
gewejen ain nYygermanticus vnd iſt auch mit großer Alchymye umbgangen
Sunder als diejelben maijter mit großen koftlichen vnd hoflichen ſachen umbgand
mit jilber vnd mit gold und mit den ſyben metallen, alfo das diejelben maifter
Silber vnd gold von dem andern geſchmid funnen jchaiden, vnd von kojtliden |
jfarwen, jo jy machent. Alſo wolt derjelb maijter Berchtold ain goldfarw brennen.
zu derjelben farw gehört: Salpeter, Swebel, Bly vnd öl. Vnd wenne er die
ftudf in ain fuppfrin ding pradt. Vnd den hafen wol vermadet ald man aud
tun muß vnd in yber das für tett. Albald er warm ward, jo brady der bafer
jo als gar ze vil jtuden. Er ließ im aud maden gang goßen fuppfrin hafen
vnd verjchlug die mit ainem yſinnnagel. Vnd wenne der dunjt nit darvon
fommen mocht, jo prad er, vnd täten die ftud großen ſchaden. Aljo tett der
borgenannte maijter Berchtold das ply vnd öl davon vnd legt fol darzu, vnd lieh;
im ain Buchs gießen (!) vnd verjucht, ob man jtein damit geſchießen mödht. Wan
es im vormals türn zeriorffen bett. Alſo vand er dieje kunſt vnd befert in
etwas. Er nam darzu Salpeter vnd Swebel glid vnd fol ettwas minder. Um
aljo iſt diefelbe kunſt jydmalen jo gar genau geurjucht vnd funden worden, das
ſy an Buchen vnd an Pulver vaſt gebeiert ift worden, al® ir bie nah an
dieſem Buch wol verjten werdent.“
Hieran schließen jih VBerhaltungsmaßregeln für die Büchſen
meister ?), welche mit den Worten eingeleitet werden: „Dyſe ftud
gehören einem yden Buchjenmaijter“.
Dunjt und Dampf des Bulvers jchaden dem Haupte, dem Derzen und
namentlid der Leber. Man dürfe nicht nüchtern damit umgehen und habe ſich
bejonders vor dem Weine zu hüten. Der Meijter joll leichte und gelinde Speiſen
genießen; denn wenn er viel mit dem Zeuge (Pulver und Feuerwertsjäge, um
gehe, befomme er leicht das Getwang und mühe morgens und abends vil nießen
Bor Eſſig und Eiern jowie vor harten und trodenen Speiſen ſolle er jih hüten,
fünne dagegen genießen, was falt und feucht iſt. — Mehr noch als ander:
Ktriegsleute habe der Büchſenmeiſter Gott zu fürdten; da er jeinen größten Feind
immer unter Händen habe. Er jolle bejcheiden, redlich und unverzagt jein, ehrba:
in Worten und Werfen und jich namentlich vor der Trunftenheit hüten. Notwendig
jei es, daß er jchreiben fünne, jonjt vermöge er nicht alle Stücde der großen
Kunjt zu behalten.
Und num beginnt das eigentliche Feuerwerksbuch.
Vie man Salpeter ziehen fol. Wie man ihn läutern jol. [Wie mar
das weit jchiehend Pulver maht. Wie man gut Pulver madt. Wie man ver
1) Nicht in allen Codices, aber 5. B. in ber Rebaltion von 1445. In andern Eremplarır
fteht diefer Bericht nad) der Beſprechung von Salpeter, Schwefel und Stohle vor ben eigentlichen Bulver
rezepten; jo in dem Gober bed Berliner Kriegsarchivs. *) Nicht in allen Redaktionen. Im ober de
Berl. Kriegsarchivs folgt diefer Abichnitt 3. B. nach den Vorjchriften über die Bebienung ber Geichüt⸗
2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 399
dorben pulver wieder bringen joll. Wie man bös (verdorben) Pulver von ein-
ander fcheidet.] [Wie man gute Feuerfugeln macht, die man aus der Büchſe
ſchießt. [Wie man einen jchredlihen Schuß tun joll, daß der Stein über hundert
Sprünge tut. (Göllſchuß).) Wie man Salpeter ziehen joll, daß er viel befjer
wachje ald an den Mauern. Welche Spezies (Beimiihungen) Büchjenpulver
ihnell und jtart maden.] Wie man Salpeter gerecht fiedet und läutert. [Wie
man ein gar meijterlich jtart und jchnell Büchſenpulver maden fol. Wie man
noch ein beßer und jtärfer Bulver machen jol.)] Wie man Salpeter, der nicht
genügend geläutert ijt, gerecht macht. Welcher Salpeter der kräftigjte jei. [Wie
man für jegliche Büchſe, fie jei fein oder groß, die Steine hauen joll, daß jie
gerecht werden. Welche Spezies die Kohle vor dem Ver erben ſchütze, Wie man
verdorbenen Salpeter läutern joll. [Wie man den Zeug ftoßen joll. Wie man
jede Büchſe mit Pulver, Kloß und Stein laden jol. Wie man Buchjenflogen
machen joll.) Wie man Salz von Salpeter jcheiden fol. Wie man den beiten
Salpeter machen jol. Wie man Mauerjalpeter läutern jol. Wie man den Sal-
peter nach dem Sieden zum Stehen bringt. Wie man den wilden Salpeter aus
den Bergen reinigt. — Wie man Schwefel bereiten joll, daß er zu Pulver
und Feuerwerk kräftig und hisig wird. Welch Schwefel der bejte jei. — Wie
man die bejte Kohle madt. — Ein gemein qut Bulver von drei Stüden.
Wie man das allerbejte Pulver machen jol. Wie man gut Kinollenpulver und
gute Schwefelferzen macht. Wie man Pulver von einander jcheiden joll und ver-
dorbnes wiederbringt. [Welche Natur der Salpeter hat und welder der bejte
it. Wie man gut Salpetrica madht, um Pulver zu fchnellen (kräftigen). Sal-
peter an Mauern zu ziehen. Wie man Salarmoniat läutern und bereiten joll.)
Gute und höflihe Kunſt, wie ein Meifter nachts ſchießen joll und wiſſen mag,
wohin er geichofien Hab. Wie man einen Turm bejdiehen jol. — [Wie man
gutes weißes, rotes, blaues und gelbes Pulver macht. Wie man gute Feuer:
pieile madt. Wie man gut Buchjenflop madt. Wie man einen überlauten
Shui tut. Wie man einen jiheren Schuß tut. Welhe Büchſe am weitejten
ſchießt. Wie die Büchje am beiten liegt. Wie man eine Büchſe brechen kann.
Wie man eine Büchfe laden und anzünden foll, jo daß man ohne Schaden davon
fommt. Wie du dich vor der Büchje hüten ſollſt, wenn du bejorgjt, jie breche.
Wie man Hand» und Tarresbüchjen laden joll, Wie man quten Zinnt (Zünd—
ſchnur) ſieden ſoll. Wie man gute Pulverkugeln maden jol, Wie man ver-
borgen Feuer machen joll, das erſt nad mehren Tagen entjlammt. [Xlehre,
Salpeter zu faufen, der von Venedig gefommen, daß man nicht betrogen werde.
Vie man Salniter kaufen jol. Wie man gut Schwefelöl maden fol. Wie das
beite Oleum compofitum zu maden. Wie böjes Pulver wiederzubringen.)] Wie
man Stangen oder Pfeile aus der Büchſe ſchießen fol. Wie man einen Hagel
hießen fol. Wie man „jmerling“ ſchießen jol, Wie man Hauspfeile (Bolzen
von Standarmbruiten) aus einer Büchje jchießt. Wie man Smerling mit dem
Stein oder mit Hauspfeilen zujammen aus einer Büchje jchießt. Wie man einen
Igel ſchießen joll unter das Boll, Wie man gewiß und gewähr aus der Büchje
zu ichiegen lernt. Wie man aus Büchjen, die ein faljches Zielmaß haben, geredjt
400 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
und gewiß ſchießen joll. Feuerfugeln aus der Büchſe zu ſchießen. Wie man
eine Büchſe auslaſſen joll, die lang gelegen iſt und nicht auslafjen will. Wie
weit man mit gemeinem, wie weit mit jtarfem Pulver ſchießen mag. Daß man
famerbuchjen nicht trauen jol, Wie man viel Klogen aus einer Büchſe mit
einem Schuſſe ſchießen ſoll, jo daß jeglicher Klo jein bejonder Klopfen tut und
do nur einmal angezündet wird. [Wie man einen Pfahl im Waſſer anbrennen
mag.] Wie man aus einer Büchſe gewiß jchießen fol, Wie man Feuerſteine
mit einer Bleide in eine Bejte werfen joll. [Wie man gute Feuerpfeile machen
jol.)] Wie man jid) des Sturms erwehren fol. Wie man eine glühende Kugel
aus einer Büchje jchießen joll, in Holzwerk, das fie anzündet.
Wie man Geſchütz gießen fol. Wie aus der Kelle zu jchmelzen und
zu gießen. Wie man Eiſen und Eifenfeilfpäne gießt. Wie man Eijen aus dem
Erz gießen joll. (Berl. Zghs. Cod. 1.)
„Wenn das iſt, das ettwa veintſchafft hat, vie chlain die veıntichafit
ift, dennoch jol ji ein ydman bejorgen vnd jein veind fürchten“. (Ebenda und
in Hoyers Handichrift von 1445 unter der Überfchrift „Trewer Rat“ ) Vorſchriften,
wie man ſich vor Überfall zu wehren und dem etwaigen Einbrecdyer, der durch
Untergraben die Feſte zu gewinnen jucht, mit Arjenit-Giftkugeln entgegenzu:
treten habe.
Wie man macht, dab ſich Wafler entzünde Wie man gut Sprengpulver
beritelle. Wie man Sceidewafjer madıt, um Gold und Silber zu jcheiden. [ie
man guten Schwefel madt.) Wie man ein Wafjer machen jol, damit Alerander
das Land Agarranorum verbrannt. Wie man Gonfortet joll machen, das zu
allem Feuerwerk dient Wie man ein fliegendes Feuer maden joll (das Colo—
phonium-Rezept des Marhus Graecus). Wie man Feuer machen joll, das der
Regen entzündet. Wie man ein jtarkes Feuerpulver macht. [Wie man verjuchen
joll, ob Salniter qut geläutert jei. Wie man Salpeter läutern joll, der roh ab-
genommen it. Wie man ein gemein Pulver madt, wie ein beſſeres, wie ein
noch jtärferes.] Wie man guten Zunder maden jol. Wie man Eijen Härtet.
Wie man den eijernen Teil eines Hauspfeils härten joll.
Der jahliche Inhalt des Feuerwerfsbuches jtimmt 3. T.
mit dem des Münchener Bildercoder Nr. 600 [M. 8 37] überein,
bringt aber doch auch jehr viel neues. — Bemerfenswert ericheinen
bejonders folgende Bunte:
1. Das Pulver.
Salpeter it ein Salz und heißt „nad Latin jtainjalg“; er ift von Natur
„talt und truden in quarto gradu”. Der bejte ijt der glattgezapfte. Die Kauf:
leute betrügen jehr damit und verderben die Ware mit Kocjalz und Alaun.
Den aus Venedig eingeführten joll man genau in derjelben Weije prüfen, wie
im Coder 600 Bl. 1 vorgejchrieben ijt. Geläuterten Salpeter nennt das Feuer—
werksbuch gewöhnlich „Salniter“. — Lebendigen Schwefel hält der Berfalier
für den beiten. Die Vorſchrift über Herjtellung guter Kohle ijt diejelbe wie
die auf BI. 3a des Münchener Bildercoder. Die beiten Kohlen zu Zündpulver
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 401
bereitet der Verfaſſer aber, indem er ein verjchlifienes, reingewaſchenes, jedod)
nicht gejtärktes Tijchlafen in irdenem Gejchirr verbrennt und joviel wie möglich)
den Dampf darin zu erhalten juht. „Dis fol ijt vber alles kol.“
Das Schießpulver jtellt der Verſaſſer in drei Hauptmifchungen ber,
indem er zu je 2 Pd. Schwefel und 1 Pfd. Kohle entweder 4, 5 oder 6 Bir.
Salpeter jegt. Die Stärke des Pulvers beruhte alfo auf der Maſſe des Sal-
peters. — Knollenpulver wird bereitet indem das gewöhnliche Staubpulver
mit Ejjig angefeuchtet und dann zujammengeballt und getrodnet wird. Dies
sinollenpulver it nocd fein „gekörntes“ Pulver; es jtellt vielmehr erjt einen
vorbereitenden Schritt dazu dar. Ein Verſuch, die beſſere Wirkung des Knollenpulvers
zu erklären, wird nicht gemadyt. — Die Verjtärtung des Pulvers durch Salpatrifa
und Salarmoniaf tennt das Bud) wie Bl. 2a des Münchener Eoder 600. — Das
Gleiche gilt von der Anfertigung verjchiedenfarbigen Pulvers. — Unter mehreren
Verfahrungsarten, verdorbenes Pulver „wiederzubringen“ führt das Feuerwerks—
buh auch die Vorſchrift von BI. da des Münchener Bildercoder auf, will aber
zum Anfeuchten Salpeter und Salpertifa zu gleihen Teilen in gebranntem Wein
aelöjt verwenden.
2. Die Verbrennungs=-Theorie.
Diefe iſt jehr primitiver und naiver Art: „Der Salpeter mag, wann ihn
die big ergriffet, nicht da beliben von der großen feltin wegen, jo er an jm hat.
Der Smwebel ift von natur haiß vnd truden vnd enpfahet gern das füer. Das
Kol behept (hegt) aber das fer. So mag denn der Salpeter by der hi nitt
beliben. Alſo iſt es auch vmb das fedjilber vnd vmb etlich ſtuck mer, die fain
füer geliden mugen. —“ Die Wirkung des Pulvers wird alfo in der Feind—
jeligfeit jeiner Elemente geſucht: Salpeter und Schwefel fünnen einander wegen
ver VBerjchiedenartigkeit ihres Charakter& nicht ertragen ; der Salpeter drängt deshalb
hinaus. Ja nod) mehr: es ijt gut, mit zwei Sorten von Pulver zu laden, weil
dad Gute immer des Befjeren Feind it. Man entzündet gewifjermaßen einen
Wetteifer zwiſchen den beiden Sorten und die eine beeifert ſich die andere hinaus-
zuwerfen. — Eine Theorie des Neides, die jo recht echt deutſch iſt! — Übrigens
zeigt fich doc injofern ein Fortjchritt der Theorie, dab, während der Münchener
Goder die Wirkung des Pulvers in der „rechten Brunjt und Kraft des Feuers“
jucht, die erjte der Zwölf Fragen den „Dunſt“ als das treibende Agens betrachtet.
Das Erperiment, welches dieje Annahme beweiſen joll, ijt freilich keineswegs
einleuchtend [S. 39).
3. Der Geſchützguß.
„Hyenach steht gejchriben wie man gyeßen jol vnd jormen .“ — „Wildu
gyeßen puchſen oder ander dind, jo mach die form als jy jein ſchulen und jeß ſy
in die erd vnd lab ſy darinnen jteen als lang bis plaben lohenn heraus gett,
vnd wann du binein lugeit, das es inwendig gar rott jey vnd fain lohenn mer
herausgehe, jo hat es jein genug; jo ſetz die fjiwrm dann aus der erd heraus
1) Ich teile dieje Stelle wörtlich nach dem God. 1 bed Berliner Zeughauſes mit, weil jie, meines
Wiſſens, die einzige ift, weldye den Geſchützguß um bie Mitte des 15. Ihdts. behandelt.
Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 26
402 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
vnd laß ſy langjam erhalten; jo ijt ſy berait zum gyeßen, und grab ſy dan in
die erden jamb ain glodenfwrm vnd tamme es gar wol zue, das nichts Pollt
hineinfal. — Alſo gerujtu Handtbuchſen und alles Haines dinck. — Willdu
furm machen zu großen jtainpuchjen, jo leg nad) der leng vier eyſens plech, ein
auf ydlicher jeytten und lab die zway gegeneinander oben für die furm geen,
vnd ydlichs jol ain vieredet loc, haben aines flainen vingers groß. Vnd das
die pledy zwaier vinger prait jein vnd all& land all die furm, vnd leg an die
furm vier eyſenn raif vnd mac) denn zu dem chern (Kern) ein qut vieredat yſinn
vnd vmbwind das wid eyjinn mit einem vierfachen zwirnsfaden oder mit banf-
werdhb vnd das vmbwindecet jey von zwirnfaden nicht jere aneinander, jo gat
das ferneyfin gern heraus. Vnd mad inn das ferneyfin ein gut vierdödundt loc
als die pleh, vnd mad) denn ain vierddunds eyinen rigl, der durch die Löcher
mög gen, vnd je dann den fern in die furm vnd jtob das riglen dadurd, das
er weder auf noch nyd muge, vnd veit jn dan gar wol mit vier neglen; vnd die
neglen jullen innmwendig größer jein wenn außen. Wildu aber nicht mit negeln,
jo mache ain Rayfl mit ainem eijen drat, als weit er hineinmag, vnd mad) vier
badlein daran, vnd jeg dann die gerintmaß (Kternmafie?) ein, vnd nymm dan
ain zwiefachen dratt vnd leg den an die baden vnd verdree es von außen vber
einen eyfenen rigl oder cheyl, ains als vejt alS das ander vnd nymm dann die
genntmah (?) heraus vnd je den poden ein vnd vermachs gar wol vnd eydt
(heize) die furm aucd wol, ydlichs bejunder. Das jol vor gejchehen jein, vnd
allererjt jeß den poden ein, als vor gejchreben jteht, vnd pindt zue der vnd berait
die furm zujame als es jein jchol vnd lug mit fleis das die furm berait jei, das
der nicht weich noch die gerntmaß vnd grab jy dann in die erden vnd bewahre
die furm, das nicht einfall, und geus! — Merd wol, was du gyeßen wilt von
großen jtuden, das mühen allein in die erden graben vnd woll vertemmen vnd
das die furm fallt jeindt vnd wol geeytet. (Scheint fich zu widerjpredhen !) Vnd
was du aber von Mainen dingen gyeßen wilt vnd ſcharf gefallen jchol, das jet
nur junjt auf die erden vnd geuß es aljo.“
E3 geht hieraus hervor, daß große Geſchütze über einen Stern, Heine jedoch
ohne einen ſolchen gegofien wurden, aljo ausgebohrt werden mußten. Welche
Beitandteile zum Guß genommen wurden, geht hieraus nicht hervor; indes weiß
man aus geichichtlichen Mitteilungen, daß für den Erzguß Kupfer und Zinn
jowie etwas Blei in anfangs jehr wecjelnden Mijchungen verwendet wurden.
Deutſchland jtand im Metallguß ganzer Stüde einzig da. Daß aber au Eiſenguß
“ausgeübt wurde, lehrt das Feuerwerksbuch ausdrücklich.
4. Die Form der Geſchütze.
Über diefen Punkt bietet das Buch jehr wenig. Biel Mißverſtändniſſe find
dem Umjtande entjprungen, daß der Ausdrud „ror“, welcher im 14. Ihdt. die
Kammer im Gegenjage zum Bumbart, zum Fluge, bezeichnete, im Feuerwerks—
buche jowohl in diefem Sinne als aud in dem von Geſchütz überhaupt gebraucht
wird, jo daß oft jchwer erkennbar, was gemeint ijt. Im Sinne von „Geſchütz“
jteht der Ausdrud in folgendem Paſſus: „Sprich ich, welde buchs ror hätt, da
das ror fünf clöger lang ijt, die buchjen find die beiten; wann die hırgen
2. Feuerwerterei und Büchjenmacherei. 403
(weiten) vor mögent nyndert hin in die wytin jchießen; aber die langen (engen)
ror jchiehen wyt“ N). — Das Rohr joll in weiches Lindenholz gelagert und hinten
mit einem Polſter von weichem Blei verjehen jein; es muß nur um eines Halmes
Breite unterhalb der Seelenare eingelagert werden. Streng zu beachten ijt, daß
die Büchfe in vollem Geichgewichte jtehe, ein Rad jo hoch wie das andere. Üüber
die weitere Montierung und namentlich über die verjchiedenen Arten der Gejchüge
iſt im Texte nichts gejagt; doc läht jich auf Grund der nicht wenigen der Feuer—
wertsbücher beigegebenen Atlanten jowie aus anderen Zeichnungen [8 62] an der
Hand der hijtoriihen Daten ein Bild davon gewinnen ?).
Dan unterfhied Stein= und Xoth= (Blei-) Büchſen, und von beiden
Hauptarten wieder große, mittlere und Meine Kaliber, deren Rohre verjchiedene
Längen hatten. Bei Feſtſtellung der Yänge ging man vom Kugeldurchmeſſer aus.
Man hatte erfannt, daß längere Rohre größere Tragweiten erzielten und ver:
längerte demgemäh namentlid die Yothbüchjen ; ferner hatte man die Wirkung des
Pulvers injoweit würdigen lernen, da man allmählid das Bodenftüd mehr und
mehr verjtärkte. In der Folge, etwa jeit 1440, verjüngte man die Rohre nad) vorn.
Unter den Steinbüdjen nahmen den eriten Rang ein die kurzweg ſo—
genannten „großen Büchſen“ oder Bombarden, d. h. diejenigen, welde
Geſchoſſe von mindejtens 1 Ztr. Gewicht jchofien. Schon vor Ablauf des 14. Yhdts.
wurden Geſchütze jolcher Art in gewaltigen Abmefjungen vor Burgen verwendet. Bei
einem Zuge gegen Hattenjtein 1393 werden Büchſen erwähnt, weldhe 6 bis 8 Ztr.
Stein jchofien. Sie wurden anfangs meijt aus Eijen, namentlich) Schmiedeeifen,
bergejtellt, oft in der Weije, dab das Rohr aus zuſammengeſchweißten Stäben
über einen Dorn gejchmiedet und nad dem Grfalten mit heiß aufgetriebenen
Ringen verjtärft wurde. Nicht jelten goß man die Geſchütze in mehreren Stüden,
welche zufammengejchraubt werden mußten. Dod wurden in Deutjchland ſchon
anfangs des 15. Ihdts. Bronzerohre von ganz bejtimmten Proportionen bis zu
300 Ztr. Gewidt in einem Stüd gegojien. Teutichland bat immer eine be-
iondere Vorliebe für die großen Steinbüchjen gehabt. Vom Jahre 1393 bemerkt
die Limburger Ehronif: „Da gingen die großen boßen an, der man numme ge—
ſehen enhatte vf ertrih von folder große vnd joldher werde“, und noch um die
Wende des 15. und 16. Fhdts. wendete Marimilian I. derartigen großen Büchſen
jeine Neigung und Sorgfalt zu. Es jind meijt jog. „Xegitüde“, die nur in
wagerechter Lage gebraucht werden konnten und mit mächtigen „Anjtößen“ gegen
den Rückſtoß verjehen wurden. — Die mittleren Steinbücdjen umfahten die
Kaliber von 100 bis zu 25 Pd. hinab. Steine, jo „groß al® ein Haupt“ galten
noch als Geſchoſſe Fleiner Steinbüchſen. Mittlere wie Feine Steinbücjen
zerfielen wieder in kurze und lange. Erſtere nannte man Steinbüchjen im engeren
Zinne oder mit einem ezechiſchen Kunſtausdrucke, der während der Huſſitenkriege
auffam, „Haufnigen“. In Frankreich bezeichnete man fie (im Gegenjage zu den
großen Büchſen), den bombardes, al® grosses canons oder auch furzweg als
1) Bol. damit die Auseinanderfegung ©. 391.
2) Ich folge bier vorzugsweije den trefflichen Unterjuchungen des Generale Köhler: Sriegs«
weien und Striegführung der Ritterzeit IIIa (Breslau 1887).
26*
404 Dad XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
canons, gab aber dort dieje Kurzgeſchütze (courteaus) iiberhaupt frühzeitig au, |
u. zw. auf Jahrhunderte hinaus. Die langen Steinbücdjen bezeichnete man als
„Kammerbüchſen“ oder (falld die Kammer beweglih war) aud als „Wögler"
(frzſ. »veuglaire«e),. Aus Diejen langen Steinbücjen mittleren und kleinen
Kalibers find dann die jpäteren „Kanonen“ hervorgegangen wie aus den kurzen
Formen die „Daubigen“.
Gleich den Steinbüchjen zerfielen aucd die Yoth= oder Klog-Büdhjen!
je nad) der Größe in drei Gattungen. Große Lothbüchſen find diejenigen
Kammerbücjen oder Vögler, welche nicht Steine jondern „Klotzer“ oder „Gelote”,
d. h. Bleikugeln ſchoſſen, u. zw. von der Größe eines Taubeneis bis zu 15 Pid
Gewicht. Sie bilden aljo den Übergang zu den Steinbüchjen, und aus ihnen
ging das Gejchleht der „Kartaunen“ hervor. Die mittleren Lothbüchſen
wurden frühzeitig in ziemlicher Länge hergejtellt ; aus ihnen entwidelte jich jeit der
Mitte des 15. Ihdts. das Geſchlecht der „Schlangen“ (couleuvrines, serpentines)
Um eben dieje Zeit nehmen Kartaunen und Schlangen eiferne Kugeln an, jo daß
feitdem das Bleigefjhoß nur für die dritte Gattung der Lothbüchſen, nämlich für
die Fleinjten Klotzbüchſen, insbejondere für die Handfeuerwaften im Ge—
braud) blieb.
|
|
|
|
Außer den bier gegebenen Bezeichnungen verſchiedener Büchfenarten fommen
noch manche andere vor, für welche die Art der Ausſtattung und des Wr
brauches mahgebend war. Terrasbüchſen, Schirmbüchien, Wagenbüchſen, Nenn
büchſen, Jagdbüchſen, Ribalde Ribaudequins) u. j. w. Unter „Zerrasbüdien“
werden jolche Büchjen verjtanden, welde vom Walle (Terrafie) aus oder in den
die Thore bejtreichenden Bollwerten gebraucht wurden. Es waren das teils lange
Stein-Kammerbüchſen oder Vögler, teils große Lothbüchſen (jog. Schirmbüchien
und daher ijt der Ausdrud „Terrasbüchſe“ oft überhaupt im Sinne eines mittleren
Kalibers gebraudt. Eine Wagen- oder Karren-Büchſe konnte ebenjoqut
eine Steinbüchje Fleineren Kalibers als eine lange Lothbüchſe fein.
In den dreißiger und vierziger Jahren des 15. Ihdts. bemühte man ſich
Geſchütze für den hoben Bogenwurf zu fonjtruieren. Man fam dabe
zunächſt (wegen der levationsjchwierigfeiten) darauf, den Flug ſenkrecht
zu jtellen und die Kammer im rechten Winfel dazu wageredht anzujegen. E—
iind das die jo befremdlich dreinichauenden Elbogen= oder Winkelhaken—
Geſchütze (code). Dann erjt erjcheint die ganz kurze Bombarde, der Bölleı
oder Mörjer. Dieſem und der Haubitze verblieb der Stein ala Geſchoß.
Die koniſche Form der Geſchützrohre, welche zu Anfang des 15. Ihts
auftam [$ 57), war eine vorübergehende Erjicheinung, von der jich daher aud nın
wenige Eremplare erhalten haben. Sie hatten ſich bald als unpraftiich erwieſen
— Die beweglidhen Kammern der jog. „Bögler“ kennzeichnen dieje als how:
entwidelte Hinterladergejhüte. Sie hatten den Borteil, daß man für gejchwindes
Schießen eine größere Anzahl fertig geladener Kammern bereit halten fonnte, die
) früher bezeichnete der Ausdruck „Klotzbüchſe“ den römertergenartigen Mebrlader [M. & 35
2. Feuerwerkerei und Büchjenmaderei. 405:
nur eingejegt zu werden brauchten, und außerdem gejtatteten fie, mit verjchieden
itarten Ladungen zu ſchießen, da man jie beliebig zu vergrößern vermochte.
Bei einigen Formen konnte aud die Kugel von hinten eingejeßt werden. Dieje
Vögler waren übrigens keineswegs nur fleinere Geſchütze; es gab Kammern
von 38 Pd. Gewicht für Vögler. Der Verſchluß der Kammer erfolgte
durch einen eijernen Keil, der gewöhnlich Hinter dem Boden der eingejegten
Kammer durd) Ausschnitte in dem Blod der Lande oder ded Kammergehäuſes
feſtgeſteckt wurde.
Mit den langen mittelgroßen Lothbüchſen war man zum direkten
Schuſſe übergegangen, und bald wurden jie, obgleich fie meist unter der Be-
zeihnung „Terraßbüchſen“ vortommen, das beliebtejte Feldgeſchütz. Seit
etwa 1430 erjcheinen fie und die Haufnigen gejondert auf Karren oder befonderen
Lafetten. Sie waren mit einem Richthorn verjehen, in deilen Köcher der Schwanz
der Lade mitteld eines Bolzens für eine bejtimmte Erhöhung fejtgejtellt wurde.
Die Heineren Kaliber lagen unmittelbar auf Rädern, die mittleren auf Wagen
und Karren.
5. Die Geſchoſſe.
Über die gewöhnlichen Kugeln von Stein, Blei und Eijen it
bereitS gelegentlich der Gejchütarten geiprochen worden. Die Anwendung eijerner
Kugeln war in Ftalien früher üblid als in Deutſchland. Bier bemerkt noch i. J.
1454 der Cod. 1 des Berliner Zeughaufes: „Wildu jchyehen mit eyſenen chugeln,
jo vmbgyeh jie vor mit pley als groß als ſy fein füllen. — Wildu gut pley
hugel maden, jo mad ſy leng dann jy düd find.“ Das wären alſo Langgeſchoſſe!
Zum Brecelegen umſchloß man die Steintugeln jpäter mit eifernen Kreuzen,
damit fie nicht zerichellten. Früher bediente man ſich zu gleichem Zwecke gern
großer Bolzen bis zum Gewichte von 200 Pfund (carreaux oder quarraux).
Das Feuerwerksbuch jagt darüber: „Wiltu jtangen oder pfil v8 buchſen jchiehen,
jo lade die buchs die dru teil mit pulver ond mad einen linden flog vs laym
(Lehm) . . . . Bnd ſpitz die ftangen als jy für den klotzen geboren in das ror
d. b. ftede die Stange mit dem Ende in den Lehmklotz). Vnd flag obenan (an
der Mündung) ein hulgin weyten (eine Scheibe) zwijchen die buchs vnd die jtangen
ſo daß dieje alfo durch die Mitte einer falibermäßigen Scheibe führte). Vnd
mad ein jtul (Gejtell vor der Mündung), der ſich las Hoc) oder nyder treiben.
Ind leg die jtangen darauff, das ſy der buchs gleidhlag (in ihrer Richtung).
So mag denne die ftange glid von der buchen gehn.” — Seit Vergrößerung der
Steinbüchjen, welche die Anwendung relativ geringerer Yadungen gejtattete und
damit die Gefahr des Zerjchellens der Steinkugeln minderte, traten die Bolzen
in den Hintergrund, dag Gewicht der Kugel erjeßte den Verlujt an Gejchwindigtfeit.
— Als Brandgefchofie dienten Feuerfugeln, Feuerpfeile und glühende Kugeln.
Die Steigerung des Haliberd der Steinbichjen fam dem Werfen der Feuer—
tugeln jehr zu jtatten und fie wurden bei den Belagerungen oft in großem
Mapitabe benugt. Unter den Vorſchriften für ihre Herjtellung iſt eine der be-
merfenöwertejten diejenige des vom Anfang des 15. Ihdts. herrührenden Cop.
1481a des Germanifhen Mujeumsd. Um die „burfkugel“ zu maden, wird das
406 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Rulver mit Branntwein genegt, damit es fich beiler „pollen“ läßt; dann wird
es zur Kugel geformt, dieſe in ein Luder gelegt und das Ganze fejt mit einem
eifernen Brandfreuz umgeben. Nun erhält das Geſchoß einen Überzug von
Schwefel und wird auf Halbteil mit einem Pfriem durchſtoßen. Dahinein kommt
Duedfilber und dann der Zünder, und jobald diejer in Brand geſetzt it, muß
die Kugel jofort geworfen werden, damit jie dem Schügen nicht „den Hals ab-
ſtoß“. Man mag aud) fauftgroße „eyjenin knollen“ in die Kugel tun, „jo tottes du
dejter mer leutt.“ — Die Entzündung einer Feuerkugel beim Schießen aus Büchſen
geichab, indem man den, Ladung und Geſchoß trennenden, Klotz dDurchbohrte, um jo das
euer durhichlagen zu lafien. — Bon Feuerpfeilen werden drei Arten be
ſprochen; einige entzündeten ji von jelbjt, andere wurden vor dem Abſchießen
angejtedt. — Über das Glühendmachen der Steintugeln in Saltöfen
geben jchon die Reim-Handicriften der Ambrajer-Sammlung Nachrichten [S 57.
Für die betreffende Behandlung eijerner Kugeln bringt der Cod. 1 des
Berliner Zeughaujes folgende Anweijung: „Nym ein gutten pleypuchjen, d. i. ein
tarraspüchjen, die ein chugl jcheuft y größer ye peher, vnd haik dir machen ain
eyjen chugl, die nor gar gerecht in dy puchien jey, vnd laß ſy wol ausglüben,
das ſy weys werd, vnd tue dor ainen veuchten hadern hinein vnd tue dann die
hugl mit ain zanger oder mit ain chlupper in die puchjen vnd zünd bald an.”
Mit den Steinbüchjen führte jih der Hagel als Geſchoß ein, welcher aus
Kiejeljteinen bejtand. Das Feuerwerksbuch fragt: „Wie man Hagel jchiehen joll?
Mache einen harten Klotz, halb jo kurz als er breit ijt und lade ihn gleich in
die Büchje; lade vier Steine an den Kloß jo, dab jie ihn nicht anrühren und
ihlage „wolgeberten“ Leim dazu, der mit porrx, mit Viol, mit Salz und mit
Ruppillenjaft wol gebert ift, und jtoß dann viel Steine in Größe der Gier
hinein, dab die Büchſe voll werde, und made ſie mit dem obigen Leim zu, und
ſchlag alles mit einem Treiber jejt aufeinander“. — Der Berliner Zeughauscoder
Nr. 1 erwähnt neben dem Schießen von Hagel auch das von Smerling, obne
daß recht Far wird, worin der Unterjchied beſteht. „Schmerlinge“ find Heine
Lerchenfalten. (Bgl. den jpäteren Ausdrud „NRebhühnermörjer”.) — „Einen
Igel zu ſchießen, lade die Büchje ſtark mit einem Klotz und laß dir ein Eijen:
bledy vor den Klotz machen, von gleicher Breite mit ihm; dann nimm jo viele
Eifenjtüde, als du verichießen willjt und lade jie hart an das Blech, das vor
dem Kloge ijt. — Mehr Klötze aus einer Bühje zu ſchießen, dak
jeder jeinen eignen Knall gebe, und doch nur einmal anzıw
zünden: Tue foviel Pulver in die Büchſe, als einer der Klöge lang ift, ſchlag
den Kloß (der von Eifen oder Blei it) auf dies Pulver, dann wieder io viel
Pulver und wieder ein Klo bis die Büchje voll it. Durch jeden Klotz läuft ein
Blechröhrlein, dab das Feuer von dem einen zum andern kommen fann. Die Yücer
jollen jo groß jein als eine Spindelipige ; dadurd) wird Pulver gelaſſen und eine
Schwefelkerze hineingejtedt. Zündet man es an, jo klappt einer nad) dem andern
heraus“. — Um bei Nacht mit Leuchtkugeln zu jchiehen, zerläßt man 10 Fi».
Harz, 1 Bid. Unjchlitt, taucht den Stein hinein und wirft ihn dann in Schieh-
pulver, das daran hängen bleibt. Mit diefem Stein wird geichofien.
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 407
b. Geſchützbedienung.
Die älteren Abjchriften des Feuerwerksbuches jchildern die Ladeweiſe
nod ganz in derjelben Art wie der Münchener Eod. 600, nur die Abmejjung
der Ladung nad Fünfteln der Rohrlänge tritt in den Hintergrund gegen den
Vergleih mit dem Kugelgewicht; auch wird der ehemals zwijchen Klog und Pulver
vorgefchriebene freie Raum meist nicht mehr verlangt: ein Zeichen, daß das
Fulver beifer wurde. Es wird davor gewarnt, den Klotz vor das „ror“, d. h.
vor die Kammer vorjtehen zu laſſen. Daß das Berfeilen (verpißen) der Stein
hıgel allmählich aufhörte, habe ich jhon oben S. 397 Beſprechung der Büchſenmeiſter—
fragen erwähnt. Um die Mitte des 15. Ihdts. fcheint man aber aud das Ver:
ipunden der Kammer aufgegeben zu haben. Die aus diejer Zeit über-
bliebenen genauen Berzeichnifie des Ladezeugs führen keine „Klötze“ (Ladepfropfen)
mehr auf, jondern an ihrer Stelle „Spiegel“ (flache Sceiben), und dem ent-
iprehend ſind auch die zum Verſpunden nötigen Eintreiber und Schlegel aus den
Liſten verſchwunden. Übrigens wurde ſogar ſchon ohne Spiegel geladen. Cod. 1
des Berliner Zeughauſes lehrt über das „Laden der Hand- und Tarrasbüchſen“:
„sit das die puchs ain abſatz hat, jo fülle ſye mit dem puluer alls ferr als der
abſatz iſt; aber das ſy anen (ohne) abſatz hat, ſo füll ſy bas auff das vierd oder
funfft thayl. Wan du ſy gar hart laden wild, ſo ſlag dann die chugl hinein
pis auff das puluer vnd ſcheuß“.
Wenn die Büchſe losgebrannt werden ſoll, ſo ſtößt der Meiſter
einen Pfriemen durch das Weydloch bis auf den Boden durch das Pulver. Dann
nimmt er das pulvis currasive, das er bei ſich haben muß, ſchüttet es dem
Piriemen nad und füllt dag Weydloch damit an. „Dies Loßpulver ijt jehr heiß
und ſcharf und entzündet das andere Bulver jehr geihwind . . . Aber oben auf
das Zündpulver jollit du träges Pulver legen, damit du davon fommen kannſt.“
Der Zeughaus-Codex Nr. 1 lehrt au, wie mit falſchgegoſſenen
Bühjen rihtig zu [hießen jei: „Laß dir ain holz machen von einem be—
hennten tyjchler, das in der puchjen pulverjad gerad einleg vnd nad dem liniall
oder dem gerechticheut geleich jy, vnd jtoß das in den puluerjad, das es hinten
annjtehe vnd vorn geleich ſey. So nym ain zirdl vnd jeß den gleich auf dag
holz, daS du die puchs danad) gleich abzwedeit, jo ſcheußt gleich“.
„Willſt du einen jhredenden Schuß tun, daß der Stein über
hundert Sprüng tut, fo nimm Schreeg-PBapier (?) und leim das auf:
einander, jo groß der Klog jein joll, und jchlage den Klog nicht auf das Pulver
und auch nicht ganz in das Rohr der Büchfe hinein, und lade den Stein vor
den Klotz, verbiß ihn und verihopp ihn jo, daß die Büchſe nicht über den Stein
binausragt, jo tut er nach dem Abfeuern über hundert Sprünge. — Willſt du
ihnell einen Turm niederjhießen, jo mußt du einen guten Quadranten
haben und die Menjur verjtehen. Zwei Mannshöhe über der Erde mußt du
alle Schüffe auf eine Stelle des Turms bringen. Die Steine, die du ladejt, jollit
du mit guten eifernen Reifen freuzweije binden. Dies wird den Turm bald
niederwerfen.“
408 Da® XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
T. Feuerwerfäförper.
Eine Münchener Abjchrift des Feuerwerksbuches (cod. germ. 399) bringt
auf BI. 13a die jehr intereflante Darftellung einer Rakete u. zw. mit beige-
jchriebenen Erflärungen, die jedoch 3. T. in Ehiffern abgefaßt find. — Der ge
wöhnliche Tert des Feuerwerksbuchs lehrt wie folgt „Fliegendes Feuer“ zu
bereiten: „Nim ain tail colophonia, d. i. kriechiſch Harz, und zwai tail lebendigs
Swebel vnd dru tail Salniter; das rib alles gar klain, vnd rib es darnadı mit
ain wenig linfatöl oder loröl, das es darinnen zergehe vnd werde als ain fon-
fect, vnd tu das in ain aichin Rore, die lang jye vnd zund es an vnd blas in
das Ror, jo fert es, wohin du das Ror fereft und verbrennt, was es begriffet“.
Das Feuerwerksbuch jchließt in der alten Leipziger Handjchrift
mit folgender moralischer Betrachtung:
„Alter an (ohne) weyfheit, weifheit an werd, hoffart an reichtum, reichtum
an err, gewalt an genadt, adel an dugent, herrichafft an lant, jtett an geridt,
volf an zucht, jugend an fordt, frawen an ſcham, geyftlid ordnung an fryd, dy
czelb elff ftuc, bringen der werlt ongelud. Ich Hoff!“
S 60.
Es ijt bezeichnend für die Achtung, im welcher die deutſche
Büchjenmeifterei jchon im 15. Ihdt. ftand, daß das Feuerwerks—
buch jehr frühzeitig ins Franzöſiſche übertragen wurde. Oberſt
Fave, der Adjutant Napoleons III., jagt im 3. Bande der Etudes
sur le passe et l’avenir de l’artillerie (p. 138) unter der Über-
ichrift: »Le plus ancien traite d’artilleriee: — »C’est à la pre-
miere moiti6 du XV. siecle que parait remonter le plus ancien
trait6 d’artillerie, qui nous soit parvenu. Il est contenu dans
un msct. de la bibliothöque imperiale (no. 4653) ayant pour
titre: Le livre du secret de l’artillerie et de canon-
neriee. — Offenbar hält Fave dies Werf für em franzöftiches
Original; aber es ift eine einfache Überjegung des alten deutjchen
Feuerwerksbuches.
Die Abweichungen, welche hie und da vorkommen ſind ſehr gering; am
bemerkenswerteſten iſt vielleicht der Umſtand, daß die „Zwölf Fragen“ auf elf
beſchränkt ſind. Die erſte der „Zwölf Fragen“ ſei hier beiſpielsweiſe franzöſiſch
mitgeteilt: »La première question est assavoir si le feu qu'on mect dedans
une bombarde, canon ou aultre baston de canonnerye bonte et faict saillir
la pierre du diet baston ou si la vapeur yssue du feu a cette vertu et
puissance. Mais l’auteur dit que c’est la vapeur qui sault du feu, et
donne cette exemple. Prenez une livre de bonne pouldre, laquelle mectez
dans une vaisseau devant une tonne de vin qui soit tellement et si bien
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 409
estoupp& que nulle vapeur n'en ysse sinon par ung petit pertuis qui y
sera faict, par lequel vous boutterez la feu au dict vaisseau, mectez-y le
feu, incontinant et soudainement il s’alumera en la dicte pouldre et la
vapeur qui yssera du dict feu rompera le dict vaisseau et non pas le feu«.
Gedruckt wurde diefe Übertragung des Feuerwerksbuches unter dem Titel:
»Petit traict& contenant plusieurs artifices de feu, tres-utile pour l’estat
de canonnerie, recueilly d’un vieil livre escrit à la main et nouvellement
mis en lumiere«, ald Anhang eines 1561 zu Paris herausgegebenen Livre de
canonnerie et artifice de feu. Der Traftat hat nur Heine Änderungen erfahren,
um ihn etwas zu verjüngen, und die Einleitung ijt an die Spitze des Gefamt-
werkes gejtellt worden.
Die Überjegung einer verbejferten und verkürzten Umarbeitung
Des Feuerwerksbuches war unter dem Titel Livre de l’operation
du feu dem dem Könige Louis XII. gewidmeten Eremplare des
Art de la guerre Herzogs Philipp von Eleve [S. 340] angehängt;
in den verjchiedenen Verdeutjchungen desjelben ift jie aber begreiflicher-
weiſe fortgelafjen worden; man bejaß ja bei uns das Original.
8 61.
Die erjte bedeutende jelbitändige Arbeit jeit dem Entjtehen des
alten Feuerwerfsbuches it die ti. 3. 1471 von Martin Mercz ver:
faßte „Kunjt aus Büchjen zu jchießen“, von der ſich ein Eremplar
von 1471 in der Bibliothek des F. Z. M. von Hauslab zu Wien be
findet (m. 8. 3)?), während ein zweites von 1475 in der Hof und
Stat3bibliothef zu München aufbewahrt wird ?). — Mercz (Mers,
Merz) war ein von jeinen Zeitgenofjen hochgeitellter pfälziicher Meiſter.
Titel und Einleitung fallen zujammen und lauten in dem Münchener Coder:
„Hie hebt fih an ain bewerte warhafte funjt, die aus den pürcjen
zu ſchießen faft enttlih wol dient. Wer die, wie hernach gejchrieben,
thut anjehn, der mag an zweiffl dejter getröjtlih vnd fröhlich mit den pürcjen
handeln, ſich auch ed gänzlich darauf verlaßen; wann dardurd all maß der
ezile zu vinden ift, all abſchuß abzulegen vnd all ſchuß aus ieglicher leger-
buchien zu empfahen .. ..“
Merk arbeitete bereit3 auf mathematijcher Grundlage, von der aus er be-
jonders das Zielen zum Gegenjtande einer etwas breitjpurigen mit vielen
Zeichnungen verjehenen, doc keineswegs Marverjtändlichen Darjtellung machte.
Zum Richten hatte man ſich urfprünglich des jog. „Orundbrettes“ bedient, d. h.
ı) Jetzt Bibl. bes Fürften Liechtenftein (Roßau). Hier geht Merk’ Abhandlung eine Abſchrift des
Freuerwerlöbudes voraus und ein Anhang über fFeuerwerferei ſchließt auch wieder ab.
7, Es ift das ein Sammelband, der in feinem erften Teile Abbıldungen von Büchſen und Ktriegs⸗
gerät, im zweiten das Feuerwerksbuch, im dritten endlich (S. 60—101) des Merk’ Schießkunſt bringt.
410 Das XV, Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
eines in zwölf gleiche Teile geteilten Vierteltreifes, der mit dem einen langen
Schenkel auf die innere Fläche des Rohrs gelegt ward und jo zur Beitimmung
der Höhenrichtung diente. Das Inſtrument war ımförmlid und jchwer zu band-
haben, und jo trat allmählich an jeine Stelle der i. J. 1450 von Purbach er:
fundene Quadrant, der in Heineren Abmejiungen aus Metall hergejtellt wurde,
Stala und Bleilot aufwies und zugleich vermittelit feines Fußes und des darin
befindlichen Viſierloches zur Bejtimmung der Mittellinie des Rohrs und jomit zu
genauerem Richten geeignet war. Mercz widmet der Bejchreibung des Quadranten
einen ganzen Abjchnitt. Aber er fennt und erläutert jogar bereits ausführlich
einen Gejhügaufjag und deſſen Gebrauch, ohne dab er jedod mit diejem
Inſtrumente Anklang fand; denn auch im 16. Ihdt. noch wird faſt ausſchließlich
der Duadrant beim Richten verwendet. — Mercz gibt Anweifung, Kernmah und
Mitte der Büchſe zu finden und bietet Jeihnungen der Schußlinien:
„Mit diejer Rißen anzeigung thujt du aus allen bürcjen ire tragweite zu den
czilen, d. i.: den geftredten ſchuß (direft), den furczen ſchuß (Wurf),
und den vngeraden ſchuß (Mollen, Göllſchuß)“. Außerdem bejpridt Mercz
auch noch den Prellſchuß, indem er auseinanderjegt, wie er bei Geroldseck
„mit einer nothpüchſen vbered jchießend die palas treffen möge“. — Die Ab-
handlung jchliegt mit den Worten: „Vnd ich Martin Mercz in den nachgeſchrieben
tzwain Jarn nad) Xge geburt taujend vierhundert im LXX vnd LXXI jarı .
hab ic; Hundert XXVIJ tunnen pulver aus großem werd ſelbſt verſchoßen,
ſolche vorgejchriebne funft mit gantzem fleiß gemujtert vnd durchgründt ..... Vnd
ee vor vil mer ſolche kunſt vberal in mir jelbjt gemujtert hab vnd mir gank
auff Wißenſchafft gebn hab. Doch jej imm gott am letsten gelobt. amen.“ —
Diefe Bemerkung zeigt wie ausgebreitet Mercz’ Praris war, und dem entjiprady
jein Ruf: Herzog Ludwig von Landshut jandte 1475 jeinen Zeugmeifter nach
Amberg, um bei Mercz die Kunſt zu lernen „mit dem großen werd jeuer zu
werffen“.
Zu Amberg an der Stadtpfarre iſt des Meiſters Grabmal noch
erhalten .
Bedeckten Hauptes, das rechte Auge mit einer Blende verklebt, ſteht er in
einem verbrämten Oberrocke mit geſchlitzten Armeln betend auf einem Kanonen—
rohre. Das Wappenſchild rechts zeigt einen Baſilisken, das links ein Geſchütz,
deſſen Lafette weſentlich denen in Maximilians J. Zeugbuch gleicht). Auf dem
Stein rechts der Figur ſtehen einige lobende lateiniſche Hexameter, links aber
folgende Worte: Anno domini 1501 jar am tage vitalis iſt verſchieden der erber
maijter Martin Mercz, Büchjenmaijter, in der kunſt mathematica, Büchſenſchießens,
vor andere berühmt, der fein herz vnd wergf allweg zu aufnemen der Pfalz vor
andere Fürſtenthumb bis an fein end gejegt vnd getrewlid gedient. Des Tele
Gott genedig vnd barmherzig ſeyl“ — Es ift das wohl das ältejte Denkmal,
ı) Abbildung und genaue Beichreibung des Denkmals in Eſſenweins Quellen zur Geſchichte
ber Feuerwaffen ©. 57.
2) Würdinger jchreibt dem Merk die Erfindung ber Wanbdlaffete zu; das Geihüg im Wappen
aber ift mit einer Blocklafette dargeftellt.
2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 411
das einem Artilleriften nicht nur in Deutſchland jondern überhaupt in der Welt
geſetzt worden tt.
S 62.
Dies jind die wichtigiten Werke der artilleriitiichen Literatur des
15. Ihdts. Was jonjt noch vorhanden it, läßt jich in zwei Gruppen
jcheiden: die eine bildet den Übergang der Bilderhandichriften zu den
eigentlichen Artilleriebüchern ; die andere jet ſich wejentlich aus pyro-
technischen Rezepten zujammen und berührt jich mit den Schriften
über Alchymie und Medizin.
Unter denjenigen Werfen, welche den Übergang von den frieg&
wiſſenſchaftlichen Ikonographien zu den Artilleriebüchern
herſtellen, wären nicht wenige der früher erwähnten Handſchriften
des Feuerwerksbuches aufzuführen. 8 59).
Eine Sammlung vortrefflicher Gejhüsgdarjtellungen mit Bei—
jchriften von der Hand Hans Formfchneiders (dev 1440 Bürger
in Nürnberg wurde) bejigt in dem cod. germ. 734 die Hof- und Stats-
bibliothef zu München u. zw. in unmittelbarer Verbindung mit
dem alten Feuerwerfsbuche !). Die Beweggründe, welche den Forms
jchneider zur Heritellung diejes Werkes veranlaßten, jegt er in der
Zueignung desjelben an einen Herrn Wagmeijter folgendermaßen aus—
einander:
„stem lieber her wagmeijter: dije ſtück hab ich eud) gemacht mer auff fürs
drung ewer gnedigen herren dan von dez gel wegen; darumb bitt ich euch
freuntlihen vnd fleihiglihen mit ganczem ernit, Jr wölt eud) dije jtüd empfohlen
lagen jein vnd im rechter guter hut Halten, als ich jie gehalten hab in meiner
hut wol xxx jar in nürnberg. Man tu euch dan darvmb aud) qutte gnüg, aber
ombjunjt anzuhenken jult ir nit tun; auch halt ich euch zu weiß darzu, daz ich
hoff vnd traw, daz ir ſy halt in maßen als ich jy dan gehalten hab biäher.. .
Johannes Formjneider, Bücjenmeijter und gutter abenteurer.“ *)
Das Werk bringt übrigens auch ein Rezept von Martinus Mercz
und einen Schlüffel zu deſſen Geheimjchrift.
Unmittelbar auf Martin Mercz jcheint der Codex M. S. 4 der
Bibl. Hauslab-Liechtenjtein in Wien zurückzuführen, der "betitelt tt
„Artillerie Zeug. 1479".
Der Charakter der Zeichnungen ift demjenigen der Zeichnungen von Mercz’
Schießkunſt in derjelben Bibliothef engjt verwandt und das Papier hat dasjelbe
1) Das Feuerwerlksbuch füllt den Eoder bis ©. 59, Formſchneiders Zeichnungen bis ©. 151.
*) „Abenteuerer” = einer ber jeltjame, gewagte und gefährliche Dinge (hier Feuerwerle) an—
richtet. Val. Grimm, Wörterbuch I, 27.
412 Das XV. Jahrhundert. IL. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Waſſerzeichen. Vielleicht gehörten beide Handichriften urjprünglic zufammen und
jind erjt von einem jpäteren Beſitzer getrennt und jelbjtändig gebunden worden !).
Es jind kolorierte Handzeichnungen ohne Tert, die von ſehr geübter, ja
fünjtlerifcher Hand hergejtellt find. Sie jtellen dar: Doppelhaken auf eigentiimlich
fonjtruiertem Hatenbod. Handbüchſe mit Abjehen und Fliege (Bifier und Kom).
Feldgeſchütze und Orgelbüchſen (darumter auch jolche zum Kreuzfeuer), teild auf
zweirädrigem Gejtell mit Wagendeichjel, teils aufgeproßt. Geſchütze auf Blöcken
und Drehrahmen mit mannigfaltigen Borrihtungen, um unabhängig vom Gejtell
Erhöhungswintel und Seitenrihtung zu ändern. Mörjer mit der Inſchrift:
„Bespafian Ano 1479 Jar“, und dem bayeriihen Wappen. Hebezeuge. Anjtöhe,
d. h. Hemmvorrichtungen (Verpfählungen und Sandkajten) um den Rüdjtoß auf—
zubalten, da man wähnte, dab der Rüdjtoß der Treffſicherheit empfindlich jchade.
Beweglihe Sturmhütten für Büchſen. Blendungen (Schlagthore) für Batterie=
geihüg. Sturmzeug und Ballifadenbreder. Leitern und anderes Steigzeug.
Kugelleeren, Munition, Zwei befejtigte Schlöffer, darunter einen Burgjtall primi=
tiofter Form), Vorrichtung zum Überbrücden, Brecheifen u. dgl.
Nahe verwandt tjt eine Heidelberger Handichrift (cod. pal.
germ. 130): „Der Gezewg mit jeiner Zugehorunge Sc
Vlreuch Beßniger zu landshut vnderjtande den in ordnung gebracht.
Wan, wa vnd und wie auch der jovil der jeyen flarlichen wihen
hiebernach auff das kurziſt begriffen aufgemerft hab“. — Sehr viel
beſſer als der arge Stil diejer UÜberjchrift find die vortrefflichen
farbigen Darjtellungen.
Die auf dem Titelblatte dargejtellte „Dawbtpuchje“ trägt die Bezeichnung
1489, und aus diejem Jahre jtammt vermutlich auch die Handſchrift, welche
offenbar ein Zeughaus-Inventar, eine Art kurz raijonnierender
und illuftrierter Katalog ilt. Die Abmefjungen der Urbilder ſcheinen in
ziemlich genauer Verjüngung wiedergegeben zu jein. — Folgendes bildet den
Inhalt:
„Modlirung (Kaliber). Mueter (Lade, Lafete). Wallger und Wagpaum
(achtedige und runde Hebebäume und Walzen). Zug dem Zewg gehornde. (Hebe—
zeug). Zugjail. Hagken-Ladzewg. Formitod, darüber ain ladung vnd Spiegel
gemacht iſt. Spiegel. — Wolgeruft Wagen (Sattelwagen). Radſchuch. — Mörier.
Fewrpüchſen auf ain Wagen. Staintugeln zu vorgemelten großen und Heinen
puchjen. — Win Schlangen vnd zwo Tarraſpuchs. VI Streitwagen zu hagfen-
puchjen. Drai Streitwagen (mit 4 bis 6 mittelgroßen Rohren). VII Streit:
farren Stainpüchſl auflign (Feldgeſchütze leichten Kalibers) VI Streittarren Bley:
puchſen. Hawen (Haden, Geſchützzubehör). — Gefaßt podhpüchien (kleines Kaliber).
Ledig Pockhpüchſen. Hagtnpuchſn (noch ohne Luntenhahn). Handtpuchſen, jo im
kaſten ſein (geſchäftete Feuerrohre ohne Haken). Alte Handtpuchſe.“ Dieſe
1) Bol. Schneider: Die Bibl. ©. Erz. des Feldzeugmeiſters Ritter v. Hauslab (Mitteilungen
des t. k. Urtillerie-Eomites. Wien 1868).
2) Reproduziert von Würbinger im Artitel „Burg“ des Boten’ihen Leritons II, ©. 155.
2. Feuerwerkerei und Biüchienmacherei. 413
ältejten Formen find cylindrijche mit einem Meinen vorjtehenden Kopfe verjehene
Rohre: 6 bis 8 Zoll lang und 1 Zoll did. In einer hinten um das Rohr ge=
legten jtarten Blechbüchſe jtedt ein vierfantiger nah hinten ji) verjüngender
Stiel, der dreimal jo lang ijt als das Rohr. Bon joldyen urtümlichen Handbüchſen
unterſcheiden ſich die ältejten der bier dargejtellten Hafenbichjen nur dadurd), daß
jie größeres Kaliber und demgemäh einen Hafen zum Auflegen und zum Brechen
des Rüdjtoßes hatten. Nach dem eijernen Stil, mit welchem dieje „ledigen Rod:
oder Hagken-Puchſen“ gewöhnlich verfehen waren, wurden fie wohl auch, im Gegen—
laß zu den gejchäfteten Nohren jüngerer Konitruftion, kurzweg „Stilhaten“ genannt.
An diefe Darjtellung der Waffen fchließt fich diejenige der Munition und
einiger anderer Dinge: — „Was vor Saliter, Swebel, Bed im fajten ift. Was von
vbergoßen kugln, befchlahende kugln, auch Mopn im kaſten find. Vbergoßn kugln.
Eyſen ſhlahund kegl (eylinderförmige Geſchoſſe, die oben unten und in der Mitte
mit Stacheln bejegt und offenbar mit Hagel gefüllt find) — Alt Klopn (würfel-
jörmig), New Hopn (dögl. aber Hleiner zu Hakenbüchſen) ). — Hulpeinladung
(hölzerne Kartufhen, Patronen). Meßein Scheybn, jo nicht in zugen jein und
floben, jo nicht fcheyben haben (?). Was von bereytem fewrwerch, jpießen, töpffen,
pfeyle, gſchifftn, vngſchifften eyſn im faften fein. Was von hawn im zemwgfajten
ift“. Ketten, Drifchel, Leitern, Wagen, Schlöffer u. dgl. m.
Überjichten von Materialbeitänden, wie diejer „Gezewg“
Beßnitzers finden fich mehrfach vor; jie ſowie die Nechnungen vieler
Städte dienen unzweifelhaft wejentlic) dazu, das Artilleriewejen des
15. Ihdts. jeinem ganzen Umfange nach fennen zu lernen. Da jie
jedoch im allgemeinen weder durch Darjtellungen noch durch Be—
jprechungen erläutert jind, jo mangelt ihnen der wiljenjchaftliche
Eharafter, der ihre Aufnahme in dies Werk rechtfertigen würde, umd
es muß genügen, ganz allgemein auf einige der intereſſanteſten hin—
zuweiſen.
Zeughaus-Inventar, Muſeriebuch u. ſ. w. von Braun—
ſchweig, abgedruckt in den Chroniken der deutſchen Städte. Ausgabe
Hegel. VI.
Inventar der Feuerwaffen der Stadt Münden a. d. Weſer
von 1461 (fol. 66 des Stadtbuchs, saec. XIV—XV]).
3) Diefe würfelförmigen Klotzen, welche weder Geſchoſſe noch Spiegel fein können, find
vermutlih Gilenterne zu Bleikugeln. Daß ſolche zumeilen fubij waren, wird u. a. bei der Be—
ichießung von Eitta di Caftello im Kirchenftate erwähnt (1474), indem ein gleichzeitiger Autor die dazu
gebrauchten Bleitugeln folgendermaßen beichreibt: »Serpentinarum pilae sunt plumbeae librarum
XV ponderis, intra plumbum vero frustum inest chalybis quadrati, quo obstantia quae-
eunque validius demoliantur. (Additiones Florentinae ad Rev. Ital. script. vol. II, p. 701.)
Richt kubiſch ſondern Tugelförmig find dagegen die Eifenferne, welche der Cod. ı bes Berliner Zeug—
hauſes erwähnt (vgl. ©. 405 „Geſchoſſe
414 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Nürnberger Inventar von 1462 von Konr. Gürtler.
Berdffentliht von Baader als 5. Beilage jeines Aufjapes über Nürn—
bergs Stadtviertel und deren Bewaffnung im 32. Jahresbericht des hiſtor. Vereins
von Mittelfranken. 1864. Auszüglich wiedergegeben von Eifenwein in feinen
„Quellen zur Geſchichte der Feuerwaffen“.
Augsburger Inventar von 1463 von Hans Gojjenbrott,
Handſchrift („Schüge* Nr. 137 F.) im Stadtarchiv zu Augsburg.
8 63.
Bon Rezeptbüchern jeien bier, beijpielsweije, zwei genannt.
Das eine führt den Titel: „Mannigerlay hubjchfait von
jalpeter, von purenpulver, vnd ander chunſt der puchjenmaijter und
von geſchoßen vnd fewerpfeilen vnd etliche arzney auch darein begriffen.“
E3 jtammt wohl aus den ftiebziger Jahren des 15. Ihdts. und befindet
jih in einem alchymiſtiſchen Sammelcoder der Studienbibliothef zu Salzburg
(ms. V. 2 B. 23/1).
Das andere enthält ein Sammelcoder der Gothaer Bibl.
(cod. chart. A. 563).
Es bringt eine Menge abergläubijcher Wundervorjchriften; u. a. fügt es
der an den Büchjenmeifter gerichteten Warnung vor Trunfenbeit auch ein Rezept
gegen den Katzenjammer bei.
S 64.
Über die Entwidelung der Handfeuerwaffen findet ich in
den friegswiffenichaftlichen Arbeiten des 15. Ihdts. nur wenig S. 413].
In diefer Hinficht iſt man wejentlich auf die Prüfung der überfom-
menen Stüde angewiefen!). Die ältejten erhaltenen Handrohre
jind aus Bronze gegojjen. Eins derart aus den Jahren 1400 bis
1420 befindet jich in der Sammlung Blell auf Tüngen bei Wormditt.
Der achtkantige Lauf iſt 44 cm lang und hat ein Kaliber von 1,: cm
und auf der oberen Seite ein Zündloch, zu dejjen Schug ein dreh—
barer Decdel dient. Demnächjt ging man dazu über, den Zauf aus
Eijen zu jchmieden und ihn mit einem hölzernen Schafte zu ver:
jeben, der den Lauf auf jeiner unteren Seite zur Hälfte umichlof
und rücwärts gewöhnlich in einen vierfantigen Bloc ausging, um
die Waffe vom Gefichte des Schüßen zu entfernen und fie gegen die
I) Bgl. Oberjt Tbierbad: Die geichichtl. Entwidelung der Handieuerwaffen (Dresden 18386).
2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 415
Schulter jtemmen oder auf diefe auflegen zu fünnen. Da die Ent-
zündung des Schujjes mit der Yunte aus freier Hand den Schützen
binderte, beim Abfeuern das Ziel im Auge zu behalten, jo erfand
man, um 1450 etwa, den Hahn, d. h. man befejtigte an der Pfannen—
jeite der Waffe ein drehbares, hafenartiges Eiſenſtück, in dejjen Längs—
ihlig die Zunte geflemmt wurde. In der Folge verlängerte man den
Fuß des Hahns, um ihn als Hebel (Abzug) zum Neigen des Hahnkopfs
nad) der Panne brauchbar zu machen, eine Einrichtung, welche bereits
bet der Armbrust üblich war. Ein weiterer FFortichritt beſtand darin,
dab man eine Feder anbrachte, welche es ermöglichte, dem Hahne in der
Stellung vor der Pfanne einen Halt zu geben und ihn Hinderte, von
jelbit auf die Pfanne zu fallen. So entitand allmählich, wohl von
1450 bis 1460, das Luntenſchloß, d. h. eine Vorrichtung, welche
den Luntenhahn mit jeinem Zubehöre auf einem Schloßbleche ver:
eınigte, welches zuweilen auch die Pfanne jelbjt aufnahm, die meift mit
einem drehbaren Dedel zu verjchließen war. Den Abzug bildete ein
langer Hebel, der rücwärts bis unter den Kolben reichte. An der
Panne der Kriegsgemwehre befand ſich ein hoher, das Auge des
Schützen jichernder Feuerſchirm. Seit 1460 ungefähr wurde der
jeitherige Verjchluß des Laufs, nämlich ein rotwarm eingetriebener Seil,
duch die Schwanzjchraube erjegt, welche eine bejjere Reinigung
der Waffe ermöglichte und die Befejtigung des Laufs im Schaft ver:
ſtärkte. Im einer Bohrung an der unteren Seite des leßteren wurde
der hölzerne Ladeſtock untergebracht. — Dieje Handfeuerwaffe wird
in Deutjchland als „Hafen“ bezeichnet, vermutlich von dem hafen--
förmigen Hahn, in den die Lunte eingefneipt war, wonac die Waffe
in den Niederlanden »Knipbusse« genannt wird '). In großen Ab-
mejlungen diente jie vorzugsweiſe zur Verteidigung feiter Pläße, in
Hleineren, al8 „Halbhafen, Handrohr, Handbüchſe, Arfebuje“,
für den Feldgebrauch. In diefem Falle ſchoß fie 2—2 "sr Lot Blei
und wog etwa 10 Pfund.
I) Annales rer. in Holl. gest. beim Jahr 1481 in Matthaei analect. I, 398 u. a.a.D. —
Gewöhnlih nimmt man an, die Bezeichnung „Halen”“ rühre von einem Anja ber, ber bei den größeren
Kalibern dem Laufe angeſchweißt war und beim Schießen zur Brechung des Nüdftoßes in ber Mauer
eingehalt wurde. Da aber auch bie Heinen Kaliber, melde jenen Anſatß nicht hatten, Hatenbüdien
genannt wurden, jo ift die oben gegebene Erklärung wahrſcheinlicher. Dem gegenüber ift allerdings
darauf hinzumeijen, dab Behniger [S. 412) auch Büchſen ohne Luntenhahns al „Hagknpuchſen“ an:
ſpricht aber vielleicht war bereits zu feiner Zeit (1489) die urjprüngliche Bedeutung verdunkelt.
416 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Sehr merkwürdig it es, daß die ältejte Nachricht über das
Berfahren beim Schießen mit Handfeuerwaffen, welde
jih in einem etwa aus d. 3. 1450 ſtammenden, jchon beiprochenen
Wiener Coder [$ 35] als Anhang des Feuerwerksbuches findet, nicht nur
das Luntenjchloß nicht Fennt, jondern daß aus diejer Nachricht Hervor-
geht, daß zwar das Gewehr mit beiden Händen gefaßt wurde und daß dic
Lage der beiden Daumen des Schügen Korn, Viſier und Aufjag er-
jegen jollten, daß aber dann der Schüte nicht jelbit losbrannte,
jondern daß dies ein zweiter Mann tat. Dies Verfahren tft jo
altertümlic), daß man annehmen muß, die betreffende Anweiſung
ſtamme wohl noch aus dem 14. Ihdt. und ihre Abjchrift jer nur zufällig
mit dem Coder aus der Mitte des 15. Ihdts. verbunden worden.
Sie lautet wie folgt:
„Wie man aus Handbüchjen jchießen joll zu einem Ziel oder zu Bögeln
oder zu Tieren oder zu anderen Saden, das ihm nicht zu weit ijt, daß er es
treffen mag und nicht fehlt. — Wer das will, muß in der Geometrie als viel
gelernt haben und die Inſtrumente haben, dadurd er wiſſen mag, wie weit es
dahin fei, wohin er ſchießen will, und ob es nicht zu weit ſei.“ (Alſo dijtanz-
ſchätzen mit Hilfe geometrijcher Jnftrumente?!) „Dann jollft du die Büchje laden
als recht, und da der Daum vornan auf dem Stab joll liegen, dahin mad ein
Pünttel, daß du allweg wißeſt dahin zu greifen. Im Felde richt ein Ziel auf
mit einem Punkt in der Mitte, den du auf 300 Schritte oder weiter jeben
tannit. Stell did) dann vom Ziel zuerit 16 Schritt ab, ſchlag die Büchs an
zum Schießen, leg den Daumen der vorderen Hand auf das gemadıte Pünttel
des Stabs und mit der hinteren Hand greif zuhinterjt an den Stab auf ein
auch dahin gemachtes Pünktel und halt auf den Mittelpuntt des Zield. Laß
die Bühs anzünden, und wenn du empfindejt, daß fie Hinter jich ſtößt,
jo widerheb nicht zu jtarf; doc halt den Stab in der vorderen Hand feſt und
damit laß die vordere Hand, alfo den Stab darinnen haltend, gegen die
hintere Hand gehen, und laß den Stab durd die hintere Hand hinter ſich aus-
ichlieffen.. Tuſt du ihm aljo, jo magjt du die Büchs nit entrüften , du triffir
aud das Ziel oder jhieht ihm gar nahe. Und von dem hinteren Pünftel mad
aber (mals) ein Pünktel dreier Finger breit herfür, lad die Büchs aber, jteb:
10 Schritt weiter denn zuvor, greif mit der vorderen Hand auf das border:
Tünftel wie vor und mit der hinteren Hand auf das zweitgemachte Rünttel
und laß die Büchs anzünden. — So viel als du weiter bift geitanden denn
zuvor und mit der hinteren Sand herfür beßer haft gegriffen und ſoviel
fürzer Stab und Büchs von deinem Auge jürauß ift denn vor,
jo viel höher wird die Büchs vornan aufgehebt und ſchießt
auch ſoviel dejto weiter“.
1) ®. h. Rohr und Stab werden nicht voneinanberreißen.
2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 417
Sehr langjam nur gewannen die Dandfeuerwaffen Eingang
in den Heeren. Unter den 80000 Mann, welche 1427 das huſſi—
tiſche Böhmen überzogen, befanden ſich nicht mehr als 200 Handbüchjen,
bet dem Zuge der Brandenburger 1429 gegen Stettin unter 1000 Mann
zu Fuß 50 Büchjenichügen. Die Leiftungsfähigfeit der Dandfeuer-
waffen war eben noch ganz gering. Die Durchſchlagskraft ihrer Ge—
ſchoſſe übertraf die der Armbruftbolzen nicht allzujehr, und während
ein geübter engliücher Bogner in der Minute zwölf Pfeile jandte,
dürfte ein Feuerſchütz jchwerlich mehr als einmal vierteljtündlich ſchuß—
fertig gewejen jein. Dennoch nahm die Zahl der Handfeuerwaffen
allmählich zu; anfangs wohl mehr des moralischen Eindrucks als der
praftiichen Wirfung wegen; aber jchon Philipp von Seldened 8 36]
ichlägt doch auch dieje jehr Hoch an.
8 65.
Die Summe der waffentechnijchen Entwidelung des 15. Ihdts.
ziehen die von Kaiſer Marimilian I. herrührenden oder veranlaßten
Aufzeichnungen und Schriften, die allerdings teilweije jchon dem 16.
Ihdt. angehören, deren Objekte jedoch naturgemäß zumeiſt im 15. Ihdt.
bergejtellt waren und die daher noch an diejer Stelle zu bejprechen
jind. — Bon der Freude Marimilians an der Führung der Hand—
waffen berichten Freydal und Weisfunig [S 53); mit Recht aber hebt
Treigjauerwein hervor, daß der Weiskunig „aud gar funjtlich
was mit der Artollerie*. — Er jagt von ihm:
„Vnd ald Er in die Regierung vnd zu jeinem rechten Alter fam, da richtet
Er in jeinen funigreichen vil große Zewgbeujer auf zu jeiner frieg notturfft
vnd erdacht wunderperlid Newe geihug, die ich nun zum tail anzaigen mil.
Nemlich er hat medtige große Hauptſtuck gießen laßen mit einer newen kunſt
in den pulverjeden: etliche haben jtain vnd eijen, etliche haben nichts anders
dann Eijen von vil zenten gejchoßen. Er bat auch ain bejonder gejchuß in ver—
porgener hınjt vnd gleicher größ gießen laßen vnd hat diejelben puchjen genennt
die Scharfen mäßen, die haben nichts anders dann Eijen gejchoßen, vnd
tain Maur hat vor demjelben gejchuß bejteen mugen, vnd wo Er mit frieg in
ain veindtland zogen iſt, hat er dasſelb geſchütz albeg mit gefuert durch täle vnd
pber berg, vnd wo er jich mit demjelben geſchutz für ain Stoß oder Stat gelegert,
die hat Er in furgn tagen, vnd nemlichen in etlichen jtunden, zum Sturm ge—
ihoßen. Er hat aud) ein ander new mitlmähig geihuß erdacht vnd gießen laßen
ond genennt Nadhtigaln, Singerin und dorntal (= Dornhäher), vnd
haben auch nichts anders geichoßen dann Eyſen. Dasjelbe geihuß bat er aud)
Zähne, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 27
418 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
mit Ime gefuert in alle frieg vnd jtreit, vnd welchem dasjelbe geihug ijt fumen
fur fein hauß, dem haben ſie gejungen aljo ain graufamlid gejang, daß fainer
demjelben gejang widerjteen hat mugen. Vnd Er hat jeglichem geihüg zu jeiner
maß vnd zu mer wurdung feiner New erdadhten kunſt ainen beſondern vnd Newen
form gebn laßen. Mer hat Er ain befonder haimlich geſchutz erdacht, das Eyſen
jtangen geſchoßen vnd vil jchaden in den ftreiten under dem vold gethan
bat; aber dasjelb geſchutz hat er nit offenbaren wellen laßen. Berer hat er
erfunden vnd gang Eiſzin purn jchmiden vnd in das gang Eyßn den ror
poren laßen. TDiejelben Eiſzin purn haben die andere Eifzin purn, die auf
den fern gejchmidt jein worden, wie dann nod) der gebrauch it, weit ubertroffen,
vnd aus etlichen urſachen hat Er diejelb New kunſt nit volkumenlichen eröffnen
wellen. Diſer weiß funig bat die purn, genannt die fortannen, die vor
zeiten mit großer Mue auf dem Ertrid;) mit anjeßen gejchoßen jein worden, auf
wägen mit Neter dermaßen zurichten laßen, daß man diejelben fortannen auf
denjelben mwägen abgejhoßen vnd darzu darauf uber land gefuert hat. — In—
jonderheit het Ich vil zu Schreiben von dem fewrſchießen vnd von dem fewr—
wert vnd von dem klainen baglgejhüg, die Er von Newem erdadt bat;
aber befer ift, ich la dasfelb vnderwegen; nemlichen aus der Vrſach, jo der
funig jelbs diejelben funjt verporgen hat; warum wolt davon Meldung thun.
Bnd ain jeder mag mir in warhait glauben, daß Ich von jeinem Newen geſchut
nit den hundertiſten tail beſchraib . . .
Was in dieſer Lobrede dem Kaiſer perſönlich zugeſchrieben wird,
iſt der Geſamtertrag der artilleriſtiſchen Entwickelung des 15. Ihdts.,
an der Maximilian ſein Anteil keineswegs verkümmert werden ſoll.
Die Einſchränkung der Steinmunition auf die allmählich außer Ge—
brauch kommenden ungeheueren „Hauptſtuck“, der Vollguß eiſerner
Geſchütze, die Einführung der Kartaunen, d. h. der ſchweren, doch
auf der Achſe fahrbaren Feldgeſchütze — alles das ſind wichtige
Kennzeichen des artilleriſtiſchen Fortſchritts gegen Ende des 15. Ihdts.
Freilich läßt Treitzſauerwein es auch an Wunderlichkeiten nicht fehlen:
das Schießen mit Eiſenſtangen mag ja den Kaiſer beſchäftigt haben;
erfunden hat er es nicht; denn das Schießen mit Bolzen und Pfeilen
aus Büchſen iſt uralt, älter vielleicht als das Schießen mit Kugeln,
kam jedoch als unzweckmäßig frühzeitig ab S. 405).
Auch die aus den Jahren 1502 und 1505 bis 1508 herrührenden
Gedenfbüchlein Marimilians (f. £. Ambrajer Sammlung und Hof-
bibliothek zu Wien) legen Zeugnis ab von des Kaiſers emfiger Be-
ſchäftigung mit dem Waffen: und Zeughauswejen. Da heißt es z. B.:
„Der Nunig fol nymermer hießen mit feinem armbrojt, daz zu ſchwach
it, zu went, wo der polez nit im Dral geht; denn der polcz oder geſchoß jchlecht
ſich, vnd iſt wider die natur, denn ed nymant trifft... Der Kunig jol in yedes
2. Feuerwerkerei und Büchſenmacherei. 419
Zeughaus vj (öl) Zymer fägen machen . . . In Inſprug jol fun. Mt. das
Gieſen Reformieren lafen; dan man nimmt zuniel maderlon... Sun.
Mt. jolt iije (300) Spieh in dl laßen Syden... Kun. Mt. jol die
wagenroß (Borjpann) durch die Land paß (befier) bejtellen dann vor zu dem
geſchütz“ — Mud die Brehmwirfung des Geſchützes würdigt er für be=
ſtimmte Einzelfälle. So heißt es: „Das Slos Presburg hat oben an der
Mawerdiden XVII ſchuch; Bnden ‘ist die Mawr hol vnd hat Pogen gejchloßen.
Dean jol das ſlos vnden anjchiehen, jo geen die fugeln durch vnd durd.“ —
Dab Mar, gleih andern Büchjenmeijtern [S. 401), aud den Prellihuß
fannte, lehrt jeine Anweilung „wie man bei Beieljtein (im Puſterthale) mit einer
Notbuchje übered jchießend die Küche treffen könne“. — Großes Vergnügen be=
reitete es dem Kaiſer, möglichit originelle Namen und Inſchriften für
jeine Büchſen zu erfinden. So bringt das Gedenfbuc unter der Überjchrift
„Artillerie“ u. a. als Namen für „Hauptſtücke“: Hurnaßin, Buraßerin, Humſerin,
Nar, Nerrin, Kerrenin. Eine „Notbüchſen“ will er Binfhen heißen, die „Not—
jchlangen“ Hyrngrillen u. j. w., und zu jeder will er einen Reim jchreiben.
Noch i. J. 1516 verlangte Mar von dem gelehrten Peutinger, daß er ihm die
Namen von 100 merfwürdigen Frauen mitteile, um damit jeine „Metzen“ zu
taufen '). — Albr. Dürers „Ehrenpforte“ Marimilians ftellt den Kaijer inmitten
jeiner Gejchüge vor einem großen Hebezeuge jtehend dar und erläutert das Bild
durch folgende Berje:
„Er hat das grewlichit geihüß erdadt, | Man jchagt in pillic für ein heilt;
Mit großer fojt Buwegen 'pracht, Dann er gu ritterlicher that
Damit manch Schloß in grundt gefellt. | Sich allegeit gefüdert hat.“
S 66.
Das praftiiche Ergebnis von Marimilians artilleriitiichem Wirken
und Walten, jein ordnender Geift, jein erfinderiicher Stun, jein gemüt-
voller Humor — alles das jpiegelt jich in den Zeughausbüchern
wieder, welche auf jein Geheiß angefertigt wurden und 3. T. Kunſt—
werfe hohen Ranges jind.
Die wichtigjten dieſer Zeugbücher find diejenigen, welche Bar—
tholomäus Freysleben (Freinsleben), fgl. Hauszeugmeiiter zu Inns—
brud, zujammengejtellt und der Nürnberger Maler Albr. Glodendon
illujtriert hat. Die Aufnahme Freyslebens war nicht nur eine gelegent-
liche, etwa durch bevorjtehenden Krieg veranlaßte Reviſion, jondern
das Inventar jollte ein Gejamtbild der Ausrüjtung des deutjchen
Reiches, insbei. der öjterr. Erblande, gewähren und injofern eine
wijjenjchaftliche Unterlage für weitere jyjtematische Ergänzung und
Bervolllommnung des vorhandenen Beitandes darbieten.
1) Bgl. Herberger: Beutinger in feinem Berhältnifie zu Sailer Marimilian (Augsburg 1851).
24”
420 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
E3 find drei nur wenig voneinander abweichende Erenplare diejes groß—
artigen Werkes vorhanden: eines in der K. K. Hofbibliothef zu Wien (Nr. 10824),
eines in der II. Abteilung der Sammlung der Kunſtſchätze des A. 9. Kaiſer—
hauſes ebendort (Ambrajer Sammlung Nr. 53) und ein drittes in der Hof- umd
Statsbibliothet zu Münden (Cod. iconogr. 222).
Der Titel lautet: „ISnventarij vnd was die No. fo. Met.
von allerley zewg von newem erdacdht, angebenn vnd Durch
Barth. Freybleben, die zeit jeiner Mit. oberjtem Hauszewgmeijter, hat
machen laßen. Auch was von zewg in alten jtetten vnnd jloßen im
jeiner Mt. Erblandenn it, den bemelter zerugmeijter beritten, eygentlich
bejichtigt vnd aufgejchriben hat“.
Der Inhalt gliedert ſich in 3 Teile: 1. Vorrede und „der alt
Inventartj, jo von Kayſer Friedrich III. und Ertherzogf Sigismunds
bliben jem. Was die f. Mt. von newe hat angeben vnd machen
lagen. Zeughausbeſtände der Graffichafft Tyrol (Innsbrud, Sig—
mundsfron u. ſ. w.). — 2. Zeughausbejtände in Djterreich (insbeſ.
Wien), Steyr vnd Embs, Krain (Ofterwib), Gräß vnd Niterrich (Görz).
Sloßer in Kerndten. — 3. Zeughausbeitand in Schwaben, Preykgau
(Breiſach und Lindau), Elſaß, Swarkwald vnd Suntgau.
Die Eremplare der Hofbibliothefen in Wien und München jtehen jich unter:
einander ganz nahe. Jedes hat nur einen Band, und nur der „alt Inventarj“
und Marimilians neue Erfindungen find illuftriert. Dafür aber bezieht ſich
das nicht illujtrierte Sejamtinventar auch auf alle bereijten jeiten Pläge. Es
jind PBapiercodices. — Das dreibändige Bergamenteremplar der Ambrajer Samm-
lung jtellt dagegen cdarakterijtiiche Stüde der oben in Klammern bervorgehobenen
wichtigiten Zeughäuſer der verjchiedenen Lande dar, wobei natürlich großenteile
diejelben Zeichnungen, weldye die beiden anderen Eremplare enthalten, wieder:
holt werden.
Die Vorrede preilt es, daß weder Cäſar, Pompejus, Scipio
und Konjtantin noch auch Karl der Große oder Friedrich Rotbart
ähnliches Feldzeug und Gejchüß bejefjen hätten und gibt die Ein-
tetlung des Werkes. — Der „alt Inventarj“, der das von Erz
berzog Sigmund und Kaiſer Friedrich III. überfommene Material
jchildert, und nicht mmder die Mafje der Zeughausbeitände in den
verjchtedenen Ländern, welche Freysleben v. 3. 1500 bis 1510 feit-
geitellt, zeigt große Mannigfaltigfeit der Formen, wie fie ſich i
15. Ihdt. entwicelt hatten, als Willfür und Zufall, Übertreibimgs-
jucht und Laune der einzelnen Kriegsherrn, Städte und Zeugmeiſter
jich behaglich breit machten und man jich gegenjeitig durch Maſſen—
2. Feuerwerkerei und Büchjenmadherei. 421
baftigfeit und Seltjamfeit zu überbieten juchte. „Was fun. Maj.
bat angeben und machen laßen“ bringt dagegen das im Sinne
der Vereinfachung und methodiichen Ordnung von Martmilian
entivorfene Gejchügiyiten, welches unverfennbar einen Fortſchritt der
Artilleriewiſſenſchaft befundet.
Für die Art der Behandlung jet hier eine jpeziellere Inhalts:
angabe der das Innsbruder Zeughaus betreffenden Abteilung des
Eremplars der Ambrajer Sammlung zur Erläuterung gegeben. Es
iſt eine Art artilleritiichen Albums mit Geichügbildniffen, die von
Reimſprüchen begleitet find, welche mit föjtlichen Initialen beginnen.
Der Anfang lautet:
Hie vecht jih das erſt zwghaws an, | Für gejchuz darin groß vnd Hain
Tas Kaiſer Marimilian Auch andres, was man möchte jein
Hat gmacht zu Inniprud in der Stad, | Nottdurfftig zu eim zug in’s veld
Vnd folgt hernach was jein gnad hat | Mer dan in eim Haus in der Weldt.
1. Hauptbücdjen: Der alt Adler von Tyrol. Dy Keyferin von Kriegiſch—
Weihenburg. Der Welhauf von Djterreih. Der Pfauenſchwantz Erzherzog Sig:
munds Das Einhorn von Beyern. Die Syren von Görtz. Das Weible im
Haus. Frau Dumbjerin vonn Gennjpühl. Der Kerauf v. d. Anprud. Der
Leopard v. Wilten. Jungfrau Buelerin. Die jhöne PBuelerin. Das Zybrenndel
von Landshut. Die Hyrengrille von Rotenberg. — 2. Megen: Die jhön Sydonia,
Rolyrena, Medea, Helena, Semiramis, Bantefilea, Dido, Tyjbe. — 3. Bajilisfen:
u. a. Steinpod, Grocodill, Purrhindurch und Schnurrhindurd. — 4. Mörjer:
Hummel, Fink, Stiglig, Gümpl, Jochvogl u. j. w. — Eine Geſchützart, welche
vielfach vorfommt, die Dorndrell (aud „Dorntal, Dorndruel“ u. a.) heißt
nach dem jetzt als „Dornhäher“ bezeichneten Raubvogel. Es find mittelgroße
turze Geichüge, mit Bloclafetten, die auf einem Borderwagen ruhen. Huherlich
unterjcheiden jie fih in feiner Weife von den in andern Zeughäuſern (3. B.
Breijah) als „Ierras“ oder aud als „Haufnitzen“ angejprodenen Gejchügen.
Die beigefügten Reime beziehen fich jowohl auf Eigennamen von Geſchützen
ald auf ganze Geſchützarten, 3. B.
Fin meyl erraich ich woll | Darumb Schnurrhbindurd nennt
eins Herrn veindt, wan nichs tun joll ; man mid);
| Bor mir mues es als trennen jich.
oder
Wir beißen die Mitteljlangen; | Du mirjt vns nit entlauffen.
Yas dir nit nad) vnns verlanngen; Konig Marimilian hat vns erichaffen ;
Vnſer iſt ain großer Hauffen, Wan wir ſchreyen fo tut es krachen.
Bei den Hagelbüchſen ſteht:
Auf einem Streytwagen farn wir hin; | Aus bevelch Konig maximilian;
Ju Scarmüßeln jteht vnſer jun. (Hott fuegs, das wir mit ern beitan !
422 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Die von Maximilian ſelbſt bejchafften Geſchütze ordnen
jich in folgende 4 Hauptarten:
1. Hauptbüdfen. Sie jind in derjelben Weije wie früher fonjtruiert,
liegen wie zu alter Zeit in einer „Yade” auf dem Roſte vor einem, den Rüdlauf
verhindernden „Anſtoße“ („anjag“ nennt es der Weiskunig), ſchießen aber (im
Gegenſatz zu Treigjauerweins Angabe) durchweg eijerne Kugeln.
2. Karthaunen, dünnere und längere (5 bis 8,5 Kaliber lange) Rohre
nämlich Scharffmegen, Nadtigaln, lanng Korthonen, kurtz Korthonen und Not:
puchjen, welche jämtlich Eifen jchießen, ſowie Birtelpuchien, welche die fürzeiten
Rohre haben und Stein jchießen.
3. Schlangen von 20 bis 40 Ktalibern Länge. Bejonders lange werden
als Wurm oder Bajilist bezeichnet, andere als lange Schlangen, Mittelichlangen,
Kammerjchlangen u. j. w. „Geſchwinndt Gammerjlanngen“ jind Binterlader. —
Schlangen jind auch die „Dagelbüchjen“, melde ſelbſechs auf Streitfarren liegen
und den Übergang zu den Handfeuerwaffen bilden. — Andererjeits wird der
Ausdrud „Hagelbüchſen“ aucd angewandt auf die
4. Haufnigen oder „Terras“, bzgl. „Dorndrell“, verhältnismäßig furze
und am Stoßboden jehr jtarfe Gejchüße, welche S. 404 näher gejchildert worden
jind. Sie bilden den Übergang zur legten Hauptgattung der Marimilianiicen
Geſchütze:
5. Mörſer. Dieſe ruhen z. T. in Schießgerüſten, welche Erhöhung nur
durch untergeſchobene Keile erlauben; teils lagern ſie mit Schildzapfen in modernen
Geſtellen.
Die Lafeten ſind meiſt ſchwarz, das Eiſenwerk rot angeſtrichen, wie dies
im Mittelalter allgemein üblich war.
Eine vollſtändige Ausgabe eines dieſer Zeughausbücher iſt noch
nicht veranſtaltet worden; indeſſen enthalten Eſſenweins „Quellen zur
Geſchichte der Feuerwaffen“ 26 fakſimilierte Darſtellungen daraus,
welche beſonders intereſſante Formen genau wiedergeben. (Leipzig 1877).
$ 67.
Außer diefem allgemeinen Freyslebenjchen Inventarium entitanden
nun eine Anzahl 3. T. ebenfalls prachtvoll hergeitellter Beſtand—
verzeichnijje einzelner Zeughäuſer.
Köſtlich ausgeitattet jind zwei libereinjtimmende Inventare des
Wiener Zeugbaujes: »Machinae bellicae Maximiliani Imp.
et Sigismundi Archiducum Austriae«e. (8. K. Hofbibl. Ser. 10815
und 10816). Es jind jchöne Darstellungen in Waflerfarben mit
furzen Beijchriften.
Inhalt: Haubtbüchſen. Scharfe mezzen. Mittel Stangen. Geſchmitte
Gamerjlangen (3 jeitwärts nebeneinander auf einem Wagen). Schermpudien.
|
2. Feuerwerkerei und Büchjenmacherei. 423
(Dinter beweglichen Holzwänden, die 3. T. mit Seitenflügeln verjehen jind.)
Dvadranten. Lanng Stanngen. Hagelpuchſen. (Haubigen). Verſchiedene Wiege-
vorridtungen. Winden. Fußeiſen. Sättel. Hanndtpuchſen, gefaßt und ungefaßt.
Haußpfeil (Armbruftbolzen). FeuerwerfSmaterial. Schmiedezeug. Hagfenpuchien.
Helmparten. Handtwerfäzewg. Streytların. Viertelpuchſen. Schauffelpuchſen.
Mörjer zum fewrwerdb. Hebezeug. Streitfarrn (Orgelgefhüge). Paveſen vnd
Tartſchen. Sturmhewbl. Berhutten vnd zelt. Raißſpieß. Behemiſch Drifchel.
Frigauler Spieh.
Die auf Erzherzog Sigismund zurüdführenden Gejhügformen find die bei
weitem altertüümlicheren, liegen in Laden und haben lange Anjtöße. — Das
Gremplar Nr. 10816 ift in Kleinigkeiten reicher. Es enthält u. a. noch „Stahlrn
pogen vnd hurrn Armbrujt“. — Um Ende beider Eremplare ijt eine uralte Stab—
eifenbüchje von großen Dimenjionen dargejtellt.
8 68.
Aus den letten Lebensjahren Marimilians jtammt ein „In—
ventari des zewghaus zu Injprugg 1515“, das nicht mehr
von FFreysleben, jondern von Michl Dtt [XVI. $ 12] und Hans
Kugler aufgenommen wurde und im „Ferdinandeum“ zu Innsbruck
aufbewahrt wird. Das Zeughaus enthielt:
13 goßen Hauptjtud (darunter 1 geihraufft Hptjt. gen. Wedh auf; 1 new
geichifft Hptit. mit goßinen Hampen, gen. der Purhindurch; 1 Hain new Hptit.
gen. die Puelerin, gefaßt auf Räder. — 3 goßen Sharimegen (7 auf Rädern).
1 Nachtigal (a. R.). 1 Baſiliſcht. 9 Singerinen (auf Rädern). I Notjlangen
(a.R. Eine hat feine Zapfen, ijt alt), 2 Haufnitz (a. R). 3 Dorndruel (a. R.).
28 Veltjlangl (a. R.). 2 halbe Slangen oder Tarras (gefaßt auf Rädern).
2 große goßen Hagelbuchſen jo fugeln mit jtangen ſchießen. 20 Stainpuren
(teild a. R., teild auf Pöckl). 7 Camerpucjen mit je 2 Camern. 6 Streupuchien
(Orgelgejhüge auf Karren mit 6—15 Rohren). 16 Schauflpuchjen (von Meſſing
mit 3—5 Rohren). 469 meßing Hackenpuchſen, poß vnd gut, furz vnd lang.
1662 meßing Handtpuchſen. 11 goßen Mörjer groß vnd Main. — 13 eijern
notjlangen, gut und bös. 5 eiſern ſtainbüchſen. 5 eifern Beldjlängel. 147 eijern
Gamerpuren mit 2 Camern und außerdem 233 vbrig eijern Gamern. 1125 eyin
Hackenpuchſn. 665 eyjn Handtpuchin. 28 Streytwagen mit Camerjlangen. Eyſen-,
Bley: und Stain-Kugeln. Püchſn modl (u. a. 15 Marmeljtainmodl zu Hacken
vnd Handtbüchſen). Zindtjtrid. Kupfrinkeßel. Pulver, Salniter und Swebel.
Red. Fewerwerckh. — 1125 Tartjchen, darunter 17 Pafeſen, 156 verjilberte große
Tragtartſchen, 2 dergl. vergoldet; 178 veriilberte Heine Iragtartichen; 60 Arme
tartihl oder Pugkler. — 3381 Hellepart. 31527 Fußknechtsſpieß. 11438 Fueß—
tnechtsſpießeiſen. 2504 Raßſpießſchafft. 600 Scheflin Stempl (?) 151 alte Reyt-
iwert. — 310 Fußknechtstrabs. — 588 Hyrnhewble. — 19 Roßſtyrnen. — 207
Mordthafgen. 341 Wurfpfeyl. 160 Trüjchel (Dreſchflegel) mit eyſen Spitzen
beichlagen. 13 Friauler Spieß, alt Schweinſpieß und Alſpieß. 154 Stalin
424 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Pogen, gefaht auf niederländifch; dergl. 20 auf teutjch und 54 ungefaßt. —
Pfeile. — 4657 Flitſchen. — Hauspfeil, geichifft vnd ungeichifft. — 41319 Lem:
eyſen (Fubangeln). Ferner: Wagen, Eifenwert, Seilwerk, Zelte, Heerhütten,
42 Büchjenwagen u. j. w.
Dies Inventar gibt einen vollfommenen Überblid des Waffen:
wejens, mit dem Süddeutjchland aus dem 15. in das 16. Ihdt. über:
ging. Wer damit die Einzelheiten anderer Aufnahmen des Innsbruder
Zeughaujes vergleichen will, den verweiſe ih auf Ballin-Grob-:
mann: Was die Zeughäujer in Innsbruck 1493 enthielten. (Tiroler
Bote 1877. No. 178. Exrtrabeilage) und Wiener Jahrbücher der
Literatur. (47. Bd. Anzgbl. ©. 77 und 48. Bd. Anzgbl. ©. 58).
Endlih made ih auf die Zeughausbücher der Beite
Hohenjalzburg aufmerfjam, welche jich im Archiv der Landes
regterung zu Salzburg befinden, u. zw. überfichtlich zujammengeitellt
in dem dort aufbewahrten Nachlafle des Dr. Spapgenegger.
$ 69.
Außerhalb Deutichlands hat fich feinerlei jelbitändige artillertitiiche
Literatur während des 15. Ihdts. entwidelt. Nur anhangsweiſe tt
des Polydoro Dergilio zu gedenken, dejien de inventoribus
rerum libri VIII et de prodigiis libri IIl, welche 1499 zu
Venedig erjchienen, den eriten Berjuch einer Gejchichte der Erfindungen
daritellen. Vergilio handelt auch von den militärischen Erfindungen,
und wenngleich; dabei mancher Irrtum unterläuft (wie er dem Die
Erfindung der Feuerwaffen erit für das Jahr 1386 anjegt), jo it
jein Werf doch wichtig geworden, weil dasjelbe bis zum Jahre 1726
in nicht weniger als 55 verjchtedenen Ausgaben in allen Sprachen
Europas erichienen und für die vulgären Anjchauungen langehin maß—
gebend geblieben ist. Verdeutſcht wurde es zuerit von Tatius Alpinus.
(Augsburg 1537) 1).
5. Gruppe.
Befeſtigungskunde.
870.
Schriften über Fortifikation aus der erſten Hälfte des 15. Ihdts.
ſind nicht bekannt. Indeſſen exiſtieren mehrere Inſtruktionen über
fortifikatoriſche und artilleriſtiſche Armierung aus dieſer
I Vgl. Bedmann: Beitrag zur Geſch. der Erfindungen III (Leipzig 1792) ©. 564.
3. Befejtigungsfunde. 425
Zeit. Da diejelben jedoch feinen wiljenjchaftlichen Charakter tragen,
vielmehr lediglich gelegentliche VBorjchriften ad hoc find, jo muß ic)
mich begnügen, auf einige derjelben hinzuweiſen.
1425. Die Stadt Würzburg in der eyll zu bejejtigen. (Mones
Anzgr. f. Hunde des dtſch. Mittelalter. I, S. 93—1833).
1430. Ordnung, ob man die Stat Nürnberg belegert, wie
man jih darinnen halten ſal. (M. S. des German. Muf. 23628). Abgedr. im
Anzgr. }. d. Hunde der dtſch. Vorzeit. 1871. No. 6 u. 7.)
Einige allgemeine, aber jehr unzulänglihe Angaben über die Aus-
rujtung befejtigter Pläße enthält das „Der treue Rathgeber“ überjchriebene
Kapitel des Feuerwerksbuches von 1445. [858 ©. 400.)
sv.
Die ältefte deutiche Schrift über Befeſtigungskunſt und
(menn man von den in die Bücher des Egidio Colonna, des Joh.
de Garlanda, der Ehrijtine de Pilan und des Marino Sanuto ein-
geitreuten fortififatorischen Einzelheiten abjieht) überhaupt die erite
mittelalterliche Abhandlung über dies Thema find die zehn der Be
feſtigungskunde gewidmeten Kapitel des anonymen Kriegsbuches
von 1450 [8 35). Ihre Überjchriften lauten '):
1. Wie man ain hoch vejt ſchloß puwen fol. — 2. Wie man ain nider berg
ſchloß pumwen jol. 3. Wie man ain vejten Siz jn der Ebne joll pawen. 4. Welt
ain man aber in ain möß (Mood, Sumpf) pauwen. 5. Wie man ain jchloß jol
bewaren für werffen. 6. Wie man ain Schloß bewaren fol für jteygen. T. Wie
man ain ſchloß für Ablauffen (Überfall) jol verwaren. 8. Wie ain man jol
thun, das er jein geſchloß deito geruwtter müg behaltenn. 9. Wamit vnd wie
ſich ain man ee er bejegen (belagert) wird vnd aud in einem bejäh (siege) jehen
joll, das er ſich feiner veind dejter lenger aufhalten müg. 10. Wie jich ainer
haften jol vnd fürjehen, der maint ain jtat oder vejt ze beligern vnd notten.
Wie der taktiiche Teil des anonymen Kriegsbuches nicht den
großen Krieg, jondern die Fehde ins Auge faßt, jo Ddiejer fortififa=
torijche nicht die Befeitigung einer Stadt, jondern die einer Burg ?).
Und zwar handelt es jich dabei nicht nur um die Sicherheit nad)
wirklich ausgebrochenem Kriege, jondern auch um all die Vorkehrungen,
die täglich, ja jtündlich in jenen friedlojen Zeiten zu treffen waren, um
eine Burg vor Überfall zu behüten.
Der Berfafler unterfcheidet Burgen auf höheren und niederen Bergen und
Burgen in der Ebene mit trodenen oder najjen Gräben. — Bei Bergſchlöſſern
1) Ich citiere hier nad) dem Charlottenburger Manuffripte. (ArtillSchul⸗Bibl. C. Nr. 1671.)
*, Bol. Köhler: Anzeiger f. d. M. d. d. Vorzeit 1870 ©. 6, 37, 73, 113.
426 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
fucht er die Ningmauer dem direften Schuffe dadurch möglichjt zu entziehen, daß
er fie etwas vom Höhenrande zurüdrüdt, „auf das man die mur vor dem berge
nit geſchießen muge“. Um auch die inneren Bauten dem direkten Schuſſe weniger
auszuſetzen, will er jie verfenfen, indem man „onder jich in den berg breche und
darnider pumwe“. Auch auf das VBorterrain richtet jich dag Augenmerk des Ver:
faſſers: günjtig gelegene Teile des Abhangs, die ſich ohme Schwierigkeit mit dem
Zwinger in Verbindung bringen laffen, jollen durd) jtarfe Mauern eingefaßt und
mit Büchfen bejegt werden, um den Abhang zu bejtreichen. — Tritt in diejen
Anmweifungen offenbar eine jehr jachgemäße VBerüdfihtigung der neuen Artillerie
hervor, fo find doch die Elemente, aus denen die Bergfejte zujammengejegt er:
icheint, nod) ganz die alten. Bor die Ringmauer wird ein Zwinger gelegt, der
nicht immer ummauert zu jein braucht, jondern aud mit Planfen vder einem
hohen jtarfen Zaun umfangen werden fann. Innerhalb der Ringmauer liegen
Kapelle, Türnig Wohnhaus) u. a., namentlich Keller, Kornkäſten (Getreideböden), |
Pfijterei, Küche, Marjtall, Schmiede u. j. w. Ziſternen jollen jo angelegt werden,
daß das Regenwaſſer der Dächer hineinläuft, und ſie jollen unten weiter jein als
oben, damit fie nicht leicht durd hineingeworfene Gegenjtände ausgefüllt werden.
It die „Hofitatt“ (d. h. der Bauplag) groß genug, jo mag man vor das Thor:
haus nod einen „Vorhof“ legen, deſſen Pforte jedoch nicht direft auf das Haupt:
thor zuführen darf. Entweder das Thorhaus oder ein befonderer Turm muB die
übrigen „Gemecher“ (Gebäude) überragen. Die Mauer ijt mit einem umlaufenden
Wehrgange zu verjehen und außerdem mit Erfern (jur Wacht und zur vertifalen
Beitreihung). Zum Thore joll von der einen Seite ein Fahrweg, von der andern
ein jchmaler NReitweg führen. Der Fahrweg ijt halbwegs durd einen Graben zu
durchſchneiden und die Brücde über diefen (eine Schlagbrüde) durch ein Thorbaus
zu deden, das mit dem Borbofe der Burg in gededter Verbindung jteht. — Bei
Burganlagen auf niederen Höhen bleibt nichts übrig, als angejicht®
jeindlicher Artillerie die „Behufung“, d. 5. das Wohnhaus von vornherein preis-
zugeben, dafür aber Ringmauer und Thorhäufer jo jtarf wie möglich berzujtellen
und alle Mittel anzuwenden, jie zu halten. — Burgen in der Ebene jimd
mit einem doppelten Graben zu verjehen, einem vor der Ringmauer und einem
vor dem Zwinger. Der legtere muß da, wo etwa noch Wirtihaftsgebäude oder
eine Schenfe außerhalb des Zwinger: gewünjcht werden, auch diefe Anlagen mit
umjchließen. Die Gräben find je nad) Umjtänden troden oder naß.- Eriteren-
falls jind fie durch „gut vermauerte ligende hutweren mit Scießlöchern“ zu
jihern, d. h. aljo durch Ktaponnieren, die auch jonjt zu diejer Zeit oft erwähnt
werden. Burgen in der Ebene jollen nidıt hohe aber dide Mauern erhalten,
und namentlich muß der alles überhöhende Hauptturm „von grund off bis
pnder das dad) gelich did vnd als veſt ſyn, daß er jtarfen büchjen wideriteben
muge“. Über den Grundrii des Turmes wird nichts gejagt. Das Burghaus
joll an den „Orten“, d. h. an den Eden turmartige Vorjprünge haben, die
jich auch zwifchen den Eden wiederholen können. (Form der Pariſer Baitille).
Außer vom Wehrgang joll es auch noch durch Scharten mit Büchſen und Arm:
brujt verteidigt werden, und dasjelbe gilt von der Mauer. Trodene Gräben jind
3. Befejtigungstunde. 427
zu füttern und die aus ihnen gewonnene Erde nad) außen zu werfen und jo
eine Anjchüttung (Glacis) herzuitellen, welche da8 Burghaus dedt „dab man es
nit nider mag gejchießen“. „Der grab“ joll auch „yber den zwinger geen“, d. h.
auch diejer joll durd; den Aufwurf der Grabenerde gededt werden. Der Gedanke
eines „gededten Weges“ hinter dieſem wird noch nicht ausgejprochen. — Naſſe
Gräben jind bei Froſt leicht zu überjchreiten; um dies zu hindern, wird empfohlen,
jobald ji eine dünne Eisdecke gebildet habe, Wafler aus dem Graben abzulajien,
u. zw. jo viel, daß zwijchen jener Kruſte und dem Wajjerjpiegel ein freier Raum
von etwa 3° Höhe bleibe; dann gefriere das Wajler nicht und die dünne Dede
trage doch feinen geharnihten Mann. — Wolle man ji in einem Sumpfe ans
jtedeln, jo erridte man den Bau auf einem Roſt von Erlenholz, dejien Härte
und Widerjtandsfähigkeit im Wafler nur zunehme.
Um Gebäude gegen den Wurf jhmwerer Steine zu fihern, jollen jie
mit gefunden Balten bededt, mit Boden bejchüttet und endlich mit einer Reijig-
ihicht belegt werden. Hat man Urjache, niedere Bogenmwürfe zu fürchten, die eine
Band treffen fünnen, jo ift dieje mit Balfen zu blenden.
Um fih vor dem gewaltjamen Angriff, insbejondere vor der Leiter—
erjteigung zu fihern, werden viele Mittel angegeben. Der Zwinger iſt durd
Dornheden und Wachthunde zu ſchützen. Unter den Zinnen der Mauer jollen
ihwere, loje Steine auf ſchwanken Gerten liegen; berührt die einer mit jeinem
Steigzeug, jo jtürzen ihm die Blöde entgegen. Yängs des Mauerfußes find
Yähmeijen (Fußangeln) anzubringen.
Sehr eingehend jind die Vorjchriften über den Thorwachtdienſt, der vor
Überfall jichern joll. Das jtrengjte Zeremoniell hat hier den Zwed, den Wächtern
die äußerſte, argwöhniſche Vorficht durd) das Pienjtreglement zur zweiten Natur
werden zu lafien. Niemals darf das Äußere und das innere Thor gleichzeitig
geöffnet werden").
Zur Bejapung gehören auch Handwerker. Sorgjam ijt für die nötige
Ausjtattung mit Yebensmitteln, Waffen, Feuerwerksmaterial (insbejondere »petro-
leum«) zu jorgen. Bezüglich der Artillerie ijt es interejjant, daß der Verf.
viel Wert auf die Anwendung der „Böller“, d. h. der fleinen Mörjer, legt, welche
eben damals in Gebrauch famen. Sie warfen Steine, und daher erklärt es fich,
da der Autor meint: „denn etwan vil wirft, die köſtent nit jovil ald ain ainiger
bubjenihu mit yſin oder plyin (eiferne oder bleierne) Klögen“. Die Erwähnung
der eifernen Kugeln an diejer Stelle ijt merkwürdig; ihrer wird jonit um dieje Zeit
in Deutichland noch faum gedacht‘), jogar noch nicht in dem Nürnberger Inventar
von 1462 8 62). Jedenfalls handelt es jich hier nur um fleinere Kaliber, vor—
nehmlih Terrasbüdhjen, von denen die Wiener Handichrift auch eine Abbildung
gibt. Schlangen und Kartaunen erwähnt der Verfafler nicht. Außer den Böllern
warfen mit Steinen nur noch die „buchen biüchjen“, die lediglich zum Bejtreichen
1) Diefen Teil der Hanbichrift, der ihm aus Wien mitgeteilt war, hat General Krieg v. Hoch⸗
telden in jeiner Geſch. der Militär-Architeftur veröffentlicht. Er findet fich wieder in meinem Hand»
bude ©. 682.
) Nur bedingungsmweijfe in dem Feuerwerksbuch dv. 1454 S. 405).
428 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werke.
der Gräben dienten. Solche „hulgin bücjen“ fommen aud nod im 16. Ihe:
zu Nebenzweden vielfad vor. „Springend und jchlahend werffkugeln“, alic
Sprenggeichofie , veritand man aus den Böllern noch nicht zu werfen; zu diejem
Zwede bediente man jich noch der alten „werfiitöd“, d. 5. der Bleiden. — Yur
fortififatorijhden Armierung gebört es, dab die leichtgebauten, hochge
legenen Teile der Häujer abgetragen werden, damit fie, zerichoflen, die Beſatzune
nicht bejchädigen. Wo die Ringmauer dem direften Schuß ausgejegt ift, da ſol
binter ihr ein „geſchut terraß“, d. h. ein angejchütteter Erdwall aufgeführt werden
Wenn der Berg Gelegenheit dazu bietet, jo ſoll man auch proviforifche Auhen-
iwerfe, „polwerd“ d. h. Bohlenwerke, vor demjelben anlegen, von denen aus da
Feind zuerit zu bekämpfen jei. Die Bollwerfe müfjen aber mit der Burg in
Verbindung gejept werden.
Das furze, den Belagerer betreffende Kapitel bringt jeltjamer Weije acı
feine Anweijungen für den fürmlidhen Angrifi, jondern enthält nur Ermahnungen.
ja auf der Hut zu fein, daß man nicht von außen ber durd ein Entjagforps
undermutet angegriffen werde.
Überblickt man den Inhalt diefer zehn Kapitel, jo erkennt man,
troß der nur auf die Burgvertetdigung und den kleinen Srieg ac
richteten Haltung derjelben, bereits namhafte Einwirkungen, welce
die neue Artillerie auf den Burgenbau, bzgl. auf die Verſtärkung
älterer Anlagen ausübte. Noch herricht der Mauerbau zwar durchaus;
denn noch it der Brechſchuß nicht jehr zu fürchten ?); immerhin jtrebt
der Verfaſſer aber doch ſchon danach, jein Mauerwerk dem direkten
Schufje zu entziehen und (wo dies nicht möglich it) es zu verftärfen,
indem er einen „terraß“ anjchüttet. Auch bei Einrichtung vorgejchobener
Werke wird auf den Mauerbau verzichtet und der Holzbau, das Boll
werf, empfohlen ?). Sehr merkwürdig iſt die Anlage von Kaponnieren,
um den Feind mit „gerwalt der buchjen“ aus dem Graben zu ver
treiben. Daß es dem Autor auch nicht an richtiger artillerijtijcher
Würdigung des Geländes fehlt, erhellt bejonders daraus, daß er
diejenigen Punkte des BVBorterrains, welche dem Angreifer günittae
Gelegenheit zur Geichügaufitellung bieten, „abſchlaiffen“ laſſen, alſo
Korrekturen im Terrain vornehmen lafjen will.
1) Die großen Kaliber bedienten ſich ja noch der Steinkugeln, die höchſtens zur Berftärtung mi!
eifernen Ringen umgürtet wurden, ober der Stangenpfeile zum Brechſchuß.
2) Ein interefjante® Bild einer ſolchen Holzburg bringt die jhon erwähnte Münchener Zlono-
graphie cod. lat. 197 [85]. Es ift ein aus Balfen gezimmertes Bollwerf (bastille), deſſen unteres
Geſchoß Leine erfennbare Verteidigung bat. liber diefem Erdgeſchoß erheben fi 3 Stodwerke, dere
jebeö etwas gegen ba& untere zurüdgezogen und durch einige Geſchütze verteidigt ift, die aus engem
Scharten weit hervorſchauen. Das Ganze überragen drei Maftbäume, welche ein brüdenartige® wierte:
Stockwerk verbindet und melde ganz oben mit Mafttörben verjehen find.
3. Befejtigungstunde. 429
S 72.
Der Traftat des Anonymus it nicht nur die ältejte deutjche .
zujammenhangende Abhandlung über Berejtigungsfunit, welche ung
erhalten iſt, jondern zugleich die einzige Arbeit dieſer Art, welche
wejentlich von den alten Bedürfnijfen ausgeht und jich nur jo weit,
wie eben unumgänglich notwendig, den durch das Feuergeichüg ge:
gegebenen meuen Bedingungen anbequemt. Alle wifjenjchaftlichen
Werfe, die von num am gejchrieben werden, gehen von emer anderen
Grundlage aus. Die Neuentwidelung aber vollzog ſich, wie das in
der Natur der Sache lag, ſowohl praftijch als theoretisch, nicht an
der Befejtigung der Burgen, jondern an der der Städte.
Das Auftreten der Feuergeichüge hatte das Syſtem der Fortifi—
fation, welches während des 14. Ihdts. in methodiſcher Gejchlofien-
heit bejtanden hatte, erjchüttert, und jeit der Mitte des 15. Shots.
hatte der Gedanfe an die Artilleriewirkung angefangen, bejtimmend
auf die Tätigkeit der Kriegsbaumeiſter einzuwirken. Man begann,
die alten Städte neu zu befeitigen, und erkannte als das zu löjende
Problem: bei Aufrechterhaltung voller Sicherheit gegen Leitererjteigung
doch eine rajante Gejchügwirfung zu ermöglichen. Wenn man das
letztere wollte, jo konnte von vorzugsweier Aufjtellung des Geſchützes
auf den Türmen, wie das bisher Sitte geweien, nicht mehr die Rede
jein; der Wehrgang der Mauer aber war zu jchmal, um größeren
Kalibern Raum zu bieten. Nun vermochte man die Mauerfrone nicht
einfacher zu verbreitern, als indem man Erde anjchüttete und jo einen
Wallgang Hinter der Mauer jchuf, von dem aus das Gejchüg feuern
fonnte. Eine jolhe „Schütte* ließ zugleich einen Teil der Sicher:
heit wiedergewinnen, welche die Mauer allein, gegenüber der Gewalt
des neuen Geſchützes, nicht mehr darbot, und darım nannten Die
sranzojen das Anjchütten eines jolchen Walles »remparer«, d. h.
parer à nouveau, wovon dann das Hauptivort rempart (Wall)
gebildet wurde.
So ſehr eine jolche Anordnung aber auch im rein fortiftfatortjchen
Sinne befriedigen mochte, jo wenig genügte ſie Doch dem Artilleriften ;
denn das auf der Höhe des Wallganges jtehende Gejchüg hatte Feine
Möglichkeit, auf nähere Abjtände rajant zu wirken, und gerade darauf
fam jehr viel an. Daher wendete man denn, weit häufiger als die
innere Schütte, eine äußere an: den jog. „Niederwall“ oder (wie
430 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
man es mit einem antifen Ausdrude nannte) die fossae brachia ').
Das geſchah durch Ausgejtaltung des bisherigen Ziwingers: man
legte vor der ihn nach außen abjchliegenden niederen Mauer oder
Berpfählung einen tiefen Graben an, füllte den Zwingerraum jelbit
aber bis zur Höhe jenes Aupenabjchluffes mit Erde und jchur jo
eine äußere Schütte, von der man num vorzugsweile die Geſchütz—
verteidigung ausgehen ließ. Die Außenmauer oder der Pfahlzaun
des Zwingers bildete aljo jegt die Esfarpe des Grabens, und Der
Niederwall (fausse braie) wurde von der Hauptmauer überhöht. —
Es dauerte nicht lange, jo ſetzte man jolche Niederwälle mit flan-
fierenden Werfen in Verbindung, die aber, wie ja der oft auch
nur durch ein Pfahlwerk bekleidete Wall jelbit, nicht in Stem, jondern
in Holz (Bohlen), Hürden und Erde fonjtruiert und demgemäß Bolen-
werf (ital. baluardo, franzöj. boulevard) oder Bajtei (ital. bastia,
bastione, franzöſ. bastille) genannt wurden ?). Solche Anlagen traten
oft auch an Stelle alter Thorhöfe (Barbigäne).
Eine dritte Art der Verjtärfung ummauerter Pläße durch Erd»
und Holzbauten beitand darin, die „Schütte“ weder unmittelbar an
Die Mauer zu lehnen, noch jie vor diejelbe hinauszuſchieben, vielmehr
Wall und Graben Hinter die alte Hauptumfafjung zu legen. Für
dieſe Art der Anlage jpricht jich 3. B. Philipp von Eleve aus. 8 77].
Er will nichts von den Wällen wiſſen, die jich unmittelbar an Die
Mauer lehnen; „denn“ jo meint er „wenn die Mauer fiel, habe ıdı
jtets den Wall mitjtürzen jehen“. Der Herzog jchlägt daher vor,
die zur Gejchügaufitellung bejtimmte Schütte von der Mauer abzu—
rüden, ihr durch ein Fachwerk von Balken möglichjt große eigene
Standfejtigfeit zu verleihen und zwijchen ihr und der Mauer emen
breiten Graben auszubeben, jo daß, wenn in die Mauer Breche gelegt
jet, dem Feinde eine zweite Enceinte von Erde, Holz und Faſchinen
1) Livius und Sueton braucden das Wort. -»Brachia+ bedeutet die Vorberarme, bzgl. bie
Scheren ber Krebſe und Elorpione. Fossae brachia ift aljo eigentlich direft mit „Grabenſchere“ zu
überſetzen.
I) Bastoue (bäton) iſt „Stock“; »bastire- (bätir) heißt bauen, d. b. urſprünglich wohl „Holz
ftügen errichten”. — Bolenwerle und Stodbauten beißen ſolche Werke alſo nach dem hölzernen Gerippe,
das ihre Konſtruktion zuſammenhielt. Beide Ausdrücke, „Nolwerk“ wie Baſtion“, ſind erſt im
15. Ihdt. zu allgemeiner Geltung gekommen. Zwar fand Littr& das Wort »bastio- ſchon in einem
provencalifhen Zolument von 1238; aber erit ım Sriege zwiſchen den Engländern und Franzoien,
zumal vor Orleans (1428) mwurben die »bastilles« weltbefannt. Seitdem warb ihr Rame aud in
„Baftei” verbeuticht. (Übrigens bedeutet auch unſer „Baft“ mundartlich „Holz“ .)
3. Befejtigungstunde. 431
gegenüberitehe. Es iſt mir feine Befejtigung befannt, bei welcher
diefer Vorjchlag Philipps in vollem Umfange zur Ausführung ge:
bracht worden wäre; wohl aber werden mehrfach VBerjtärfungsbauten
erwähnt, bei denen zwijchen der alten Mauer und dem Neuwall ein
mehr oder minder jchmaler Naum, der ſog. „Lauf“ verblieb. In
diefjem Falle bedurfte der Nemvall ganz entjchieden einer Heritellung
als Bohlenwerf um jenfrecht errichtet werden zu können.
8 73.
Bon der Art und Weiſe wie die Bollwerfe oder Bajteien,
d.h. die aus Boden, Balken und Reiſig zujammengejegten Kriegs:
bauten, hergeitellt wurden, unterrichtet uns em deutſches Schriftchen
in dem Cod. Palat. germ. 562, welcher, inneren und äußeren Gründen
zufolge, im legten Viertel des 15. Ihdts. geichrieben jein muß?).
Das Manuffript ijt in einen altertümlichen Schweinslederumjchlag ein-
geheftet, der die halbverwijchte Auffchrift trägt: „Zu buchßen vnd bumen“.
=. 1 bis 5b enthält das uns hier intereflierende Opusculum über den Bajteibau.
Dann folgen viele unnumerierte Blätter. Mit Bl. 6 beginnt ein „Feuerbuch“,
das bis ©. 12b ſechsundzwanzig deutjche Anweiſungen zur Herjtellung von Pulver
und Feuerwerk enthält. Ahnen jchliegen ſich bis S. 50 Nezepte ärztlichen, magischen
und erotiihen Charakters an. Auf ©. 51 beginnt der Berfaffer eine artilleriftifche
Vorſchrift über das „ladenn einer puchjenn mit pfeylenn“; aber ſie reißt nad)
4 „Zeilen ab, und den Beſchluß des Buches bildet ein Neimgejpräd; mit einem
„leben Weybe“.
Das Werfchen über den Bajteibau bejteht aus einer furzen
Einleitung und vier Tafeln Zeichnungen mit emigen erläuternden
Worten ?). Die Einleitung lautet:
„So man ein jtat oder ſchloß vmb machen will, die da vejt joll werden,
der nem dye mujter im anfangk vmb dye tor der pajteyn. Darnad) mit lange
ihuten. Darnad; mit einem perg. Darnach wieder mit einer jchutt. Darnach
wieder mit einer pajtey umb ein jtat oder vmb ein ſchloß. Den anfand joll
man anheben mit wajen zwifach auf einander vnd jol hinder den wajen erden
ihuten, vnd joll auf die erden vnd wajen wellen legen, die wellen jollen hinten
und forn gepunden jein, vnd hinter der ſchut joll ein großer zaun fein mit zwi—
fachem punttwergf, forn in zaun hinten in die jchut, vnd dye ſchieſlöcher jollen
gancz aichen jein nach der leng durch jchut foren eng, hinten (d. h. innen) weht.
Das bewer ih Hanns jhermer“.
1) Dies merkwürdige Heidelberger M. ©. iſt bisher ganz unbefannt gewejen.
2) Eingeihoben find mitten in den Text ber fortififatoriichen Abhandlung zwei Zeichnungen
von Streitwagen und einige Angaben über die Verteilung derfelben in der Wagenburg.
432 Das XV. Nahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Man kann nicht behaupten, daß ſich Hans Schermer in dieier
Auseinanderjegung deutlich ausgedrüdt habe, und auch ſeine rohen
Zeichnungen mit ihren jpärlichen Erläuterungen glänzen feineswegs
durch Klarheit. Er verjucht, Grundrig und Aufriß zu vereinigen,
aber nicht etwa im Sinne der Hlavalterperjpeftive, jondern in wunder:
licher, höchjt infonjequenter Weiſe. Die erite Tafel gibt eine Art
Geſamtanſicht dejjen, was man jpäter eine fortififatoriiche „Front“
nannte, d. 5. eines Abjchnittes der Enceinte von einer Baſtei zur
anderen. Unter dem mittleren Teile derjelben (alfo unter dem, welcher
jpäter Kurtine hieß) jteht:
„Daß ijt ein ſchwt von einer pajteyn zw der anden, oben ain jchrenden auf
der ſchwd, auch ein Igl vmb dye ſchwd. tem zwiſchen der peden pajteyn gehort
ein perg, darauf man das leger vmb ein jtat wer(if) mit den puchjen auf dem perg.“
Unter der einen Baſtei jteht:
„stem das iſt ein paitenn, die bat vnden xxxv ſchuch, dye jchießlöcher
durhauß, vnd der zeun all vier mit puntwerd vnd ein Igl vmb dy paſtey oben.“
Die zweite Tafel bringt die Speztaldaritellung einer ein:
zelnen Baſtei.
„sten das tjt ein pajteyn mit vier wer auf einander, als da jtet mit vier
zen innen als mit puntwerf vnd ain Igl als er oben jtett.“
Die beiden anderen Tafeln bringen Einzelheiten; am wichtigjten
it die Darjtellung zweier „schieffenfter in ein pajtey“, von denen
das eine xxx, das andere xx oder xxx Ichuch lang tt. Sonſt find
noch „Igel“ und „Steden“ zum Bundwerk abgebildet.
Das Bild, welches jich bei näherer Prüfung aus Schermers
Zeichnungen und Bemerkungen ergibt, iſt nun folgendes: — Der
Grundriß jener Feitung it ein Polygon, an dejjen Eden mäßig
vorjpringende halbrunde Baſteien vermutlich zugleich als Ihorbefeiti-
gungen dienen. Zwiſchen den Bajteren dehnen jich die „Schuten“
(die Kurtinen) aus, in deren Mitte jich je ein „Berg“ (Kurtinen—
favalier) erhebt, von dem die Fernfeuerwirfung vorzugsweile ausgehen
joll. Der Graben, welcher vor diefer Umfaſſung Liegt, it nicht be
fleidet. Nach innen it die ganze Befeitigung durch einen jtarfen
Zaun abgejchlofjen. — Zwiſchen der Esfarpe und dem Fuße des
Wulles findet jich eine breite Berme mit Igel (Fraiſe). Von der
Berme erheben fich die mit Wajen (Najen) bededten Erdjchutten
in janfter Anlage, die Baſteien dagegen zu gleicher Höhe wie die
Schutten als jenfrechte Bauten in Bundwerf, d. 5. in Holz, Raſen,
2. Befejtigungstunde. . 433
Erde, Falchinen und Flechtwerk, deren gemijchte Anwendung (Rojt-
und Schlüfjelbildung von jtarfen Hölzern) eben den Bertifalbau er-
möglichen ſoll. Diejer aber ift durch die für die Bajteren disponierten
Hohlräume bedingt. Jede Bajter weiit nämlich vier „Wer“, d. 5.
vier Reihen „Schießlöcher” für Gejchüge übereinander auf, jede Neihe
zu vier bis fünf Scharten. Und zwar liegt die unterjte Reihe diejer
mit Eichenbohlen getäfelten Scharten im Horizonte, welcher mit der
Höhenlage der äußeren Berme und des Bajteihofes zujammenfällt ;
die zweite Neihe liegt im Niveau einer etwa 10 Fuß höher ange
brachten inneren Berme; zur dritten Reihe vermögen die Gejchüge
nur durch Hebewerke (wie deren die gleichzeitigen Jkonographien ja
häufig daritellen), die Bedienungsmannjchaften nur auf Leitern zu
gelangen. Die vierte Schartenreihe liegt in einer auf den Wallgang
aufgejegten jtarfen Brujtwehr. Wohl nur bei den beiden oberen
Reihen iſt die Einrichtung flanfierender Scharten möglich; bei
den unteren hindert die Böſchung der Schutten. Übrigens erjcheint
der Ausdrud „Scharte“ für diefe Schieglöcher gar nicht geeignet;
es jind vielmehr Galerien oder Kajematten, welche den ganzen Baſtei—
förper von innen nach außen durchjegen, nad) außen hin aber an
Höhe und Breite abnehmen. In ihnen jtehen die Gejchüge jamt der
Bedienungsmannjchaft, und zu ebener Erde dienen fie offenbar auch
als Thorwege, zu denen vor einer oder der anderen Bajter eine
Schlagbrüde über den Graben führt. Da hierin natürlich eine große
Gefahr für die Sturmfreiheit liegt, jo werden die beiden unteren
Reihen der Schieglöcher, jobald fte nicht armiert find, gejchlojjen,
u. zw. in höchjt ungewöhnlicher, dafür freilich um fo joliderer Weije:
nämlich nicht durch Laden oder Schartenthore, jondern durch unge
heuere „Schieffeniter* (Schiebefeniter), welche die ganze Galerie
„durchaus“, d. h. von innen nach augen volljtändig ausfüllen und aus
mächtigem Stammbolz bejtehen. Ihre Länge beträgt im unterjten Stod-
werf 30, im folgenden 20 bis 30 Fuß. Dieje befremdliche Einrichtung er:
scheint um jo jeltjamer, als die unteren Gejchügjtände doch vorzugsweiſe
für den Nahfampf in Frage fommen, das Heran= oder Herausrollen
der „Schiebefenjter“ wie die artilleriitiiche Armierung der eigenartigen
Kafematten aber jedenfall® nicht unbedeutenden Zeitaufwand erfordert?).
1, Ich gedente, ein Fakſimile bes Heidelberger Manuifriptes und den Verſuch meiner Relonftruftion
demnächſt zu veröffentlichen.
Jahns, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 28
434 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
In mancher Hinjicht erinnern die Baſteien Schermers an die
mehrgeſchoſſigen bienenkorbartigen Feitungswerfe aus Flechtwerk, von
denen wenig jpäter Ghiberti eine Zeichnung entwarf. [$ 23.) Ans
gaben über die Herjtellung des Bundwerkes fehlen bei Schermer. Nur
ein Steden und ein doppel T-fürmiges Holz finden ſich dargejtellt;
indejjen erfennt man, daß es fich um eine ganz gleichartige Technit
handelt, wie fie della Valle 1517 in jeinem »Vallo« unter der Über:
jchrift »Modo de fare uno Bastiono tondo per defendere con le soe
chiaue et casemratte et canonniere« auseimanderjeßt. [XVI. 8 107.)
8 74.
Anders als in Deutjchland entwidelte die Militärarchitekftur
fih auf italiſchem Boden, wo zwei diesjeitS der Alpen minder
mächtige Elemente beftimmenden Einfluß übten: die Überlieferung
der Antike und die Schönbaufunft. — Für den erjten dieſer beiden
Impulje zeugt namentlich die Arbeit eines der merfwürdigjten Uni—
verjalgenies des Quattrocento, die Schrift de re aedificatoria
von Leonbattiſta Alberti (1404—1472).
In diejem gelehrten Werke bildet die Abhandlung über das Kriegsbaumejen
nur einen untergeordneten Abjchnitt, und dieſer jteht durchaus unter den Zeichen
des Vitruvius und des Vegetius; die Verbindung mit dem wirflihen Leben iſt
jehr loder. — Das Wert erſchien erſt nach dem Tode des Verfaſſers, 1485 zu
Florenz. Die erjte Übertragung ind Italieniſche fam 1550 heraus, die legte,
welcher die Noten Orſinis angehängt find, 1804 zu Perugia. Eine franzöjiice
Uberjegung wurde 1553 zu Paris veröffentlicht.
Bon fünftleriichem Gejichtspunfte ging Antonio Filarete aus,
ein 1400 zu Rom geborener }Florentiner, der durch den Bau des
schönen Dspedale grande in Mailand hohen Ruhm gewann. Cr
widmete i. 3. 1464 dem WBietro dei Medici einen Trattato di
Architettura, welchen die Libreria Magltabechiana in den Uffizien
zu Florenz bejigt (no. 30 alla cl. XVII !).
Es ijt eine allgemeine Darjtellung der Baufunjt in 25 Abjchnitten, deren
einer von der Militärarditeltur handelt. Die antilen Elemente herrſchen aud
bier vor, jedoch nicht unbedingt; dagegen handelt es ſich vielfach um faum aus
führbare Projekte, und manche brauchbaren Vorſchriften werden von einer Maſſe
unnüger Einzelheiten erdrüdt.
1) Ein zweite® Manujfript in ber Bibl. bes Marcheſe Triulzi zu Mailand ; eine ſchöne Facſi
milefopie von Chirici a. d. J. 1882 in der Bibl. des Herzogd von Genua zu Turin (Nr 292).
3. Befeſtigungskunde. 435
Die Schönbaumeijter Italiens waren faſt alle auch zugleich
Kriegsbaumeifter. Filipo Brunelesco (1370—1450), der Schöpfer
der weltberühmten Domfuppel zu Florenz, entwarf 1406 den Plan
der Citadelle von Pija, baute 1429 das Schloß zu Mailand und
1442 fir Alejandro Sforza die Befeitigung von Peſaro. — Donato
Bramante, der Fürſt der italienischen Baufünjtler (1444—1514),
hat Anteil an der Herjtellung der Feitung vor Porta Giovia zu
Matland, jowie an der Berjtärfung der Werfe Bolognas, Mirandolas
und Roms. Dont verjichert!), Bramante jei der Verfafjer eines Modo
di fortificare in drei Büchern; doch iſt dies Werk verjchollen. —
An den Feitungsbauten in Florenz und Rom war auch Michel
Angelo Buonarotti beteiligt (1475—1564), und jo ließen jich
noch viele Namen nennen; doch nur auf zwei derjelben tjt hier, ihrer
literariſchen Tätigfeit wegen, näher einzugehen: auf Lionardo da
Vinci und auf Francesco di Giorgo-Martini, deren beider als
militärtjcher Ikonographen bereit3 gedacht worden it.
8 75.
Die fortififatoriichen Äußerungen Lionardos da Dinci [8 24]
ſind jehr zerjtreut.
In dem Eodice atlantico finden ſich einige LiniensTraces, welche
Lionardo für den Herzog von Mailand entworfen hatte: ein Viereck mit Rundelen
und ziemlidy weit vorgejhobenem halbfreisförmigen Raveline, ein anderes Viered
mit Rundelen auf den Eden, einer feinen Plattform in der Mitte der Kurtine
und einem näher gelegenen dreiedigen NRavelin, endlich ein Grundriß mit vier-
edigen Bolwerfen. — Hinfichtlic des Navelins bemerkt Lionardo: „Das NRavelin
it der Feitung Schild und muß von diejer jo verteidigt werden, wie es jeinerjeits
die Feitung jhügt. Je weiter es von diejer entfernt liegt, dejto mehr ijt es
Seitenſchüſſen bloßgejtellt. Der Feind wird in den Zaufgräben und am Fuße
des Glacis Stellung nehmen und mit jeinen Feuerſchlünden das Ravelin zerjtören.
Daher müſſen Ravelin und Glacis vom Feſtungsgeſchütz frei beftrichen werden,
und um den etwa vom Angreifer unternommenen Minenbauten entgegenzutreten,
ind im Umkreiſe jeder Feſtung, deren Höhenlage es gejtattet, viele tiefe Keller
(Kontreminen) anzulegen“. — Außerdem bringt der Codice atlantico die Pianta
d’una fortezza con quattro recinti altrettanti fossi ed all sterno poligoni
con torri (Vieredige Bajtillen mit abgejonderten Edtürmen); ferner: eine kreis—
förmige Befejtigung mit vorgejhobenen Halbfreistürmen, dreien ji überhöhenden
fajemattierten Wällen, deren Hohlräume ſich auch nach innen mit Scharten öffnen,
1) La Libraria. (Venedig 1550).
98°
436 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
und in deren Mitte fi ein mächtiger Donjon erhebt; endlich ijt einer wahren
Bolygonalbefejtigung zu gedenken, in deren Winfelpunften ji) gewaltige Hoch—
batterien erheben. — Mehrere Zeichnungen beziehen ſich auf Minenanlagen.
Aus einem der Pariſer Manujfripte hat Benturi folgende Betrachtung
mitgeteilt): „Da heutzutage die Artillerie um drei Viertel an Kraft und Stärte
zugenommen hat, jo muß man aud) die Widerjtandsfähigfeit der Mauern um
drei Viertel verjtärten. Zu dem Ende find nad) jedem zehnten Schritte Strebe-
pfeiler zu errichten, und der Raum zwifchen ihnen ijt mit Erde auszufüllen. Wach
innen muß die Stärke der Pfeiler zunehmen, damit jie die Erde aufrecht zu er—
halten vermögen, auch wenn die Mauer zerjtört jein jollte*.
8 76.
Francescos di Giorgio Martini Abhandlung über die Be-
feſtigungskunſt it durch vier Jahrhunderte fait unbeachtet geblieben.
Dann erjchien fie 1841 zu Turin als Trattato di Architettura
civile e militare di Fr. d. G. M., architetto Senese del secolo
XV. Oro per la prima volta pubblicato per cura del Carv.
Cesare Saluzzo con dissertazioni e note per servire alla storia
militare italiana. [$ 21).
Der Generallieutenant Saluzzo, militärijcher Erzieher des Königs Viltor
Emanuel und des Herzogd von Genua, war Großmeiſter der ſardiniſchen Artillerie
und einer der frühejten und ausgezeichnetiten Kenner des älteren Kriegsweſens.
Ihm verdanft man die Herſtellung der herrlichen Faklſimilia der militärischen
Eodices Italiens, welche jich jeßt in der Bibliothef Genova zu Turin befinden.
Unterjtügt wurde er bei Herausgabe von Francescos Werf durch den gelehrten
Arciteften Bromis, welcher den Tert durch eine Reihe von Memorie istoriale
begleitete, die eine Überſicht des Lebens und der Arbeiten der italieniſchen In—
genieure von 1285 bis 1560 bieten, ſowie eine Abhandlung über den Urſprung
der Baſtione und der Pulverminen. — Das prachtvoll ausgeſtattete Foliowert
beſteht aus zwei Bänden Text und einem Atlas. Der erſte Band enthält die Lebens—
geſchichte Francescos und ſeinen Tractat, der zweite die geſchichtlichen Denkwürdig—
teiten. Der Atlas bringt nur die fortifikatoriſchen Entwürfe Francescos, von
allen andern Darſtellungen ſeiner großen Ikonographie lediglich die eine von
Mine und Tunnel (Nr. 383 in dem Exemplar der Kgl. Privatbibliothet zu Turin).
Das Studium des Werkes lehrt, day Francesco eine große Zahl
von Kombinationen verjucht hat, um den Forderungen guter Nah—
verteidigung zu gemügen.
Alle jeine Entwürfe zeigen die Neigung, überaus weit vor= und zurüds
ipringende Linien zu gewinnen. Der untere Teil feiner Mauern hat eine janite
I!) Essai sur les ouvrages physico-mathem. de Leonardo. p. 44. (Citat bei ®en. » Lt.
v. Minutoli: Leonardo da Vinci als Ktriegskünſtler. Zeitſchrift für Kunſt, Wiflenih. und Geſch. bes
Krieged. Bd. 68, 1846.)
3. Befejtigungstunde. 437
Böſchung bis zum Bordftein, von dem die fenfrechte Bruftwehr anhebt. Bei
Konjtruftion der Mauer find alle jemals befannt gewordenen Berjtärtungsmittel
berüdjihtigt; es finden ſich ſogar Türme, deren Außenſeite mit pyramidalen Er:
höhungen bejegt find, zu dem Zwecke, den Flug der anſchlagenden Kugel im
legten Augenblide zu winkeln und dadurd ihre Durchſchlagskraft zu ſchwächen,
was bei jteinernen Geſchoſſen wohl Erfolg haben mochte. — Ausgebreitete An—
wendung macht Francesco von den capanati, den Streicdywehren im Graben.
Er bringt jie namentlid) in der Mitte langer Kurtinen an u. zw. am Fuße der
Escarpe; doch fommen fie auch vor ausfpringenden Winkeln und am Fuße der
Gontreedcarpe vor. — Die Erdanjhüttungen find hinter der Curtine meijt jehr
ihmal, breiter an den ausjpringenden Winkeln, den NRondelen und Bajteien.
In diefen Teilen bededen fie häufig zwei gewölbte mit Scharten verjehene Stod-=
werte. Die Brujtwehr bejteht immer aus Stein, weil Francesco jtet3 Machieuli
Gießlöcher zur Vertifalbejtreihung) anwendet.
Die Veröffentlihung von Francescos Werf hat in dem vierziger
Jahren unjeres Jahrhunderts großes Aufjehen gemacht. ES war das
erjtemal, daß der Befeitigungsfunit des 15. Ihdts. wiljenjchaftlich
nahegetreten wurde, und die gejchichtlichen Denkwürdigfeiten des Promis
erregten mit Recht ganz ungewöhnliche Teilnahme. In einem Punkte
ſchoß freilich Promis über das Ziel hinaus. Er fand in einem Ans
bange von Francescos Traftat, der jich in dem Exemplar der Maglia-
becchtana und nur in diejem befindet, auc) einige Zeichnungen, welche
ihm Anlaß gaben, den Francesco für den Erfinder jowohl der
Zenaillenbefejtigung als des Bajtionärtraces zu erklären.
Eine diejer Figuren ftellt ein Viered mit vier Eck- und Mittelbafteien dar.
Diefe Bajteien gehören zu den „langgejtielten“, die, durch fofferartige Bauten
mit dem Hauptwall verbunden, möglichjt weit ind Vorterrain binausgejchoben
wurden. Dergleihen fommen, bald mit halbfreisförmigem, bald mit ogivalem,
bald mit dreiedigem Abſchluß allenthalben im 15. Ihdt. vor; hier ift der Abſchluß
dreiedig, und demgemäß erinnern die Bafteien an Bajtione im modernen Sinne,
an die »baluardie der Staliener. Ihre Facen find freilich) jo kurz, daß deren
Wirfung auf das Vorterrain nur überaus gering fein könnte, und ſchon aus
diefem Grunde darf man jene Heinen Vorbauten nicht als moderne VBajtione an—
ſprechen; es find »puntoni«, wie jo viele gleichartige italienijche Anlagen. —
Eine andere Figur zeigt ein Fünfeck, von defjen Kurtinen jeltfam geformte
Saillants ausgehn; der kofferartige Schmalwall, welcher an den Hauptwall anjegt,
erweitert jih nad) außen hin nämlicd) zu einem dreiedigen Werke, deſſen Spike
jedoch abgejhnitten und durch ein kreisförmiges Bolmwerf (torreone) erjegt ijt. —
Einige Grundrifie haben eine gewiſſe Ähnlichkeit mit der Gefamtanlage des
Bajtionärtraces, wobei jedoch die Bajteien oft nicht die edige, jondern eine fon:
vere Gejtalt haben. Die Kurtine ijt zuweilen gebrochen, nad) der Mitte zurück—
gezogen oder konkav geführt. Die Thore dedt ein Meines dreiediges Ravelin.
438 Das XV. Jahrhundert. II. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
Obgleich die Zeichnungen diejes Anhangs feine Silbe Erläuterung
haben, jchreibt Promis jie doch mit Bejtimmtheit dem Francesco di
San Giorgio-Martini zu und datiert jie v. 3. 1500. Für beiwiejen
kann das durchaus nicht gelten; aber jelbit angenommen, es jei richtig,
jo darf man darum den Francesco noch feineswegs für den „Erfinder“
der Tenaille, des Bajtions oder gar des Bajtionärtraces erklären,
u. zw. aus dem einfachen Grunde, weil dieje fortififatorijchen
Elemente überhaupt nicht erfunden, jondern ganz allmählid
erwachjen jind. — Gegenüber dem müjjigen Streite über die „Er:
findung“ der Bajtione bemerkte jchon vor mehr als 100 Jahren
Bapacino d’Antont?), daß Tenaille wie Bajtion von der Redanform
abzuleiten jeien, die ihrerjeitS davon herrühre, daß man bisweilen die
Türme überef in die Mauer gejtellt habe. Die Vorzüge einer jolchen
Anordnung aber hat bereits ein Bierteljahrtaujend vor Chriſtus Philon
auseinandergejegt und demgemäß auch den Bau fünfediger Türme
empfohlen. [A. $ 12]. Nicht minder waren jich die Römer bewußt,
daß die Wirkung der Schieß- und Schleudermajchinen gegen jchräg
gejtellte Mauerflächen geringer jei als gegen jolche, die der Flugbahn
des Gejchofjes rechtiwinklig gegenüber jtehen, und daher wendeten jie
da, wo der Angreifer auf das Vorgehen in bejtimmter Richtung an:
gewieſen war, vielfach fünfedige Türme in den Mauergürteln an;
wie deren denn noch jetzt, z. B. in dem Prätorianerlager zu Rom
und in den alten Umfafjungen von Ardea und Como, erhalten jind.
Als dann im Quattrocento Italien die antifen Traditionen neu be
febte, geſchah es auch in diefer Hinficht, u. zw. nicht ohne Über:
treibung; die übereck gejtellten Mauertürme oder vorgejchobene Turm:
bauten von fünfedigem Grundriß (puntoni) wurden geradezu eine
typiiche Form der italienischen Militärarchitektur. — Nördlich der
Alpen dagegen, wo man nicht jo jehr von der Überlieferung abhing
und Daher freier urteilte, jah man ein, daß das breite Gelände vor
einer Stadtbefeitigung dem Angreifer falt immer mehrere Punkte
zum Aufjtellen jenes Schießzeugs bot, und beließ daher den Mauer:
türmen meiſt die runde oder vieredige Geitalt. Wohl aber gab man
ſeit dem 13. Ihdt. den Haupttürmen der Burgen, den Bergfrieden,
gern einen Grundriß von dreis bzgl. fünfediger Form oder baute jie
als übereck gejtellte VBierede; denn vor diejen Türmen war das An-
I) Archittetura militare (Turin 1778).
3. Befeſtigungskunde. 439
griffsjeld gewöhnlich derart bejchränft, daß die Schrägitellung der
Turmfronten wirklich Nußen gemwährte!). — Dieje verjchiedene Ent-
wicelung jenjeit8 und diesſeits der Alpen führte dann zu weiterem
Auseinandergehen. Als es fich darum handelte, flanfierende Ge
ihüsgaufjtellungen vor die Mauergürtel vorzujchieben, gab man in
Deutjchland jolchen Werfen die hergebrachte abgerundete Form der
Mauertürme und Thorburgen und führte fie meijt al3 Holz und Erd»
bauten, d. h. als „Bolwerfe“ oder „Bajteien“ aus?). In Italien das
gegen baute man jie überwiegend aus Stein und gab ihnen die Form des
Redans oder des Fünfecks. Es find aber lediglich Flankierungswerfe; mit
der Wirkung nach außen haben jie noch gar nichtS zu tun; dieje fällt
vielmehr den Batterien zu, welche in der Mitte der Kurtinen auf
Erdanjchüttungen angelegt werden, deren Name »piatta forma« ur-
jprünglich gleichbedeutend it mit „Geſchützbettung“. Dieje Platt-
formen oder KHurtinenfavaliere, von denen aus die Feitungsartillerte
ins Vorterrain fchlagen joll, entjprechen jomit volljtändig den „Bergen“
auf der Schutte inmitten der beiden Bajteien einer Front Hans
Schermers, jo daß aljo zwijchen deffen Bauweiſe und der jog. „alt
italienischen Manier“ eigentlich gar fein Unterjchied beſteht. Beide
itellen fich vielmehr als eine den mitteleuropätichen Völkern gemeinjame,
aus den Verhältniffen herausgewachjene Befejtigungsweije dar, die eben—
jomwenig jemand „erfunden“ hat wie die fünfedige Grundform der
Bajtione. Die Gliederung der Front Schermers ijt überdies uns
zweifelhaft um mindejtens zwanzig Jahre Älter als die verwandten
Grundriſſe in den apofryphen Zeichnungen Francescos.
8 77.
Auffallend iſt es, daß feinerlei franzöjiiche Arbeiten über Be
feſtigungskunſt aus dem 15. Ihdt. zu erijtieren jcheinen, wenn man
nicht Die betr. Abjchnitte aus Herzog Philipps von Eleve Instruction
8 38] als franzöfiich in Anjchlag bringen will. Dieje bringen aller:
dings jowohl für die eigentliche Fortififation wie für den Belagerungs-
frieg höchſt wertvolle Fingerzeige. — In eriterer Hinſicht erjcheinen
1) Einen beſonders inftruftiven Bau bdiefer Art, den „hohen Turm“ zu Nedarbiichofsheim hat
Oberft v. Cohauſen im Anzeiger für die Hunde der deutichen Vorzeit 1865, ©. 223 beiproden.
2) Übrigens kommen auch dergl. Bauten in Stein vor; 3. B. bie jhöne „Notwer” vor dem
Severinäthore zu Köln, welche 1469 erbaut wurde. Hier erheben fich über dem aus einem Quadrate
und einem Halbfreife gebildeten Grunbriffe drei Gewölbſtockwerle und eine Geichügplatte übereinander.
440 Das XV. Jahrhundert. U. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
bejonders Philipps Bemerfungen über das Remparieren alter
Befejtigungen bemerkenswert.
Der Herzog erweift fich (wie ſchon $ 72 erwähnt) durchaus unzufrieden mit den-
jenigen Schütten (rampars), welche ſich unmittelbar an die Mauer anlehnten;
denn der Sturz der legteren zöge den der Schütte nad) und made die Breche
weit zugänglicher als jie ohne den Zujammenhang von Mauer und Wall fein
würde. >J'ay veu tousiours tomber le rampar auec quand lon bat la
muraille et y faisoit beaucoup meilleur monter.e Diejer Übelftand war
jedod zu Philipps Zeit von noch höherer Bedeutung als jpäterhin; denn damals
galten gerade die legten Augenblide der Verteidigung für diejenigen, in welden
ſich die höchſte Defenſivkraft entfalte. Philipp jchlägt deshalb vor, den zur Ge—
ihügaufjtellung bejtimmten Wall nicht an die Mauer zu lehnen, diefe vielmehr
von vornherein auf eine mäßige Höhe abzutragen, weil die hohen Steinmafien
doch nur dazu dienten, den eigenen Graben auszufüllen, wenn man der feindlichen
Artillerie da8 Abtämmen überlaffe. Dann aber lege man 15 bis 16 Fuß hinter
der erniedrigten Mauer un rampar de bois et de terre an, der zugleich den
Raum zur Aufjtellung eigener Batterien biete. Wo es nicht möglich fei, eine
derartige Anordnung längs der ganzen Umfafjung zu treffen, da verfahre man
in diefem Sinne wenigjtens an den zumeijt gefährdeten Stellen u. zw. in der Art,
dab der Holz und Erdbau ſich ald halbmondförmiger Abfchnitt an die minder
ausgejegten Teile der alten Ringmauer anſchließe.
Über den Belagerungskrieg der Übergangszeit vom Mittelalter
zur Neuzeit bieten der deutjche Anonymus und Chrijtine de Bilan
wertvolle Angaben [$ 71 u. $ 39]. Für die moderneren Verhältnifje
iſt Philipp von Eleve der erſte Schriftiteller, und was er bietet, it
zugleich von ungewöhnlicher Fülle und Deutlichkeit.
Philipp zuerjt gibt ein Bild von den Gejamtbedingungen einer Bejagung.
Er rät dem Fürjten dringend ab, ſich jelbit in einen befejtigten Pla einſchließen zu
lajien. Er joll einen fühnen und Hugen Befehlshaber ernennen, und diejem, falle
er noch feine Belagerung durchgemacht, einen Mann an die Seite jtellen, der
das erlebt hat. Die Hauptjache jei, die Bejapung bei gutem Mute zu erhalten
und vor Meuterei zu bewahren. Grgebene, höher gejtellte Leute müßten dabei
mit dem Beifpiele der Hingebung und rajtlofen Tätigkeit vorangehen, und der
Befehlshaber dürfe es nicht jchenen, eintretenden Falls durch jofortige Tötung
Widerfpänjtiger zu jchreden, ohne lange jurijtiihe Ceremonien. »Je crois que
Dieu ne vous scauroit point de mauuais gre: car de deux maulx il faut
eviter le plus grand«. — Demnächſt fomme es auf gehörige Verpflegung an,
deren Verteilung jehr genau zu regeln, am beiten nad Zehntichaften durchzuführen
jei u. zw. nicht nur in Bezug auf die Garnifon jondern auch binfihtli der
Einwohner. Auf Grund der Zahl der vorhandenen Zehntſchaften habe die Ber-
proviantierung zu erfolgen. Mittelloje Leute ohne VBürgerredt und Grundeigentum
weile man am bejten vor Beginn der Belagerung aus. — Sorgfältig jei der Be-
itand der Artillerie und der Werfftätten zu unterſuchen, bezw. zu ergänzen. —
3. Befeſtigungskunde. 441
Die Umfafjung, in Abjchnitte geteilt, deren Verteidigung bejtimmten Quartieren
überwiejen iſt, wird von deren Befehlähabern aud) fortifitatoriih und artille-
riftiich armiert. Dabei ijt aber eine Generalreferve au milieu de vostre ville
zurüdzubalten. Bor jedem Haufe hat man eine Waſſerkufe bereit zu jtellen
und das Feuerlöſchungswerk von vornherein genau zu ordnen. — Große Auf:
merffamteit ijt dem Wacdtdienjte zu widmen. Die Thorwachen (10 bis 12 Mann)
find derart anzuordnen, daß. niemand weiß, an weldhem Tage er die Wade an
einem gewifjen Thore haben werde. Liegen vor den Thoren bouleuerts und Nieder-
wälle (douues) vor den Mauern, jo find auch diefe mit Wachen zu bejegen, doc)
nicht denjelben Befehlshabern zu unterjtellen wie die Thore. Einer hat fid) gegen
den andern abzuſchließen; einer hat den andern zu überwachen; car lon y a
autrefois trouu& de grand tromperie. Bei Tage ijt auf dem höchſten Kirch—
turm ein Lugauspoſten einzurichten; mit Sonnenuntergang findet Thorſchluß
jtatt und beginnt eifriger NRondengang. Jede Thor muß fünf verjchiedene
Schlüſſel haben, die ſich in ebenjoviel verjchiedenen Händen befinden. Zwiſchen
den Thoren und dem Rathaus (Kommandantur) müflen bejtändig Glodenzeichen
gewechjelt werden, die den Chef der Nachtwache mit der gejamten Stadtumfafjung
in Beziehung halten. Außerhalb der Stadt haben Scleichpatrullen auf jede
verdädtige Annäherung zu achten. Sorgfältig ijt auch auf die etiva vorhandenen
Flußeintritte und auf die im Strom liegenden Fahrzeuge eine nie nachlaſſende
Aufmerkſamkeit zu richten. Ein clerce du guet (Wachtſchreiber) hat über den
Pojtendienjt genau Bud, zu führen; man muß in jedem Augenblid wifjen, wer
an einer bejtimmten Stelle Schildwadt jteht. Am beiten lojt man die Poſten
en petits rollets aus, damit ſich niemand beflagen fann und jeder Verrat ver-
hütet wird. — Auch ein guter Spiondienft iſt einzurichten, der beſonders die
Nachbarorte berüdfichtigen muß; dabei darf man das Geld nicht jparen. Streif-
züge haben die Spione zu fontrollieren und ihre Nachrichten zu ergänzen. Am
beiten refognoszieren freilich einzelne Offiziere (officiers d’armes) die Nachbarſchaft:
fühne Männer, für die man leichte Brüden, Lederſchiffchen, Stridleitern und
anderes Steigzeug (eschellements) bereit halten muß. Landleute jind in der
näheren Umgebung des bedrohten Plaßes nicht zu dulden; unter ihnen findet
der Feind immer Helfer.
Letztere Mapregeln wird aud ein Angreifer zu treffen haben, welcher es
unternimmt, fi einer Feſtung durch Handjtreich zu bemädhtigen (prendre
d’emblee). Dazu gehört die genauejte Kenntnis der Ortlichkeit und des Dienit-
betrieb3 in der Feſtung. Immer handelt es jid um den Grabenübergang und
um die Leitererjteigung unter Benugung all der mannigfaltigen Werkzeuge, welche
die Bilderhandichriften für ſolche Zwecke fo reichlih nachmweifen und deren Ans
wendung der Steigmeijter (maistre eschelleur) leitet. Das Unternehmen wird
in Zehntichaften durchgeführt, alfo nie viel auf einmal eingejegt, jeder Erfolg
aber durch raſchen Nachſchub gefichert. Sind die Mauern erjtiegen, jo gilt es
das Aufbrechen eines Thores und womöglich gleichzeitig die Beſchlagnahme des
Allarmplages der Bejapung, um deren Vereinigung zu hindern. — Meijt wird
der gewaltjame Angriff jih mit dem Überfalle paren; jedoch Heineren Plätzen
442 Das XV. Jahrhundert. I. Fachwiſſenſchaftliche Werte.
gegenüber, welche nad) mittelalterlicher Weije befejtigt und armiert find, darf man
(wie Charles VIII. in Italien) wohl auch ganz offen mit einem bloßen unge
dedten Artillerieangriff vorgehen, indem man mit grobem Gejhüt die
feinen Feuerwaffen der Bejagung zum Schweigen bringt, mit leiten Kalibern
aus großer Nähe die Mauern und Türme von den Berteidigern reinigt umd
endlich den Sturm der Breche oder die Leitererjteigung wagt, ohne ſich irgend wie
jelbjt fejt eingenijtet zu haben. Einen jolhen Angriff nennt Philipp >& la facon
de France«. — Muß man auf ein derartiges Verfahren verzichten, jo fommt
es zum förmlikhen Angriff, zureigentlihen Belagerung (siege), bei der
man aus dem wohlbefejtigten Lager, durch Zufhanzungen (aproches) gededt,
methodiſch gegen die Fejtung vorgeht, während große Batterien das Geſchütz
der Wälle befämpfen und Breche zu legen verjuchen. Solcher grosses bateries
rihtet man wenigjtend zwei bis drei vor jeder Feſtung ein und bejegt jie mit
7 canons, 2 grosses coulouurines, 4 coul. moyennes und 12 faulcons. jede
„Kanone“ wird während der Belagerung mindeſtens 40 Schüfje abzugeben haben,
ein anderes Gejhüg je nad) Umjtänden. Es ijt eine genaue Feuerordnung inne
zu halten, »que l’un des canons ne tire point, que tous les autres ne soient
prests pour tirer tous ensemble«. Die Falken haben ein ununterbrochenes
euer zu unterhalten jo lange der Tag währt, und auch nachts jollen fie nicht
ganz verjtummen, zumal wenn bereit3 Breche gelegt ijt. In diejem Falle jind
die leichteren Gejhüge jo nahe als möglich an diejelbe heranzuführen und haben
jie bejtändig unter dem Schuß zu halten, um etwaige Wiederheritellungsarbeiten
zu hindern (que lon ne face rempars). — Die Zujhanzungen gehen von
den Batterien aus und werden entweder als Yaufgräben (tranchis) oder, wo das
wegen jeljigen, bezw. najjen Untergrundes nicht möglich ift, mittels Schanzförben
(mandes sans fonds) hergejtellt. Ihre Führung hat unter jteter Dedungsrüdjicht
(par discretion) gegen die Türme und Boulevert? der Feſtung jtattzufinden;
aber fie müfjen genügende Breite für bequemen Verkehr aud) der leichteren Ge:
ihüße haben. Womöglich führt man einen Laufgraben gegen ein jedes Thor
und errichtet diefem gegenüber einen Boulevert von übereinander getürmten
Schanztörben jo hoch wie möglid, um die Bejtreihung der Zujhanzung zu
hindern und Ausfällen gegenüber als taktifher Stüßpunft zu dienen. Die Arbeiten
werden durd) jtarfe Tranchenwachen (guets de tranchis) gejichert, welche in jeit-
lihen Abzweigungen der Laufgräben lagern. Won den Boulevert3 jchreitet man,
falls fein najjer Graben vorhanden ijt, mit den aproches bis auf den Grund
des trockenen Grabens (douue) vor!), indem man ſich gegen die dort etwa vor:
handenen Caponnieren (moyneaux) — die Überjeger nennen fie „Meifentajten“,
andere franzöfifche Schriftiteller »maisonettes«, die Jtaliener »capanati oder case
matte« — mit Schanzlörben oder Erdaufwürfen fidhert. Bat der angegriffene
Platz einen najjen Graben, jo fommt es darauf an, denjelben entweder troden
zu legen oder ihn zu überbrüden. Erſteres fann, wo fein jteter Zufluß ijt, durd
Ausihöpfen gejchehen, indem man Mühlen mit Schöpfrädern erbaut, welche das
ı, Douve bedeutet jowohl Graben wie ®rabenrand (Daube); Eleve braucht den Ausdrud für
den trodenen Graben wie für den Niederwall.
3. Befejtigungstunde. 443
Waſſer in Nebengräben werfen, die vorher anzulegen jind; findet aber Zufluß
jtatt, jo iſt dieſer durch Holzdammbauten abzujcneiden (barriceques de bois), in
deren Herjtellung die Holländer und Seeländer Meijter find. Zur Überbrüdung
eignen ſich bejonders gut die fahrbaren Tonnenbrüden, welde man gegenüber
der Brede in den Laufgräben bereit hält und auf dad Waſſer bringt, während
die Breche mit ihrer Umgebung unter überwältigendem Feuer gehalten wird.
(Bon all diefen Angriffsmitteln geben die Ikonographien reichlich Darjtellungen.)
— Die zum Sturm bejtimmte Mannſchaft iſt der Breche jo nah wie möglid)
bereit zu halten und, jobald dieje gangbar erjcheint, loszulaſſen; dabei muß die
große Batterie zu feuern aufhören, um nicht die eigenen Leute zu treffen; die
Falten dagegen ſchießen bejtändig auf die Breche bis jie im Beſitze der Unjern
iſt. Gut iſt e8, an mehreren Stellen zugleich zu jtürmen. Wird der Sturm ab»
gewiejen, jo folgt leicht ein Ausfall als Gegenſtoß, und um diefem zu begegnen,
halte man gute und jtarfe Neiterjcharen in Bereitichaft. — Außer dem förmlichen
Angriff mit Laufgräben nennt Philipp noch den mit den alten engins faicts de
bois, von dem er jedoch nicht wiſſen will, à cause de l’artillerie qui court
auiourdhuy et que ceulx de la ville pourroient auoir. Ferner beipricht er
den Angriff mit Minen u. zw. jowohl denjenigen, welcher durd) unterirdijche
Hänge Eintritt in die Stadt zu ermöglichen jucht, als den, welcher durch Unter:
grabung der Mauern, deren Sturz herbeiführen will. Den erjteren erflärt er für
le plus perilleux combat du monde, parquoy ie conseilleroye de ne s'y
point amuser. Den Angriff mit Sprengminen erwähnt er nicht. Endlich ge—
denft der Herzog noch des tranchis roulland, d. h. der Erdwalze, die er
jedoch nur vom Hörenjagen fenne. Sie joll in ununterbrochener Arbeit jtetig an
die Feſtung herangeführt werden, ununterbroden an Höhe zunehmen, den Graben
ausfüllen und endlich bis zur Mauerhöhe geführt werden, worauf der Sturm
über die Rampe erfolgt.
Philipps Darjtellung vom Feſtungskriege it die Grundlage, von
der die Betrachtung aller einjchlägigen Momente im 16. Ihdt. aus-
gehen muß; denn jie fennzeichnet den Höhepunkt, welchen das 15. Ihdt.
auf diefem Gebtete überhaupt erreicht hat.
Dierfes Buch.
Das jechzehnte Jahrhundert.
a —
Dierfes Buch.
Das jechzehnte Jahrhundert.
Viertes Buch.
Das ſechzehnte Jahrhundert.
I. Kapitel.
Allgemeine kriegswiſſenſchaftlliche Werke.
l. Gruppe.
Die Bearbeitung der antiken Überlieferung.
S1.
Die Einwirfung der Alten auf die militärischen Anjchauungen
jtand auch im 16. Ihdt. noch wejentlich) unter dem Zeichen der
Veteres de re militari scriptores. [A. 83; XV. 83.
Aber wenn auch die drei Matadore Vegez, Alian und Frontin
das friegswifjenjchaftliche Denken, joweit e8 überhaupt jene Impulſe
von der antifen Tradition empfing, in erjter Reihe beherrichten, jo
traten doch mehr und mehr andere Geifter des Altertums neben ie:
Oneſander, Polyäan, Bolybius und namentlich Cäjar. Immerhin er-
[ebte das kanoniſche Corpus noch eine große Reihe von Auflagen.
Spärlih it die Eimwirfung der Autoren der vorfaijer-
lihen Zeit, die fich ja fajt ausjchlieglich der griechiichen Sprache
bedient hatten. Zwar erjchten 1540 eine Ausgabe der Xenophon—
tiichen Anabajis mit Vorrede Melanchthons zu Schwäb. Hall, nachdem
ihon 1516 zu Florenz eine Gefamtausgabe der Werfe verjucht worden
war, die viel zu wünjchen übrig ließ; aber dieſe Arbeiten haben
ſchwerlich militärijche Kreije berührt. Auch die lateinijche Übertragung
der Lehre Herons vom Geichügbau (Venedig 1572) hat gewiß nur
antiquarischen Intereſſen gedient; denn bei der leidenjchaftlichen Hin—
gabe an die Förderung der modernen Artillerie vermochte ein Zurück—
448 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiiienichaftliche Werte.
gehen auf die nevroballiitiichen Majchinen der Alten den Fachmännern
jicherlich faum die flüchtigite Teilnahme abzugewinnen. — Etwas
fräftiger wurde der Einfluß des Polybios. Schon 1529 gab Las
caris zu Venedig die für die Kriegskunſt wichtigiten Kapitel in latein.
Sprache heraus, und bald wurden diejelben auch ins Italieniſche
überjegt. Im Jahre 1530 veranjtaltete Objopveus eine Gejamtaus-
gabe des griechiichen Tertes mit PVerottis Übertragung. Dann aber
widmete Guilielmus Xylander dem Pfalzgrafen Iohann Cafimir zu
Heidelberg jeine treffliche mit Karten und Holzſchnitten geſchmückte
Berdeutjchung der „Römiſchen Hiftorien des Weifiiten, Warhaff-
tigjten vnd hochberhümpten Gejchichtsichreibers Polybii“ (Bajel 1574) }).
Die volle Bedeutung diejes Autors für die Kriegsfunft fam jedoch erit
jeit des Kipfius Werf de militia Romana (Leyden 1596) weiteren
Kreiien zum Bewußtſein 8 34).
82.
Bon bejonderer Bedeutung erjcheint es, daß im 16. Ihdt. zum
eritenmale das Studium Cäſars in den Vordergrund tritt. Zu
den wärmſten Bewunderern des großen Julius gehörte Kaiſer Karl V.,
vielleicht der erite, welcher Kommentare zu den Kommentaren jchrieb,
indem er jein Handeremplar mit einer Menge von Randbemerkungen
verjah. Auf diejes Herrichers Beranlafjung jandte Fernando Gon-
zaga, Vizefünig von Neapel, eine wiljenjchaftliche Mifjion nach Frank—
reich, um die Lager Cäſars feſtzuſtellen.
Die 40 Pläne, weldye die Mitglieder der Kommifjion aufgenommen und zu
denen auch der von Aliſe gehörte, find in die 1575 veranftaltete Edition des Jakob
Strada aufgenommen worden.
Im Sahre 1507 erjchten unter dem Titel „Julius, der erit
Römiſch Kayjer von feinem Kriegen vß dem Latin in Tütjch bracht“
zu Straßburg die erjte VBerdeutjchung der Kommentare, Damals anonym;
doch jchon i. 3. 1508 brachte eine zweite Ausgabe den Namen des
Überfjegers: Ringmann Philefius. Im Jahre 1530 drudte Joh.
Schöffer eine dritte, 1532 Ivo Schöffer eine vierte Auflage zu Mainz.
Letztere intereffante Ausgabe führt den Titel: „Caji Julii Cäfaris, des
grogmächtigsten erjten Römijchen Keyſers Hiftor vom Gallier vnd von dem der
Römer Burgerifchen Krieg, jo er jelbjt beſchrieben vnd durch jondere große manbent
feiner ritterlichen tugent geführt hat. Dem rechten waren Latein nad) von nevem
ı) Ein Exemplar im Beſitze bes Verfaſſers.
1. Die Bearbeitung der antiken Überlieferung. 449
befichtigt, an vielen orten gebefiert, au, jo vormals außgelaffen, wieder hinzu
getan.“ — Am Schluß jteht: „Mein bucher zu latein jchrib id, Philefius Hat
geteutjcht mich.“ — Die Überjegung iſt mit guten, doc äußerſt naiven Holzjchnitten
geziert, auf denen die Legionare als Landsknechte erjcheinen und auf denen die
Kanonen eine große Rolle jpielen ®).
Zu Brügge edierte Hub. Golt 1563: »Jul. Caesar s. historiae
imperatorum caesarumque Roman. Acc. Caesaris vita et res
gestae«, In Frankfurt a. M. erjchienen bei Corvinus 1575 Opera
C. J. Caesaris quae extant.
Die leptere Ausg. Hat dann Borhorn bei den Elzevierd in Leiden 1635
noh einmal herausgegeben. Es ijt der alte Corvinſche Drud; nur die erjten
6 Blätter, welche Boxhorns »Tabulae topogr. et imagines praecip. machinarum
bellicarum, quarum apud Caesarem mentio est« enthalten, jind neu.
Wichtiger für das militärische Verjtändnis Cäjars, wohl auch in
Deutjchland, wurden die Arbeiten einiger Italiener und Franzoſen.
Schon Mora bemühte jich in jeinem dem Ottavio Farneje gewidmeten
Buche »Il soldato« (Venedig 1570) die Schlachtordnungen Cäjars
und des Pompejus als unmittelbare Vorbilder für die eigene Zeit
darzustellen 2). Zwölf Jahre jpäter veröffentlichte Fra Lelio Bran-
caccio zu Venedig feine bedeutende Abhandlung »Della vera dis-
ciplina et arte militare sopra i commentari de Giulio Cesare
da lui ridotte in compendio per commoditä de soldati«. Hier
redet ein begeijterter und verjtändnisvoller Verehrer. Ihm ift »Cesare
unico e solo maöstro che fu e sarä& sempre della guerra sin’
a gli ultimi seculi del mondo«. Wie vor ihm Machiavelli 8 7],
jo will auch Brancaccio die Italiener wieder zu Römern machen,
indem er ihren Fürjten an dem Bilde des Heros die Würde und
Hoheit echten Feldherrntums nachweiſt. In einfichtsvoller Weije jpricht
er vom Wejen der Legion und legt dann Cäjars Kommentare einer
jorgfältigen Unterjuchung über die Kriegskunft zu Grunde.
Eine zweite Auflage mit etwas verändertem Titel erſchien zu Venedig 1585,
eine dritte i. %. 1626. Eine Verdeutfhung bot Neumayr von Ramsla
XVII $ 30] in einer Sammelüberjegung italienifher Autoren: „Zween Kriegs—
discurs des Brancatii und des Herzogs Francisci zu Urbin und dann 4 Bücher
von der Kriegskunſt von Savorgnani” (Frankfurt a. M. 1620) ®).
1) Herzogl. Bibl. zu Gotha. *) Kal. Bibl. zu Berlin (H. u. 15670).
2) Brancacciod Handſchrift in der Kgl. Privatbibl. zu Turin (ms. 365). Ausg. d. 1685 in
der Bibl. der Friegsalademie zu Berlin (D. 4100). Ausg. dv. 1682 in der Bücherei bes Berliner Zeug:
hauſes (K. 29). Newmayrs Verdeutſchung in der Stabtbibl. zu Kranffurt a. M. (milit. 7) und in
der Bibl. bes Berfaffers.
Zähne, Geſchichte der Kriegswifienichaften. 29
450 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Zu Paris erjchien 1558 Cesar renouvele par des obser-
vations de St.-Gabriel Symeon und ein Jahr jpäter des Petrus
Ramus (de la Ramee) Traftat De Caesaris militia. Dieſe
wertvolle lateinijche Abhandlung des berühmten professeur royal en
eloquence et en philosophie überjeßte P. Poiſſon, Sieur de la
Bodiniere, ins Franzöſche unter dem Titel: Trait de l’art militaire
ou usance de guerre de Jules César, avec petites annotations.
(Paris 1583). Weit jpäter, 55 Jahre nach Abjafjung des Originals,
erschien auch eine Verdeutſchung desjelben: „Julius Cäſar
vom Kriegswejen. In eine gewijje Ordnung und überjichtliche
Hauptijtüde zufammengezogen und erjtlicd; durch Petrus Ramum vor
etlichen Jahren (!) in latein. Sprache bejchrieben; jet newlich aber
verteutjcht durch G. C. B. Z. D.“ (Amberg 1614)}).
Da die Anordnung dieſes Werkes charakteriſtiſch für die Auffaſſung der Zeit
it, jo möge Hier die Inhalts-UÜberſicht folgen:
Von der Werbung. Vom Zubehör. Von der Zugordnung. Wie über
Ströme und Wafjer zu ziehen. Vom Lagerfchlagen. Übung im Geben und
Laufen. Vom Treffen und Angriff. Von Gelegenheit des Orted. Bon Schladt-
ordnung. Wie dem Kriegsvolke zuzujpredien. Bon der Schladht Cäſars mit den
Schweigern. Desgleihen mit den Nerviern. Bon der Pharjaliihen Schlacht
Bon der Schladht von Munda. Belägerung der Städt. Belägerumgen von
Avaricum, Urellodunum. Bon den Schäden, jo Cäjar bei Gergovia und Dyrrhachium
erlitten. Wie man jid) aus belägerten Städten zur Gegenwehr jtellt; namentlich
von dem Obrijten Leutenant Cicero. Bon Belägerung Alexias. Bon Schladten
zu Waffe. Bon den Sciffjtreiten bei Vannes und in Engelland. Belägerung
Marfilias und Ulerandrias. — Hottomanni Auslegung etlicher Kriegswerkzeuge
83.
Neger als die Beichäftigung mit den alten Autoren der hellenijch-
römischen Vorzeit war die mit den Kriegsichriftitellern des
fatjerlihen Roms.
„Titi Liuij, dei aller redtiprechiten vnnd hochberümptejten
geichichtjchreibers Römiſche Hiſtorien“ erjchienen in einer Verdeutjchuna
von Carbachius und Micyllus 1533 bei Schöffer zu Mainz und
ebenda in einer Neuausgabe 1546.
Die zahlreichen intereffanten Holzichnitte jtellen die Alten in der Tradıt des
16. Ihdts. dar und lafien die Nömer mit Feuergejhüß gegen ihre Feinde ziehen
1) Vehörbenbibliotbel zu Deſſau.
1. Die Bearbeitung der antiten Überlieferung. 451
Das Werk Vitruvs wurde von Giocondo herausgegeben
(Benedig 1511, Florenz 1522) und |1548 von Walther Reiff deutjch
bearbeitet. [8 114]. Eine gediegene italienische Überjegung veranftaltete
Barbaro (Venedig 1556 ff.). — Mit befonderem Interejje aber wendete
man jich Frontin, Onejander und Alian zu. Ein Kriegsbuch, welches
1524 und 1532 zu Mainz herausgegeben wurde, defjen jchon einmal
Erwähnung geihah S. 333] und dejjen noch weiter zu gedenfen jein
wird [$ 13], brachte „Die vier Bücher Serti, Julij Frontini, des
conjularischen Mannes von den guten Räthen vnd ritterlichen an-
jchlegen der guten Hauptleut“, jowie „Onerander von den Kriegs—
bandlungen vnd Rathen der hocherfahren guten hauptleut jampt jren
zugeordneten“ ?,., Wie populär Frontin war, beweilt der Umjtand,
daß Motjchidler die „Kriegsränke“ in deutjche Neime brachte und
außerdem noch drei projaiiche Verdeutſchungen erjchienen: die des
faijerlichen Boeten Marcus Tatius, welche in Frönspergers großes
Kriegsbuch aufgenommen wurde [8 32], eine zweite, die unter dem
Titel „Frontini Sriegspractica, d. i. artliche und gejchwinde Griffe
der Römer“ zu Frankfurt a. M. 1578 erjchien, und eine dritte, welche
Schöffer zu Mainz i. 3. 1582 veröffentlichte. — Auch die franzöjiiche
Übertragung des Petit: Les ruses et cautelles de Guerre (Paris
1514) jcheint in Deutjchland vielfach Lejer gefunden zu haben, während
Blaije’S de Vigeneres Arbeit über Onejander [A. $ 50], die erit
1605 herausgegeben wurde, feinen Einfluß üben konnte.
Hlian, der durch feine Aufnahme in die Veteres de re militari
scriptores von vornherem eine bevorzugte Stellung unter den antiken
Autoren einnahm (er war der einzige Grieche der kanoniſchen Samm-
lung!) wurde jegt nicht nur in der Urſprache herausgegeben (von
Robortelli 1552 und von dem Zürcher Geßner 1556), jondern
noch früher verdeutjcht. Die Übertragung fand nach der Lateinischen
Verſion des Theod. Gaza von Thejjalonich jtatt und wurde 1524
zu Köln gedrudt.
Polyän ward zwar noc) nicht ins Deutjche, jedoch dreimal
ins Lateiniſche überjegt und dadurch dem allgemeinen Verſtändnis
weſentlich genähert: von Vulteius (Bajel 1549), von Mutont
(Venedig 1552) und von Cajaubonus (Leyden 1589). Der Geijt
ı) Die Holzſchnitte find diefelben wie die Mainzer EAjar-Ausgabe. Das jeltene Buch befigt
u. a bie Kal. Bibl. zu Berlin (W. o. 2416).
23°
452 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
der Zeit kam der Kriegsliftsliteratur, wie jie die Alten in Frontins
und Polyäns Werfen hervorgebracht, namentlich gegen Ende des
16. Ihdt3., mit wahrer Kongenialität entgegen.
84.
Die dominierende Stellung in der Militärliteratur nimmt noch
immer Vegetius ein. Der deutſche Vegez des 15. Ihdts. XV.
8 2], erſchien, nicht eigentlich in zweiter Auflage, ſondern in neuer
Geſtalt, 36 Jahre nach Hohenwangs Arbeit unter dem Titel: Flavii
Vegetii Renati vier Bucher der Rytterſchaft. Zu dem allerdurchleuch-
tigiften geoßmächtigiten furjten und bern, bern Marimilian Romtjchen
Keyier u. j. mw. gejchriben, mit mancherleyen geryiten, bolwerdenn
vnd gebewen ...“ Erfurt 1511, durch Hans Knappen ?).
Die UÜberjegung, deren Urheber man nicht kennt, iſt eine neue, bei der in=
defien Hohenwangs Berdeutihung offenbar zu Nate gezogen wurde. Die Zahl
der Holzjchnitte ijt auf 121 vermehrt, indem auf die älteren Jlonographien zurüd=
gegriffen wurde. Das 5. Blatt der zum I. Buche gehörigen Abbildungen zeigt
die gute Darjtellung eines Heinen Feldgeſchützes, welche in den jpäteren Aus-
gaben fehlt. Die „bolwerde“, die „zu kryegsleuffen gehörig“, hier nebjt anderen
„gebewen mit yren mojtern vnd figuren verzeychnet“ find, ftellen wirklich „Bohlen=
werfe* im eigentlichjten Wortjinn dar.
Im Jahre 1529 gab Stainer zu Augsburg einen Nachdrud des
Erfurter Vegez „zu Kaifer Marimilians löblicher gedächtnus“ heraus
„mit einem zuſatz von Büchſen geſchoß, Puluer, Fewrwerck.
Wie man jich darmit aus einer Stadt, Feſte oder Schloß jo von
Feynden belägert wär, erretten, auch jich der Feind damit erwören
möchte“ ?).
Der „Zuſatz“ ift nicht® anderes als ein Abdrud des alten Büdjen-
meijter- und Feuerwerksbuches [XV, $ 59], welder, abgejehen von ge=
ringen Änderungen und Weglafjungen, wörtlid mit der Handſchrift von 1445
übereinjtimmt, die Hoyer im Anhange zu jeiner „Geſchichte der Kriegskunſt“ aus—
züglich wiedergegeben hat. — Die Holzfchnitte diefer Augsburger Ausgabe jind
diefelben wie die des Erfurter Begez von 1511, doch in der Ausführung geringer.
Eine neue Ausgabe veranjtaltete Stainer i. 3. 1534 °).
1) Eremplar in ber tgl. Öffentl. Bibl, zu Dresden und im Beſitze des Bert. — Bon den Holy
ichnitten gibt e8 noch einen jpäteren, beionderen Abbrud ohne Titel und Text, in dem bie Abbildungen
auf bie Zahl von 195 (auf 98 BL.) gebracht ift. Doc find die neu Hinzugelommenen Holzjchnitte weit
ſchlechter als die alten.
2) Diefe Ausgabe ift minder jelten als die vorigen. Exemplare zu Berlin in der ſegl. Bibl.
(H. w. 4000). °) Exemplar im Bejige des Berfaflers.
1. Die Bearbeitung der antiten Überlieferung. 453
Hier find die Holzſchnitte noch „mit etlichen figuren gemehret und gebehert“
und nicht mehr, wie in der erjten Augsburger und in der Erfurter Ausgabe, in
den Tert eingefchoben, jondern, wie einjt bei Hohenmwang, im Anhange zu einem
jelbjtändigen Atlafje formiert. Diefer führt den Titel: „Augenjheinlihe anzangung
durch conterfecte figuren von allen gebewen, Bolwerden, gerüften als Klagen,
Antreyben, Zyehthürn, Streitwägen, Schießzeugen, Wyndtwägen, Fewrpfeylen,
Fußeyſen, Waherzeugen, Widern, Steyglaytern, Schöpffzeugen, Vberwerffenden
prugfen, Sturmzeugen, Kugeln, Schlingen, Balzeugen, Prechzeugen, Grabzeugen
vnd anderen. Wie die alten gebraucht, jo in diefen vier büchern Vegetii gedacht
wirdt.“ Das legtere ijt nur mit großer Einſchränkung als richtig anzuerkennen.
— Der „Zufag vom Büchſengeſchoß“ fehlt der Ausgabe von 1534.|
Diejer deutjche Vegez ift das rechte Symbol der Kriegswiſſen—
ihaft um die Wende des 15. und 16. Ihdts. Er bringt die drei
Hauptrichtungen derjelben klar, doch auch völlig unvermittelt, zum
Ausdrud; nämlich erſtens die althergebrachte Bewunderung der antiken
res militaris, welche hier ohne jede Abwandlung einfach wieder:
gegeben wird, zweitens den das 15. Shot. beherrichenden ifonographi-
hen Sammeltrieb, der e3 nicht verjagen fann, wenigſtens einen Teil
der die alten Bilderhandichriften füllenden, oft jo jeltfamen Dar-
jtellungen jauber in Holz zu jchneiden, und endlich drittens das jtarfe
artilleristijche Intereffe der Zeit, das aber auch nur in ganz rezeptivem
und jcholaftiichem Sinne befriedigt wird, indem die Ausgabe von 1529
en unendlich oft abgeichriebenes, bereits ein Jahrhundert altes Feuer—
werksbuch zum Abdrud bringt.
Aus dem deutjchen Begez, bezw. aus dem Valturius [XV 8 44] haben jid)
die den alten lonographien entitammenden Zeihnungen dann in die Parijer
Ausgabe der Veteres de re militari scriptores des Buddäus (1535 und 1553)
übertragen und aus diejer wieder in deren franzöfifche Überjegung, welche Volkier
1536 beforgte. Ein Teil jener Bilder fand jogar nod) in die Vegezausgaben des
Stewechius Aufnahme. (1569 bis 1607.) — In wie fpäter Zeit jene ikono—
graphifche Tendenz übrigens noc bei bedeutenden Männern lebendig war, lehrt
u. a. der Umſtand, daß zu Ende des 16. Ihdts. ein Fürſt wie Johann von
Naffau [8 38] die Vegezverdeutfhung von 1529 eigenhändig durd ein „Rüft-
vnd fewerckbuch“ vermehrte, welches Variationen des alten Feuerwerkbuches
ſowie illuminierte Handzeichnungen der verſchiedenartigſten Kriegsgeräte enthält,
von denen manche allerdings der Zeit Johanns angehören, nicht wenige aber
noch auf die phantaſtiſchen Formen der Frühzeit des 15. Ihdts. unmittelbar
zurückzuführen find ?).
') ſgl. Bibl. zu Berlin (ms. germ. fol. 94) gez. »Qua patet orbis. Maurice, Comte de
Nassau. Eine alte Beamtennotiz bezeugt die Selbftichrift des Grafen Johann.
454 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Bon den byzantiniſchen Milttärjchriftitellern wurde der Kaiſer
Zeo VI. durch eine 1554 zu Bafel erjchienene lateiniſche Überjegung
weiteren Kreiſen befannt und it offenbar in mancher Hinficht von
Einfluß gewejen, zumal was die allgemeinen jtrategijchen Maximen
betrifft. Dieje Einwirkung jteigerte jich, als Pigafetti die Inſtitute
1586 zu Venedig auch in italienischer Sprache herausgab. Seitdem
findet man bei den meijten italienischen Militärautoren die Spuren
des Bafileus.
2. Gruppe.
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia. 1525.
85.
Zwei Hauptftrömungen laffen jich in der kriegswiſſenſchaftlichen
Bewegung des 16. Ihdts., zumal in deſſen eriter Hälfte, deutlich
unterjcheiden. Die eine läuft in jenem gewohnten Bette antiquariicher
Unterfuchung und Reproduktion weiter, das jeit den Tagen des Egidius
Romanus bejtändig, wenn nicht vertieft jo Doch verbreitert worden
war. Die andere geht ihre eigenen Wege, die Wege der Praris und
Selbſtbeobachtung, die Wege, in welche jchon Chrijtine de Piſan ge
wiejen und auf denen zulegt Philipp v. Cleve ein jo jchönes Rejultat
gewonnen hatte. Dieje zweite Strömung wird allmählich die ftärfere.
Das Zeitalter gelangt aber zu jeiner höchjten wifjenfchaftlichen Leiſtung
durch) das Zujammenmünden beider Ströme in dem mächtigen Geifte
des Machiavelli. In Deutjchland laufen fie lange unvermittelt neben
einander her, und das Bejte, was unjern Vaterlandsgenofjen gelingt,
erreichen fie auf dem Wege treuer Darjtellung der fie jelbjt umgebenden
Berhältniffe, insbejondere derer der Administration, Artillerie umd
Fortififatton, während das taktische Element nur geringe wiſſenſchaft—
liche Förderung fand.
86.
Den deutjchen Bearbeitungen des Vegetius jtehen nach Inhalt
und Zeit jehr nahe des Marescalci Thurii Institutionum rei-
publicae militaris ac civilis libri novem, welche 1515 zu
Roſtock erjchienen. — Nicolas Marſchalck war um die Mitte des
15. Ihdts. in Thüringen geboren und lebte von 1507 bis zu jeinem
2. Die allgemeine Literatur bis zur, Schladht bei Pavia 1525. 455
i. 3. 1525 erfolgten Tode als Rat des Herzogs von Mecdlenburg
und Lehrer der Gejchichte und Jurisprudenz zu Roſtock, wo er in feinem
eigenen Hauje eine Druckerei bejaß, in der auch die Injtitutionen her-
gejtellt wurden ?).
Das 1. Bud, handelt von der Definition des Krieges und dem antifen Kriegs-
wejen; das 2. geht auf Einzelnheiten der römiſchen Kriegsaltertümer ein; das
3. jpricht von den Stratagematen, dem Belagerungsfriege und der Kajtramentation,
das 4. von Adel und Ritterihaft, das 5. von den Aufgaben der Fürſten und
Feldherrn, insbejondere den Anforderungen, die in Hinſicht auf den Charakter
an jie zu jtellen jeien. (Kaifer Leo!) Im 6. Bude wird das Städtewejen ſowohl
nad der Seite der Verfaſſung als der baulichen Einrichtungen u. zw. ganz
wejentlih im Sinne römijcher Tradition behandelt. Das 7. Bud ſpricht von
den Spielen der Alten, das 8. von den Waffen, den Rüſt- und Werfzeugen, und
das 9. endlic vom Schiffsweſen und dem Seekriege. — Zwifchen dem 8. und dem
9. Buche jind 22 Holzjchnittafeln mit gegen 100 Heinen Darjtellungen eingefügt,
welche den Inhalt des 8. Buches ganz und gar im Sinne der militärifchen Bilder:
Encyflopädien des 15. Ihdts. illujtrieren. Großenteils jcheinen dieſe Holzjchnitte
dem Balturius entlehnt zu jein; doch begegnet hie und da auch etwas Neues,
wie z. B. das Richten eines Mörjeg und eines leichten Feldſtücks, ſowie ein
Wendegeſchütz eigenartiger Konjtruftion, das jpäter in Solms’ „Kriegsregierung“
wieder erjcheint [$ 22).
Alles in allem jtellt jich das Werf Marichalds, L. L. ac Canonum
Doctoris, doch nur als Kompilation eines Gelehrten dar, welcher unter
vielen anderen Dingen auc) einmal das Kriegswejen jeiner Bearbeitung
unterzogen hatte, dabei aber fich weit mehr von Excerpten aus One
jander, Vegez und Leo dem Taftifer leiten ließ, als daß er aus dem
vollen, in jo reicher Entwidelung begriffenen Leben jeiner eigenen
Zeit geichöpft hätte. — Im Italien hatte man das Altertum bereits
mit anderen Augen anjehen lernen.
87.
Die moderne Weltauffafjung, in welche noch unjere eigene Gene-
ration hineingeboren it, hat in Italien ihr Gepräge erhalten u. zw.
imfolge der Wechjelwirfung zwijchen ftarfem angeborenen Naturgefühl
und verjtändnisvoller Bejchäftigung mit der Antife. Aus diejer Wechjel-
wirfung ging die Renaijjance hervor, die Wiedergeburt der Künſte
und Wiffenjchaften, welche fich als Übertragung antifer Formen —
1) Das Wert ift jelten. In Berlin befinden ſich 2 Eremplare: eins in ber Kgl. Bibliothet
‘F. 6081), ein® in ber Bücherei bed Zeughauſes (A. 4). In Wien beſitzt es die Bibliothel Hauslab-
Liechtenſtein.
456 Das XVI. Jahrhundert, I, Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Kunſt- wie Denkformen — auf die Lebenselemente einer neuen Welt
darftellt. Überall wo dieje Verbindung fruchtbar wird, da ijt ihr
Erzeugnis feineswegs Kopie, jelbit da nicht, wo die Nachbildner eine
jolche beabjichtigten ; vielmehr entiteht etwas Neues, etwas Eigenartiges;
aber das Maß der Dinge, ihr Kanon, bleibt die Antike.
Der vornehmite Vertreter der Nenaifjfance auf dem Gebiete der
Kriegswiſſenſchaft und überhaupt einer der hervorragenditen militärt-
ichen Klaffifer iſt Miccold Machiavelli, welcher zu Florenz 1469,
aljo in demjelben Jahre geboren wurde, da Lorenzo Magnifico dei
Medici jeine Herrichaft antrat. Er war der Sproß eines edlen tos—
fanischen Gejchlechtes und ein begeijterter Jünger des Altertums.
Dieje Abjtammung, dieje Bildung bejtimmten jein Weſen.
Etwa 30 Jahre alt (Savonarola war eben den Feuertod geitorben), wurde
Madiavelli segretario dei Dieci, d. 5. Sekretär der „Zehn“, welche die innere
Verwaltung der Republik und die Leitung des Kriegsweſens bejorgten; doch aud
in auswärtigen, oft jehr ſchwierigen Angelegenheiten verwendete man den Mugen
und gewandten Mann; nicht weniger als 23mal übernahm er diplomatijche
Miffionen innerhalb und außerhalb Italiens. — Der Gedanke, die Unabhängigfeit
Italien wieder herzuftellen, bewegte damals alle edlen und mutvollen Geijter
der Halbinjel, feinen jedod) tiefer und mächtiger als Machiavell. Niemand erkannte
mit mehr Sicherheit die Urſache der politijchen Krankheit des Vaterlandes und die
notwendigen Heilmittel. Ihm war es deutlich, daß die Erſchlaffung der Tapferkeit
und der Mannszucht des italienischen Volkes gleichzeitig Urjache und Folge ver:
fehrter Wehreinrichtungen war, nämlich des Gebraucdhes gemieteter Söldnerſcharen
unter gejinnungslofen Condottieren, die aus der Kriegführung ein Gewerbe
machten; er erfannte, daß die Wiederheritellung des VBaterlandes nur möglich jei
auf Grund der Bildung vollstümlicher Wehrkraft. Einer jolden wendete Machiavell
die volle Energie feiner theoretifchen wie praftiichen Wirfjamfeit zu. Wir haben
e3 hier im Grunde genommen nur mit der erjteren zu tun.
Seine fünf Hauptwerfe jind (abgejehen von den Dichtungen)
die Sieben Bücher über die Kriegskunſt (dell’ arte della guerra),
das Buch vom Fürjten (il principe), die Reden über Livius (discorsi),
welche jeine Statstheorie enthalten, die Sammlung jeiner Gejandichafts-
berichte (legazioni) und die Gejchichte von Florenz (storie fiorentini).
I sette libri dell’ arte della guerra entitanden infolge
von Gejprächen, die i. 3. 1515 in den Gärten des Cojimo Rucellai
zwijchen diejem, Zenobi Buondelmontt, Battilta della Valle, Luigi
Alamanni, Machiavelli und Yabrizio Colonna geführt wurden, als
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht bei Pavia 1525. 457
legterer, ein ausgezeichneter fFeldherr, nach Beendigung des lombardi-
ſchen Krieges Florenz bejuchte. Endgültig abgejchlojjen wurde das
Werk jedoch faum vor 1519, und es erjchien zuerjt unter dem Titel
»Libro dell’ arte della guerra« im Auguſt 1521 zu Florenz.
Das 1. der fieben Bücher Handelt von der Aufbringung der Heere und der
Aushebung der Mannjchaft, da8 2. von der Bewaffnung und Übung des Fuß—
volf3. Das 3. und 4. Bud find der Betradtung der Schladhtordnung im all
gemeinen und unter bejonderen Berhältnifjen gewidmet, ſprechen vom Verhalten
während der Schlaht und erörtern die Gründe zur Schladt. Im 5. Buche wird
vom Marjche und der Marjchficherung, im 6. vom Lager und deſſen Anordnung
fowie von den Militärftrafen und dem Kundichafterwejen gehandelt. Das 7. Bud
bejpricht FHortififation und Belagerungskrieg. Dieje beiden legten Bücher jchließen
mit allgemeinen jtrategiijhen Ratſchlägen und Kriegsmaximen.
Bon den antiten Kriegsichriftitellern jcheint am eingehendjten Polybios be-
nugt zu jein; daran reihen ſich Cäſar, Vegez und Frontin. Nur jparjam ijt
Alian herangezogen. — Beijpiele bringt Madiavell nicht viel, doc) wählt er jie
gut: meijt aus der römijchen, jeltener aus neuerer Kriegsgeſchichte; neben Cäſar
iſt in dieſer Hinſicht beſonders Livius verwertet. In der Anordnung des Werkes
zeigt ſich eine unverlennbare Anlehnung an Vegez.
Wenn man der großen Bedeutung der militärwiſſenſchaftlichen
Anregungen Machiavellis gerecht werden will, ſo iſt es ratſam, die—
ſelben nach den beiden Gefichtspunften „Deeresaufbringung“ und
„militärijche Technik“ zu jondern.
Robert von Mohl bezeichnet Maciavelli als den erſten Mann jeit Arijtoteles,
welcher die inneren Gründe der hiſtoriſchen oder zeitgenöfliichen Tatjachen aufzuſuchen
bejtrebt war, als den erjten, der aus den Einzelerjcheinungen auf die allgemeinen
Urſachen ſchloß und jo zu einer Erfahrungslehre gelangte, welche ihn die Be—
dingungen des gejhichtlichen Lebens unter ganz neuen Gejichtspunften anſchauen
ließ. Dies gilt aud von den militärpolitifhen Ideen Madiavelliß; jie
zeigen ihn als einen die Zeitgenofjen hoch überragenden Geiſt.
Wie Clauſewitz betrachtet auch Machiavell den Krieg als Werk
zeug der Bolitif, und demgemäß erjcheint ihm ein tüchttges Heer
als Borbedingung jeder tüchtigen Politif. Won der Untüchtigfeit der
Söldnerheere aber it er tief durchdrungen, und jo wendet er jich
denn mit warmer Begeijterung dem Gedanken des Volksheeres zu.
In drei Werfen jehr verjchtedener Richtung verfündigt Machiavelli
die reine Lehre von der allgemeinen Wehrpflicht: in dem be
berüchtigten Principe, in den republifantjc gejtimmten Discorsi und
in den Sette libri dell' arte della guerra. — Gleich in der Wid-
mung diejer 7 Bücher an Lorenzo Strozzi, ja in deren eritem Satze,
458 Tas XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienjchaftliche Werte.
tritt er dem herrjchenden Irrtum entgegen, daß Bürgertum und
Kriegertum unverträglich jeien. Nirgends finde man mehr Eintracht
und auf Notwendigkeit begründete Liebe als zwijchen den Bürgern
und Sriegern des Altertums, und um zu zeigen, auf welche Weile
dies zugleich natürliche und ideale Verhältnis wieder herzujtellen jei,
babe er die jieben Bücher gejchrieben.
Antiten Vorbildern folgend, iſt da8 Werk in Geſprächsform gehalten, indem
es den Schauplag wie die Perjonen jenes glüdfihen Zufammenfeins v. J. 1516
in den Orti Oricellarii ald Rahmen fejthält. Nur daß Machiavelli jich ſelbſt nicht
nennt, vielmehr den Colonna in den Mittelpunft rüdt und ihn zum Träger der
enticheidenden Ideen mad.
Nach heiterem Male lagert die Gejellihaft im Schatten jeltener Bäume,
von denen Rucellai bemerkt, da fein Vater fie „nad; Angabe der Alten“ gepflanzt.
„Ad“, ruft da Colonna aus, „wie viel beffer hätten unſere Väter doch gehandelt,
wenn fie den Alten ftatt im Lurus vielmehr in Kraft und Geiftesftärfe nad:
geeifert hätten, wenn fie nidyt nachgeahmt, was jene im Schatten verbargen,
fondern was fie in offener Sonne getan!“ Damit ijt das Grundthema der Ge
ſpräche angejchlagen, deren fieben Bücher durchweg das römijhe Kriegs—
wejen als Borbild, das italienifhe als NAusartung einander
gegenüberjtellen. »I miei Romani ... mentre che furono savj e buoni mai
non permessero che i lori cittadini pigliassino questo esercizio per loro
arte«. (A. d.g. I) Mit der eindringlichen Beredjamkeit der Begeijterung be:
müht fi Machiavelli, feine Landsleute emporzureigen aus der wollüftigen
Üppigfeit, in der fie jich gefielen, und ihre Seelen zu erfüllen mit dem Ideale
nationaler Wiedergeburt. Der erjte und letzte Gedanke des Fürſten aber, der dies
deal verwirklichen wolle, müfle eine vollitändige militärische Reorganifation ſein.
Alle bewaffneten Propheten hätten gejiegt, während (wie Savonarolas Beifpiel Lehre)
die unbewaffneten zu Grunde gingen. Und nun legt er die Gründe der von den
Nachbarn fo furchtbar ausgebeuteten kriegerifchen Schwäche Italien dar. Schnei—
dende Beihelhiebe treffen das handwerksmäßige Condottierentum, die Käuflic-
feit, die Unzupverläffigfeit der Söldner. »Le mercenarie armi et
ausiliari sono inutile e periculose ....; perch& le sono disunite, ambitiose,
senza disciplina, infideli, gagliarde tra gli amici, tra i nimici vili, non
hanno timore di Dio, non fede con gli uomini«. (Principe 12; conf. Dis
corsi I 43; Provisione per la fanteria, Proemio.) — »Quale periculo porti
quel principe o quella repubblica che si vale della milizia ausiliaria e
mercenarie«. (Disc. II 20) »La rovina d'Italia non & ora causata da
altra cosa che per essere in spazio di molti anni riposatasi in su le armi
mercenarie.« (Princ. 12; conf. 13, 24 und Lett. a Vettori, 26. Aug. 1513.)
Dieje Renommijten, welche durd ihre großen Schnurrbärte und durch die Flüche,
mit denen fie ihre Reden verbrämten, Furcht einjagen wollten, das feien gar
feine wahren Krieger. (Anklang an den miles gloriosus.) Die beiten Heerführer
Griehenlands und Roms jeien zugleich deren befte Bürger gewejen. Nicht ohne
2. Die allgemeine Literatur bi! zur Schlacht bei Pavia 1525. 459
enthuſiaſtiſche Verkennung mancher geſchichtlichen Verhältniſſe, doch durchdrungen
von der Überzeugung, die Wahrheit zu ſagen, ruft Machiavelli die großen Ge—
ftalten der Bergangenheit empor und zeigt, wie die Scipionen, wie Marius und
Cäjar mit der lebendigen Volkskraft Italiens alle jene Völker befiegt hätten, die
num umgefehrt Italien unterjochten. Auf dieje lebendige Vollskraft komme es
an! Jede verlorene Schlacht vermindere ein Söldnerheer in außerordentlicher
Weiſe, weil habgierige Mietlinge immer dem Sieger zujtrömten, während ein ge:
ihlagenes Boltäheer fich beim Rüdzuge jeinen Hilfsquellen nähere und in den
Daheimgebliebenen jeine natürliche Verſtärlung finde. Vergeblich werde man ver-
ſuchen, die Banden der Söldner zu verbefiern. Solche Leute müßten ja räuberiſch,
betrügerijch und gewalttätig jein, weil ihr Handwerk fie im Frieden nicht ernähre.
Sie feien genötigt, entweder den Krieg zu verewigen vder die Kriegszeit derart
anszunugen, daß fie im Frieden von der Beute jchwelgen fünnten. Er erinnert
daran, wie nad) dem erjten punifchen Kriege die farthagijchen Söldner ji empörten
und gegen die Regierung einen Feldzug eröffneten, gefährlicher als der eben mit
Rom durchfohhtene Krieg. Wie anderd die Römer! Wie edel jener Attilius
Requlus, der ſoweit davon entfernt war, den Krieg als Mittel zum Erwerbe zu
beraten, daß er, dem nach jchönjten Erfolgen in Afrita königliche Schäge zu
Füßen lagen, den Senat um Erlaubnis bat, heimtehren zu dürfen, weil er höre,
daß die Tagelöhner feine Äcker vernahläfjigten. Dem karthagiſchen Söldnertum
entiprehe das italieniſche. Dadurch, dab Italien fajt ganz in die Bände der
Kirhe und einiger Republifen gefallen ſei und dort die Priejter, hier die Bürger
ih der Waffen entwöhnten, fingen fie an, der Söldner zu bedürfen. „Der erite,
der ſolchem Kriegsdienſte Anſehen verjchaffte, war Alberigo von Como; aus defien
Schule gingen dann Braccio und Sforza hervor, welche zu ihrer Zeit Schiedsherrn
Italiens waren und von denen legterer den Herzogsſtuhl von Mailand bejtieg.
Nach diejen kamen alle anderen, weldhe bis auf unſere Zeit jene Heere geführt,
und dad Ende ihrer Heldentaten war, dab Italien von Charles VIII. durchzogen,
von Louis XII. geplündert, von Fernando gemißhandelt und von den Schweizern
geihändet wurde“ ").
Man muß gejtehen, die Entrüjtung Maciavelld über die Condottieren ijt
begreiflic) genug. Zu oft Hatte ihn der Augenjchein von ihrer volllommenen
Unzuverläfligfeit überzeugt, um an ihr Beftehen noch irgend eine nationale Hoff-
nung zu fmüpfen. „Bei welchem Gott“, jo ruft er grimmig aus, „joll id) fie
ihwören laſſen? Bei dem, den jie anbeten, oder bei dem, den jie läjtern? Wen
fie anbeten, weiß ich nicht; den kenn’ ich wohl, den ſie läjtern!* Unter den Zeit:
genojjen hätten nur noch die deutichen Städte und deren Bünde, vor allem die
Eidgenojjenjchaft rationelle Wehrverfaſſungen. »Svizzeri i quali soli dell’ antica
milizia ritengono alcun ombra« (A. d. g. II). »Svizzeri i quali oggi sono
quelli soli popoli che vivono, e quanto alla religione e quanto agli ordini
militari, secondi gli antichie. (Discorsei I 12.) »Stettero Roma e Sparti
ı) Charles VIII. ſcherzte: Mit der Ktreide der Furierſchützen habe er Italien erobert. Freilich:
jeine Eroberung ward auch wie eine Kreideinſchrift ausgelöiht. — „Man unterzeichne ſich mit einem
Tröpihen Blut!... Blut ift ein ganz beionderer Saft.“
460 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte.
molti secoli armate e libere. I Svizzeri sono armatissimi e liberissimi«.
(Prince. XII; Cf. Princ. X; Rapporto di cose della Magna; Discorsi II 19.)
Die Venetianer hätten, Machiavellis Anficht nad), eine Univerjalmonardie gründen
fönnen, wenn fie die Weißheit, die in den meijten ihrer Einrichtungen bervortrat,
auch in Bezug auf ihre Kriegäverfafiung bewährt hätten. Waren fie doch ur:
jprünglic ein bewaffnetes Bolf, freilich ein feefahrended. Als aber die Zeit ge
fommen war, zuerjt zur Verteidigung Vicenzas, den Landfrieg zu führen, da
nahmen fie, jtatt ihre Bürger gegen den Feind zu enden, den Markgrafen von
Mantua mit jeinen Scharen in Sold; fie verboten jpäter ſogar gejeglih, dab ein
venetianijcher Nobile Waffen auf der Terra Ferma trage, und durch dieſe unbeil-
volle Maßregel, welche der Sorge vor dem Ührgeize ihrer Patrizier entjprang,
ſchadeten fi die Venetianer unermeßlich: jie famen in Abhängigkeit von den
Fremden. Und mit fcharfem Blick erjpäht Machiavelli auch die Achillesferſe der
jonft jo mächtigen franzöfiihen Monardie. Er erinnert daran, wie König
Charles VII., nad) Vertreibung der Engländer, die Notwendigkeit erfannt babe,
fi) mit eigenen Waffen zu ſchützen und wie diefer Überzeugung die jtehende
Reitertruppe der Ordonnanz-Gendarmerie und die Yandwehr der Francd-Archers
entjprungen ſeien. Louis XI. aber, von demfelben Geijte bejeelt, wie die italiſchen
Lokaltyrannen, habe die Landiwehr verfümmern lafjen; er zuerjt habe die Schweizer
in Sold genommen und diefen, nicht fich jelbit zu Anſehen verholfen. Seine
Nachfolger hätten dem Übel nicht Einhalt getan, und nun jei die ſchwer bewaffnete
Adelsreiterei Frankreichs an ein fremdes Bolt gefefielt, ohne das fie weder fiegen
zu können glaube, nod in der Tat zu fiegen vermöge. Die Kriegsmadt Frank—
reichs jei aljo gemifcht, teils eigen, teild gemietet, bejjer als einfache Söldner,
doch weit jchlechter als ein Nationalheer; denn fie jei abhängig von den tyremden.
Sp beginne furzfichtige Klugheit der Menſchen ein Verfahren, das für den Augen-
blick wohlſchmecke und daher das Gift nicht erkennen laſſe, das e8 enthalte, das
aber fähig jei, den ganzen Organismus zu zerjtören. Und doc) ſei diefes Gift
nicht unbefannt gewejen: wenn man dem Verfall des römijchen Reiches nachſinne.
jo werde man deſſen Anfang in der Unflugheit finden, die Gothen in Sold zu
nehmen; denn jeitdem erjchlafften die Sehnen Roms; die Kraft ward von ibm
genommen, und die germanijchen Heerkönige erhoben ihr Haupt. Darum .erinnere
man ji, daß nichts fo ſchwankend und unbeftändig ſei, als eine Macht, die nicht
in eigener Kraft gegründet ijt.
Wie joll denn nun aber ein Heerwejen eingerichtet werden ?
Gewiſſe Theoretifer, meint Machiavelli, welche für den Krieg Borjchriften
gaben, hätten begehrt, daß man nur Mannjchaften aus gemäßigten Zonen ein-
reihe; denn die heißen Länder erzeugten Muge, doch nicht mutige Menjchen, die
falten Länder mutige, doch nicht Huge. „Dieje Anweifung taugt jedoch lediglich
für einen Fürſten, der die ganze Welt beherrjcht; ich dagegen jage: man bebe
die Soldaten im eigenen Lande aus, unbefümmert, ob es heiß jei, falt oder ge—
mäßigt. Es ift wahrer als jede andere Wahrheit, dab, wo ed Menjchen, dod
feine Soldaten gibt, der Fehler am Fürften liegt und nicht an der Lage dei
Landes oder dem Himmelsſtriche. Tullus Hoftilius fand, als er nah einem
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht von Pavia 1525. 461
vierzigjährigen Frieden den römijchen Thron bejtieg, nicht einen Mann, der je im
Kriege gewejen wäre. Dennod fam es ihm, als er zu Felde ziehen wollte, nicht
in den Sinn, etwa Samniter, Tosfaner oder andere friegägewohnte Völker zu
mieten, jondern er erzog die Römer zu Soldaten. So handelt ein weijer Fürſt!
Nur im eigenen Lande fteht die Auswahl der Brauchbaren frei; von Fremden
muß man ji) mit den Freiwilligen, den Söldnern begnügen, und das find jelten
andere als der Auswurf der Geſellſchaft, Arbeitsjcheue und Entehrte, Ausfchweifende
und Gottloje, deren Sitten der Mannszucht eines edlen, wahren Heeres fpotten.
Ein König, welcher ficher regieren will, muß jeine-Truppen aus Leuten bilden,
die fich aus Liebe zu ihm bei Kriegszeiten willig einftellen, noch lieber jedody beim
Friedensihluß nad Haufe gehen. Solche Leute jind aber nur die Bürger
des Vaterlandes. Dieje treten weder ganz wider Willen, nod
auch vollfommen freiwillig unter die Waffen; es ift der Geijt
des großen Banzen, der jie zu den Fahnen führt; mehr als die
Drohung vor Strafe wirft die Ehrfurdt vor dem Gejeg, und jo entjteht eine
heiljame Wirkung von Zwang und Freiheit, welche die Unzufriedenheit
in enge Grenzen einſchließt. »Perd si debbe prendere una via di mezzo, dove
non sia n& tutta forza, nè tutta volontä, ma siano tirati da uno rispetto
ch'egli abbiano al Principe, dove essi temano piü lo degno di quello che
la presente pena«. (Art. d l. g. I) »Perch® non si puö avere nè
piü fidi ne piü veri nè migliori soldati (Princ., 26). Was nun die
Auswahl betrifft, jo iſt eine richtige Beurteilung des Cinzelnen allerdings
ſehr jchwierig, und diejer Umjtand, nicht minder aber die Gerechtigkeit, läßt es
am zwedmäßigiten erjcheinen, daß die gejamte junge Mannjchaft bewaffnet und
geübt werde, joweit fie ehrlih und tüchtig iſt. »E che in lui sia onestä e
vergogna, altrimenti si elegge un instrumento di scandalo ed un principio
di corruzione«. (A. d. g. I.) Eine unerträglide Lajt wird das niemals fein;
denn jie hat ſich darauf zu bejchränfen, die einmal Ausgebildeten an den Ruhe—
tagen des geichäftlihen Lebens zu gemeinfamen Übungen zu verfammeln. Für
die Jugend jind ſolche Übungen ein wahres Vergnügen, und auch den älteren
Bürgern werden jie erfrifchend fein. Weld) eine Schule für das Volt, wenn es
feine Feiertage, jtatt im Müßiggang bei jhimpflichen Schwelgereien, nun auf dem
Baffenplage verlebt, um Geijt und Störper zu heben und zu jtählen! »E sempre
ne’ giorni oziosi si eserciterebbero« (A. d. g. II.). Und wenn aud) Opfer ge=
bracht werden müfjen, jo ijt eine Nationalbewaffnung joldhe wohl wert. Denn
ohne deren Schuß geht die bejte Berfafjung gerade jo zu Grunde, wie die prunk—
vollen Säle eines Königsſchloſſes, wenn fie, obgleich leuchtend in Goldſchmuck und
Juwelenpracht, des ſchirmenden Daches entbehrten, das all den Glanz vor Sturm
und Regen jhüßt.
Ganz ungegründet jei die Furcht, daß eine jolche Kandesbewaffnung den Stat
umftürzen werde. So wenig als dieje Wehrmannſchaft jemals den Frieden jtören
werde, um Krieg zu führen, jo wenig werde fie fich gegen die Regierung wenden.
Die Waffen, welche das Gejeg den Bürgern in die Hand gab, leijteten vielmehr
diefem jelbjt jtetS die beiten Dienſte, und die Staten, welche ſich auf fie gejtügt,
462 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
blieben am längiten unbefledt von Knechtſchaft. Nom lebte mit jeiner bewaffneten
Bürgerihaft vierhundert, Sparta gar achthundert Jahre in Freiheit. Geübt
freilich muß die Wehrmannjchaft jein, zumal fie feltener im Felde liegen wird als
Söldner. Fit fie jedoch geübt, jo fann man ſich aud) auf fie verlafien. Als
Camillus gegen die Tosfaner 309, erjchrad jein Heer beim Anblid der gewaltigen
Übermacht des Feindes. Er aber jagte ihnen nur das Eine: „ES tue ein jeder,
was er gelernt hat und gewöhnt ijt“ (Quod quisque dicit aut consuevit,
faciat!), und er jchlug den Feind“.
Dies jind die Grundanjchauungen Machiavellis von der allge
meinen Wehrpflicht, wie er jie im erjten Buche jeiner „Kriegskunſt“
oder in zeritreuten Kapiteln des Principe und der Erörterungen über
Livius entwidelt. Was diejen Gedanken einen ganz bejonderen Wert
verleiht, ijt der Umstand, daß diejelben ein Ergebnis nicht nur der
wifjenjchaftlichen Unterjuchung find, jondern auch das eines ausge
übten Verſuches. Wohl it der Statsjefretär jelbit der Meinung,
daß eine Wehreimrichtung, wie er fie empfiehlt, nur von jolchen
Fürſten leicht ins Werk gejegt werden könne, welche im jtande jeten,
in ihren Landen ein Heer von 15 bi8 20 Tauſend Jünglingen aus-
zuheben, während es für jchwächere Staten außerordentlich jchwierig
jet; dennoch aber hat er wirklich mit allem Feuer jeines Charakters
und der vollen Energie der Überzeugung eine volfstümliche Wehr:
verfaffung im Florenz eingeführt und durchgejegt. Er jpielt in der
»Arte della guerra« darauf an.
YFabricio Colonna äußert da: „Wenn id ein ganz neues Heer zu bilden
hätte, jo würde ich die Leute von 17 bis 40 Jahren nehmen; wenn es aber
einmal völlig gebildet wäre, jo würde ich) nur immer die 17jährigen neu aus
heben“. — „Ahr würdet aljo“, bemerft ihm Coſimo Nucellai, „eine Einrichtung
berjtellen, welche unjerer eigenen jehr ähnlich ift“. — „Gewiß“, erwidert Colonna,
„das ijt mein Gedanke. Freilich wirde ich das Heer ganz anders bewaffnen,
befehligen, üben und ordnen!“ — „hr billigt aljo unjere Einrichtung?“ —
„Warum joll id fie verdammen?“ — „Weil jie viele verjtändige Männer von
jeher getadelt haben“. Nun aber wird Colonna-Macdiavelli zornig. „ES iſt ein
Widerjpruch“, ruft er aus, „wenn Ihr jagt, daß ein verjtändiger Mann die Ein-
rihtung tadelt; man würde einem ſolchen wahrhaft Unrecht tun, wenn man ihn
verjtändig nennte!“ Nucellai will beſchwichtigen und wendet ein, dab die unglüd-
lichen Ergebnifje, weldje die Ordonnanz immer geliefert habe, dazu ziwängen, uns
günjtig über fie zu urteilen; und da bricht Colonna kurz ab mit der bezeichnenden
Bemerkung: „Hütet eu, daß die Schuld, die ihr der Einrichtung beimeßt, nicht
vielmehr die eure jei!“
Es iſt Machiavellis eigene Ordonnanz, deren Berteidigung er
dem Fabricio in den Mund legt, und man verjteht Die Abfertigung
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 463
Rucellais volltommen, wenn man aus den t. J. 1857 von Caneſtrini
veröffentlichten Dokumenten erjieht, welche bemunderungswürdige Geduld
und Sorgfalt der Statsjefretär jeinen militärtjchen Organtjationen
widmete. Denn auch nachdem er den Gonfaloniere Soderint von der
Notwendigkeit der Milizeinrichtung überzeugt hatte, jtellten jich der
Ausführung immer neue Schwierigkeiten entgegen, vor allem durch
diejenigen, welche fürchteten, Soderint wolle oder fünne fich mit Hilfe
jener Miliz zum Tyrannen machen. Man fing daher mit einem jehr
fleinen Verjuche der neuen Meilitärverfaffung an, in der Hoffnung,
daß die Bürger ſich dadurd) von ihrer Nütlichfeit überzeugen und
gejegliche Maßregeln zu dauernder Einführung der Volkswehr ge
nehmigen wirden. Und jo gejchah es in der Tat. Sobald Machia—
vellt die Emmilligung des Gonfaloniere erlangt hatte, machte er jich
im Dezember 1505 auf, um Toskana zu durchwandern und Die
Mannjchaft zu den Fahnen zu jchreiben. Die ausgehobenen Truppen
geftelen in Florenz; täglich gewann die Miliz an Volkstümlichkeit,
und gewiß jprach der Kardinal Soderint die Anficht vieler aus, als
er am 15. Dezember 1506 an Machiavelli jchrieb: „Es jcheint uns
wahrlich), daß dieſe Ordinanza sit a Deo; denn ununterbrochen ge
winnt ſie, troß aller Böswilligfeit, an Boden“. Seit langer Zeit,
fügt er hinzu, habe die Republik nichts jo Ehrenvolles unternommen,
und dies verdanfe man Machtavelli !).
Wir bejiten eime Schrift des Statsjefretärd, La cagione
della Ordinanza, welche die bei dieſem eriten Verſuche befolgten
und jpäter zum Geſetz erhobenen Grundjäge darlegt.
Das Autograph gehört zu den »Carte del Machiavellie und trägt von
feiner Hand auf dem Umſchlage die Bemerkung: »1512. La cagione della
Ördinanza, dove la si trove et quel che bisagna fare. Post res per-
ditase. Dieje Überjchrift ijt offenbar jpäter, nämlich zu der Zeit gefchrieben, da
die Republif und mit ihr die Wehrverfafjung gejtürzt war ?).
Machiavellis Entwurf zur Bildung der Bolfswehr zu
Fuß (Provisione per le fanterie), datiert von 1506, der zur Bil:
dung der Reiterei (Provisione per le milizie a cavallo) von
1511. Beide jind von Machtavelli verfaßt, doch namens des Rates
i) Bgl. Billari: Niccolö Machiavelli e i suol tempi (Florenz 1877—82). Deutih von
Hausler (Rubolftabt 1878— 1883).
2) Buerft 1868 von Ghinaffi, dann 1872 von d'Ancon a veröffentlicht. Wieder abgebrudt
bei Billaria.a. ©.
464 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
erlaffen. Die Verordnung verpflichtet alle Bürger, welche tauglich
befunden würden, ausnahmslos zum Waffendienjte. Eine aus Den
angejehenjten Männern gebildete Erſatzkommiſſion teilt das Land im
Bataillonsbezirfe und bildet unter Beihilfe der Bezirfsvoriteher Fähn-
fein, die in den Waffen geübt und verpflichtet werden, dem Aufgebot
zu folgen ?).
Daß eine jolde Einrichtung, welche alle bisherigen Gebräuche völlig umzu—
wandeln unternahm, Weigerungen und Widerjprüche hervorrief, verjteht ji von
ſelbſt. Manche Gemeinden widerjegten ji) der Neuerung entſchieden und ver=
warfen jede Vorkehrung für eine allgemeine Landesverteidigung. Der Statsjefretär
redete ihnen in feinen Briefen ebenjo Flug als edel zu. — Ja jeine Hingebung
an die Sache der allgemeinen Wehrpflicht war jo groß, dab er ſich jogar zu prin=
zipiellen Zugejtändniffen herbeiließ, die ihm höchſt fchmerzlich fein mußten. In
der Cagione della Ordinanza hatte er es für ganz ſelbſtverſtändlich erflärt, da
der Führer des Volksheeres ein Florentiner fei. ALS ſich die Bürgerſchaft jedoch
nicht zu entjchliegen vermochte, einem der ihrigen jo großen Einfluß auf die be=
wafinete Macht einzuräumen, verjtand Maciavelli ſich dazu, einen Condottiere
als Führer derjelben zu empfehlen, um wenigjtens die Miliz jelbit zu retten ®).
Unermüdlich durdeilte er das Gebiet der Republik, beſchaffte Waffen, muſterte
Mannſchaft, jendete taufende von Briefen und bat die Behörden, ihn ja nicht
bon den Lagern und den Truppen abzuberufen. Bon alle dem durfte er weder
als Statsjefretär nod) als Schriftiteller irgend welchen perjönlihen Vorteil er-
warten; jein einziger Beweggrund war vielmehr jener nur allzufeltene Patriotis—
mus, der ihn mit der Hoffnung erfüllte, zunächit Florenz, dann aber ganz
Italien wieder waffentühtig und dadurd frei und einig zu machen. Denn
dies ijt jein Ziel. „Niemals“, jo ruft er aus, „war ein Land glücklich und groß,
wenn es nicht einer Republik oder einem Füriten gebordte, ala z. B.
Frankreich“. Daher jchlägt er auc die Macht Frankreichs höher an, wie diejenige
Deutſchlands. Denn „wenn der Kaiſer Truppen und Geld verlangt, jo bezahlen
ihn die Deutjchen mit Reichdtagen“.
Aber Machiavelli faßte kaum auf der erjten Stufe jeines hoch-
jtrebenden politischen Planes feiten Fuß. Er erreichte die allgemeine
Wehrhaftigfeit des florentinischen Bolfes nur in bejcheidenem Um—
fange, und noch waren die neuen Einrichtungen nicht in Fleiſch und
Blut übergegangen, als der Zujammenjtoß mit der „Heiligen Liga“
erfolgte. Soderini jah fich gezwungen, abzudanfen. Die Medicäer
fehrten zurüd. Alle Gejege, welche jeit ihrer Vertreibung erlafjen,
wurden für nichtig erklärt, und Machtavelli, abgejegt, gefangen, der
!) Due provisione per istituire militie nationale. Auerft abgebrudt in der Ausgabe der
Werte Machiavellis von 1782. Deutſch von Ziegler in deſſen Überjegung derſelben III, ©. 199 u. 216
(Karlörube 1835). ) Consulto e parere per l’elezione del comandante della fanteria (ebenda).
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht bei Pavia 1525. 465
‚Folter unterworfen und verbannt, jah ſich von jeder Teilnahme am
öffentlichen Leben ausgejchloffen. In ergreifenden, an Battifta Soderini
gerichteten Terzinen klagt er das Glüd an:
„Sabjt du wohl je, wie ein Adler zu den Wolfen emporjtieg, gepeinigt von
Hunger und Faſten? Wie er eine Schildkröte mit emporhob, um fie im Sturze
zu zerſchmettern und dann an ihrem Fleiſche ſich zu legen? So reiht Fortuna
einen Mann empor, nicht, daß er oben bleibe — nein! Um ſich an jeinem Sturz
zu weiden und daß er jamm’re über jeinen Fall!“
Die Untätigfeit war Machtavelli umerträglich; er trat zu den
Herrichenden in Beziehung; die Medict beauftragten ihn mit der
Geichichtsichreibung von Florenz und ernannten ihn in den Ausſchuß
für das Befeftigungswejen. Dies machte ihn nun den Popularen
jehr verdächtig, und als im Frühling 1527, nad) Roms Erjtürmung
durch des Katjers Heer, die Medicäer abermals vertrieben wurden,
jah Machiavelli fi) von allen Ämtern ausgeichloffen. Nur wenige
Wochen nach diefem Umſchwung jtarb er, verfannt und gejchmäht.
Aber als Florenz dann zwei Jahre jpäter dem Belagerungsheere
Karls V. einen elfmonatlichen ruhmvollen Widerjtand leijtete, wirkte
die von Machiavelli unternommene Volksbewaffnung noch fräftig
nah. Einer jeiner Söhne, Ludovico, fiel da bei einem Ausfall mit
der Fahne in der Hand. Endlich mußte die Stadt dem Gonzaga
die Thore Öffnen und den Herricherjtuhl der Medicäer aufs neue auf
richten, und jeitdem ging die allgemeine Wehrpflicht unter. Immerhin
blieb die Erinnerung an jie bejtehen; im dem Heereseinrichtungen der
toskaniſchen Herricher des 17. Ihdts. begegnet man entjchiedenen Ans
flängen an die Gedanken des großen Statsjefretärd. Zunächſt aber
triumphierte in ganz Europa das Söldnerwejen; auc) die ein Jahr:
hundert jpäter von deutjchen Fürjten unternommenen Verjuche einer
Wiederaufrichtung der Volksbewaffnung jchlugen völlig fehl, und es
bedurfte fait eines Bierteljahrtaujends, bis Machivellis Idee Körper
gewann und endlich in unjern norddeutichen Marken Wurzel jchlug.
In den der militärijchen Techntf gemwidmeten Abjchnitten
der Arte della guerra tritt der echte Charakter der Renaiſſance in-
iofern deutlich hervor, al3 die darin niedergelegten Anfichten und
Vorichläge eine untrennbare Verbindung jcharfer unmittelbarer Beob-
achtung und antifer Neminiszenzen find. Bald waltet das eine, bald
das andere Element vor. — Meachiavellis Anfichten über die Taktik
Zähne, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 30
466 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
der drei Waffen werden "in dem Stapitel über die „Truppenkunde“
dargelegt werden; hier jollen nur die allgemeineren Verhältniſſe zur
Sprache fommen.
Mit großem Nachdruck behandelt Machiavelli die Angelegenheiten
der Mannszucht.
Ihrer Disziplin vornehmlich verdankten die Römer ihre Erfolge. Die
Truppen jollen im Laufen, Schwimmen und Schießen jorgfältig u. zw. jtet3 in
der Kriegsrüjtung geübt werden. Auf höchſtens 10 Mann rechnet Machiavelli
einen Unterbefehlähaber. Er legt alle Vorteile der Gliederung und Unter-
iheidungszeichen dar, jpricht beinahe den Gedanken der Uniformierung aus und
eifert außerordentlich gegen den Mißbrauch zu vieler Diener und Pierde.
Die gewöhnlihe Größe der Heere Roms, nämlich 25 bis
30 Tauſend Mann, erklärt Machiavelli für das zwedmäßigite Vorbild.
Mit einer jolhen Armee könne man nicht gezwungen werden, zu jchlagen,
während jie ausreiche, aud) einen weit überlegenen Feind zu geichlofjener Haltung
zu nötigen, ein Zuftand, den fein großes Heer lange zu ertragen vermöge, ohne
ji) aufzureiben. Teile der Gegner jedoch jein übergroßes Heer, um leben zu
fönnen, fo verliere er den Vorteil der Zahl und fünne einzeln gejchlagen werden.
— (Diejer Aberglaube, daß ein Heer „zu groß“ fein fünne, hat lange geherricht:
erjt die neueſte Zeit hat ihn vernichtet).
Bom Feldherrn verlangt Machiavelli Kenntnis der Landes-
funde und der Statijtif des Kriegsjchauplages: das aljo, was man
„imperatoriſche“ Kenntnijfe nennen fönnte.
An der Seite des oberjten Führers ftehe ein Generaljtab, bei deſſen
Auswahl nicht nur die Rückſicht auf Klugheit und Kenntnifje, jondern aucd die
auf den Charakter maßgebend jein müſſe. Dieſem Stabe falle neben allgemeiner
Beratung des Feldherrn vorzüglicd die Sorge für das Nachrichten und Karten-
wejen, ſowie für die Verpflegung, anheim. Schon im Frieden fei übrigens ein
Nacdjrichtendienjt über Land und Leute der mutmaßlichen Gegner einzurichten.
Spione fünnten in Krieg und Frieden gute Dienjte leiten; das Beſte aber werde
der Feldherr immer durch tüchtige Führer vorausgejandter Reitergejhwader er-
fahren. (Alles hoch modern!)
Machiavellis jtrategiihe Vorjchriften zeugen von ganz
bejonderem Tafte und einem für jene Zeit überrajchend freien Blicke.
Das 4. Bud) der Arte della guerra enthält Regeln, wie man jidh vor,
während und nah der Shladht zu benehmen habe, und alle An-
weijungen find durch gejchichtlihe Beijpiele erläutert. — Nur der Kampf ge
ordneter Maſſen bringe Entideidung. Diejer alſo fei unter allen Umijtänden jo:
wohl in der Verteidigung als beim Angriff anzuftreben. Erfahrung lehre, daß
e3 jelten möglid) jei, dem Feinde auf allen Punkten der Front überlegen ent:
gegenzutreten, daß es aber andererjeit3 auch meijt genüge, wenn nur ein Teil
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 467
der Front recht augenſcheinlich geſchlagen jei; denn das reihe die Übrigen fort.
Daher jei es Aufgabe des Führers, da, wo er ſchwach jei, wenigjtens jtart zu
jcheinen, mit der wirfliden Stärke jedod) des Gegners ſchwache Seite anzupaden
und zu vernichten. Zu dem Ende bedürfe man vor allen Dingen eines wohl
vorbereiteten Reſerveſyſtems. Und zwar jei ein Teil des Heeres hinter der
ganzen Front derart zu verteilen, daß er Berjtärkungen für die Einzelaufgaben
ermögliche (Spezialrejerven) ; ein anderer Teil aber jei, dem gewählten Angriffspunfte
gegenüber, für den entjcheidenden Stoß zurüdzuhalten. (Generalrejerve). Die
Überflügelung will Macjiavelli nur bei bedeutender Überlegenheit anwenden ;
auch der Verteidiger joll aus Beforgnis vor Überflügelung feine Front nicht zu
ſehr ausdehnen, jondern lieber einen Flügel anlehnen und fi nad) der Tiefe
formieren. — Normaljhlahtordnungen ließen fih wegen der Mannig—
faltigfeit der möglichen Verhältniſſe nicht fejtitellen; aber die reglementarijchen
Formen jollten jo gejchmeidig jein, daß das Heer ſich jeder Lage leicht anbequemen
tönne. — Ein Sieg jei mit der größten Entjhiedenheit zu verfolgen, wie das
Cäſar tat, „der dem fliehenden Feinde mit noch mächtigerem Ungejtüm nachiegte,
al3 er den noch unverjehrten angegriffen hatte“. — Nach verlorener Schladt
jei vor allen Dingen die gejtörte Ordnung wieder herzujtellen, was nur in einiger
Entfernung von der Waljtatt möglich jei, weshalb ſich der erzentrifche Rückzug
empfehle. — „Notwendigkeit“, jo ſchließt dad Buch, „iſt das fräftigite und ficherjte
Mittel, um die Krieger zu hartnädigem Kampfe zu bewegen. Selbjtvertrauen
und Liebe zum Feldherrn oder zum Vaterlande jteigern die Ausdauer. Selbſt—
vertrauen erweden gute Waffen, tüchtige Schlahtordnung, friſche Siege und Feld:
herrnruhm; Baterlandsliebe liegt in der Natur; Liebe zum Feldherrn erzeugen dejjen
Wobhltaten, mehr aber noch jeine Tapferkeit. Die Notwendigkeit zu jchlagen, fann ver—
ihieden jein; am jtärfiten wirft die, welche dich zwingt, zu jiegen oder zu jterben !“
Das 5. Buch bejpriht den Marſch in Feindesland, der für gefähr-
licher erflärt wird, als die Schladt. Nach dem Mujter der Alten joll zur Auf:
Härung leichte Reiterei vorausziehen ; in bedrängter Yage möge das ganze Heer
ein Biered bilden, das Gepäd in der Mitte; jo jei es vor allen tumultuarifchen An—
griffen empörter Einwohner fiher. „Sie werden mit Lärm und Gejchrei gewaltige
Anläufe maden, doc nicht herantommen, Möpjen gleidy um einen Bullenbeiher“.
Machiavellis Lageranlagen find wejentlich römiſch: Quadrate
mit Rundelen an den Ecken, welche die Poſitionsartillerie aufnehmen.
Ahnlicher Lager haben ſich in der Folge tatſächlich manche Feldherrn bedient,
z. B. Moritz von Oranien.
Scharfſinnig und eigenartig ſind Machiavellis Gedanken über das
Befeſtigungsweſen, auf die an anderem Orte näher eingegangen
werden ſoll. [$ 108).
Die Regole generali, welche Machiavelli amt Schluſſe ſeines
7. Buches gibt, jtimmen fajt wörtlic;) mit den Regulae bellorum
generales des PVegetius überein. [A. 8 38).
30*
468 Das XVI. Jahrhundert. J. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Neu und bemerfendwert find u. a. die folgenden: „Männer, Eifen, Geld
und Brod find il nervo della guerra. Aber die erften find am wichtigiten ;
denn Männer und Eifen finden die beiden andern; Geld und Brod jedoch finden
night Männer und Eijen“. — „Schwer ijt es, plöglichen Unfällen abzubelien,
leicht vorausbedachten“. — „Im Gefechte jelbjt - ändert niemals die anfängliche
Beitimmung eines Heeresteiles, wenn ihr nicht Unordnung hervorrufen wollt“.
Übrigens find in Machiavellis ganzem Werke eine Fülle von Sentenzen
und Marimen zerftreut, die oft geijtreicher und treffender find, als die von Be-
getius übernommenen. Nicht wenigen ift anzumerken, daß fie ein Ergebnis des
Studiums Cäſars find; jo den imperatoriichen Süßen: „Stets hat der Feldherr
auf Mittel zu finnen, des Feindes Streitkräfte zu ſchwächen, jei es auf jtrategi=-
ihem, ſei e8 auf politifchem Wege“. — „Überaus wichtig ift e8, den Charakter
des feindlichen Feldheren und feiner Umgebung richtig zu würdigen“. — Zumeilen
fcheinen die Geiſter des Vegez und des Cäſar fid um die Seele des Florentiners
zu jtreiten. So wiederholt Madiavell den vegetiihen Sag: „Beſſer iſt es, den
Feind durch Hunger (aljfo für gewöhnlich durd; Manöver des Heinen Krieges) zu
befiegen, al& durch da8 Schwert; denn der Sieg, den dies verleiht, hangt mehr
vom Glück ab, ald von Tiüchtigkeit“. Den Sap des Vegetius: „Gute Feldberrn
liefern Schlachten nur dann, wenn Notwendigkeit jie dazu zwingt oder die Ge—
legenheit jehr günftig iſt“ — erläutert der Statsjefretär dahin, daß die Not-
wendigfeit vorhanden jei, wenn man, nicht jchlagend, jich jedenfalls verloren jebe,
wenn aljo etwa das Heer drohe, wegen Mangels an Nahrung, bzgl. an Gel»,
auseinanderzugehen, oder wenn der Feind Verjtärfungen erwarte. Günſtige Ge—
legenheiten könnten durch Bejchaffenheit und Stärke der eigenen Streitmittel, durch
deren Anordnung und durd) dag Gelände geboten werden. Wer in jolhen Fällen
das Glück nicht verjuche, der made einen unverzeihlichen Fehler. — Echt vegetiich
flingt der Sag: „Die Mehrzahl Huger Feldherrn hat lieber dem Anfalle des
Feindes widerjtanden, als jelbjt angegriffen ; denn unangetajteten dichtgejchlojienen
Scharen fällt e8 nicht jchwer, auch einen witenden Anprall auszuhalten; abge-
wiejene Wut dagegen verwandelt fich leicht in Feigheit“. Docd weit abweichend
von jolcher jpätrömischen Doktrin, ja ganz cäfarijch lautet e8, wenn Maciavelli
wiederholt „eine allgemeine Feldjchlaht die Hauptjache des Krieges“ nennt (l’im-
portanza della guerra), den Zweck, für den man Deere bilde (il fino a che si
ordinano gli esereiti), und wenn er erflärt, daß demjenigen, der dem Feinde
eine entjcheidende Schlacht gut zu liefern wiſſe, andere ‚Fehler der Kriegführung
bingeben künnten, daß jedoch der, welder jonjt in allen Zweigen der Kriegskunſt
geichiet, aber unfähig jei, eine Schlaht zu gewinnen, niemals den Krieg zu
glüdlihem Ende führen werde; „denn eine Hauptihladt, die du ge
winnſt, hebt die Folgen aller Fehler auf, die du anderweitig begangen
haben magjt“. (Perche una giornata, che tu vinza, cancella ogni altra tua
mala azione), _
Alles in allem ergibt jich, daß Machtavelli, der durch jein be
geiitertes Eintreten für den Gedanken der allgememen Wehrpflicht als
wahrhaft prophetiicher Gert und als eimer der größten Denker auf
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 469
dem Gebiete des Kriegsverfaflungswejens erjcheint, auch die militärtjche
Technik in einer für feine Zeit unerhörten Klarheit überjchaute; und
es ijt ein neuer, ich möchte jagen „pſychologiſcher“ Beweis für die
nahe Verwandtichaft von Statsfunjt und Kriegskunſt, daß der Be
gründer des modernen Statsrechts zugleich der erſte militärijche
Klaſſiker der Neuzeit iſt.
Handjchriftliche Bruchjtüde der Arte della guerra bewahrt
die Nationalbibl. zu Florenz in den Uffizien (cod. 1451, cl. VII).
Ebendort finden ſich auch die eriten beiden Editionen, welche in
der Vaterjtadt Machiavell3 1521 und 1529 erjchtenen. — Wie lebhaft
der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht auf weitere Kreije wirkte,
lehrt u. a. ein vatifanisches Manujfript (Lat. 5350) »Alcuni dis-
corsi dell arte della guerra, fatti da Missere ... 1521«!).
Dieſe Schrift will den Urfprung des Rittertums darlegen, die Abweichungen
von dem Kriegsweſen der Alten erläutern und zeigen, wie fich ein Kriegsmann
in Friedenszeiten zu verhalten und vorzubilden habe. Der Verfaſſer fpricht ſich
warm für die VBolfsbewaflnung aus und bemerft u. a.: »Io non penso che
solo i soldati (d. h. hier Söldner) habbin’ & essere accesi alla virtü, ma
tutti gli homini ancora!...
Die Florentiner Ausgabe von 1529 erlebte Machiavell nicht mehr.
Seitdem erjchienen die „Sieben Bücher“ während des 16. Ihdts. zu Venedig:
1530, 1537, 1540, 1541, 1546, 1550, 1554 und 1587; doch gibt e8 aud eine
Florentiner Ausgabe von 1551. — Dieſe große Zahl von Auflagen lehrt, wie
lebhaft das Intereſſe für Macdiavellis Wert war; die Jahreszahlen derjelben
beweifen aber zugleih, daß dies nterejie in der zweiten Hälfte des Jahr—
hunderts nadılieh.
Bon den Ausländern bemächtigten fich zuerjt die Spanier der
Arte della guerra, freilich in recht jeltjamer Form.
Zu Balencia erſchien nämlich 1536, gotifch gedrudt, ein Tratado de Re
militari, hecho a manera de dialogo, que passo entre los illustrissimos
Sefores Don Gongalo Fernandez de Cordoua, llamado Gran Capitan, Du-
que de Sessa, y Don Pedro Manrique de Lara, Duque de Naraja. En el
qual se contienen muchos exemplos de grandes Principes y Selores y ex-
cellentes auisos y figuras de guerra muy prouehoso para Caualleros, Capi.
tanes y Soldados ?).
') Der Rame ift jo did überftridhen, daß er völlig unlejerlich geworben. Statt 1521 fteht tat»
ſächlich 1421 da; doch ift dies ganz ungmeifelhaft ein Schreibfehler. Das Manuffript (24 Seiten) ift
unvollenbete Reinſchrift.
9) Dieie ſehr jeltene Bublifation findet fich in einem Miſchbande der Stabtbibl. zu Frankfurt a. M.
«Hisp. 21).
ATO Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Dies in Geſprächform gejchriebene, in 7 Bücher eingeteilte Werk, iſt nichts
anderes als eine Überjegung von Machiavellis sette libre dell’ arte della guerra.
Nur die redenden Perſonen find verändert. An Stelle des Fabricio Colonna ijt
Goncalo de Cordova, der Gran Capitan, an Stelle all der andern von Madia=
velli eingeführten Teilnehmer, ift der Herzog Pedro be Lara getreten. Damit
ihien dem überſetzer wahrſcheinlich die Sache original⸗ ſpaniſch genug geworden
zu ſein, um die Bezeichnung des Werkes als einer Übertragung aus dem Italieni—
ſchen entraten zu können. Sogar die Zuſchrift Machiavellis an Lorenzo Strozzi
ift getreulic ing Cajtilianifche übertragen und al muy Magnifico sennor Diego
de Vargas de Caruajal adrefjiert, und bier, aber audy nur hier, ijt eine ver=
ihämte Hindeutung auf des großen Florentiners Anteil an dem Bude einge-
flodhten, indem der Widmende jagt: »y copilar el presente tratado imitando
a muchos autores antiguos y modernos, siguiendo mas que a los otros el
parecer de Machavello: por que imita el a Vejecio...«e Das ijt allerdings
eine naive Auffafjung der Sahlage! Auf dem Titel iſt der Name des Quaſi—
Berfaflers nicht genannt, wohl aber in der Überſchrift des zweiten Buches. Es
ift Diego de Salazar, der in talien unter dem Gran Capitan gefodhten und
dem man aud) eine Überfegung von Appians römischer Geſchichte verdantt.
Almirante nennt in feiner großen Bibliografia militar de Espaha (Madrid 1876)
Salazars Tratado »un verdadero jalon en la literatura militar de Espana«.
Es jcheint ihm entgangen zu fein, daß es fid eben lediglid um eine Über:
jegung handelt. — Eine 2. Auflage erjhien zu Brüfjel 1590).
Den Franzofen wurde Machiavellis Werk zunächjt nicht durch
eine Überjegung, jondern durch eine Verarbeitung vermittelt, welche
den Titel führt: Instruction sur le faict de la guerre, extraites
des livres de Polybe, Frontin, Vegece, Cornazani, Maclıavel
et plusieurs autres bons auteurs (Paris) [$ 36). Dann erjt folgte
Charriers Traduction d’Onozandre, de Frontin, de Modeste,
d’Elien et de Machiavel. (Paris 1546).
Die Zufammenftellung mit Namen fanonijcher Autoren der Antite beweiſt
am beften, daß Madiavelli von den Franzoſen durchaus als Klaſſiker betrachtet
wurde. — Später erjchienen noch Übertragungen ins Franzöſiſche 1664 zu Rouen
und 1693 zu Amjterdam.
In engliſcher Sprache wurden die sette libri zu London 1588
veröffentlicht. Im Jahre 1600 erjchten zu Straßburg eine Übertragung
ins Yateinijche, und jeltiamerweife wurde aus diejer u. zw. erit
i. 3. 1623 die Arte della guerra zu Miümpelgardt, wo damals
1, In der Bibl. der Kriegsalademie zu Berlin (D. 578) und in ber bortigen Kgl. Bibl. (H. u. 9730).
— Vermutlich ift au) ber Arte y suplimento Re militar, ben ber honbre darmas Franz.
de Bebroja i. 3. 1541 zu Neapel veröffentlicht hat, nur eine Paraphraſe von Madjiavellis Bert;
die Inhaltsangabe läßt darauf ſchließen. Geſehen habe ich das überaus jeltene Bud nicht. Es be
findet fih in der Bibl. des Don Pascual Eavall zu Saragofla.
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 471
eine Militärjchule bejtanden zu haben jcheint, ins Deutjche über:
tragen. Die Verdeutjchung führt den Titel: „NE. Machiavellis jieben
Bücher von der Kriegskunft, aus dem Lateiniſchen“.
Kaifer Karl V. hatte den Madjiavell al jeinen Lehrer in der Kriegskunſt
gepriejen; man erfährt aud, daß die Oranier, daß Guſtav Adolf jein Werf
gefannt und geihäßt; aber unverkennbar tritt e8 doch im 17. Ihdt. in den
Hintergrund. Schon der leichtfertige, aber in militärifhen Dingen jonjt überaus
urteilsfähige Brantöme hatte es in jeinen Memoiren (1600) zu diöfreditieren
verſucht; jpäter wendete ji Folard in jeiner Histoire de Polybe (1727) wie
gegen jede Autorität leidenschaftlich gegen Macdiavelli, und auch Friedrich d. Gr.
ift ihm in feinem »Anti-Macchiavel ou essai critique sur le prince de
Macchiavel« (Haag 1740) begreiflicherweife nicht gerecht geworden. In Bezug
auf die Aufjtellung von Nationaltruppen äußert Friedrih: „Ich bin jo überzeugt
wie Macdiavelli jelbjt, dab ein Stat von fremden Söldnern jchlecht bedient wird
und da die im Lande anjäffigen Krieger fie an Treue und Mut weit übertreffen.
Aber wenn ein Reich nicht jo viel Menſchen hervorbringt, ald man für das Heer
bedarf und als der Krieg verbraudt, jo ijt man genötigt, zu fremden Söldnern
jeine BZufluht zu nehmen. Und dann gibt es auch Mittel, um die meijten
Schwierigkeiten, welche Maciavell rügt, zu bejeitigen. Man mijcht die Fremden
unter die Einheimijchen und achtet bejonders darauf, jene nicht zahlreicher werden
zu laſſen, al& die Inländer . . . Ein nordiſcher Fürſt“, jo jchließt der Kronprinz
mit beredhtigtem Stolze, „befigt eine ſolche gemiſchte Armee, und er ijt troßdem
mächtig und furchtbar genug“. (Anti-Macchiavel. XIJ).
Der Marſchall von Sachſen hat Madiavell offenbar fehr genau ges
fannt und in jeinen »Röveries militaires« (1757) aud) eingehend benußt; doch
er erwähnt ihn nicht. Friedrichs d. Gr. Freund, Graf Algarotti, beſchäftigte
fih jorgfältig mit Machiavelli; dod) jeine XX Lettere sopra la scienza militare
del segretario fiorentino (Venedig 1759) jind reich an Mißverſtändniſſeny. In
jeder Hinſicht verkehrt iſt z. B. Algarottis Behauptung: „die Defenſivflanke gegen
die öſterreichiſche Kavallerie” in Friedrichs II. erfter Schlacht jei eine „Nahahmung
von Machiavellis Schlahtordnung“ gemwejen.
Wejentlihes und Unweſentliches verwecjelnd, beihuldigt Joly de Mai:
jeroyY in jeinem Cours de Tactique (1761) den ?Florentiner der Ungenauigkeit
und mander Irrtümer im einzelnen. Böllig unzutreffend iſt das Urteil, das der
Prinz von Ligne im Catalogue raisonne (1805) über Madiavell äußert:
»Il y a bien de l'’esprit; s’il n’y a point autre chose. Heureux celui qui
etant ne Soldat, joint A cela autant de finesse«e. Das heit den großen
Italiener wahrlidy verfennen! Denn feineswegs in Fineſſen, fondern in der be-
geijterten Überzeugung und der rücdjichtslojen Deutlichfeit jeines Vortrags liegt
deſſen dauernder Wert!
ı) Mit XX Discorsi militari als »Opere militari« noch einmal abgedrudt im 4. Bande der
geiammelten Werfe Algarottis (Benedig 1791—179).
472 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
Unter den jpäteren Ausgaben der Arte della guerra jind die mai—
ländiihen von 1798 und bejonders die von 1811 erwähnenswert. Ausgezeichnet
ift die VBerdeutihung von Ziegler, welche den 3. Band von deſſen Über-
tragung der Werfe Macdiavelld bildet Karlsruhe 1833) und welcder eine Reihe
wertvoller Beilagen angehängt jind.
Biemlid eingehende Würdigung ließ Carrion-Nijas in jeinem Essai
sur l’histoire générale de l’art militaire (Paris 1824) dem Werte angedeiben,
ohne doc) der Bedeutung desjelben, namentlich Hinjichtlih der organijatoriichen
Fragen, auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Dies lettere habe endlich ich
jelbjt in einem Bortrage: „Machiavelli und der Gedanke der allgemeinen Wehr-
pflicht“ verfudt, den ich die Ehre hatte, am 26. Februar 1876 in Gegenwart
Sr. Majejtät des Kaiſers Wilhelm I. dem Wiflenjhaftlihen Verein in Berlin zu
halten ). — Seitdem ijt Villaris großartige Monographie »Machiavelli e i
suoi tempi« erjdienen (Florenz 1877—1882) und von Heusler verdeuticht worden
(Rudoljtadt 1878—1883), ein Werk erjten Ranges, das den großen Florentiner
auch in militärischer Hinſicht ins rechte Licht ftellt, und auf Grumd deſſen
Pr.tt. Karl Endres in der Milit. Gej. zu München feinen lejenswerten Vor:
trag „Macdiavelli als Militärjchriftiteller* gehalten hat. (München 1884) ?).
88.
Die echt nationalen Leiftungen eines Volkes jind auch allemal
diejenigen, welche internationale, weltgejchichtliche Bedeutung haben.
Das bewährt Machiavellis Werk. Durch und durch italienisch, ja
3. T. jogar von lokalen Einflüſſen bejtimmt, it es doch zugleich die
untverjellite Zeiltung, welche das 16. Ihdt. auf dem Gebiete Der
Kriegswiſſenſchaft hervorgebracht Hat. Alles andere jteht, namentlic)
gerade in Italien jelbjt, tief unter den sette libri. Das gewöhnliche
Niveau fennzeichnet ein anderes Buch, das in demjelben Jahre 1521
erichten, wie das Werk des großen Florentiners, nämlich de8 Giam—
battijta della Dalle di Venafro Traftat: Vallo (d. i. Ber:
teidigungswerf), libro contenente appertenentie ad capitani, re-
tenere et fortificare una citta con bastioni, con novi artifici de
fuoco aggionti . . . et de diverse sorte polvere, et de expugnare
una citta con ponti, scale, argani, tombe, trenciere, artegliarie,
1) Abdrud in der Köln. Ztg. April 1877 Nr. 108, 110, 112 u. 115. Bgl. außerdem: Jäbns:
Madjiavelli als militäriiher Techniker (Grenzboten, 24. März 1881). — Siehe ferner den Abſchnitt
über Machiavelli bei Gebelin: Quid rei militaris doctrina renascentibus litteris antiquitati
debuerit (Bordeaur 1881) und Endres: Madiavelli ald Militärjchriftfteller (Milit. Literaturgeitung
Nr. 4, April 1884).
2) Über die Macjiavelli-Literatur vgl. v. Mohl: Geſch. u. Literatur der Statswifienichaften III
Erlangen 1858).
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht bei Pavia 1525. 473
cave, dare avizamenti... fare ordinanze battaglioni, et ponti
de disfida.... opera molto utile con la experientia de la arte
ımilitare. (Neapel).
Der Berfajjer der Heinen Schrift, welche diejen weitläufigen Titel trägt,
war ein Neapolitaner im Dienſte der della Novere, der 1516 drei Monate lang
die Stadt San Leo gegen die Truppen des Papjtes verteidigt hatte. Was della
Balle im Dienjte feiner Herrn, zumal in dem des berühmten venetianifchen
Condottiere Francesco Maria von Urbino gelernt, das hat er in jener Abhand-
lung niederlegen wollen. Iffenbar bejah er feinen Anflug Yöherer Bildung ;
denn zu einer Zeit, da die italienische Sprache ihre fchönjten Blüten trieb, jchrieb
er ein abjcheuliches, oft faum verjtändliches Kauderwälih. Doch er fcheint dem
Bedürfnis gewijjer niederer Kreiſe entiprochen zu haben; denn von 1521 bis 1562
erſchienen mindejtend 12 Auflagen des »Valloc!). Eine franzöſiſche Über-
jegung fam 1529 zu Lyon heraus”); eine kritiflofe jpanijche Bearbeitung des
»Vallo«e bildet den eriten Teil von des Don Diego de Alaba y Biamont
Werk EI perfeto Capitan (Madrid 1590)9), und eine teilweiſe Verdeutſchung
wurde nod im 17. Ihdt. dem Publitum in der 1620 zu Frankfurt a. M. heraus-
gegebenen „Kriegs- und Archeley-Kunſt“ geboten. [XVII a. $ 46]*).
Die Schrift zerfällt m 3 Bücher. — Das 1. handelt von Be
jagung, Befeitigung und Verteidigung einer Stadt, das 2. von deren
Angriff, das 3. von der Infanterie. Einigen Ausgaben iſt als 4. Buch
noch der wejentliche Inhalt von de Puteos Abhandlung über das
Duell [XV. $ 54] angehängt, ohne den Berfaffer zu nennen.
Das 1. Buch redet zunächſt vom Anführer, feinem Wiſſen und feiner Kleidung.
(Dieje jol jhwarzsweißsrot jein; denn jchwarz bedeute Feſtigkeit und Verſchwiegen—
beit, weiß Integrität und Freundlichkeit, rot Strenge und Schlahtenmut). Dann
wendet das Bud) ſich zu den Obliegenheiten eines Kommandanten im „Fall der
Belagerung und insbejondere zu den Mitteln, die Stadtmauer durch »Bastioni«,
d. h. dur Hilfsbauten von Erde, Faſchinen und Holz zu verjtärten. Weiterhin
wird von den pyrotechnijchen Verteidigungsmitteln gehandelt, wobei die eigent-
lien ?yeuerwertäförper, zumal die alten Fenerlanzen, den Kanonen an Wirkſam—
feit nahezu gleihgeadhtet zu jein jcheinen. Intereſſant jind die Konjtruftionen
von Wafjeruhren und Anweiſungen zur Geheimjchrift und zur Telegraphie.
Das dem Belagerungstriege gewidmete 2. Buch joll an anderer Stelle ge—
würdigt werden. [$ 107].
Das 3. Buch jpricht zuerit von der Mannjcaftsformation des Fußvolks,
ihildert die Anordnung gevierter Haufen von 100 bis 1000 Mann mit und ohne
Artillerie und verjchiedene Gefechtöformen: in Gejtalt eine® Skorpion, mit
1) Eine Auflage von 1529 in der Bibl. der Berliner Striegsafademie, eine von 1591 im Berl.
Zeughauſe (A. 7), eine von 1589 in meinem eigenen Beſitz
2) In der Bücherei des Berliner Zeughauſes (A. 6). 9 In ber Herzog. Bibl. zu Wolfenbüttel.
+) In der Bibl. der Berliner Kriegsalademie (D. 4550).
474 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Flügeln, in 2 oder 3 Halbmonden, im Keil, im Dreied u. j. w. — Der größte
Zeil diefer taftiihen Phantafien ijt in Wirklichleit gewiß niemald angewendet
worden; die eigentlich praftiihen Formen aber werden in der Folge noch näher
zu würdigen fein. [$ 80).
89.
Von weit höherem Gejichtspunfte als della Valles Werk geht
der Berfafjer einer Abhandlung aus, deren Handichrift ſich in der
berzoglichen Bibliothek zu Gotha (Friedensitein, chart. fol. 574) be
findet und deren Titel folgendermaßen lautet: „Irewer Rath vnd
Bedenden Eines Alten wol verfuchten und Erfahrnen Krieges—
mans, Wie jich ein König oder Fürft Im anfang in Krieg richten
und verhalten, Auch wie man vorjichtiglich vnd ordentlich die Regiment
Reuter vnd Knechte jampt der Ardaley vnd Schlachtordnung anjtellen
vnd führen, Wie man auch einen Ahnjchlag vber einen Herren der
faft mechtigk ift, machen So wol auch für Stedte fich lägern vnd
wie man eine Stadt mit guter Ordnung behalten jolle“.
Leider ift der Verfaſſer nicht genannt; aber es bedürfte faum der Erwähnung
desjelben (S. 28 der Handſchrift), daß Kaiſer Mar I. ihm perjönliche Befehle ge:
geben, um zu erfennen, daß man es mit einem bochitehenden, weitjchauenden
Manne zu tun hat. Auch datiert ijt die Schrift nicht; da jedoch die legte Kriegs—
unternehmung, von der nod) die Rede, der Zug Nafjaus und Sidingens nad
Frankreich ift, jo dürfte man faum irren, wenn man ihren Abſchluß in das Jahr
1522 jtellt.
Das Bud) beginnt mit „Rath und Bedenden“, daß man ſich wohl hüten
jolle, um einer Meinen Urſach, Hoffart oder Nutzens willen einen Krieg anzu:
fangen, daß man aber, wenn dem Kriege nicht auszumeichen fei, ihn auch mit
ganzer Kraft führen möge. „Man fol fi aber mit fleiß hütten, dab man feinen
ihlichten Edelmann, wie gejchiet oder geübt er auch ſey, zu einem oberjten
Hauptmann ermwehle. Denn es wil fi nit leiden, daß Graffen, Ritter vnd
Herren vnder Befeldy eines Edelmannes Ihre Leibe und guth darjtreden vnd alſo
Hein geacht werden follen“. Jlluftriert wird das durch ein „Erempel vom Vogel“
(Zaunkönig). Bor geteiltem Oberbefehl wird lebhaft gewarnt und beijpiels-
weiſe auf Kaiſer Karls eriten Krieg und die gemeinjame Unternehmung des
Grafen v. Nafjau und Franzens v. Sidingen hingewiefen. — Der oberfte Haubt-
mann müjje unbedingtes Befehlsredht über alle Ämter haben und das Recht be
jigen, „alle Berjohnen daran er gebrechen findet, zu vprlauben“. — Der Aus:
einanderjegung über Wejen und Pflichten des Feldherrn folgen die 20 „Artidel
de8 Eides der Kriegsleutte“. — Daran jchließt fi) die „Ordnung
eines zugs“. — Begen einen mächtigen Feind verlangt der Verfafjer 10000
Fußknechte und 1500 reifige Pferdt „und ziemblich feldtgeihoh“. Das Heer zer:
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 475
jällt in drei Teile. Voran zieht dad „Renfeenlein“ (Borhut), in Stärke von
400 Pferden zum „fürzvgck“ mit entſprechendem Feldgefhüg und 2000 Knechten 5. F.
Darnad) folgt das Gros, Dies befteht aus dem „gewaltigen Geſchoß“ (Korps—
Artillerie), dem „gewaltigen Hauffen 3. F.“, der gemeinen Munition, dem „faulen
Haufen“ (Proviant, Troß) und dem „gewaltigen Reifigen Zeug“ (Reſerve—
Kavallerie). Den Beſchluß des Heeres, das in der angegebenen Reihenfolge zu
marjchieren hat, bildet der „Nachzvgk“: 2000 Knechte mit angemeſſenem Geſchütz
und entiprechender Reiterei. — An Artillerie gehören zu diefem Zuge: 4 Scharf:
mezen, 6 gute Kartaunen, 6 gemeine Kartaunen, 2 Steinbüchſen, 3 gute Mörfer,
1 gute Feuerbüchſe, 6 gute Notjchlangen, 10 gute halbe Schlangen, 16 alten,
200 gute Hakenbüchſen, alle® mit feinem vollftändigen Zubehör an Munition,
Beipannung, Wagen u. ſ. w. Ferner 3 Brüden, Fahrzeuge mit Nejerverädern
und Radbeitandteilen, 14 Sturmleitern, 1 Schmit, 8 Zimmerleut, 12 Seile,
100 guter Strid, 400 Pfennig-Strid, Brechzeug, Schaufeln, Haden, Pechpfannen,
Schwejelring, Windlichter, Laternen u. f. w. — Von diefer Artillerie gehen mit
dem „gewaltigen Zuge” (dem Gro8): erjt 4 Schlänglein, dann die Brüden und
unter bejonderer Bedeckung die großen Büchſen mit nötigjtem Zubehör. Die—
jenigen Munitions- und Vorratswagen, welde nicht für den nächiten -Bedarf
bejtimmt find, folgen dem Gemwalthaufen ala 2. Staffel. Vor: wie Nachhut find
je nad Umjtänden, zumal unter Berüdjichtigung des Geländes, mit Geſchütz
auszujtatten.
Bor belagerten Plätzen ift der Artillerieparf dur Einfriedigung mit
Seilen und Ketten gegen plößlichen Anlauf zu fihern. Die Schanzen (Batterien)
ind durch Schanzkörbe zu deden und fein Unberufener darf jie betreten. Man
hüte ji vor unnügem Schießen und überlege die Munitionsverteilung gar wohl;
„denn die Welt ift gar vorteilich worden“.
Im Gefecht it die breite Ordnung der tiefen vorzuziehen, und mit
vielen Meinen Haufen läßt ſich mehr ausrichten als mit wenigen großen. Bes
jonder& wirkungsvoll ijt der Gebrauch des zerjtreuten Gefechtes (lauffer
vnd anhang). Wer über 10000 Dann Fußvolls verfügt, der nehme 6000 in
den gewaltigen Haufen und jtelle den dreimal jo breit als lang (tief).
„Alſo vil ein ordnung breitter ift wider die andere, aljo weit bricht man in die
jeitten ein vnd faht die jchmale ordnung zwiſchen die arm“. Mag dann aud
die jhmale Ordnung mächtiger an Volk fein, „wenn man ir in jeitten fümpt,
jo ijt jie verloren; denn es mühen doch die förderſten 5 oder 6 Glieder die Schladht
gewinnen oder verlieren ehr mehr Leut zu der Arbeit fommen fünnen .. .)
darum fo laßt euch von den breitten ordnungen niemals (ab=)reden. Es hats
mir Kayjer Marimilianus, Gottjeliger, auch alzeit beuolhen, der doc ein vor—
nemblicher Kriegsmann war“. Es iſt das ganz im Sinne Seldeneds S. 333].
Dreihundert Knete und etliche gute Büchſenſchützen werden unter 2 Gejellen
‚Unterführern) dem Haufen als „Lauffer“ angehängt; fie jtürzen im Augen—
1) Das erinnert lebhaft an die Worte in Marimilians „Lehr* [XV. 8 37]:
Denn der erften Treffen ſchlahen vnd jcherz
Iſt bayder thayl hoffnung und herz.
476 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienihaftlihe Werte.
blide des Angriffs rechts und linfs aus der Tiefe vor und werfen ſich jofort auf
das feindliche Geſchütz, womöglich bevor e8 zum Schuh fommt. Dies „zerjtreute
Bold“ entzieht ſich durch jeine geihwinden Bewegungen den Schlägen geſchloſſener
Haufen und ijt weniger leicht durch das Handgefhügß zu treffen. Hinter dem
Gewalthaufen folgt noch ein dritter Anhang von 500 Knechten, der ſich im ent-
icheidenden Augenblid auf eine der Flanken des Gegners wirft, was ſtets große
Wirfung tut. ()) Dem Gewalthaufen, welcher aljo mit feinen 3 Anhängen 68300
Mann jtark it, geht der „Verlorene Haufen“, die Avantgarde, voraus, welche
3200 Mann zählt. Davon jind 3000 Mann in einem breiten Haufen geordnet,
200 Läufer gehen auf den Flügeln vor. Der verlorene Haufe greift des Gegner:
Vorhut an; aber der Gewalthaufe wartet den Verlauf dieſes Gefechtes nicht ab,
jondern bleibt im Vormarjche und greift, jobald er. heranfommt, rechts oder links
der Avantgarde ein. „Das bricht den feindten den half ... Dieje orönung
mit den lauffern vnd anheng ijt ein verborgen Ding, do nit ein
gemeiner Braud ijt“.
Der Reifige Zeug (Kavallerie) von 1500 Pierden ſoll in 3 Haufen ge
gliedert werden, zwei zu je 600 und einer zu 300 Pferden. Bei dem leßteren
ſoll der Oberjtfeldhauptmann bleiben. Die beiden großen Haufen zerfallen in je
3 Fühnlein zu 200 Pferden, welche als Angriffsitaffeln dienen; die 300 Pferde
des Oberſtfeldhauptmanns bilden eine ©eneralreferve, mit der er perjönlid
da „trifft“, wo die Not am größten oder die Schlaht „am gewinnlichſten“ üit.
„Und foll jich nicht daran fehren, daß man jagt, er jey im Treffen der Legt
geweſen.“ — Offenbar ijt der Angriff der Reiterei mwejentlid) nur wieder gegen
Neiterei gedacht. Auch hier gibt der Verfaffer der breiten Ordnung den Vorzug:
„Ih halte viel Hauffen und breitte Ordnung vor guth, dab viel
leute zum treffen vnd wehren fommen mögen vnd binden, fornen vnd uffen
jeitten die Feinde angegriffen werden... sKehret euch weder an Sonne nod
Windt vnd zuget dem Feinde ſtracks vnder augen, wie du ihm ankommen biit.
Wiewol der windt vom gejhüß zuweilen einen blenden mag, es vergeht bald:
vnd mwirdt feiner aljo blindt von der Sonnen nody vom mindte werden,
daß er nicht einen großen hauffen leutte jehn könnt!“ — Die Anordnung der
Reiterei und des Gejhüges in der Schlacht hat durchaus nach Umjtänden zu
geichehen, namentlich nad) denen des Feldes, „darinnen man begriffen it“, umd
„nach des gegentheils, des feindes ordnung“. Dit der Gegner an Reiterei über:
legen, jo joll man gegen dieſe das Geſchütz wirken laſſen, andernfalld wähle
dies das Fußvolk zum Ziel. Womöglich verteile man Reiterei und Gejihüg auf
die Flügel.
Im Lager hüte man ji vor Überfall, der immer ihimpflih ist. — Feite
Städte, die man einzunehmen geringe Ausſicht hat, verjuche man nicht auszu—
hungern, damit verliert man nur Zeit; ergibt die Berennung, dab der Platz zu
ſtark ift, jo ziehe man getroft wieder ab. (Das Verbeißen auf ausfichtSloje Be
fagerungen war ein Hauptfehler der Zeit, der bei der Schwierigkeit, die damaligen
Heere lange zujammenzubalten, doppelt jhädlich wirkte.) — Der Belagerte jorge
durch jtrenge Quartierordnung für eine wohlgegliederte Verteidigung.
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 15%. 477
Der „Trewe Rath“ iſt eme wahrhaft ausgezeichnete Schrift,
welche in taktiſcher Hinficht jogar diejenige des Machiavelli noch über:
trifft, weil die gegebenen Vorſchriften durchaus mit den wirflichen
Verhältniſſen rechnen und lebendiger perjönlicher Erfahrung entjprungen
ind. Ganz bejonders bemerkenswert jind die Anweijungen über
den Gebrauch des Fußvolks.
Die gegenfeitige Flankendeckung der vorgehenden drei Haufen entjpricht der
aud von Maciavelli gepriejenen jchweizeriihen Fechtweije, und „dag verborgen
Ding“, d. h. die „Ordnung mit lauffern vnd anheng“, zeigt den Verfafler auf
der Höhe der Technik. Das Zurüdhalten einer Rejerve für den entjcheidenden
Schlag, ihr Vorziehen aus der Tiefe und ihre Verwendung auf des Gegners
Flanke ift ganz vorzüglich gedadht und mahnt jowohl.an die „Flügel“ in Kaiſer
Marimilians „Lehre“ als namentlid aud; an Frundsbergs Manöver bei PBavia,
wo er mit dem einen zurüdgehaltenen Regimente unter Marr Sittich von Embs
die Schwarzen Fahnen der geächteten Landsknechte im franzöfifchen Solde „wie
mit einer Zange anpadte“. Angeſichts diejer wirklich wunderbaren Ähnlichkeit
des Verfahrens bei Pavia mit der Vorjchriit des „Irewen Raths“, möchte man
faft Frundsberg, der ja auc dem Kaiſer Mar perſönlich nahe geitanden, jelbjt
für den Berfajier unjerer Schrift halten. Wie dem auch ſei: jedenfall3 offenbart
ih in ihr der reidye Geiſt eines vielgeprüften tüchtigen Feldhauptmanns, der
aber doch, trog der Vollreife jeiner Erfahrung, jo bejcheiden it, daß er am
Schlufje um Verzeihung bittet, wenn er irgendwo zu viel gejagt haben jolle:
„denn es ijt ein guter Rath und Wahrnemung vnd nicht ein geboth.“ — Leider
lehrt die Kriegsgeſchichte, daß die vortrefflihen taftifchen Direktive des treuen Rats
den meijten Zeitgenofjen „ein verborgen Ding“ geblieben find; namentlich wurden
die Vorteile einer Verbreiterung der Front ſowie der einer Erhöhung der Beweglich-
feit durch Aufjtellung vieler kleinerer taftiiher Einheiten, nur von Wenigen be-
griffen. Nach wie vor beherrichten die übermäßig großen und tiefen vieredigen
Sewalthaufen alle Schlachtfelder des 16. Ihdts.
Im Drud wurde der „Irewe Rath“ erjt jehr jpät, nämlich 1588 von
einem gewiſſen Wingenberger, mit einem Anhange herausgegeben u. zw.
ımter dem Titel: „Bejhreibung einer Kriegsordnung zu Roß vnd
Fueß ſamt der Artalarey. Bon einem Wolgeborenen Edlen Herren vnd
wolerfahrenen Obrijten, welcher jeinen trewen Rath etlihen hohen PBotentaten,
io ihn darumb erjucht, jchriftlich mitgeteilt hat. DVergleihen vor niemals in
Drud ausgangen, fein furg, verjtendtlich, deutlich vnd far.” (Dresden 1588)". —
Daniel Wingenberger war „Hurfürftl. jäch]. gewejener Rojtbereitter”. Der Anhang
beiteht in der Kriegsbejtallung Kaijer Karla V. von 1543 nebjt dem Malefiz= und
Langeſpießrecht. — Intereſſant find die im Titel gegebenen Andeutungen über die
Entjtehung des „Irewen Raths“, die jehr wahricheinlich Klingen; die Epitheta, mit
denen Winpenberger den Berfafjer bezeichnet, würden alle auf Frundsberg pajjen.
1) Exemplare in der Gothaer Bibl. und in der des Berliner Zeughauſes (A. 29).
478 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
8 10.
Früher gedruct als der „Trewe Rath“ und vermutlich wie diejer
anfangs der zwanziger Jahre gejchrieben it Hans Buftetters „Ernit-
liher Bericht, wie ſich aine Frumme Oberfayt Vor, In vnd Nach
den gefärlichjten Kriegsnöten mit klugem Vortayl zu ungezwegfelten
Sieg löblichen vben vnd halten joll“. Dies jehr jeltene Buch erjchten
1532 bet Stayner zu Augsburg).
Die Heine Schrift, „ainem Fürnämen Radt des Hlg. Rychs Stadt Augs—
burg“ gewidmet, ijt nur 26 Blätter ſtark und demgemäß begreiflicherweije jehr
allgemein gehalten. Der VBerfajjer war wohl fein Kriegsmann; denn ofienbar
haben ihm zuweilen antite Vorbilder vorgeleuchtet, und deren Benugung lag den
praftijchen Kriegsleuten jenes Zeitalter meijt fern. Aber Bujtetter hat jeinen
Stoff doc auch jelbjtändig durchdacht, fennt den Krieg mindeſtens aus eigener
Anſchauung und war daher wohl im jtande, eine zwar nicht bedeutende, doch
recht charakteriftiiche Arbeit zu liefern, deren Anordnung allerdings viel zu wün-
ſchen übrig läßt. — Folgendes find die Stihtworte des Jnhaltes :)
Bon erretung der erlangten herrſchafft. Erwägung des Kriegs. Geerführen.
Eigenjchafften eines Oberjten. Ampt- vnd beuelhslüte. Gemainen huffens
mufterung. Bejoldung. Bejtelung vnd Artidel. Ubung der Veldtſchlachten.
Feſtinen. Wachten. Prafannd. Argwennige jtätten. Guldwerbung. Waher ge:
präft Wafjermangel). Ußfall. Anſchläg. Entjhüttung (Entſatz). Wiederkerung
verlorner ſtett. Trewloß dück (Empörung). Belegerung der ſtetten vnd gelenden.
Spänigkeit der Belegerung. (Bei Zweifel und Zwieſpalt im Kriegsrat ſoll das
Los entſcheiden, welche Stadt zu belagern ſei). Vßraytzung ſins Winde. Vom
Sturm. Sprachhaltung. Betrügliches jnnämen. (Kriegslijt), Späher, Verrätter
vnd Veltflüchtige. Gehaymnus vnd ſtiligkayt der zungen. Brafandt. Vffgebung
der Stetten. Vom Ayd. Nachburſchafft vnd frundſchafft. Des Fürſten leger.
Schantzen. Myttery. Bon Hilff. Von der Vind leger. Mär vnd geſchry.—
Denkzeichen (Memoriale). Erfarung des finds gehymnus. Botſchafft. Abraytzung
der vindenn. Zertrennung der vindenn. Giſeln. Ordnung des veldtzugs. Kund—
ſchafft. Kindtfang (Überfall). Kryden (Loſung, Schlachtruf). Bewaffnung. Vorzug.
Cluſen vnd Engwege. Schlacht. Zyt. Platz. Hurnwaybl. Bevelchslüt. Ringe—
pferd (leichte Reiterei). Kürißer. Veldtgeſchütz. (Hat der Feind mehr Artillerie
als man ſelbſt, jo ſoll man ihn „im platzregen vnd dickem nachtnäbel vberfallen“).
Schlachtordnung. Angriff. Abgzug oder flucht. Vßleſchung des vnfalls. Er—
legung der Flüchtigen. Sigliche Behutſamkayt. Vertuſchung des erlittnen Schadens.
Rach. Beſtätung der Wankelmütigen. Plätzblünderung. Gefangene. Endliche
Summe des Sigs. Vrlob.
1) Ich fenne nur das eine Exemplar im Germaniſchen Muſeum zu Nürnberg (Nr. 786). Ignaz
Peters, welcher ben „Bericht“ neuerdings wieber abgebrudt hat (Bonn 1887) ſtützt fich dabei auf ein
Eremplar der Dresdener Bibl. und auf eins der Bibl, des F. f. Infant.Regts. Prinz Georg von
Sachſen zu Piſek.
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 479
Das Bud) redet aus einem treuherzig biederen, jchweizeriih anmutenden
Tone, der um fo mehr hervortritt, ald es in auffallend altertümlicher Weije, in
einer Miihung allemanijcher und ſchwäbiſcher Dialeftformen und mit jehr ver-
worrener Orthographie gejchrieben if, Ganz bejonderen Nahdrud legt Verfaſſer
auf die moralifchen und pſychologiſchen Momente der Heerführung. Die technijchen
Vorſchriften find, obgleich das taktiihe Element jo viel Raum beanjprudt, im
ganzen genommen, recht unbedeutend. Beijpielsweije führe ich den Abſchnitt über
„Srönung des veldzugs“ an:
„Der Fierer fol beueldy) und kuntſchaffter, vom Fürſten, allayt empfahen,
wo auß er den huffen fieren jol. Ain yeder beuelchßman jn funders fines amptg
pflägen, die ringen pferd jöllend aud) ſampt empfangnen kuntichafiteren alle windel
ergründen, vnnd wo der vind geferlihe Haymlifayt übt, dem fürjten Yylendt ver-
funden, Wie wydt aber der vindt von jm zücht, jol er doch die knecht allweg jhn
rechter glidmaß, jtyffer ordnung, bewarter hut, zu bayden jitten mit den jchügen
vnnd ſchweren pferden, den troß jn die mitte, aljo bezwingen, wo der vind här flug,
das er ſy allenthalbenn beſchloßen vinde, und mit gejpöt vffs minjt enwychen muß“.
Frönsperger hat Buſtetters „Bericht“ in feine Werke aufgenom-
men [$ 32], u. 3m. als Anhang in feine „Fünf Büchek von Kriegs—
vegiment vnd Ordnung“; in das große Kriegsbuch (1566 ff.) hat er
ihn, jprachlich umgejtaltet doch fajt unverfürzt, an verjchiedene Stellen
verteilt. Seiner jchlechten Gewohnheit nach nennt er den Verfajjer
nirgends, ſodaß man ihn jelbjt für denjelben halten muß. Wie hoch
er aber den Bericht jchägt, zeigt das Motto, welches er ihm in den
„Fünf Büchern“ voranjchidt :
„Gliebt euch der Teutihen glüd vnd Ehr
Wägt, wagt, bejteht nichts on dieje Lehr!“
811.
Tiefer als Bujtetters Schriftchen wurzeln im Studium der Antike
die De re militari libri II Jacobi comitis Purliliarum.
Das Tateinijch abgefaßte Büchlein tt dem Erzherzoge Ferdinand,
jpäterem Könige von Böhmen und Ungarn, gewidmet, in welchem
der Verfafjer die vorzüglichjte Hoffnung des Abendlandes gegenüber
der Türfengefahr erblidt. Die Annahme der Dedifation jeitens des
Erzherzogs datiert aus Innsbrud vom 15. März 1525, und in diejem
Sahre iſt das Werk wohl auch zuerſt gedruct worden.
Die ältejte Ausgabe, welche ich kenne, ijt die von Straßburg 1527), die
auf dem Titel ausdrücklich als Wiederholung einer früheren gekennzeichnet it.
Die von 1525 datierte Zuſchrift des Erzberzogs iſt in dieje Straßburger Aus:
1) gl. Bibl. zu Berlin (H. u. 9715).
480 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
gabe nicht aufgenommen, findet fi) aber in einer venetianifchen Ausgabe von
1530). Jedenfall® muß das Buch zum erftenmale vor dem Jahre 1526 gedrudt
worden ſein; denn in jenem Jahre, dem der Schladht von Mohacz, wurde Ferdinand
König don Ungarn und Böhmen, konnte alfo nicht mehr nur als jpanijcher Prinz
angeredet werden, wie es in der Dedilation geichieht?).
Der Autor meint: jo manche gelehrte Leute hätten vom Kriegs
wejen gejchrieben, immer aber nur vom Amte des Feldherrn und den
Pflichten der Mannjchaft, nicht eigentlich von dem, was im Felde
Nuten und Schaden bringe. Auf dies doch jo wichtige Gebiet habe fich
nur Frontin eingelaffen. Dieje Lücke wolle num er, der Comes, füllen.
Man jolle dem Berfafjer nicht entgegenhalten, daß es unmöglich jei, ange—
jicht® der unendlichen Berjchiedenheit der Kriegslagen Lehren und Regeln aufzu—
jtellen; geichehe doc, nichts, für das nicht in der Vergangenheit ein Analogon
aufzufinden jei. Die Dinge lägen ganz ähnlich wie in der jurijtiihen Praris,
wo die Sapungen, nad) denen Recht gejprocdhen werde, fid) doch auch nur dur
Bergleich mit nahe verwandten früheren Vorgängen ergäben. — Der Traftat
trägt ein vorwfegend gelehrtes Gepräge und ijt weſentlich aus vegetiihen und
leoniſchen Reminiszenzen zujammengearbeitet, nimmt aber doch oftmald auch auf
die eigene Zeit Bezug, und nidt jelten hört man Nachklänge des italienischen
Eondottieretums heraus. — Es find furzgefahte, bunt aneinandergereihte Para—
graphen. 3. B. folgen unmittelbar aufeinander: — Bom Gleihmut des Feld-
bern. Wie eine Stadt zu ftürmen. Was zu tun, wenn des TFeindes Heer
größer als das eigene. Es bringt einem Oberjten Schmad), wenn er im Sommer
nicht zu Felde zieht. Welche Ortlichkeit zum Schlachtfelde zu wählen. Von der
Kleidung eines Heerführers u. j. wm. — Intereſſant ift e8, daß der Autor rät, den
Deutichen und Franzojen gegenüber den Krieg in die Länge zu ziehen. Beide
Bölter jeien gewaltig im Angriff, hätten aber enorme Bedürfniffe und infolge-
defien feine Ausdauer. Es ijt wohl da8 Studium der Antife, da8 den Grafen
von Burlilien davon überzeugt hat, daß es beſſer jei, mit den eigenen Untertanen
jtatt mit Söldnern Krieg zu führen. Darin jtimmt er durchaus mit Machiavelli
überein; ja er behauptet (freilich irrtümlich), eS jei das die Meinung der ganzen
Welt mit Ausnahme der reihen Benetianer. Bejonders die Bejagungstruppen
jeien jtet3 aus Ortsangehörigen, u. zw. wo möglich aus den edeljten und mwohl-
habenditen Angejeflenen zu bilden; denn dieje jeien durd) Intereſſe und Ehre
gebunden, die ihnen anvertraute Landſchaft oder Stadt zu hüten ®).
Auch dieje Schrift erfreute jich langdauernder Anerkennung.
Zu Paris erihien 1543 eine dem Herzoge v. Orleans gewidmete fran-
zöſiſche UÜberſetzung: Le guidon des gens de guerre, faict et compos& par
1) Bücherei ded Berliner Zeughaufes (A. 10).
2) Der Verf. muß damals jchon ein alter Herr geweſen jein; denn man befigt von ihm eine
1492 von Gerard. de Flandria gebrudte Abhandlung De liberorum educatione.
2) Ein merkwürdiges Beiipiel dafür ift bie berühmte Belagerung von Siena 1555 an befien
Verteidigung unter Montluc 4 Bataillond von Damen ſchanzend und fechtendb teilnahmen.
2. Die allgemeine Literatur big zur Schlacht bei Pavia 1525. 481
Michel d’Amboise, escuyer, seigneur de Chevillon, dict l’esclave for-
tune. Sie gilt in Frankreich bis Heutzutage als eine Driginalarbeit, wurde als
L'art et guidon de la guerre 1552 zu Paris neu aufgelegt und ijt jüngjt wieder
als eine Schrift d'Amboiſes unter den Rublilationen des Journal de la Librairie
militaire der franzöfiichen Armee dargeboten worden. (Paris 1878). — Eine
Verdeutjhung gab Petrus Marcadus 1595 zu Lauingen heraus H.
g 12.
Nächſt Machiavellis Werk und dem „Trewen Rathe“ iſt wohl
die intereflanteite friegswiljenjchaftliche Arbeit des erſten Viertels des
16. Ihdts. eine Deutjche Kriegsordnung, die jedoch nad) Inhalt
und Stoffanordnung feineswegs den sette libri, jondern weit mehr
dem Traftate des della Valle ähnelt. Wie in der Folge nachgewiejen
werden wird, ijt die Kriegsordnung um 1524 gejchrieben worden
die Ältejte Faffung aber, in der fie vorliegt, iſt eine als „Adels- und
Kriegsbuch“ bezeichnete Papierhandſchrift der kgl. öffentlichen Bibliothek
zu Dresden (ms. C. 94b), die aus d. 3. 1526 jtammt ?). Von ihren
127 Blatt füllt 45 eine Einleitung, welche den Charakter einer
Flugſchrift trägt, indem jie mit vednerischem Feuer von den Schäden
der Zeit, namentlich von dem militärischen Berfalle des Neiches |pricht
und Mittel ſucht, jolchen Übeln zu begegnen.
Bejonders empört ift der Verfajjer über das VBordringen der Türken in
Europa. „Warumb aber vnſer altfördern jo treg gewejen, dab dem Turckhiſchen
Hund der ſchwantz jo weit vber das nejt hinausgewachſen iſt vnd ungeſtutzt be=
lieben, das hat zween vrjuch“: nämlich das jelbjtiihe Darauflosleben und die
leidige Uneinigfeit der Chriftenheit, zumal der Deutſchen. Der Autor will nun
die Mittel zur Reorganijation der Wehrverfaffung durch Sekularijation der geijt-
lien Stifter gewinnen, indem er deren Einkünfte für Kriegsbedürfniſſe ver:
wendet und auf ihrem Grund und Boden in den alten PBfründenjtellen ritterliche
Männer auferzieht, die einen neuen Georgenorden bilden. An Stelle des Dom-
probſts jeßte er einen Feldmarſchalk, an die des Dechanten einen oberjten Haupt
mann der Fußknechte, an die des Kuſtos einen Feldzeugmeijter und an die des
Scholajticus einen Oberjten Qutinant. Die andern Chorherren oder Mönche
werden durch Nitterbrüder erfegt. Darum rühmt der Autor den legten Hoch—
meifter des deutjchen Ordens, der (1525) „das ſchwartz dunkel Creuß, jo außen
an dem mantel, hingelegt, vnd das rot pluetfarbereug Chriſti inwendig in jein
Herg gejhmiegt“. Wenn an die Stelle der geiftlihen Hierarchie eine militärische
ı) Die franzöfiiche Ubertragung von 1552 und die Verdeutſchung von 1595 finden ſich in der
berzogl. Bibliothel zu Wolfenbüttel.
%, Das Datum 1526 ergibt ſich mit Sicherheit daraus, daß in der Einleitung als gleichzeitig
von dem Abichlufje desjenigen Bünbniffes geiprochen wird, welches in ber folge ala die ſog. „Heilige
Liga* belannt wurde.
Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 31
482 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
gejegt und deren Stellen, wie es jich gebühre, mit deutjchen Edelleuten bejegt
würden, jo werde der Adel auch wieder zu höherer Geltung gelangen, während
er zur Beit durd den Glanz und die Üppigkeit der Bürger und Kaufleute ganz
verdunfelt jei. Niemand fünne jept den Edelmann an der Tracht erfennen, und
darum empfiehlt er den Fürjten, Grafen, Freiherrn und gemeinen Edlen als
„Liberey“ und Rangabzeichen goldene Schaumünzen auf der Brujt zu tragen, zu
denen er Zeichnungen mitteilt. Auch die verjchiedenen Kriegsämter jollen
ſich durch folde Ehrenmünzen unterjheiden: in der des Oberjten Feldhauptmanns
mögen zwei gefreuzte Kommandojtäbe jtehen, in der des Oberjten Lieutenant:
ein jolher Stab. Der Landsfnehtsobrijt führe zwei gefreuzte Hellebarden, der
Feldmarſchalk zwei gekreuzte Schwerter und der Zeugmeijter zwei gefreuzte Schlüflel.
Mit BI. 47 beginnt dann das eigentliche Kriegsbud, das in
drei Haupt-, Tittel“ zerfällt: 1. Regiment vnd jtat der ſchloß, da
man jich verjicht fur zu legern. 2. Regiment vnd jtat der arteloria
jambt aller mundicion. 3. Regiment vnd jtat der fußknecht jambt
jrem artickl brief... vnd von der gerayjigen Regiment, vnd wie
ans aus dem andern fleujt und ye ains dem andern die Hand beut,
auch ains on das ander nit vil frucht wirdhen mag. — Daran ſchließt
jich ein Anhang. Diejer behandelt die Pflichten und Rechte, nament-
(ich die Bejoldungs- und Beute-Anjprüche der verjchiedenen Kriegsämter.
Einen weiteren Anhang vom Feuerwerk enthält eine mit dem Dresdener
Manuffripte vielleicht gleichaltrige Papierhandichrift der Bücherei des Berliner
Beughaujes (ms. 5), der dagegen die militärpolitijhe Einleitung fehlt). In
einer dritten alten Handſchrift, welche der Bibliothef des FZM. v. Hauslab
angehörte ?), findet ſich der Feuerwerksabſchnitt ebenfalls; aber dafür iſt nicht nur
die Einleitung, jondern auch der dritte Hauptabjchnitt weggelajien. Alle drei
Hauptabjchnitte, doch weder Feuerwerksbuch noch Einleitung enthält die treffliche
Handichrift der Kandesbibliothef zu Kaſſel (ms. math. fol. 18), alö deren Be-
iger Wylh. Schwab, Büchſenmſtr. zu Wertheym, mit der Jahrzabl 1531
eingejchrieben ift. Ähnlich it ein Eremplar der k. f. Hofbibliothef zu Wien.
(Nr. 10940. I.)
Gedrudt wurde das Werk ganz überemjtimmend mit dem
Dresdener Manuſkripte, doch unter Bejeitigung der flugjchriftartigen
Einleitung mit dem Titel: „Kriegsordnung“?).
1) Eine andere Handjchrift des Zeugbauſes (ms. 6) enthält noch eine Kopie des 2. Haupttitels
„Regiment und Stat der Artelarey“. Auch der Abſchnitt von den Fußknechten war vorhanden, ift
aber ausgejchnitten. An dies Fragment reiht fi Hanns Gamenturs Feuerwerlsbuch [8 48).
*) Diefelbe ift mit einem Augsburger M. ©. von 1548 zujammengebundben. Der fFeuerwerts-
abichnitt beginnt mit den Worten: „Nun folgen gewaltige ſtuckh vom fewrwerdh*. (Bel. Schneider:
„Bufammenftellung und Inhaltsangabe der artilleriftiihen Schriften und Werke in der Bibliotbet
©. Erz. des Herrn Fß8M. Ritter v. Hauslab.” Mitteilungen über Gegenftände ber Artillerie und
ſtriegswiſſenſchaft, herausgegeben v. k. k. Artillerie-tomite, Wien 1868).
3) Dieje große Seltenheit befigt die herzogl. Bibliothef zu Gotha (Friebenftein).
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 483
Ort und Jahr find nicht angegeben, weder bei der eriten Ausgabe noch bei
den nädjtfolgenden, weldhe den Titel führen: „Krieg ordnung new ge
macht. Bon Bejagung der Schlößer, was darzu gehört vnd tröftlich iſt. Artikel—
brieff der Krieghleut jampt derjelbigen Eyde. Wievil vnd was leut darzu zu
prauchen; Ordnung vnd Regiment der Artalerey oder geſchütz, des friegsraths,
der wacht vnd was Eerlid oder nit in Bejaßungen gehandelt werden mag. Bon
allen gejchlehten der püchſen und jren wägen . . . jamt einem naduolgenden
Regiment eined gewaltigen Feldtzugs . . . faſt dienjtlich in friegsleuffen“ H.
Der Wortlaut diefer Ausgaben weicht von dem der Edit. princeps nur ganz
unbedeutend ab. Man darf annehmen da der erjte Drud des Werkes um 1527,
der zweite um 1529 erſchien.
Die erite dDatierte Ausgabe ift diejenige, welche Michael Blum
1554 zu Leipzig veranjtaltete. — Übrigens wurde das Buch zu einer
Zeit, da es längjt gedrudt war, auch noch abgejchrieben, und jo be
ſitzt z. B. die fol. Bibliothek zu Berlin ein prachtvolles Bergament-
manujfript der Kriegsordnung von 1542.
Dieje Handichrift (ms. Germ. fol. 5) ijt betitelt: „Unterricht vnd angeig
dieß Buchs zu Kriegsjahen vnd NRegimenten, einem jeden Kriegsherrn, der Krieg
brauchen fol oder muß, jehr nug vnd notturfft. Auch allen Kriegsleuten ein
guts Regijter vnd Memorial, Kriegsordnung vnd Regiment dardurd leichtlich
anzustellen vnd zu erhalten. Wird in drey untterjchiedlihe teil verfahet vnd
ausgeteilt. Vnd welder herr friegen fol vnd muß vnd dei benötigt ijt vnd
durch fein mittel dei erjparen fann, dieweil feiner nit lenger Fried haben mag,
dann jein nachbawr will, jo muß man friegen vmb guts Friedens willen vnd
aus der not ein tugent machen“ Das Manuffript ijt koſtbar ausgejtattet und
mit berrlihen Miniaturbildern der vornehmiten Kriegsämter geihmüdt. In der
Säuleneinfafjung des zweiten Bildes jteht die Jahrzahl 1542.
Dies Manuffript rührt jedenfall aus Brandenburg. Fürſtenbeſitz her; dafür
zeugt der mächtige rote Adler auf dem erjten Blatte. Vielleicht war es ein
Ehrengejchenf Kaiſer Karls V., deſſen Bildnis als „Oberfeldhauptmann” das
Buch eröffnet, vielleiht audy gehörte es dem Markgrafen Albredt, Herzog von
Preußen, der dieje alte Kriegsordnung wenig verändert in fein großes militärijches
Compendium aufgenommen hat [$ 23]. — Eine minder jorgfältig ausgeführte
Kopie, der jedoch die legten ſechs Kapitel fehlen, bejigt die Berliner Bibliothek
in dem Bergament-Manujfript Germ. fol. 6. — Bon beiden Handſchriften gab
G. F.(riedländer) zuerſt Nachricht (Ztſch. j. K.W. u. Geſch. d. Krieges. 70 Bd.
Berl. 1847); er wußte aber nicht, daß fie gedrudt jeien. — Ebenfalls von 1542
I) Bwei Eremplare in ber fol. Bibl. zu Berlin (W. o. 2816 u. 2824), beide in Sammelbänben,
deren einer nur Schriften a. d. 3. 1529 enthält. — Ein Eremplar im Beige bes Verfaflers. — Zwei
Eremplare befigt die Bücherei des Berliner Beughaufes. Das eine (A. 9 in FI. 4) trägt burdaus ben
Eharalter des Egenolph'ſchen VBerlaged. Auf feinem Xitelblatt ift mit Tinte vermerfi: »Pro Jacobo
Sehulthais Constannensi emptus hic liber Basiliae 12 Rappis, à servatore (!) nostro nato 1538. «
Die andere Ausgabe (fl. #01.) ift etwa 30 Jahr jünger und befindet fich in einem Sammelbanbe (B. 782),
deſſen Hauptinhalt dad Werk des Rivius |$ 42] bildet.
31*
484 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
ftammt eine gleich betitelte Abjichrift der Wiener Hofbibl. (Nr. 10929 II), die
als Anhang eine Bearbeitung des jpäter 8 24] zu erwähnenden „Rathſchlagks“
zum Türfenfriege bringt.
Der Inhalt des für die deutjche Kriegswiſſenſchaft hochwichtigen,
in mancher Hinficht geradezu grundlegenden Werkes iſt folgender:
Das erite Buch jept zunächſt „die fünff weſentlichen ſtück“ einer
Beſatzung auseinander. Dieje find: gute fejte Lage des Orts, gehöriger Vorrat
an Geihüg und Munition, entſprechende Ausrüftung mit Verpflegung, Ausficht
auf Entjag und endlich „romme vnd notuefte Leute. Dann wo das nit, jo
wer Crijam vnd Tauff aller verloren... Es feindt gewonlidhen inn allen Be-
jagungen dreierley fecten der menfjchen vnd haben doc Sechs namen, das jeindt
Adel vnd reutter, fußknecht vnd des hauß gewonlichen ehalten, handtwerder und
pawren. — 2. Was der Beſatzung die tröftlichijt zuuerjicht ijt. Der
principal oder kriegsherr der bejagung ſol jelbs eygner perfon im Schloß nit
bleiben... ber jeiner liebjten vnd nechſt gejipten freund ainer oder mer: der
fün, der Batter, die ram oder vnerzogen find; das macht der befagung ein ber;
vnd trojt. So mag fich der Principal bewerben, jo er draußen ijt, leib, eer vnd
gut zu retten, die jeinen vnd ander eerlich friegsleut zu behalten“. Nun folgt
eine Darlegung der nötigen Lebensmittel und der Armierung. Da heißt es u.a.
„Es ijt gut, daß man aud) die zimmer oder holgwerd der höchjten gepew abpred);
es fompt offt, daß die jpreifjel den weichprunnen vnſauber geben (auf grobe Art
Weihwaſſer jprengen), jo von dem ſchießen vmb ſich wirfft“ ). — 3. Artidel:
brieff mit ferrerem inhalt, dann hierinn in difer Copey vnnd form begriffen
it. — 4. Der Eydt. — 5. Wievil der nottürfftigen perjon in ain
befagung gehören“. Nämlih: Köche, Mepger, Küfer, Pfiiter (Bäder), die
darzu das Mülwerck künnen, Schneider, Schuhmacher, Schmied, Schloffer, Schreiner
und Zimmerleute mit dem nötigen Gerät. — 6. „Weibsperjonen, jo in einer
yeden Bejagung von nöten jeindt“. „Außer Näherinen und Kirantenpflegerinen
jollen aud) „ziwo oder drei Frawen“ bejoldet werden, „die yedermanns weyb jeindt“ ;
derhalben joll man fain eyfferung haben. Es joll auch der Hauptmann denjelben
armen weibern gleichen vertrag, ſchutz und ſchirm halten, und fainer gedenken, daß
er jie allain haben wolt. Es ijt unrecht welcher ein gemain einzeinen will ; darumb
jollen fie ain zymlich frawengelt nemen, tags zween creuger“ 2), — 7. Ordnung,
wie es mit dem geſchütz gehalten werden joll“; d. h. Einrichtung des
Dienjtbetriebes, an deſſen Spige der Püchſenmaiſter jteht. Der Mauergürtel (die
Leginen) ijt dabei in Abjchnitte geteilt, die ihre ganz bejtimmte Bemannung
haben. — 8. „Wie man den Ktriegsrath bejegen joll”. — 9. „Wie man
1) Un biefer Stelle fteht in der Dresdener Handidhrift: „Erempel, Frantzen von Sicking jeliger
geſchah auch alio*, wozu der Gothaer Drud noch hinzufügt: „dem Gott genab!* In der Berliner
Pergamenthandſchrift ſteht: „Exremplum, als Frantzen von Gidingen geſchach.“ Die jpäteren Ausgaben
lafien diejen Hinweis zum Xeil fort.
9) Diefer Paſſus ift in der Dresdener Handichrift durdhftrichen ; in der der Sammlung Hauslab
fehlt er; während ihn das Berliner M. ©. und der Gothaer Drud, jomwie auch die jpäteren Auflagen
enthalten.
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 485
die Wacht beſetzen ſoll“, eine ausführliche und lehrreihe Inſtruktion. —
10. „Wo man aus getrangter not aufigeben müjt. Wie das mit Eeren
gejchehen mög oder nit“. Als Iegitime Gründe für die Übergabe des fejten
Platzes gelten: Mangel an Leuten, Proviant, Munition oder Geld (!), Ausbleiben
des Entjages, jowie daß der „Schelm oder Peitilenz under fie käme“. — 11. Wie
man mit Eerren abziehen joll, daß der Kriegsherr jeine Kriegsleut der Eeren nit
ihelten mag“. Nach Auseinanderjegung ehrenhafter Kapitulationsbedingungen
beißt es weiter: „So die thädingen (Taiding, gütlicher Vertrag) von den Feinden
nit anzunemen ijt, jo mag dann das glüd ferrer verſuchen“. Dem entſprechend
wird geraten, Geſchütz und Borräte zu zeritören und nun „inn einer großen jtill
binauszuziehn . . . vnd follen fainen Lerman machen, es begebe ſich dann, daß
die Schiltwacht laut wird, alddann joll der Trummenjchlager trojtlid ein Lerman
ihlagen, vnd mit einhelligem gejchrei: Her, Her! Stich todt, jtich todt! (dem
Landsknechtsſchlachtrufe) jo fellt die wacht dohin dem Läger zu... Dent follen
ſie nit nachfolgen, bald wieder ein jtill machen vnd hinweg tracdhten, vnd der
Trummenjchlager joll ye bei der weil mit Heinen jtreichlin die trummel rüren,
jo mügen die verlauffen knecht ſich demjelben widerumb nachrichten hinwegzu—
fommen . . . So ſolichs gejcdieht, jo wißendt dannoc die Feind nit, ob die im
Schloß jeindt ausgefallen vnd wider hineingewichen oder ob das Schloß Rettung
überfommen had . . . Alſo mügen die guten gejellen rumwig hinweg fommen,
vnd finden hernach die feind nicht? dann Drümmer vnd jtrid”. — Das Bud)
ihließt, nachdem es jo viel vom „Sawren“ geredet, mit dem Süßen, d. h. mit
Aufzählung deſſen, was nad) gelungenem Dienjte den Landsfnechten an bejonderen
Vergütungen und an Beute zuzufallen habe. — Endlich find noch einige allgemeine
Marimen angefügt, 3. B.: „Der Mard lernet framen, die gegenwürff lernen
friegen vnd die not lernet weg ſuchen; armut lernet gnaw fijhen“. Oder:
„Ordnung ift gut in allen dingen; auß vnordnung werden offt große Ding ver:
jaumpt, die da reichen zu vnüberwintlichen vnd ewigen jchaden“ !).
Das zweite Buch: „Statt vnd Regiment der Artelarey, wie das
Regiert vnd gehandelt werden joLl!“, beginnt mit einer Einleitung über
die allgemeine Heeresorganijation („das ganz Regiment“) „damit die vnder—
iheidt aller Regiment verjtanden werden, wie ains auß dem andern fleußt vnd
wie aind dem andern die handt peuth.“ Es heilt da: „Gewonlich haben die
gewaltigen Beldtzuge (Deere) drey Regiment als ein Römiſcher Kaifer oder die
Stend des Reichs u. ſ. w. oder der Pundt in Schwaben oder ein König in Hijpanien,
Frankreich und Engellandt, die Venediger vnd dergl.?), die etwa mit 20 Taujendt,
30 Taujendt, 60, 90 bis indie 100 Taujendt mann zu feldt ziehen, die jollen
ond müſſen die drey Negiment haben. Nemlich die Fürjten, Herren vnd Ritter:
1) An dieſer Stelle fteht in der Dresdener Handjchrift wie in dem Gothaer Drude: „Wa das
nit geſchicht, jo geet es offt über und vmb, wie wir das gejehen haben in difem Baurenfrieg vnd andere
ortten.” Dieſer erläuternde Hinweis auf den Bauernfrieg fällt in den fpäteren Ausgaben fort.
V Ju der Dresdener Handihriit und der Gothaer Ausgabe heißt es „bie Stennd des Reichs
u. f. w. oder als der Bundt yest in Swaben.“ — Die ganze Detaillierung und mit ihr der Hinweis
auf den Shmwäbiichen Bund fehlt in der Berliner Pergamenthandihrift, während fie in der Bapier-
dandſchrift der Zeughausbibliothet fteht.
486 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswifienichaftliche Werte.
ihafft jamt allem Reyjigem NKriegsuolt (Kavallerie) hat jein eygen Regiment
(unter dem „Veltmarſchalck“). Der Oberjtfeldtzeugfmeijter jampt aller Artelaren
bat fein eygen Regiment. Aller Fußknecht Oberft Hat fein eygen Regiment“.
Alle drei Regimenter zujammen aber „haben einen Oberſten Belthauptmann, der
it Oberjter über das ganz Beltläger wo der recht Principal oder kriegßhert
eigner Perſon ſelbs nit entgegen iſt“. Die drei Waffen müjjen bei einander
fein: „Man kann mit den Roßköpffen vnd langen Spießen (Kavallerie und In—
fanterie) Mauren, Thürn, Bolwerd vnd Bafteyen nit wol umbftoßen. Man
muß ein gewaltig geihüg vnd Artelarey haben; das fans thun; es iſt auch
dienlih zu Veltſchlachten; hat fie aber fein Reifigen Zeugf (Kavallerie), dazu
fein Fußvolck bey ihr, die ſie verhüten, verwachten, darob halten vor gewalt, io
ijt die Artelarey auch nit nuß; darumb jein fie alle drey gut bei einand“. —
Ehe er „zu der Artelarey greift“, jegt VBerfajier auch noch auseinander, „Wie
der Kriegsrath bejegt werden ſoll“. Er rechnet auf 20 bis 0000 Mann
im Felde „ain gang Zeughauß“, d. h. 55 Stüd Büchſen, „die auf der Art geent“
(fahrbar find), auf 50 bis in die 60000 Mann zwei Zeughäujer, auf 90 bis in
300 000 Dann „drey Zeugbeujer“.
Nun geht der Berfafler zur eigentlichen Darftellung der Artillerie über
und beipridt: 1. „Die Gejhleht der Püchjen im Zeughauß ind Belt“.
Danach „jeind aller Püchſen nit mer dann acht gejchlecht, die man auff der Art
(Achſe) ſcheuſt: Item vier Maurenprecher vnd vier Veldtgefhüg, pnd wann man
jm gleid) taujent namen geb, jo jeind jr doch nit mer (on die Morthier oder
Bbler und fewer Püchſen) dann acht geichledht“. — Die Mauernbredyer bejteben
aus: „Bier Mepilana, die wir nennen in jrem Teutſch Scharpfmeßen; der
aine jcheuft gewönlich ain zentner Eyjen vnd wigt an jrem Ror 100 zentner.
Item zwo Kana, die wir nennen Balijisco vnd ſchießen gewönlid 75 Pfund
Eyſen; die wigt an jrem Ror 75 Zentner. tem vier Duplicana, die man
nennet Nadhtgallen, ſchießen gewönlih 50 pfundt Eyjen, wigt an jrem Ror
50 zentner. Item vier Triplicana, die man nennet Singerin, jchießen
gewönlich 25 pfundt Eyjen, wegen auch an jrem Ror 50 zentner*). tem vier
Duartana, die man nennet Not= oder Biertail-Pühjen, die jchiehen
gewönlicd 25 pfundt, wegen auch an jrem Nor 25 zentner. Das find die vier
Maurenpreder“. — Zu dem Geſchlechte der Feldgejchüge zählen: „Fünf Trackang,
die man nennet zu onjerm teutjh Traden oder Notſchlangen, die jchiehen
gewöhnlid 16 pfundt Eyſen. Item jeh& Schlangfana, die man nenne
Schlangen, jhießen gewönlid 8 pfundt Eyjen. Item zehn Baldana, die
man nennet halbe Schlangen, ſchießen gewönlich 4 pfundt Eifen oder plen.
Item vierzehn Baldanet, die man nennet Falcken, ſchießen gewönlich 2 pfundt
pley. — Darzu gehören zwo fewer-Püchſen, daraus man fewer jcheuft“. —
— — —
ı) Der Berliner Pergamentcober fügt hinzu: „Wo der rechte Prinzipal oder ftriegäberr fjelbit
zu feldt zieht, da joll der Oberft des ſtriegßherrn Lutinant fein“.
2) Nachtgallen vnd Eingerin jeind zween namen aber nit mer dann ain geichlecht ; bie beid
ſchießen ain tügelein ainer größ vnd ſchwer, allain dat bie Nachtgall etwann zwehyer ſchuch Iemger
dann die Eingerin ift.”
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 487
Die ganze Summe eines Zeughaujes beträgt aljo 55 Geſchütze, nämlich 18 Mauer:
breder und 37 Feldgeſchütze. — Außerdem aber gehören noch zur Heeres—
ausrüftung: „Zween groß Morthier, die man nennet Narren oder Böler;
der ainer würfft ain zentner ftain, die gand durch jtarde gewölb. Der jol wegen
an jeinem Ror 50 zentner. tem zween halb Morthier; der ainer würfft ain
halben zentner vnd joll wegen an jeinem Ror 25 zentner. tem noch zwölf
Hain Morthier, der ainer von jeinem Ror on das gefäß 1 zentner gewicht
vnd nit über 8 pfundt wirfft. — Das madıt in der Summa 16 Morthier, daraus
mag man jewer oder jtain werffen“"). — 2. „Die überigen wägen zu dem
großen Geſchütz“ (Sattelmagen). — 3. „Die jumm der Ro, die an den
Püchſen ziehn“: Es gehören dazu 512 Pferde und 192 Perjonen. — 4. „Bon
den Bühjenmaijtern“ Diejen Titel führen nur diejenigen, welche Mauer:
brecher bedienen; die andern heißen „Beldtihügen“. — 5. „Wie die Püchſen
bejegt werden jollen“ — 6. „Eydt der Püchſenmaiſter vnd Veldtſchützen.
— 7. „Bie die Püchſen beuolhen (verteilt) werden jollen“. — 8. „Tar
oder Bejöldung der Püchſenmeyſter“. — 9. „Die Kugeln aller Rüden“.
— 10. ‚„Was die fügeln für wägen haben müjjen“. Es wird ein Geſamt—
gewicht von 2080 Ztr. für die Kugelmunition eines „Zeughaujes“ berechnet,
und dafür werden 108%Ys Wagen gefordert. — 11. „Summe der pferdt, jo
in den fugelwägen ziehn“ (434 Rob). — „zurleut darzu“. — 12. „Buluer-
wägen“. — 13. „Under Mundicey=Wägen“?), welche Brüdengerät, Rejerve-
munition, Schanzzeug u. dgl. nahführen. (Eine jehr ausführliche und einfichtige
Darftellung.) „Die Prudwegen, die jollen vor dem gangen zeugt hinweg geen
mit dem NRendtfenlein“ (Avantgarde), — 14. „Bon des Oberſten Zeug
maijters bejtellung“. — 15. „Artidel, darauffer jhweren joll“.
— 16. „Biennigmaijter oder zalſchreybers Ayd, der foll dem Kriegß—
herren ſchweren“. — 17. „Ain gemainer Ayd, allen andern beiten Artelarey-
perfonen“. — 18. „Die andern Artelareyperjonen mit jren jülden vnd
beuelh, was jr arbeit ijt“. Nämlih: „Schangmenfter, Schangpawren und ihr
Hauptmann, Zeugwart fampt der Tar, was für die Kugeln gegeben werden foll,
Geſchirrmeyſter und Furleut, Profos der Artelarey, Puluerhuter und Zeugdiener.
„Man joll aucd haben 8 Schneller, die da die großen jtüdbiüchjen von einem
Wagen auf den andern heben vnd die büchjen, jo oft not ijt, helfen jchmieren“ u. j. w.
Bei jedem diejer Ämter find deffen Aufgaben und Bejoldung genau augeinander-
gejegt, und jo ergibt fich ein höchſt anjchauliches Bild des gejamten Artillerie
wejen® einer deutſchen Feldarmee. — Eine bittere Klage über die Betrügereien
bei Anmwerbung und Mufterung jchließt diefen Abſchnitt: „Manchem (der ſich bei
mehreren Fähnlein bat anwerben lafjen) were not, dal er dreyfeltig were wie
Sott vnſer Herr; man findt manden, der, wolt er ainem Bidermann gleich jein,
er were vier oder fünff feltig, nit allain Gott vater, Sun, Hailiger Gaiſt, jonder
mutter vnd dochter dazu. Ich Hab jelbs ainen fennt, der het vnder
1, Dieje ganze Einteilung hat Preußen mwörtlid in jeinen unten (Anm. 2 ©. 490) zitierien
Auszug d. 3. 1530 übernommen.
2) Unter „Mundicey“ wird Munition und Beug verftanden.
488 Das XVI. Jahrhundert, I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
dreizehn Fendlin jold auff ainem Veldtzug!“ — 19. „Wie man das gejdhüs
vnd alle mundicey in ordnung füren joll“. — 20. „Freyheyt der
Artelarey“, d. i. ihre jelbjtändige Gerichtsbarkeit. — 21. „Des Oberiten
Beldtzeugmepyjterd Freybeyt und Prouit“. — 22. „Des Püchſen—
meyſters Prouit“. — 23. „DesSchangmaijter8PBrouit“. — Unter „Profit“
werden die bejonderen Emolumente verjtanden, die den Betreffenden nad einer
gelungenen Kriegshandlung aus der Beute zufallen.
Hier jteht nun in der Dresdener Handichrift ein Abjchnitt: „Aljo ent jich
die Artolerey vnd folgt hernad) der Beſchluß“. Die allgemeinen Betrahtungen
und Summen diejes „Beſchluſſes“ finden fih aud in der Berliner Pergament:
bandichrift von 1542, wo es heißt: „Alſo ijt der vntterridht, wie dad Regiment
der Artallarey gehandelt vnd gehalten werden joll ... Bngeuerli was ein
monat lang auf das gang feldtlager geburt, Gerayfigen, Artlarey vnd Fußknecht:
64596 FI. Vnd iſt dis ein warnung vor frieg zu hüten; dann es ijt zu glauben,
wann offt Fürjten vnd herrn difen bericht hätten oder in diefen Spiegel jehen,
was cojtens e8 haben will, Sy befonnen ſich wol ein weil, ehe jy jih in friegs-
handlung einließen . . . Gott verleihe vns jeine Gnad dargu. Amen!“
Das dritte Buch Handelt vom Regiment vnd jtat der Fußknecht
und wird mit einer Wiederholung der Einleitung des zweiten Buches eröffnet.
Dann folgt 1.der „Artidel brieff der Fußknecht“, d. b. die von den
Knechten zu bejchwörenden Kriegsartitel, weldhe „in gegenwirtigkeit des Oberiten
Hauptmanns den Knechten im Ring verjtentiglich vorgelejen“ werden jollen. —
2. „Artidel, darauff der Oberft Hauptmann (der Führer des gejamten Fuß—
volfs) bejtelt werden joll“. — 3. „Von bejtellung vnd Bnderhauptleut
über ain Fendlin fnedht“. — 4 „Ains yeden vorgemelten Bnder-
bauptmanns jhreybers Aydt“. — 5. „Bon den anderen einfachen
und Doppeljöldnern in ain Fendlin gehörig”. — 6. „Des Regi—
ments uber Söldt“ d. h. Verzeichnis derer, welche für jich und ihren „itat“
(ihr Gefolge) mehr als zwei Solde empfangen. — T. „Bon den Muſter—
herrn“. — 8. „Eyd der Mujterberrn“.
Überblickt man das gejamte Werk und fieht dabei zunächſt von
der Dresdener „Einleitung“ ab, jo zeigt jich eine merfwürdige Ana-
(ogie mit dem italienischen »Vallo« [8 8], da beide Schriften von
der Bejagung und Berteidigung eines feſten Platzes ausgehen umd
dann auch noch des Fußvolks, nicht aber der Reiterei gedenken.
Doch während das deutjche Werk den Hauptnachdruck auf die Aufbringung,
die Organijation und den Unterhalt von Perjonal und Material legt, be:
ihäftigt das italienische fi) vorzugsmweije mit den formalen Momenten, und
während della Balle eingehend die neu aufgefommene Bautechnik beſpricht und bin:
fichtlidy der Artillerie noh auf jo altfräntifhem Standpunfte jteht, daß er mehr
von den Feuerwerkskörpern redet ald von den Gejhügen, bringt die „Kriegs:
ordnung” nur ganz nebenſächlich einige fortififatoriihe Angaben, jegt dagegen
das artilleriftiiche Wejen in allen Einzelheiten jorgfältig auseinander, indes die
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht bei Pavia 1525. 489
Angelegenheiten des Fußvolks kurz abgefertigt, die der Reifigen eigentlich geradezu
ignoriert werden. Übrigens fehlt der das Fußvolk betreffende dritte Teil in einer
Handichrift ganz und ijt durch eine Abhandlung über Feuerwerk erjegt; der
zweite Teil endet in zwei Manuftripten mit „Amen“, und im Dresdener Manu—
jfript wie in den Druden beginnt der dritte Teil mit fajt wörtlicher Wieder:
holung des zweiten Teiles — called Anzeichen dafür, daß der Teil über das
Fußvolk erſt nadhträglid Hinzugefügt worden iſt, um ein urſprünglich weſentlich
artilleriftiiches® Wert einigermaßen in den Rang eines allgemeinen Kriegsbuches
zu erheben. Während il Vallo die formale Taktik des Fußvolkes mit bejonderer
Liebhaberei behandelt und ſich dabei jogar in Spielereien ergeht, werden in der
„Kriegsordnung“ taftiihe Momente jpärlich berührt, am eingehenditen noch bei
Belegenheit der Vorichriften für den Befehlshaber eines belagerten Platzes und
dann bezüglich der Marſchanordnungen, namentlid für Artillerie und Mundicey.
Im Bordergrunde jteht durdaus, wie ſchon erwähnt, die Frage der Beihaffung
und Organijation von Perjonal und Material unter bejonderer Betonung der
finanziellen Anforderungen. Diefe Haltung ift den deutjchen Werfen des 16. Ihdts.
überhaupt eigentümlid).
Fragt man nach dem Verfaſſer des merkwürdigen Buches, jo
gibt darauf eine Notiz Antwort, welche Hiob Ludolf!) auf das Titel-
blatt des Gothaer Drucderemplars gejchrieben hat. Sie lautet: „Diejes
Werk iſt durch Nidel Otten, Röm. Kayjerl. Mt. und des Bundes
zu Schwaben Zeugmeifter, und jeinen Leutnant Jacob Preußen
zulammengetragen, Wie auf dem Bericht vom Kriegsweſen, jo in dem
Weimariſchen Archiv befindlich fol. 108 zu erjehen, da em Auszug
aus diefem Werf genommen, zu befinden tt“. — Diejer Auszug it
num allerdings heute nicht mehr aufzufinden ?); die Angabe Ludolfs
aber iſt aus vielen Gründen in hohem Grade wahrjcheinlich; nur
muß es jtatt „Nicdel“ vielmehr „Michel Ott“ heißen. — Michael
Ott von Aechterdingen (Echterdingen), dejjen Seb. Schertlin als jeines
eriten Führers gedenkt, unter dem er dem Feldzug gegen Stdingen mit-
machte ?), war um 1479 geboren und jeit 1503 oberjter Feldzeug-
metiter Kaiſer Marimiltans.
Vermutlich jpielte er bei der Verbeſſerung des Artilleriewejend eine be-
deutende Rolle. Im Jahre 1515 bearbeitete er mit Hans Kugler dad Inventar
des Zeughaufes zu Innsbruck [XV. 8 68], wo er jeinen gewöhnlichen Siß gehabt
zu haben jcheint. Im Jahre 1519 war Ott Feldzeugmeiſter des Schwäbiſchen
Bundes gegen Ulrich von Württemberg und belagerte Tübingen Troß glänzender
—
1) Der Erfurter 9. Ludolf lebte von 1624 bis 1704, war gothaiſcher Legationsrat und galt
al? ausgezeichneter Hiftorifer und Linguift.
N Briefl. Mitteilung des Großherzogl. Bibliothelars Köhler in Weimar.
5) Bgl. Schertlins Autobiographie (Frankfurt und Leipzig 1777 ©. 3).
490 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Anerbietungen des Königs von Frankreich verblieb er im faiferlihen Dienite
und ordnete zunächſt das Artilleriewejen der vorderditerreihiichen Yande, madte
für Karl V. den Überfchlag des Artilleriebedarfs feiner Feldzüge, kämpfte gegen
König Francois in Burgund und Venetien, geriet zu Mailand in hartes Ge—
fängnis, half dann dem Truchjeß von Waldburg 1525 die Bauern niederwerfen,
rüftete 1526 in Dfterreich gegen die Osmanen und 1527 in Ungarn gegen den
Woimoden. Nah häufigen Kranksheitsanfällen, für die er im Wildbad Heiluna
juchte, jtarb er angeblidy im Januar 1532. Nach anderen Mitteilungen erjcheint
jein Name noch in Urkunden des Jahres 1541").
Ott's Stellung als Feldzeugmeiſter des Kaiſers und des Schwäbiſchen
Bundes entipricht ſowohl dem Vorwalten des artillerijtiihen Elementes in der
„Kriegsordnung“ als der wiederholten Erwähnung des Schwäbiihen Bundes:
eine perjönlihe Erinnerung flingt in der beifpielsweijen Erwähnung von
Sidingen® Tode nah. — Auch die Teilnahme von J. Preuß an der Bearbeitung
des Buches wird durch den Umjtand zur Gewißheit, dab eine Handichrift desjelben,
welche fich in der Großherzoglichen Bibliothek zu Darmitadt befindet (Nr. 3098),
ausdrüdlih den „Jacob Preuß, des Churfürjten von Sachſen HZeugdiener der
Artolerey,“ als Verfaſſer nennt und daß i. J. 1530 zu Straßburg ein Auszug
der Kriegsordnung erjchien, welcher den Titel führt: „Ordnung, Namen und
Regiment Alles Kriegsvolds. Bon Geſchlechten, Namen und Zal aller büchjen.
In ein gange Nerdeley eins Feldtzugs vnd Zeughaufes gehörig. Won jedes
Gewicht, Schwäre, Steyn vnd Kot. Auf dem Kriegs Rathſchlag Jacoben
Preußen, Churf. Durchleuchtigkeit zu Sachſen Zeugmeyſters“. (Bei Egenolp.
Jenner 1530) ®).
Man darf die „Kriegsordnung“ alſo wohl ein gemeinjames Wert
von Dtt und Breuß nennen.
Wahrſcheinlich iſt jie als eine Art Inſtruktionsbuch für die Truppen des
Schwäbiſchen Bundes gejchrieben worden; denn im Dresdener Manujffripte findet
ſich mehrfach (3. B. in dem Schlußfapitel der Artelorey) die Anrede „Ewr. Er
barfheyt“, in dem Gothaer Drud die Abkürzung „E. ©. und G.“, 5. B.: „Nun
haben €. G. und ©. etwas Kriegiſcher Undericht”. Vermutlich ijt die Kriegs
ordnung in der Weije entjtanden, daß zuerjt, etiwa i. %. 1524 oder 1525, die
beiden erjten Teile niedergejchrieben, dann durd den dritten Teil vervolljtändigt
wurden, und dab endlid Ott, angefichtS der durd) die heilige Liga, jowie durch
die Türfen dem Kaifer und dem Reiche drohenden Gefahr, fie mit der militär-
politifchen Einleitung verjah und an befreundete protejtantifche Fürjten, wie den Kur
fürften von Sadjjen, verſchickte. Daher ſtammt vielleicht das Dresdener Manufkript
Auffallend ift es, daß dies vortreffliche Werk, obgleich es jo oft
abgejchrieben und mindejtens viermal gedrudt worden it, doch nur
1) Bal. Schertlin v. Burtenbadh und feine Briefe (Augdburg 1852) ©. IV u. VI.
7) Der Auszug ift nur 4 Quartfeiten ſtark und größtenteil® wörtlich der „Striegdorbnung“ eni-
nommen. BDrud und Einrichtung entiprechen ganz der Quartausgabe ber letzteren im Berliner Zeus
haufe. (gl. übrigens oben Unm. 1 ©. 487.)
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht bei Pavia 1525. 491
wenig befannt geworden zu fein jcheint. Darauf hat jchon tm 18. Ihdt.
Laurentius hingewiefen!). „Ich jege zum voraus“, jo jagt er, „daß
jolches Buch in wenige Hände gekommen und den allermeisten Schrifte
jtellern von Kriegsjachen unbekannt geblieben jet: welches dann Ge—
(egenheit gegeben haben mag, daß es von einem Manne, den man
gemeiniglich für den älteſten deutjchen Schriftjteller von Kriegsjachen
hält [Frönsperger 8 32] ausgejchrieben worden it.“
Wie wenig befannt Otts Werf war, beweiit auch der Umjtand,
daß ein Mann wie der bekannte abenteuerliche Alchymiſt Thurneyifer
ſich dasjelbe ohne weiteres zuzueignen wagte. Die fgl. Bibliothek zu
Berlin befitt eine Handjchrift (ms. germ. fol. 98), welche den Titel
führt: „Kriegslehr, Regiment, Staat vnnd Ordnungen
durch Leonharrten Thurneiffer zum Thurim bejchrieben“.
Der Kern diefer Arbeit iſt lediglich eine Abjchrift der drei Bücher
Dtts vom Anfang der fünf wejentlichen Stüde einer Bejagung bis
zum Eid der Mujfterherrn, in welche jaubere Kopie Thurneyſſer allerlei
überflüffige, zudem meift nur redaktionelle Änderungen hineingejchmiert
hat. Am Schluß diefer Abjchnitte jteht von der guten Hand des
Abjchreibers „Ende der Kriegsordnung. Laus Deo semper. 20. Aug.
1572“. Den drei Büchern gehen aber hier noch einige Kapitel voraus
und einige folgen nach; und obgleich diefe Zutaten nicht von Be
deutung jind, jo jollen ſie doch erwähnt werden.
V orausgehen, gewiſſermaßen an Stelle der militär-politiſchen Einleitung
Michael Otts von Achterdingen, vier Kapitel, deren Inhalt die Anfangsworte be—
zeichnen mögen: 1. „Die Kriegskunſt vnd das Kriegen iſt vnnder allen gewonheitten
vnnd gebreuchen, die von Anfang der welt biß auf vnnß khumen, faſt die aller
Eltiſte . . .“ 2. „Weil ein alt ſprichwortt iſt, daß keiner lenger frieden haben mag, dann
ſein nehiſter nachbauwer wölle . . .“ 3. „Dieweil dann gewohnlich bey den Alten
inn dem Brauch war, daß ſich ſeltenn ein Fürſt, Herr oder Potentat in ſeinen
Stetten, Schloſſern oder Lannden vom Feind heimſuchen vnnd belagern lajien...
vrſach, daß er mit bezogunge ſeins Feindts ime ſelbs vnd ſeinen Vnderthanen
groß Nutz ſchaffet; dann es iſt, wie man ſagt, allwegen auf annder leut ſchuchen
gut Tanitzen . . .“ 4. „Es ſollen in jedem Regiment zwei Prediger ſein . . .“ —
Nachfolgen: 1. „Artidelbrief jo der Rö. Key. Mt. gemeine Kriegsleutt, die
pnder dem wolgebornen Herrn, Herrn Chriſtoffen Seißnedher, Freyherrn zu
Weideneck, Raht vnd Oberften, gejchworen haben.“ — 2. „Die Gerihtsordnung
der Lantzknechte vnd die 7 Umbfragen.“ — 3. Die Schiffordnung, wie es auf
ı) Qaurentius: „Nachricht von der erften gebrudten deutfchen Kriegsorbnnung* in defien Ab»
banblung von den Sriendgerichten II (Mitenburg 1757).
492 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte.
dem Meer vnd Naben zu faren mit den Teutichen Landtsknechten. — 4. Dei
Feldtweibels Ordnung. — 5. Ein Schlahtordnung zu machen auf alle vier Ort
gevierdt, doch mit Spieß und Helmpartten... (Berzeihnis von Quadratwurzeln).
— Auf alle diefe Dinge wird jpäter noch zu fommen jein.
Eng verwandt der gedrudten Dttjchen Kriegsordnung ijt ein
Manujfript der Heidelberger Bibliothef (Palat. Germ. fol. 123), jo
eng verwandt, daß es, obgleich e8 aus d. 3. 1530 jtammt, aljo nicht
mehr in das erjte Viertel des 16. Ihdts. gehört, doc) in diefem Zu—
ſammenhange bejprochen werden muß. Der Codex enthält zwei Schriften
offenbar von demjelben ungenannten Verfafjer, und beide jind dem
„Strengenn vnnd Ermveitenn Michael Otten vonn Achter:
dDingenn, Keyſerlicher vnnd Küniglicher Beyder Maiejtatt Oberjter
Beltzeug Meiejter der Arcolerey, in allem gebraucht vnnd erfarenn,
meynem bejondern gütigen freundt“ zugejchrieben, u. zw. „mit der
bit, diſes meyn vnuerjtendigs jchreiben Corrigirn vnd zu bejjern....
vnd mir, dasjelbige alsdan widder mitteiln. Dan ich diejjes mein
Schreiben nit mehr acht, dan Fragitod, darüff mich zu underichten
vnd zu verjtendigen“. Die erite Widmung ijt vom Oftober, die zweite
vom Dezember 1530 datiert. Der Inhalt beider Schriften entjpricht
der dee nach dem des II. und des I. Teils der Kriegsordnnung, iſt
aber, wie die nachfolgenden Angaben zeigen werden, jorgfältiger und
von höherem Standpunkte bearbeitet; namentlich it der Waffenwirfung
und der Taktik eine viel größere Aufmerkſamkeit zugewendet.
I. Verzeihnus der Arcolerey, zu erfaren die Summen
eines Veltzogs, Noth, Gewicht vnnd Antail der Buchſen, Wagenn,
pferde, Buluer vnd jtein vfs furglichjt zu erlernen.
Das Verzeichnis beabjichtigt nicht, eine unveränderliche Norm zu geben,
jondern nur die Verhältniſſe der verſchiedenen Geſchützgattungen und ihren Bedarf
an Munition, Geſpannen u. ſ. w. auseinander zu jegen, damit ein Sriegäherr
beurteilen fünne, was er in jeinem Falle brauche, und für welche artilleriftifche
Forderung aljo die Leiftungsfähigkeit bejtimmter, ihm friegspflichtiger Gemeinden
oder Abteien oder dergleichen auäreihe. Zu dem Ende gebt der Verfaſſer die
Geſchütze, von dem jchwerjten an, der Reihe nad) durd. 3. B.: 1. Mauer:
brecher: Scharpfe Meß; wiegt 100 Ztr., ſchießt 100 Bid. Ihre Yade wird auf
bejonderem Wagen geführt. Ihr „Zuegk“ (Ausjtattung und Rejervematerial), 240
Käugelinn = 240 Ztr., Pulver, Bierde, Wagen, Wagentnechte. Bedienung: 2 Büchien-
meijter. — Baſiliscus; wiegt 75 Ztr., ſchießt 70 Pd. Seine Fafjunge fährt
auf eigenem Wagen; u. j. w. — Nadıtigall, Sengerin, Groß-Quartan-Schlange,
2. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht bei Pavia 1525. 493
QDuartan- Schlang, Groß Mörjer, Klein Mörjer. — Angabe über das Geſchütz—
Zubehör. Summa der Büdjenn: 8 Stüd, der Wagen 88, der Pferde 543, der
Knechte 163, der Bedienung 9 Büchjenmeijter, 4 Schlangenſchützen und 3 Knecht.
Ordnung der Bühjen: 4 Scharfmegen, 3 Bajilisfen, 3.Nachtigallen, 4 Sengerin,
4 große, 4 rechte Quartanſchlangen, 2 Gantz-Mörſer, 2 Halp-Mörfer, zuf. 30 Stüd. —
Folgt die Berehnung ihres Gejamtgewichts, ihres Geſamt-Materials und Perfonals,
jowie der Kojten. — 2. Veldtgejhug: 8 Notſchlang, 30 Halbihlang, 40 Säw,
40 Affen, 80 Äffinn, 100 Baldonetleyn, [1000 Hoden auf Boeden abzufeuern,
zufammen 1298 Stud.
Zwiſchen der Betradhtung der Mauerbredher und der des Feldgeſchützes ijt
nun eine jehr intereſſante Auseinanderjegung eingejhoben, in welder Art die
Mauerbredher vor fejten Plätzen zu verwenden jeien u. zw. unter
tolgenden Geſichtspunkten: „Eyn Thurm zu jchießen. Eynn Thurm vbber Ed
zuffenn (sie). Eynn Ebennde Mawr zu jchießen. Mit dem Morjern zu jchießen.
Der Fhurtzogk. (Berennung der Feitung und Etablierung der Batterien). — Hin-
ihtlih der Bereitung der Kugeln und des Feuerwerks jtellt der Verfaſſer für
fünftig eine bejondere Arbeit in Ausſicht.
Die Abhandlung über das Feldgejhüß folgt: „Der Soldt der Reyfigenn
vnd jerenn zugeordneten Wagenn“, jowie der „Soldt der Fueſknecht“, ganz
ſummariſch. Eingehender find dann wieder Kapitel über die Bawren, Schiff:
Broden, Zimmerleuthe, Shmite, Satteler und Seyller.
Hieran jchließt jih nun eine taftijhe Abhandlung. Da lehrt der
Autor zuerjt die Aufjtellung der gevierten Ordnung und jest beijpieläweije
die von 1000 Mann auseinander: „Item jo Ich wolt machenn ein gefiert Orde-
nong, jo joll Ich ſtelln ungerade in ein glit jo vill man, daß es dieje thaufent
Man gerade tregt; das ijt aljo jo: Ich jtelln 33 Man in ein Reihen, einen wegf,
vnd jtelln dan an der ort (an der Ede) auch 33 man an ein Reihe, dab ein
windelhaf daraus wirt... Und loß dann diejenn winfelhafenn voll eintretten als
einen man hinder den Anderen vnd neben einander gleich wie jie in der ordenong
itehenn, jo wirt dieſe ordenong gefiert und jtehenn darin 1088 Mann. Alſo
findet man in diefer volgenden rehnong von einem biß inn die hundertthaufennt
Man die juma“, — Diefe „Rechnung“ iſt ein Verzeichnis der Duadrate der un—
geraden Zahlen von 3 bis 317, aljo von 9 bis 100489, aus dem zu erjehen ijt,
wie viel Rotten und Glieder dazu gehören, um aus einer gegebenen Menſchen—
zahl einen gevierten Haufen derart zujammenzujtellen, daß möglichſt wenig Lüden
oder möglichjt wenig Leute übrig blieben. — Nachher geht der Verfafjer über
zur Aufjtellung einer Spig-Ordenong, wobei er von der gevierten Ordnung,
alö der Grumdjtellung, ausgeht. Endlich gibt er eine jehr allgemein gehaltene
Andeutung, wie er Hunderttaujfend Mann zu Roß und zu Fuß jamt dem
Feldgeſchütz in eine Ordnung bringen will; da aber die erläuternde Figur
fehlt, auf die er ſich bezieht, jo wird er nicht recht verjtändlid.
Den Beſchluß des Buches macht eine Beitellung vff Hunderttawjandt
Mann, d.h. eine Berehnung der für fie nötigen Verpflegung und des Bedarfs
an „Molln, Badofenn“, dazugehöriger Bejpannung und der Gezelte.
494 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
I. Ordenunge vnd Önderriht Eyne Bejagunge zu
enthaltten, ob es die Noittdurfft erfordert.
Der Verfaſſer ſetzt zunächſt auseinander, was 100 Mann auf einen Monat
in einer Beſatzung gebrauchen, und beſpricht zu dem Ende: „Proviande, Kornn,
Erbeyß, Hafer Meel, Erbeyß Meel, Gerſten, Salz, Fiſch (Stockfiſch), Keeſe, Bottern,
Gedranck, Haffern, Fleyſch, Waſſer, Brandt und Holtz“. Dann geht er auf das
„Geſchoetz“ nebſt Zubehör ein und erläutert wie „Berge und Pletz“ Erd—
anjhüttungen und Bettungen) für das Geſchütz anzulegen jeien. Dann redet er
von den Mörjern und verjchiedenen „Kaugelln, die gewaltig ſchlagen“ (Spreng-
wurfgejchoijen), von jtinfenden Kugeln, Hagel und Dämpfen. — Nach diefer Er-
läuterung der Ausftattung des belagerten Platzes mit Krieggmaterial behandelt deı
Verfafler, wenigitens in einem Punkte, andeutend aud die fortifikatoriſche
Seite der Aufgabe und beipridt die „Streydh Where mit jrenn
Büchſſen“. Man habe deren von fehr verjchiedener Art; „io ich aber jolt
jtreychiwher machen nad) meinem willen, es wer gleich für jchutten (Wälle) oder
graben, jo wolt ich die machen dermaßen, daß man mir fein loch (Scharte) mit
jchießen erreihen modt vnd jolten doch mogen ein ſchuede (Schütte) ein vnd
ausſtreichen (?). Und jo der alſo verdedt ift, jo mag id) machen der löcher nadı
meinem willen zu großem oder zu Heinem geſchoetz. . Davon will id) (wilß gott)
binfurt eyn eygen Bud) davon machen vnd etwas von Bauwen darin angeigen,
von Scuedenn in der Ebene vnd auff Bergen vnd aud von Maverwerk zu
ihloßen vnd ftetten“. — Nad) der artillerijtiichen Armierung beipricht der Verfaſſer
da® „Storm-Zeugk“, bejonders da8 zur Verteidigung des Grabens, wobei
die gewöhnlichen Feuerwerkskörper aufgeführt werden. Hierauf gedenft er des
„Darres-Zeugk“ (Tarraß), nämlich des Holzwerfes, das dazu dient, Schirme
für die Büchſen herzuftellen, fleinere Brechen auszufüllen u. dgl. m., dann der
Wajjergräben und ihrer Einrichtung, der notwendigen Handwerks verrid;
tungen und endlich aud) des Wurffzeugs, „dag man vor zeitten gehapt, das
man Bleiden nennt; das acht’ ich noch für gut. Dann es mag fid) wol begeben,
daß die nod) zu geprauchen weren, das wer zu doden fjchelmen, die in einer Be-
jagung jterben, das mag man damit hinaus werfen“.
. Den Beſchluß des Wertes macht ein bejonderer Abjchnitt unter folgender
UÜberſchrift: „Item jo ein Herr fein friegs Bold, das er inn der Beſatzung haben
will vnd bedorff, bey eynander hoitt, jo joll er das alles beyeinander nemenn
vnd mit innen inn der gemeynen reden diefe Meynunge“: Hierauf folgt die
Anſprache nebit den Kriegsartifeln.
Wenn man dieje Handjchrift mit der älteren Kriegsordnung ver:
gleicht, jo jcheint es, als Liege hier gleichjam eine zweite Redaktion
derjelben vor. Bielleicht hat das alte Kriegsbuch dem Feldzeugmeiſter
Ott nicht genügt und er hat eine Perjünlichkett jeiner Umgebung be
auftragt, unter Feithaltung der leitenden Gefichtspunfte, die er jelbit
früher aufgejtellt, eine neue Behandlung des Stoffes zu unternehmen.
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Met 1552. 495
Diejer Verſuch iſt ihm dann vorgelegt worden, um von ihm verbejjert
und gebilligt zu werden. Möglicherweije iſt das Heidelberger Eremplar
die Urjchrift und ein Unifum; denn nur von dem erjten, die Artillerie
behandelnden Hauptabjchnitte kenne ich noch ein zweites Exemplar,
welches jich in einem Sammelbande (C. g. 3673) der Münchener
Hof: und Statsbibliothef befindet.
8 13.
Zum Schluß jei hier noch an jenes 1524 und 1532 zu Main;
erichtenene Kriegsbuch erinnert, welches außer Frontin und One
jander in deutjchen Überjegungen [$ 3) auch die „Lere, jo Keyſer
Marimilian in jeiner erjten jugent gemacht“ [XV. 8 37] enthält, und
das jomit antife und mittelalterliche Elemente in derjelben unver:
mittelten Weije zujammenftellt, wie es der deutjche Vegez mit der
Epitoma des 4. Ihdts. und dem alten Feuerwerksbuche tat.
5. Gruppe.
Die allgemeine Literatur bis zum Anfgeben der Belagerung von
Aeh 1552.
S 14.
Die glorreiche Schlaht von Pavia, in welcher Frundsberg und
Pescara die faijerlichen Fahnen mit frijchem Lorbeer ſchmückten, Hat
auf das militärtiche Leben des deutjchen Neiches jehr glüdlich gewirkt.
Auf allen Gebieten der vaterländijchen Kriegswiſſenſchaft entfaltet jich
eine Regſamkeit, wie fie zu Ddiejer Zeit fein anderes Volk Europas
auch nur annähernd aufzuweiſen vermochte. Freilich hat dieje Blüte
nicht lange gedauert: die Wirren zwiſchen dem Kaiſer und den Fürſten
und die damit eng zujammenhangende Verwilderung der deutjchen
Wehrfraft führte nur allzubald zu jenem troftlojen Erlahmen unjerer
friegerifchen Energie, das jeinen weltgejchichtlichen Ausdruf in dem
Aufgeben der Belagerung von Met gefunden hat. Dies Erlahmen
tritt dann auch hinſichtlich der Friegswijjenjchaftlichen Beitrebungen
unverfennbar hervor.
8 15.
In dem Ernjte, mit welchem die Deutjchen diejer Zeit das
Weſen des Krieges unter dem jittlichen Gejichtspunfte
496 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
zu betrachten begannen, läßt jich deutlich der tiefgreifende Einfluß der
Reformation erkennen. — Nicht nur die über die Reformatoren hinaus
gehenden Sekten der Stäbler und Wiedertäufer (welche gereinigt in den
Mennoniten fortleben) waren es, denen die Führung der Waffen
unverträglic) mit dem Chriftentum erjchien; nein, auch innerhalb der
neubegründeten evangelijchen Landeskirchen regten jich Gewiſſens—
bedenfen diejer Art, wurden jorgende, fragende Stimmen laut. Ihnen
trat das Haupt der Reformation, Martin Luther, jelbit entgegen
mit jeiner Schrift: „Ob Kriegßleutte auch ym jeligen jtande
jein Fünden. 1526. Dem Gejtrengen vnd Ernueiten Aſſa von Kram,
meinem günjtigen Herren vnd Freunde“ !). Luther bejaht die im Titel
aufgervorfene Frage mit voller Entjchtedenheit.
„Obs nun wol nicht jcheinet, daß würgen vnd rauben ein werd der liebe
ift, derhalben ein eynfelttiger dendt, Es ſey nicht ein Chriſtlich werd, jo iſts doch
in der warheyt aud) ein werd der liebe. Denn gleich wie ein gutter argt, wann
die jeuche jo böfe vnd groß ift, daß er muß Hand, Fuß, Ohr oder Augen lafjen
abhawen oder verderben, So ſcheynet es, er jey ein grewlicher unbarmberziger
menſch. So man aber den leyb anfiehet, den er will damit erretten, jo findet
jih8 in der warheyt, daß er ein trefflicer trewer Menſch ift vnd ein gut Chriſt—
li werd thut“.
Gern unterhielt ſich Luther „von vortrefflichen Kriegshauptleuten
und Helden“, und mit großer Lebhaftigfeit betonte er das unveräußer-
liche Recht der „Gegen und Notwehr“. Der Artillerie war er jedod
noch ebenjo abhold, wie zweihundert Jahre vor ihm Petrarca.
„Büchſen und das Geſchütz“, jo jagt er in einer feiner Tijhreden?), „it
ein graufam jhädlid Inftrument, zerjprengt Mauern und Felſen und führt die
Leute in die Luft. Ich glaube, dab es des Teufels und der Hölle eigen Wert
jei, der es erfunden hat als der nicht jtreiten kann fonjt mit leiblihen Waffen
und Fäuſten. Gegen Büchſen hilft feine Stärke noch Mannheit; er ift todt ebe
man ihn fiehet. Wenn Adam das Inſtrument gejehen hätte, das feine Kinder
gemacht; er wäre für Leid gejtorben!“
8 16.
Mit jeiner Abneigung gegen die Artillerie jegte ſich Luther
übrigens in einen, bei ihm jehr jeltenen Gegenjag zu den Neigungen
und Stimmungen des deutjchen Volks, welches gerade dem Geſchütz—
wejen jeine ganz bejondere Sorgfalt zumendete. Faſt in allen Schriften
1) Eremplar im German. Mufjeum zu Nürnberg (Nr. 3586. 40).
2) Vgl. Luthers Tiſchreden. (Auswahl von Frd. v. Schmidt. ©. 322 ff.)
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Meg 15652. 497
militärischen Inhalts jchlägt das artilleriftiiche Moment vor, jo aud)
in einer der buchhändleriichen Spekulation entjprungenen Kompi—
lation, welche 1534 bet Egenolph zu Frankfurt a. M. ohne
Gejamttitel erjchien.
Den Hauptinhalt bildet eine jog. „Büchjenmeifterei“, die nichts anderes ijt
als das alte Feuerwerksbuch [X V. $ 59], jo wie e8 1529 zu Straßburg und (als
Anhang des Vegez) zu Augsburg gedrudt worden war. [$4 u. $40]. Dann
folgen „Gemeyne jtreitäregeln“, d. H. eine Verdeutſchung der Regolae generales
des Vegetius (A. $ 37], fowie die „Ler, jo Keyſer Mar in feiner jugend zu—
gejtellt ijt“ [X V. 837). Daran endlidy reiht ſich ein Abdrud des vierblättrigen
artilleriftiihen Ertrafte® „Auß dem Kriegsrathſchlag Jacob Preußens“, der 1530
bei dem Straßburger Egenolph erihienen war. [S.4%0, Anm. 2.]
Eine Art zweiter Auflage diefer Schrift erfhien unter dem Titel: Krieg s—
bändel, Hauptmannjhaft, Zeug vnd Bühjenmaijterey bei Egenolph
in Frankfurt 15522).
Ein von Lünig angeführtes Wert Bernhards v. Lützelburg:
»Libellus de ordinibus militaribus et armorum
militarium mysteriis (Köln 1527) it mir unbefannt geblieben.
8 17.
Aus d. 3. 1536 oder 1538 jtammt eine handjchriftliche „New e
Kriegsordnung“, welche die Wiener Hofbibl. bewahrt (ms. 10849)
und welche, da jie weſentlich elementartaftiiche Wichtigkeit hat, an
anderer Stelle näher zu würdigen fein wird [$ 80]. Hingewieſen
muß aber auch hier auf fie werden, weil im ihren Darlegungen der
Soldverhältnifje Ergänzungen zu Otts Kriegsordnung und den jpäteren
Ämterbüchern zu finden find, und weil die Klagen des ungenannten
Verfaſſers über den Betrug bei den Mufterungen beweijen, wie früh:
zeitig dies ſchlimme Lajter in Deutjchland eingebürgert war. — Im
Jahre 1563 hat ein ehemaliger Landsknecht, der Goldjchmied Beyrlin
zu Augsburg, Ddiefe „neue Kriegsordnung“ abgejchrieben und dem
Kaifer Ferdinand I. zugeeignet. Seine Handſchrift (25 Folivjeiten)
befindet jich im Archiv des FE. k. Miniſteriums des Inneren zu Wien.
Einen Auszug davon gab Dr. Herm. Meynert u, d. T. „Ein Kriegs-
reformator des 16. Ihdts.“ im Abendblatt der Wiener Ztg. 1858.
Nr. 21— 242).
1) gl. Bibl. zu Berlin (H. v. 18565).
2 Etwas kürzer fommt Meynert auch in jeiner „Seid. des Kriegsweſens und ber Heeresver⸗
fafjungen in Europa“ darauf zurüd. II, ©. 80 (Wien 1868). gl. aud Gilb, Unger: Geld. der
L f. Armee. I, ©. 243 u, 257 (Wien 1886).
Jahns, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 32
— nn DT
498 Das XVI, Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
8 18.
Wie durchaus des Herzogs von Cleve Maniere de guerroyer
[XV. 8 38] Erzeugnis und Eigentum des deutjchen Geijtes iſt, erhellt
am beiten daraus, dat die Behandlungsweije, welche Philipp der
Kriegskunft zu teil werden ließ, in Deutichland Schule machte, wäh-
rend die überaus geringwertigen kriegswiſſenſchaftlichen Leitungen der
Franzoſen in der erjten Hälfte des 16. Ihdts. noch ganz den Stempel
der mittelalterlichen eijtesrichtung tragen. Auch der Zahl nad)
jind die franzöfischen Arbeiten unbedeutend. Die Abhandlungen Bal-
jacs, Surgets und de la Tours aus dem erjten Viertel des Jahr:
hunderts erfcheinen kaum nennenswert, und diejenigen Bythernes, Lesdi-
guieres und Cotereaus aus den folgenden Jahrzehnten jind nicht
wertvoller; Beiprechung verdienen allein die Instructions sur le
faict de la guerre, extraites de livres de Polybe, Frontin,
Vegece, Cornazzani, Machiavel et plusieurs autres bons auteurs,
welche i. 3. 1535 zu Paris anonym erjchienen, als deren Verfaſſer
jedoch al3bald du Bellay-Langey genannt ward.
Guillaume du Bellay, Seigneur de Langey, Sprößling einer
vornehmen Familie des Anjou, trat frühzeitig in Kriegsdienſt und wurde bald
in hervorragenden Stellungen gebraudt; namentlich leiftete er als Gejandter
Frankreichs in Italien, England und Deutihland gute Dienjte. Im Jahre 1537
ernannte ihn Francois I. zum Vicelönig von Piemont, und als jolder eroberte
du Bellay einige an die Kaijerlihen verlorene Pläge zurüd. Wenig mehr als
fünfzigjährig jtarb er 1543, und feine Brüder, Jean und Martin, errichteten ihm
ein Denkmal mit der Inſchrift:
Ci git Langey, dont la plume et l'epée
Ont surmonte Ciceron et Pompe.
Guillaume hat auhb Memoiren hinterlaſſen, welche für die Geſchichte der
Kriege François' I. in Jtalien, wie für die Geſchichte des Kriegsweſens jener Zeit
von hohem Intereſſe find und, mit den Denkwürdigfeiten jeines Bruders Martin
vereinigt, i. 3. 1569 von dem Schwiegeriohne Guillaumes veröffentlicht wurden.
Da iſt es denn jehr auffallend, daß weder in diefen Memoiren noch aud) in deren
Vorrede der Instructions sur le faict de la guerre irgend welde Erwähnung
geihieht. In der Tat ift auch du Bellays Mutorjchaft bejtritten. — Zwar
Brantöme verjichert, daß »Langey a fait le livre de l’art militaire«; aber
Bayle und Barbier jchreiben das Werk einem gewiffen Raymond de Beccarie,
Sieur de Forquevault, zu, der dasjelbe um 1528 als einfacher Gendarme
gejchrieben habe. Verwickelter wird die Sache noch dadurd, daß der Bibliograpb
du Verdier ein von Rabelais verfahtes, uns aber verlorenes Bud) citiert, welches
den Titel führte: »Stratagämes, c'est à dire Prouesses et ruses de guerre
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 499
du preux et tr&s cel&bre Chevalier Langey, au commencement de la tierce
guerre Üesariane, traduit du latin de Francois Rabelais par Cl. Massuau.,
(Lyon 1542). Maſſuau war dem Haufe Guillaumes de Langey attadhiert ;
Nabelaiß aber würdigte Langey mit befonderer Wärme; im 27. Kapitel feines
„Bantagruel“ berichtet er jogar von erſchrecklichen Wunderzeihen, welche Guillaumes
Tode vorhergingen und verfündeten, daß Frankreich bald eines jeiner volllommenſten
und unentbehrlichiten Kavaliere beraubt fein und der Himmel ihn als rechtmäßiges
Eigentum zurüdfordern werde. Unter ſolchen Umftänden wäre es ja wohl möglich,
daß der große Humoriſt, der, wie hundert Stellen feiner Schriften beweiſen, fich
jehr gut auf das Kriegsweſen verjtand, jene Stratagemes gejammelt habe. Wie
aber verhielten fie jich zu der Instruction sur le faict de la guerre? Bildeten
jie vielleicht nur einen Teil aus defien 2. Buche oder eine Ergänzung desjelben ? —
Bon anderer Seite ift auch François I jelbjt als Verfaffer der Instruction
bezeichnet worden. Boltaire z. B. berichtet, auf Sainte-Marthe geſtützt, daß jener
König composa des m&moires sur la discipline militaire. Dies
aber ift der Titel, welchen die Instructions jeit der Ausgabe von 1548 führten
und unter welchem fie gewöhnlich citiert wurden. — Immerhin bleibt die Autor:
ihaft G. de Langeys, aller Verdunfelungen ungeachtet, dad Wahrſcheinlichſte.
Das Verdienit des Werkes ijt übrigens nicht gar jo groß. Es
it eine gejchickte und einjichtsvolle Kompilation. Der Verfaſſer ſelbſt
jagt in der Einleitung zu jeinem 2. Buche, daß er faſt alles wörtlich
aus dem Lateinijchen oder Italienischen überjeßt habe, »en y semant
quelque chose de mon propre cru parmy, pour ne demourer
nud du tout, si d’aventure cesdits auteurs venoient à recon-
naistre leurs pieces«. Sein älterer Autor tjt jtärfer benußt als
Machiavelli, und um jo mehr muß e8 befremden, gerade dejjen Namen
bet den jpäteren Auflagen vom Titelblatte verjchwinden zu jehen.
Das Werk zerfällt in drei Bücher. — Das 1. Bud beginnt mit einer
interefianten Auseinanderfegung über die NRefrutierung des Heered. Langey
zufolge ſoll der König ſich in allen Kriegen jeiner Untertanen, feiner Fremden
bedienen, wobei der Autor, ganz und gar in Madiavelli8 Sinn, Hinweife auf
Rom und Griechenland, jowie auf das desastre devant Pavie madt. Er fmüpft
aber daran die Bemerkung: »Une chose y a qui fait grandement pour les
Suisses et Allemans, c'est le bon ordre, qu’ils ont parmy eux, tant A renger
leurs gens en bataille, qu’& obeir à leurs chefs; duquel nous avons tres-
grand faute«. — Frankreich könne und jolle 25000 Mann zu Fuß aufbringen,
die zu Legionen zufammenzujtellen jeien. Jeder Legion fei eine gewiffe Anzahl
von Gendarmes zuzumeifen, und außerdem habe man auch nod) leichte Reiterei
(Chevauslegers, Ejtradiots und reitende Arquebufiers) zu errihten. Wie Madiavelli
macht auch Langen Borjchläge, die Pferdezucht zu heben; aber noch unbe-
dingter folgt er dem großen Ylorentiner, wenn er die taktiſche Anordnung
der franzöfiihen Legion gejtalten will en partie des Phalanges Greques et en
32°
500 Das XVL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
partie des Legions Romaines et de nos gens de guerre modernes. Das
Fußvolk der Legion fol zählen: 3600 gewöhnliche Pileniere für den Corps du
Bataillon, 420 für die Flanken und 170 ertraordinäre für die Enfans perdus;
ferner 600 Hallebardiere, 420 Harquebuzierd für die Flanken und 680 für die
Enfans perdus. Der Corps du Bataillon wird „nad) römijher Art“ in 10
Banden geteilt. Rotten wie Glieder haben je 1 Schritt Abſtand. Die Enfans
perdus, in&bejondere die Harfebufiere leiten das Gefecht ein (Beliten). Die Pikeniere
haben dem Schod der Reiterei zu widerjtehen und mit den Pilen in das feindliche
Fußvolk einzudringen; das eigentliche Handgemenge führen jie dann mit Degen
und Rundichild (rondelle), welchen legteren fie für gewöhnlidy über der Schulter
tragen. Unterſtützt werden fie von den Hallebardieren. Für die Schügen ziebt
du Bellay die Armbruft der Feuerwaffe vor, und er empfiehlt, den Reitern Schügen
beizumifchen. Bier Legionen jtellt er zu einer Armee zufammen, deren Normal-
ſchlachtordnung das hohle Viereck ift, vor dejien Front die Enfans perdus
fehten und auf dejien Flügeln die Gendarmerie von je zwei Legionen hält. Bon
Feldartillerie ift hier feine Rede. — Die Stufenfolge der Befehlshaber
ift möglichit der römischen nachgebildet. — Alles in allem entjpricht dies Spitem
der Heereszufammenfegung im wejentlichen demjenigen, das Francois I. bei Ein-
rihtung jeiner lögions im Auge hatte. — Eine Schlachtſchil derung, welde
Langey gibt, ift durdaus nad) Machiavelli gearbeitet. Wie diejer läßt auch der
Franzoſe fein Gefhüß nur einmal feuern und zieht es dann zurüd; wie jener
plädiert auch er für Schutzwaffen und verlangt eine tatfächliche, nicht blos nominelle
Dreiteilung des Heeres in Borhut, Haupthaufen und Nachhut. — Eine Bejchreibung
der notwendigen Ererzitien und des Signalweſens beſchließt das 1. Buch, weldes
auch manches interefjante Streifliht auf zeitgenöſſiſche Kriegstaten wirft).
Das 2. Bud handelt von den Eigenjchaften eines Befehlshabers, den Er—
wägungen vor und nad der Schlaht, Stratagemen und Kriegslijten, Marſch—
und Schladhtordnung, Verpflegungs-, Sold» und Lagerwejen, vom Wachtdienite,
jowie dom Pflichtenfreife der einzelnen Borgefegten. — Der König joll einem
Feldherrn, der als fein Lieutenant auftritt, freie Hand lafjen, »qu'il puisse
user de son sens; il s’en trouvera beaucoup mieux que s’il lui limite sa
commissione. Niemals joll der General eine Schlacht wagen (hazarder une
iournde), wenn er nicht völlig davon überzeugt ift, daß er im Vorteil jei. Einer
übermädtigen Invafion habe man nicht duch Schlachten, jondern durdy bin-
hbaltenden Krieg zu begegnen (temporiser contre l’ennemy). Alles in allem
jei die Verteidigung des eigenen Gebietes dem Einfall in das des Feindes vor:
zuziehen. — Warm wird der Gebraud der Beredjamkeit und religiöjer
Untriebe zur Steigerung der Kampflujt und des Patriotismus empfohlen.
»Du temps de Charles 7. fut Janne la pucelle en France, reputee personne
divine et chacun affermoit qu’elle avoit este envoyee de Dieu: mais & ce
1) Bol. z. B. die Reminiszenz an die Schladht von Ravenna (liv. I, ch. 22): „So fan auf
einer, der fein künheit wil jehen laſſen mehr ſchaden bringen als der fich forchtſam erzeiget ... . ©o
erfcheint es bey dem Herrn Foig, welcher durch jein allzugroße künheit vmbs leben lommen vnd den
Franzoſen mehr ſchaden mit feinem vnzeittigen tod gebracht, als mit jeinem Sig genuget bat.” (Ber-
deutfhung von 159.
3. Die allgemeine Literatur bi zum Aufgeben der Belagerung von Meg 1552. 501
que lon veut dire le Roy s’estoit advise de ceste ruse pour donner quelque
bonne esperance aux Frangois«. — Das Yagerwejen wird ganz im römijchen
Sinne empfohlen. — Die oberiten Heerführer find: General d'infanterie,
General de cavalerie, Colonels, Capitaines de cent hommes d’armes. Die
»quatres principaux officiers de campe jind: der Assesseur oder Chancellier,
homme de robbe longue, der Mareschal de camp (Generalquartiermeijter),
der Maitre d’Artillerie und der General des Finances ou tresorier des guerres.
Das dritte Buch handelt von der Vollendung und Ausnugung eines Sieges,
von der Einnahme fejter Bläße par douce voye oder par force, wobei nicht
jehr in die Einzelheiten eingegangen wird, und endlich von den Heeresgejepgen,
den Strafen und den Belohnungen. Der Begriff der »discipline«, der bei du
Bellay eine bedeutende Rolle fpielt, tritt hier jchon in dem modernen Sinne von
„Mannszucht“ auf, bezieht ſich alſo vorzugsweiſe auf die militärifche Erziehung.
Du Bellays Werk hat ſich großen Rufes erfreut und über die
Grenzen Frankreichs hinaus verbreitet.
Spätere franzöſiſche Auflagen find die von 1548, 1553 und 1592. —
Im Fahre 1550 erihien zu Venedig eine Übertragung ins Italieniſche: Tre
libri della disciplina militare, opere molto notabile. — Eine jpanijde
Ülberjegung enthält des Diego Gracian de Alderete: De re militari (Barcelona
1567), welche Onejanders Feldherrntunjt, Syméons César renouveld und Langeys
Discipline zu einem Sammelwert vereinigt. — Im Jahre 1594 fam zu Mümpel—
gardt eine Berdeutjihung heraus: „Kriegs Regiment. Wie ein tapffer Bold
zum Krieg aufzubringen, ins Feld auszurüjten vnd anzuführen ſeye . . . Alles
au bewährten Kriegs Hijtorien vnd langer jelbjteigener Erfahrung zujammen=
getragen durd) den Edlen, Gejtrengen vnd berühmpten Kriegs Oberften Wilhelmen
Bellay, Herrn von Langey u. ſ. w. Treulich vnd fleißig in Deutſch gebracht
dur M. Ulricum Budrym“ Der Berleger ift Peter Fiicher; doch weder
diefer noch der Überjeger, fondern der Buhdruder J. Foillet Hat die Widmung
an den württembergijhen Hauptmann Menzinger unterzeihnet. — Nod ein
BVierteljahrhundert fpäter erjchien eine zweite VBerdeutihung: „Wilhelm Bellays
von Langay Kriegspractica. Von Beitellung eines rechten Kriegs-Regiments vnd
Feldtzugd zu Rob vnd zu Fuß in dreyen vnnderjchiedlichen Büchern begriffen“.
(Franffurt a. M. 1619.) — Die erſte diefer Verdeutihungen verdient den Vorzug ;
ſie ift Mar und gut gejchrieben; hier zerfällt das erjte Buch in 23, dag zweite
in 22 und das dritte in 24 Abjchnitte. In der Überfegung von 1619 ordnet fich der In—
halt unter folgende Überjohriften: I. Von Bejtellung des Kriegsvolks, iren Wehren
vnd Rüftungen . .. Bon Schlagung des Lager vnd deßen Befejtigung, dem
Reifigen Zeug, deßen Uuartieren vnd wie die Negimenter in bequeme Schlacht—
ordnung zu bringen. II Bon Eygenjchafften, befehl vnd amt des Feld—
oberjten. III. Von Belägerung, Befejtigung vnd Einnehmung der Städt vnd
Schlößer. — Beide Verdeutihungen jcheinen jehr jelten zu fein).
1) Die Verdeutſchung von 1594 befite ich jelbit, ein titelloſes Eremplar bewahrt die Stabtbibt.
zu Danzig; die von 1619 findet fich in der ſtändiſchen Bibliothek zu Kaſſel (Milit. gener. 8°, no. 31).
502 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte,
8 19.
In Buſtetters „Ernftlichem Bericht“, in Otts und Preuß’ „Kriegs
ordnung“, jowie in der Wiener „Newen Kriegsordnung“ tritt das
adminiſtrative Element bereit3 auffallend hervor; noch aber fehlt &
dem Gebotenen an flarem Zujammenhange und methodiicher Folge
richtigkeit. Allen Anforderungen in diejer Hinficht genügt dagegen
ein, vermutlich um das Ende der dreißiger Jahre abgefaßtes jehr
bedeutjames Werk, das man am beiten furzweg als das Amterbud
bezeichnen kann und das in jeinen mannigfaltigen Ausgeitaltungen
nicht nur Durch das ganze weitere 16. Ihdt. fortgelebt und jich dabei
mit mehreren hervorragenden Namen eng verbunden hat, jondern auch
noch in der jpäteren Folgezeit erfennbar weiterwirkt, jo daß man es
als die wifjenjchaftliche Grundlage der deutjchen Milttärhierarchie zu
bezeichnen hat.
Die vermutlich ältefte der mir befannten Handjchriften desjelben füll:
die Blätter 114—202 des Cod. germ. 1682 der Münchener Hof- umd
Statsbibliothef, deren erjter Teil von dem Kriegsbuche Philipps vor
Eleve eingenommen wird. [XV. 8 38]. Dieje Verbindung dürfte nid:
zufällig fein; vielmehr erjcheint das Ämterbuch, welches hier den Titel
führt: „Kriegsordnung, wes ſich ein yder Kriegshert
auch Oberjter vnd anderer hoher vnd niederer Ampter
darzu gehörig halten jolle* im wejentlichen als eine für das
rein deutjche Publikum berechnete und weiter ausgeführte Bearbeitung
von Gleves erjten drei Kapiteln, doc jo, daß die „Kriegsordnnung“
immerhin neben diefem Borbilde als ein jelbjtändiges Werk beiteben
bleibt. — Es iſt eine vorzügliche Handjchrift, von der zuerſt Mone
Notiz genommen hat!). Der Inhalt ordnet jich wie folgt:
1. Oberjter Kriegsherr. 24 Artikel. — 2. Bom Oberjten Veldt haupt
mann, was demjelbigen zugehört, fein Gerechtigkeit, auch was er in jeder frieg*
vbung zu handeln ſchuldig ift. 101 A. — 3. Vom Oberſt Yeuttenant Amp
IM. — 4 Vom Veldtmarſchalck Ampt. 31 U. (Hier find befonders die
Artikel 7 und 9 intereffant wegen des „Vorſtreits-Rechtes“, das an diefer Stell:
abgehandelt wird, weil der Feldmarſchall Führer der „Nennfahne“, d. 5. der
Vorhut ded Heeres, war. Es Heißt: — Art. 7: „Schwaben und Francken haben
die Freyheit, warın ein römischer keyſer des Reichs janen im Feldt fliegen let
und janct Jorgen fanen uffricdht, daß ſy denjelben janct Jorgen al8 Rennfanen
mit inen und jonjt mit fainer nation bejegen, aud mit Hauptleuten un)
1) Bol. „Solbatentecht”. (Ungeiger f. Kunde ber beutichen Vorzeit. 1839. ©. 300.)
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 503
Fendrichen verwalten... Das jy ain tag vmb den andern mit dem Hauptmann
und Fendrich abwechſeln“. — Art. 8. „Herwider fein die Steyrer gefreyt, wann
ein Zug gegen die Türden gejhicht, und jy im feldt fein, dab jy jand Jorgen
fanen fueren“. — Art. 9: „Wann nun diefer Rennfanen einer im feldt aufgericht
iſt, bedarff man khains andern und mag alsdann der Feldthauptmann den feldt-
marſchalckh in der zeit der jchladht an andern ortten, da er tauglich jein gedundh,
gebrauchen“) — 5. Bom oberjten Zeugmaijter Ampt. 35 U. — 6. Oberſter
vber alle Reuter. I. — T. Bon Reutter Hauptleuten in gemain;
dabei auch vom Fendrich. 27 A. — 8. Bon der Neutter Hauptleut-
leuttenant. 34. — 9. Bon der Neutter Quartier maijtern 109.
— 10. Bon der Reutter Wachtmaiſtr ampt. 19 A. — 11. Bon des
Oberſten Amt vber das Fuesvoldh. (Soldtarif) 34 A. — 12. Von der
Landsknecht Hauptleut. 12%. — 13. Bon den gemeinen Fendrich.
TU — 14 Bon der Knecht Quartier maiſter. 3A. — 15. Bon der
Knecht Wachtmaiſter. SA. — 16. Von der Knecht Feldtweybelln.
4.4. — 17. Bon Waibeln 3 A. — 18. Von den Forierern und Fürern.
44. — 19. Von den Hurnmwaibeln. 6 A. — 20. Der oberft Provianndt
Herr. TA. — 21. Oberſter pber alle Provoſen auch der Pollicey und
Jujticien des Legers zu verjehen. 114. — 22. Bom oberjten Provoſen Ampt.
21%. — 23. Die Gerihtsordnung von den Landsknecht Hauptleuten. 18 4.
— 24. Der Bagenburgmaijter. 6 A. — 25. Der Wagenmaiſter. 3M.
— 26. Der Scharffridter. 4 A. — 27. Der Reutter Bejtallung und
Bejoldung. 17 U. — 28. Bejtellbrief der Landsknechtsoberſten. (Als
Muſter wird der Bejtallungsbrief mitgeteilt, durch welchen Kaiſer Karl V. feinen
Hauptmann Gonrat von Bämelberg beauftragt, zehn Fähnlein teutjches Kriegs—
volf auf vier Monat zu werben; d. d. Rom, 6. April 1536.) — 29. Urtidel-
brief der Landsknecht. 46 A. — 30. Ordnung einer Bejagung. 58.
„Weil ziemlich nottürftiglih von Zugen, legern, ſchlachten vnd anderen kriegs—
vbungen geſchrieben worden, wirdt billih, wie jich ain kriegßvolkh in ain be-
jagung ſchickhen joll, uffs kurzeſt behandelt.) — 31. Unpringen pnd begern
von dem Kriegßherrn an die Kriegsreth ettliche bejchwerte Articdel zu
berathſchlagen und Rathſchlag auff des Kriegäherren vbergebene Artidell an die
Kriegsreth. 60 U. (Diefe „Begeren“ des Kriegsherrn find die folgenden: „Item der
erit Artifhel zu bedenfhen, wie das wir die Proviandt vnd fuetterung erhalten
mögen, das die erhalten und in der ordnung bleibe und derhalben fhain ſchatzung
(Plünderung) noch Finank (Betrug) einfallen möge. — Zu dem anderen, wie ic)
doch möchte die untrew in der mujterung vorkhomen und das die fnecht durd)
die Oberjten und hauptleut ir Bejoldung nit aljo abgefchegt werde. — Zu dem
dritten, wie ich doc die knecht und das ander kriegsvoldh in gutem gehorjam
und Regiment erhalten möge, damit jy nit aljo jonder not jchreyen. — Zu dem
vierten, wie wir die leger in guter hut und verwarung halten jollen. — Zu dem
funfften, wie ich doch den großen troß und wagen geringern möge. — Zu dem
iehsten und legten, wie ich doc) die uncriftenliche gotteslejterung weren und ab—
bringen und ainen gemainen Gottesdienjt anrichten und erhalten möge.)
504 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Eine eng verwandte Faffung diejes Amterbuches beſitzt die herzog-
(iche Bibliothef zu Gotha. (Membr. 121). Es ijt ein aus dem kur—
bayerischen Bücherjchage jtammendes Pergamentmanujfript, welches
den Titel führt: „Kriegsmemorial, fo ein Herr in ein fremd landt,
Dasjelbig zu gewinnen eygner perjon ziehen oder joliches jeinem
Obriſten Belthauptmann zu verrichten bevelchen will, was dem kriegs—
herrn auch allen hohen Ämptern vnd allen bevelchsleuten jederzeit in
friegsübung zu handeln, dafür zu Gerechtigfeyt geburt und zugehoert*.
Der Inhalt weit in folgenden Punkten von dem Münchener Coder bav.
1682 ab: Dem Kapitel 4 folgen bier die Kapitel 9 und 10 ala 5 und 6, was
mit den Worten begründet wird: „Weyl Wade vnd quartiermepiter ampt zum
veltmarjhaldh ampt gehört, jollen jy billih gleich darauff folgen” — eine Be:
merfung, aus der deutlich hervorgeht, daß man es bier mit der Abänderung einer
älteren Faſſung (eben der de Münchener Eoder) zu tun habe. — Das Kapitel 5
vom oberjten Zeugmeijter ijt hinter Kapitel 19 gejchoben, jo dat alſo jet die
Artillerie als jelbjtändige dritte Waffe hinter dem Fußvolk erjcheint, ohne jedoch
in den unteren Ämtern weiter im Einzelnen verfolgt zu werden. Dagegen ijt
an das Kapitel vom Zeugmeiſter das von der „Bejabung“ angehängt. — Dem
Kapitel 22 vom oberjten Profojenamt iſt jein Pla hinter dem vom Oberſten
Amt über das Fußvolk angewiejen, weil es fich tatjählih nur um den Profoß
der Landsknechte handelt. — Neu Hinzugelommen find zwei Kapitel (9) „Bon
Reuttern insgemein“ und (19) „Von Furhern“ (Führern). Dafür find gejtrichen
das Kapitel vom Oberſten über alle Reiter, weil als ſolcher in diejer neueren
Faſſung der Feldmarjchall gilt, jowie die Kapitel 20, 21, 24, 25, 26, 31 und 32
des älteren Münchener Coder.
Auf dem Blatte links neben dem Titel diejes jchönen Gothaer
Manujfripts jteht: „1539. Gott und Dein will ich fein. Heinrid
Creuſch von Putler, Ritter“, und darunter: „1539. Ich hoffe noch.
Conrat von Bemelberg, Ritter“. Da beide Devijen und Namen
von ein und derjelben Hand und mit derjelben Jahreszahl eingetragen
jind, jo tt jchon aus dieſem Grunde wohl zu vermuten, daß die
Nitter von Butler und Bemelberg nicht etwa nur die Befiger, jondern
die gememfchaftlichen Verfaffer des Amterbuches waren.
Dies wird ferner dadurch wahrjcheinlich, dat beide Herren altbefreundet waren.
Sie dienten, etwa von 1510 bis 1515 mit einander am würtembergifchen Hofe,
und als Konrad von Bemelberg (oder Boineburg) 1532 ſich auf Schloß Grafened
feine junge Häuslichkeit einrichtete, jiedelte ſich auch Heinrich Treuſch in nädhiter
Nähe zu Hunderjingen an?). Hier mögen fie das Siriegämemorial gemeinjam
ausgearbeitet haben, wozu jie wohl berufen waren; denn beide hatten ſich rühmlich
1) val. E. © olger: Der Landsknechtsobriſt Konrat v. Bemelberg, der Meine Heß. (Nördlingen 1870)
und „Konrad Frhr. v. Boineburg”, Lebensſtizze und Bild bei Gilb, Anger a. a. ©. I. ©. 301.
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mek 1552. 505
im Kriege hervorgetan: Bemelberg 1527 als Xocotenent Frundsbergs bei der Er-
oberung von Rom, Treufh von Butlar nod im Sommer 1532 als Feldmarſchall
in Ungarn. — Eine zweite Handjchrift des „Kriegsmemorials“ bejigt die Münchener
Hof: und Stats-Bibl. (Nr. 3665.)
Übrigens iſt Bemelberg auch in der älteren Münchener Hand-
ihrift durch den ihm erteilten Bejtallungsbrief von 1536 vertreten
und wird in einem anderen Münchener Coder von 1545 geradezu
ala Miturheber des mterbuches genannt. Es ift dies der Cod.
germ. 3663 der Hof: und Statsbibliothef, welcher den Titel führt:
„Ein Kriegsordenong. Bon allen ampter des Kriegs, wie Die
verjechen, bejtöllt vnd regiertt werden jollen, und was einer Jeden
perjon zu thun geboren will, ein tedes mit jeiner figuern bejonders
anngezeigtt vnd bejchrieben“. Die an Kaiſer Karl V. gerichtete Vor:
rede ijt unterzeichnet: Neynhart Graff zu Solms und Conrad
von Beimelborg, Ritter. Ein wieder an den Kaiſer gerichtetes Nach⸗
wort bezeichnet das Werk als em „Memoriall vnd bericht... wie
e8 bey der Hochlöblichen vnd jeligen gedechtnus Kayſer Marimiliand
vnd bisher bei den Teutjchenn gebraucht und Herfommen iſt ...
vollendet i. 3. 1545*. Dies prachtvolle Manujfript von 142 BL.
ſtammt aus dem Befite des Pralzgrafen Philipp Wilhelm; es bringt
illuminierte Darjtellungen aller Amter vom Kriegsherrn an bis zum
Blutmann hinab und am Schlufje die Wappen von Solms und
Bemelberg. Der legtere hat fich aljo hier an Stelle Putlers einen
neuen Mitarbeiter zugejellt.
Der alte Freund Treujh von Butlar war 1541 im QTürfenfriege bei Ofen
gefallen. Graf Solms aber war ein faiferlich gejinnter Heſſe, wie Konrad jelbit
und jhon damals mit den Borarbeiten zu feinem jpäter 8 22] zu bejprechenden
großen Kriegsbuche bejchäftigt. Der Kaiſer hatte gewünſcht, von Bemelberg
al3 einem der wenigen SKriegshauptleute, die noch aus des verehrten Frunds—
bergg Schule übrig waren, eine Landsfnehtsordnung zu befigen. Konrad
gab jie in bejcheidener Weife, indem er jagt: „Auch ift jo wenig unjer maynung,
daß dieſer unjer Verfaßong nad eben mit allem gehandelt und regiert mues
werden, jonder haben wir nur einen gemeinen bericht wie es bisher bey und
Teutſchen in jolden Kriegshendeln gehalten worden, €. K. Mt. allein zur Er:
innerung geitellet“.
Der Inhalt entipridyt dem des älteren Münchener Manujfriptes; nur
fehlt das Kapitel 23 (GerichtSordnung von den Landsknechts-Hauptleuten). Hin—
zugefommen ijt ein forgfältiger Anjchlag über die Verpflegung; „dieweilen das
Proviant das recht gar gros principall Stud im Krieg iſt“. — Die Verfafier
jegen den Zujammenhang zwiichen gehöriger Strenge und dem daraus ent-
506 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
jpringenden Gehorjam mit dem zu erhoffenden Erfolge eindringlid auseinander,
was in den Zeiten des fintenden Landsknechtsweſens von doppelter Bedeutung
war, und wenn Bemelberg aud, wie er jelbit jagt, gedienten Knechten manches
durch die Finger ſah, jo hatten feine Fähnlein doch immer nicht nur zu den
bejtgepflegten, jondern aud) zu den beftdisziplinierten gehört. Letzteres erkennen
jogar die Augenzeugen des Sacco di Roma an, und erjtere® geht daraus hervor,
daß, während von den 16 000 Spaniern Bourbons faum ein Viertel aus Rom
zurüdfehrte, von den 12000 Deutschen Frundsbergs und Bemelbergs nahezu die
Hälfte am Leben blieb, ohne doch, wie jene, Südländer zu fein. Auf vier Dinge
legt Bemelberg den Hauptnadhdrud: auf erprobte Anführer, ausgiebige Ber:
pjlegung, zahlreiches Gejhüg und gediente Mannſchaft. Wie Frundsberg hast
er unnützes Blutvergiegen und warnt vor dem Sengen und Brennen. Konrads
Name kommt von fol. 106 an mehrfach in der Handſchrift vor. — Auf einzelnen
Bildern erjcheint dad Handzeichen HD eines fonjt unbefannten Künſtlers (Heid-
egger), und dieje Bilder find teils Zeichnungen, teils Holzjchnitte für Solms’
damals in Vorbereitung begriffenes Wert. Meiſt hat man in diejen Bildern der
verſchiedenen Amtsträger wohl Portraits vor jid).
Diefe neue Faffung des Amterbuches wurde von Graf Solms als
2. Buch im jeine militärische Encyflopädte aufgenommen und gedrudt.
[$ 22]. Die Gothaer Redaktion des „Kriegsmemorials“ pflanzte ich
dagegen nur hHandjchriftlich fort. Sie findet jich zu Wien in der
£. £. Hofbibliothef (Nr. 10929 I) mit der Jahreszahl 1549 in einem
ſchönen Quartmanujfripte, dann in der Hof und Statsbibliothef zu
München (Cod. germ. 3665) in einer Faſſung, die den Konrad von
Demelberg als des heilig. römischen Reichs Oberjt über 20 000 Mann
Fußvolk in dritter Berjon aufführt, und endlich noch in zwei Gothaer
Codices (Chart. Nr. 422 v. J. 1539 und 425, undatiert und unvoll
tändig). Ein viertes Gothaer Eremplar (Chart. Nr. 572) zeigt jedoch)
einen jehr viel reicheren Inhalt. Es führt den Titel: „Ein ganz
vertrauliche anzeigung vnd geheimbter bericht, der, für
nemlichen von wegenn der nachkommen, nit mit wenig mühe vnd fleiß
durch etliche des friegs erfahrne zujammengetragen: Wie man jich ın
einem friege halten vnd wie man jo die not fürfellet, ſich darem
Ihiden fol, auch wie die oberjte Hauptmannjchafft und die hohen
Empter jampt dem felde und was mehr zum frige gehört, be
jtellet und geordnet joll werden“.
Unter diefem Titel jteht: „Aus dem Driginali der gemeinen fürjtlichen
Weimarifchen Archiven abgejchrieben a. 1624. Und hierin befindlicher Ahnzeigung
nad) zweifel8ohne gejtelt vmb die zeit des teukjchen Kriegs von 1544 bis 1546.
Letzteres iſt richtig.
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 507
In dieſer Handjchrift tritt num deutlich die Abficht hervor, das
Ämterbuch durch Hinzufügung einiger älterer Arbeiten zu einem all-
gemeinen deutjchen Kriegsbuche zu erweitern.
Nach einer fefjelnden, den allgemeinen kriegeriſchen Zeitumjtänden gewidmeten
Einleitung würdigt der Text, unter Angabe von Beifpielen, Pflihten und Rechte
der einzelnen Amter Beim „Oberſt-Feldhauptmann“ werden der Beſtallungs—
brief Kurfürſt Joahims von Brandenburg als Feldherr im Türfenkriege und der
der ſächſiſchen und Heffiihen Fürften beim Braunjchweiger Zuge mitgeteilt. Ähn—
liche Angaben finden fich bei den andern hohen Ämtern, unter denen nad dem
des „Feldhauptmanns Leutenant“ noch das eines „Führers der Hauptfahnen“
erwähnt ijt. Die Inhaber der drei „Regimenter“ (Reifige, Landsknechte und
Artillerie) haben je ihren „ſtad“ (Stab). — Der Artilelbrief des Reiches
wird jeiner ganzen Ausdehnung nad mitgeteilt. — Unter der Überfchrift „ie
man ein jchladhtordnung mit den Knechten machen joll“ reiht fich der weſent—
lihite Inhalt des „Trewen Rates“ [$ 9] an. — Hinfichtlic der Artillerie
hält das Werk fih ganz an die Kriegdordnung von 1524 [$ 12]. — In dem
auf Marjd und Zager bezüglihen Abjchnitt dient wieder der „Irewe Rat“
als Borbild; dann folgen wörtlich nad) Ott's Kriegsbud „Stadt, Negiment vnd
Ordnung einer Beſatzung“ und den Beihluß machen zwei Fehdebriefe als
Muijterbeiipiele.
8 20,
Der encyflopädischen Tendenz, welche in der „Ganz vertraulichen
Anzeigung“ von einer adminijtrativen Grundlage ausgeht, waren wir
in der Kompilation Egenolphs 8 16) jchon einmal begegnet; damals
aber jtand fie unter dem artilleriftiichen Zeichen. Dies letztere gilt
auch von einer jener untergeordneten Buchhändflerjpefulation in allen
andern Stüden unendlich) weit überlegenen Arbeit eines genialen
Mathematifers, nemlich von Tartaglias Quesiti et inventioni
diverse (Venedig 1546), von deren jechs Büchern jich drei auf
artilleriftiiche Probleme beziehen, während das 4. von den mathe
matischen Grundlagen der Taktik, das 5. von der Feldmeßkunſt und
das 6. von der Fortififation handeln. Über diefe Bücher wird in
der Folge einzeln geiprochen werden. [8 42, $ 82 und 8 113.)
Tartaglias Werk aber wurde fofort nach feinem Erjcheinen die un—
mittelbare Unterlage einer deutjchen Encyflopädie, des inhaltreichen
Kompendiums von Walter Keiff (Gualtherius Rivius), welches
zuerjt 1547 zu Nürnberg erichten und eines eigentlichen Gejamttitels
entbehrt.
508 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Das Werk umfaßt „Der furnembjten, notwendigiten der gantzen
Architectur angehörigen Mathematiichen vnd Mechaniichen kunſt eygent-
(chen Bericht vnd fait Elare verjtändliche unterrichtung zum rechten
verjtandt der lehr PVitruvit in drey furnehme Bücher abgetheilet“.
Diefe drei Bücher handeln: das 1. von „der newen Berjpectiva“,
das 2. von der „Geometriſchen Büchſenmeiſterey“, das 3.
von der „Geometriſchen Mefjung nebſt Maß, Wag und Gewicht“). —
Für die Kriegswijjenichaft Hat nur das 2. Buch Intereffe, u. zw.
feineswegs etwa nur für die Artillerie; denn es birgt in jeinen acht
Teilen einen ganzen Kosmos militärijcher Dinge, freilich einen Mikro—
kosmos.
Rivius ſpezifiziert den Inhalt dieſes zweiten Buches folgendermaßen:
„Von rechtem grund vnd fundament der bewegung gleichlich ſchwerer Cörper, als
der Buxen Kugel kleiner vnd großer Ror vnd Mörſer ... yeden geſchutzes art,
eigenſchafft, ſterle vnd gewalt des triebs, . . . ſampt jren gebürlichen ladungen
. .. Mit kurtzer vnterrichtung, wie ſich mit dem geſchütz vnd gantzen Artelarey
zu halten im Zeughaus, ehrlichen Veldtzügen vnd Beſatzungen . . Mit weiterem
Bericht der Grundlegung, Erbawung vnd Beveitigung der Stat, Schlöfjer vnnd
Flecken jampt der rechten maß vnd proportion aller gebew ... Wie man aud
zu Veldt oder auff jolhe Wehren jchnell ein Hauffen friegsuolt in mancherlev
- form der Beldt: vnd Schladhtordnungen jtellen mag“.
Bier Teile behandeln nämlich die Artillerie, die drei folgenden
die Befejtigungsfunjt und der legte die Taktik. Auf jeden wird
an jeinem Orte bejonders eingegangen werden; das gemeiniame Band
aber, durch welches die an jich ganz jelbitändigen Schriften zujammen-
gehalten werden, iſt an diejer Stelle jchon nachdrüdlich hervorzuheben ;
denn dies Band tft der mathematijche Gedanke. — Während
aljo Reiffs Kompendium ich eimerjeitS durch die Vereinigung ver:
ſchiedenſter Wilfensgebiete mit einem militärischen Kerne jenen bumten
Ikonographien anreiht, die im 15. Ihdt. jo eifrig hergeitellt wurden,
[XV. I, 2] deutet e8 andererjeit3 vorwärts in jene Gedanfenrichtung,
derzufolge die Kriegswiſſenſchaft ein integrierender Teil der Mathematit
it. Es erjcheint als erjter Anlauf zu jener verhängntsvoll gewordenen
Auffaffung der militärtichen Dinge, welche endlich darin Eulminierte,
daß in der trefflichen , Geſchichte der Künſte und Wiſſenſchaften“, Die gegen
1) Der Ausgabe von 1547, welde fi u. a. in ber Bücherei des Berliner Beughaufes (B. 783)
in der Münchener Hof: u. Statsbibl., jowie in der Bücherei bes Berfaflers findet, folgte eine zweite
Nürnberger Auflage i. J. 1558 und eine Basler von 1582, melde Ießtere das Berliner Kupferftich-
fabiner beſiht.
3. Die allgemeine Literatur bi zum Aufgeben der Belagerung von Met 1552. 509
Ende des 18. Ihdts. eine Gejellichaft gelehrter Männer zu Göttingen
veröffentlichte, die „Geſchichte der Kriegskunſt“ als 2. Abjchnitt der
„Geſchichte der Mathematik“ erjcheint: eine ungeheuerliche Syjtematif,
deren innere Unwahrheit doch erjt jeit Clauſewitz' reformatorischen
Schriften von aller Welt erfannt und eingejehen worden ijt.
8 21.
Eine Schrift ganz eigentümlicher Art ist ein Manuffript (Nr. 10864)
der k. k. Hofbibliothef zu Wien, welches folgenden Titel führt: „Dijes
Püch wirt ein Khartenjpil genenndt vnd ijt derhalben aljo in ein
Khartenjpill verordnet, damit ein Herr oder Feldoberſter jeine Kriegs—
leut, Regemendts vnnd gejchwader Werk, Wie diejelben ein Herr ge
theilldt, im Veldt hat, jedes Namen auff ein Khartten Pladt mit jeiner
Summa, es jeij zu Roß oder zu fueß jchreiben ſolle. — Vnd jo ein
Herr oder Veldtoberjter will jein Khriegsvoldh zugleich in Ordnung
pringen, darmit fie vnnd wir auffeinander oder nacheinander ziechen
jolten vnnd in der ordnung vnverudht pleiben, jo mag er jold
Kharttenjpill für fich auff einen Tiſch legenn, Ddiejelbigen alſo im
Augenschein ordnen wie die Hauffen ziechen jollen und die Khartten-
plätter nach jeinem Sinne legen“.
Der Titel kennzeichnet den Inhalt. Es folgt das volljtändige Beifpiel einer
Heereszufammenfegung, welches mit der Artillerie (Nachtigallen 2c.) beginnt und
bis zu den einzelnen Munitionsbejtandteilen binabgeht. Jedes Geſchütz, jeder
Wagen, jedes Fähnlein hat feine eigene Karte, und jo ergibt jich eine interejjante
Normalformation.
Diejes „Kartenſpiel“ iſt der frühejte Keim eines der bedeutjamjten
militärischen Bildungsmittel unjerer eigenen Zeit: des Kriegsſpiels,
und wir werden jogleich jehen, in welcher Weije diejer erjte Keim
zunächjt fortentwidelt worden ift.
8 22.
Die „San vertrauliche Anzeigung“ und Reiffs „Geometrijche
Büchjenmeijterei” hatten den Gedanken einer militärtjchen Encyklopädie
nicht rein, jondern von einjeitigen Auffafjungen aus und infolge dejjen
nur unvollfommen durchzuführen verjucht. Weit freier in der Anlage
und liberdie weit jelbjtändiger tit dieje univerjelle Idee von einem
tüchtigen Kriegsmanne jener Zeit ausgejtaltet worden, von Reinhart
dem Älteren, Grafen zu Solms und Herrn zu Müngen-
510 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
berg. Sieht man von des Herzogs von Cleve jchöner, doch immerhin
nur halbdeutjcher Leitung ab [XV. 8 38], jo erjcheint der koloſſale
Foliant, den Reinhart „Acht Bücher“ füllen, als die älteite encyklo
pädiſche Arbeit eines Deutjchen, welche fich lediglich auf dem Gebiete
de3 Kriegsweſens bewegt und nichts mehr mit den antiquariichen
Überlieferungen des Vegez noch mit den Bildercodices des 15. Ihdts.
zu tun bat.
Reinhart von Solms, der am 12. Oftober 1491 geboren, am 23. Sep
tember 1562 gejtorben iſt, ftand wegen feiner Kriegstücdhtigfeit und Gelehrjamteit
in hohem Anfehen. Er diente unter Karl V. und hielt jo fejt zum Kaiſer, dab
er 1546 jogar gegen jeine Lehnsherrn, die heſſiſchen Fürjten, focht. Er tat jid
im Schmalfaldifchen Kriege hervor und ward kaiſerlicher Rat; i. 3. 1552 aber
fingen ihn die Heflen und hielten ihn längere Zeit auf dem Ziegenhain in Ge
wahrjam. Zwei Jahre jpäter zum kaiſerlichen Feldmarjchall erhoben (I. Bud,
©. 15), zog Reinhart ſich endlich alter&halber auf fein Stammgut Lich zurüd,
um fein jchon jeit 1544 vorbereitetes kriegswiſſenſchaftliches Wert zu vollenden
und in der dortigen Eigendruderei herjtellen zu lafjen (II. B. BL. 8).
Vermutlich wurde das Werk nur in wenigen Abzügen gedrudt
und an Freunde des Haujes verteilt; jedenfalls ijt es jelten.
Manuftriptbruditüde mit den Holzjchnitten des jpäteren Drudes in
Münden [S. 505], Kaſſel und Darmitadt. (An legterem Orte unter Nr. 745 das
dritte artilleriftiiche Buch mit der Jahreszahl 1547.) — Die Holzihnitte jmd
früher bergejtellt wie der Drud, 3. T. jogar ſchon 1544. Sie führen im erjten und
zweiten Buche da8 Monogramm HD — Sebaſt. Heidegger. — Der Drud zeigt
jehr ſchöne fräftige Lettern. Exemplare desjelben finden fi: zwei in der tgl.
Bibliothef zu Berlin (Hv. 18622 und 18640), eins im Zeughauje zu Berlin
(U. 21), eins im dortigen Stupferjtichfabinet (Nr. 2550) mit Anjkription
Wolkenſteins v. 1563, eins in der Stadtbibliothet zu Frankfurt a. M., eins in
der zu Trier, ein® in der Behördenbibliothet zu Defjau mit der Inſchrift
„oh. Albr. Graue zu Solms“, eins in der Bibliothek des Feldzeugmeifters
Hauslab (jegt Bibl. des Fürjten Liechtenftein) in der Roßau zu Wien u. j. w.
Wie den meilten der damaligen Kriegsbücher fehlt auch dieſem
ein Oejamttitel. Laurentius citiert es in jeiner Abhandlung von den
Kriegsgerichten (1757) als „Reinhards d. Alt. Gr. z. Solms Kriegs
bücher“, Blumauer in jenem Kataloge (1797) als „Kriegsbejchreibung
einer guten und ordentlichen Kriegsregierung“. Am beiten wählt man
wohl das Stichwort „Kriegsregierung“ aus dem Titel des
1. Buches als Gejamtbezeichnung. — Die Zueignung des 1. Buches
datiert von Lich 1559 und wendet jich an Erzherzog Philipp (II.),
König von England und Frankreich).
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 511
Schneider irrt, wenn er in feiner Beiprehung der Bibliothef Hauslab be=
bauptet, daß Solms „jein Werk gleich anfangs in der Widmungsſchrift an
Kaijer Karl V. Bücher von Beichreibung der Kriegshändel betitelt“ habe.
Schneider redet von dem gedrudten Werke; Karl V. jtarb aber jhon 1558; i. J.
1559 konnte ihm aljo fein Werk mehr zugeeignet werden.
Titel und Inhalt der Bücher ordnen fich wie folgt:
Das erjte Buch. Diſes Bud vnd Kriegsbejchreibung ijt vermelten vnd
berichten einer guten ordentlihen Kriegsregierung nad alter Teutſchen
Ordnung, gebraud vnd herfommen mit anderen noch Büchern von aller Kriegs—
regierung vnd Rüſtung, jo zu dem Krieg gehört“. — Anno D. M.DLix. (39 Blatt).
— Das Bud handelt von Kriegsordnung, Beitellungsartifeln, Fluchen und
Schwören, 24 Strafartifeln, Lagerordnung, Wagenburg, Kriegstommifjarien und
Heeraufrihtung. „Bolget ein gejprech zweier Berjonen, wie ein Alter einen Jungen
pnderricht mit jampt einer Injtruction, wie ſich der Jung halten joll“.
Den Anhang des 1. Buches bildet [ogl.XV. 838] die „Borgundijche Kriegs—
ordnung, darin begriffen ijt, wie ein gut Ordnung des Kriegs fürgenommen und
gehalten werden joll nad) der Teutichen hergebrachten Kriegsregierungen und altem
Römischen Gebrauch. Durch den hochgeborenen Fürjten vnd Herrn, Herrn Bhilipjen,
Hergog zu Eleue u. ſ. w. bejchrieben vnd in diefe Form bracht“. (29 BL.)
„Das ander Bud. Bon Beichreibung der 24 Kriegsämpter, darin
angezeigt wird, wie fi ein Jeglicher in feinem ampt Halten joll, darmit ein
großer oder rechter krieg mög nad) alter Teutjchen hergebradhtem Gebraud) regiert
werden, bei Kaiſer Marimiliano hodlöblicher vnd felicher gedechtnuß zeiten.
Den neuen anfahenden Bevelhsleuten, welche der Kriegsämpter noch nicht voll—
bericht, jehr förderlich“ — Das Bud) ift im wejentlihen ein Abdrud der von
Solms und Bemelberg bearbeiteten Faſſung des Amterbuches von 1545 [S. 505]
mit einigen Ergänzungen. Es handelt von dem Überjten Kriegsherrn, dem
Kriegdrat und 25 verjchiedenen Chargen, von denen die des Oberſt Feldhaupt—
manns und des yeldmarfchalds (dev die „Renfanen“, d. h. das Vordertreffen,
befehligt) das gejamte Heer angehen, die anderen ji) auf die drei Waffen ver:
teilen; ferner von der Commig-Ordnung (VBerpflegungswefen) und der Fütterung,
von der NReutter Bejtallung und Bejoldung, vom Bejtelbrief der Lantskneckt, dem
Artifelsbrieff der Lantsfnedt, der Ordnung einer Bejaßung und endlid von der
GSerichtsordnung der Landskneckte. — Der Inhaber jedes einzelnen „Ampts“ ift
in einem prädtigen Folioholzſchnitte dargeftellt u. zw. zu Pferde bis ausſchließlich
der Landsknechtshauptleute. Bon da an erjcheinen die Vertreter der Chargen zu
Fuße; nur der Wachtmeiſter der Landsknechte reitet. (Alle diefe Holzichnitte finden
fich auch jhon, u. zw. foloriert in dem handfchriftlichen Eremplare des Ämter—
buches zu München. [Cod. germ. 3663].) (87 Bt.)
Das dritte Buch Handelt von der Arcolerei. — E83 beipridt den
Berjonaldienjt der bei diejer Waffe tätigen Männer, zu denen auch, wie noch jetzt
in Frankreich, die Schiffbrüctmeifter gehören. Dann folgt eine „Injtruction“, denen,
fo bei die Arcolorai verordnet find, zu „lernen“, jowie „Fragſtück eines Büchſen—
meiſters nebjt Antwort vnd Underriht“. — Zehn Kapitel füllt die „Beſchreybung,
512 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
welchermaßen eines vortrefflihen jtathaftigen Fürften oder großen Herrn Zeug
hau mit großen vnd Heinem Geſchütz, derjelbigen Zugehörungen u. ſ. w. ge
ordnet jein ſol“. Es handelt fih da um die Einteilung der Geſchütze nad
Schwere, Länge und Munition; ferner um den Gebraud) der Mörſer zum Feuer:
werfen und um ihre Kardetjchen (Kartujchen), dann um Feuerwerk, geſchmoltzen
Zeug, Gebendte (Feuerkugeln), die man aus Kartaunen ſchießt, anhangendes
euer (da mit feſten Gejchofjen verbunden wird), um Dampffeuer, Pechringe und
„apotedijche Feuer“ mannigfaltigiter und verjchiedenjter Art, darunter eines, das
Bergilius [X V. 8 69) gemadt hat?). — Weiter wird von der Bedienung der
Büchſen geredet und von dem Schießen mit verſchiedener Munition, wobei aud
Pfeile und Scifferling (gehadtes Stabeifen) erwähnt werden. Daran jchliehen
fi) Pulverrezepte, Anweijungen zur Behandlung des Pulverd und Lehren, wie
man „Salpeter ziehen, maden, leutern und fauffen joll“. (67 BL.)
„Das vierte Bud zeigt an die Sorten Gattungen oder arten etlicher
ſtüch Büchſen groß vnd Hein mit jampt jren Arten vnd Manier der gefeh
(LZafeten). Desgleihen von allerlei Figuren vnd Injtrumenten jo zu dem Gejchug
vnd Artolorei gehört. — Das Bud) ijt mit vortrefflihen großen Gejhüßzeid-
nungen ausgejtattet, welche die Jahreszahl 1556 tragen. Es beginnt mit der
Erläuterung der alten großen „Hauptſtuck“ oder „Steinbyr“, „wie man die für
zeitten gehabt hat“, und jcildert dann „Doppel-Cartauen, Cartauen, Steinbur
zur Cammern (Hinterlader mit Kteilverjhluß zur Cartoucheladung) Steinbur uff
der doppeln Laden (um Höhen- und Seitenrichtung nehmen zu können, ohne zu
jhwänzen) kleine Steinbur, Nadtigal, Notſchlang, Veltſchlang, Quartirſchlange,
Halcon, (Feltichlenglein) Falconetlein, Mortier“. Endlid) it aud) noch ein „mittel:
alterlicher Werfzeug“ oder Schlender dargejtellt?). Zu weiterer Erläuterung werden
Durchſchnitte verjchiedener Rohre gegeben und bejproden. Dann folgt ein Kapitel
von „Redern, Scheiben, Zögen vnd Hebzeugen (1544), welches aud) die „Plochwagen“
für große Gejchüge bejpricht, die nicht auf ihren „Gefeſſen“ fahren fünnen. Endlich
fließt ein Abjchnitt von Schangen (Batteriebau) dag jehr reichhaltige Bud.
(46 BI.)
„Das fünft Bud von Bndergraben. Wie mann ein Feitung vnder—
graben vnd fprengen ſoll. Sampt einn Knappen Regijter, da man vor Sanctefier
(St. Dizier) die Stat jprengen vnd graben wolt“. — Dies jeltfjam gemiſchte Bud
enthält nad) einer guten, knappgefaßten Darjtellung des Minenwejens und jeiner
Anwendung vor Feitungen die von Oſtwald Niederhoff geführte Arbeits- umd
Kojtenberehnung über die Minenanlagen vor Santejier i. 3. 1544. Daran jchliekt
jih ein Kapitel „Bon allerlei Blochhäuſern“, welches merkwürdigerweije unter
der Überfchrift „Ein Zug von dem großen Fürften Mufca genannt“ mit dem
Entwurfe eines gewaltigen Heereszuges gegen die Türken beginnt, den der Ver:
1) Dies ift eigentlich auch die Überjchrift des ganzen Buches, das aber viel mehr enthält als
diefer Teiltitel angibt. "
9) Nachträge hierzu finden fi) am Schluffe des 4. Buches, wo auch von ben „gebachenen Kugeln
bon Hafenerden“ die Rede iſt.“
») Über die Werfzeuge verſpricht Solms ein eigenes Buch, das jedoch nicht geſchrieben worden
zu ſein ſcheint.
3. Die allgemeine Literatur biß zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 513
fajier dem deutjchen Reihe im Werein mit dem Fürften Mufca (Moskau) zu
unternehmen empfiehlt und für den die genaue Heeredorganifation, ja jogar ſchon
die notwendige Verpflegung berechnet wird, Aber aud) wenn es nicht zu einem
jolhen Zuge fomme, jo jolle man wenigjten® die Päſſe verlegen, durd) welche der
Türke ins Abendland einzubrechen vermöge, und für diefen Zwed werden nun
verjchiedene Arten von „Blohhäußern“, d. 5, Verſchanzungen, bildlich dargejtellt
und bejchrieben. (12 BI.)
„Das jehit Bud. Die Mufterung belangende. Der durdlaudtigen,
hochgeborenen Fürjten vnd Herrn Morigen, Hergogen zu Sachſſen u. ſ. w. vnd
Margrauen Albredht zu Brandenburg, Oberjten, wie die bei Carolo V. mit der
Beitallung vnd Mufterung gehalten worden jeien“. — Dies Buch beginnt mit
allgemeinen Betrachtungen über die bei Feſtſtellung der Bejtallungsbriefe wie bei
den Muſterungen eingerifiene Neigung zur Übervorteilung und Betrügerei, um
daran Normen für ſachgemäße Behandlung jolder Angelegenheiten zu knüpfen
und dieje durd) faiferliche Inſtruktionen, Bejtallungsbriefe, Mufterungsvorjchriften
und Anritt3-Liquidationen zu erläutern, an deren Feſtſtellung der Verfaſſer jelbjt
i. J. 1544 als faiferliher Kommifjar mitgewirtt hat. Die Aktenſtücke jind mit
voller Ausführlichleit und allen Namen genau wiedergegeben. (27 BL.)
„Das fiebend Bud ift Ein Kartenspiel, genannt... vnd ijt
Hannibal von Gartago, der wider die Römer ein Veldoberjter, vnd P. Corn.
Scipio der Römer Veldoberjter gewejen, gegeneinander in dies Buch geordnet“. —
Dies Bud) gibt Anleitung zu einem Kriegsſpiel, welches neben dem oben [$ 21]
erwähnten „Khartenſpiel“ (abgejehen von gymnaftiihen Scheinfämpfen und
Turnieren) wohl das ältejte ift, da8 überhaupt erwähnt wird. Es enthält eine
Menge Karten, auf deren Blättern die oberjten Kriegsämter und Truppentörper
aller Waffenarten in größerer oder geringerer Stärke, ſowie Artillerie, Wagenburg
und Troß, teild bildlich, teils durch Benennung dargeitellt find. Zwei Parteien,
Römer und Karthager, find durch verjchiedene Farben, rot und ſchwarz, von ein=
ander unterſchieden)y. — Es fommt jedoch nicht jowohl darauf an, mit diejen
„Kriegskarten“ gegeneinander zu mandprieren, als vielmehr darauf, Marſch- und
Schladhtordnungen aus ihnen zujammenzufjegen. Graf Reinhart gibt dazu An—
mweijung und erläutert zu dem Ende: einen „Veldzug auff zweitaufent Pferde vnd
zehntaufend Knecht 3. F.; die Zugordnung, jo die R. K. Majeftät 1554 in Frank—
reich getan; die Ordnung, wie die Hauffen zogen, als der Churfürjt von Branden-
burg in Ungern Oberſter gemwejen ijt“ u. dgl. m. Eine Abhandlung über die
Streitwagen und Wagenburgen macht den Beſchluß. Der Verfaſſer rät jungen
Leuten, welche Kriegszüge mitmachen, ſich mit Hilfe jolcher Karten die Ordre de
Bataille jeden Tages, „wenn fie in ihr Loſament gefommen,“ zujammenzuijtellen
und dann niederzujchreiben, aud) jelbjt dergleichen Ordnungen mit Hilfe der
Kriegskarten zu entwerfen (28 Bl.).
ı) Der naiven Auffafjung des 16. Ihdts. gemäß, deſſen Maler ja gelegentlich Chriftus von
Landsknechten mit Arkebujen nach Golgatha geleiten lafien, find Römer und ſtarthager mit vollftändigem
Urtilleriepar! ausgerüftet: So erjcheinen 5. B. auf einzelnen Karten: Himilco, oberfter Artolorei»
meifter; Syphax, ein Edelmann der Artolorei; Duintus Fabius Marimus, Artoloreimeifter u. j. w.
Zähne, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 33
514 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine friegswiiienihaftlihe Werte.
„Das aht Bud. Ein Bericht, wie man ein Stat, Schlojs, Fleden
mit Kriegsvolt bejegen joll, daß ſie jich für dem Feinde erhalten möge“. Ge—
drudt 1560.) — Diejer kurzgefaßte Traftat legt den Hauptnahdrud auf die Ber:
proviantierung und die Kommikordnung der Bejatung, während er die Ber:
teidigungSmaßregeln nur obenhin behandelt.
Die Namen, welhe Solms im Titel des 2. Buches als die
jenigen jeiner Gewährsmänner aufzählt, gehören zu den beiten,
welche das Friegeriiche Deutjchland damals überhaupt aufzumerjen
hatte. An ihrer Spige jteht Georg von Frundsberg, worin
man vielleicht eine weitere Aufforderung finden fönnte, im Diejem
„Vater der Landsfnechte*, diefem treuen Berater Marimilians I. bei
Bildung des regelmäßigen deutjchen Fußvolks, den Verfaſſer des
„Trewen Nates“ zu jehen 8 9). An Frundsbergs Name reiht fi
der jeines Schlachtgenojjen von Pavia, Marr Sittich v. Embs,
welcher jenem Gejchlechte zur Hohenembs in Vorarlberg entſtammte,
dejien Heimat man kurzweg „das Landskfnechtlandel nannte“. Und
jo jind auch die andern Erwähnten verjuchte Feldhauptleute: Caſtel
Alter, Dietrih Spät und Konrad von Beimmelburg, der
Arbeitsgenoffe Solms’ an dem mterbuche von 1545 [S. 505).
Graf Reinharts „Kriegsregierung“ iſt ein jehr tüchtiges Wert,
das freilich nicht jowohl die Kriegs kunst lehren will, als das Kriegs
handwerk. Mit den sette libri des Machiavelli darf man es daher nic
vergleichen wollen. Der weltgeichichtliche Stun, der weitausjchauende
Geſichtspunkt des florentiniſchen Statsjefretärs geht dem kaiſerlichen
Mufterungs-Kommifjartus völlig ab. Predigt jener mit Bropheten-
zunge die allgemeine Wehrpflicht, jo warnt Graf Solms dringend
davor, „daß ein Herr jich nit joll bereden lajjen, daß er jein Landuolk
dazu gebrauche, Krieg zu führen“.
„Denn er fährt nit wol damit, vnd ſolches volf, das aljo ausgeführt wird,
das tuts nit gern, gedendt wider hinderſich zu feinem Weib, Kindern, gütern vn?
handtirungen, die es verjeumpt . . . vnd wan man vor den feindt fompt vn!
etwas ernjtliches zugehn will, das jeindt fie nicht gewohnt, lauffen davon . .
vnd wan einem Herrn aljo jein Landvold gejthlagen wirdt, wie will er jich wieder
erholen mit Schatzung u. dgl. Steuer, warn jein Bolt erſchlagen were. Derbalben
thut es einem Herrn nicht jo wehe oder ijt jm jo nadıtheillig, wan jm ein frembd
Bold zweimal gejchlagen, als daß jein Bold einmal gejchlagen wirt“. (I. &. 30.
Der Gefichtspunft des Grafen tt jozujagen der fisfalifche, und das
tritt nicht nur in den Momenten hervor, wo er militärpolitiiche Fragen
berührt, jondern auch in reim militärischer Hinficht. Dem entipricht
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Meg 1552. 515
es, daß zwar der gejamte Verwaltungsapparat überall mit minutiöjer
Sorgfalt durchgearbeitet wird, von der Taktik, zumal von der Gefechts-
lehre aber eigentlich gar nicht die Rede iſt — auch dies wieder recht
im ©egenjage zu Machiavellii. Es ijt eben ein Söldnerführer, der
zu uns redet, und einem ſolchen jtehen die Mietsverträge, die Ver—
pflegung und die Kommisordnung naturgemäß immer in erjter Reihe.
Dabei fehlt feineswegs jene biedere, tüchtige Landsfnechtsgefinnung,
welche in die Erfüllung der Eontraftlich übernommenen Verpflichtung
ihre höchſte Ehre ſetzt. Es klingt ergreifend, wenn Graf Reinhart
dem Oberjten Feldhauptmann zuruft: Er befehle „dem Fendrich Sanct
Jörgen Fanen (die Hauptfahne des Heeres) wie Chriſtus der Herr
janct Johann Mariam am ftam des heiligen Creuß befohlen hat“. (II).
Graf Reinhart iſt ein warmer Anhänger der guten, alten, löb-
lichen Gebräuche. Er tadelt die Neigung der Kriegsherrn, aus Er:
iparnisrücfichten manche der hohen Ämter unbejegt zu lafjen und
irgend einen „Kriegscomiſſar“ mit mehreren derjelben zu betrauen.
Ehrwürdig und erfreulich iſt das namentlich im erjten Buche hervor:
tretende jelbjtbewußte Betonen des Deutjchtums. — Nbermals im
Gegenſatz zu Machiavelli legt Reinhart den höchſten Wert auf Büchjen-
meijterei und Feuerwerferei. Die beiden diejen Künjten gewid—
meten Bücher jind die umfänglichiten und eingehendjten und jollen
demgemäß auch noch bejonderer Bejprechung unterzogen werden. Die
fortififatorijchen Teile der „Kriegsregierung“ find dagegen uns
bedeutend. Intereſſant iſt die FFortentwidelung, welche Solms dem
militäriichen Kartenjpiel gegeben hat, indem er e8 aus einem
bloßen Dispofitionshilfsmittel 8 21] zu einem Unterrichtsmittel erhob;
denn er verjucht, mit Hilfe jolcher „SKriegsfarten“ die Elemente der
Seneraljtabsgejchäfte durch. Verbindung praktischer Erfahrung mit fon:
jequenter Repetition jyjtematiich zu lehren.
Unverdientermaßen it Reinhart von Solm „Kriegsregierung“ in
frühe Bergejjenheit geraten, woran 3. T. wohl die Seltenheit des
Buches Schuld jein mag. Im ihren einzelnen Teilen, zumal in den
artillerijtiichen Kapiteln, it jie jehr viel gründlicher und gediegener
als das zumeift genannte und gepriejene deutſche Kriegsbuch Des
16. Ihdts., welches Frönsperger zujammengebracht hat, obgleich legterer
Solms Bud) ausgiebig benußgt hat. Darauf wies jeinerzeit jchon
Laurentius hin, indem er jagt, daß Frönsperger „viel Ruhmens“ von
33*
516 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
des Grafen Reinhart Werk gemacht, „auch viele Stellen abgejchrieben,
wie denn auch der Fatjerliche berühmte Feldherr Lazarus Frhr. von
Schwendi in jeinem SKriegsdiscurje ebenfalls Verſchiedenes daraus
entlehnet“. Das ijt ganz richtig; aber Schwendi nennt den Grafen
von Solms jchon gar nicht mehr.
Anhangsweije jet hier gleich noch einer jpäteren ungedrudten
Schrift Reinharts von Solms gedacht, deren Autograph ſich
in der k. k. Hofbibliothef zu Wien (Nr. 10983) befindet und welche
aus zwei Abhandlungen bejteht. Da die zweite derjelben dem Könige
Marimilian II. gewidmet iſt, welcher 1562 zum Könige erwählt ward,
Graf Reinhart aber in demjelben Jahre jtarb, jo muß er jie in
jeinem Todesjahre abgejchlojien haben, und in der Tat ijt ihr em
greijenhafter Zug aufgeprägt.
Die erjte Abhandlung führt den Titel: „Die alte Romiſche
gehalten Kriegs- Ordnung, jo durch Teutſchen von derjelbigen
Zeitt an pisher gebraucht vnd gechalten worden ijt.“
Die Schrift verfudht der Römer und alten Deutjchen Kriegsrüftung zu Rob
und Fuß abzuhandeln, jteht aber keineswegs auf der Höhe der Kenntnifje ihrer
eigenen Zeit. Dennpch jcheint fie das Vorbild derjenigen Kapitel von Fröns—
pergerd Kriegsbuch geworden zu fein, welche dasjelbe Thema behandeln.
Die zweite Abhandlung Heißt „Kriegsordnung“ und jegt ſich
wejentlich aus Reminiscenzen jowie aus einigen Nachträgen zu der
großen „Kriegs-Regierung“ des Verfaſſers zujammen.
Eine bittere Klage über die Entartung des Kriegsvolles beginnt die Schrift.
Notwendig müſſe man für bejjere Juftiz in den Heeren jorgen. Dann folgen:
Beitallungsbriefe, 24 Strafartifel, die Lagerordnung, Gebraud) und Ordnung
einer Wagenburg, Kriegsrat und Antwort auf der Kriegsleute Begehren.
g 28.
Bedeutender umd inhaltsreicher noch als Solms’ Encyklopädie iſt
das großartige, in jeiner zweiten Hälfte völlig jelbjtändige „Kriegs—
buch“ des legten Hochmeifters und erjten Herzogs in
Preußen, des Markgrafen Albreht von Brandenburg-AUnsbad,
welches in der kgl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrt wird. (ms. boruss.
fol. Nr. 441.)
Diefer Entel Albreht3 Adilld lebte von 1490 bis 1568. Er Hatte den
Krieg frühzeitig ſchon in nächſter Nähe fennen gelernt; denn er zählte erit
12 Jahre, als jein Bruder Kafimir in der Fehde mit Nürnberg den Sieg von
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Meg 1552. 517
Affalterbah errang. Ob Albrecht ſchon zwei Jahre jpäter an dem bayerijchen
Erbfolgefriege teilnahm, ijt zweifelhaft; dagegen boten ihm bald darauf die Kriege
Marimilians in Jtalien Gelegenheit, fi an der Seite feines Vater und jeiner
Geſchwiſter die Sporen zu verdienen; die Chronijten berichten, er babe bei
Roveredo (1508) oder bei Padua (1509) „das Kriegen vnd Stürmen“ gelernt.
Georg von Frundsberg, deſſen er jpäter mit vieler Wärme gedachte, dürfte ihm
nabegejtanden haben. Als neu gewählter Hochmeijter nahm er ſich des Kriegs—
weſens jofort mit großem Eifer an, vermehrte und verbejjerte namentlich die
Artillerie, befejtigte Balga und fuchte den Grafen Reinhart von Solms [$ 22]
in jeine Dienjte zu ziehen. Leider waren die Kräfte des Ordens ſchwach, und
die de3 Landes Preußen, wie die des deutjchen Reiches verfagten ſich dem Hoch—
meijter im entjheidenden Augenblide, jo daß er den Krieg mit Polen ohne Glüd
führte. Uber die Belagerung Wiens und die Kämpfe mit den Osmanen ließ er
fich jo genaue Berichte jenden, daß noch heut das Königsberger Archiv für manden
Abjchnitt jenes Türkenkriegs das reichte Material bietet. Die Hoffnung, daß er
jelbjt zum oberjten Heerführer der Chriſten ernannt werden würde, welde in
weiten reifen genährt wurde, jcheiterte an der auf Albrecht wegen der Sekulari-
fation Preußens ruhenden Reichsacht und an den Umtrieben des katholiſch ge-
bliebenen Teiles der Deutjchherrn. Damit jhwand die Möglichkeit, die gefammelten
Kenntnifje praltiih zur Geltung zu bringen, und um fo lebhafter bejchäftigte
den Herzog der Gedanke, fie wenigſtens theoretijch zu verwerten.
Wohl jhon in den vierziger Jahren entjtand der erite Entwurf
von Albrechts Kriegsordnung, zunächjt um dem Verfafjer jelbit als
Hilfsmittel bei eintretendem Kriege zu dienen, dann aber auch, um
„rolches den Nachkommen und um allgemeinen Nutzens willen, jchriftlic)
zu Hinterlaffen“*). Als Albrecht dann 1552 zu Königsberg den Bejud)
jenes Lehnsherrn, des Königs Sigismund II. Augujt von Polen
empfing, legte er diejem das Kriegsbuch vor, erklärte jedoch, als der
Monarch fich dasjelbe zum Gejchenf erbat, es jei eines Königs noch)
nicht würdig und unterzog es eimer meuen Bearbeitung. Dieje
jandte er dann jpäter mit einer huldigenden Widmung vom 10. Auguft
1555 nad) Warjchau.
In dem Berliner Eremplare jteht auf der Rüdjeite de mit Ornamenten
deutfchen Renaiſſanceſtils farbenprähtig verzierten Wortitel$ der Namenszug
»Georgius Albertus Marchio Brandenburgensis« ; es ijt der ded Markgrafen
Georg Albredt von Brandenburg-Bayreuth !(1619—1666), und fo ijt wohl an—
zunehmen, daß das Eremplar eine urſprünglich für Bayreuth angefertigte Kopie
tft. Es befand ſich übrigens ſchon i. 3. 1668 in der kurfürſtlichen Bibliothek zu
Berlin.
1) Bol. v. Baczko: Über die militärifchen Kenntniffe ded Markgrafen Albreht. (Beiträge
zur $unde Preußens III, 1820) und %. Wagner: Herzog Albrecht und eine Kriegsgordnung von 1555
(Sonntagsbeilage zur Norddeutſchen U. 3. Nr. 9—16. 1887.)
518 Das XVIL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Dem Vortitel reiht fich der in Reimen gefaßte Haupttitel an:
Kriegsordnung bin id) genant; AU jein Schlahtordnung maden balt,
Wer kriegt vnd ijt in mir befant, Auch brauden manden Borteil gut,
Der fan nad) der zeit vnd gejtalt Dem feindt zu jtilln jein vbermut.
Daran jchließt jich die Dedifation des Buches an Johann Sigismund von
Polen und „Hernach volget faft der gange Inhalt dies Buchs in einer vor—
rede Reimweis geſetzt.“ Dieje Vorrede ijt nichts anderes ala die „Lehr Katier
Marimilians* [XV.$ 37). Un fie reiht fih ein Inhaltsverzeihnis „aler
fürnehmſten Stüd, darauf dies Buch gefundiret ift“. — Daraus ergibt ji nad
jtehende Anordnung: I. Stadt und Regiment einer gangen Bejegung
der Schlöjfjer Abſchn. 1-12. Es it dies nichts anderes als eine Wieder:
holung des erjten Buches der alten Ott-Preuß'ſchen Kriegsordnung [$ 12). —
I. Stadt und Regiment der Artlaren. Abſchn. 13—36. Dies iſt das
zweite Buch der alten Kiriegsordnung. Geändert find, u. zw. nur ganz unmwejentlid,
Reihenfolge und Namen der Geſchützarten; hinzugekommen aber jind zwei wert
volle Abjchnitte: 19. „Tafel, zu dem großen Geſchütz, darin angezeigt wird, zu
jedem einzelnen Stüd, wie viel e8 Raum und Pla muſs haben“ und 36. „Summa
alles Raum und Platz der Arklarey mit aller Zubehörung“. — II. Der Ritter:
ihaft Regiment. Dazu bemerkt der Herzog: „Bon dem Regiment der Ritter:
Ihaft vnd jren hohen emptern wer wol vil zufchreiben;... es wil ſich aber allbier
nicht jchreiben oder melden laſſen: Vrſach halben: vorgemelte hohe empter endern
ih von Jar zu Jar; aud hat fie ein ieplicher Kriegsherr nad) gelegenheit jeiner
Rüſtung“. Diefe Zurüdhaltung entjpricht ganz der des alten Kriegsbuches, das die
Reifigen ja eigentlid, völlig ignoriert. Das tut Albrecht nun doch nicht, jondern
widmet ihnen immerhin jieben Abjchnitte: 37. Einleitung; 38. Die Amter der Ritter:
ihaft; 39. Unkoſten derjelben; 40. Ihre Wagen; 41. Summa der Unkoſten
jamt den Wagen auf eihen Monat; 42. Raum und Pla der Reifigen jamt
“ihren Wagen ; 43. Die Tafel der Reijigen, d. h. ihre taktijche Anordnung. (Diejer
Auseinanderjegung wird näher an anderer Stelle erwähnt [$ 94). Daran jclieht
ji (44) eine Notiz über die bei den figürlichen Darjtellungen angemwendeten
Berjüngungen. — IV. Stadt und Regiment eines gewaltigen Fu
volts. Die 14 Abjchnitte diejes Teiles lehnen ſich grundjäglicy auch wieder
an das alte Ott'ſche Kriegsbuch an, jind aber in einigen Punkten durch Zuſätze
im Sinne des „Ämterbuches“ [$ 19) etwas erweitert und endlich in derjelben
Weiſe wie das „Regiment der Ritterfchaft“ durch eine taktijche Tafel bereicert,
von der weiter unten die Nede fein wird [8 83]. — Abſchnitt 59 erläutert: „Was
der Sel und Ruthen, aud die Läng eines Wertihuhs“.
In dieſen vier Teilen ijt der Herzog, der Hauptjache nad),
lediglich Wiederholer und Ergänzer; in dem nun folgenden der
höheren Taktik gewidmeten Abjchnitten tritt er jedoch
durchaus jelbitändig auf, und hier gewährt das Werf ein hödit
eigenartiges und bedeutjames Interejie.
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Me 1552. 519
V. Reifig und Fußknecht mit ſampt jren Emptern und Be-
trehliden, wie diejelbigen in Ordnung und bei der gantzen
Arllarey im Feldtzug ziehen jollen. — 60. Kurzes Rejume der Amter
und Anweiſung, wofür Küchenmeiſter, Futtermarſchall, Schent- und Backmeiſter
bei einem Feldzuge zu ſorgen haben. — 61. Wie Reuter und Knecht in
der Zugordnung ordentlich ziehen jollen. Eine Überſicht der Marſch—
ordnung: A. Vorzug. a) Vorderſtes Vortraben (50 Pferde). Vortraben
mit dem Fähnlein in geviertem Haufen (290 Pferde), rechts und links desſelben
je ein Nebentraben von 30 Pferden. — b) Verlorener Haufen: 200 Knechte
in geviertem Haufen, dem auf jeder Seite 200 Hakenſchützen als Flügel anzu—
hängen, 8 Falkonetlein und 1 Wagen mit Doppelhaken ſamt ihren Böden und
den dazu gehörigen Berfonen. — ce) Rennfahne: 1000 oder 1200 Pferde nebit
einigen Schügen und leichten Pferden zur Streife. — d) Zwei Haufen Fuß—
tnechte, jeder zu 3000 Knechten nebſt Hakenſchützen in angehängten Flügeln.
— Das Feldgejhüsß jamt der Munition und den Prudwagen joweit jie in
den „Vorzug“ geordnet jind, dazu die Schanzbauern und einige Doppelhafen mit
inren Böden. — e) Der Feldmarjhalh und der Zeugmeijter mit 300
Schanzbauern und andern Werfleuten, Duartiermeijtern, Wagenburgmeiftern
u. ſ. w., Speißwagen, Gezeltwagen und Wagenburgwagen. — f) 4000 ſchwere
Reijige Pferde, womöglicd in gevierter Ordnung. — g) 10000 Fußknechte,
geviert, jamt etlichem Feldgejhüg. Dies alles gehört zum Vorzuge. — —
B. Gewaltige Haufen: a) Das gewaltig Geſchütz jamt aller Munition,
Rejervegejpannen und Scanzbauern. — b) Der gewaltig Reiſig Hauf,
geviert, Baniere und Fahnen in der Mitte. — c) Der gewaltige Haufen
Fußknecht in gevierter Ordnung, jofern Raum dazu it. — d) Trojs, Hurn
und Buben. — — O. Nachzug, der Gelegenheit nad) wie der Vorzug zu
ordnen: Unter allen Umſtänden 400 Pferde nebſt einigen Schüßen.
62. Wie man jih mit Vortheil lagern und wie man jid in
demjelbigen Lager halten joll: Geſchickte Auswahl eines geeigneten
Plages dur kundige Kriegsleute. Genaue Schäßung des Raumes auf Grund
der in den Kapiteln IT—IV gegebenen Summen und Maße. Bejtellung der
„Schkart“ (Lagerwachen) aus Reiſigen und Fußvolk. Lagerbefejtigung durd)
Sraben und Wagenburg. Sicherung der Thore durch Gejchüg. Austeilung der
Pläge und Gänge im Lager für jede Waffe bejonders. Abjchliegung der Arklarei
und ihrer Munition dur eine bejondere Wagenburg. Daneben der Plat der
Schanzbauern u. j. w. Geregelte Ordnung für den Fouragierungs- und den
Wachtdienſt. Zur guten Naht und des Morgens ift Gejchüg zu löjen: „giebt
den Feinden VBerdriek und den Freunden Troit“.
63. Vormarſch gegen den Feind. — a) Gegen feindlide Be
teftigungen: Heimliche Annäherung. Aufforderung. Verbrennen der Borjtädte zc.
Erwägung der Angriffsart (beſchanzen, beſchießen oder jtürmen). Wahl des Yager-
plages. Einjchliegung. — b) Im freien Felde. Marfchordnung, wie oben aus—
einandergejegt. Trifft man auf den Feind, jo wird der gewaltige Haufen an den
Vorzug herangezogen; der Troß und alle Wägen bleiben dagegen hinter allen Haufen.
520 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
64. Die Ordnung zum Treffen. In diefem intereffanten Abjchnitt
will der Herzog nicht jowohl mahgebende Borjchriften machen, jondern „ein Re—
gifter und Dentzettel geben“. Zu beadten find vor Allem Sonne, Wind,
Staub, Wafjer und Gebirg. Ja nicht vergefien jolle man, welchen Nuten die
Artillerie gewähre. Wer das groß Geihüg zu rechtem Gebrauch und Treffen
bringt, der hat die Schlacht jhon Halb gewonnen. „Denn es geht einem jeg-
lihen Kriegsherrn der größte Unkoſt auf die Arflarey und Geſchütz, und mird
doc zu Zeiten wenig oder gar nicht? damit ausgericht, ja es wird wohl gar
dahinten gelaſſen“. — Sehr merkwürdig ift ed, daß Markgraf Albrecht den Ans
griff auf den linten Flügel des Feindes u. zw. in jhräger
Shladhtordnung, durdaus im thebanijch=alerandrinifhen Sinne, empfiehlt.
Er rät nämlid), die beiten Kriegsleute: Reiter, Knechte und Schügen, auf
den rechten Flügel zu ordnen, den linken Flügel dagegen weit vom Feinde und
wohl in die Länge gejtredt zurüdzubalten. Dann joll man „allemal den Flügel
bei der rechten Hand der Feind Flügel bei der linfen Hand angreifen lafjen und
fih mit der Stirn des gewaltigen Haufend aufs nähejt zum Angriff binan-
jtreden“. Dies gewähre großen Vorteil; denn jo fomme der Angriffsflügel dem
Feind „in die Blöß“, und diefer „mu fich alles über den Arm wehren“. Sierbei
jollen fi) die Oberjten und Hauptleut jelb3 perjönlich ſtetigs ſehen laſſen.
Während jo der gewaltige Haufe den linken Flügel des Feindes anpadt, joll
der Vorzug (nämlich Rennfahne und verlorener Haufe) die feindlihe Schladht-
ordnung mehr nad) der Mitte zu, aber zu gleicher Zeit angreifen. Bortraben und
Nebentraben dagegen follen umberjtreifen und fich überzeugen, dab der Feind
nirgends einen Hinterhalt gelegt habe. Gegen einen joldhen jei event. der Nachzug
einzufegen. Andernfalls jolle der Nachzug an die Vorhut oder gegen die rechte
Flanke des Feindes herangezogen werden; „denn jemehr Boll8 zum Angriff
wird gebraucht, je mehr Hoffnung des Sieges“. — Müſſe man ji) zum Rüdzuge
entjchließen, jo jei diefer womöglid) jo einzurichten, daß man die Wagenbnra
rechtzeitig zwijchen ji) und den Feind bringe, um unter ihrem Schuße abzuziehen.
Dabei jolle man die leichten Pferde immer mit dem Feinde ſcharmutzeln laſſen,
damit man Geſchütz und anderes dejto leichter davon bringe. — Gewinne man
dagegen den Sieg (65), jo möge man nur vorfichtig mit geringjten Pferden nad:
jegen, mit dem gewaltigen Heerzug aber in geſchloſſener Ordnung auf der Wal-
jtatt bleiben. (Nachklang der alten Ritterjitte dreitägiger Behauptung des Schlacht:
felde3 und dementjprechende Ausjchliegung der Verfolgung.) Dann dankte man
Gott und verteile ordnungsmäßig die Beute. Von diejer gehören dem Kriegs:
deren zum Voraus alle Gefangene und das große Geſchütz. Letzteres joll er
jedod) von dem Zeugmeifter um den dritten Pfennig, fo e8 wert ijt, löſen. Nach—
dem jo die Beute je nad) Gebühr verteilt worden, ift durch das ganze Lager ein
Monat Sold zu zahlen; denn mit der Schlacht geht allen Kriegsleuten ein Monat
aus und an. Bleibt dann der Feind im Weichen, jo foll man mit dem Lager
allgemach aufbrechen, die Fleden, Städt und Schlöffer in der Feinde Land ein—
nehmen und, wenn nötig, bejegen und fich das Volk jhmwören und die Urfund
geben lajjen. So kriegt der Kriegsherr das Geld zum Unterhalt jeiner Kriegsleut.
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Met 1552. 521
Zwei Abjchnitte (66 und 67) handeln von der Berproviantierung.
Das Heer, wie es vorher bei der Zugordnung angenommen, wird, einjchließlic
der männlichen Nichtitreitbaren, auf 90801 Mann berehnet. Davon befommt
jeder täglich ein zweipfündiges Brot, deren 40 von einem Sceffel Roggenmehl
gebaden werden. Um dad Mehl oder Brot für die ganze Armee auf einen Tag
mitzuführen, bedarf man 98 Wagen mit ebenjo viel Fuhrknechten und 396 Pferden,
was 122!/2 Gulden foftet; das macht für 5 Tage: 490 Wagen, 1980 Pferde, 612%,
Gulden Fubrlohn. Zu diefen Brotwagen fommen nun aber nod) 33 Wagen mit 2000
Spedjeiten, 100 Wagen mit 600 Tonnen Butter, 50 Wagen zu 400 Tonnen
Salz, | Wagen zu 20 Lajt Erbjen und 10 Laſt Grütze, 100 Wagen zu 100
Fudern Wein, 333 Wagen zu 1000 Faß Bier. Brot und Bier beanfpruchen
aljo die Hauptmajje des Provianttraind. — An Pferden zählt der Heerzug
alle in allem 45664. Dafür bedarf man als Tagesfutter 190 Laſt Hafer
(täglih Ya Sceffel für jedes Maul). Wirft man auf jeden der 1500 Wagen
der Wagenburg "a Laſt, jo führt man 750 Laſt Hafer, aljo einen Vorrat für
vier Tage mit, der als eiferner Bejtand gelten mul. Die Tagesration ift von
286 Wagen zuzuführen, welche im Stande find, allemal auf 2 Tag und 2 Nächt
Fütterung zu laden. Dieje Wagen brauchen 1144 Pferde und fojten täglich
37, Gulden Fuhrlohn. „Wo man in wilden Orden zu Felde leit, ijt alle
Macht an Nahholung der Proviant gelegen“. Daher ijt es notwendig, an ges
eigneten Stellen Magazine anzulegen. Der Transport auf Waſſerſtraßen bleibt
natürlih der bejte und billigjte. E83 ift auf die Mitnahme von Mühlen, Bad:
öfen u. dgl., je nad) Gelegenheit des Landes, Nüdjiht zu nehmen.
VI BZmweiundvierzig verjhiedene Shladtordnungen,
Figuren ſamt Berichten (68). — Dies Kapitel iſt von bejonderem Intereſſe.
Die großen farbigen Zeihnungen jind mehr in mathematijchem als in maleriſchem
Stile gehalten, wenngleich die Truppenformen nicht nur im Grundrifje, jondern
in perjpektivifcher Andeutung dargejtellt jind. Der Verfafjer legt aber großen Nach—
drud darauf, daß man mit Hilfe der von ihm gegebenen Maßſtäbe im Stande jei,
überall genau fejtzujtellen, welchen Raum die einzelnen Abteilungen auf dem
Schlahtfelde einnehmen und mwelhe Zahl von Mannen und Pferden diefem
Raum entjprede. — Es ijt nicht möglid), hier all die 42 Ordnungen in ihren
Einzelheiten zu charafterijieren; nur auf die Hauptgrundzüge und auf einige der
intereffantejten Mujter kann hingewiejen werden: — Faſt durchweg ordnet der
Herzog jein Heer „dreiſchichtig“, d. h. in drei Treffen an. Wiederholt hebt er
bervor, daß es zwedmäßig fei, breite Fronten zu entwideln und daß man zu
dem Zwede viele fleine Haufen bilden jolle, „auf daß man deſto mehr Volt
zum Angriff und Treffen kann bringen“. In den Räumen zwiſchen diefen Haufen
möge man die Artillerie derart verteilen, daß fie möglichjt lange maskiert bleiben,
im günftigen Wugenblide aber plötzlich zu überrafchender Tätigkeit gebracht
werden fünne. Dabei empfehle es fih, das Geihüg „fürwärts zu ſchleffen;
dann können die Pferd in geſchwinder Eil abgenommen werden und die Büchjen-
meijter ein Schuß oder egliche thun. Alsdann die Pferd wieder fürlegen und
immer fortrüden“. Überaus merkwürdig iſt die jechite Yyigur, welche die Anord—
522 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
%
nung eines großen Angriffsflügels darjtellt, neben dem eine breite zurüdge-
haltene Schlahtordnung gedacht ift, aljo die Ausführung des im allgemeinen Teile
jo warm empfohlenen Verfahrens S. 520]. Diejer Angriffsflügel Albrechts ijt, auch
was die Waffenmiſchung betrifft, wahrhaft alerandriniih: In erjter Linie eine
jtarfe Schüenabteilung, von zwei Reifigengejhwadern rechts und links jouteniert.
Dann ein großer Haufe Küraffiere, auf jedem Flügel eine Batterie, die wieder
von Neifigen gededt wird. Hierauf ein gewaltiger Fußknechtshaufe mit Artillerie
auf den Flügeln, als deren Soutiend hier Heinere Landsknechtshaufen dienen.
Hinter dem gewaltigen Haufen eine große Batterie, die, völlig dem Auge des
Feindes entzogen, je nad) Umständen rechts oder links gegen eine Überflügelung
oder zum Zwede einer Flankierung vorgezogen, werden fann. Dasjelbe gilt von
dem dritten Treffen, welches, aus Schügen, Reifigen und Artillerie zujammen-
gejeßt, den Charakter einer leicht beweglichen Generalrejerve hat. — Figur 7 iſt
eine zum Widerjtande nad allen Seiten bejtimmte Mafjierung, wobei die Neiterei
vier „Hörner“ bildet, um Angriffen auf die vier Fronten, vor denen die Artillerie
aufgefahren ift, durch flanfierende Attafen zu begegnen. — Ähnlich ift die Die-
pojition der achten Figur. Hier find zwei aus Schügen und Reiſigen gebildete
Hörner vorgebogen: Cato8 und Vegezens »forceps«e. Herzog Albrecht weiß das
wohl; denn er jagt: „Und hat man durch joldhe Ordnung vor Zeiten bei den
Alten viel ausgeriht, wie es heutigen Tages auch wol gejchehen kunt“. —
Figur 12 jtellt wieder eine „dreiſchichtige“ Schlahtordnung dar: im erjten Treffen
hohle Vierecke, welche Artillerie bergen, im zweiten Schüßen und Kürajjiere, im
dritten Fußknechte und Reiſige. — Figur 14 ijt ebenjall® dreijchichtig; Hinter
dem einen Flügel aber jind Reiſige und Schügen gejammelt, welche eintretenden
Falls diejen Flügel verlängern jollen, jei es, um einer Umfafjung entgegen zu
treten, jei e8, um jelbjt zu umfaſſen. — Figur 24 zeigt die Stellung in einer
Wagenburg, deren eine Seite jedoch offen gelafien ijt, um hier dem Feinde ent—
gegen zu treten, namentlich dem etwa Stürmenden mit Schügen und Neitern in
die Flanke fallen zu fünnen. — Die Figuren 28 und 36 lehren, wie man ji)
neben einer (runden oder vieredigen) Wagenburg aufzujtellen und von ihr als
Flankendeckung Nutzen zu ziehen habe. — Figur 25 hat eine feilfürmige Geitalt;
die Seiten des Dreiedö jind durd) Kriegshaufen verjchiedener Waffen gebildet,
die jich z. T. überflügeln, jo daß der Angriff in doppelten Echelons mit einer
frontal geordneten Rejerve erfolgt. — In mehreren andern Figuren (31, 32, 39)
dient die Wagenburg als Reduit im Rücken des Heeres. — Überall ift der größte
Nahdrud auf das Zuſammenwirken von Schügen und Neitern gelegt; überall
empfiehlt der VBerfajjer in immer neuen Wendungen, das Gejhüg tätig zu ver-
wenden und e3 entjchlojjen einzujegen ").
VII Elementartaftit. 69. Elf Figuren, dadurd) alle gevierte Ordnung
und Haufen (für Fußvolk wie Neiterei) verändert mögen werden in andere Formen.
— 70. Zehn Figuren zu den Wagenburgen, wie man die ordentlich einführen
joll und beſchließen. — 71. Tafel zu den Wagenburgen. — 72. Dreierlei Figuren
1) Bei manchen Figuren ift auch des Feindes Aufftelung als „Gegenfigur”“ angegeben, u. am.
der Feind als Türle gedacht, weshalb ihm ſtets Kamele zugeteilt find.
3. Die allgemeine Literatur biß zum Aufgeben der Belagerung von Mep 1552. 523
der Zäger mit Wagenburgen. — Der Inhalt diefes Kapiteld joll fpäter unter
„zruppentunde”“ [$ 83, $ 94 und $ 99) beiprochen werden.
VII. Beriht des türfiijhen Kaijers Shladtordnung (73).
Eine furze Zujammenfafjung des osmanischen Kriegsweſens, an welche fich einige
Dejiderata anjhliegen, die z. T. militärpolitiihen Inhaltes find und ſich
ipeziell auf den Türkenkrieg beziehen, der ja um die Mitte des 16. Ihdts. die
Deutſchen jo dringend beſchäftigte, 8 24]. Einige diefer Brinzipienfragen find
aber auch von ganz allgemeinem Intereſſe. 3. B.: „Ob die vieredigt Ordnung,
jo gemeinlid von uns gebraucht, wider des Türken Ordnung bequem jei? —
Weil auch bei den alten Römern die Legiones gehalten, diejelb auch ungefährlic)
6000 ſtark gewejen, ob nicht bejjer jei, jolche Xegiones von neuem wieder anzu—
rihten und die Ordnung nad) Weife der alten Römer zu halten?!) — Item,
dat die Disciplin dejter leichter fei, ob nicht verträglicher, der Ständ und Haupt-
leut Unterfchied zu machen, wie vor alters die Römer gehalten, auch unjer Feind
der Türke thut ??) — Ob nüßer wäre, dab die Landsknechte gerüftet wären (d. h.
geharnijcht) und nit aljo zerichnitten ®), Umtehrens und Wendens willen, dab in
einem gejtedten Haufen dur ſolche zerjchnittene Kleider und der Degen Hoch—
gürtung gar jeltjam verhindert. — Ob aud) nit bejjer wäre, durd) alle Stände die
Legiones als Regiment zu erhalten und fie in jteter Übung und mit gewifier
und jonderliher Speife gewöhnet, als in anliegenden Nöthen einen jeglichen ans
zunehmen“. Dies Dejiderium wirft die Frage des jtehenden Heeres auf.
Dieje Inhaltsangabe von Albrechts Werk dürfte einen Begriff
von dem hohen Wert desjelben geben. Intaftifcher Hinjicht tft es
unzweifelhaft die bedeutendjte Schrift des ganzen 16. Ihdts., Machia-
vellisS sette libri nicht ausgenommen. — Welchen Rufes es genoß,
lehrt der Umjtand, daß ein vorderafiatiicher Fürſt, Heraklides
Sacobus Bajilicus, despota Sami, Pari etc. princeps dasjelbe
fannte und benußte.
Bajilicus widmete dem Kaiſer Marimilian II. Artis militaris libri IV
(8. f. Hofbibliothef zu Wien ms. no. 10980), und mit bejonderer Erwartung
ihlägt man den Anhang diejer Schrift auf, welcher eine Turcarum acierum
descriptio enthält ; man erhofft hier von dem unmittelbaren Nachbarn der Türken
Aufjchlüffe über die Kriegsweiſe jeiner Befieger. Erjtaunlicherweije jedoch geiteht
der jamijche Dejpot ein, dab er in Bezug auf dies Thema nicht3 bejjeres fenne
als das betreffende Kapitel aus des Herzogs von Preußen „Kriegsbuch“, und jo
hat er ſich begnügt, dies einfach ins Lateiniſche zu überjegen.
Auch König Sigismund wußte wohl, welchen Schat er in Albrechts
Buch beſaß, und beeilte fich, denjelben jenen jlaviichen Volksgenoſſen
1) Es ift de derjelbe Gebante, welcher Francois I. zur Einrichtung der franzöfiichen Legionen führte,
2%) D. b. Gliederung nah dem Dezimalfniteme.
2) Es find die aufgepufften Wämjer und Hojen gemeint, die lange Echlige hatten, durch welche
das farbige Unterfutter hervorauoll, die tolle Modetracht ber Zeit: „Berhauen und zerichnitten nad)
adelihen Sitten.”
524, Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
zugänglich zu machen. Er beauftragte den Mathias Strobicz
mit einer Überjegung der Kriegsordnung ins Polniſche,
die denn auch mit allen Figuren in einer äußerjt prachtvollen Hand—
ihrift i. 3. 1561 zu jtande fam. Der König hegte die Abjicht,
dieje Uberjegung druden zu lajjen; aber er jtarb darüber.
Die polnifhe Überjegung ift in folgende Kapitel abgeteilt: 1. De
castellis atque arcibus munitis. 2. De armamentariis bellicis et horreis.
3. et 4. De ordine et disciplinae militaris equitum peditumque. 5. De
ratione agminis. 6. XLII modi aciei instruendae. 7. De castris locandis.
8. Notitia brevis de militari disciplina exercitus Turcarum. — Der
polnijhe „Eoder Albertinus” fam im 17. Ihdt. in die Hände des Heerführers
Chodfiewicz, jpäter in die des Königs Jana’ III Sobiesfi, bis ihn Stanislaus
Augujt der Bibliothet Zaluskich überwies. Diefe wurde bald darauf aus
Polen entführt; ein Zufall aber brachte den Coder Albertinus in den Bejit des
gelehrten Taddeus Czacki, nad deſſen Tode er mit der Bibliothef Poryda von
dem Fürſten-Palatin Czartorysfi erworben wurde. Im Jahre 1858 murde
nad diejem Eremplar eine jehr reich und ſchön ausgejtattete Ausgabe dejien
veranjtaltet, »quae Poloni lectoris interesset cognovissee.. Das ijt nun
freilich überrafhend wenig; denn dieſe in Berlin hergeftellte, doh zu Paris
herausgegebene Edition der Alberti marchionis Brandenburgensis Libri de
arte militari bringt nämlich nur die Worreden des Überſetzers und des Autors,
die Widmung an den Polentönig (darauf fam es anl), die Lehr Kaiſer
Marimilians (in polnischen Verſen), das Inhaltsverzeichnis und einige jhöne
Scriftproben. — Neunzehn Jahre vor Veröffentlihung dieſes Bruchſtückes er:
wähnte General dv. Gansauge, daß Auszüge aus Albrechts Kriegsordnung in
polnischer Sprache erſchienen jeien, die er aber nicht gejehen habe. Auch mir find
fie unbefannt geblieben.
Bon dem deutijhen Terte des Berliner Eremplars find abgedrudt
worden: die wichtigen Kapitel V, VI und VII im 2. Hefte der nun auch jchon
äußerit jelten gewordenen „von einigen Offizieren des Kal. Preuß. Generalitabs
herausgegebenen Dentwürdigfeiten für die Kriegskunſt und Kriegsgeſchichte“
(Berlin 1817), ferner „Albreht3 Anforderungen an die militärwifjenichaftliche
Vorbildung eines Heerführers“ (Kenntnis der Theologie, Jurisprudenz, Arithmetif,
Geometrie und Mathematif) von Blatt 6 des Manufjfriptes in dv. Gansdauges
Schrift „das Brandenburgifche Kriegsweſen um die Jahre 1440, 1640 und 1740”
(Berlin 1839), dann die gereimte Einleitung von Friedländer in der „Zeit:
jchrift für Kunſt, Wiſſenſchaft und Geſchichte des Krieges“ (1845) und endlich
das große Widmungsfcreiben von F. Wagner a. a. O. (1887).
Eine Veröffentlichung der „Kriegsordnung“ wäre in hohem Grade
wiünjchenswert; denn das Werk des Herzogs Albredt von
Preußen bildet den Höhepunkt der deutjchen Kriegswiſſen—
ihaft des 16. Ihdts.
neese f% IBS
3. Die allgemeine Literatur bi$ zum Aufgeben der Belagerung von M = — >
7Ty
8 24. —— —
Das Bild der deutſchen Militärliteratur der erſten Hälfte des
16. Ihdts. würde nicht vollſtändig ſein, ja eines weſentlichen Zuges
entbehren, wenn man nicht auch derjenigen Schriften gedenken wollte,
welche ſich mit der Abwendung der Türkennot beſchäftigen. —
Seit der Thronbeſteigung Solimans II. hatte der Islam reißende
Fortſchritte in Oſteuropa gemacht. Im Jahre 1522 war Rhodos in die
Hände der Osmanen gefallen; vier Jahre jpäter erfocht der Großherr
den Sieg von Mohäcs; 1529 nahm er Ofen und belagerte, aller-
dings vergeblich, mit 120,000 Mann Wien. Aus diejer Zeit befigt
die k. k. Hofbibliothef eine Reihe literariſcher Arbeiten, welche jich
mit den gegen die Türfen zu ergreifenden Maßregeln oder mit dem
Kriegsmweien der Osmanen bejchäftigen. Ich gedenfe zunächit der
Schriften Aventins (Thurmayıs) gegen die Türfen, (ms. Nr. 8848
und 9606, VI.)?), die jich auch u. zw., wie es jcheint in Thurmayrs
Autograph, in Leipzigs Stadtbibliothef (cod. 915) wiederfinden. Sie
führen die Titel:
a) Ein warnung, anzaigung vnd vriad, warumb Gott der Herr dem
Zurdhen jo uiel Sigs gebn, bichrieben durch Joannem Auentinum 1529,
b) Anzaigung, was vnd wie das alt Romiſch Kriegs Regiment ge:
halten, wie mans aud) zu vnſer Zeit widerumb anrichten möcht. Mit angehendten
Hiftorien was für Kriegs Zug wider die Saracen aus der Chriftenheit gejchehen.
Bejonderes Intereſſe hat die leptere Schrift, welche ſich mit Einficht und
Wärme gegen die bisherige Art der Heereaufbringung in Deutjchland richtet,
und daher wird an anderer Stelle noch näher auf diefelbe einzugehen fein [8 77).
Ferner jind hier zu erwähnen ein Traftat Gruebers De
militari Turcarum disciplina (ms. 8559) und Hochen-
rains Defenjive Steyermarfs wider den Türfen (ms. 7248, 1).
Damals richtete auch £uther an den Landgrafen von Hefjen jein
„Bedenfenvom frieg wider den Türden“ und veröffentlichte
jene glühende „Hehrpredigt wider den Erbfeind der gangen
Chrijtenheit* — zwei Schriften, welche Frönsperger ebenjo wie
diejenige Aventins i. 3. 1573 in den III. Band feines „Kriegsbuches“
aufnahm (©. 300, 329 und 342—352.)
Inzwijchen beunrubigte die Marine der Osmanen unter Barbarojja
alle Küften des Mittelmeeres, und nach Zapolya's 1540 erfolgtem
1) Bol. Munder: Zwei Heinere deutjche Schriften Aventins (München 1879) u.d. Druffel:
Bemertungen über Aventins Schriften: Türfenwarnung und Römiiches Kriegsregiment. (Sibungs-
bericht der k. bayer. Alad. der Wifienichaften vom 3. Mai 1879.)
526 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Tode jah jich der Sultan als Herr von fajt ganz Ungarn. Mit nur
allzuberechtigter Sorge blidte Deutjchland nach Djten, und den An-
zeichen diejer Stimmung begegnet man denn auch in der Militär:
literatur.
Sehr merkwürdig iſt der „Rathſchlagk vnd Chriſtliches
Bedencken, wie ohne ſonder beſchwer der obrigkeit auch der vnter—
tahnen der Chriſtenheit erb feindt, der Turcke, zu waſſer vnd landt
zu vberziehen vnd mit der Hülffe des Allmechtigen zu vberwinden
wäre. Gemeiner Chriſtenheit alſo zu gutem Bedacht durch einen
hochweiſen und erfarnen Kriegsobriſten.“ — Das Manuſkript befindet
ſich in der Herzogl. Bibl. zu Gotha. (Chart. 575.)
Die Schrift zerfällt in neun Teile. Dieſe handeln: 1. Von der Durcken
anfangh vnd Siegk, der armen gefangenen Chriſten Clage vnd der Vrſache vnſers
Verderbens. 2. Vbrſchlagt, wo die Leuthe, Reutter vnd Knechte, jo vor die
Chriſtenheit täglich ſtreiten ſollten, ohne menniglichs ſonderlich beſchwerdt zu
nemen ſeyen. 3. Wo die beſoldung, damit Reutter vnd Knechte auf ezlich Jar—
lang vnderhalten auch ohne ſünderlich beſchwernus beider, der Obrigkeit ſowol
als der Vndertahnen, von geiſtlich vnd weltlichen gemeiner Chriſtenheit zu nemen
ſey, was das vor eine Summe mache vnd wieviel leuthe davon zu vnderhalten,
auch wie die, jo mit einnehmen vnd ausgeben oder anderen Ambteren mancherly
betrug vnd practiden gebrauchen, ernitlichen ohne gnade zu jtraffen jeyen. 4. Was
der Neutter vnd Sinechte bejoldung jein jolte, aud) derer, die Ambter tragen, auf
Vormerung, mindrung vnd bejierung nad) gejtalt der perjonen, ihrer muhe vnd
arbeit, aud) ihrer zeidt gelegenheit. Wie jie mit ihrer ordnung vnd wehren jollen
gefaßt, aud nad größe ihrer wergk vnd erbarn that jollen begabt, in ihrer
Krankheit in den Spitteln vnd Clöſtern verjorget, vnd wie die, die jich diejes
Chriſtlichen Zuges eußern vnd die leuthe hin vnd wider auf der Garth (durd
Drohbettel) bejhweren, ohne gnad jollen geitrafft werden. 5. Wieviel Armaden
zu wajjer vnd wieviel hauffen zu ande, wie ſtark vnd wo die zu nemen, wer
profiant nachfuren, geſchütz, fraut vnd Loth geben joll, auch welden wegk fie zu
waſſer und zu lande ziehen und was Verordnung fie in weltlid) jowol als Religions-
jahen halten jollen. 6. Wo man die Kriegsmunition, geſchuz, pulfer vnd lobt
jamt darzu gehörenden wagenn vnd rofien nemen, wieviel die vngefehrlich in der
Summa macen, vnd auf wievil Jar der Durdenzug anzuſchlagen. Daß man
auch gotfurchtige, verjtendige, erlihe Leuthe zu den Ambtern erwehlt, gotlejterer,
Bollfaufer vnd andere Vnzucht ernitlich ftraffe, qut Regiment vnd Ordnung balte,
auch alle mishandler aus der ganzen Ghrijtenheit inn die gefehrlichiten ürter
wider die feinde täglich zu jtreitten verordnen vnd jchiden ſolle. 7. Berzeihnis
der lande vnd jtätte, auch namhafftiger berge, Meere und jchiffreichen waſſerſtröme,
jo vom Durden der Chriftenbeit genommen fein. 8. VBermanung aud) warnung
reimweije geitellet an alle jtende der Chriſtenheit vom höchjten biß zum niderjten,
day fie doch einmal einzigf werden, ihr mecht zujamen jeyen vnd vom jchlaf er:
3. Die allgemeine Literatur bis zum Aufgeben der Belagerung von Mek 1552. 527
wachen vnd jich nicht jo jchendlichen verderben vnd lebendigf begraben laſſen,
alles, das jie zu ſolchem vervrjaht abthun vnd ein busfertiges leben anfahen.
9. Kurz Summariſcher auszugk des durdiichen Anſchlagks in difem buche.
Die Mittel zu jenem großartigen Plane denkt der Verfaſſer
folgendermaßen aufzubringen:
Er ſchätzt in der Chriſtenheit 30000 Bettelmönde, 80000 andere Mönche,
0000 Klojterfrauen, 2 Millionen Pfarreien. „So nun iglicde pfar, jtift, clöjter
ein man gibt, hat man in Summa von allen Clöſtern, jtiftern vnd Pfarren
2200 000 Mann“. — Durdichnittlich leben in jedem Stift oder Hloiter 25 Mann;
gebe von denen jeder wöchentlich 1 Pfennig, jo fümen 1249999 3%4 Taler vnd
46 Pfennig zujammen. Gebe jedes Stift und Kloſter vom jährlichen Gefälle
10 Taler, jo made das wieder 2000000 Taler. Rechne man auf jede Pfarre
500 Berfonen zu zehn oder mehr Jahren und verlange von jeder” wöchentlich
1 Pfennig, jo kämen von diefer Milliarde (!) Menſchen im Jahre 250 000 000
Taler zuſammen. Zahlt ferner jede Piarre von ihrem jährlichen Gefälle 10 Taler,
jo ergibt das 20 Millionen Taler. Feder Kirchendiener, deren jede Pfarre min-
deitens einen hat, zahlt 1 Pfennig wöchentlich extra: ergibt 500000 Taler. Auf
dieje Weile kommen aus GStiftern, Klöjtern und Parochien 273 Millionen und
750000 Taler zujammen. Den Juden jei dann eine Steuer aufzuerlegen, welche
253 Millionen 750000 Taler bringe; die Weltlihen aber hätten insgejamt
ebenjo viel wie die Stifter, Klöſter und Parochien aufzubringen, jo daß ſich ein
Sejamteintommen von jährlich 8321 Millionen 250 Taufend Taler ergebe —
8212 Tonnen Goldes. Rechne man nun als monatlihen Durchſchnittsſold für
jeden Krieger 10 Taler, jo bedürfe eine Million Streiter jährlid) doch nur 1000
Tonnen Goldes; man behalte aljo immer noch 7212 Tonnen Goldes übrig!
Diefe Berechnungen find ungemein charafterijtiich für die jtati-
jtiichen Auffafjungen des 16. Ihdts. — Das Heer Solimans II.,
mit dem er vor Wien zog, wohl das größte jener Zeit, zählte nur
120,000 Mann; der Verfaſſer des „Rathſchlagks“ will eine Million
Streiter aufitellen. Man mag ihm das zugeben: auf diefem Wege
fonnte dem Kriege mit einem Schlage ein Ende gemacht, konnte der
Aterstraum Kaiſer Marimilians: völlige Vertreibung der Türken
aus Europa, jchnell und jicher verwirklicht werden. Die finanziellen
Berechnungen des „hochweiien vnd erfahrenen Kriegsobrijten“ find
aber Doch gar zu naw. Zunächſt überjchägt er die Kopfzahl der
hriftlichen WBölferwelt etwa um das jechzige bis achtzigfache der
Wirklichkeit; dann beſteuert er fie doppelt: einmal injofern fie einem
firchlichen, das anderemal injofern jie einem jtatlichen Verbande
angehört. Die geijtlichen Körperjchaften aber werden überdies auch)
noch als jolche bejteuert, abgejehen von der Kopfiteuer des gemeinen
528 Das XVI Jahrhundert. I, Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Piennigs; ja die armen Kirchendiener haben die Kopfiteuer Doppelt
zu zahlen, um auf diefe Weije noch eine halbe Million Thaler mehr
zu gewinnen — und jo wird eime Summe erzielt, die ungefähr acht
mal jo groß tft, als der VBerfafjer für jeinen an und für fich ja ſchon
ausjchweifend hohen Anjchlag nötig hat. — In der Tat, der ehr:
liche Obrift hat doch recht wohl daran getan, jeinem Buche das
Motto voranzujtellen:
„Halt nit vor Scherz, bringt dir fonjt Schmerz ;
Haft wol gejehen, wie andern beſchehen!“
Die Gothaer Handichrift ijt mit bunten, zwar nur fignaturartigen, doc höchſt
harakteriftiihen Zeihnungen ausgejtattet. — Die Wiener Handicrift (Nr. 10929 II)
des Ottſchen Kriegsbuches v. J. 1542 bringt unter der Überſchrift „Vorſchlag,
wo die Leutte, Reutter vnd Knechte zu nehmen“ eine auszüglide Bearbeitung
des Anſchlags. Ein anderer Auszug findet id) im 3. Bande von Frönspergers
Kriegsbuch (S. 358—362), und jeltjamerweije iſt das befremdliche Buch jogar
noch i. 3. 1617 (8. 1.) feiner ganzen Ausdehnung nad) neu gedrudt worden‘).
Faſt noch naiver it Die „Getrewe vnd wolmeynende
furge erjunerung von der Türden ordnung in iren Kriegen
vnd FFeldichlachten, welche Bernardin Türd zu Burgel in Bayern
im April 1542 dem Kurfürjten Joachim von Brandenburg widmete?).
Joachim, der i. J. 1529 als Hauptmann des niederſächſiſchen Kreijes rühmlich
gegen die Osmanen gefochten, war 1542 zum oberiten Hauptmann des Reicht
gegen die Türken erwählt worden und in Ungarn eingerüdt. Bernd. Türd, der
früher in Ungarn gelebt und dort durd den Diener eines Gefandten (!) Kenntnis
von osmanijcher Kriegsfunft erworben, gibt nun dem Kurfürſten Anleitung, wie
der Krieg am beiten zu führen jei. Er braucht nicht mehr ala 4',a Blatt dazu
Die Hauptjache ijt jeine Warnung vor allzureichlichem VER: des verführerijchen
Ungarweines!
4. Gruppe.
Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nienport 1600.
8 25.
Der jchöne Auffchwung des deutjchen Kriegsweſens, der jich um die
Wende des 15. und 16. Ihdts. vollzogen hatte, war von Anfang an nicht
ohne bedenkliche Nebenericheinungen gewejen, welche ihren Grund
vorzugsweile in dem Umjtande hatten, dat es Söldnervolf war, das
I) Eremplar in ber Bibl. der Berliner Kriegsalademie (D 4123).
2) Eremplar in der Bibl. des Germaniſchen Muſeums (Nr. 6329).
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 529
jene Neuentwidelung herbeigeführt und auf dem die weitere Aus:
geitaltung des Kriegswejens nun Jahrhundert lang beruhte. — Um
Mitte des 16. Ihdts. traten die daraus hervorgehenden Übel bereits als
chronische Krankheit auf, und vergebens jannen die Ärzte auf Heilung.
Alles Dichten und Trachten richtete jich daher auf die jo unendlich
jchwierige Heeresaufitellung und Heeresverwaltung; die Beichäftigung
mit der Heeresführung trat, zumal in Deutjchland, das in dumpfe
Unthätigfeit verjunfen war und feinen nationalen Krieg zu führen
hatte, in den Hintergrund. So erlahmt denn auch das kriegswiſſen—
ichaftliche Leben und friftet ſich — abgejehen von waffentechniichen
und fortififatorischen Werfen — ganz wejentlich durch Bearbeitungen
des alten Amterbuches.
8 26.
Etwa aus dem Jahre 1553 rührt eine elegante Handjchrift der
fol. Bibliothek zu Berlin her (ms. germ. fol. 70), die „Kriegs:
DOrdnunge, beichribenn und jammenbracht durch Hanſen Gentzſchen
Burgern vnd Metjtern zu Neuenn Dresdenn,“ deren Inhalt jich wie
folgt ordnet:
Romiſcher, Hungerijcher und Behmiſcher Königlicher Artitelsbriff (für König
Ferdinand). Ein ander Bejtelbrieff auf Reuter vnd Knete. Credentzbrieffe (d. ſ.
Werbepatente). Volmacht. Gewaltsbrif. Volmacht on alle Landsknechte. —
Ordnung vnd Bevel eines gangen Regiments: Oberjter Jeneral Feldhauptmann,
Oberiter Feldhauptmann vber das Ktriegesfusfold, Oberjter Feldmarſchalch, Zeugk—
meijter, Prouojen-Regamendt, Schangmeijter, Prouandtmeijter, Brandtmeiiter,
Wachmeijter, Uuartiermeijter, Hauptleute, Fendriche, yeldwaibel, Furer vnd
Waibel, Forirer, Hurnwaibl, Schultes. — Vorrede des Schulthejjen. Umfrage,
Antwort ꝛc. desjelben. — Geriht3ordnung. Gemwaltbriff. Kundſchaftsbrieff. „Ein
Todtſchlagk gegen die Freundtichafft auffzurichten in Jahrsfrijt. (Bietet den Ans
gehörigen eines Erjchlagenen Auseinanderjegung, bzgl. Entſchädigung). Urteläbrief.
— Schlachtordnung (lediglih Angabe der Quadratwurzeln für Aufitellung von
Mannſchaftsvierecken). Endlich Abſchrift von Preuß’ Auszug aus der alten
Kriegsordnung. .
Die Schrift von Gentzſch zeigt das Streben, außer der Überficht
der Amter auch ein Formular: und Mufterbuch zu bieten, nach welchem
die Schreiber jich bei Ausfertigung ihrer „Brieffe“ richten könnten.
8 27.
Eigenartig und interefjant it „der Ko. Bngar. vnd De. So.
Mt. ꝛc. vnd der Stad Brejlaw bejtalten Ryttenmeyſters
Jähns, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 34
530 Das XVI Jahrhundert. IL Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Achillis Sciptonis Nolano Inſtruction und Ordnung der
Kriegsrüjtung.“
Das Werk befindet fich in zwei ganz gleidartigen und gleichausgeitatteten
Gremplaren v. 3. 1553 in der herzogl. Bibliothef zu Wolfenbüttel (August.
num. 39, 14) und in der k. k. Hofbibliothef zu Wien (Nr. 10892). Jenes iit
dem Reichsgrafen Heinrid) zu Meihen, Grafen zu Hauenjtein, Blauen und Gera,
Kanzler der Krone Böhmen, dieje® dem Erzherzoge Ferdinand gewidmet. Ein
drittes Eremplar in der f. Hof- und Statöbibliothef zu Münden (cod. germ. 3664
hat feine Widmung und zeigt auch jonjt einige Auslafjungen.
Das Bud iſt ganz methodijch nach den drei Waffen geordnet
u. zw. jo, daß die Neiterei vorangeht, das Fußvolk nachjolgt und
dann die Betrachtung der Wagenburg und der „Belagung“, ein—
jchlieglich des Befejtigungswejens, den Übergang zur Artillerie bildet.
Eine Auseinanderſetzung des Gerichtsverfahrens und ein artillerie
technijcher Anhang machen den Beichlup.
Das Motto, welches die Arbeit einleitet, lautet: »Tempora mutantur, rerum
variantur et usus». — „Sannzeleyjch deutſch“ hat der Berfafjer nicht zu jchreiben
verjucht; fondern er ijt bei feiner „einfeldigenn anngeborenenn Schlefjiihen Sprach
verbliben“ und will in diejer auseinanderjegen, was einem Kriegsmanne gebührt,
zu tun und zu lajien. — Ein „PBrologus“ leitet das Bud ehriam und Fromm
ein mit dem Hinweiſe auf die Türfennot und der Warnung vor unnügen Kriegen.
Uber kein Menſch fann länger Frieden halten, als jein Nachbar will. Gibt es
Krieg, jo braucht die Obrigkeit einen Generalhauptmann und einen hellen Haufen
mit aller Municion und Zugehorung. Die Eigenjchaften, deren ein guter Feld—
hauptmann bedarf, werden dargelegt und dabei eine Reihe allgemeiner Kriegs
regeln entwidelt, die zumeijt dem Vegez entnommen find.
1. Reiterei. — Üredenzdbrieff vnd Vollenmaht Eynes Ryttenmeiiters.
Keijerl. Majt. Bejtellebrief auf 300 gerüjt Pferdt. 1552. Des Röm. Königl. Man,
Beitallung vber eine anzal Reutter. Bejtelbrieff der Neutter des Romijhen Reiche.
Achilles Scipiony angejtalter Bejtallbrief (Formular, weiches der Autor entworfen
hat). Artidelbrieff, daruff die Rewtter jchwehren. — Der Rewther Regiment
vnd Ordnung. Überiter Bejehlähaber ift der Feltmarſchalck. — (Marſch—
Ordnung der Nitterfhändlen: Brenn-Fhan, Schüczen-Fhan, Nenn- han, Hempt-
Bhaner, der Nachzug Fhan. — Schladhtordnungen der gerüjteten Pferde mit dem
Feinde zu treffen. — Bon Trommetern, — Bon Geringer Pferde Schlaht vnd
zugordnunge [$ 9]. — Bon Bejoldung der Reutter. — Wie man ein Rüit
wagen jtaffiren jol, — Gemaine Kriegs Regeln aus dem 3. Bud) Flaviy Begecn.
2. FZußpolf, — Regiment ayns gewaltigen hawffen. (Bier fommt Ber
fafier zuerft noch einmal auf den Generall-Beldt-Hauptmann, der jih nach Inhalt
des Prologen verhalten joll). — Oberſter Landsknecht Hawptmann. (Notiz über
die Plichten des Feldmarſchalls gegenüber den anderen Waffen). Hawptmann,
Fenderich, Beldtwaibel, Waibell Führer, Forierer, Quartiermaijter, Wachmaiſter.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 531
Brandtmaijter, Prouiantmaifter, Schanczmaifter; Zeugmaijter (mit dem Vermerf:
„Das Ampt gehört nad) dem Feldmarſchalck)). Prouos. Huren Waibell —
Zug vnd ſchlacht Ordnung der Knecht [883]. — Beitallung der Vnderhawbt—
leutt vber ain Fenle Knecht. Eines feldichreibers eid. Credenzbrieff aynes Hawpt⸗
manns vber ain anzall Lanndsknecht. Vollenmacht ains Hawbtmanns. Beitelle-
brieff der Landsknecht. Artickelbrieff derjelben. Der Landsknecht taffelgelt vnd
toppeljoldt. (Motto: Ein yder arbeiter yſt ſeins long wirdig).
3. Wie eine wagenburgf angeſtalt und gejchlofjen jol werden [$ 99]. —
Der ſchantzpawern regiment. — Wie ein jtad belegert jol werden, Wie man
jich in einer belegerten Stad befeftigen und verhalten jol. — Eine Stadt
joll mit weiten und tiefen ausgefütterten Wafjergräben wohl verjorgt fein und
hinter dem Graben mit zwei guten Mauern in ziemliher Höhe und Weite von
einander geführt und mit guter Erde audgefüttert und gefüllt. Die Mauer foll
ein Mentelein oder Bruftwehr tragen und gute Pajteyen, Ründel oder Gejchüte
haben, die ziemlich Hoc und jo angelegt fein müflen, daß eine die anderen auf
beiden Seiten retten mag. Die Paſteien follen gute Streichwehren haben und
inwendig im Graben blinde fenjter, „den feinden in der noth im jturm mag ab»
gebrochen werden“. (Aljo verblendete Scharten für die niedere Grabenverteidigung).
Hinter der Mauer joll ein ziemlicher Raum fein, um dort in Feindesnöthen zwei
blinde Gräben zu ziehen, falld die Stadt zum Sturm bejchoijen ift. Hinter diejen
Gräben jollen die Häufer oder, wo Platz ift, Berjchanzungen zu weiterem Wider:
jtande eingerichtet werden. (Aljo Abjchnitt3verteidigung).
4. Artillerie. — Geſchlecht und namen aller büren, in ein zeughaus
geboren (ganz nad) Ott-Preuß). Der bürenmeijter bejoldung yder bur ynn einer
belegerten jtad. Der bürenmeijter vnd jchußen eid. Der eid einer ganzen loblichen
bejagung einer jtad. Mrtidelbrieff den belegerten der Stad vorzulefen. Das
zeughaus einer jtad, do alle munition der artolleria bewart wird. Wachmeiſter
ampt einer jtad. Eins zeugmeijterd oder artolorey perjonen bejüldung, (Feld:
icherer, Zeugdiener, Zeugmeijterd Leutenampt, Schangmeijter, Schanzbauern Haupt-
mann, Zeugwart, Gejchirrmeijter, Profoß, Pulverhüter, Zimmerleut, Schmidt,
Rademacher vnd Faßbinder).
5. Schultis mit der Gerihtsordnung — Des Scultiffen aid.
Serichtsichreibers aid. Gerichts weibels eid. — Umbfrag des Schultis vnd Ant:
wort. Wie man ein freueler heifchen jol. Die Acht. Abfoluirung von der Acht.
Einen Toten (Ermordeten) mit recht aufzuheben. (Wegkferttig recht. Nottrecht —
im Terte verflebt.) Wie man einen todjhlag gefreien jol. Einen vrfride zu:
ihweren. Bon der friegshandlung der 16. tittel aus dem 24. bud) Feiferlichen
rechten gezogen. (Aus Ulpianus, Furius, Modejtus, Arianus, Martianus, Paulus).
— Die Freiheit und gerihts ordnung der artoloria.
6. Anhang. — Zwelf Regeln vnd frogitüd vnd fewrwerck der buren=
meijterey [5.39]. Form wie ein Hoß jein jol. Wie man yn ein ygliche buchs
groß oder Fein die jtaine hawen jol, das jie gerecht dorein werden. Cine büre
zu laden vnd anzuzunden ane jchaden.
34*
532 Das XVL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Eine Umarbeitung bzgl. Erweiterung dieſer Arbeit liegt unter
dem Titel „Türkenſteuer“ vor.
Ein Eremplar derjelben von 1557, da& dem Könige Ferdinand von Böhmen
gewidmet ijt, bewahrt die f. f. Hofbibliothek zu Wien (ms. 10764), ein zweites
ohne Widmung die Danziger Stadtbibliothef (Kunjt und Gewerbe. fol. 49).
Legteres trägt auf dem Einbande die Jahreszahl 1558.
Der Verfafjer nennt ſich jegt Achilles Scipio Schellenfchmibßt,
des kgl. Bürglens zu Namslau Hauptmann.
Schon in dem Münchener Exemplar der „Injtruction“ fügt Nolano jeinem
Namen einmal im Tert „gen. Schellenſchmidt“ Hinzu, und in dem Danziger
Eremplar erflärt er ©. 43 »Nolanum, ferte à Nola, eine Scelle“.
Abgejehen von einigen Umjtellungen und Erweiterungen in den
Adjchnitten über Neiterei und Fußvolf, von denen die leßteren ſich
bejonders auf die Pflichten der verjchiedenen Amter beziehen, bat
Nolano eine taktiſche Abhandlung hinzugefügt, welche in dem
Wiener Eremplare der alten „Injtruftion“ vorausgeht, in dem Danziger
zwijchen Fußvolk und Wagenburg eingejchoben it.
„Nachdem ein General-Hauptmann zum höchſten zu erwegen, wie die Angriff
vnd fegenwehr fegen den feinden mit ernjt angugreiffen vnd anpunehmen, hab id
auff vorbejjerung erlicher kriegsleut etlich Vnderricht der Angrieff beihrieben“.
Verfaſſer jegt nun eine große Zahl taktiiher Möglichkeiten auseinander:
Rencontres, Kouragierungsgefehte „wann jich zwei Beer zujammen lagern“,
Hauptſchlachten, Schladht und Angriff „in der enge“, Verfolgung, Abzug vor dem
Feinde, in&bejondere fall® dabei ein Fluß zu überjchreiten, wo dann ein Brüden:
fopf aus der Wagenburg oder durch eine Verſchanzung zu bilden, Entjag und
Verſtärkung einer Feitungsbejagung, Angriff auf einen Feind, der fih an ein
Waſſer lehnt u. ſ. w. u. ſ. w. Die taktiſchen Anleitungen laufen fajt jämtlich darauf
hinaus, daß man den Gegner nicht nur in der Front, jondern aud in der Flante
anpaden müſſe, wozu gewöhnlich der verlorene Haufe, d. h. die Vorhut, zu ver:
wenden jei. Leider jind Nolanos Auseinanderjegungen im einzelnen entweder io
banal oder jo undeutlih, daß jie feiner bejonderen Würdigung wert erjcheinen.
Er jpricht auch davon, daß des Kriegsherrn „underthonnen“, fall jie „den veind
angrieffen, obſigen vnd etwas erlangen“, ja belobt und belohnt werden mögen:
denn nichts jei häßlicher als Undank. Endlich wird erwogen, „wo ein oberiter
jein friegkvold vber winter legern joll“.
Zwiſchen den Abjchnitt über Artillerie und Gerichtswejen tft
eine Art Formularbuch eingeſchoben.
Es find Mitteilungen von militärijchen Reden, wie 3. B. „Eine christliche
Bermahnung eines oberjten jeiner friegsuerwanthe* oder „Ein alter frieggmann
einen jungen mit geubter Lehr zu vermahnen“ — oder es jind Vorbilder von
Schriftitüden, wie 3. B. die Aufforderung zur Übergabe an eine bedrängte Stadt,
Ablehnung einer joldhen, Friedebegehrung u. dgl. m.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 533
Sehr vermehrt iſt der artillerietechnijche Abjchnitt. — Den
militäriſchen Abjchnitten jowohl der „Injtruftion“ als der „QTürfen-
ſteuer“ hat endlich der Verfaſſer noch einen politiich-moralijchen
Traftat angehängt, der den Titel führt: „Zuvorbejjerung einer
yden fromen obrigceitt gutt ordnung vnd policey
jeinen vnderthonnen zu geben, jich in gutter rüjtung
zu halten‘.
Da die Abhandlung tatjählicd nichts Militärisches enthält, jo kann ſie hier
unberüdjichtigt bleiben, ebenjo wie eine von Nolano i. 3. 1560 dem Danziger
Rate überreihte preußiiche Chronik, welche die jpäteren preußiichen Geſchichts—
jchreiber Gajpar Schütz und Stanislaus Bornbach als die wilde Barteijchrift
eines „Eijenfrejiers“ jehr ungünjtig beurteilen.
Im Ganzen genommen reiht ſich Nolanos Werf der Schar der
Amterbücher an, ift aber doc) als eine jelbjtändige Arbeit zu be
trachten. Eingehender als jeine Vorgänger würdigt es die Neiteret,
welche ja auch an die Spite gejtellt iſt; jorgfältig find die taftiichen
Dinge berüdjichtigt, wenn auch freilich feineswegs mit dem einjichtigen
Verjtändnifje wie im „Trewen Nat‘ oder in des Markgrafen Albrecht
Kriegsbuch. Rudimente der alten Bemmelberg’schen Faſſung des
Ämterbuches treten übrigens an vielen Stellen zu Tage; ja hie und
da lajjen fich Fäden verfolgen, welche unverkennbar auf Ott's alte
Kriegsordnung zurücführen.
Dahin gehört z.B. der auffallende Umstand, daß der 2. Abjchnitt urjprünglich
offenbar ein erjter war; denn Nolano greift noch einmal auf den oberjten Feld»
hauptmann und den Feldmarichall zurüd [S. 489). Dahin gehört ferner die Ver:
quickung der artillerijtiichen Dinge mit denen des Beſatzungsweſens u. dgl. mt.
An Gengjchen erinnert die Menge von Beitallungsformularen
u. dgl. bureaufratiichen Mujtern, während die eingehende Behandlung
der militärjuriftiichen Dinge, wobei das gejamte Gerichtsverfahren
umſtändlich und mit wahrhaft dramatijcher Lebendigkeit dargejtellt
ift, wieder weiteren Bearbeitungen des Amterbuches zum Vorbilde
gedient hat, auf die jogleich eingegangen werden joll. — Auffallend
altertümlich iſt der artilleriftiiche Anhang, aus dem noch die volle
Tradition des XV. Ihdts. redet.
8 28.
Die Weiterbildung des Ämterbuches ging inzwiichen raſtlos voran.
— Die fol. öffentl. Bibliothek zu Dresden (C. 116) beit ein jolches
534 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
unter dem Titel: „Formavnd Ordnung eines Kriegsbueches,
was einem jeden Kriegs- und Veldherrn gebührt ... . zujammenbracht
anno LVIII —“ eine Redaktion, welche im Wejentlichen der von
1536 entjpricht.
Neu Hinzugelommen find (wie jhon bei Gentichen) Abjchnitte über den
oberjten Zeugmeijter, über Schangmeijter und Brandmeijter, ferner jolche über
den Reuterfendrich und den Rumormeiiter. Das Kapitel über die „Bejagung“
ift durch zwei Abjchnitte vermehrt: „Aufforderung einer Stadt“ und „Wie man
aus betrangter not mit ehrn abziehn ſoll“. Ganz weſentlich vermehrt iit der
Anhang. Er bringt Beitallungsbriefe für die Inhaber der wichtigiten Ämter
u. zw. jämtlid hiſtoriſche Originale (3. B. Beitallung Conrads v. Bemelberg,
Beitallung Marggraff Albrechts über 2000 gerüjtete Pferde, Copej Kriegsregiments
1.3. 1554 aufgerichtt, Bejtallung des Duca d'Alba, des Herrn Lazarij v. Schwendi);
ferner Kopien kürzlich abgejchlojjener wichtiger Verträge und Vollmachten, Kredenz-
briefe, Paßparten, Artitelbriefe aller Art und endlid; eine Spital- und eine
Marfetenderordnung.
Unter gleichem Titel und gleicher Jahreszahl (1558) bewahrt die
Heidelberger Bibliothek ein fait gleichlautendes Ämterbuch (cod. germ.
134), dejjen Anhang jedoch abermals erweitert üt.
Der Marfetenderordnung, die das Dresdener Manujtript ſchließt, folgen
hier noch eine Garnifonordnung und die Formeln bei Überreihung des Stabes
an den Schultheißen, endlich aber als „viertes Buch“ eine jorgfältige Darlegung
des ordentlihen Gerichtsverfahrens in Rede und Gegenrede, jowie des Rechtes
„mit den fangen Spießen“. Diejen jurijtiihen Teil beenden „Pojtparten (?) uf
die Uffwidler (VBermittelungsihreiben wegen eines aufrühreriihen Fürjten).
Offenbar hatte der Berfafjer diejes palatinifhen Coder die Abſicht, den
adminijtrativen und jurijtiihen Reglements aud noch ein taftijhes
anzujhließen; denn nachdem er die friegsrechtlichen Auseinanderjegungen big zu
ihren jtatsrechtlichen Ausläufern verfolgt hat, geht er zur Berechnung der gevierten
Schlahtordnung über. Dann aber bricht er plößlicd) mit folgender Betrachtung
ab: „Bonn Schlahtordnung zu jchreyben, ijt nit wol muglich, wiewol etlich viel
dauon gejchrieben; aber weil der plag nit augenſcheinlich, auch der feindt nit
entgegen, ijt es weitleiffig ding dauon zu erzellen. Denn etwan der plag nit
breit genug, auch holweg, gejtreuch, holg oder grabenn vnd wajler vorhanden,
aljo daß man die ordnung nit allerweg fan oder mag haben wie man gern wolt.
DVerhalben mag man ſich machen brait, fang oder ſchmal, mit angehengten Flügeln,
mit blindenn glidernn, zum lauffen oder jteen, nad) gelegenheit dez orts vnd
platz vnd einfall de; feindes“,
Dieje Redaktion muß jehr gefallen haben ; denn mehrere „Autoren“
haben fie abgejchrieben und mit ihrem Namen gejchmüdt, jo em
gewifjer Piſtorius, der jeine Copie dem Erzherzog Ferdinand
gewidmet hat (f. k. Hofbibl. zu Wien ms. 10397) und ein gewijjer
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 535
Pedel, der noch eine „Schreybung des Gewalts“ d. h. eine kaiſer—
liche Entſcheidung über die „Poſtparten uf die Uffwickler“ hinzugefügt
hat und wohl deswegen in ſeiner Zueignung an den Pfalzgrafen
v. J. 1573 ſeine „große mühe vnd arbeyt“ nachdrücklich hervorhebt.
(Cod. palat. germ. 131.)
Andere Faſſungen des Ämterbuches ſuchen dies nach der artille—
riſtiſchen Seite zu bereichern: ſo eine „Fewerkunſt und Kriegs—
buch“ betitelte Bearbeitung von 1576, welche die Bücherei des
Berliner Zeughauſes (A. 12) und zweimal die k. £. Hofbibliothek zu
Wien (no. 10880 und 10 896) bejigt ').
Das 1.—T. Kapitel find eine Neubearbeitung des „Buches von den probierten
Künjten [8 44]; das 8. und 9, bringen Angaben über Aufrihtung und Amter-
verteilung eines Regiment? deutſcher Fußknechte, die im wejentlichen mit den
betreffenden Abjchnitten in „Forma und Ordnung“ übereinftimmen; das 10. und
11. Kapitel, die von Aufrihtung und Einrichtung eines Fähnleins handeln, jtimmen
mit Hohenſpachs „Feldſchreiberei“ [$ 104]. Uriginell erjcheint 3. T. das 12. Kapitel
„Wie es mit den Teutſchen Khnechten auf dem Meer zu führen nad) altem geiebten
Gebrauch ordenlichen Lebens und Commiß halber zu halten joll gepflegt werden“.
Das 13. Kapitel „Von der Schlahtordnung“ jteht nicht auf der Höhe der Zeit;
dasjelbe überliefert nicht nur Altbefanntes, jondern auch wejentlich Veraltetes, wie
die dreiedige Schladhtordnung des Fußvollks. Das 14. Kapitel enthält eine Dar-
jtellung der Gerichtsordnung und des Malefizrecht3 der Knechte in hergebrachter
Form. — Nicht eigentlich zum Buche gehörig ift ein pyrotechnifcher und artilleriftifcher
Anhang.
Ebenfalls zu Wien bewahrt man ein großes zweiteiliges „Kriegs:
buch“, dejjen erjter Band (ms. 10871) das Amterbuch in der Solms'ſchen
Faſſung enthält, während der zweite Band (ms. 10869) die artille-
rijtijchen Ämter näher erläutert und in Anlehnung an Helm [& 44]
die Einrihtung eines Zeughauſes und die Feuerwerkerei behandelt.
g 29.
Von all den verjchiedenen Anhängen befreit ſich das Ämterbuch
wieder in der endgültigen Faſſung, welche e8 durch Lazarus von
Schwendi empfing.
Lazarus Schwendi, Freiherr von Hohenlandsberg,
war 1522 auf dem Schlojje Schwendi in Schwaben geboren und
hatte jich in jener Jugend eifrig den Wiſſenſchaften gewidmet, zumal tn
1) Das Berliner Eremplar gehörte 1594 dem Erblanbjägermeifter in Tyrol, Karl Schurff von
Schönwerd. Bon ben Wiener Egemplaren ſtammt das ſchönere (Nr. 10880) aus der Bibl. des Erz
herzogs Ferdinand; das andere zeigt auf bem Einbande die Jahreszahl 1598.
536 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienjchaftliche Werte.
Bajel!). Schon 1546 jedoch erjcheint er als Kriegsfommijjar bei Karl V.
zu Regensburg, übernahm politiiche Sendungen und amtierte 1551
vor Magdeburg, 1552 vor Met als Hofrat und oberiter Kriegs
fommijjar des Kaiſers und des Neiches. Weihnachten 1552 wurde
er im Lager zum Ritter gejchlagen. In dieſe Zeit der VBerwaltungs-
thätigfeitt Schwendis fällt die Abfafjung dreier Schriften, welche der
ſchwarze Sammetcoder Nr. 10845 der Wiener Hofbibliothef ent-
hält. An der Spite heißt es: „Dem Allerdurchläuchtigiten, Groß—
mächtigiten 2c. Kaiſer vnd Herrn Karolo V. .. hab ic) dies Bud
zujammentragen: Ob doch mittel gefunden mecht werden, darin der
Betrug in der mujterung, das verderben der Teutjchen,
abgeleint werde.“
Dieſe Zueignung bildet zugleich die Überschrift des erjten Werkchens, das
mit Schilderung der ſchlimmen Übeljtände beginnt, dann in einfichtSpoller Weiſe
darlegt, „wie man ſich zur mujterung jchiden joll... auf welden Artidelbrief
man jchworen ſoll . . was art vnd gejtalt man mujtern joll damit der Herr
unbedrogen bleib... wie vnd warn man die knecht bezalen vnd wie man die
mujterzedl machen ſoll“.
Die zweite Schrift handelt von „Beichreibung und Herfommen
des Adels“ und geht uns aljo hier nichts an. Die dritte aber faßt
das Thema der erjten aufs Neue u. zw. zugleich) mit den Waffen
des Witzes emergiich an. Sie führt den Titel: VBasgumillus,
ein Geſpräch zwijchen Bettrus vnd Baullus über die Mif-
bräuche in den Heeren und Lägern der Deutjchen.‘‘
Das jhön ausgeführte Titelbild ftellt die beiden Apojtel mit ihren Injignien,
Schlüfjel und Schwert, beide in voller Rüftung, aber auf Geldtruhen figend, dar;
Betrus hat jogar einen offenen Geldjad neben ſich. Ihr Geipräd handelt be-
jonders von dem Betruge bei der Mujterung, dejien jih Petrus, der ja feinen
Herrn wiederholt verleugnet hat, ohne bejondere Scham jchuldig maht; während
Paulus dieje verrotteten Zujtände abzujtellen wünjcht. — Die jehr merkwürdige
Schrift wäre durdhaus der Rublifation wert.
In der Folge trat Schwendis Wirken als Kriegsmann in den
VBordergrund.
Er übernahm als Oberfter ein Regiment deutſcher Knechte in den Nieder:
landen unter Emanuel ®hilibert von Savoyen und Egmont, focht bei St. Quentin
(1557) und Gravelingen (1558) und gewann das Vertrauen König Philipps IL,
wie die Freundſchaft Wilhelms von Oranien. Im Januar 1565 übertrug ihm
Kaifer Maximilian IL. den Oberbefehl in Oberungarn. Schwendi nahm nad
1) Bol. v. Janko: Leben bes Lazarus dv. Schwenbi (Wien 1871). Dieſe Schrift erwähnt bas
„Ihwarze Sammtbuch“ der Wiener Hofbibl. merfwürdigerweije gar nicht.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 537
jechstägiger Belagerung das wohlbejegte Tofay und bald darauf Groß-Wardein
und Erdöd, hatte dann aber wegen der Eiferfucht der Ungarn und wegen jteten
Seldmangel3 mit unſäglichen Schwierigkeiten zu fämpfen.
Im Winterquartier 1565/6 verfaßte Schwendi eine inhaltreiche
Denfjchrift über den ungariſchen Krieg, (,„Bedenden, was
wider den Türfen zu unternehmen,‘‘) welche er dem Kaiſer überjandte,
indem er ihn aufforderte, jich den Sultan zum VBorbilde zu nehmen,
der troß jeines hohen Alters perjönlich jein Heer führe; das gäbe
„bei männiglich großen Willen, Luft und Beifall‘‘').
Im Jahre 1566 blieb Schwendi in einer Stellung bei Kajhau, um den
Weg gegen die obere Donau zu deden, auf deren Südfeite der Kaiſer lagerte,
und im folgenden Jahre mußte er die unternommene Belagerung von Huszt vor
überlegenen türfijchen Kräften aufgeben und jein Lager hinter den Mauern von
Kaſchau nehmen. Bald darauf (Febr. 1568) kam es zum Frieden von Adrianopel,
und mit ihm endete Schwendi8 praftiiche Kriegstätigfeit. Er trat als „des Kaiſers
oberjter Lieutenant“ in den Ruheſtand und lebte meijt auf jeinen ſchwäbiſchen
und eljäjliihen Gütern.
ALS Rat des Kaiſers blieb er in jteter Tätigfeit, und er war
es, welcher des Hlg. Röm. Neiches Neuterbejtallung verfaßte,
die den Ständen überreicht und 1570 durch den Neichsabjchied von
Speyer zum Gejeß erhoben wurde. 8 102]?) Lebhaft bethetligte er ſich
auch an den inneren politischen Fragen und richtete vom Stand-
punfte eines ächten Vaterlandsfreundes und maßvollen Brotejtanten
im Mat 1574 ‚Bedenken an Kaiſer Marimilian den Anderen‘ ?),
denen er 1575 ein zweites Memorial folgen ließ, welches ebenfalls von
„Regierung des Hlg. Reiches und Freyſtellung der Religion‘ handelt?).
In der Zufchrift zu diefem Memorial danft er dem Kaiſer für die
„miderjchtefhung des Discours‘‘, d. h. jeines bedeutendjten rein
militärischen Werfes, welches aljo damals im Wejentlichen abge
ichlojjen gewejen und dem Kaiſer vorgelegen haben muß. Der volle
Titel desjelben lautet: „Kriegs Discurs. Bon Beitellung des
gangen Kriegswejens vnd von den Kriegsämptern,“
Manujtripte des Kriegsdiskurſes finden ſich in der Univerjitätsbibliothet
zu Seidelberg (Palat. germ. 133) und in der Hofbibliothet zu Wien (Nr. 10893).
1) Abgebrudt in der Dfterr. milit. Zeitfchrift 1821. Heft VII ©. 82—9. s
2) So verfichert der Herausgeber von Schwenbis „Kriegsbiscurs”, ©. 222 der Oftav-Ausgabe
— Pe sn u. A. in der Wolfenbütteler Bibliothef (Sammelband. August. num. 38 fol.d.).
Gedrudt 1612. Bol. Bergmann: Medaillen auf berühmte Männer ſterreichs, II (Wien 1849).
4) Bol. Friedländer: Schreiben Schwendi3 an den Sailer d. db. Kuendheim, 20.3. 157
(tier. 1. 8, W. u. ©. d. Sirieged. Bd. 77, 1849).
538 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
Gedrudt wurde das Werk erit etwa zwei Jahrzehnte nad) feiner Entjtehung,
indem e8 Hans Lewenklaw von Amelbeurn mit einer Widmung an Sarl
v. Zerotin zuerjt in Quart 1593 zu Frankfurt a. M. und 1594 ebenda in Oktav
berausgab. Eine vermehrte, doc) keineswegs verbejjerte Auflage veranitaltete
Lobrinus (Dresden 1676), und endlich wurde da8 Buch noch einmal 1705 zu
Frankfurt a. M. gedrudt ?).
Dies opus celeberrimum, wie es der Manujfriptenfatalog der
Wiener Hofbibliothef nennt, iſt eine Neubearbeitung des alten
Amterbuches und ſteht denjenigen Ausgejtaltungen desjelben ganz
nahe, welche 1558 unter der UÜberjchrift „Forma vnd ordnung eines
Kriegsbueches“ erjchienen [S. 534].
Folgendes ift der Inhalt: Vom Krieg vnd Striegsherrn, von Bejtellung
der Empter vnd Kriegs Negiments, Bon des Kriegsheren General Leutenant oder
dem Tyeldtoberiten, Bom Läger Schlagen, Vom Feldzeihen, Bon der Wagenburg,
Bon Profiantordnung, Von Zugordnung, Bon Troßordnung, Bon Bejtellung der
Wacht im Feldtläger, Vom Lärmen im Läger, Bon der Fütterung, Bon Handlung
mit dem Feindt, Scharmüßel und Schladhten, Vom Abziehen vom Feindt, Vom
Nacdeilen, Bom Türfenfrieg, Was nad) erlangtem Sieg zu thun, Vom Brenn-
fahnen, Bon den Belägerungen der Stätt vnd Vejtungen, Bon Ergebung der
Tläß, Abziehen von einer Veſtung, Von den Beuten, Von Bejagung vnd für-
ſehung eines Plaßes gegen die Belägerung. — Bon 27 Kriegsämtern —
Bon der Reutter Wartgelt, Bon der Bezahlung des Kriegsvolds, Von erhaltung
deö franden vnd verwundten Striegsvolds im Feldt vnd anridtung einer Spital-
ordnung vnter den Regimentern. — (Neuhinzugekommen find unter den Kriegs—
ämtern: der „Capitan der Yujticia“, der „Oberjt vber etlihe Fahnen Neutter“,
der „SeneralsOberjter” vber die Fußknecht“, der „Neutter vnd Knecht Profoß,
der Mujtercommifjar, ein Artilel über „SKriegslent in gemain“, jowie die Ab:
ichnitte über Bezahlung und Spitalordnung. Yortgelaffen find all die mannig-
fahen „Anhänge“ der „AÄmterbücher“). Sehr treffend jagt der wohlmeinende
Schwendi: „Die Amter im Krieg wollen volltommentlid) und mit genugjamen
(tauglihen) Perſonen bejtellt und nichts daran erjpart jein, und ſoll jich ein
Kriegsherr hüten, Einer Perſon viele Ämter aufzuerlegen. Gute und gemugjame
Beitallung der Ämter ift die Hauptgrundfejte alles guten Regiments und Ordnung
im Kriege“. Vgl. denjelben Gedanken bei Solms: ©. 515.]
Eigenartig und den Stempel des Schwendi’jchen Geiſtes tragend,
it, abgejehen von einigen der taktischen Kapitel, eigentlich nur die
Einleitung: Vom Kriege und vom Srtegsherrn, in der ji
-. ..
die milttärpolitiichen Auffafjungen des Verfaſſers offenbaren. Da
1) Ausgabe von 1593 und 1594 in der Kal. Bibl. zu Berlin (F. m. 9112 u. H. v. 18735). —
Ausgabe von 1676 in ber Bibl. der Berliner Kriegsakademie (D. 1390). — Die Abſchnitte vom Kriege
vom Kriegsheren und vom Feldherrn hat Janlo a. a. DO. abgebrudt. Auszüge in Meynerts Geich.
des Öfterr. Kriegsweſens II (Wien 1854) und in Angers Jlluftr. Geſch. dert. k. Armee I (Wien 1886).
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 539
zeigt Jich denn, daß der Gedanke, die Bolfsbewafinung an Stelle
des Söldnerweſens zu jeßen, den einjt Machiavelli warm vertrat, von
dem aber um die Mitte des Jahrhunderts ein Mann wie Graf Solms
noch jo gar nichts wiljen wollte, jetzt doch wieder erivogen wurde.
„Zwey Ding hat Gott der Allmächtig geordnet, die der Menjchen Leben
und Wejen vnd all jhr Thun fürnemblicd regieren: nembli die Vernunft vnd
die Zeit... Der Anfang des Krieges jtehet wol in des Kriegäherrn Willen vnd
Gewalt; aber er fan des Kriegs nicht wider mit Vortheil lo werden wann er
wil, ond jtehet der glücklich Außgang bei GOTT... Die großen Regiment jtellen
jr Ding gewöhnlich auf den Gewalt vnd die Harre, vnd damit vermeinen fie jhre
Feind, jo ſchwächer ſeynd, zu vbermädtigen und wöllen jr Saden nicht leicht
wagen vnd gefahren nod dem Glück heimjtellen, und das ijt auch der beſt vnd
jiherite Weg. Aber einem geringeren vnd ſchwächern fürjten muß jein eygene
Tugendt, Dapfferkeit vnnd Verjtandt die meift Wurgel ſeyn ſeins Glücks vnd
Aufnemmens vnd daß er etwa eine gute Gelegenheit der Zeit gerate, die jm zu
ſeim Vorhaben dienet und alles verhoffentlicher und leichter macht . . .“ — Sehr
interefjant it die folgende Betradhtung: „Es fällt auch dei Kriegsherrn halber
ein groß Bedenden für, ob er ſich zum Krieg feiner Vnderthanen oder frembder
bejtelter Zeut gebrauchen jolle... An dem liegt das meijt, daß die Underthanen
in ein Kriegdordnung vnd Übung gebradt werden vnd von Natur bejtändig und
Herghafft jeyen... Denn gewöhniglid kommen fie nicht gern von Hauß in’s
Feldt, können Hig, Kälte vndt Mangel vbel erleiden, gedenden anheimbs, er:
ihreden bald; wirdt ein Heer geichlagen, jo iit das Landt emplöjt vnd in dejto
größerer Gefahr. Darumb wil man etiva Rahtjamer eradıten, der Kriegsherr
gebrauch ſich nur jeiner Ritterfchafft, am meiften zum Reifigenzeug, lafje dag Land—
vold daheim oder führe doch nur ein anzahl aus vnd nehme bejtelte Knechte
dafür an: So hab er jich auch dejto mehr der Schagungen, Prouiant und anders
auf jeinem Landt zu getröften. Vnd ſolches iſt ein Zeit her von jegigen Poten—
taten in der Ehrijtenheit fajt aljo gebraucht worden. Aber im Grund ijt
das jicherite vnd beſte, jih jeiner Underthbanen zum Krieg, jo
viel man jmmer Gelegenheit vnd Mittel darzu gehaben mag,
fürnemblih zu gebrauden: Bund fie bewehrt zu maden, in ein
Aubtheilung, Auffpott vnd Ordnung zu bringen vnd zum Krieg
anzujühren Dann die frembden bejolten Leut jeynd jchier nimmer jo trew,
gehorfam vnd jo fertig als die Vnderthanen vnd foften viel mehr aufzubringen
vnd zu vnderhalten“. Man erkennt aus diefer Betrachtung, daß zwar auch
Schwendi all die Gründe vollauf würdigt, welche jeinerzeit Graf Solms gegen
den Gebrauch der eigenen Untertanen im Felde geltend gemacht, daß er die Vor—
teile aber doch höher veranjchlagt und ſich der Anficht Machiavellis anſchließt.
Tiefe Erfenntnis vom Wejen des Krieges und des Menjchen
und zugleich ächte Humanität jprechen aus folgenden Sätzen:
Ein gewiſſer feidlicher Friede ijt bejier als ein hHoffentliher Sieg. — Ein
Kriegäherr joll dem Frieden nie jo trauen, daß er fich nicht zu Krieg und Gegen
540 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
wehr gefaßt halte. — Der Krieg ijt nimmer anzufangen, man jehe denn mehr
Hoffnung zum Gewinn und Sieg vor"fih, als Bejorgnis zum Schaden und
Verluſt. — Wer im Krieg feine Sache allein auf das Glück und Wagen jtellt,
der behauptet jich jelten lang. Doch ijt das Glüd im Krieg wie der Würfel; es
trägt allerlei Chancen. Der größte Vorteil ift auf Sicherheit zu jpielen und auch
bei guten Chancen nicht zu viel zu wagen und aufzujegen. Beim böjen Spiel
gehört noch mehr dazu, an fi zu halten und wohl aufzujehen, damit man den
Verluft nicht mit einemmale auf fich lade, fondern das beſſere Glüd erwarten
möge. Wer fein Kriegen aljo anjtellt, daß er nicht$ verliere, dem mangelt nic
die Gelegenheit, dai er etwas gewinne (Alle diefe Sätze zeugen freilich mehr
von Vorſicht als von Kühnheit; aber die Zuftände des djterreichiichen Heeres und
der öſterreichiſchen Kriegführung, unter deren Eindrud Schwendi doch jchrieb,
waren allerdings jehr dazu angetan, dem Feldherrn eine folhe Haltung zu em-
pfehlen.) — Wer den Feind mit Gewalt ausharren oder aushungern kann, der
handelt töricht, wenn er feine Sache auf eine Schlacht ftellt. Wer aber gegen
einen Stärferen friegt, gegen den er nicht lange ausdauern fann, der muB jein
Tun dejto mehr auf Glück und auf eine Schlacht jtellen. (Friedrich! II. Ver—
fahren 17571) — Weit ficherer ift e8, den Feind in feinem Lande anzugreifen
als im eigenen Lande auf ihn zu warten. Wer jich auf die Defenjive bejchränft,
der hat viel zu verlieren und wenig zu gewinnen! (Ein goldenes Wort!) Wer
einen andern in dejien Lande angreift, der geht diefem auf das Herz und der
Gewinn jteht ihm vor Augen. — Ein jchledht bewehrtes Kriegsvolk ijt ſchon halb
geihlagen. — Wer feine Leute durd; Mittel der Religion wohl leiten kann, der
hat im übrigen dejto leichter zu regieren. Die Einbildung des Gewifjens ijt ein
widhtig Ding beim Menfhen; aber am Mut ift viel mehr gelegen. Das Ge-
wiſſen jollen die Geijtlichen bilden und leiten, Ehre und Mut aber die Oberjten
und Befehlsleute. — Aller Ungehorfam im Feld, alle Unordnung folgt gewöhnlich
nur aus Mangel und Unvolltommenheit des Hauptes. Der Ktriegsherr joll, wo
er immer fann, jelbjt im Feld fein... und wo er in der Nähe ijt und man ſich
Beſcheid holen kann, ijt es am beiten, daß alles mit feinem Vorwiſſen gehandelt
werde. — Im Striege ijt der Sieg das Ziel; wer den erlangt, der hat das Beite.
Abgejehen davon, wie die Urfahen und die Mittel jeien — der Ausgang macht
alles gut, und es muß gut fein, jo lange man den Sieg in Händen hat; das
Übrige wird Gott zu feiner Zeit richten. Vgl. Machiavellis Ausipruh ©. 468.)
Sm Jahre 1576 präjidierte Schwendi auf dem Neichstage von
Negensburg einer Kommifjion über das Kriegsbaumwejen, welcher auch
Spedle angehörte [$ 121).
Diefer jagt von Schwendi, daß er von ihm viele gute „Rathſchläge und
Bedenden die Gebäude betreffend“ erhalten habe; denn jtet3 habe Schwendi mit
verjtändigen Fachmännern verfehrt und jo eine Fülle von Wiffen erworben. Es
handelte jich befonder8 um den Bau von „Grenzhäuſern“ in Ungarn. Schwendi
trug dem Straßburger Kriegsbaumeijter aud auf, fiir den Herzog Ferdinand von
Tirol eine Karte des Elſaß zu verfertigen. Dies geſchah, und jie wurde 1577 in
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 541
Kupfer gejtochen. — Zwei Jahre nad) Abhaltung der Baukommiſſion weilte der
Freiherr wieder zur Beratung des Hauptgrenzwejens zu Wien.
Schwendi war auch Dichter. „Vnlängſt vor jeinem End‘ ver:
taste der alte Freiherr noch eine gereimte „ſchöne Lehr an das
teutiche Kriegsvolck“!) in der es u. A. heißt:
O werde Teutjche Nation, Der Türd, der fiht uns nicht viel an,
Wie lejtu dein alt3 Lob abgohn! ... Bringt man zujam mand) redlid) Mann.
Bir kriegen mit einem ſchlechten Ruhm, | Der alt Spruch wirt an uns bewerth:
Tie Welt, die jagt? gar vmb und Gefräß vnd Geſeuff mehr tödt danns
vmb... | Schwert.
An jtärd vnd gräde man abnimpt ; Teutſch lob vnd ehr fellt auch drob Hin,
Die alten Held man nicht mehr findt Weil jeden regiert eigner Sinn.
Kein gdult vnd eyfer hat nicht Plap; Weil jchier fein Zucht, Ordnung vnd Gejaß
Es ijt alles voll Neid und auffſatz, Beyn Teutjchen mehr will haben Platz.
Finantz vnd Trug wird durchgebracht, Weil nun recht iſt, was jedem gfelt
Der arme Knecht wird ſchlecht bedacht. Vnnduff GemeinNuztz nichts wirt geſtelt.
Die Sprache dieſer Verſe erinnert ſehr an die von Schwendis Landsmann
und Zeitgenoſſen Fiſchart; der Ton aber, der aus ihnen klingt, iſt kummervoll
und entſpricht der Stimmung jener ſorgenſchweren und gewitterſchwülen Zeit.
Der dem Schwendi zugeſchriebene von Conring herausgegebene
Traktat: »De bello contra Turcas prudenter gerendo« (Helm—
ſtädt 1664) rührt nicht von unſerm Freiherrn ſondern von dem
Venezianer Soranzo (1600) her; wohl aber findet ſich in demſelben
Quartanten eine kleine von Schwendi verfaßte Abhandlung: »Quo-
modo Turcis sit resistendum consilium« — vielleicht die
einzige lateinische Schrift eines deutjchen Feldhauptmannes jener Zeit.
Inhaltlich erjcheint fie als weitere Ausführung des Kapitel „vom
Türfenfriege” im „Kriegsdiscurſe''. Eine deutjche Faſſung derjelben,
die mit der „Kommißordnung‘ endet, findet ſich als ms. 9212 LI.
in der k. £. Hofbibliothef zu Wien unter dem Titel: „Beratjchlagung,
wie man wieder den Türggen friegen mag.’ — Seine Hauptgejichts-
punkte fat Schwendi folgendermaßen zujammen:
Es pflegen nicht allein der türkiſche Kaifer, jondern auch die Paſcha jet der—
geitalt zu verfahren, dab fie allezeit Hinter ihren Neitern eine Wagenburg mit
Fußvolk zur Hinterhut haben, auf welde jie ſich zurüdziehen fünnen und aud)
vorjeglic; die Flucht nehmen, damit fie die Ehrijten auf das Fußvolk loden, jie
außerhalb ihrer Ordnung und Stellung ins Gedränge bringen und ſich dann
!) Abgedrudt mit Kaiſer Marimiliand Jugendlebre in einer Flugichrift Frankfurt a. M. 1595;
mit einem Gedicht Schwendis „Tas Hojleben* bei Janto, und allein in der „Btihr. f. K. W. u. G.
d. Krieges“, Bd. 77, Berlin 1849.
542 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte. |
wieder gegen fie wenden fünnen. Wenn nun aud die Chrijten an die Wager
burg gelangen, fo fünnen ſie doc zu Roh nichts audrichten und müſſen fich wien
wenden, wodurd. fie bisher mehrmals von den Türken geſchlagen worden fin
Wenn aber der Chrijten Fußvolk in guter Ordnung hinten nadfolgte und neben
den Reitern an die feindliche Wagenburg gebradjt würde, da könnte man zu einen
rechten Treffen fommen und einmal mit Gottes Hilfe vollen Sieg erlangen. |
Es müßte aber die Wagenburg der Chrijten auch mit Streitwägen und ein
großen Anzahl Falkonetlein wohl bejtellt und verjehen jein. Wenn es aber u
ihähe, daß der Feind abzöge, dann foll man ſich wohl beratihlagen, daß man
nit unordentlih und unbedadhtjam nachfolge; denn die Abzüge geicheben e
aus Falichheit und Betrug... Auch ijt es Häufig nicht gut, wenn man den at
ziehenden Feind, indem man ihn umringt oder ihm die Päſſe verlegt, zu beit“
zur Schlacht oder Gegenwehr drängt; denn oftmals macht die Verzweiflung oder
äußerjte Not, und wenn man fieht, daß entweder gejtorben oder wohl gefodten
fein muß, dem Kriegsvolk ein Herz, jo daß es unüberwindlicd; wird. Gut ii
vielmehr, daß man den Feind zum Abzuge kommen läßt, aber jobald Furct
oder Unordnung bei ihm einreißen, Zeit und Gelegenheit zum Angriffe wahrnimm:
Lazarus von Schwendi ftarb auf jeinem Gute Kilchhofen ar
28. Mat 1584.
8 30.
Auch einer der ausgezeichnetiten Artilleriiten des 16. Ihrdts. bei
die Bearbeitung eines „„SKriegsbuches‘‘ unternommen: Deit Wulff von
Senfftenberg. Die kgl. öffentliche Bibliothek zu Dresden bejigt «7
in roja Seide gebundenes, reich illuſtriertes Manujfript (C. 62
welches den Titel führt: „Criegsbuch von mancherley Strata-
gematibus bejchwinden vnd liſtigen Anjchlegen ... . dergleiche
vor niemals geſehen, erhöret, viel weniger an den tagk fommenn.
Wehre auch (da Gott für jey) nicht guth, daß diejelben offentlich w
den Trud joltenn ausgeiprenget werden.“ — Der Inhalt jtellt ſid
wie folgt:
1. Welcher gejtalt man alle Feſten behendt . . vnd vungejtürmet ergwinge.
erobern vnd einnehmen fann. (Mit Mortieren oder Feuerkatzen, alſo ®ur
geihügen). — 2. Wie eine Schladhtordnung joll angejtellt werden. (Mit Stra
farren dor der Front und mit Mörjern zwijchen den Streithaufen). — 3. Wie «u
Herr jeinen Feindt, jobald er in fein Landt fompt, wehrlos madhen kann. Bu
Schlafwurzel — Hipnotica!). — 4 Wie ein Herr feinen Feindt zu Banc
erzwingen kann. (Berrätereil), — 5. Wie einer jeinen feind erſchießen fhanı
ob er gleich eglich hundert Meil von jhm where. (Dur einen Mordbriet vol
Sprengmajfe, der „etwa durch einen Jüden oder vbeltheter zu pberbringen“). —
6. Ob ein Herr jeine bejte Feſten verloren habe, wie er die wieder erobern famı
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 543
welche Stund er will. — 7. Wie ein Herr mit jeinem Fußvolch durch alle Reifigen
Hauffen ziehen fann, vnvorhindert. (Mit Hilfe von Sturm- und Streitlarren). —
8. Wie man ein jedes Thor mit einem ſchuß aufſchießen kann. — 9. Wie man
aus allen jtuden groß vnd klein fewer Schießen fan. (Das Geſchoß der Kanonen
jieht einer ogivalen Yanggranate glei, in der Hinten eine Feuerkugel fitt, welche
rüdwärt3 Flammen ausjtöht. Das Mörſergeſchoß ift eine eiferne Hohltugel mit
rückſeitiger cylindriicher Verlängerung, die aus Holz bejteht. Es jcheint, als ob
eine Vereinigung von Geſchoßbewegung und Raketenbewegung beabjidhtigt jei). —
10. Wie fi) ein Herr rüften joll, dab er nicht fann belagert werden. — Jedes
Kapitel iſt durd eine gut gezeichnete und mit jchönen Farben angelegte Figur
erläutert. — Folgt ein Beriht von Türmen!) und ein Anhang ganz vor:
trefflicher Figurentafeln, welde die Details darjtellen. Beſonders interejjant iſt
die Anlage von Landtorpedos in einem Engpafje, die von jenjeit3 eines
Waſſerlaufes durch eine Zugſchnur entzündet werden.
Offenbar jteht diefe Schrift auf der Grenze zwiſchen einem
Artilleriebuche und einem allgemeinen Kriegsbuche. Sie erinnert in
hohem Grade an einen von Bert Wulff herrührenden Coder der
Dejjauer-Behördenbibliothef 8 51], welcher ebenfalls den Gebrauch
der Wurfgejchüge und der Streitfarren für die FFeldichlacht, den der
Sprengwerfe (Landtorpedos) für die Verteidigung von Engpäjjen nad):
drücklich und einfichtig empfiehlt, und da in allen Werfen Veits Spreng-
fiiten und Sprengbriefe eine bedenkliche Rolle jpielen, jo würde man
die jchöne Dresdener Handjchrift auch dann dem Veit Wulff zuzus
ichreiben volles Recht haben, wenn nicht noch ein unmittelbarer Beweis
für jeine Urheberjchaft vorläge. Der aber ijt vorhanden. Die Dresdener
Bibliothek bejigt nämlich ein Manujfript (C. 10) »Stratagemata.
Newe vnerfahrne treffentliche vortheill Hu allerhand Kriegsvbungen zu
veld vnd beuejtungen durch Veitt Wolffen von Senfftenberg,
io der von Dantig Gzeugmaijter, fürgegeben Anno 1568*. Cine
Notiz auf dem Titel bezeichnet Wolff als „einen vom Adel aus Dfter-
reich), dero von Dantzig Zeugmaiſter acht Jahr geweſen, vungefehrlic)
ein 60jeriger Kriegsimann“. Dies Manujfript enthält num nicht das
Werk jelbjt, jondern blos dejjen Inhaltsverzeichnis.
E83 zerfiel in 11 Bücher: 1. Bon Bergichlöjlern. 2. Bon Feuerwerken (das
längite). 3. Vom Geihüg. 4. Bon Uuadranten. 5. Von Ladungen, Feuer:
fugeln, heimlihem Schriftverkehr u. dgl. 6. Vom Proviant. 7. Unerhörte Kriegs—
rüftung ins Feld. (Streitwagen, Mörjer?) 8. Bon Wagenburgen. 9. Von
Kundſchaft und Wacht. 10. Bon Kriegsliſten. 11. Von Verſchwiegenheit.
1) Auf dem Aufriß des Turms, der dies Kapitel ilfuftriert, fteht die Jahreszahl 1572 mit dem
Monogramn H. W. (vermutiih „Hans Wulff“, wohl ein Sohn Veits.)
544 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werke.
Das hier nur abgefürzt gegebene Inhaltsverzeichnis hat einen
jehr ausführlichen Wortlaut, in welchem die Beziehungen zu der
Handichrift C. 62 deutlicher hervortreten. Uberall jpielt das „geheim
nuz“ eine große Rolle, jogar beim Proviant. Ganz nahe aber jteht
dem Manujfript C. 10 eine dritte Dresdener Handichrift (C. 363),
welche im Stataloge bezeichnet iſt als „Veith Wolff von Senfftten
berg, dijer zeit der jtatt Danzigk Zeugmeijter, hHandtbiechlein vnnd
außzug von jeinen (Kriegs)Erfindungen“.
Nur das Kapitel von den Bergihlöfiern fehlt, und die Neihenfolge der
Gegenjtände ijt in einigen Punkten geändert, jo daß man behaupten kann, in
diefem „handtbiechlein“, das übrigens ausgezeichnet jhön auf 173 Pergament:
blättern hergejtellt und mit trefflichen farbigen Malereien geihmüdt ijt, den weſent—
lichen Inhalt der Stratagemata zu bejigen. (Der Einband jtammt v. 3. 1677)-
Der Hauptjache nach it das Werk durchaus artillerijtijcher
Natur und ftimmt z. T. wörtlich mit zwei anderen Werfen Neit
Wulffs überein, nämlich mit dem „Kunjtbuch von Kriegsjachen“ in
der Defjauer Bibliothef und der „Kriegs: und FeuerwercksKunſt“ in
Berlin, welche unter „Waffenkunde* näher zu bejprechen jind 8 51.
In jeiner Borrede jagt Veit, da er mit Augen gejehen, wie der Türf
jo gewaltig eindringt; er hofft, diejen böjen Feind mit feiner Kriegserfindung
ganz leicht zu jchlagen; denn fie gejtatte, mit dreißigtaujend Mann weit mehr
zu leiſten, als jonjt mit fünfzigtaujend.
Er bringt zuerjt einen notwendigen Bericht auf alles Gejhüg: Geſchüß—
arten. Won der Metallmifhung und dem Gießen der Geſchütze. Von Stein-
büchien, Feurbüchſen und Feurkatzen (d—5 Schuh lang, um Feuerkugeln in die
Weite zu jchießen). — Von Duadranten (24 Arten). — Hebe- und Yupfzeug. —
Bon der Feuerwerderei: Sturmfugeln u. dgl. Sprengkugeln. „Wiewol ge
meinem braud nach alle fuglen rund gegofien werden, jo mag id) doch ratben,
dab man jy etwas lenger dan gar rund gieße, jo faſſen ſy fo vil deſter mer
feurwerd zeug zum anzünden oder dejter mer puluer zum jprengen vnd geen
gleich jo gewiß als die runden... Allein die größten jchweren, da wil ſich die
pberlengung nit jo wol jhiden; dan die mortier würden zu hoch werden. Aber
an alle mad) gute dide jtarde köpff“. (Die überlengten Kugeln jind ovale, doch
etwas zugejpigte Geſchoſſe. Sämtlihe Sprengkugeln aber jollen vorn ftärter im
Metall jein, als hinten). Schlagende Mort Spreng Kugel. (Die Zünder ragen
außerordentlich weit, jtangenartig, heraus. Einer Darjtellung — Bl. 65b —
zufolge, empfangen jie ihr Feuer vom Mörfer jelbjt). Am bejten find die Spreng—
fugeln ohne „Schläge“, die nur Pulver füllt; für Brandgejchofle dagegen iſt es
gut, daß „in fich jelbit mit jchlegen weren können“. Sturmtugeln mit Fußeiſen —
„Die Mortier mögen wol der wellt jchreden genennet werden; dan darmit gibt
man allem jchweren geihüg vrlaub. Vnd fan mit worten nit bejchriben nod
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 545
außgeſprochen werden die nußbarkeiten, jo darinnen verborgen liegen“. — Eine
Feſtung bedränge man „mit jtetem einwerffen vnd haglen, mit anzündfuglen vnd
ſprengkuglen . . tag vnd nacht, daß fein aufhören mer da jei mit empſigem
haglen, daß der luft immerzu voll fuglen fliege dv. der Himmel feurig jcheine,
al3 ob der iungjte tag vorhanden, daß man den leuthen nit rum noch ficherheit
laſſe weder zum ejjen noch ſchlaffen . . . Kein ſtatt ijt jo veft, ſy würde mit jolcher
gewallt in 2 tag vnd nechten zur ergebung getrungen. Man bedarff fein jchwer
gejhüg mer; man darff nit jtürmen; es wirt des volcks verihonet”. — Mörſer—
arten [vgl. $ 51]. Bon hHülken Mortieren. Hülgerner Werfzeug der Alten,
„wäre zum Feurwerck zu brauchen, um pulver zu jparen“. (Derjelbe wie bei
Frönsperger [$ 32). Die Gefäß der mortier. (Nah „Graff Reinhart v. Solms
in jeinem großen buch“). „Vberſchlag wievil mortier ein herr zu einem gewaltigen
Beldtzug mit fileren möcht“: Hundertvier mortier (4 Draden, 10 Greifen, je
20 Salamander, Löwen und Wölfe nebjt 30 Meerkagen), wiegen 1385 Ztr., d. h.
wenig mehr als halbjoviel wie 42 Mauerbreder. Wieviel würde da an Pferden
eripart! Und wieviel größer wäre die Wirfung! Und zwar nicht nur gegen
Befejtigungen, jondern auch gegen Reiſige und Fußknecht. Ein Herr brauche an
Rohrgeſchützen nur noch Meine Kaliber mitzuführen. Offenbar find die Mörjer
das Urcanum, von weldhem Beit Wulff den leihten Sieg über
die Türken erhofft. „Pit nit müglich, daß jy davor fünden beſteen“. —
Vom Hagelgeſchoß [$51]. Hagelfeuerwerf, durch Pratzüge mit Hilfe von
Feuerſchlöſſern aus der Entfernung zu entzünden, bei. zur Pahpverteidigung.
(Käften, bzgl. Wagen mit vielen Rohren). — Alte geflügelte Kugeln, Stangen
tugeln, Kettentugeln. — Bom Untergraben. Pulverminen und Gegenminen.
Unterirdiiher Kampf in den Gallerien. Dauernd vorbereitetes Minenjpitem,
eventuell als einzige Befejtigung einer Stadt. — Durch Uhrwerk in Tätigkeit zu
jegende Sprengwerfe [$ 51). — Bom Schanzen. Schanztörbe. Fußeiſen. —
Bon dem „Bergifften“ it nur gegen Türken, nicht gegen Chriſten anzu—
wenden. — Bom Münzen. — Bon der Brofandt. — Bon Schlaffen
machen. — „Vber veldt verborgenlic jchreiben, reden und geheim wortzeichen
geben“. (Sehr mannigfaltige Anweifungen zur Telegraphie und Krypto—
graphie). — Bon jtreittfarren vnd jtreittwägen. [$ 51. Deſſauer Handichrift]. —
Gebirggeſchütze. [Ebd. Berliner Handſchrift). — Bon den Fuhfnechten und den
Neifigen. (Die Darftellungen find 3. T. identifch mit denen oft Ammans in
Frönspergers Kriegsbuch [$ 32).) — Bon Wagenburgen. (Stimmt im wejentliden
mit dem Inhalte des betreffenden Kapitels im Buche von den „probierten Künsten“
itberein [$ 44]). Bom Lagerjhlagen. — Schwimmgürtel. — Bon Kundſchaften
und Wacen. — Etliche Stratagemata. — Bon Verſchwiegenheit.
Außer diefen Dresdener Handichriften und dem jpäter zu er
wähnenden, noc) mehr auf den rein artillerijtiichen Kreis bejchränkten
Arbeiten Beit Wolffs in Dejjau, Berlin und Paris, bejigt das Berliner
Kupferjtichfabinet eine Sfonographie, welche ſich als eine Art Auszug des
Dresdener Manujfripts C. 62 erweiſt. Diejelbe beginnt mit den Worten:
Zähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 35
546 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijjenichaftliche Werte.
„Volgen in dieſem geh. Buche gewaltige Stratagemata, Friegslieit,
newe Erfindungen In Kriegsjachen wunderbare Rathjchlege zu gebrauchen.
In Feindesnöthen jehr zutreglich, darob ſich zu uorwundern it“.
Auf dem 2. Blatte heißt es: „Betreue Warnung an die Chrijtliche Oberteit.
Dieweill wyr tegli vor augen jehen vnd wol merden funnen, daß jich der
Sathan mit jeinen lijtigen Machometiſchen anſchlegen und practiten merden vnd
jehen lejt, demnad wol achtung und gutte zuuerfiht von noten fein will vnd das
man ſich in zeitt des fridend myt allerley notwendiger rujtung von Injtrumenten
vnd ander munition gefafjet mache, wie in diem Buch genugjam angezeygt und
vermeldett. Iſt das pillich diefe Dinge alle zeitt bey einer Statt in forrot jein
follen, da8 man dasjelbe in zeitt der Not zu gepraudgen fortin habe“. — Der
Inhalt ift im Großen und Ganzen der folgende:
1. Bon Beuejstung der Stette, (Einrihtung der Türme u. ſ. w.) 2. Bon
Sturm der Stette (u. a. Sprengfijten zur Verteidigung). 3. Bon Ausfallen
zum Scharmigell (Streitfarren, Sprengfiften, von gutter Kundſchafft, Schlaffraut,
von Untergraben, Feindt auff ein pruden bejchedigen, Sprengkiſten, Feuerſchießen,
Hole Kugelln). 4. Auff alles Geſchütz ein nüßlih, notwendiger Beriht (Spreng—
fugeln, Hebzeug, Feuerpfeile). Den Beſchluß macht auc bier die Darjtellung
eines Boten mit einem Sprengbriefe, der ſich als mit einem Bindfaden durdnäbt
zeigt. Dazu ift folgende Erläuterung gegeben: „Man lejt ſich ein Heines flaches
eijernes fejtlein machen mitt einem flachen feierichleslein, wie man die wederlein
an den urlein machett, jo wirt den das jchnelfederlein mit einem jchnirlen oder
mitt einem bindtfaden auffgewunden. Dasjelbe kiſtlein wirtt denn mitt vergiffter
Schmir gejhmiret vnd mitt ftardem puluer gevüllet, denn wirtt das kiſtleinn
in einen pußchen briff eingewunden, das dan, warn man das jchnirlein enzwen
gejchnitten, jo feueret das Schleslein vnd zerjpringt das kiſtlein und jchleget den
zu todt, der den faden auffichneidet. Damit fan man aud) einem ablonen, der
nicht gut Stetiſch ift“.
S 31.
Sehr charakteriſtiſch für die Zeitverhältnifje iſt der militäriſche
Teil eines fürjtlichen Handbuches, nämlich des jog. „Oekonomiſchen
Statshaushalts* des Yandgrafen Wilhelm IV. von heſſen (1561
bis 1592), den die Ständijche Bibliothek zu Kafjel bewahrt. (Ms. hass.
qu. 41). Jener Teil führt den Titel „Kriegshandell, Cautela, d. 1.
etliche Hoch nothwendige Punkten, die ein jeder Kriegsfürſt wol und fleißig
in acht haben joll*. — Landgraf Wilhelm war ein Mann des Friedens:
die8 und eigene traurige Erfahrungen, ſowie die Ahnungen einer
fünftigen Schredengzeit hört man aus jeinen Worten deutlich heraus’).
1) Bol. Schlee: Zur Geſchichte des befiiichen Kriegämejend. Die Zeit bis auf Morig den |
Gelehrten. (Btichr. d. Vereins f. heſſ. Geich. u. Landeskunde. N. F. I, Kaſſel 1867.) — Ein zweite:
Manuikript des „Olon. Statshaushalts“ bewahrt dad Archiv zu Marburg.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 547
„Der Krieg iſt das abſcheulichſte Ding, weil in demjelben alle Sottesfurdt,
gut Gejeg vnd Ordnung niederliegen; die herrn vnd fürjten müſſen von ihren
eigenen Kriegsleuten vnd untertdanen, vber die fie jonjt herrichen vnd gebieten,
viel Hohn vnd Ubermuth leiden vnd ihr knecht fein vnd thun, was jie wollen, da
in friedens zeitten fich fonjt Jedermannig dero Herrn gebotte verhalten muß.
Es iſt aud) nunmehr jo weit fommen, das der Herr jeine eigerte bejtelte hofdiener,
ja Koche, Beder vnd Schenken, bejolden muß, Und da er nicht einem jeden gibt
vnd thut nad jeinem Gefallen, werfen jie fluchs den Sad vor die thür, begeren
urlaub, hinweg zu ziehn. Uber das ijt die Bejoldung, beide unter Reutern vnd
Knechten, jo hoch gejtiegen vnd die untreu jo groß, dab fein Herr den Strieg
mehr erjhwingen kann; dazu das man gleich monatlich wol bezahle, laſſen jie
doh ihr meutern vnd beuten nicht vnd dürfen wol, wie wird jelbjt erfahren,
dem Kriegsherrn die Buchſen vnter die najen halten, wo er ihnen das Plündern
vnd rauben der armen leut vnd ihren mutwillen vnderjteht zu wehren. Zue dem
andern wirdt durd) den Krieg Landt vnd Leute verheeret ... Darum unter
allen umjtänden den Krieg zu vermeiden“... Sei das aber durchaus nicht
möglich, fo jolle der Fürft die hohen Ämter mit ihm gleich gefinnten Männern
und wenn es irgend angeht aus feinen Untertanen bejegen; er jolle dem Gegner
ind Yand fallen, jein eigenes Gebiet vom Kriege freihalten; „denn der Borjtraich
iſt Goldes werth!“ Das verfammelte Volk jei jchnell und entſchloſſen zu brauchen ;
darin liege zugleich der bejte Schuß gegen Meuterei. Der Kriegsherr jelbjt gebe
ein gutes Vorbild jtrenger Haltung und Genügjamleit; er behalte die Ober:
leitung perjönlih in der Hand; er jei gerecht und gnädig und vor allem laſſe
er fein Volt „nicht leichtlich zertheilen, dann das hat ofjt großen jchaden ge-
bracht“. Im Felde „vbernehme der Fürſt ſich nit mit jo viel grobem Geſchütz:
denn dardurd) ijt ehemal einer aufs maul gejchlagen, aud) viel guter gelegenheit
verfäumt worden“). Jedes Bedenken jeiner Unterführer joll der Kriegsherr im
Rat oder aud) privatim ruhig anhören und „niemand derohalben vber die naje
fahren“; aber was er bejchlojjen hat, das joll er nur mit den Vertrautejten be-
reden und all’ jeine Sachen auf's Höchſte geheim halten. Sorgfältig joll er auf
gute Kundichaft halten, doch weniger durd Berräter als durch Streiftruppen.
In der Schladht joll der Fürjt nicht alle Truppen auf einmal einjegen, jondern
einen Rüdhalt von Reitern und Schügen in der Hand behalten, um dem Gefecht
gute Wendung geben zu fünnen. Bor eine Feitung ſoll man fid) erjt lagern,
wenn man das gejamte Zeug, dejien man zum fürmlichen Angriff bedarf, bei ſich
bat. Ergebene oder Gefangene find nicht mehr Feinde, jondern clientes und
dürfen daher nicht höhniſch oder tyrannijch behandelt werden. Brand und Ver—
heerung der Feldfrüchte, durch welche Unjchuldige gejhädigt werden, find nie an—
zuraten. Dem fliehenden Feinde joll man nicht den Paß jperren, fondern ihm
eine „glubende (!) bruden bawen“,
1) Unzweifelhaft bezieht fich bieje Bemerkung auf Bhilipps des Grohmütigen Feldzug gegen
Karl V., zu welchem der Landgraf ſehr viel ſchweres Geſchütz mitgejchleppt hatte: icharie Metzen von
72 tra. Gewicht, die von 32 Pferden gezogen wurden, ſechzigpfündige Kugeln ſchoſſen und 23 Munitione:
wagen brauchten, ferner vierzigpfündige Kartaunen u. dgl. m.
35*
548 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Nach diejer allgemeinen, in 26 Abjchnitte gegliederten Betrachtung
folgt dann: „Kriegs Stadt vndt Cojtenn, id est Ein Anſchlagk, Was
einem Kriegsheren Monatlich auf die hohe Ampter zu Roß vnd Fuck,
item auf die reijigen vnd Fußknechte, geichug und munition vfgehet.
Sampt einem Anjchlag auf 4000 Pferde, 30 fenlein Landsknecht und
34 Stud gejchuzes, jampt jeiner zugehör, wie diejelben in den zweyen
veldtzugen Anno 1546 vnd 1552 find vnderhalten wordenn“.
Der Landgraf rechnet monatlich): Unterhaltung derer jo auf des Feldherrn
Perjon gehören: 2497 Gulden; hohe Amter der Neifigen 1400 Gulden, Bejoldung
einer Reuterfahne von 300 Pferden 4922 Gulden; hohe Ämter des Fußvolks 900
Gulden; Bejoldung eines Fähnleins von 400 Knechten 2366 Gulden; Artillerie
(Geihüg, Wagen und Bejoldungen) 8970 Gulden.
Daran reihen fich noch Überfichten einiger Einzelheiten:
Material und Koften der Lafetierung (Fajiung und Beichlag) dei Ge-
ſchützes. — „Bedenken wie auf den Fall der belägerung die jtat Gafjell zu be
ſetzenn“. — Commißanſchlag des Proviandes.
Überblickt man den ganzen „Kriegshandell“, jo erjcheint als eigen-
artig eigentlich nur die traurige Schilderung des Verfalls der deutichen
Mannszucht. Im übrigen bringt die allgemeine Einleitung vorzugs—
weile antife Neminiszenzen, der jpezielle Teil aber adminijtrative Zu:
Jammenjtellungen, die bereits ein VBierteljahrhundert alt find.
8 32.
Wenn von der deutjchen MilitärsLiteratur des 16. Ihdts. die
Rede ift, jo zeigt es ich, daß ein Name fajt jedermann geläufig it,
ein Name, der das weniger verdient als die meisten andern, der aber
nichts deſtoweniger jo typijch geworden tjt und eine jo jtarfe Vor—
jtellung erwedt, daß neben ihm fajt alle andern vergeſſen find, es iſt
der des Lienhard Frönsperger'!).
Frönsperger wurde zu Ulm geboren und jtarb dort aud im Mai 1575.
— Das Bürgerbucd der Neichsftadt nennt ihn „Freundtiperger“. Schon als
Knabe lernte er das Kriegsweſen fennen, diente 1535 bei der Belagerung von
Marjeille, 1541/1542 bei den Belagerungen von Ofen und Reit, war 1552 bei
dem faijerlihen Heere in Frankreich Zeugmeijter, jtieg während des Türfenfrieges
i. J. 1566 zur Würde eines „Feldgerichtsſchultheißen“ empor und lebte jpäter
1) Ach jchreibe „Frönsperger“ obwohl auf den Titeln feiner Bücher die Schreibart „ronäperger”
häufiger ift. Erftlid aber ipricht die Eintragung „Freundtsperger* im Bürgerbuch von Ulm dafür,
dab dieje Namensjorm im münblichen Verkehr die übliche war, und zweitens hat jie den Vorteil, dur)
den Klang jchon die faft unausrottbare, unausſtehliche Verwechslung mit Frundsberg möglichft aus
zufchließen.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 549
als „taiferl. Provijioner“, d. 5. er erhielt ein Wartegeld, das ihm auf das Wengen
tHojter in Ulm angewiejen war.
Die literariiche Thätigfeit Frönspergers beginnt 1552 mit Heraus:
gabe der „Katjerl. Kriegsrechte* [8 103] ?). Diefem Werke folgten
die „Fünff Bücher von Kriegsregiment und Ordnung“.
(Frankfurt a. M. 1555, 1558, 1564, 1566)?), eine lediglich fompila-
toriſche Arbeit. Sie enthalten:
I. Bud: „Von Stat, Ordnung, Ampt vnd Beueld des General-
Oberjten und auch anderen befehlsleütten“. Dies iſt ein jehr ungenügender
Abriß des Amterbuches [8 19). „Bericht, was in ein Zeughauf gehört und
erfordert” — aus Helms Bud) vom Zeughausbau und dem artilleriftiihen Teile
von Otte Preuß’ „Kriegsordnung“ flüchtig zufammengejftellt [$ 44 und $ 12]. —
U. Bud: „Bon Bericht vnd anzeygung was die Ardelley vnd Munition be—
trifft“. Größtenteild aus Ott-Preuß und dem „Buche von den probierten Künjten“
entlehnt [$S 44). — IH. Bud: „Bon dem gangen Reyjigen Zeug“. Eine
etwas erweiterte Wiederholung des betreffenden Kapitel® in Bemelbergs Ämter—
buch. — IV. Buch: „Bon dem Staat, Regiment vnd Ordnung der Landts—
knecht“. Desgleihen; doc, ift der juriftijche Teil, der fi) an Amt und Befehl
des Profoſen anknüpft, eigenartig durchgearbeitet. — V. Bud: „Bon Staat,
Negiment vnnd Ordnung einer Bejakung oder Schlöſſer“. Gin Abdrud des
betreffenden Kapitel3 aus Ott-Preußens Kriegsordnung, dem am Schlufie einige
wenig bedeutende praftifche Winke hinzugefügt find, die offenbar teilweife eigener
Erfahrung entjtammen. Daran reihen fit) „Bemeyne Streit Negeln“ aus
dem deutjchen Vegetius, ſowie die „Leer, jo Keyjer Marimilian in jeiner
jugent zugejtellt ijt“. — Als Anhang folgt den fünf Büchern eine „Leer aller
Kriegshändel, einem jeglihen Kriegsmann dienjtlid) vnd von nöten zu
wiſſen“. Es ijt das cin einfacher Abdrud von Buſtetters „Ernitlihem Bericht“
[8 10]. Gemwidmet ijt diefe Kompilation dem „Herrn Chriſtoffen Herkogen zu
Württemberg vnnd zu Tegkh“. Die ſchönen Holzichnitte, welche das Buch ſchmücken
und die verfchiedenen Ämter darjtellen, find nad Zeichnungen von Virgilius Solis
hergeitellt.
Diejem Sammelwerfe ließ Frönsperger zunächjit wieder zwei
militäriſche Werfe folgen:
Von Geſchütz vnd Fewrmwerd wie dasjelb zumerffen vnd
jchießen; auch von gründlicher zuberaitung allerley gezeugs . . Das
ander Buch. Bon Erbawung, erhaltung, beſatzung vnd pro-
fantierung der wehrlichen Beuejtungen... (Franff. a. M. 1557
und 1564)°). [$ 47 und 8 117).
1) Bibliothef des Berliner Beughaufes. ) Ein Eremplar von 1555 in der Bibl. b. Gr. General.
ſtabs, eins von 1558 in der Bibliothef des Berliner Zeughauſes (A. 20) und in der Dresbener Bibl.,
eind von 1564 im Berl. Zeughauſe (A. 28).
3, Im Beſitz des Verfafiers.
550 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienichaftliche Werte.
Eine Abſchrift dieje8 Doppelwerted, das in den Kapiteln über Artillerie
und Befejtigung näher zu würdigen fein wird, findet jich in der Münchener Hoi-
und Stat8-Bibliothef und galt bisher als eine Driginalarbeit de Augsburger
Bürgers Chrijtian Diek v. 3. 1582 (cod. germ. 3675).
Beſatzung. Ein furger Bericht wie Stadt, Schloß vnd Flecke
mit Kriegsvold joll bejett jein, daß fie fich vor dem Feinde erhalten
mögen, mit Außtheilung, was einem Menjchen jeden Tag an Brod
vnd Fleiſch, dergl. was jedem Pferd an habern joll gegeben werden“.
(Frankfurt a. M. 1563 und 1564) }).
Diefe Heine Schrift, die in der Ausgabe von 1564 den Titel „Bericht
von einer Bejagung wegen Proviant, Commihordnung und Fütterung“
führt, ift eine Bearbeitung der betr. Abſchnitte aus Otts von Achterdingen
„Kriegsordnung“ [$ 12].
Hierauf gab Frönsperger ein moraliiches und ein bautechnijches
Buch heraus: „Lob des Eigennutes* (Frankfurt 1564) und „Baw—
ordnung vnd Handwerfsgerechtigfeit” (Frankfurt 1564). Dann aber
faßte er jeine jämtlichen militärischen Schriften, indem er fie zugleid)
erweiterte und ergänzte, zu jeinem befannten Kriegsbuche zujammen,
welches drei jtattliche Foliobände umfaßt?). — Der Titel des 1. Bandes
lautet: Kriegßbuch, erjter Theil. Von Kayjerlihen Krieg#
rechten, Malefit vnd Schuldthändeln, Ordnung vnd
Negiment jampt derjelbigen und andern hoch oder niderigen Befeld,
Beitallung, Staht und Empter zu Roſſz vnd Fuß, an Geſchütz vnd
Munition n Zug vnd Schladtordnung u. j. w. In zehen
Bücher abgetheilt, dergleichen nie ijt geiehen worden, von neuem be
ichrieben und an tag geben durch Leonhart Fronjperger. (Frank
furt a. M. 1566. (Zweite Aufl. 1571.)
Das Bud) eröffnet die Widmung an Kaiſer Marimilian II., d. d. 2. Jan.
1565, der fich eine „Vorrede an den gutwilligen Käfer“ anſchließt. Dann folgen:
1. Buch: Bon den Keijerlihden Kriegßrechten, Schultheifien, Gerichten,
Schreiber vnd Weybeln jampt den Artideld Briefien vnd vmbfragen, verbannung
der Rechten, auch wie man zu Gericht verkfündt, fürbieten, anflagen, Red vnd
Antwort geben joll, jampt dem gefangenen Armen vnd der langen Spieß Redt
ordnungen, u. j. w.“ — BI. 1—830 der Ausg. von 1566 [$ 103).
UI. Bud: Von Auff vnd abforderung Land, Leut oder Stätt
wgealt ummzujhlagen vnd zu mujtern, Auffwickler zu vertreiben vnd jtraffen,
ı) Beide Ausgaben in ber Bibl. Hauslab-Liechtenftein zu Wien, bie von 1563 im Berliner
Beughaufe (A. 22).
2) Bibl. d. Er. Generalftabs zu Berlin.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schladt vor Nieuport 1600. | 551
auch friden, auffjhub vnd anjtand zwijchen Feinden zu machen, von Quartieren,
Läger vnd Loſamenter zu jchlagen, jampt Zug vnd Feldihladtord-
nung zu jtellen, Staht vnd Bejtallung der Oberjten jampt Hohen vnd niedrigen
befelh u. j. mw. — Bl. 31—68 [$ 81 und 103]. Als Vorrede diejes Buches hat
Frönsperger die von Bujtetters „Bericht“ verwendet [$ 10].
— DIE Bud: Bon Kriegs-Regiment, Staht vnd Ordnung, was
zu anfang eines Kriegs zu erwegen, deigleihen von Hohen vnd nidrigen befeldhen
zu Roſſz vnd Fuß u. j. w., auch vnder was Regiment ein jeder gehörig fei. —
BL. 69—86 [8 19).
IV. Bud: Bon der Ardelley Geſchutz vnd Munition, aud
was in ein Zeughauß von nöten, ſampt furger Rechnung, Kugel, Pulffer, Lot
vnd Kraut, au an Pferden, Wagen, Schiffbrüden u. j. w. jampt der ämpter
vnd Bejoldung, Artidel3 Brieffen und anderen Freyheiten. — Bl. 87—112. Es
ift im ‚wejentlihen eine Wiederholung des artilleriftiihen Inhalts der oben
charakteriſierten „Fünf bücher“.
V. Bud: Bon der NRitterjhafft, Adel vnd Reifigen zeug, Feld—
marjhald, Hauptleuten, Rott, Quartier- und Wachtmeijtern, Profofen u. ſ. w.
ſampt Artidelsbrieffen und Bejoldung. — Bl. 113—123 [$ 93).
VI Bud: Oberjter Hauptleuteu, Leutenant, Fenderichen, Feld:
und gemeinen Weybeln, Führer, Führier, Schreiber, Capplan, Feldichärer, Tra—
banten u. f. w. und gemeinen Landsknechten Befeldh, Ampt und Eyd. —
Bl. 124—143 [$ 19). VBgl. über die Bücher I bis VI. $ 1083.
VO. Bud: Bon Befagung vnd Gebäum der wehrlidhen Bes
fejtungen, welder maßen die in Ordnungen, Artidel vnd Geſatz jampt Hut
vnd Wacht zu halten jeyen. — Bl. 144—170. |
VIII. Bud: Bon Geſchütz vnd Feuermwerf, wie dasjelb zu werffen
und zu jchießen; aud) von Zubereitung allerley Gezeugs u. j. w. — Bl. 171—199.
(Die Bücher VII und VII find einfache Wiederholungen von Frönspergers
Doppelwerk von 1557.)
IX. Bud: Bon den Meer-See-Schiff- oder Waſſer-Kriegen
u. j. w. — Bl. 200—215 [8 102].
X. Bud: Notwendige Ordnung, Artidel, Lehr vnd Betrachtung manderley
rend, lijt, geihwindt oder behendigfeit. — Bl. 216—231. Es ijt
das Bujtetterd „Ernſtlicher Bericht“ [$ 10], unter Weglafjung von vier kurzen
Abſchnitten.
Anhang: Gemeine Streitsregeln (nach Vegez). Lehr, ſo Kaiſer Max zu—
geſtellt XXV. 8 37). Geiſtliche Kriegsordnung [$ 15). — Bl. 232-256.
Dieſer erſte Band des Kriegsbuches war offenbar urſprünglich
als ein in ſich abgeſchloſſenes Kompendium der Kriegswiſſenſchaft
veranlagt worden. Die beiden, ſieben Jahre ſpäter herausgegebenen
Bände ſind nur Ergänzungen und weitere Ausführungen einzelner
Teile desſelben und ſind, auffallenderweiſe, nicht wie jener in „Bücher“
gegliedert. — Ihr Inhalt iſt der folgende:
552 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Kriegkbud, ander Theil. Bon Wagenburgf vmb die
Beldleger. Wie man die jchliegen, ſich darein verjchangen, wieder
auffbrechen, vnd ein Statt oder Feſtung mit Vortheil belägern,
vmbſchantzen vnd vndergraben joll: Auch welcher geitalt Stätt,
Schlöjjer vnd andere Gebäum nützlich mögen erbauwet vnd
verwahrt werden... Item von allerley Geſchütz und Feuwer—
werd... An Tag geben durch Leonhardt Fronsperger. Frkfrt. a. M. 1573.
Das Bud eröffnet eine Widmung an König „Rudolff von Bngern“, welche
faft jämtlihe hervorragende Kriegsleute damaliger Zeit, bejonders die Deutichen
als Gewährsmänner Frönspergers aufzählt und den Wert der Kriegswiſſenſchaft
und des Studiums zu erhärten verſucht. „Wie man von dem treffenliden vnd
mächtigen Nömer Lucio Lucullo jchreibet, der jein lebenlang feinen Krieg nie
geübet noch gejehen bat, dod) da er wider den Wllergewaltigiten vnd jtarden
König Mithridatem von den Römern zum Feldtoberſten enwählet und in Aſien
geihicdt ward, am hineinziehen, allein durch läjen, des Krieges jo gute erfahrunge
empfienge, daß er mit geringer anzahl Volcks Hochgedachten König Mithridatem,
der wol anderthalb hunderttaufend Mann jtard vnd den Römern vor ofit obge-
(egen war, vberwunden vnd ſchlug.“ — Der Widmung folgt Frönspergers
Bildnis: etivas breitipurig mit wetterhartem Charafterfopf. Die Beifchrift lautet:
Dip GContrafect zeiget dir an Welcher auch Hat drey Bücher gmadt
Einen wolbefannten Kriegsmann, Bon Kriegßrecht, Zügen vnd Feldſchlacht,
Leonhart Fronsperger genannt, Sp vorhin nie kamen an Tag, (?)
Welcher in nad) und ferrem Landt Wie fein jelb8 Werd bezeugen mag.
Manchem Hehrzug beygewohnet hat Welchs lob noch wehret dieje jtundt,
Mit habendem Befeldy und Naht, Daß er aljo mit feinem pfundt,
Damit Keyjer, König vnd Herrn Bon Gott gegeben gwuchert jebr;
Sedient, jhnen zu Triumpff Ehrn, Der erhalt jhn in Glüd vnd Ehr.
Daran jchließen ſich noch einige andere Reime und ein „Eingang“, der das
Ihema vom Wert des Kriegsitudiums weiter ausführt. — Nun folgen:
1. Ein nütlicher vberjchlag der Ardelley. — Bl. 3—18 [$ 52 und 12]
2. Was monatlichen auf ein Regiment Fußknecht bejoldung laufft. —
Bl. 19—21 [8 103).
3. Von erbawung der Währlihen Befeitungen. — Bl. 22—35 [$ 117
und 119).
4, Ander Form eines vberjchlags der Arckelley. — Bl. 36—52 [$ 12 und 52).
5. Beriht der Wagenburgen. — Bl. 52—69 [$ 100 und 81).
6. Bon dem Nek oder Garn, einer Art gejchwinder Verihanzung, die
Alfonjo de Ulloa erfunden. — Bl. T1I—T2. — Es ift das ein prismatiſch zuſammen—
gelegter Nahmen, der mit Netzwerk von jtarfem Leinen überzogen ijt und, wenn
er hingeworfen wird, auf einer Seite ruht, die beiden andern aber in die Höhe
wendet. Mehrere jolcher Rahmen werden mit eijernen Stetten verbunden und
jollen einen fiheren Schuß gegen die Anfälle der feindlichen Reiterei gewähren.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 553
7. Herzog Philipjen von Eleue Kriegbordnung — Bl. 73—97
[XV. $ 38).
8. Kriegßbuch von Geſchütz vnd Feuwerwerck, Mathematifcher, Ge o-
metriſcher Arckelley. — Bl. 97—143 [$ 52 und 42).
9. Von Gebäumwen jampt vnderhaltung der Zeuchhäuſer und Munition.
Bl. 143—187 [$ 52 und 42).
10. Büchfenmeijterei. Bl. 187—227 [$ 52 und 42].
Der 3. Band führt den Titel: „Kriegkbuch, Dritter Theil.
Bon Schangen und Befejtungen vmb die Feldtläger... Auch
von Ritter: und Neutter-Nechten.. Bon Zügen vnd Schladt-
ordnungen u. ſ. w. Frkfrt. a. M. 1573.
Diefer Band ijt dem Markgrafen Georg Friedrih von Brandenburg ge-
widmet, wozu den Verfaſſer „jonderlicy die ftattliche Hochberiimpte Heros, jo auf;
dem hochlöbl. Churfürſtl. Hau Brandenburg erborn“, bewegt, jowie die Hoffnung,
durch des Markgrafen Namen jein Wert zu jchügen, „gleichwie man in einer
Feldſchlacht Ordnung die Fändlein vnd einfachen Knecht mit Doppelföldnern vmb
befierer Verwarung willen bededt und umbgibt“. — Der Inhalt ijt der folgende:
1. Des Generals VBermanung an den gangen Hauffen in Heimen. —
Bl. 2—4.
2. Kriegs Ritter oder Reutter-Rechtens gebraud. — B1.5—18[$ 103).
3. Feldtordnung oder Artidel über Teutſch Kriegsvold zu Roß und Fuß.
— 81. 19—27 [$ 103).
4. Beinlih Halßgericht des. d. Kayjer Carlos V. — BI.28—61 [$ 103).
5. Beuelh vnd Ampter. Bilder und Reime. — Bl. 62—101 [8 103).
Den Beſchluß maächt das Bildnis Frönspergers mit folgender Beichrift:
„Ber erlange:ı wil lob vnd ruhm, Ehrnfreudigfeit, wachbar vnd rund,
Der jchlaff nit in jeinem eygenthum | Trew, mannlich mit Hertz, Handt vnd
Vnd in Faulheit nicht Jubilier; Mundt;
Sondern in fein Schild vond Helm | Dann aus der faulen Rott vnd art
führ, Nie feiner zu eim Ritter ward.“
6. Artidel von den fürnembiten Beuelden vnd Äämptern eines
Krieog. — DI. 102—123. Ein buntes Durcheinander der verjchiedenjten
Dinge: Aufgaben und Pflichten der oberjten Führung, taftifche Einzelheiten,
Behalten nad) der Einnahme von Feitungen. Wie es mit Kranken und Toten
;u halten je. „Bon der verjtorbenen Erbgüter. Item von vnjauberkeit der
Läger“ u. j. w.
7. Bon Schantzen. — Bl. 127—132. [$ 119).
8. Bon Feldtihlahtordnung. — Bl. 132—138: VBberlängte vnd
geuierdte Schlahtordnung mit angehängten vier Flügeln vnd Schügen. [$ 81.)
Karla V. Vermahnung an jein Kriegsvolf in Afrita. — Beſchreibung der Schlacht
von Gerijolles 1544.
9, Kriegbordnungdermitternädtigen Völker, als der Schweden,
Norweden . . . Seeländer, Mofcowiter, Reihen u. ſ. w. — Bl. 139 —149. —
554 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Diefe Angaben über das Kriegsweſen der nordiichen Völker find den »Libri XXL
de gentium septentrionalium variis conditionibus, statibus et moribus«
entnommen, welche Dlaf Magnus 1555 zu Rom herausgegeben hatte. Die Auf:
nahme dieſes Kapiteld in das deutjche Kriegsbuch ijt jehr merfwürdig; dauerte
es doch noch ein halbes Jahrhundert bevor die Heere der jfandinaviihen Staten
auf dem Boden Deutjchlands auftraten und dann allerdings dazu zwangen, ihnen
ein jehr lebhaftes Intereſſe zuzumenden.
10. Bon Schiff- und Wajjerfriegen. Bl. 150—162.
11. Bon einer Bejakung. — Bl. 163—173. Eine Wiederholung der
1563 jelbjtändig erichienenen Arbeit [S. 550).
12. Bon etlihen rathſchlägen wider die Feinde des hrijtlihen
Namend. — Bl. 176—197. Gharatterijtit der osmaniſchen Kriegsmacht und
Mitteilung von Prophezeiungen und Vorbereitungen früherer Türkenfriege.
13. Bon der Alten Kriegkordnung. S. 199—207. — Kritikloſe
Bufammenjtellung einiger Angaben über das Kriegäwejen der Römer und der
alten Deutjchen. Darunter: „König Hermanns IV. Sriegkordnung, welcher
auß jein Teutihen das frecheit vnd dapfferjt vold in der gantzen Welt bat
machen wöllen.“ Ferner „Bon den Streytbaren Kriegs Weibern vnd jrem Haupt-
mann Fraw Hög“ u. dgl. m.
14. Des Heiligen Römifchen Reichs Reutter Bejtallung und Artidel
auff die Teutſchen Knecht. Bl. 217—224. [S 103.)
15. Serti Julii Srontini Kriegsanjdhläge, durd den Keyjerlichen
Poeten Marcum Tacium verdeuticht. — Bl. 225—282. [8 3.)
16. Bon der Kriegshandlung. — Bl. 282—288. Auszüge aus den
Gejegbüchern AJujtinians und „Gemeine Kriegsregeln“ aus dem III. Buche des
Vegetius. [$ 103.]
17. Kurzer Auszug von dem Jammer der Belegerung und Ber:
jtörung der Statt Jeruſalem. — Bl. 288—231.
18. Von dem berrlihen Bandet‘, welches der Soldan jeinen Capi-
tanien zugeridt. — Bl. 232—299.
19. Tas dritte Buch des achtbaren pnd wirdigen Herren Johannis Aventini
(Thurmayrs). Von Urjahen des Zornes Gottes, wie fi) die alten Chriſten
bierein geſchict und wie man ſich in Nöten verhalten joll. Won der Türken
Herfommen. — Bl. 299—327. [8 24.)
20. Doctor Luthers Bedenden vom Krieg wider den Türden. Ylnno
1529 dem Landgrafen Philipp zu Helen zugeichrieben. — Bl. 328—341. [$ 24.,
21. Ein Hehrpredig des Ehrwirdigen Herrn D. Martin Luthers
widerden@rbfeind der ganten Chrijtenheit, den Türden. - BI. 342—352. [$24.,
22, Etliche chriſtliche vnd ſchöne Gebätt in Kriegsnöten zu ſprechen. —
Bl. 353—358.
23. Rahtſchlag, wie ohne jonderliche Bejchwerde der Oberkeit vnd der
Undertdanen der Erbfeind zu überziehen. — Bl. 358—362. — Dies iſt
ein mangelhafter Auszug aus der gleichbetitelten Handichrift [$ 24). Eine gereimte
Warnung vor den „12 Geſchlechtern der Trunkenheit“ ſchließt das Kriegsbuch ab.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 555
Überjchaut man das gejamte Werk Frönspergers, fo ift anzu:
erfennen, daß es den Kreis der damaligen Kriegswiſſenſchaft nahezu
vollftändig ausfüllt; wirklich dürftig und unzureichend iſt nur das
Gebiet der Taktik behandelt. Ferner aber ijt nicht zu verfennen, daß
das Werk nur zum allergeringften Zeile eigene Arbeit it; original iſt
es Lediglich in einigen der militärjuriftiichen Kapitel. Und wenn
Frönsperger, wohl infolge von Reklamationen, die gegen den erjten
Band erhoben worden waren, in der Widmung zum zweiten Bande
jagt: „Sonnjt dem habe ich; mich auch der bejcheidenheyt befliejjen,
wann ich ein Stüd oder etwan ein gant Büchlein auf einem neumen
Autore in dieje zwey letzte Theyl gezogen, daß ich mir fein frembde
Arbeyt zujchreiben noch eygnen wöllen, jondern des Autord Namen
mit löblicher meldung jeiner gejchidlicheit außtrücklich hinzugeſetzt“ —
jo Hat er nach diefem PVerjprechen doch nur in den allerjeltenjten
Ausnahmefällen, ja in einigermaßen deutlicher Werje eigentlich nur
dem Herzoge von Cleve gegenüber gehandelt, deſſen Autorjchaft jo
befannt war, daß jie gar nicht verjchwiegen werden Eonnte.
Schon Laurentius hat in der Mitte des vorigen Jahrhundert darauf hin—
gewiejen, dab Frönsperger die Kriegsordnung von 1530 dem 1. Theile feines
Kriegsbuches ſtückweiſe, das meijte aber von Wort zu Wort dem 2. Teile ein-
verleibt habe, ohne mit einer Silbe anzudeuten, daß hier eines anderen Arbeit
vorliege, ja daß er jich offenbar geflifjentlicy bemüht habe, dem entlehnten Werte
den Anjtrich feiner eigenen Ausarbeitung zu geben!). Dieje Bemerkung gilt nun
aber noch von einer ganzen Reihe anderer Arbeiten, wie von Bemelbergs Ämter—
buch, Helms Zeughausbud und Kriegskunſtbuch, Buſtetters Ernſtlichem Berichte,
dem Rathſchlage zum Türkenkriege u. j. w. Schlimmer jedody al® das Ver—
ihweigen der Verfaffernamen und der Quellen ift Frönspergers traurige Art, die
benugten Originale zu entjtellen, u. zw. ſowohl dem Inhalte ala der Form
nad. Cleves ſchöne Description ijt in dem jammervollen Auszuge Frönspergers
wirfih nicht wieder zu erfennen. Gar nicht jelten iſt juft der bejte Kern der
urjprünglichen Arbeit von ihm verfannt und bei Seite gelafien worden, und
durchweg steht die Spradye Frönspergers unvergleichlich viel tiefer als diejenige
feiner Vorgänger. Sein Deutjch iſt barbarijch, zumeilen jogar unfinnig.
Welchen Nuten hätte der alte Feldgerichtsſchultheiß der Gejchichte
unjerer Wiſſenſchaft bereiten können, wenn er jich begnügt hätte, Die
von ihm gejammelten Abhandlungen unverändert der Neihe nach mit
Angabe ihrer Herkunft zu reproduzieren. Er hätte dafür jo manches
tortlafjen fünnen, was gar nicht in den Rahmen jeines Kriegsbuches
ı J. G. Laurentius: Abhandlung von den Kriegsgerichten II (Altenburg 1757), dort findet
ih auch eine detaillierte Bergleihung der alten Krieggordnung mit Frönspergers Kriegsbuch.
556 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
paßt und (wie. 3.3. die Schilderung von dem Bankette des Sultansı
den Eindrud leeren Ballaftes macht. — So großer Mängel ungeachtet,
hat das Kriegsbuch einen außerordentlichen Erfolg gehabt. ES ver:
dankt denjelben im erjter Reihe wohl, wie einſt des Vegetius Epitome,
der relativen VBolljtändigfeit jeines Inhaltes, der freilich, bei einiger:
maßen konziſer Ausdrudsweie und dem Unterlafjen mafjenhafter
Wiederholungen, leicht auf ein Drittel des jegigen Umfanges hätte
zujammengejchoben werden fünnen, dann aber auch den herrlichen Hol;
jchnitten und Kupfertafeln von der Meiſterhand Joſt Amons.
Die Holzſchnitte jtehen allerdings nur teilweile in Beziehung zum Terte:;
meijt dienen jie bloß der Verzierung und jollen dazu beitragen, den Inhalt für das
Auge zu gliedern, was freilich nicht genügt, um die Orientierung in dem ganz
ſyſtemlos angeordneten Buche zu erleichtern. Die Nupfertafeln, 3. T. große Aus-
ichlagsbilder, dienen aber wirklich der direften Erläuterung des Tertes und jin?
zu dem Ende auch mit Bezugsbuchjtaben und Legenden verjehen. — In der
2. Auflage (Frankfurt. a. M. 1578) fehlen die Kupfertafeln, der 3. (Frankfurt
1596) !) jind jie wieder beigegeben, rühren aber, ebenjo wie die Holzichnitte, micht
mehr von Amon jelbit her, jondern find Copien.
Seltjamerweije hat Frönsperger lange Zeit in weiten Kreiſen
für den ältejten deutjchen Kriegsjchriftiteller gegolten und ſchon als
jolcher in hohem Anjehen gejtanden. Faſt alles, was in den Ge
Ihichten des Striegswejens u. dgl. Büchern, über die militäriichen
Berhältnifje des 16. Ihdts. gejagt wurde, war aus Frönsperger ge
ſchöpft; ja das günjtige Vorurteil für ihn jog jogar Nahrung aus
der immer wieder aufs neue auftretenden komiſchen Berwechielung des
Ulmer Bürgers mit dem berühmten Vater der Landsknechte, Georg
von Frundsberg?). Dazu fam, dal; der weitjichweifig doftrinäre Ton
des „Kriegßbuchs“ den Leuten des 17. und 18. Ihdts. jehr wohl zujagte.
Mit Wärme und Reſpekt jpriht Tobiad Wagner von Frönsperger”..
Er jagt u. A. in feiner Einleitung: „Ich zweifle nicht, es werden einige meiner
jpotten, wenn ich ihnen NKrieges-Bücher werde in die Hände geben und werden
ſchreyen: Gebt dafür Wein, Bier, Menjcher, Würffel und Karten ber; die find der
bejte Zeitvertreib im Kriege; e8 würde viel zu langweilig werden, wenn man erit
aus den Büchern jollte Kriegen lernen. Solchen Leuten mag id) den Tert nicht
leſen. Ein berühmter Ktayjerlicher Obrijter, der unter dreyen Kayſern, Carolo V.,
1) Bibl. d. Berl. Striegsafademie (D. 270) und Bibl. des Verfafiers.
*) Dieje Berwechielung findet fich fon in der Widmung Wintzenbergers an Richard v. d.
Schulenburg i. 3. 1588, alio ſchon 13 Jahre nad) FFrönspergers Tode S. 477] und fie fcheint unaus-
rottbar ; denn fie entitellt fjogar noch den Urtifel „Fronsperger* in der Biographie generale.
’) Entwurff einer Solbatenbibliothef. (Leipzig 1724.)
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 557
Ferdinando I. und Maximiliano II. gedient und dejien Zeugnif in diejer Sache ein
großes Gewicht giebt, mag ſolche abfertigen. ch meyne Leonhard Fronsperger,
als welcher in dem Eingange des andern Theils jeines Krieges-Buchs fie folgender-
maßen ablaufen läht: „ES gehöret mehr denn rothe Schue zum Tank, und welche
under hohes oder nidrige® Standes nicht begehren, Hijtorien und dergleichen
Heihichte zu lejen, die werden ohne Zweiffel jonjten auch nicht viel zu erfahren
begehren, jondern jich vielmehr der Hoffarth, Pracht, Freien und Sauffen,
Spiel und Mum-Platz denn die Kriegs Ordnunge, Sitten und Gebräuche zu
erfahren und lernen begeben.“
Ein halbes Jahrhundert jpäter jagt der trefflihe württembergifche Oberit
von Nicolai): „Schon i. 3. 1573 hat Fronsperger mit Herausgebung jeines
Kriegsbuches den Deutjchen Ehre gemadt. . . . Er ijt meines Wiſſens der erjte,
der es gewagt hat, das Ganze zu umfaſſen und die Ausrüftung eines Heeres
mit jo viel Umpftändlichteit in Bezug auf die Waffen und alle Bedürfnifje vorzu—
legen. In jeinem Zeitalter waren Sriegsichriftiteller jehr var, und ich zweifle,
dab um dieje Zeit irgend eine Nation einen aufweijen könne, der ihm an Gründlich—
feit und an Größe des Plans gleich fomme. Ja wir müfjen geitehen, daß nod) heut
zu Tage unter den Kriegsjchriftitellern aller Nationen die Fronsperger jelten find“.
Wieder ein halbes Fahrhundert jpäter widmete Frd. Wild. Aug. Böhm
dem Generalsijntendanten Ribbentrop „Fronspergers Kriegsbuch, nad) dem jegigen
Sprachgebrauch bearbeitet. I. Band 1. Abthlg. (Berlin 1819)“, um in die Hände
des Chefs des Kriegskommiſſariates „ein Wert niederzulegen, das neben der vor
250 Jahren bejtandenen Einrichtung eines deutſchen Kriegsheeres aud) die Ver—
waltung des Haushalts bei demjelben zum Gegenjtande hat“. Die Bearbeitung
ſt nicht zu Ende geführt worden; der eine erjchienene Band umfaßt nur die
riten fünf Bücher des erjten Teild von Frönspergers Kriegsbuch?).
Die 3 Folianten des Frönsperger’ichen Hauptwerfes bedeuten
feinen wiljenjchaftlichen Fortichritt gegen Solms’ „SKriegsregierung“
oder Herzog Albrechts „Kriegsordnung“; namentlich ſtehen jie in
taftiicher Hinficht gegen die le&tere weit zurüd. Was der Ulmer über
de Taktik (abgejehen von den unter „Truppenkunde“ zu beiprechenden
!lementartaftiichen Angaben) bringt, jteht im II. Buche des erjten
Bandes und verdient nur furzer Erwähnung.
Nod am beiten, wenn auch ganz jchematiich handelt Frönsperger vom
Sagerwejen. Am bequemjten jind lange (d. h. tiefe) Läger; angeſichts des
Feindes aber jind breite vorzuziehen, welche den Wirkungen feindlicher Geſchoſſe
veniger ausgejegt jind. Jedem Truppenteil wird nad) jeiner Stärke und Waffen:
yattung ein entiprehender Platz angewiejen. Der oberjte Feldherr joll nicht
nitten im Lager, jondern an der allerjicheriten Stelle desjelben untergebradht
ind jein Lojement durch ein Regiment Yandstnechte beſonders bewacht werden.
1) Verſuch eined Grundrifies zur Bildung des Offizierd. (Ulm 1775.)
2) Bibl. der Kriegsalad. (D. 272).
558 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Der Oberſte Leutenampt dagegen joll jein Zelt möglichit in der Mitte der
Lagers haben, umgeben von einem freien Plate für die Berehldausgabe. Tier
andern hohen Ämter (Feld Marſchalck und Oberjt Profoß) jowie Fußvolksoberſten
find in der Nähe unterzubringen. Nicht jo Zeuge und Gejchirrmeifter, die in
der Nachbarſchaft ihres Materiales liegen müfjen. Die jchiwereren Kaliber des
Gefhüges dienten zur Armierung der „Schanze“, d. h. des Erdmwalld, der das
Lager umgab, während die leichteren ordnungsmäßig auf dem Lärmplag aufae-
fahren waren, der vor den Zelten lag. Hier lagerten, von bejonderem Graben
umgeben, aud) die Artillerievorräte und die Munition, und bier, in der Nähe des
seldzeugmeijters, nimmt der Wagenburgmeijter jein Zelt, weil diejer unter jeinen
Wagen nod immer einige führt, die, zur Wagenburg gehörig, mit Fleinem Gejchüs
bejegt find, die aljo aud Munition brauchen, und weil die Wagenburg, innerbalb
der Schanze, einen zweiten Befejtigungsring bildet. Dieje Wagenburg bejtand
aus fjämtlihen Fahrzeugen mit Ausnahme der PBulverwagen, Rüftwagen umd
Sciffbrüdwagen, welche auf dem abgejchlofienen Plage aufgefahren waren.
Für den Marſch bejtimmte Regeln aufzuftellen, möcdte Frönsperger ver:
meiden. Die Leijtungsfähigkeit der Waffengattungen und das Gelände jeien zu
verſchieden; man habe durchaus nad) Umjtänden zu handeln. Stet3 aber babe
dem Heerhaufen ein „Fürtrab“ vorauszuziehen, am beiten „leichte Schügen Pferdt,
die man jchwarge Reuter nennt“. Flankenbedrohungen gegenüber jollen jich die
Hakenſchützen zur Seite ihrer Negimenter herausziehen, um den Feind durch ib:
Feuer in Reſpekt zu halten; denn „für dem Geſchütz gilt oder hilfft weder kün
noch mannheit, gilt ein verzagter lojer Bub mit einer Büchjen ebenjoviel als ein
auffrechter, beherzigter und erfahrner Mann. Denn dawider oder für bilfft fein
funjt weder balgen noch fechten, jondern ijt auch erichrödenlich zu hören und gebt
oder trifft allweg meijten theil® die frommen vnſchuldigen.“
Wie bei der Zugordnung, jo hange auch bei der Shladtordnung alles
von Gelegenheit des Orts und der Heereszujammenjegung ab. Dazu komme
dann nocd das Verhalten des Gegners. Allwegen gehört neben einen Haufen
Fußknecht ein Gejhwader Reuter; in ſolchem Wechſel find die Truppen hinter
dem Geſchütze aufzujtellen. Deren Feuer eröffnet das Gefecht; dann rüden dic
Haufen „lieder weis“ vor die Kanonen dem Feinde entgegen; während die Ar
tillerie lädt, aufprogt und dann ihrerjeit8 wieder zwilhen den Haufen vorgeht,
feuert und abermals die Truppen durchläßt. Weicht der Feind nicht, jo jollen
Reuter und Knecht ihn zugleich angreifen, „doch mit anjhidung, dab Fußknedht
auff Fußknecht jtoßen, die Gereijigen auff Reijigen, und nicht Reuter auff Fuß—
fneht antreffen vnd jonderlichen der Hinder Hut vnd Halten mit Gegenwehr aud
im widerjtandt vnder Augen begegne.“
8 33.
Nicht zufällig und umverjchuldet it die furchtbar jchwere Prüfung
des Dreißigjährigen Srieges über unjer Volk gekommen. Infolge der
Berjumpfung der Neformation zeigt ſich ſchon im dritten, bejonders
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 559
aber im legten Viertel des 16. Ihdts. ein bedenfliches Nachlafjen
aller Kräfte der Nation, ein Erlahmen ihrer geijtigen Negjamfeit.
In entjcheidenden Dingen wird Deutichland von den romantjchen
Nachbarn überholt, bei denen die Gegenreformation Energie und
Schwung hervorgerufen. — Jener Mangel an Friſche und Urſprüng—
(ichfeit, der in der deutjchen Kunſt und Wiſſenſchaft handgreiflich
hervortritt und im der Politik jo verhängnisvoll wurde, der offenbart
jich deutlich auch in der Militärktteratur. — Zunächſt find nur einige
Neubearbeitungen des Ämterbuches zu nennen.
„Ein herrlich newe vnd wol ausgeführte Veldt- und
Kriegsordnung“, welche v. 3. 1584 jtammt, iſt eine unbedeutende
Baraphraje des Amterbuches, der die „Bedenken zum Türfenkriege“
von 1542 angehängt find. Die Schrift befindet jich in der Herzogl.
Bibl. zu Gotha. (cod. 571.)
Etwas intereflanter it die von Philippi i. 3. 1587 dem Pfalz—
grafen Friedrich bei Ahein gewidmete „Kurge Kriegshandlung...
und ein Kurtze Hiſtoriſche Beichreybung der Nüderländiichen Krieg“,
deren Handjchrift die Heidelberger Univerfitätsbibliothef bejitt. Dies
Buch zerfällt in acht Teile.
1. Bon höchſter Obrigkeit. 2. Vom Teutjhen Negt. Fußvolcks. 3. Vom
Regt. Teuticher Reuter. 4. Bon Ardhelei. 5. Von den Kriegsſchiffen. 6. Wie
der frieg zu zeitten jeinen anfang nimmt. 7. Vom Beruf eines Statthalters in
Kriegsläufften. 8. Was ſich in Niderlandt verloffen von anno 66 bis anno 86.
Das Werk ijt großenteild eine Wiederholung des Ämterbuches. Der die
Marine betreffende Teil, der auf Cleves alter Arbeit fuht, ift aber durch jo viel
neue Erfahrungen bereichert, daß er für das Studium des Niederländiihen Krieges
von nicht unbedeutendem Intereſſe iſt.
Eine ziemlich armjelige Kompilation ijt des Adam Junghans
v. d. Olßnitz gedrudte „Kriegsordnung zu Wajjer vnd Landt“.
(Köln 1590, 1594, 1595, 1611).
Seite 1301) ift ein Auszug aus dem Ämterbuche; S. 31—68 enthält
Malefizs, Spieh- und Standredt; S. 79—86 bringt eine Verdeutſchung der beiden
taftiichen Paradoren des de la Noue [$ 36], ohne Angabe des Autord. Daran
reihen ſich allerlei, aus Frönspergers und verjchiedenen andern Schriften entlehnte
taktiihe Vorjchriften zu Wafjer und zu Lande. ©. 115—135 füllt ein unge:
1) Ich zitiere nad) der von Reutter von Speir, geweſenem Regiments: und Mufterjchreiber
berausgegebenen 2. Auflage (Defiauer Behörbenbibl. 10924: 5978 B.) Die Auflagen von 1595 und
die von 1611 (welche ohne Reutterd Namen erjchien) befigt dad Germaniſche Mufeum (Nr. 7596 u. 2710)
— Auszüge bringt Gilbert Angers Jlluftr. Geich. der F. k. Armee, I. (Wien 1886).
560 Das XVI. Jahrhundert, I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
nügender Auszug aus dem „Buche von den probierten Künjten“ [S 44;, um)
dann folgt bis S. 162 die Anleitung zur „Mujterjchreiberey“.
In jeiner Dürftigfeit ijt das Büchlein doc nur allzu charakteriftiich für die
Zeit, in der es entitand; auch fehlt es der Darſtellung nit an einem gemifier.
derben Humor, und daher hat Guſtav Freytag nicht unrecht daran getan, es ir
den „Neuen Bildern zur deutjchen Vergangenheit” jeiner trefflihen Schilderung der
militärifchen Zuftände um die Wende des 16. und 17. Ihdts. zu Grunde zu legen
S 34.
Während ſich jo die Praftifer notdürftig mit dem Tafelabhub befjerer
Tage frijteten, jchwelgten die Gelehrten in lateinischen Kriegsbüchern.
Georg DObreht, Rei publ. Argentinensis Advocatus, ver
öffentlichte zwei »Disputationes«: ene De principiis belli et
eius constitutione (Straßburg 1590) und eme De militari
disciplina, quae administrationis belli praecipuam partem
contenit (ebd. 1592). — Es find akademische Differtationen, welde
durchaus von den klaſſiſchen Traditionen ausgehen ?).
Dem Juriſten reiht jich ein Edelmann an, der Sohn des Beſiegers
der Dithmarjchen: Graf Heinrich von Ranzau, ein Geldfürjt wie
ein Fürſt der Gelehrſamkeit (1526— 1599), der als Hiitorifer, Genen:
loge, Diätetifer, Ajtrologe und Epigrammatifer glänzte. Einem ſolchen
univerjalgenialen Polyhiſtor durfte auch friegswiffenichaftlicher Ruhm
nicht mangeln, und darum verfaßte er noch in hohem Alter einen
Commentarius bellicus libris sex distinetus: »Praecepta,
consilia et stratagemata pugnae terrestris et naualis ex variis
Eruditorum collecta scriptis complectens«, welchen er dem Dänen:
fönige Chrijtian IV. widmete. (Frankfurt a. M. 1595.)
Der Kommentarius Ranzaus ijt eine aus allen mögligen Mutoren des
Altertums, des Mittelalter® und der Neuzeit zufammengejtellte UÜberſicht des
Ktriegswejens, in welcher die Außerungen des Ariftoteles friedlid neben jolden
von Daniel Spedle, die des Pindar neben denen du Bellays, die de Meland-
thon neben jolden Xenophons jtehen. Irgend ein praftiiher Zwed bat dem
Berfafier wohl nicht vorgefchwebt; der weitumfajjende Geiſt des raftlojen Gelehrten
hat eben auch einmal die Gebiet durchwandern und logiſch ordnen wollen. Er
itrebt die höchſte Vollftändigfeit an und geht den Dingen bis in'die gerinaften
stleinigfeiten nad; nur eins fehlt, freilich eine Hauptſache: die unmittelbare
Friſche der Auffajjung.
1) Kal. Bibl. zu Berlin (H. v. 18712 und F. M. 3462.)
2) Kgl. Bibl. zu Berlin (H. u. 9755) und mit eigenhänbiger Widmung Ranzaus: Defiaur
Behörbenbibl. (10884: 5938).
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 561
In zwei bewunderungswürdigen Schriften hat endlich Juſtus
Cipſius das Kriegsweſen der alten Römer auseinandergejegt: in den
De militia Romana libri quinque (1595) und in dem Polior-
ketikon sive de Machinis, tormentis, talis libri V (1596).
Dieje gelehrten, für die Kenntnis des antiken Kriegsweſens grund-
legenden Werke jind um jo wichtiger geworden und haben Epoche
gemacht, weil ihr Verfaſſer fich nicht, wie eigentlich alle jeine Vor—
gänger, an Begetius anklammerte, jondern ſich wejentlich auf Polybios
jtügte. Joeſt Lips’ Vergleich der modernen mit der antiken Kriegs-
kunſt fällt durchaus zu gunſten der leßteren aus. in bejonderes
Verdienſt erwarb er jich Durch die für jeine Zeit vortreffliche Abhandlung
über die Majchinen der Alten. ‘Freilich läuft dabei jo manche Ver:
wechjelung mit mittelalterlihem Wurfzeug unter, wie er das z. T.
perſönlich noch an Originalen (in Brüſſel) jtudiert; aber gerade da-
durch iſt er wieder mittelbar Quelle geworden. — Näheres Eingehen
auf dieje archäologijchen Arbeiten würde über den Rahmen unjeres
Werkes hinausführen.
8 35.
Immer wenn die öffentliche Sittlichkeit gejunfen ijt, verjuchen
wohlmeinende Leute, zumal Geijtliche, ihr durch Traftätlein aufzu-
helfen, natürlich ohne Erfolg. Wie tief das Niveau der Mannszucht
in den Haufen der deutjchen Kriegsfnechte gegen Ende des 16. Ihdts.
lag, das erfennt man mit Schreden aus Schwendis Reimen, aus
Wilhelms von Hejjen „Kriegshandel“, aus den Lamentationen in
Junghans v. d. Olßnitz' Schrift. Was Wunders, daß es auch an
Mahnichriften nicht mangelt! Da tjt zuerjt des Buccerus „Chriit-
licher Bericht vom nothwendigen Kriege“ (Bajel 1592)}),
dann des Bohemus Laubenjis, Predigers „Kriegsmann, d. i.
Gründlicher Vnterricht, wie jich ein chrijtlicher Kriegsmann verhalten
jol, damit er bei jeinem bejchwerlichen vnd gefehrlichen Stande den
höchſten Gott nicht erzürne“. (Leipzig 1593) ?).
Nach einer hiſtoriſchen Vorrede folgen: 1. Ob man Kriege führen foll.
2. Bedenden in ftriegsbeitallung. 3. Bon Kriegsrüftung (auch mit geijtl. Waffen).
4. Chrijtl. Kriegsleut Artifelbrief (Gebet). 5. Vom Ausgange des Kriegs.
6. Etliche Gebete.
2
1) Gräfl. Stolbergſche Bibl. zu Werningerode (L. 259).
2) Frankfurter Stadtbibl. (Milit. 278).
Jähns, Geſchichte der Ktriegswiſſenſchaften. 36
562 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegäwijienidhaftlihe Werte.
In demjelben Jahre veröffentlichte Andreas Musculus, der
jtreitbare brandenburgiiche Hofpfarrer, der jo beweglich und zornig
gegen den „Hoſenteufel“ predigte, ein entjprechendes „Kriegsbüchlein“
(Leipzig 1593). Diejem folgte der „Kriegsleutjpiegel, d. t. war-
hafftige Bejchreibung eines chritlichen Kriegsmanns, wie er in allem
jeinen Thun nachfolgen jolte dem herrlichen Ebenbild Sanct Miorigen“
. . Durch Petrum Lanifium, der Societät Jeju Theologum (FFrer-
burg im Vchtland 1596) !), und endlih das »Speculum belli
oder Kriegesipiegel“ von Michael Babft von Rochlitz, Pfarrherrn zu
Mohorn (Freybergk in Sachjen 1597) 2).
Letztere Schrift legt bejonderen Wert darauf, daß, „mann auch der Krieg
ein Zoch befommen, jollen ſich die Kriegsleute nicht auff faulengen, müßiggang
oder wie die gemeinen Soldaten zu thun pflegen, auf garten und betteln begeben
vnd legen, auff das fie nicht dadurch zu allerley böjen Sachen anleytung be
fommen.“ — Die Schrift jchließt mit dem Verje aus Pſalm 68: „Herr zeritöre
die Völfer, die da gerne kriegen!“
Das find die Klänge, welche den exitus der Militärliteratur
des 16. Ihdts. im eigentlichen Deutjchland läuteten.
8 36.
Die Fortichritte, welche die Kriegskunſt in der zweiten Hält:
des 16. Ihdts. (abgejehen von rein technischen Dingen) machte, er:
wuchjen den großen Neligionskriegen in Wejteuropa: den Dugenotten
friegen und dem Kriege in den Niederlanden. In wiljenjchaftliche
Hinficht liegt der Schwerpunkt bei den Spaniern; Deutjche des inneren
Neiches haben jedoch großen Anteil an diejer Entwidelung, weil an de:
Spite der um ihre Freiheit vingenden Niederländer rheinfränkiſch
Fürſten jtanden, die Nafjauer Grafen. Zeitlich it aber zuerjt eine:
franzöſiſchen Hugenottenführers zu gedenken.
Es wurde oben darauf hingewiejen, wie gering die Betätigung
der Franzoſen auf dem Gebiete der Kriegswiljenichaft während der
eriten Hälfte des 16. Ihdts. war [$ 18]. Etwas reger, wenn aud
immer noch weit jchwächer als die der Deutjchen, gejtaltet jie jich ın
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, umd hier darf der Name de la
Noue nicht übergangen werden.
1) Sal. Bibl. zu Berlin (H. u. 15690).
N Bibl. der Berliner Kriegsafademie (D. 592).
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 563
François de la Noue wurde 1531 bei Nantes geboren, tat frühzeitig
Kriegsdienit in Italien, und bald war der junge Bretagner einer der Vorkämpfer
der Hugenotten. Bei Fontenay verlor ef den linken Arm und erjegte ihn durch
einen eifernen, nad dem die Soldaten ihn Bras de fer nannten. Bon 1573
bis 77 verteidigte er La Rochelle gegen die Katholiten. Nach dem Frieden von
Bergerac focht de la Noue gegen die Spanier in Flandern und nahm Egmont
gefangen; bald aber fiel er jelbjt in Feindeshand und jchmachtete fünf Jahre
lang zu Limburg in Gefangenjchaft. Unter Henri IV. war er unermüdlich in
Waffen und jtarb endlich 1591 beim Sturm auf Lamballe durch eine feindliche Kugel,
In der Muße der Gefangenjchaft von 1580 bis 1585 jchrieb
Bras de fer jene Discours politiques et militaires, welche
1587 zu Bajel veröffentlicht wurden!) Es find 28 Diskurſe, die
hauptjächlich vom Bürgerfriege, von der Erziehung des Adels, von
der Schädlichkeit der Nomanlektüre, von der Taftif, von der Politik
chrijtlicher Könige und endlich von der franzöftichen Zeitgeichichte
handeln, an der der Verfaſſer jelbit jo rühmlichen Anteil hatte, daß
der König bei jeinem Tode ausrief: »Nous perdrons un grand
homme de guerre et encore plus un grand homme de bien!« —
Die Schreibart der Diskurje zeigt de la None als einen der beiten
damaligen PBrojaiiten.
Die wichtigjten militäriſchen Kapitel find die folgenden:
Im I Buche: der Discours 5: De la bonne nourriture et institution
qu’il est necessaire de donner aux ieunes gentils- hommes Francois. —
Hier jhlägt er vor, in jeder Provinzialhauptitadt eine Schule für die jungen
Edelleute anzulegen, wo fie in Leibesübungen und Wiſſenſchaften ausgebildet
würden. Reiten, Ningrennen, Springen, Schwimmen, Ringen und Tanzen jollten
ihren Körper entwideln, Muſik ihren Geijt erfriihen und ergögen. Bon Wiſſen—
ſchaften jeien vornehmlich zu treiben: Geſchichte, Mathematit, Erdbejchreibung,
Stats- und Striegslehre, insbejondere Befejtigungstunjt. Außerdem jeien lebende
Sprachen und Zeichnen zu lehren. Es ijt der Lehrplan eines Realgymnafiums. Die
Koſten könnten leicht von ſolchen Pfründen aufgebracht werden, welche mit feinem
Pfarramt, feiner Seeljorge verbunden feien und vom Könige vergeben würden.
Faſt noch höheres Intereſſe erweden die beiden Disturfe: 13. Que sa
Majest& doit entretenir pour le moins quatre regimens d’infanterie en
temps de paix, reduits tous à 2500 hommes, tant pour conserver la dis-
cipline militaire, que pour estre asseuré d’avoir tousiours un gros corps
de vieux soldats, und 14. Des Legionnaires Frangois. — In diejen Dis-
furjen jegt de la Noue zunächſt die Notwendigkeit auseinander, neben den von
Charles VII. errichteten berittenen Ordonnanzlompagnien, die man in Stärfe
von 4000 Gensdarmes aufrecht erhalten jolle, auch noch ein ftehbendes Fuß—
y Bibl. des Verfafiers.
36*
564 Das XVL Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswijienichaftlihe Werte.
volt von mindejtens 2500 Mann Gejamtjtärfe jtet3 unter Waffen zu haben
ſowohl zur Bejegung hochwichtiger Grenzpläge (etwa Galais und Meg), wie als
Schatzlammer voll alter Soldaten und als Borbild der Disziplin. Ein Vierte
des Fußvolkes müfje aus Spiehern u. zw. Gewappneten bejtehen, der Reft aus
Schügen; erjtere jollen eine Elite bilden, zu der man befördert werde. In dieica
Einrihtungen jeien die Spanier zum Wujter zu nehmen. — Für den Krieg reit:
natürlic; eine jo ſchwache Infanterie nicht aus, und da müfle man zu Köms
Francçois' Legionen, d. 5. zu einem Milizfußvolk, zurüdgreifen. Man möa
drei Yegionen einrichten: eine in der Pilardie, eine in der Champagne und eim
in Burgund; der Adel jolle die Führerſtellen bejegen, und durdhaus jei zu ver:
langen, dab ein Teil der Mannſchaft aus gerüjteten Spiebern beſtehe. Der Verial
des franzöſiſchen Fußvolkes rühre daher, da die Edelleute es verihmäbten, Dieni
bei der Infanterie zu tun. »Ce qui rend en partie l’Infanterie Espagnole en
tel prix qu’elle est, c'est que la noblesse y range fort volontiers et plus
qu'en la cavalerie«. Auch das Kommando der Legionen jei vornehmen Männern
zu übertragen. »Es pays-bas, on void encor que les principaux Seigneurs
ne desdaignent de prendre de Regiments: comme les Comtes d’Egmmnt,
d’Arembergue etc.«
Des 15. Diskurſes, welcher von der taftiihen Anordnung der Reitern
handelt, wird an anderer Stelle gedadyt werden 8 5). Intereſſant iſt auch de
16.: De l'usage des Camarades (Zehnerrotte, chambre, Kameradſchaft), qr
sont fort recommandees entre l'infanterie Espagnole.
Das ganze II. Buch (der 18. Diskurs) bringt unter der Überjhriftt: Quatre
paradoxes militaires die Crörterung wichtiger friegeriiher Probleme
Drei davon (1, 2 und 4) beiprehen die Taftil der drei Wafjen m
jollen in dem Kapitel „Truppenkunde“ näher gewürdigt werden. Der Gegen
itand des 3. Paradorons lautet »Qu’il est profitable à un Chef de guerr
d’avoir regu une route.«e Der Verfaſſer weijt dabei an hijtorijchen Beijpielen
den Nupen nad), welchen fluge Heerführer aus Fehlihlägen und Unfällen ar
zogen haben.
De la Noues Werk jtand in hoher Achtung und hat unzmeired-
haft Einfluß auf die Öejtaltung des franzöjiichen Heerweſens gehabt
In taftiicher Hinficht weht durch dasjelbe, wie jich jpäter ergeben
wird, ein frischer Hauch, der aus den Niederlanden fommt.
Neue Auflagen erihienen 1590 zu Ya Rocelle und 1612 zu Frankfurt a. W
Ins Deutfche übertrug das Wert Rathgeben. (Frankfurt aM. 1592 um)
1612). Eine englifche Überjegung erjchien zu London 1597.
»Un altro Caesar nella lingua et Catone nella Sententia!« jo ſtand
auf dem Titel eines Gremplars der Diöfurje in Tobiad Wagners Bücherei, und
diejer jelbjt urteilt in jeinem „Entwurff einer Soldatenbibliothet” (Leipzig 1724:
„Es iſt diejes ein unvergleichlich Kriegs- und Staatsbuch; man hat davon groken
Estim gemadt... Diejenigen jo vom Kriege Profeſſion maden, finden darin
vortrefflihe Sachen, jo zu diefem Handwerk gehören. Er warnet die Rittersleute
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 565
vor den Debauchen und Querellen, ingleihen vor den Amadis-Büchern, als
welche jungen Leuten jo gefährlih wären als die Leſung des Maciavelli denen
alten. Diejer Herr war ein Staats Kluger Mann. Nur diejes jegt man an
jeinem Buche aus, daß er allzujehr aufs Prophezeyen gefallen, indem er jih auf
Finjternifien, Stimmen, Quftzeichen, Monstra u. j. w. berufen, und daraus den
Untergang Frankreichs gedroht.“
Es wird dem de la Noue auch noch die i. 3. 1559 zu Lyon
erichtenene Institution de la discipline militaire au
royaume de France zugejchrieben, welche dem Könige Antoine von
Navarra gewidmet it. Da der ungenannte Verfaſſer jedoch jagt,
daß er nicht lange nach der Schlacht bei Cerifolles (1544) jchrieb,
damals de la Noue aber erjt 14 Jahre alt war, jo it er ficherlich
nicht der Autor. Das Buch verrät vielmehr einen reifen Kopf und
namhafte Gelehriamfeit !). — Ebenfalls bedeutend jind die Maximes
von de Bourdelle, der erjte und nicht übel gelungene Verſuch
eines Franzojen, über Generaljtabsgejchäfte zu jchreiben, (ca. 1560) ?)
und La nouvelle Milice von de Bicaine (1590). Dann zeigen
die Maximes de guerre et instructions des Marjchalls Armande
de Gontaut-Biron (1611) deutlich) die Hand eines tüchtigen Metjters.
Einfluß hat das Buch aber faum ausgeübt; denn wie es erjt 12 Jahre
nach dem Tode Birons gedrudt wurde, jo galt es bald darauf jchon
als verjchollen und iſt nicht verdeutjcht worden. — Mit diejen wenigen
Werfen wäre aber auch, falls man nicht die Memoiren-Literatur
heranziehen will (Montluc, Vieilleville, Brantöme und Sully), Die
Geſamtheit der Ertegswifjenichaftlichen Werke der Franzoſen im 16. Ihdt.
erschöpft, und man wird einräumen müfjen, daß dies nur eine jpärliche
Ausbeute tft: eine Erjcheinung, die jich auch bei den rein technifchen
Werfen wiederholt.
Die Memoiren-Literatur it allerdings jehr]bedeutend, u. zw. nicht nur
für die Kriegsgeſchichte, jondern vielfach auch für die Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften.
In eriter Linie jtehen dabei die Commentaires de Messire Blaise
de Montluc, eines guiennijchen Edelmannes, der vom einfachen Archer zum
1) Einige Auszüge finden fih in Rüftows „Geich. der Infanterie”, I, ©. 209, 249—255.
2) Diefe Arbeir iſt zumeilen Eoligny zugefchrieben worden. Die fgl. Bibl. zu Brüſſel befist
eine Handichrift derfelben (10418), auf deren Titel es heißt: »L’ouvrage suivant Intitul& ci-dessous
»:Trait& duManiementdelaguerre, fait parMrs. l’Admiral« est mieux intitul&
:Maximes etadvis du maniement de la guerre et principalement du devoir et
office du marechal de camp par Andr& de Bourdelles, fröre ain& de Brantöme*.
Die Arbeit ift im 19. Bande von Brantömes Werten (Gag 1790) ©. 210-280 gebrudt. — Übrigens
enthält der Brüſſeler Cod. 10418 aud einen wirfliden Aufſatz Colignys, der jeboch feinen wiffenichaft!.,
ſondern einen geihichtl. Charakter bat, indem er fi auf bie Belagerung von St. Duentin (1557) bezieht.
566 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Marihall von Frankreich emporitieg. Bon La Bicocca bis Cerijolla (1522—1544
hat er fait an allen Kämpfen in Italien teilgenommen, ebenjo jpäter an den
Belagerungstkriegen in Piemont, Flandern und Luremburg, und bejonderen Ruhm
erwarb er ſich 1555 durch die glänzende Verteidigung von Siena. In den Hugenotten:
friegen bejledte er feinen Namen durch arge Graujamleit. Seine Memoiren oder
Kommentarien umfajjen die Zeit von 1521 bis 1574; Henri IV. bezeichnete ji
als die „Bibel der Soldaten“, und in der Tat jagt Montluc geradezu, er be
ichreibe fein Leben zum Unterricht junger Kriegsleute. Welch Geift ihn, den ot
Berwundeten, bejeelte, zeigt jeine Bemerfung: »Qu’elle est donc l’'honnete dame
qui voudrait s’associer A un homme qui et tous ses nerfs et tous ses 08%:
Er ijt ſtark Gascogner, aud ala Autor; aber dabei doc) befonnen und überlegen;
jo empfahl ſchon er zwei Maßregeln, die erjt weit jpäter zur Ausführung famen:
Offizierprüfungen und Jnvalidenverjorgung. Welchen Eindrud jeine Kommentarıen
noch auf Neuere machen, lehrt Rüſtows Lebensbeichreibung Montlucs in der
„Militär. Biographien“ I. (Züri) 1858) und der Ausſpruch, den mir gegenüber
jüngjt ein alter hochgebildeter preußifcher General tat: „Es ift das belehrendite
Buch bis auf Klaufewig; es überragt Macdjiavelli bedeutend; nur Napoleons
Korrejpondenzen find ihm über.“
Minder wichtig, wenngleich immerhin interefiant, jind die M&emoires de
Francois de Sc&peaux, Sire de Vieilleville, Marſchall von YFranfreiö
(f 1571), welche jein Sekretär Garloir verfaßt hat. Ein Auszug aus demjelben
findet fi in Friedr. v. Schillers Werten (11. Band).
Eine außerordentlich reiche Quelle für die Zeitgefchichte find des Pierre de
Bourdelles, Seigneur de Brantome »Vie des hommes illustres
et grands capitaines frangais« und jeine »Vie des grands capi-
taines &etrangers«. (Leiden 1665).
Dasjelbe gilt von des Marimilian de Bethune Duc de Sully Me
moires des sages et royales &conomies d’'&tat, domestiques,
politiques et militaires de Henri le Grand. (Amjterdam 1643).
$ 37.
Beiremdet jchon die geringe Zahl der dogmatijchen militärischen
Werfe der Franzojen, jo gilt dies für die erjte Hälfte des 16. Ihdts.
noch mehr von denen der Spanier. Dies Volk, das doch eben damals
eine jo großartige Rolle auf den Schlachtfeldern Europas und Amerikas
geiptelt, hat während diejer Zeit in Eriegswilfenjchaftlicher Hinſicht jo
gut wie nichts hervorgebradht. Ein Doktor Palacios Ruvios
veröffentlichte 1524 zu Salamanca einen Tratado del esfuerzo
bellico heroyco, von wejentlich religtöjem und moraltichem Inhalt;
Diego Montez gab 1536 zu Saragofja den Soldado viejo de
su Majestad heraus »en la qual trata sutilos avisos y cosas
secretas del exercicio militar de la guerra« — das iſt aber auch
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 567
alles. — Dieſe Sterilität hört plötzlich mit dem Eingreifen Albas
auf. Er empfand den Mangel allgemein giltiger technijcher Dienit-
vorjchriften und erließ bereit8 in den fünfziger Jahren als Vizekönig
von Neapel eine italieniſch gejchriebene Dichiarazione o istruzione
sopra gli obblighi che appartengono ad un maestro generale
di campi ed altri Ufficiale. Das jehr furz gefaßte Schriftjtüd
findet jich in einem Sammelbande der jtädtiichen Bibliothek zu Siena.
(D. V. 2. fol. 295). Im Sahre 1568 aber, demjelben, in welchem
Ludwig und Wolf von Nafjau dem jpantichen Heere den jchiweren
Schlag von Heiligerlee beigebracht, beauftragte Alba mehrere Offiziere
mit der Abfafjung einer neuen Inſtruktion. Jeder arbeitete für fich
und widmete jein Werf dem Herzoge. Drei jolcher Schriften find
erhalten. Die ältejte ift die noch i. 3. 1568 jelbit vollendete, von
Lier datierte Disciplina militar, deren Handjchrift die Bibliothef der
Uffizien zu Florenz bewahrt (XIX. 7; 3). Der Berfafjer ift Beſa
Sasmanos, ein alter Soldat, und jeine Arbeit it jo furz umd
bündig wie die alte neapolitanische Dienjtvorjchrift Albas. Ein Jahr
ipäter vollendete der Maejtro de Campo Sancho de Kondoito
jeinen Discurso sobre la forma de reduzir la disciplina militar
à mejor y antiguo estado, welcher jpäter (zuerit 1587) zu Brüſſel
gedrudt wurde. Auch dieje Abhandlung iſt kurz gefaßt und vortrefflich.
Sie legt die Organtjation der compadia, des tercio (Regiments)
und des ejercito (Heeres) dar, erläutert die Offizierspflichten, vom
general an bis hinab bis zum cabo de escuadra (Corporal), bringt
Angaben über Ausrüjtung, Marſch und Lagerweien und zulegt die
Kriegsartifel. In taktiſcher Hinficht wird noch einmal auf dieje Schrift
zurüdzufommen jein [$ 86], die einen echt joldatifchen Geiſt atmet,
dem e3 doc) auch feineswegs an Aufichwung, ja an poetijchem Glanze
fehlt. Die techniiche Ergänzung dazu bietet dann das dritte hierher:
gehörige Werk, des Maejtro de Campo Francisco de Daldcz
Espeio, der 1571 vollendet und zuerit 1586 in Brüſſel gedrudt
wurde. Dieje als Dialog behandelte Arbeit bejpricht 1. Aushebung,
Ausrüſtung und Ausbildung, 2. Anordnung der Märjche und Lager
und 3. Führung im Gefecht. Der Schwerpunft liegt auf den taftijchen
Auseinanderjegungen [$ 88]. Auf diejen Schriften beruhen die ſpaniſchen
Reales ordenanzas, deren früheite i. 3. 1613 veröffentlicht wurden,
und eben jie öffneten auch der ſpaniſchen Milttärliteratur den Mund.
568 Das XVI, Jahrhundert. I. Allgemeine friegswijjenihaftlihe Werte.
Sm Jahre 1582 gab Juan de Funes zu Wamlona den Libro
intitulado Arte Militar heraus, der für den praftiichen Feld—
gebrauch, namentlich der Infanterie, bejtimmt it; Bernardino de
Escalante verfaßte ein mit gelehrtem Ballaſt überhäuftes Ämter—
buch: Diälogos del Arte militar (Sevilla 1583); daran reihten fich
des Bisfayers Martin de Eguiluz Milicia (Madrid 1592) 8 88],
Cechugas Maestro de Campo General [$ 88], und endlich erjchten
das ſpaniſche Hauptiwerf diejer Zeit, Mendocas Theörica y Pratica
de guerra.
Einer erlauchten Familie entjtammt, welche jeit dem 13. Ihdt.
dem Vaterlande eine lange Reihe ausgezeichneter Männer gegeben
hat, vereinigte Bernardino de Mlendoca in jeiner Perſon militärijche
und diplomatische Begabung. Ruhmvoller Reiterführer unter Alba,
trug er wejentlich bei zu dem verhängnisvollen Siege auf der Mooker
Heide (1574); Eluger, jcharfblidender Gejchäftsmann, vertrat er mit
Geſchick und Kraft die Sache Spaniens an den Höfen Englands umd
Frankreichs. Diejen Verdienjten fügte er als drittes das literartiche
hinzu. Zuerſt erjchienen jeine Commentarios de lo sucedido en
las guerras de los Paises Bajos desde el ao 1557 hasta 1577
(Madrid 1592), welche überall den Elaren, wohlgejchulten Kriegsmann
erfennen laſſen, und dann trat er mit jener Theörica yPrätica
de guerra hervor, die er dem Prinzen von Aſturien, jpäterem
Könige Philipp IIL., widmete. (Madrid 1595.)
Das Bud) ift glatt fort gejchrieben ohne Unterabteilungen. Die gute Dis-
pojition ijt im großen und ganzen innegebalten ; doc wird hie und da etwas nad:
geholt, was der Berfafier vergefien hatte oder noch näher zu erläutern wünſchte.
Die deutjche Überjegung gliedert den gejamten Stoff in 2 Bücher: Land» umd
Seekrieg; bejjer wäre eine Dreigliederung gewejen; denn die eriten 28 Kapitel
deö I. Buches enthalten allgemeine Betradhtungen über das Wejen des Kri«
ges überhaupt und über Angriff und Werteidigung inSbejondere, wobei vom
politifchsjtrategijhen Gefichtspunfte ausgegangen wird. Auch den Defenjintrieg
empfiehlt Mendoca, wenn immer möglid, angriffsweiſe zu führen. — Die Kapitel
29—35 der deutihen Ausgabe bejprehen Aufbringung und Einrichtung
des Heeres, einfchließlich der Verordnungen über die Disziplin (los vandos).
— Kap. 36—40 handeln von der Zagerordnung, wozu Nap. 52 und 57 nodı
Nachträge bringen. Sorgfältig iit das Wefen des Wachtdienſtes beleuchtet, aut
den der Verfaſſer auch jpäter (Nap. 68— 77) nod) einmal ausführlich zurüdtommt.
— Nachdem dann (41) die Mujterungen bejproden find, geht der Autor zur
Gefechtstaktik über, wobei er das formale Element jedoh nur jtreift. Die
Zujammenwirfung der Waffen wird mit der der Teile eines menſchlichen Körper!
4.. Die allgemeine Literatur bis zur Schladht vor Nieuport 1600. 569
verglihen: „Die Arquebufierer vergleichen fi) den Händen und Füßen; die Ca-
valleria Legiera ijt wie die Arm und die Beine; die Coraſſen feynd die Hüffte;
die Squadronen dei Fußvolcks jeynd die Brüft; der Fürſt oder General ijt das
Haupt; der Troß vnd Bagage ijt der Bauch.“ In Bezug auf die Bewaffnung
iſt Mendoca ein Anhänger de Alten; „Ob man jchon vor alten zeiten die Ca-
valleria wegen jhres vngeſtüm vnd Gewalt im Krieg vnn Streit für bejier hat
gehalten als die Infanterie, jo ift man doch hernach durch die Erfahrung ge—
wigiget worden und jo viel gelernet, daß man jich mehr auf die Squadronen der
Sufanteria hat lernen verlajjen vnd jonderlid auff die Piquen, welde
billih den Borzug haben für allen andern Waffen. Bei der Ca-
valleria aber wird die Lanze billid) für die bejte Wehr geachtet, wiewohl jhr
jeyd wenigen Jahren hero etliche, jo ji auch gute Soldaten dünden zu ſeyn, die
Piſtolen vnterjtehen als nüßlicyer vorzuziehen.“ — Es zeigt den gewiegten Ka—
vallerijten, wenn Mendoça bei jeiner Darjtellung der Marſchtaktik (Kap.
50-67) großen Nahdrud auf die Nefognoszierung des Geländes legt. Übrigens
verlangt er aud), daß man gut ausgerüftet jei mit descripciones y cartas,
obgleich diefe gewöhnlich viel zu wünſchen übrig liefen. Die Kap. 78—94 be—
ihäftigen fi mit der Belagerung eines feiten Platzes, und auch auf diejem
Gebiete beweijt der Autor ſich als völlig ſachtundig. Kap. 96 handelt von den
in der damaligen Kriegführung jo beliebten liberfällen (encamisadas). Dann
wendet Mendoca ji wieder der Schlachtentaktik zu (Kap. 97—104), wobei
er das Eingehen in gar zu viele Einzelheiten vermeidet: „wie man dann in einem
Schadhfpiel jiehet; man fange fo ofit an als man wölle, jo geräht nimmer eins
wie das ander, vnd weiß auch der allerbeite vnd geübejte Spieler nit, wie fic) die
Schläge werden begeben.“ Hauptſache bei der Wahl der Artilleriejtellung
jei nicht die Sicherung des Geſchützes, jondern gute Gelegenheit zur Wirkung.
Die großen Schützenflügel, die man den Pileniv-Esquadronen in Stärfe bis
zu 300 Mann anzuhängen pflege, löſe man beſſer in Hleinere Abteilungen auf,
die jedoch derart anzuordnen jeien, daß fie ſchnell zuſammenſtoßen könnten; eine
jolhe Anordnung erleihtere auch den Pulvererfaß aus den rüdwärts jtehenden
Tonnen, weil dann die feinen Abteilungen gejchlojien zurüdgeführt werden
fönnten, um Pulver zu fajjen, während andernfalls leiht Wirrwarr entjtände und
Gefahr von Erplofionen fei. — Die großen Haufen jolle man durd) das Terrain
möglichjt gegen das feindliche Geſchützfeuer deden; denn „obſchon der wenigite
Schaden in einer Schlacht mit dem Geſchütz geichiehet, jo macht e8 doc), ſonder—
ih bei der Caualleria einen großen Schreden.“ Beim Shladtbeginne gehe
man behutjam vor, „jchleiche gleihjam mit einem bleyernen Fuß, um des Feindes
Intent zu erfennen.“ Überlegenen Feinden gegenüber mache man Gebraud) von
der Wagenburg. Aufmerkſam achte man darauf, bei weldhen Haufen ſich etiwa
Unficherheit zeige: Zittern der Piken, unordentlihe Bewegung der Fahnen; da
ſorge man gleid für Berjtärtung! Wiche der Gegner, jo hüte man ſich vor wilder
Verfolgung. — Die Kap. 105—120 geben Borjchriften für das Verhalten in
einer belagerten Feſtung. — Dann folgen in 8 Kapiteln nod allerlei
Einzelheiten über Winterläger, Grenzitreifereien, Überfälle und Hinterhalte (em-
570 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine triegswiflenichaftlihe Werte.
boscadas), jowie über Escaladen und über den Gebraud) der PBetarden. — Das |
I. Bud, endlich jchildert in 18 Kapiteln den Seekrieg.
Mendocas Werf gibt einen vollfommenen Begriff des ſpaniſchen
Kriegswejens auf dem Höhepunkte jeiner Entwidelung, und wenn er
e3 auch verichmäht, Betiptele zu bringen, jo werden dem Gejchichts-
fundigen bei den Lehrmeinungen des erfahrenen Führers oft unmill-
fürlich große Bilder aus dem niederländijchen Kriege emporfteigen.
Neue Auflagen von Mendogas Werk erichienen zu Antwerpen 1596 um)
1617. — Überjegungen wurden veranjtaltet in das Italieniſche (Wenedia
1596 und 1616), in’3 Franzöſiſche (Brüfjel 1598) und in's Deutjche (Frankfurt a. W.
1617, 1619 und 1625)").
8 38.
In hartem Ringen mit Spanien begründete und bewahrte der
niederländtiche Freijtat unter der Führung des Haujes NaffausOranien
jene Unabhängigkeit. Während aber das joldatiiche Wejen der
Spanier jeinen Spiegel in friegswifjenjchaftlicher Literatur gefumden
hat, iſt das auf niederländiicher Seite nicht der Fall geweien. —
Es iſt immer noch nicht genug erfannt und anerkannt, daß bei aller
finanziellen, maritimen und bürgerlichen Leiſtungsfähigkeit — bürgerlid)
hier auch in dem Sinne von jtädtiicher Waffenfraft genommen —
die Niederländer doch nimmermehr im jtande gewejen wären, der
Ipanischen Macht ſiegreich Widerjtand zu leijten ohne die im inneren
Deutjchland geworbenen Feldheere und ohne die hingebende Führung
durch die Hochbegabten nafjauischen Fürjten. Die Söhne des armen
Weſterwaldes haben nicht geringen Anteil an dem langwierigen Kampf,
in welchem die „Nederduitjchen“ jich behaupteten. — Die verhältnis
mäßig jchwächere Begabung der Holländer, Seeländer und Frieſen
für den Landfrieg jpricht fic) aber auch darin aus, daß jie ihn im
Zeitalter ihrer höchiten Erfolge niemal® von der wiljenichaftlichen
Seite betrachtet haben. Die einzige rein militärische Würdigung der
Maßregeln des glorreichiten Feldherrn der Niederländer, Morizens
von Oranien, verdanft man einem Vetter diejes zürjten, dem Grafen
Johann von Hafjau. Da die höchſte Wirkfamfeit diejes ausgezeichneten
Mannes erit in das erjte Viertel des 17. Ihdts. fällt, jo joll auch
ı) Die erfte fpanifche Ausgabe und die Verbeutihung dv. 1617 in der Kegl. Bibl. zu Berl
(H. v. 18750, bagl. 18882). Diejelbe Verdeutſchung auch in der Bibliothel der Kriegsalademie, die vom
1619 und 1625 in der Danziger Stabtbibl. („Kunft und Gewerbe” qu. 43 und 80).
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 571
ipäter erjt näher auf jeine PVerjünlichfeit eingegangen werden; hier
it zumächit der Beobachtungen zu gedenken, welche der junge Herr
zu der Zeit, da er fich die Sporen verdiente, im Sriegslager feines
großen Verwandten und Feldherrn aufgezeichnet hat. Dieje Original-
notizen des Grafen Johann über die Kriegführung des Prinzen Moritz
v. Oranien find eigentlich das einzige, was von gleichzeitigen Kennern
auf deutjcheniederländiicher Seite niedergejchrieben worden ijt: in diejer
jonjt jo öden Zeit der deutjchen Kriegswiſſenſchaft ein wahrer Lichtblicd.
Es gibt zwei Abjchriften davon, beide in Konvoluten des alten Dillen-
burger Archivs, das jetzt zu Wiesbaden aufbewahrt wird.
Die eine Niederjchrift befindet jich in dem „Originalhanderemplar“
des Örafen (K. 971), das den Titel führt: „Observationes, welche
mein gnediger Herr Graff Johan, der Jünger, annotiret
hatt, als derjelbe ettlich vnderjchiedlich mahll in den Nieder:
landen gewejen vnd graff Mori von wegen der Herren Stathen
etliche Stete vnd feitung belagert wie auch eingenohmen, wober vnſer
genediger Herr jelbiten in Perſohn gewejen vnd uff alles, jo notirens
werth geweſen, vleigig achtung geben. Dieſe observationes nunmehr
unter gewijje titull gebracht, welches im Novbr. Anno 97 geſchah.“ —
Die zweite, weiter ausgearbeitete, mit vielen Marginalbemerfungen
Johanns verjehene Abjchrift findet ſich z. T. im III. tomus des
jog. „Kriegsbuches“ (K. 924), von dem gelegentlich der Kriegswiljenichaft
des XVII. Ihdts. noch geiprochen werden wird.
Die Objervationes find teils taftiichen, teils fortififatoriich-poliorfetischen
Inhalts. Sie beginnen mit einer Betrachtung der Zugordnung. — Graf
Morig gibt der Avantgarde ftet3 einen bedeutenden Teil der Reiterei bei. Dem
„Mittelzuge“ folgen alle Wagen und der „Droß“ (Troß). Dann jchlieht die eben-
falls aus beiden Waffen zufammengejette Arrieregarde. Ihr aber folgt noch eine
aus erlejenen Reitern und Knechten zufammengejtellte Rejerve, die für den äußerten
Notfall zur Verfügung des Feldherrn bleibt. Wer heut im Vorzug ift, kommt
morgen in’3 Mittel und übermorgen in den Nachzug. Dem Borzug ift ein
Schanzmeijter mit Schanzbauern beizugeben, um die Wege zu bejfern, wo e8 not
tut. — Unter den Wagen fahren zuerjt die mit Munition, dann die mit Proviant
und dem Gepäd des Feldherrn und endlich die mit dem Gepäd der anderen
Führer und Truppen u. zw. genau in der Reihenfolge wie die Truppen jelbit
marjchieren. Während für gewöhnlid die Schügpen den Doppeljöldnern (Piten)
zur Hälfte vorausziehen, fann das bei Negenwetter auch geändert werden, damit,
wenn unverſehens ein Angriff käme, die Echügen Zeit behalten, ihre naß gewor-
denen Rohre in Stand zu jegen. In der Nühe des Feindes iſt der Weg für
den folgenden Tag durch einen vorausgejandten fundigen Offizier zu befichtigen.
572 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Diejenigen Ibjervationes, welde fih auf die formale Taktik des
Fußvolks und der Reiterei beziehen, werden unter „Truppenkunde“ beiprocden
werden. [$ 90.)
Scharmüsgel find nur zuzulajien, wenn an der Spige unjerer Truppen
ein guter erfahrener Befehlshaber jteht und aud) dann nur mit Erlaubnis des
Feldherrn. Denn leicht Haben jolche fleine Gefechte Unordnung und Menjchen:
verluft ohne greifbaren Borteil zur Folge. Niemals aber darf man fich Flucht:
weife aus Scharmügeln ziehen, jondern, falls man weichen muß, hat es in jtrengiter
Ordnung zu geihehen. Das iſt um jo wichtiger, als ſich nicht jelten aus derartigen
Nencontres eine Schladht entwidelt.
Für die Schlacht gilt der Grundſatz, daß der jtillitehende Verteidiger im
Borteil ift, weil der vorrüdende Angreifer die Ordnung ſchwerer aufrecht zu er-
halten vermag. Ferner find viele fleinere Abteilungen vorteilhafter als
wenig große; denn bei jenen fommen mehr Leute zum Waffengebraucde, und
Unheil, Verwirrung und Mutlofigkeit pflanzen ſich nicht jo leicht fort. Auch ver-
mögen Hleinere jelbjtändige Abteilungen ji unter einander wirffamer beizujtehen
als Teile ein und desjelben großen Gewalthaufens. Des erhöhten Waffengebrauces
wegen find breite Shlahtordnungen den tiefen vorzuziehen.
Es ijt zwedmäßig, das Feuer der Schützen vorzugsweije auf die feind-
lihen Pikeniere zu richten, denn dieſe find der Halt der Schladhtordnung ; weichen
jie, jo pflegt der Feind überhaupt geworfen zu jein; die Schüßen, welche ladens—
halber ja nad) jedem Schuß zurüdgehen, haben dadurd ſchon Neigung zum
Weichen. Eine bedeutendere Schwenkung im Gefecht vorzunehmen, ijt jehr
gefährlich; es ijt eine halbe Flucht und gibt dem Gegner Gelegenheit zum Flanken—
angriff. — Ein Hauptmittel des Sieges it gute Kenntnis der Gefecht—
formationen in allen Teilen des Heeres; darin vorzüglich Tiegt die Stärke
der oranijhen Streitmadht. Während andere Feldherrn halbe, ja ganze Tage
brauchen, um ihre Armada in Schladhtordnung zu bringen, ordnen ſich die wol:
geübten Truppen des Prinzen Moriz auf den erjten Wink. — Ein gutes Mittel
zur Sicherung des Fußvolks gegen überlegene Kavallerie find die jog. „frieſi—
ihen Reiter“. Heere, die ihrem Gegner überhaupt an Stärke nidht gewachſen
jind, machen von VBerjhanzungen mit Vorteil Gebraud; aber auch zu
deren ſchneller Herrichtung bedarf es forgfältiger Übung von langer Hand. —
Ein anderes Mittel für jolche ſchwächeren Streitkräfte iit dad Hinausſchieben
gefährlider Entjiheidung durd hinhaltende Kriegführung, die mit dem
Einnehmen verfhanzter Stellungen Hand in Hand geht. Darin leitete Alba
Ausgezeichnetes.
Bon großem Wert ijt ferner ein gut ausgebildetes Nachrichtenweſen,
wobei die Neiterei durd) Überfälle und das Einbringen von Gefangenen viel
nugen fann. Der echte Feldherr offenbart jih aber dadurd, „dah
er fein Verhalten nidht dahin jtellt, daß er jich jederzeit nad
des Feindes Gelegenheit dirigiren und ridten will, jondern
dem Feinde joldhes zu tun Urjah gibt“. — Das iit der große Gedante
der Initiative!
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 573
An dieje allgemeinen Betrachtungen reiht Graf Johann dann eine Menge
Einzelheiten, auf die hier nur andeutungäweije eingegangen werden kann:
j. B. Stratagemata, um die mit Spießen bewaffneten Doppelföldner zu trennen,
zu welchem Zwede in den Niederlanden Leute mit Bijtolen hinter großen Schilden
gegen die Pilen vorgingen. Die Doppeljöldner bewaffnet man am beiten derart,
daß man den Gliedern Spieße von verjchiedener Länge gibt: dem 1. 3. B. 12
lange, dem 2. 14° fange u. j. w. big 18, ja bis 20 Fuß. — Dann handelt Johann
„von Entreprijen oder anſchleg“, vom Lagerichlagen. i
Der Reft der Objervationes bejteht in einer ausführliden und bedeutjamen
Abhandlung über Feſtungskrieg und Feſtungsbau, auf welde im legten
Kapitel dieſes Buches eingegangen werden joll 8 128].
Man wird wohl faum irren, wenn man in Graf Johanns An
notationen nicht lediglich Ergebnifje jeiner perjönlichen Beobachtungen
erfennt, jondern auch den Widerhall der Anjchauungen des oraniſchen
Hauptquartierd, ja zuweilen wohl Äußerungen des Prinzen Moriz
jelbjt. — Bei Gelegenheit der Betrachtung der formalen Taktik
des Oraniers wird jich ergeben, welche außerordentlichen Fortjchritte
diejelbe gegenüber allen andern zeitgenöfjtichen Leiſtungen auf dem:
jelben Gebiete darjtellt. Denn während die Gegner der Niederländer,
die Spanier, ſich mit dem unlösbaren Probleme abquälten, die immer
wachjende Zahl der Schügen mit den Bifenieren in ein und denjelben
großen Sclachthaufen zu verjchmelzen, und dabei die Fünjtlichjten
und jchiwierigiten Formationen nicht verjchmähten, löſt Moriz die
Aufgabe, welche er jich gejtellt: jeder Waffe die möglichjt freie und
vollfommene Wirkung zu jichern, in ebenjo einfacher als natürlicher
Weiſe, indem er die Majje gliedert, Heine Abteilungen beider Waffen
nebeneinander ordnet, jede ein Glied des ganzen, aber doch auch jede
wieder in jich jelbjtändig und daher bei gemeinjamem Oberbefehl jede
unter bejonderem Unterbefehlshaber. Und wie jo die Teile des ein-
zelnen Regiments, die „Troups“, individualijiert jind und beweglich zu-
ſammenwirken, jo auch die Negimenter in dem reich gegliederten Orga-
nismus der in mehrere Treffen jchachbrettartig aufgeitellten Geſamt—
ichlachtordnung, welche der Manipular: oder Kohorten-Stellung des
römtjchen Heeres nachgebildet iſt. — Kehrt Oranien durch die flachere
Anordnung jeiner Truppen und die einfache Zujammenjtellung von
Schügen und Spiegern im Grunde genommen nur zu den natürlichen
‚Formen der Vergangenheit zurüd, wie jie noc) in den zwanziger Jahren
vom „Zrewen Rat“ empfohlen wurden, jo führt er dagegen durch die
gejchachte Treffenordnung zu einer völlig neuen taftijchen Ara hinüber.
574 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine friegswifienihaftliche Werte.
Aber noch nach einer anderen Seite hin tjt die kriegswiſſenſchaft—
ihe Tätigkeit Sohanns von Naſſau jchon im 16. Ihdt. von her—
vorragender Wichtigkeit gewejen, nämlich) in organijatorijcher
Beziehung; denn er wurde der beredtejte Anwalt der im legten
Viertel des Ihdts. neu belebten Bejtrebungen der deutichen Fürſten,
das Söldnerweſen, wenigitens für Verteidigungsfriege, durch die Be
waffnung der Landeseingeborenen jelbjt zu erjegen. — Am wichtigjten
ijt im diejer Hinfiht: „Sraff Johanns deß Jüngeren von
Najjau Discurs, wie Die Vnterthanen zue Kriegsſachenn
vnnd nothwendigen Defenjion ihrer jelbjt anzuführen
vnd willig zu machen.“ Die Arbeit fällt in die neunziger Jahre.
Von diefem Diskurs bejtehen 3 Eremplare: das eine, eine Reinjchrift, be-
findet jich in der SHerzogl. Bibliothet zu Wolfenbüttel in einem Sammelcoder
(August. num. 38. Fol. c.); da& andere, eine Urjchrift, gehört zu den Papieren
Johannes' im Alten Dillenbg. Archive zu Wiesbaden (K. 923), weit in einigen,
jedody nur unmwejentlihen Punkten ab, und bringt nod am Schluß zwei Kapitel,
die dem Wolfenbüttler Eremplare fehlen: 1) Das „Ärarium betreffend und wie mit
der Zeit Vorräte zu jchaffen (dazu ein anderer Vorſchlag angefangen i. 3. 1596).
2) Etlihe Nebenpunfte, jo die Beamten den Unterthanen zu Gemüth zu führen.“
Das 3. Eremplar ijt eine Abjchrift im Marburger Archive. .
Der Gedanfengang tit folgender: „Der Herr oder die Obrigkeit
muß anfenglich jämtlichen Untertanen zu Gemüt führen laſſen, was
für bejchwehrliche und gefährliche Kriegsläufte jegunder jeien, auch,
wegen unjerer Sünde, noch eine gute Weil verbleiben werden, und
ihnen vor Augen jtellen, wie viel da an einem ordentlichen Kriegs
wejen gelegen. Ein jolches muß entweder durch geworbenes fremdes
Kriegsvolf gejchaffen werden, das in jchwerer Bejoldung zu halten,
oder die Untertanen müſſen jelbit das bejte tuen, indem fie bei Zeiten
ernen „Auszug“ machen von jungen und beherzten Männern, welche
am beiten zu jolchem Handel qualifizirt und auskommen fünnen.“
Das Söldnerweſen hat große Nadteile: Die Werbetojten, der
Sold, die Beihaffung des Proviantes, die Schädigung des Landvolks durch Raub,
Plündern, Weiber und Kinderihänden, die Unmöglichkeit, in der Eile eine ge—
nügende Stärke aufzujtellen, das häufige Durchgehen mit dem Laufgelde, der
Mangel an Liebe zur Sadje, die Neigung zur Meuterei und Berräterei, wie jie
jih zu Bonn, Gertruidenburg, Brüffel u. a. ©. gezeigt bat, u. j.w. — Die
Untertanen haben Mannesherzen jo gut wie die Söldner, find immer zur
Hand, fehren, aud wenn fie (mas Gott verhüte) geichlagen wären, wieder in die
Heimat zurüd, während man geſchlagene Kriegsknechte nie wieder fteht. Unter:
tanen werden ihr Waterland nicht verwüſten und nicht verraten; zudem jind fie
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 575
weit anjpruch&lojer als Söldner und gewöhnt, gelegentlich auch einmal mit ſchmaler
Koſt vorlieb zu nehmen. Andere Staten fechten daher auch vorzugsweije mit
eigenem Volt. „Die Spanier, warn fie im Anfang aus Spanien geführt werden,
find fait eyttel Geyßhirtten; die Frantzoſen, jo der König in Franckreich braucht,
jind eytel frantzöſiſche Vnderthanen; die Engelländer, jo in Niederland gejchidt
werden, ſeind der Königin ihr Vnderthanen und Bauers; die Schweißer, jo in
Franckreich hin vnd wieder gebraudt werden, jeind eyttel Bauern vnd Khuemelcher
wann jie zu Haus jeind, der Turkh, der jo viel außricht, braucht durchaus jeine
Vnderthanen. Bnd alle dieje Volfher laſſen fich gebrauchen vmb ihren Sold weit
binweg in frömbde Land zu jchidhen ... .“Y) Dagegen aber was die Bnderthanen
bierinnen thun, das thun fie ihnen felbjten, ihren Weib und Kind und ihrer na=
türliden Obrigkeit, da fie im Land uf ihren Miſten bleiben oder doch nur im
Nothfall in der Nähe gebraudt werden, fintemalen jederzeit befjer ijt, jeines
Nachbarn Haus helffen löjchen, dann jo lang warten, bis es aud) an das jeine
tompt.“ Da jteht nun alles an richtiger Ausrüftung und Übung, und da
ijt von langer Hand her vorzubereiten, nicht erſt wenn die höchſte Not drängt;
„denn wann der Schadt gejchehen und die Kühe aus dem Stall find, iſt es zu
ſpät.“ Sonjt geht es jo, wie es den im legten Augenblide zujammengerafiten
Untertanen in Gotha und Werlen gejhah, die jämmerlich auf die Fleiſchbank
geführt wurden, während die geübten Bürger von Altmar (1573) ſich ohne irgend
welche Hilfe von Söldnern treiflidh gegen den Duc de Alba gewehrt, der vor
diefem Ort über 20,000 Mann verlor. Und ebenjo war es zu Neu, Hertzog im
Buſch, Grüningen u. a. Orten.
Der in den Städten, Fleden und Dörfern zu bildende Auszug muß mit
Anhörung der Nachbarn aus geeigneten und möglichſt abfümmlichen Leuten ge-
bildet werden. Freiwillige gehen natürlich allen anderen vorauf. Pie Obrigkeit
muß liberal und freundlich verfahren und den Leuten, zumal im Anfang, wohl
etwas zum beiten und zum vertrinfen geben. Wanderfchaft und Kaufmannjcaft
auch in der Fremde, darf denen, die zum Auszug gehören, nicht gehindert werden,
damit feines Broderwerb leide. An Stelle derer, die fterben oder „ablibig“
werden, jind jährlid junge Schügen einzureihen. Willige Yeute find zu begün-
jtigen durch Nachlaß von Holzgeld, Maftgeld u. dgl., dod) immer als Gratififation
für ihre Teilnahme am Dienst, nicht als jtändiges Recht. — Eine jolhe Einrich—
tung wird jih von Geſchlecht zu Gejchlecht fejter einbürgern, wird zur Hebung
der Jugenderziehung beitragen, wird das Schützenweſen beleben und die jungen
Menſchen geſchickter machen.
Wert iſt auf geeignete und ſtattliche Kleidung zu legen; ſie hebt den Mut
und fördert den Reſpekt; Soldatenrock und Soldatenhut koſten nicht viel mehr
als bäueriſch und jchäferiich Kleid und Hut, und wenn man diejelben jchont und
nicht bei der Feldarbeit trägt, jo dauern fie Jahre lang. Wämſer beftehen am
beiten aus Leder, Hojen aus farbigem Wollentudh, Strümpfe aus Stridwolle ;
ferner braucht der Mann eine „Caſiackh“, die nicht nur ihn jelbit, jondern auch
1) Daß galt auch von dem deutſchen Soldfnechten, wie denn überhaupt dieſe Darlegung Jobanns
ſehr anfechtbar ift.
576 Das XVl. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
jein Gewehr dedt. Die Schneider müfjen bei hoher Strafe nad) gegebenem Muſter
arbeiten; dad Material liefert die Obrigkeit am bejten jelbit. Die „Fähnlein“
find durd die Farben der Hojen und Strümpfe zu unterjcheiden. Das für die
Kleidung nötige Geld vermögen die Leute leiht am übermäßigen Trinfen und
Hochzeiten zu erjparen.
Die Bewaffnung muß die Obrigfeit jelbjt beſchaffen und jie den Unter—
tanen zu billigem Preije anjchlagen, aud) auf Wunſch umtauſchen und böje durd
gute erjegen. Rohr und Muslketen jollen meijt Yuntenjchlojje haben; denn dieje
find billiger und leichter zu reinigen als Feuerſchloſſe, auch leichter zu handhaben.
Die Rohre bleiben jtet3 in Händen der Leute, damit fie damit umzugehen lernen.
Zu jedem Rohr gehören 10 Ladmaße, die am Bandelier hangen und 1 Pulver:
Hajche jowie „Parchefläſchen“ und Kugeln, Überzug und Holftern über das Rohr.
„Musketier“ müfjen zuvor mindejtens ein Jahr lang mit gemeinem Rohr be:
waffnet gewejen fein. Daneben führen alle Schügen Seitengewehre: „Khardelafien“
oder Nappiere, und einen guten langen breiten weljchen Dolch.
Die „Helleparthier” tragen außer ihrer Hauptwaffe Sturmhauben und
Rüjtungen, die im Zeughauje aufzubewahren find. Die Doppeljöldner desgleichen.
Bon „Schlachtſchwertern“ bedarf man nicht viel; fie find im Vorrat zu behalten;
denn nur wenige verjtehen damit umzugehen; es gehören beherzte mwohlgeübte
Leute dazu, jonjt hindern fie mehr als jie nutzen.
Jährlich müfjen die Untertanen wenigjtens zweimal geübt und gemuijtert
werden im Waffengebraud und joldatiihem Stehn und Geberden, in Wachtdienit,
Scharmügel und Schlahtordnung.*!) Jeder Befehlähaber und Kapitän hat jeine
Leute jelbjt zu üben, was freilid unter den teutjchen Kapitänen wenig gebräud:
(id) ijt, da fie es meijt jelbjt nicht verjtehen.?) Ohne jolche Übung aber bejtebt
man, wenn es zum Handel fommt, wie Butter an der Sonnen; wo aber Ge
ihidlichfeit mit Tapferkeit geht, da wird man unüberwindlid. — Die Schügen
müfjen namentlich lernen, au in der Bewegung zu jchießen u. zw. jo, daß ein
ununterbrochenes Feuer unterhalten wird. Beim Scharmügel (zerjtreutes Feuer:
gefecht) gehen die Leute vorwärts oder rüdwärts jchlangenmweis aneinander vorbei.
Dabei muß gegeneinander manöbriert werden, damit man lernt, dem
Gegner den Schub abzugemwinnen und ihm dann, wenn er nicht geladen hat, mit
dem Geitengewehr auf den Leib zu rüden. Alle Sonntag nahmittags wird nad
der Scheibe gejchofjen?), und im Herbjt erfolgt ein Generalſchießen, zu dem die
Leute der benachbarten Ämter vereinigt werden. — Die Doppeljöldner, an
denen am meijten gelegen, müfjen, wenn glei ohne Rüjtung, gründlich geitbt
1) Näheres vgl. in dem „Kurzen Dißcursd, wie bie Untertanen 3. 5. und 3. Bfb.
zur Golbdaterei willig zu machen und auf was manier man biefelben unterwei en
müjje* — ſowie „Berzeihnus und Beriht, mwejjen fih diejenigen zu verhalten
welde die Untertanen zu unterweijen und anzuführen haben.” (Altes Dillenburger
Ardiv. K. 925.) 9 Inftruction, weſſen fih ein junger angebender Gapitän zu ver—
balten hat. (Ebba.)
>), Bericht, wie Shüßen und Musketierer zur Scheibe ſchießen follen. (Altes
Dillenburger Ardiv. K. 925.)
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlacht vor Nieuport 1600. 577
werden in Handhabung ‚des Spießes, in Schild- und Scharwaht (Poſtenſtehen
und Patrouillengöhen) und zu Ende des Sommers in Anjtellung der Schlacht—
ordnung. Sie müfjen recht auf Frömmigkeit und Ehre halten und verzagte Ge—
jellen anzeigen, damit fie ausgejtoßen werden.
Zur Reiterei (Carapiner) nimmt man meijt Schultheißen und Beamte,
fürftlihe Jäger und Andere, die ſich beritten machen fünnen. Auch fie ijt jähr-
lid) zu muſtern und zu üben. Ihr Wert bejteht darin, gute Kundſchaft beforgen
und fchnell wichtige Punkte, befonders Bälle, bejegen zu fünnen. Im Nothfall
muß jeder Reiter einen Soldaten hinter ſich aufs Pferd nehmen.!)
Jeder Fürjt joll fein Hofgeſind wehrhaft halten, daß es ihm zu einer fteten
Garde diene.
Bei Kriegsgejchrei wird der Auszug aufgemahnt und 3. T.
an der Grenze zujammengezogen, auch wenn die Gefahr noch nicht
gar fo dringend, um der Übung willen. Zu gleichem Zweck ift
auch den Nachbarn Hilfe zu leiten. Gemeine Leute in Die
Fremde wie Frankreich, Niederland, Ungarn, zu jenden, ijt nicht
ratſam; fie fommen jelten wieder heim. Mit Befehlshabern iſt
e3 etwas anderes; die fünnen da lernen.?) „Ein gemeiner Soldat
joll jein wie, ein freudiger junger Rüdt auf der Schweinhaß, der
da freudig angrifft warn man hetet, Und acht uff den Ausgang:
ſind etliche Rüden offt bei dem Handell geweſen, die greiffen nicht
ſo freidig zu wie junge, die noch nicht davon wiſſen; doch daß jie
zunor ettlich mal am Friſchling und Fleinen Säuen, die ihnen nichts
baben thun fönnen, find gehett geweſen.“ So muß man auch
Soldaten erziehen.
Alle fünf oder jechs Jahre muß man den ganzen Auszug ver-
einigen und den Leuten bei der Gelegenheit wieder den vollen Wert
der Eimrichtung auseinanderjegen und jie, falls jie ſich gut halten,
iehr loben und rühmen. — Der Articulsbrief wird verlejen, und jo
werden aus Bauern Soldaten gemacht. (Hier teilt das Dillenburger
Eremplar den Artifelbrief Johanns des Älteren mit,
d. d. 1594.)
1) Bol. „Wie die Earapiner zu mujftern“. (Altes Dillenburger Archiv K. 923.) Ale
Reiterausrüſtung“ zählt Graf Johann hier auf: Bibel, Pjalmen, Ealendarium, Landtaffeln und
Garten, Schreibzeug (Papier, Pergament, Federn von Mefjing und Silber, Federn von jpan. Blei,
Nötelftein), Arzeneibuch, Apothele, blechernes Geſchirr, lederner Eimer, Matrage, Leber jo man auf:
biaien kann, Leinzeug, Zelt, Sattelgeug und Hufeifen, Handwerkszeug, Feuerfteine, Leuchter, Rüftung
Wehr, Kleidung, Pulver, Schwämme u. j. w. (Wohl für den eigenen Zug.)
2) Bol. „Urfadh bes Fortziehns” (Altes Dillenburger Archiv. K. 923).
Jähns, Geichichte der Kriegswiſſenſchaften. 37
578 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Auch die daheim bleibenden Unterthanen müſſen für den Aus
zug tätig werden. Sie haben die Einquartierung aufzunehmen um
das Geld aufzubringen, welches den zur Mufterung zujammengezogenen
Leuten gezahlt wird (1 oder 2 Gulden „zu drinndhen“). Jedes Amt
jtellt jeinem Auszug einen Heerwagen mit Kuticher, 4 Pferden,
2 Kaſten und einer Dede in den Farben des Fähnleins. Jedes Amt
ichafft das Geld für Pulver und Lunten und läht (falls es
nötig) die Feldarbeit für die Ausgezogenen tun. — Item: der Aus
zug darf die Dahermbleibenden, dieje dürfen den Auszug nicht zu
beneiden haben).
8 39.
Nächſt Deutjchland it Italien dasjenige Land, welches im
16. Shot. den meiſten Anteil an der Entwidelung der Kriegswiſſenſchaft
bat. Auf dem Gebiete der generellen Schriften tritt das freilich
(abgejehen von Machiavellis klaſſiſchem Werke) minder hervor als auf
dem der eigentlichen Technik; doch find auch unter den Werfen allge
meineren Inhalts noch einige hervorzuheben. Aus der eriten Hälfte
des Jahrhunderts ericheinen bemerfenswert des Parmejen Garimbert:
fünf Bücher »Il capitano generale« (2. Aufl. Venedig 1556), di:
von den Eigenjchaften des Feldherrn und der Slrieger, von der
Strategie, dem Belagerungsfriege und von der Schlacht reden.
Einem Teile diejes Werkes inhaltlic) nahe verwandt ijt ein Mamı-
jfript des Vatikans (lat. 5351): Dell’ ottimo Gouerne del Re
et capitano delle esercito, lebendige Auseinanderjegungen politischen
und militärischen Inhalts. Endlich gehört hieher die Deserittione
dell’ arte militare eines ungenannten Kriegsmanns, Deren
Handjchrift die kgl. Bibliothek zu Berlin bewahrt (ms. ital. fol.
no. 1), welche mit bedeutendem Verſtändnis das ganze Gebiet
des SHeerwejens und der Kriegskunſt abhandelt und von welde
ih in Italien jelbit feine Spur wiedergefunden habe. Gegen
Machiavellis Vorjtellungen von der römischen Taktik polemiſiert der
Verfaſſer.
Der umfangreiche leider undatierte Foliant iſt ganz ausgezeichnet jchör
illujtriert und behandelt vorzugsweije den Dienjt des Fußvolks. Dabei fällt au’
1) Dillenburger Archiv K. 925.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 579
daß nirgends von Schügen die Rede ift, wohl aber die Pileniere außer mit Schwert
und Spieß auch mit einem kurzen Handfeuerrohr, dem Fäuſtling, bewaffnet jind. —
Die merfwürdige Handjchrift verdiente einmal eine genaue Durcdarbeitung.
Das Durchſchnittswiſſen vom Anfange der zweiten Hälfte des
Sahrhunderts faſſen des Gentorio degli rtenzi Discorsi di guerra
in einque libri (Venedig 1559) recht kurz und gut zujammen. Viel
weitichweifiger und antiken Überlieferungen allzubreiten Raum ge
während jchrieb Bernardino Rocca jowohl die Impresi stratagemini
et errori militari (Ben. 1566) al$ Del governo della militia (1570).
Ganz der Praxis zugewendet jind Dagegen des Franc. Ferretti Dell’
osservanza militare libri (Venedig 1568), auf welche noch näher
einzugehen jein wird. [$ 86]. — Zwei Werfe tüchtiger Kriegsmänner
liegen nur handjchriftlich) vor: der Discorso della militia eines
fatjerl. Truppenführers von 1572 in der ambrofian. Bibl. zu Mai-
land und des vielerfahrenen Neapolitaners Giul. Ceſ. Brancaccio
Discorso sulla guerra in der Bibl. zu Siena. Tätiger Soldat war
auch der Verf. einer 1572 zu Venedig erjchienenen, wejentlich auf
Vegez’ Epitoma beruhenden Disciplina militare: Alfonfo Adriano,
der jpäter gegen die Türfen fiel. — Die Reihe der italienischen
Schriftjteller des neunten Jahrzehnts eröffnet Divmede Carafa, Graf
von Maddaloni, mit jeinem vielgelejenen Buche Gli ammaestramenti
militari (Florenz 1581). Das gutgejchriebene, ganz furzgefaßte und
überaus jeltene Schriftchen des venetianischen Generald Francesco
Maria della Rovere, Herzogs von Urbino, Discorsi militari
(Ferrara 1582) hat Newmayr von Ramsla unter der Überjchrift
„Bon allerhandt Kriegsvorteilen“ verdeutjcht und mit des Fra Lelio
Brancaccio Bud, Della vera disciplina et arte militare [$ 2]
als „Zween Kriegsdiscurs“ herausgegeben (Frankf. a. M. 1620).
Diefer Brancaccio jchrieb auch ein Ämterbuch: I carichi militari o
fucina di Marte, das jedoch erjt anfangs des 17. Ihdts. erjchien.
(Antwerpen 1610.) — Bon militärpolitiichem Interefje it des Nea—
politanerd Girolamo Frachetta: Seminario de governo di stato
et di guerra (Venedig 1597), das in emigen Ausgaben den Titel
»Il prencipe« führt. Eine Verdeutjchung dieſes Werfes, Die ich
jedoch nicht fenne, joll i. 3. 1681 zu Erfurt erjchienen jein.
Das Werk, welches endlich die italtenijche Literatur des 16. Ihdts.
abjchließt, it zugleich eine der bedeutenditen ihrer Leitungen: des
37*
580 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Mario Savorgnano, Grafen von Belgrado: Arte militare
terrestre e maritima; seconda la ragione et uso de’ piu’
valorosi capitani antichi e moderni. (Benedig 1599.)
Der Autor, der in venetianischen Dieniten ſtand und als Lehns-
mann der Republif einige Schlöjjer derjelben auf der Terra ferma
bejaß, hat diefe Schrift jeinen jungen Vettern gewidmet, um jie ın
der Kriegskunſt zu unterrichten. Sie zerfällt in 4 Bücher. Das erite
handelt von den Kriegsämtern und den beiden Hauptwaffen: Fußvolk
und Reiterei, u. zw. in Bezug auf taktische Gliederung wie auf Ver:
waltung und Rechtspflege. Im zweiten Buche jpricht Savorgnano
von Marjch und Lager, wobet auch des Aus und Einjchiffens großer
Truppenförper gedacht wird. Das dritte Buch ijt der Betrachtung
der Feldſchlachten, das vierte der Befejtigungsfunjt gewidmet. — Dies
Werk zeichnet ſich durch einen weiten GefichtsfreisS aus; neben den,
der Zeitſitte nach, reichlich vertretenen Beijpielen aus der antiken
Kriegsgejchichte ift doch auch die neuere entjprechend berücjichtigt und
durch Holzichnittdarjtellungen illuftriert. Dahin gehören 3. B. die
bildlich erläuterten Bejprechungen der Schlacht von Bouvines (1214),
Audenarde (1381), Rivolta (1509), Bicocha (1522). Dieje Verwendung
moderner Ffriegsgejchichtlicher Beiſpiele zur theoretischen Applikation
it Sehr bemerkenswert. Ähnliches zeigt ſich allerdings bereits bei
Machiavelli; aber jo fonjequent und jo anjchaulich durch planartige
Zeihnungen unterjtügt, wie es hier von Savorgnano gejchieht,
war es noch nicht dagewejen. — Wichtiger aber iſt das Werf noch
nach einer anderen Richtung Hin geworden, nämlich durch jeine Sy—
jtematif. Die Gliederung des Stoffes der Kriegswiſſenſchaft, wie
Savorgnano jie eingeführt hat, iſt typiſch geworden und zeigt Die
methodische Betrachtungsweije des Jahrhunderts auf ihrer Höhe. Aus
diefem Grunde ift es notwendig, das Lehrgebäude diejer „Kriegskunſt“
etwas näher ins Auge zu faſſen.
Savorgnano zufolge bejteht die Kriegskunſt in zwei Hauptjtüden): in
der Zubereitung und in der Handlung. — I. Die Zubereitung betrifft das
Bolt, die Inſtrumente, die Viltualien und das Geld. Die Zubereitung des
Volks bezieht ſich auf die Berehlih&haber und auf die Gehorjam leiitenden
Privatperjonen, Die Befehlshaber gliedern ji in drei Ordnungen:
ı) Ich brauche im folgenden die Ausdrüde der Verbeutihung von 1618. — Die tabellariſchen
Überfichten Savorgnanos nehmen mweit mehr Raum ein als die hier gebotenen Proben, weil auch die
bier in den laufenden Tert übernommenen Angaben im Eriginal bejondere Kolumnen bilden.
4. Die allgemeine Literatur bis zur Schlaht vor Nieuport 1600. 581
Wiſſe nſchaft in Kriegsiachen.
: I- Srhaung Tugeud und Zapferleit im Streit.
Der Feldherr :
behazt: Unjehen im Befehlen.
j Glüd in Ausgängen.
General vber das Fußvolc.
. | Schwäre.
I. Ordnung General vber die Reuteren | Keichte.
Feldmarſchald.
General vber die artillerey.
Obriſter vber ein Regiment knecht.
III. Orbnung Rittmeifter ober Reuterey.
Obrifter General Wachtmeiſter.
Die Privatperjonen, jo Gehorjam leijten, gliedern jih in Fußknecht
und Reuter. — Man wählt am beiten „Vnderthanen; denn joldhe jtreitten beſſer,
laſſen fich befjer pnderridhten, gehorjamen befjer“. Bei der „Starcke“ (perjönlicher
Auswahl) jind in acht zu nehmen: „der Kunjt, das Alter, der Brjprung, die Statur.“
Die Juftrumente find „Waffen zur offension und defension«, jowie
„Pferde für Kürifjer und für Leicht gerüjtete“, wobei es auf „qualitet, Art vnd
Vbung“ ankommt.
Die Viltualien „erhebt man oder jamlet fie ein“.
Das Geld „entzeudt man dem Feind oder jamlet es mit Haufen ein, um
es mit fleiß zufammenzujparen oder bey fürfallender Gelegenheit aufzugeben“.
II. „Die fürnehmjten Handlungen des gangen kriegsheers jeind Fortziehn,
Loſiren und Schlacht thun“. Das Fortziehn gefchieht entweder indem man
„tortzeucht” (vorgeht) oder indem man „zurüdzeudht“. Wenn man vorgeht, iſt
zu bedenken: Die Wijjenfhafft der örter, die einer Hat: durch ſich jelbit
(d. 5. durch Jagen oder perjünliche Rekognoszierung „in Kauffmannsgeſtalt“ oder
dergl. oder durch „allerley abriß“ d. H. Karten) oder durch Andere, nämlich getreue
Kundichafter oder fürfichtige und beherzte Abjeher GRekognoszenten). Zweitens bleibt
zu bedenfen die Zeit und dad Ziel der Reife, welche beide heimlich zu halten
find. Bei Landmärſchen ijt zu bedenken, ob die Soldaten nichts mit jich führen
als Waffen und Speije oder ob fie „verhindert“ werden durd) „Bagagien, Krancke
vnd Gefinde“. Ferner ift zu erwägen, ob der Feind ferne oder zugegen fei oder
berannahe, endlich wie der Weg jei: eben oder bergig, ob man durd offene Örter
tomme, „da man fi) einer lift zubefahren“ und von welcher Seite und unter
welchen Terrainumjtänden man jic) de Feindes zu befahren habe. In Rüdficht
auf Gewäſſer ijt zu bedenken, ob und wie Flüſſe zu überjchreiten jeien mit Brücken
bzgl. Schiffen, die man mit ſich führt oder im Notfall erbaut, ob man „watten“
tann, wobei unter Umjtänden die Reiter ald Wehr für das Fußvolk zu brauchen
iind. Iſt das Meer zu überjchreiten, jo fommt jenjeit3 alles auf rechtzeitige
Ausihiffung des Fußvolls an. — Bein Zurüdgehen achte man darauf, dem
Feinde fchnell aus dem Geſicht zu fommen, das Heer „in viel theil zu theilen,
damit man durch enge örter ohne vnordnung ziehe“ und doc „die glieder des
Kriegäheer8 wol beyjammen halte, damit im Nothfall eins dem andern zu Hülff
tommen könne“. Will man heimlich nadt3 aus einem Lager aufbreden, jo laſſe
man die Feuer hinter ſich brennen.
582 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Beim Loſieren ift zu bedenken:
gejund wegen | —
Die Gelegenheit Korn,
bed ort, pberflüfjig an | Gem,
daß er ſey Holp.
| weit umfangen, daß man mit guter beauemlichkeit barin fen,
Nper | dab das Erdtreich fo beihaffen, daßz man bamit ſchanzen Lönne.
Die Form bes | rund, begreift zwar genug Raum, hat aber die Stärke nicht,
Laͤgers. Dieſe | vieredig ift gut fich zu befeftigen.
ift entiweber was art fie wolle, wenn fie nur nad) lage bes orts gerichtet ift.
Materi ber ans
Befeftigung Erbichollen.
Der General muß im Lojament den allerficherjten Ort haben. Das Fußvolk ist
zunächſt der Verſchanzungen auszuteilen ; die leicht gerüfteten Pferde find bei den Toren
unterzubringen, die ſchweren Pferde, die Munitiones und Handwerf3leute im Inneren.
Der Krieg ijt entweder ein »Defensiv Krieg, wann man nit jo jtard ijt
als der feind vnd einer ſich bejchüget entweder mit Stätten oder mit Yagern,
oder Offensiv Krieg, wann einer jo jtard oder jtärder ift als der Feind vnd
difem in feim Land anfället oder (worbei weniger vortheil) daß man des Feinde
erwarte“. — Bei der Schlacht ijt nun zu bedenken:
warn wir jhr Macht fchwächen,
Das Boll, bie zahl der — wann wir jhnen verbieten, daß fie nicht aufammen-
dad besjelben genug feind = rag ftoßen,
jei und ift infonder- | bie tugend ge außihiden v. jhr grängen
eit gu ſehen auf | der feinp j Tegem fein — — eig anfechten, in jhrer Bunde
zerteilen, in w genoffen land einfallen.
Ratur
Der Ort, ber tugenb, bie vns zum bortheil gereicht buch | Hunft,
ber zu gebrauchen Wind und Sonne.
nad) der liſt daß er verborgen je (ald Wälde, Gebüſch, Thal vnd Berge),
daß Raums genug jen für bie in hinderhalt zu legenben Soldaten.
Sommer, jo die beite, weiln die früchte reiff.
Winter, welcher viel vngemach mit ſich bringet (und doch pflegt man in ſolchem
aroße Ding auszurichten).
Die Beit, Gute Gelegenheit, jo man zu feiner zeit verachten joll.
ob e8 Tag, dieweil man bie folbaten | Scham, weil joldhe jhnen vor augen
bejjer im Zaum hält wegen ber | Gegenwart und vermahnung ber Eapitain.
Nacht, dieweil die Soldaten mehr denden, fich zu salviren, al® Ehr einlegen
wollen (und doch pflegt man bei Nacht quter gelegenbeit in acht zu nemen‘.
Bann man bie Haufen zu orbnen bat.
der zanı | Schlecht (einfache Ancchte),
| Geboppelt (Doppeliöldner).
das Bolt Forn ſchmal ond binden immer breiter, dab man ben
theile der figur Feind trenne (Keil).
nad) Runden, daß man dem Anfall wiberftebe.
Vieredigten, dab man fortziehe.
Welche man in jebweberen Haufen ftellen fol.
Mit welhen der unferigen und wider welchen ber feind man anfaben fol zu
iharmügeln.
Wo ber General ftehen joll, wie auch die anbern fürnemen Häupter.
Wie man
Die Ordnung,
bei welcher zu
bebenten
— — — —— ZZ Te ee
Schlußbetrachtung. 583
den Feind in Haß und Verachtung
bringe ; erzähle, was hie bevorn glüd:
geſchieht, lich verrichtet worden; dem glück zu⸗
daß er | fchreiben, jo jechtwas verloren; be
weiſe, dat dem fleiß das glüd beiftehe.
Savorgnano, deſſen Syitematif grundlegende Bedeutung in der
Geſchichte der Kriegswiſſenſchaft hat, galt bei ſeinen Zeitgenoſſen
bereit8 als Autorität, und dies Anjehen jcheint ſich auf jeine jungen
Vettern, denen jein Buch gewidmet it, übertragen zu haben. Die
Nationalbiblioth. in Florenz bejigt ein dem Grafen Giulio Savorgnano
von Baginiano Leopardo Dedizierte® Compendio militare,
welches die mathemattichen Grundlagen der Taktik und Befeitigungs-
funjt vorträgt. (Uffie. XIX. 9, 13.)})
Eine 2. Auflage der Arte militare erjchien 1614; eine Verdeutſchung
unter dem Titel „Krieggkunjt zu Land und Waſſer“ gab Newmayr von Ramsla
1618 zu Frankfurt a. M. heraus?).
den freubigen ein her made,
den fürneniöften zur beftenbig: | Colıee
feit vermahne,
ben jordhtiamen frafft gebe.
Die Bermahnung
des Generals zu ben
Kriegsleuten, daß er
Schlußbetrachtung.
Überſchaut man die der allgemeinen Kriegswiſſenſchaft gewidmeten
Werke des Jahrhunderts, ſo erhält man, namentlich hinſichtlich Deutſch—
lands, den Eindruck, daß das Durchſchnittsmaß der Bildung gering
war. Nicht in Bezug auf Artillerie und Fortfikation; denn auf
dieſen Gebieten nahm die Tätigkeit der Deutſchen (wie die weitere
Betrachtung zeigen wird) nahezu die erſte Stelle ein, wohl aber in
Hinſicht auf Taktik, Feldherrnkunſt und methodijche Durcharbeitung
des friegswifjenichaftlichen Stoffes. Bon einer jolchen ijt eigentlich
nur bei den Fürſten die Nede; denn bei diejen: etwa bei Herzog Philipp
von Eleve, bei Marimilian I., bei dem „Trewen Rat“, der jicherlich
auch dem höchſten Herrenjtande angehörte, bei dem Grafen von
Solms, bei Albrecht von Brandenburg Preußen, bei Wilhelm IV. von
Heſſen, bet dem Grafen Sohann von Nafjau, offenbaren jich immer
noch die freiejte Gerjtesbildung der Zeit, die beite Fähigkeit, jchrift:
jtellerijch anzuordnen, der meiſte „gejunde Menjchenverjtand“, weil
das mindeite Maß von Zunftjinn und Pedanterie. Bon Karl V.
rühmt es d'Avila ausdrüdlich, dab er tm ſchmalkaldiſchen Kriege eine
N) Allerdings ift die Widmung an den Grafen Giulio jpäter ausgeftrichen und durch eine ſolche
an den König von Polen erjegt. Datiert iſt das Werk nicht.
2) Die Auflage von 1599 im Berliner Zeughaufe (A. 33), die von 1614 in ber Bibl. der dortigen
Kriegsafademie (D. 4118) und in der des Verfaſſers. Die Verdeutſchung in der Kal. Bibl. zu Berlin
(H. v. 18861), in der Stadtbibl. zu Franffurt a. M. (Milit. 57) und im Befige des Verfaſſers.
584 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine friegswijjenichaftlihe Werte.
Karte bejejjen und fie zu lejen veritanden habe. Das galt gewiß
nicht von Vielen! Dem es jtand jehr mangelhaft mit der mili-
tärijchen Bildung, und diejenige Art, fie anzupreifen, welche Fröns—
perger in der Widmung des II. Bandes jeines großen Kriegsbuches
wählte [S. 552], mit ihrem Hinweis auf Lucullus, konnte unmöglich
von bejonderer Wirkung jein. Die Kriegsmwijjenjchaft erfreute
ſich in Deutichland feiner Hohen Achtung.
„SH Hab in meinen Jungen Jahren“, jagt Markgraf Albrecht in der
interefjanten Einleitung feines Kriegslehrbuchs, „vilmals gehört und auch erfaren,
dad man hoch veradht, wenn einer kriegsbücher vnd andere gelejen vnd daraus
mit friegäleuten geredt. Do hat man ja den einen Bücherkriegsmann geheiben.
Bnd die Jugend Hirmit dahin gefüret, das fie zur lehre feinen lujt noch willen
gehabt“.
Anders jtanden die Dinge in Jtalten. Hier waren jchon jeit
dem 15. Ihdt. die Kriegswiljenichaften Gegenſtände jorgfältiger
Schätzung und Bearbeitung, jogar Gegenjtände modijcher Liebhaberei.
Bon Jahrzehnt zu Jahrzehnt hatte ihre Behandlungsweile jich ver:
bejjert und verfeinert, und jo geſchah es, daß dieje ſich allmählich aus
der mehr äſthetiſchen Art der Anordnung wie jie in den Gejprächen
des Machiavelli vorliegt, fortentwidelte zu emem abgejchlojjenen
Syſtem, dejjen logisch und methodisch geordnete Kategorien in des
Grafen Savorgnano Arte militare fejtgejtellt jind. [$ 39.] Man
darf behaupten, daß dies Buch die Grundlinien der noch heut
geltenden Syjtematif unjerer Wiffenjchaft enthält, daß es mit jeinen
verjtändigen leicht überjichtlichen Schematen maßgebend geworden tft, u. zw.
für alle Folgezeit. Zum erjtenmale hatte hier ein höchſt Elarer und
genauer, wenngleich feinesiwegs genialer Kopf die Dinge in philo-
jophiichem Sinne geordnet und Elafjifiziert und zugleich in weit
jichererer und mehr zweckbewußter Weile als bis dahin je gejchehen
war, die Brüde gejchlagen von der militärifchen Doctrin zur Kriegs:
geihichte. Savorgnano zuerjt hat die Kriegsgeihichte me-
thodilch zur Erläuterung und Begründung der Theorie
verwertet, zuerjt einzelne hiſtoriſche Ereignifje in einer bis dahin
faum befannten Weile veranjchaulicht, indem er die Bejchreibung der—
jelben durch beigegebene Pläne unterjtügte. Dies war ein wichtiger
Fortſchritt (1599).
Zu emer eigentlichen Theorie der Kriegführung Drang
man aber auch in Italien nicht vor. Was in diejer Hinjicht über:
Schlußbetrahtung. 585
liefert wird, tjt meist Wiederholung antiker Vprjchriften, unter denen
namentlich immer aufs neue die Maxime wiederholt wird: »E piü
glorioso la uittoria senza sangue che insanguinata!« (Öarimberto).
Auch Machiavelli beteiligt jich an der Weiterführung der Begettichen
Tradition; aber jein Studium der Kriegsgejchichte der Alten, zumal
der Feldzüge des Cäjar, hat ihn doch zu jelbjtändiger Auffafjung
befähigt, und jo empfiehlt er das Reſerveſyſtem, wie die energiſche
Berfolgung, und erflärtt Schlahtengewinn für die Hauptſache
der Kriegführung. Auch Garimberto [S. 578] wetjt dringend auf
volle Ausnugung des Siege hin: »Non 6 minor virtü il sapere
usar la uittoria che 'lvincere!« — Wilhelm IV. von Hejjen
(1580) empfiehlt, auch in der Defenſive angriffswerje zu verfahren:
„Der Borjtrait iſt Goldes wert!“ Und Sohann von Naſſau
(1597), der den Wert der hinhaltenden Kriegführung eines Alba jo
vollfommen zu jchägen werk, lehrt doc) auch mit treffenden Worten
den unjchägbaren Bortheil und Vorzug der jtrategischen Initiative!
Bet den Deutjchen hat jich frühzeitig eine rationelle Marſch—
ordnung der Deere herausgebildet, welche al3 die natürliche Grund-
lage jachgemäßer Schlachtordnung von hohem Werte war.
Der „Trewe Nat“ läht der aus allen drei Waffen gebildeten Rennfahne
ſogleich da8 „gewaltig Geſchütz“, d. h. die ſchwere Artillerie, ald die den Ent—
iheidungsfampf vorbereitende Waffe folgen. Daran reihen ji) der gewaltige
Haufen des Fußvolks und der gewaltige Reifige Zeug, und den Beihluß madıt
eine verhältnismäßig jtarfe Nachhut, die wieder aus allen drei Waffen bejteht und
zugleid im Sinne einer Seneralrejerve verwendet werden joll. Aud Herzog
Albrecht (1552) läßt das Geſchütz an der Spite des Gros marjdieren.
Auf die Empfehlung eigentliher Shlahtordnungen lafjen
jich nur wenige Autoren näher ein. Unter den älteren deutjchen Schrift:
jtellern bietet der „Irewe Nat“ bei weitem das Beite.
Er empfiehlt viele Heine Haufen, breite Ordnung derjelben, Einleitung des
Kampfes durch ein wohl gerichtetes zerjtreutes Gefecht der Laufer, jtaffelförmigen
Angriff der Hauptmafjen (Vorhut und Gros) und endlich entſchloſſenes Eingreifen
der Generafrejerve, die unter Umjtänden überrajhend aus der Tiefe zum ent-
iheidenden Schlage vorzuziehen jei.
Wie tot erjcheint gegen dieje reich gegliederte Anordnung die
etwa 20 Jahre jüngere Dispofition du Bellay-Langey's!
Diejer jchreibt als Normaljhlahtordnung des Fußvolks einer Armee von
vier Legionen ein mädtiges hohles Viereck vor, auf deſſen Flügeln die Gendarmerie
von je zwei Legionen hält. In das Innere verweijt er den Troß und (für den
586 Das XVI Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Fall der Bedrängnis) die perlorenen Knechte, welche jonjt außerhalb des Viereds
iharmuzieren. Die Artillerie läßt er entweder in Front vor oder Hinter dieſem,
oder der Länge nad), auf den Seiten ziehen.
In diefen jo jehr verjchtedenen Schlachtordnungen des Treuen
Rates und du Bellays treten uns die beiden großen Hauptrichtungen
des Zeitgeiſtes deutlich entgegen, von denen die eine auf die Ent-
wicdelung, die andere auf die Maſſierung ausgeht und von
denen demgemäß die erjtere wejentlic) von offenfiven, die legtere von
defenjiven Impulſen beſeelt it.
Eine geradezu unerhörte Fülle der Erfindung beweijen die 42
Schlahtordnungen des Herzogs Albreht von Preußen.
Diejelben find fajt ſtets „dreifchichtig“, d. h. in drei Treffen, gedacht
und im möglichjt viel jelbjtändige Abteilungen gegliedert. Be
wunderungswürdig erjcheint jene Dispofition einer jchrägen Schlacht-
ordnung, wobei dem ausgezeichnet zujammengejegten Angriffsflügel
Einleitung und Entjcheidungsftoß zufällt, während ihm die zurüd-
gehaltene breite Maſſe des Heeres die innere Flanke dedt. Dies iſt
ganz umd gar im Sinne des Epaminondas, ja des Alexander er:
funden und erjcheint durchaus als der Höhepunkt der „großen Taftif“
des 16. Ihdts. Gegen dieſe freie und Hohe Auffaffung tritt jelbjt
alles das zurüd, was die nafjauischen Fürſten gegen Ende des Jahr:
hunderts geleiftet und gelehrt. — Leider entiprach jo hellblictender
Theorie die Praxis nicht. Dispofitionen von einer jolchen Tragweite,
wie Herzog Albrecht ſie empfahl, Eonnten von den jubalternen Getjtern,
denen metjt die Anordnung der Heere zufiel, faum aufgefaßt, : ge
jchweige denn durchgeführt werden, und es entjpricht dem handwerfs-
mäßigen Betriebe des Krieges durch geworbene Mietlinge, daß im
16. Ihdt. Strategie und Taktik mehr al3 vielleicht jemals früher
oder jpäter nicht von genialen Perjünlichkeiten, jondern von zunft-
mäßig gejchulten Routiniers bejtimmt worden find.
Übereinftimmend verlangen die Schriftjteller für den Feldherrn
volle Freiheit des Handelns. Diejen Gedanken, den jchon 1498 der
Herzog von Eleve mit großer Beitimmtheit ausjpricht, formuliert
du Bellay-Langey um 1540 jehr treffend dahin, daß dem Feld
herrn nur jeine Aufgabe zu jtellen, ihm aber nicht der Weg zu Deren
Löſung vorzujchreiben je. Machiavelli (1521) jtellt dem Feld—
Schlußbetradhtung. 587
herrn einen Sriegsrat (Generaljtab) zur Seite, der jich bereits tim
Frieden durch regelmäßigen Nachrichtendienit auf feine Aufgabe vor-
zubereiten habe, und erhebt damit eine Hochmoderne, erſt in viel
jpäterer Zeit methodiich erfüllte Forderung. Der „Trewe Rat“
verlangt 1522, daß der Feldherr nicht nur ein friegsfundiger Mann,
jondern auch von jehr hoher Geburt jei, um Reibungen mit hoch—
geborenen Unterbefehlshabern vorzubeugen, ein Gedanke, der ich ganz
ebenjo bei Kaiſer Leo findet [M. $ 8], deſſen Auffaffungen diejer
Dinge neben denen des Vegez jich überhaupt in den meijten ent=
iprechenden Äußerungen der Schriftiteller wiederjpiegeln. Die weitere
‚Forderung des „Irewen Rates“ : unbedingte Einheitlichfeit des
Oberbefehls iſt leider zu jener Zeit oftmals nicht erfüllt worden;
an ihrem Mangel vorzugsweije jcheiterte der Feldzug des Schmal-
faldiichen Bundes und bejtätigte dadurch das alte auch von dem
Parmejen Garimberto in jenem »Capitano generale« (Venedig
1556) jo nachdrücflich betonte Wahrwort: »La guerra ben guerri-
giata da un solo contra di molti confederati insieme suol hauer
per fine la uittoria«.. — Immer wird hervorgehoben, daß der
Oberjtfeldhauptmann auch über dem Feldmarſchall jtehe, der aljo
wohl manchem wegen jeiner Stellung an der Spite der vornehmiten
Truppe, der adeligen Reiſigen, als eine Art konkurrierenden Gewalt
habers erjchienen jein mag. Heeresrechtlic aber fiel ihm die Führung
der Nennfahne, der Vorhut, zu (jo bei Graf Solms 1552), und ge:
wöhnlic wird er auch als oberjter Lieutenant des Feldherrn aufgefaßt.
Die Stärfe der Heere mwechjelte natürlich je nach Umjtänden.
Als normal erjcheint dem Machiavelli die Stärke der konſulariſchen
Heere Roms: 20 bis 30 Taujend Mann. Der „Irewe Rat“ iſt
beicheidener; er verlangt, jogar gegen einen mächtigen Feind nur
10000 Fußknechte, 1500 Neiter und „ziemlich Feldgeſchoß“. Dagegen
erichernen auch im Michael Ott's alter deutjcher Kriegsordnung von
1526 wieder 20 bis 30 Taujend al3 die natürliche Heereseinheit,
welcher als artillerijtiiche Einheit „ein Zeughaus“ beigegeben wird»
— In dem Anjchlage zum Türfenzuge von 1532, deren Hand»
Ihrift die Stuttgarter Bibliothek bejigt (Milit. fol. 1) wird dem
Kaifer geraten, jein Heer aus 30000 Reitern, 60000 Mann zu
Fuß und 76 Gejchügen mit 2000 „Duajartoy“ (Guajtadoren) zus
ſammenzuſetzen.
588 Das XVI. Jahrhundert. I. Allgemeine kriegswiſſenſchaftliche Werte.
Die Reiterei joll aus 10000 wohlgerüjteten und 20000 leichten Pferden
bejtehen, das Fußvolt aus 10000 Mann mit Kurzwehren, 32000 Spiehern und
18000 Schügen, von denen je 6000 aus Spanien, Italien, bezw. Deutjchland
nebjt den Niederlanden zu entnehmen jeien.
Die Zujammenjegung des Heeres aus den Drei
Waffen iſt allgemem anerkannt; jelbit Machiavelli verzichtet
nicht auf fie, jo wenig er auch von der Artillerie für den Feldkrieg
hält. Lebhaft tritt Ott für dieje Verbindung ein S. 486].
Mendoza vergleicht 1595 das Zujammenmirfen der Waffen
demjenigen der Teile eines menjchlichen Körpers S. 569).
Die Stärfe der Artillerie nahm im Laufe des Jahrhunderts
ichwerlich zu.
Der „Trewe Rat“ verlangt 1522 auf 10 000 Fußknechte und 1500 Reifige:
4 Scharfmegen, 12 Startaunen, 2 Steinbüchjen, 3 Mörjer, 1 Feuerbüchſe, 6 Not-
ichlangen, 10 halbe Schlangen und 16 Falten, aljo 50 fahrbare Büchſen (18 Mauer:
brecher und 32 Feldgeſchütze) und 4 Wurfgeihüge. Michel Ott ſchlägt faum
ein halbes Jahrzehnt jpäter „ein gang Zeughaus“ d. h. einen Artilleriepark für ein
fajt dreimal jo großes Heer auf nur 55 fahrbare Büchjen (18 Mauerbreder, 37 Feld—
geſchütze) und 16 Mortier an. [$ 12]. Der „Anſchlag zum Türkenkriege
von 1532* will auf jeine MWOOO Mann zu Rob und zu Fuß 100 Gejchüse
haben, zählt tatjächlid aber nur 76 auf, nämlich 32 Mauerbredher (je 8 Scharf:
megen, Kartaunen, Singerinen und Nothichlangen), jowie 36 Feldgeſchütze (12
Schlangen und 24 Faldhenn), und endlich 38 Mörjer. — Graf Solms verlangt
auf 20000 Dann zu Fuß und 5000 Bierde 18 Brehgeihüge und 54 Feldgeſchütze,
jieht aber von den Mörjern ab. [$ 22]. Hierin liegt eine Steigerung der Forderung
von Feldgeſchütz; diefe hat jedody in Wirklichkeit keineswegs jtattgefunden; viel-
mehr läßt ſich aus den hiſtoriſchen Berichten ein JZurüdgeben der Zahl der
Feldgejhüge im VBerhältnis zu der der Belagerungsgejhüpe
erfennen. Marchi berechnet 1565 eine Bande reale, d. h. den Park für einen
jtarfen Angriff auf 12 Stanonen (50—60:Pfdr.), 4 Doppelcolubrinen (desgl.),
4 Colubrinen (25:Pfdr.), 4 halbe Colubrinen (15:Pfdr.), 4 Sayren (8:Pfdr.) und
2 Falten (6-Pfdr.), aljo auf 20 Mauerbrecher und 10 Feldgeichüge, verlangt aber
feine Wurfgejhüge. — Derjelbe Mari führt an, daß Karl V. 1545 vor Goletta
zu Lande und zu Wafler etwa 130 Geſchütze gehabt habe; 1544 vor Yandrecis 60,
ebenjo 1552 vor Met 60; i. 3. 1553 habe man vor Therouanne über 70, vor
Hesdin über 40, die Engländer vor Boulogne über 60 Stüd verfügt. Vor St.
Quentin feien 1557 deren 60 in Tätigkeit gewejen, und die Türken hätten 1565
vor Malta ebenfall3 über 60 Stüd gebraucht, wovon die Mehrzahl 50-Pfünder
nebjt einem 100-pfündigen Bajtlisten.
II. Raffenfunde. 1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 589
II. &apifel.
Daffenkumde des 16. Jahrhunderte.
I. Gruppe.
Die Beit Kaiſer Karls V.
8 40.
Die Stellung an der Spite des artilleriewifjenichaftlichen Ent-
wicelung Europas, welche die Deutichen im 15. Ihdt. unbejtritten
inne hatten, behaupten jie auch noch im eriten Drittel des 16. Ihdts.;
dann aber müſſen jie diefelbe (wenn auch nur vorübergehend) an die
Italiener abtreten, die mehrere große Fortichritte auf rein wiljenjchaft-
lichem Gebiete machten, während die deutjche Literatnr jich in bequem
ausgefahrenen Geletjen fortbewegt und jich begnügt hatte, einige tfono-
graphijche Arbeiten und Bartationen des alten Feuerwerksbuches her-
zustellen. — Bon jolchen Arbeiten find nennenswert:
Ehrijtian Sefelfchreibers Lehrbuch „Bon Gloden- und Stüd-
gießen, Büchjenmeisterey, Bulverbereitung, Fewerwerck, Heb—
und Bredzeug, Waſſer- und Brunnenwerf“ v. 3. 1524, dejjen
Handichrift die Münchener Hof und Statsbibliothek bejitt (cod.
germ. 973). — Es geht von ähnlichen Gejichtspunften aus, wie Die
doch auch wejentlich militärtichen Kunſt- und Hausbücher des 15. Shots.
Bilderhandjchrift der kgl. öffentlichen Bibliothek
zu Dresden (C. 111) mit dem Monogramm ME als Künjtlermarfe
und der Jahreszahl 1528.
In diefem Codex jpielen die alten Werfzeuge noch eine große
Nolle. Große FFeuerfugeln werden mit der Bleide, Bienenförbe voll
[ebendiger Bienen „mit dem holgmwurffen eingeworffen“. Höchſt alter:
tümlihe Gejhüsgformen lehren, daß ein Teil der Vorbilder für
die aufgenommenen Zeichnungen wohl bis ins 14. Ihdt. hinauf reicht;
namentlich fallen ?Feuerrohre auf, die mit einer Art großen Nagels
an ihrem Bodenſtück an das Erdreich feitgeheftet werden, auf dem jie
ohne jede Bettung oder Lade lagern. Daneben finden ſich Haupt-
jtüde mit mächtigem Anjtoß, Kartaunen hinter beweglichen Blenden
zwiſchen Schanzförben, Feldgeichüge mit Nichthörnern, und endlich
die verjchiedensten Arten von Feuerwerk, wie in den alten Ikono—
graphien: fahrendes Feuer (am Stode laufende Raketen), Stein-
590 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
jprengungen, Blasrohre zu Feuerwerk u. ſ. w.; jogar die Katzen umd
Tauben als Träger von Branditoffen fehlen nicht. Merfwürdig iſt
das legte große Blatt durch eine überaus reiche Daritellung, Deren
Stil Lebhaft an A. Dürer mahnt. — Das Ganze iſt offenbar eine
archaiſtiſche Arbeit, welche altüberlieferte artillertjtiiche und pyro—
technische Typen fünftleriich vergegenwärtigt. (Roter Saffianband mit
dem pfalzbayeriichen Wappen).
Die alten Werfzeuge treten übrigens ziemlich bedeutungsvoll auch
noch in einem undatierten, doch wohl ungefähr aus derjelben Zeit
jtammenden Manujfripte auf, welches den Titel führt: „Etliche
ſchöne Stüd von Fewerwerckh aus puchien zu ſchießen vnd zu
werffen. Auch von Fewerpfeyll vnd etlichen gewaltigen Fragitudh ...,
etlich jchönen leren, puluer, das verdorben tjt, zu renoviren... . vnd
wie man groß gichuz richten joll...“ Die Handſchrift befindet fich
in der Wiener Hofbibliothef (Nr. 10940).
Im wejentlichen ijt e8 das mit den Zwölf Fragen beginnende alte Feuer—
werksbuch; aber unter den Anhängen find einige ungewöhnlich und bemerfenäwert
So die folgenden: yewerwerdh aus playdernn (Bliden) zu werffen. Fewerzeug
das fi) jelbjt an der Sonnen anczinden thutt. Fliegennts Fewerwerckh, das
jelb8 dahin fertt, wo man es hinlenden thutt. — Zulegt: Yin Schöns Stüd
auß der biuenden (Blide) oder ainem werd zu werfen.
Jünger als diefe Handſchrift, wahrjcheinlich vom Anfange der
dreißiger Jahre, ijt ein anderes Manujfript der Wiener Hofbibliothet
(Nr. 10907), welches, großenteils an der Hand des alten Feuerwerks
buches, eine möglichit volljtändige Lehre der Büchſenmeiſter—
funjt zu entrollen verjucht. Der Inhalt ordnet jich wie folgt:
Was GBejtalt die gezeug gemacht werden, Trüdene Gezeug. Feuerſäch
Feuer-Kolben, Häfen und Ringe. Feuerkugeln von Stein, Eijen, Holz u. j. m. —
Inftrumentenlehre. — Springende Kugeln, auch ſolche mit Schrot, in welche der
Bünder vor dem Abfeuern hineingejtedt wird. Platten und Ketten zu jchiehen.
Sprengung von Pulvertürmen. (Verweis auf „Durwan in Pilardie* 1536). —
Ladekunſt und Unterweiſung, gewiß zu fchießen: Das Laden von Hagel um
Streugefchofien. Ygel zu ſchießen. Klogen zu jchießen, deren jeder bejonders
plazt. Erfendte ſchüß zu thun, die man jehen mag. Betrugſchuß zu thun, der
nicht kracht. — Sturmtrüg, Fuheyjen, Kald) zum Sturm. — Bon Fewerwerch,
dad man aus Schlaudern, Platten oder ſchlingen werffen mag... Zulegt: Ein
Büchienpulver, das nicht kracht, zu machen.
Neben diefen mehr oder minder jelbitändigen handjchriftlichen
Arbeiten erichienen nun die eriten Drucde des alten Feuermwerfs:
Die Zeit Kaijer Karls V. 591
buches. Schon in Manuffripten hatte man dies gern mit dem deutjchen
Vegetius in Verbindung gebracht, wie u. a. ein in der Berliner Bibliothek
aufbewahrtes Eremplar (manscr. germ. fol. 94) zeigt, und in Diejer
Verbindung wurde es denn auch zuerjt gedrudt u. zw. von Stainer
zu Augsburg 1529. [8 4). — In demjelben Jahre gab übrigens aud)
Egenolph in Straßburg das Buch jelbitändig heraus unter dem Titel
„Büchſenmeiſterey von Geſchoß, Büchſen, Pulver, Sal-
peter u. ſ. w.“ — Neue Auflagen erjchienen 1531, 1534 (Leipzig
bet Blum), 1534 in Egenolphs „Kriegsbuch“ [$ 16], 1569 und 1582
und vermutlich noch öfter !).
Überjchaut man dieje deutjche Artillerieliteratur des erſten Drittels
des 16. Ihdts., jo ergibt fich, daß ſie nur altes Gut überliefert, daß
jich feine neue Richtung anbahnt, daß fein neuer Gedanke hervortritt.
Unter jolchen Umständen zeigte fie jich begreiflicherwetie jehr aufnahme:
fähig, als von jenjeit3 der Alpen neue Impulſe gegeben wurden.
8.41.
Kein Volk Europas hat ſich urjprünglich ferndjeliger gegen Die
Feuerwaffen verhalten, als das italienische. Geringichägig urteilten
Männer wie Machtavelli und Guicciardini, die doch jonjt jo Klare
Augen hatten, über dieje „deutiche Pet“. Seit aber die Artillerie
einmal als notwendiges Übel anerfannt worden, da beichäftigten fich
mit ihr gleich auch die Gelehrten, und während in Deutjchland nur
Fachmänner die zunftmäßige Tradition überlieferten und jehr vor.
jichtig und langjam bereicherten, gewann der durch das Studium
der Antife aufgeflärte und methodiſch gejchulte Geiſt der Italiener
bald genug auf rem wiljenjchaftlihem Wege einen Vorjprung.
Ein jtenefischer Edelmann VBanuccio Biringuccio hat in
metallurgiicher Hinficht einen ſo bedeutenden Einfluß auf die Ent-
widelung der artillerijtiichen Technif ausgeübt, daß jeines Werfes
eingehend zu gedenken it, obgleich dasjelbe in Deutjchland nicht deutjch,
jondern nur in lateinifcher Übertragung erjchienen iſt. — Biringuccio
bat in Stalten, aber auch im Auslande, perjünlich eingehende Studien
1) Ausg. dv. 1529 in der Tal. Bibl. zu Berlin, die von 15831 und 1534 im dortigen Zeughauſe
(A. 260, 261, 262), im Kupferſtichlabinet die von 1582. Die Bibl. Hauslab (jebt Liechtenitein) zu
Bien befigt die Ausgaben von 1569 und 1582. — Bon 1531 gibt e8 zwei Franffurter Ausgaben, deren
eine (Zeughaus A. 261) einige Zufäse hat: Gemeine Streitsregeln nad Vegez, Lehre Maximilians
und Ordnung, Namen und Gejchleht ber Büchſen nah Ott-Breuß.
592 Das XVI Jahrhundert. II. Waffenkunde.
gemacht und die Metallurgie von Grund aus fennen gelernt. Er
diente erjt den Ejtes in ‘Ferrara, dann den Farneſes in Parma umd
endlich der Nepublif Venedig. In diejer Stadt arbeitete er während
der dreißiger Jahre jein Lehrbuch aus, das endlich unter dem Titel
Pirotecnia o sia dell’ arte della fusione o getto de
metalli i. 3. 1540 zu Venedig erjchien.
Die Einleitung jpridt von dem Aufjuchen der Erze,
wobei weniger Aberglaube zu Tage tritt, al$ man der Zeit nach er-
warten jollte.
Das 1. Buch handelt von den Metallen, jowie von der Her:
itellung des Stahls und der Bronze.
Mehrfach beruft der Verfaſſer jich auf jeine in Deutichland gemachten Beob-
achtungen. Er lehrt den Ummwandlungsprozeh des Stabeijens in Stahl durd die
Berührung mit flüjjigem Roheiſen bei großer Hiße, wobei durd Aufnahme von
Kohlenstoff eine Zementation jtattfindet. Dies alte Verfahren war die Grundlage
der jteierer und färtner Nobjtablarbeit, jowie der Brescianjchmiederei, und erhielt
jih auch nad Einführung des Hocofenprozefjes und der Friſchſchmieden lange im
Gebrauch; zu anfang des 18. Ihdts. prüfte und bejtätigte e8 Reaumur (L’art
de convertir le fer en acier. Paris 1722), und nocd gegenwärtig hat es ſich
hie und da in Kärnten, Steiermarf und Italien erhalten.
Das 2. Buch unterrichtet über die Halbmetalle und Salze,
jowie über die Bereitung des Glajes; das 3. gibt Anlertung zum
Probieren der Erze und zur Einrichtung von Hüttenwerfen;
das 4. handelt von der Scheidung des Goldes und das 5. von
der Legierung der Metalle. — Im 6. Buche wird die Kunjt zu
modellieren und Gußformen herzujtellen vorgetragen und dabei
mit jorgfältiger Genauigkeit der Geſchützguß erläutert.
Die Artillerie betradhtet auch Biringuccio als eine deutſche Er:
findung: »Ne anco chi di tal orribile e spaventoso forse inventore, ch'io
sappi in luce universale noto non &. Oredesi che venisse della Allemagna,
trovato à caso secondo il Cornazzano XV. 847] da manco di 300 anni in
qua da grossa et piccola origine, come ancor la stampa delle lettre«').
Biringuecio rät, die Gefüge nicht zu leicht herzuftellen; mit ſchweren jchiebe
man ficherer und fünne auch durch BVerftärfung der Ladung und Anwendung
fräftigeren Pulver8 weiter und wirkungsvoller ſchießen. Dod dürfe man aud
die Schwere des Gejchüges nicht übertreiben; zumal man mit Heinen eijernen
Kugeln denjelben Effeft erreichen fünne, wie mit großen von Stein. Die Länge
eines Geſchützes genüge, jobald alles Pulver verbrennen künne, bevor die Kugel
1) Es iſt bezeichnend, daß ber franzöſiſche Uberjeger diefe Deutichland rühmende Stelle fortge-
laſſen hat.
1. Die Zeit Kaifer Karls V. 593
das Rohr verlafje. Lächerlich jei das Prahlen der Büchfengießer mit Geheimniffen
bagl. der Form und Größe der Kammern. Wohl jeien Kammern zwedmähig;
doch erforderten fie eine überaus jorgjame Bedienung, damit fein leerer Raum
zwifchen Pulver und Geſchoß bleibe; auch lafje die Kammer fich ſchwer reinigen;
daher jeien die nad) vorn erweiterten Kammern die beiten. Bon Mörjern hält
der Berfafjer nicht viel. — Zum Formen bediente man fich eines fetten, ſand—
haltigen Thones von feinem Korn, den man mit Tuchicheerabfchnigeln, getrodnetem
Kuhmiſt, Werg, Haren, Spreu u. dgl. mifhte. Das Modell bejtand aus Tannen:
holz mit angefügten, einen Fuß langen Gußzapfen. Große Kernnägel, die durd)
Modell und Überzug gingen, hielten die Ausladungen und Verzierungen feit.
Man verwendete aud ein in Lehm hergejtelltes Modell, dad auf ein mit
Stroh ummidelte® Rundholz in mehrfahen Lagen mit Hilfe einer Schablone
aufgedreht wurde. Das Modell, an beiden Enden jchwebend gejtügt, wurde mit
Holztohlenafhe und Talg bejtrihen; darauf jtrih man wiederholt Lagen von
geihwenmtem Thon auf, die jedesmal getrodnet wurden. Die vorleßte Lage
ummwidelte man in Abjtänden von zwei Zoll mit Draht, und die legte umgab man
nad dem Trodnen mit Längsjchienen, die durd eiferne Ringe gehalten wurden.
Das ganze Modell ward am Holzkohlenfeuer getrodnet und dann ausgehoben,
jo daß die Form verblieb. In gleiher Weife wurde die Form des Bodenjtüds
bergejtellt; während man das Modell zur Traube meiſt in Wachs pouffirte.
Bevor die Traubenform angejegt ward, führte man die Kernjtange ein, eine eijerne
Spindel, welde länger war als die Seele und durch den „Roſenkranz“, einen
Zapfenring, am Mantel, d. h. an der den Hohlraum umgebenden Form, befejtigt
wurde. Nun erhigte man die Form 24 Stunden bei Rotglut und jenkte jie dann
in die Dammgrube Das Einſchmelzen gejhah in einem Flammofen. Man
ihritt zum Buß, fobald die Bronze Öltonfiftenz erreicht Hatte, aljo jo früh als
möglih, um die eijerne Kernſpindel leichter herausziehen zu fünnen; doc warnt
Biringuccio vor zu frühem Gufje: man jolle ein warmes Eifen in die Speije
jtoßen und ausheben; an dem dürfe nicht? bangen bleiben. War die Form bis
an den Kopf voll, jo warf man noch Zinn ins Metallbad, damit die Rohre am
Kopf feine Gallen befämen. Dann drehte man zuerjt die Kernjtange heraus und
ihnitt mit einer Handſäge den verlorenen Kopf (matarozza) ab. — Die Bronze-
mijhung war jehr verjchieden; da hatte jeder Gieher jein eigenes „unübertreff=
liche8“ Rezept. (Bgl. damit den Guß des 15. Ihdts. [S. 401].)
Das 7. Buch it gleichfalls dem Metallgujje gewidmet und
handelt nach der Beichreibung der Ofen und der Gerüſte für Die
Bälge von dem Bohren der Geichüge, von ihrer Zafetierung
und dem Guſſe eijerner Kugeln.
Die Gefhügmeijter beruhigen ſich nicht mehr mit der durd die Kernſpindel
erzeugten Form der Seele, jondern bohrten die Gejhüge aus, wie das für
Heinere Kaliber jhon das Feuerwerksbuch von 1454 und für größere Lionardo
da Binci gelehrt hat. [X V.$59 u. 24.) Die Bohrftange wird durd ein Trittrad oder
ein Wafjerrad bewegt. Das Geſchütz ijt auf einer hölzernen Unterlage befejtigt,
Jahns, Gedichte der Kriegswifienicaiten. 38
594 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
die mitteld einer Winde vorgefchoben werden fann. Der Kopf der Bohritana:
bildet entweder eine vieredige, an den Kanten jcharf gejchliffene Platte, die
jedoch jehr ſchwierig herzuſtellen war, oder er ijt mit mehreren Bohrjchneiden ver:
jehen. Biringuccio hält für das beſte vier Schneiden in einem fajt kaliber—
mäßigen bronzenen oder hölzernen Bohrkopf. — Die Yafeten würden oft jo
plump und ſchwer hergeftellt, daß es befier wäre, man hätte gar fein Ge
ihüß; denn jo jei es nicht nur jelbjt faum beweglich, jondern lähme auch die
Truppen. Die Wände jollen nicht länger fein als das Rohr und nur Y/s Kaliber
jtart; auch müßten fie nad) hinten jchwäcer werden. Den Rädern gebe man
Tmal den hinteren Durdmefjer des Rohrs, 6 Felgen und 12 Speichen mit
Stürzung. Der leichteren Reparatur wegen jei Beſchlag mit Schienen dem mit
Reifen vorzuziehen. Speichen und Felgen find zu verfeilen und zu verdibeln,
der Beichlag nicht mit vorjtehenden, jondern mit flachen Nägeln herzuſtellen; das
jpare, wie Alfonjo von Ferrara verfichere, zwei Zugtiere vor jedem Gejhüg. Am
Schwanz find Progloh, Ring und Kette anzubringen. Zum Transport mit
Menſchen wird eine Deichjel mit zwei Rädern unter den Schwanz gejegt und
dad Zugtau an die Kette gelegt. Ochſen werden an der Spite der Deichiel,
Pferde in einer Gabel angejhirrt. — Bon den eifernen Kugeln ijt Birin-
quccio jehr eingenommen. Er nennt fie »inventione certamente bellissima et
horribile per il suo potentissimo effetto, cosa nuova al uso della guerra:
perche non prima (che io sappi) furon vedute palle di ferro in Italia per
tirarle con artiglierie, che quelle che si condusse Carlo Re di Francia
contra Re Ferdinando l’anno 1495«. Das Giehen der eifernen Kugeln geſchieht
in zwei Formhälften, die mit Zangen zujammengehalten werden. Man jchmilzt
bejonders altes Eijen ein u. zw. in 1!/s Arm Hohen Tiegeln, die unten ein
Abſtichloch Haben; dabei ſchichte man dag Eiſen mit Kohle Es taugt nicht,
Antimon oder Arjenit zuzufegen; die Kugeln werden zu jpröde‘). Die fleinen
Kugeln für Handfenerwaffen formt man auf dem Ambos aus Stabeijen mit dem
Geſenkhammer; fie werden weit glatter al& die gegofienen.
Das 8. Buch handelt vom Guß Fleiner Gegenjtände, das 9.
vom Deitillieren, Sublimieren, Schriftguß, Drahtziehen u. dgl.; das
10. it aber wieder wejentlich artilleriitiichen Inhalts; denn es er:
läutert die Bereitung des PBulvers, das Laden und die
Feuerwerkerei.
Biringuccio bezeichnet die Natur des Salpeters als höchſt fompliziert:
er ſei jowohl hei als falt, erdig wie luftig, wäſſerig wie jteinig; von allem hab:
er etwad. Schießpulver müſſe man von mehreren Arten haben. Kanonen—
pulver würde aus Musketen die Kugel faum 10 Klafter weit treiben; Gemehr:
pulver dagegen würde die Gejchüge jprengen. Alles Pulver aber müjje aus
reinen Stoffen bereitet, gut gemengt und troden fein. Gewöhnliches Pulver für
ſchweres Geſchütz mengt Biringuccio aus 3 Teilen raffinierten Salpeter®, 2 IT
1) Eine VBerdeutichung des den Sugelguß betreffenden, für die Geſchichte bes Eiſenguſſes wichtigen
Kapitels findet fih bei Bed: Geſch. des Eifens, I, 5 (Braunfchweig 1884).
1. Die Zeit Kaijer Karla V. 595
Weidentohle und 1 T. Schwefel, ein jtärkeres aus 5 T. Sal., 15 T. K. umd
1T. Schw. — Pulver für Handfeuerwaffen (archibusi e schioppi) mijcht er aus
10 T. Sal., 1 T. Hajelnußlohle und 1 T. Schw. — Nur lepteres Pulver wird
getörnt. — Einige bereiten das allerbejte Bulver aus 13,5 Sal., 1,5 K., 1 Schw.;
das jei jedoch jehr gefährlich und müſſe daher nah zubereitet werden. Beim Ans
feuchten leifte Waſſer denjelben Dienjt wie Ejjig oder wie der von Vielen be-
vorzugte, in Weingeijt gelöjte Kampfer; denn beide verdampften, vermödten aljo
dem Pulver feine Kraft zu geben. Hinfichtlih der Kohle komme es darauf an,
fie aus weichem, jungen Holz ohne Knoten zu gewinnen. — Einige bereiten da&
Fulver in Mühlen, andere mit Stampfen, die von Wafjerfraft bewegt würden,
und dies jei in jeder Beziehung vorzuziehen. Gewöhnlich bringe man die drei
Subjtanzen gleichzeitig ein; am bejten löje man den Salpeter in heißem Waſſer
und bringe dazu die Kohle in Stüden, den Schwefel fein gepulvert ein, dampfe
fajt bi8 zum Trodnen ab und jtampfe dann zuſammen. Die Bulverprobe geſchieht
durd; Abbrennen auf Papier.
Beim Laden der Geſchütze geht man nicht über */s der Kugelſchwere
an Pulver, gibt aber auch weniger und nur einen Vorſchlag. Die Kugel muß
bineinrollen, wird dann aber fcharf angejegt. Man hat aud) Kartujhen von
Papier, die man mit der Ladeſchaufel einführt, eine Methode, welche, wie der
Verfaffer meint, vor ihm niemand angegeben habe, die aber das Laden weſentlich
bejchleunige. Bon fünjtlihen Geſchoſſen nennt er Kettenkugeln und jprin-
gende Hohlfugeln (palle di metallo da tirare e spezzaransi), Das Richten
geihieht mit dem durchlöcherten Aufjap.
Als den Erfinder der Spreng=- Minen bezeichnet der Berfajier den
Francesco di Giorgio Martini [XV. $ 21]. Pedro Navarro habe die Jdee nur
zuerjt ausgeführt (1500 n. Ehr.). Beides ijt unrichtig; denn jhon im 9. Kapitel
von Konrad Kyeſers „Bellifortis“ (1405) find Sprengminen dargeitellt [XV. 8 4).
Allerdings müfjen fie ungemein jelten angewendet worden jein, da Philipp von
Cleve ihrer nicht Erwähnung tut [XV. 8 77). Auch die Kontreminen find dem
Biringuccio befannt.
Bon Feuerwerkskörpern behandelt der Verfaſſer die Feuerlanzen
(lingue di fuoco), die Feuertöpfe (pignatelli) und verjchiedene Kunſtfeuer zu
Emjt und Luft, unter den lepteren die Raketen, weldye zu Rom in der Birandola
jteigen. Der Kriegsraketen gedenkt er nicht. Endlich ſchließt er jein Buch ver-
jöhnend mit der Betrachtung jenes ‘Feuers, »che consuma senza far cenere e
consuma piu d’ ogn’ altro«; dieſe gewaltige, ajchenloje Flamme aber ijt feine
andere als die der Liebe.
Biringuccios Werk ift das erjte jeiner Art in Italien; es steht
hoch über den Feuerwerksbüchern der Vergangenheit und ijt lange
von den Praftifern des 16., ja des 17. Ihdts. benugt worden. —
Spätere Ausgaben find die von 1550, 1558, 1588 und 1678. —
Eine französische Überjegung veranftaltete I. Vincent (Paris 1556,
38*
596 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
1572, Rouen 1627). Lateinische Übertragungen erfchienen zu Paris
1572 und zu Köln 1658).
8 22.
Wie die Metallurgie, jo verdankt auch die Ballijtif einen
wejentlichen Fortjchritt über die älteren von Martin Mercz vertretenen
Anfchauungen [XV. 8 61], einem gelehrten Italiener.
Im Sahre 1537 erjchten zu Venedig des Brescianer Niccolo
Tartaglia: La nova scientia, civ& inventione nuovamente
trovata per ciascuno speculative matematico bombardiero e
altri ?2). — Das Werk it dem Herzoge Francesco Maria von Urbino
gewidmet, und in der Dedikation jet der Verfaſſer die Gejchichte und
den Fortgang jeiner artillerijtiichen Entdedungen auseinander. Selbit
nicht Büchjenmeijter, jondern Mathematiker, war er i. 3. 1531 von
einem ihm befreundeten Bombardiero zu Verona veranlaft worden,
über die Tragweite und die Schußlinien der Fernwaffen nachzudenken.
Im folgenden Jahre bewog ihn die Behauptung eines anderen Ar-
tilleriften, daß nicht, wie Tartaglia theoretisch feitgejtellt hatte, ein
Erhöhungswinfel von 45 Graden, jondern einer von 30 Graden Die
größte Schußweite ergebe, zu praftijchen Verſuchen. Man ſchoß bei
Santa Lucia mit einer zwanzigpfündigen Schlange um die Wette,
wobet die Elevation von 45° eine Wurfweite von 1972 ſechsfüßigen
Veronejer Ruten, die Erhöhung von 30% nur einen Ertrag von
1872 Ruten ergab. Dies bewog Tartaglia, die Gründe auseinander:
zujegen, auf denen, jeiner Meinung nach, die Bewegung. jchiwerer
Körper überhaupt beruhe.
Nach der Abjicht Tartaglias hatte die Nova scientia urjprünglich
fünf Bücher umfaſſen jollen; tatjächlic) brachte jedoch die erjte Aus-
gabe deren nur drei, von denen zwei die Prinzipien der Dynamit
behandeln.
Im 1. Buche gibt Tartaglia zunächſt 14 Definitionen, deren erjte und
wichtigjte er an die Spipe ftellt. Sie bezieht ji) auf die Hypotheje eines gleich—
förmig ſchweren (egualmento grave) Körpers, d. h., modern auägedrüdt, auf die
1) Troß jo mannigfacher Ausgaben ift das Wert jelten. Die Ausg. von 1550 in der General»
ftababibl. zu Berlin, — Nachrichten über die Pirotecnia gab Bedmann in jeinen Beiträgen zur Geſch
der Erfindungen, I (Leipzig 1786).
2) Eremplar in ber Bibl. des Berliner Zeughauſes (A, 16).
1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 597
Annahme des luftleeren Raumes für die von ihm angejtellten Unterjuchungen,
welche auf den Widerjtand der Luft nicht Rüdjiht nehmen. Dann folgen 9 Pro-
pofitionen (Lehrjäge). — Auch das 2. Buch beginnt wieder mit 14 Definitionen
und bringt ebenfalls dann I Thejen. — Das 3. Bud ift der Beichreibung der
Inſtrumente gewidmet, jowie der vom Autor erdadhten Methoden, um die Dijtanz-
meſſung zu erleichtern.
Den Inhalt der beiden von vornherein beabjichtigten abjchliegenden
Bücher über Schiegen und Werfen und über Feuerwerkerei bringt erit
eine jpätere Auflage der Nova scientia (1562); überdies aber hat
ihn Tartaglia in einem zweiten Werfe ausführlicher behandelt. —
Dies zweite Werf iſt das bei weitem wichtigere; denn gerade in den
eigentlichen Hauptpunkten jeiner Unterjuchungen, nämlich) in denen
über die Flugbahn, kommt Tartaglia hier zu veränderten, reiferen
Rejultaten.
Dies zweite Werk führt den Titel: Quesiti et inventioni
diverse. (Venedig 1538), 1546)?). E3 zerfällt in ſechs Bücher,
von denen jedoch nur die drei erſten jich auf artillerijtiiche Probleme
beziehen, während das 4. von den mathematichen Grundlagen der
Taktik, das 5. von der Feldmeßkunſt und das 6. von der Fortififatton
handelt. — Das Werk iſt in Dialogform gejchrieben. Der Antiwortende
ijt jtets Nicold (Tartaglia) jelbit. Als Fragende werden eingeführt:
der Herzog von Urbino (1538), der Rhodosritter und Prior von Barletta
Herr Gabriel Tadino de Martinengo, dann Sgr. Jacopo d'Achaia
(1542), Sgr. Alberghetto (1545), Magijter Bern. Sagreo, Sgr. Jul.
Savorgnano, der Maler und Architeft Ant. de Rusconi, ferner ein
Sottocapo der cyprifchen Artillerie Hieroynimus und endlich ein un—
genannter Büchjenmeijter. Dieje Perſonen find feineswegs erfunden;
bei mehreren jind ausdrüdlich Ort und Zeit ihrer Frageſtellung an=
gegeben, ja man erfährt jogar, ob der quesito mündlich) oder brieflich
an Tartaglia gelangte, und jo erjcheint die Lijte der Teilnehmenden
bezeichnend dafür, wie mannigfaltige Kreije Italien damals an ar-
tillerijtiichen Dingen Interejje nahmen.
Einige der von Tartaglia erwähnten Namen jind auch jonjt aus der Kriegs—
geihichte oder der Militärliteratur befannt. Martinengo, welder 37 quesiti
ı) Eremplar in ber Bibl. bes Zeughauſes zu Berlin (A. 17).
2) D’Uyala citiert in feiner Bibliografia militare-italiana eine Ausgabe der Quefiti von 1528.
Das beruht jeboh offenbar auf einem Jrrtum; denn glei im erften Quefito des I. Buches bezieht
Tartaglia fi) ganz unmittelbar auf das bem Herzoge von Urbino i. J. 1537 gewibmete Wert und
läßt den Herzog jelbit feine Fragen i. I. 1538 zu Benebig ftellen.
598 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
über Geſchütz- und Befejtigungstunde an den Verfafler richtet, war jener aus-
gezeichnete Artilleriegeneral Karls V., der nad) dem Falle von Rhodos bei jeinem
Herrn Malta für den Joharnmiterorden als Reſidenz erwirttee Giulio Savor—
anano jchrieb die Riposta ragionata, eine Befejtigungslehre, deren Handichrift
die ambrofianijche Bibliothef bewahrt. Alberghetti ijt der Name einer Familie
von Geſchützgießern, die jeit dem Beginn des 15. Ihdts. zu Venedig tätig war.
Derjenige, von dem hier die Nede ijt, war wohl Vorfahr der gleihnamigen
venetianijchen Kriegsichriftiteller, deren einer, Giujto Emilio, im 17. Ihdt. über
Artillerie, der andere, Ghismondo, im 18. über Befejtigungstunjt jchrieb.
Das 1. Buch handelt delle tiri et effetti delle artiglierie
secondo le varii elevationi et secondo la varia positione delle
mire (Bijier und Korn) et altre sue particolarita. Es umfaht
30 Dialoge.
1. Der DQuadrant und das Verhältnis der Wurfweite zum Erhöhungswintel.
Wenn Tartaglia auf die Erfindung des Quadranten Anjpruch erhebt, jo bat er
Unrecht; denn das Inſtrument wurde bereit8 1450 von dem Deutichen Purbach
hergejtellt und von M. Mercz beiprodhen. [Siehe auch ©. 606.) 2. Die Wirkung von
Geſchoſſen gegen Ziele auf ebener Erde und gegen höher jtehende Ziele. 3. Beweis,
daß die Flugbahn der Kugel keine gerade Linie jein fünne, abgejehen von dem
alle, daß fie jenfreht in die Höhe geihoflen werde. 4. Warum der zweite, aus
demjelben Rohr unter ganz gleichen Umjtänden abgegebene Schuß eine größere
Tragweite habe, als der erjte. 5. Warum fernere Schüffe, falls das Rohr fich
nicht abkühlen könne, geringere Tragweiten ergäben. 6. Der Effelt einer Ver—
mehrung der Ladung. 7.—10. Die Beziehungen der Vijierlinie zur Seelenachſe,
insbejondere die Richtungsfehler, welhe aus mangelhafter Übereinjtimmung beider
Linien hervorgehen und zum Teil faljcher Anbringung von Vifier und Korn,
zum Teil fehlerhafter Konzentrizität der Seele oder der Auhenwand des Gejchüges
entipringen. 11. Länge, Yadung, Tragweite und Gewicht der Stüde. 12. u. 13.
Beitimmung der für den Weitſchuß günftigiten Rohrlänge und des beiten Ver—
hältnifjes diefer zur Ladung. 14. Die Erweiterung des unteren Teils der Seele
al® Zaderaum. 15. Einfluß, den Maſſe und Gejchwindigkeit der Projeltile auf
ihre Wirkung haben. 16. Einflug, den Majje und Feſtigkeit der getroffenen
Segenjtände auf die Wirkung des Stoßes haben. 17. Das Vernageln der Ge—
ihüge und andere Mittel, den Feind am Gebrauche feiner Stüde zu hindern.
18. u. 19. Die Verminderung der Durchichlagstraft der Geſchoſſe gegenüber einem
allzunahen Ziele und Bejtimmung der Dijtanz, auf welche man die größte Ein—
dringung erzielt. 20. Die Vorſchläge (Pfropfen) des Pulvers und der Slugel.
21. u. 24. Das Heftige Einjaugen der Luft durch abgefeuerte Geſchütze. 22. Die
Urjahen des Springens der Gejhüge. 23. Die Unterfuhung neuer Stüde in
Bezug auf ihre Brauchbarkeit. 25.—28. Der Einfluß der Erhöhung oder Er—
niedrigung des Ziele auf das Richten, fpeziell der Handfeuterwaffen. 29. Warım
das Zielen auf ein nahes Objekt zuverläffiger ijt, als das auf einen fernen Gegen—
ſtand. 30. Die Unregelmäßigfeiten im Schuſſe der Handfeuerwaffen.
1. Die Zeit Kaijer Karla V. 599
Das 2. Buch führt den Titel: Della differentia che occorre
fra i tiri e gli effetti fatti con balla di piombo, di ferro ovvero
di pietra, con altre particolarita circa la proportione, peso et
misura delle dette balle. &s bringt 12 Queſiti.
Davon behandeln 1. und 2. den Unterjchied der Tragweite bleierner und
eiferner Geſchoſſe bei gleicher und den bei einer ihrem Gewichte proportionierten
Yadung — 3. und 4. den Unterjchied der Tragweite eijerner und jteinerner Kugeln
bei gleiher Yadung und den bei ihren gebräuchlihen Yadungen (nämlich */s des
Gewichts der eifernen, Ys des Gewicht der fteinernen Kugel) — 5. und 6. den
Unterjchied der Durchſchlagskraft eiferner und fteinerner Kugeln — 7. die Urſache
des Unterjchiedes in der Stärte des Pieifens der Kugeln — 8. den Einfluß der
Dichtigkeit des Projektild auf die Tragweite — 9—12. da8 Verhältnis von Durch—
mejjer und Gewicht der Kugeln.
Das 3. Buch handelt delle specie di salnitri et delle varie
compositioni della polvere, et altre particolaritä. Dies Bud)
jegt in 10 Bwiegejprächen auseinander:
1.—3. Daß der Salpeter ſchon im höchſten Altertum befannt war u. zw.
auch als Zündkörper, nit nur ala Heilmittel. 4. Zufammenjegung und Ber-
brennungstheorie des Pulvers. 5. Die Erfindung des Pulvers und die verſchiedenen
(—23—) Miſchungen, welche man von der eriten Entdedung bis zur Mitte des
16. Ihdts. angewendet hat. 6. und 7. Die beite Pulvermiſchung. 8. Den
Irrtum, den man begehe, wenn man für die verfchiedenen Arten der Gejchüge und
Handfeuerwaffen verjchiedene Pulverjorten anmwende. 9. und 10. Die Körnung
des Pulvers und ihre Notwendigkeit für die Ladung der Handfeuerwaffen.
Dies iſt der Inhalt der auf Balliftif und Artillerie bezüglichen
3 Bücher der Quesiti et inventioni. Die anderen 6 Bücher handeln
von Fortifikation, Mechanik, Arithmetif, Geometrie und Algebra.
Der Hauptwert von Tartaglias Arbeit liegt in deren bak
liſtiſchen Kapiteln, namentlich aljo in den beiden erjten Büchern.
Alle Büchjenmeijter oder Mathematiker, welche bisher über dieje Dinge
gedacht, hatten angenommen: jedes Gejchoß flöge im gerader Linie,
bis die ihm mitgeteilte Kraft erlöfche, worauf es jenfrecht zu Boden
falle. Einer ähnlichen Anficht huldigt auch Tartaglia noch in jeinem
eriten Werke; denn in diefem fonjtruiert er die Flugbahn aus
drei Teilen, in deren eritem mur der Stoß durch das Pulvergas,
in deren zweitem Stoß und Gravität gemeinjchaftlich, in deren drittem
nur die Schwerkraft wirfe. Demgemäß bejtehe die Flugbahn aus
emer horizontalen Linie (motus violentus), dann aus einem flachen
Kreisteil (arcus mixtus) und endlic) aus einer Senfrechten (motus
600 Das KVI Jahrhundert. II. Waffentunde.
naturalis). Weiteres Nachdenken überzeugte ihn jedody von der Unhalt-
barfeit diejer Vorjtellung, und in den Quefiti erklärt er, daß die Flug—
bahn des Gejchojjes nirgends gerade jet, auch nicht unmittelbar
nach dem Verlaſſen des Rohres. Der Widerjpruch, den dieſe Be
hauptung erfuhr, Elimgt deutlich wieder in dem dritten Dialoge des
1. Buches der Uuejiti, wo er dem Herzoge von Urbino in den
Mund gelegt ift. Diejer kann fich durchaus nicht denfen, daß das
Geſchoß nicht wenigjtens anfangs, etwa 200, 100 oder wenn dem
Tartaglia auch das noch zu viel erjcheine, doch etwa 50 Schritt
geradeaus flöge, und als der Mathematifer darauf beiteht, daß Die
Flugbahn auch nicht einmal einen einzigen Schritt lang geradlinig jet,
erflärt er das für ertravagant (pacia). Tartaglia aber jet ausein—
ander, daß das Gejchoß gleichzeitig dem gegebenen Stoße und der
Schwerkraft folgend, fich in eimer Curve fortbewege, die den Teil
eines Kreisbogens bilde, deſſen Tangenten einerjeit3 die Viſierlinie,
andererjeits die Senfrechte jeien. Sind dieje Vorjtellungen nun auch
noch dunfel und unrichtig genug und werden ſie überdies mit eimer
Menge abjoluter Irrtümer verquict (wie denn Tartaglia 3. B. ans
nimmt, daß der Widerjtand der Luft mit der Gejchtwindigfeit des fie
durchjchneidenden Körpers ab nehme), werden jie endlich in einer Sprache
vorgetragen, die in mathematiſch-phyſikaliſcher Hinficht noch jo arm
und ungewandt it, daß jie den Gedanken oft mehr zu verjchleiern
al3 zu erläutern jcheint, jo bedeuten jene Ideen doc) injofern einen
wejentlichen Fortjchritt, als fie den Begriff der Kurve in die Vor:
jtellung von der Flugbahn einführten. — Kaum weniger wichtig ijt
Tartagliad Entdedung, daß die günjtigjte Elevation für den
Weitwurf die von 45° jet. Er hatte bemerkt, daß die Tragweite
von dem Neigungsmwinfel O9 bis zu dem von 90° anfangs zunehme
und jic) dann wieder vermindere und daraus jchloß er, daß die
günjtigite Elevation genau zwijchen der Senfrechten und der Horizontalen
ltegen müſſe. Zum Winfelmejjen dient ihm jein Quadrant: zwei
Lineale, die durch emen Viertelkreis verbunden find, der, jtatt in
90 Grade, in 12 Divijionen zerfällt, deren jede wieder 12 mal
geteilt it. Das eine, längere der Lineale wird in die Mündung des
Geſchützes gejchoben, und der bleibejchwerte Faden, welcher von der
Winfelipige auf die Streisteilung herabfällt, marfiert den Winfel, den
die Seelenachje mit der horizontalen bildet. Um zu unteriuchen, ob
1. Die Zeit Kaijer Karls V. 601
Seelenachje und Rohrachje zujammenfallen, bedient ſich Tartaglia des
Barallelbalfens. — Er zuerjt unterjchied bejtimmte Arten der
Schüſſe: Viſier-, Kerns, jteigender und fallender Schuß und betonte,
dak man zur Erreichung verjchtedener Zwecke auch verjchiedener Flug—
bahnen bedürfe; er kennt auch den indireften Schuß, für den er
die Anwendung von Kammergeſchützen vorjchlägt.
Tartaglia jtellte ferner fejt, dal die Fallkraft getworfener Körper
mit den Neigungswinkeln abnehme und exrperimentierte über den Ein-
fluß des Gejchoßgewichtes auf die Schußweiten. Er berechnete den
Durchmefjer gegebener Kugeln verjchiedenen Stoffes durch das kubiſche
Verhältnis (Quesit. 12), und daraufhin legte er Diametertabellen
von 1 Bid. bis 200 Pfd. an, welche für Artilleriiten und Geſchütz—
gieger um jo wertvoller waren, al3 der Kugeldurchmeſſer zugleich die
Metalljtärfen an Stoß und Mündung der Rohre bejtimmte (1: 1 und
1:0,5). Die Heritellung diejer Tabellen, nicht die Erfindung des
Kalibermaßſtabs ift Tartaglias Werk; der Maßſtab war vielmehr
ſchon ſechs Jahre vor dem Erjcheinen der Queſiti von Georg Hart:
mann in Nürnberg bergejtellt worden [S. 605].
Tartaglia meint, daß bei gleicher Ladung der zweite Schuß
weiter trage wie der erjte, weil bei dieſem die Kugel erit Bahn machen
müfje in der Luft; nachher aber wirfe die warm werdende Büchie
wie ein Schröpffopf und jauge den Dampf (das Pulvergas) ein, jo
daß ſpätere Schüfje geringere Tragweite hätten. |
Zum Beweis dafür berichtet er: „Daß auf eine Zeit etliche große ſtück los—
geihofjen werden; unterdejien ſei eyn hund herzugelauffen vnd Habe jeine
ihniehje (Schnauge) in das eine noch heiße jtud gejtedt, da Habe die hige dem
bunde den fopfj ins Rohr gezogen, daß der hund beinahe erjticdet jey und man
ihn mit großer mühe von dem jtude wegreißen müflen“. (Verdeutſchung Reiffs.)
Ber zu langem Rohr gehe die Kugel, der vermehrten Reibung
wegen, fürzer. Vermehrung der Ladung jteigere die Schußweite,
jedoch nicht proportional; denn bei zu jtarfer Ladung wirfe das ver:
brannte Pulver zunächit auf das noch umverbrannte, jtatt direft auf
das Geſchoß. Sei alles Bulver verbrannt, bevor die Kugel das Rohr
verlaffen, jo jet dies zu lang; werde ein Teil des Pulvers unverbrannt
binausgeworfen, jo jei die Seele zu furz.
Indem Tartaglia von Berthold Schwarz’ Erfindung Tpricht,
erflärt er fich gegen die allgemeine Anjchauung, dat Diejelbe dem
602 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
Zufall zu verdanken jei, hält fie vielmehr für das Ergebnis jorg-
fältigen Nachdenfens und jchreibt jie dem Archimedes zu. Die
beiten Bulverrezepte find ihm zufolge:
für grobes Gejhüg für mittlere® für Handfeuerwaffen
Salpeter 50 66,7 83,4
Schwefel 33,3 20,0 8,3
Kohle 16,7 13,3 83
Den Verbrennungsprozeh des Pulvers denft Tartaglia
ji) derart, daß das Feuer zunächit den Schwefel ergreife, der mit
heller Flamme brenne; Ddieje verjege dann die Kohle m Glut, und
dieje Glut werde wieder angeblajen durch den Wind (Gas), den der
num ebenfalls vom Feuer ergriffene Salpeter (welcher vollitändig und
ohne Rückſtand verzehrt werde), plöglich und gewaltjam erzeuge. Jener
Wind aber jet es, der die Kugel in Bewegung jege, und darum hingen
vom Salpeter vorzüglich Kraft und Tugend des Bulvers ab, während
die beiden anderen Stoffe nur dazu dienten, den Salpeter zu entzünden
und daher möglicherweiie durch andere Ingredienzien erießt werden
fönnten.
Tartaglias Lehren waren der Gegenjtand eifriger Meinungs
jtreitigfeiten jeiner Zeitgenoffen und wurden von den Artilleriiten um
jo hartnädiger angefochten, als ihr Urheber nicht zur Zunft gehörte.
Mit Vorliebe wählten jcholajtiiche Dialektiker jerne Thejen zu Thematen
afademiicher Difputationen, ohne doc) die Sache zu fürdern!). Durch
jechzig Jahre wurden feine Schriften immer aufs neue aufgelegt: die
Nova scientia 1550 und mit den beiden Ergänzungsbüchern su’ tiri
dei canoni e dei mortari und fuoci artificiali i. 3. 1562, beide
male zu Venedig. Die Quesiti erichtenen ebendort 1550, 1560, 1562,
1583, 1606 und zu Garpi 1620. — Bon der Verdeutſchung Tar—
taglias durch W. Reiff 1547 wird jogleich näher die Rede jein; eine
ſpaniſche Bearbeitung findet jich in des Don Diego de Mlaba y
Viamont Wert [$ 62], welches die tablas para tirar de Nicolo
Tarsalla abdrudt; auch) eine englische Übertragung erichien noch im
16. Shot. als Colloquies concerning the art of shoeting in great
and small pieces of Artillerie (s. l. e. a.), eine franzöjijche als
Recherches et inventions i. 3. 1656. Eine zweite franz., von ein-
jichtigen Anmerkungen begleitete Überjegung der beiden eriten Bücher
I) Bol. über Tartaglias Wert Hape: Etudes III, 283 ff.
1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 603
der Nova scientia und der eriten drei Bücher der Quesiti hat
Rieffel veröffentlicht unter dem Titel: La ballistique de Nic.
Tartaglia ou recueil de tout ce que cet auteur a &crit touchant
le mouvement des projectiles et les questions qui s’y rattachent.
(Paris 1846.)
Unglüdlicherwetje war gerade der bejte Teil von Tartaglias
Werfen, die Quesiti, jo ſchwer verjtändlich, daß Leſer, Überjeger und
Bearbeiter ſich wejentli) an den Inhalt der Nova scientia hielten,
deren balliſtiſche Vorjtellungen jo weit Hinter dem des jpäteren Werkes
zurüdblieben. Dies tritt jchon bei der nur ein Jahr nach dem Er-
Icheinen der Quesiti erfolgten Berdeutjchung hervor, welche Walter
Keiff (G. Rivius) veranjtaltete umd in jein bereits [$ 20] erwähntes
Kompendium, u. 3m. vorzugsweile in dejjen II. Buch, die „Geo—
metrijhe Büchſenmeiſterey“, aufnahm.
Bezeichnend iſt der Zufaß des Titeld: „Desgleihen in Teutſcher Sprad
noch nicht gelefen oder gejehen worden.” Reiff läßt dabei dahingejtellt, ob man
es in einer anderen Sprade bereit3 leſen fünne Grit Dilih wies dann in
jeinem „Kriegsbuche“ I, 144 [X VII. a $ 31] darauf hin, daß Reiff jeine geometrijche
Büchfenmeijterei aus dem Italienischen entlehnt habe. Übrigens nennt Neiff den
Zartaglia in feiner Vorrede als einen Autor, den er benutzt habe, doch jagt er
nicht, daß er ihn jchlichtweg überjegt habe. Darauf haben wohl zuerft Käjtner
und Geuß in Böhm! Archiv aufmerkſam gemadt!).
Die Geometrijche Büchjenmeijterey des Gualtherus Nivius zerfällt
in vier Teile. — Der 1. und 2. Teil bringen die „Eygentlicdhe
Untterrihtung, wie eyn yedes Geſchos oder Ror Eleiner
oder großer Büchſen auff eyn gewijjen ſchuß zu richten
vnd die eygenjchafft, natur vnd jterfe oder nachlajjen eyns yeden
ſchuſſes im mancherley richtung vnd ladung aus geometrijchem grund
zu erjuchen.“ Dieſe beiden Teile find eine einfache Überjegung des
1. und 2. Buches della nuova scientia des Tartaglia. Neiffs dritter
Teil führt den Titel: „Grund vnnd Fundament der bewegung
gleichlich jchwerer Cörper, daraus man durch new erfundene
Inſtrument em yedes gejchojs, Nor und Morjer, nit allein künſtlicher
vnd gewiſs zurichten, jondern auch eins yeden gejchojs art vnd eygen—
Ihafft, jterde und gewalt des tribs auff yede richtung grumdliche vrſach
1) Anmerfungen aus ber Geich. ber Geſchützkunſt (Böhms Arch. V, 224) und Zuſätze zu einer
Artilleriebibl. (ebb. VI, 207).
604 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
erfaren vnd den vnterjchted im rechter proportion zu vergleichen.“
Diejer Teil iſt das 1. Buch der Quesiti, jedoch unter Auflöjung der
Dialogform. Ebenjo iſt das 2. Buch der Quesiti behandelt, welches
bei Neiff als vierter Teil der „Büchjenmeijterey* den Titel führt:
„Bon fünftliher vergleichung der ſchüß in mandherley unter:
Ichtedlicher ladung vnd matert der büchjenfugel.“ — Auch mehrere
der fortififatoriichen Abjchnitte von Neiffs Werk find Überjegungen
aus Tartaglia, worauf noch näher einzugehen jein wird [$ 114], und
der legte Hauptabjchnitt jeines gejamten Kompendiums: „Bon rechtem
Verſtandt, Wag vnd gewicht“ it das 5. Buch der Quesiti.
Während Neiff ſich das fremde Gut mit jo köſtlicher Naivetät
aneignet, daß er jogar nicht einmal die italientiche Gejchüßtabelle
durch eine deutjche erjegt, jpricht er jeinem Landsmann, dem Franken
Hartmann, die Erfindung des Kaliberjtabes ab und jchreibt fie dem |
„Nicolao Tartalea von Briren“ zu. |
Die Mehrzahl der artillerijtiichen Werfe, welche bis gegen Ende
des 17. Ihdts. veröffentlicht wurden, find von Tartaglias balliſtiſchen
Anjchauungen erfüllt. Santbech [$ 49] verjucht freilich im 6. Ab-
jchnitte jeiner Problematum astronomicorum et geometricorum
sectiones VII (1561) noch die alte Borjtellung von der Geradlintgfeit
der Flugbahn fejtzuhalten, während der gelehrte Paveſe Cardanus
in jenem Werfe De subtilitate ( Nürnbg. 1550), über Tartaglia
hinausging, indem er die Gejchwindigfeit von Gejchofjfen unter Berüd:
Jihtigung des Luftwiderſtandes unterjuchte!). Solche Schriften gingen
aber ohne namhafte Einwirkung auf die artillerijtiiche Welt vorüber;
dieje jteht vielmehr bi8 zu Brauns Novissimum fundamentum et
praxis artilleriae (1682), d. 5. bis unmittelbar vor dem Auftreten
Blondels unter Tartaglias Einfluß. — Auch andere Momente der
Unterſuchungen diejes Meifters fehren immer wieder. Die Auffaſſung
von der Berbrennung des Bulvers 3. B., welche 1650
Simienomwicz, 1682 Braun vortragen, tt Diejelbe wie die der
Quesiti. — Sit Tartaglia alfo auch nicht, wie oftmals behauptet
worden, der erite Mann, welcher ſich mit der Kunſt des Schießens
unter dem mathematijchen Gejichtspunfte bejchäftigt hat (denn dieſer
ı) Cardanus fpridt in feinem II. Buche aud von den Stunftfeuern bes Marcus Graecr;
[M. 8 6). Als Pulverzuſammenſetzung feiner eigenen Zeit gibt er: 3 Teile Salpeter, 2 Kohle
1 Schwefel — ein auffallend geringes Maß von Salpeter !
1. Die Zeit Kaifer Karla V. 605
Ruhm gebührt dem Pfälzer Mercz), jo war jein Wirfen doch von
unvergleichlich größerer Folge und jichert ihm für immer einen der
vornehmſten Pläge in der Geichichte der Artillerie.
8.43.
Auc) bei den Deutjchen machte im zweiten Viertel des 16. Ihdts.
die Anwendung der Mathematik auf die Artillerie Fort:
ichritte. Ein Ordinarius der Ingolftädter Hochichule, Peter Bienewitz
gen. Apianus aus Leisnig, der Lehrer Kaijer Karla V. in der Aitro-
nomte, widmete dem Herrn Hans Wild. v. Yaubenbergk ein „Injtrus
ment=-®Bued) de novo Quadrante, de Quadrato Geometrico und
vom Meßſtab“ (Ingolitadt 1533), welches injofern hier erwähnt werden
muß, als es den Gebrauch des Duadranten und die Höhenmefjung
mittel3 Spiegelinjtrumenten erläutert. Eine Verbindung eigentlich
artilleriftiicher und mathematifcher Dinge aber zeigt fi) in des
Johannes Dilgers „Püchſenmaiſterey Puechl“, welches leider
nicht ganz volljtändig erhalten it.
Das Bruchſtück findet fi in einem Sammelcoder der Wiener Hofbibliothet
(Nr. 12468) hinter einer Folge von jehr viel älteren bildlihen Darjtellungen von
Geſchützen, Werkzeugen und Gebäuden (darunter interejjante Burgen). Der weitere
Titel, der den Inhalt präzifiert, lautet: „Nach geometrijhem Grund bejchrieben
vnd wared Eremplum dargethan, wie ein Jedtweders Studh Püchſen jol künſtlich
geriht und gwiß daraus gejchofjen werden. Mit ſamt beygelegtem Inſtrument
oder Duadranten. — Vnd wie man die Feuerkugeln zum Ernſt bereiten, werfen
vnd ſchießen joll. Item auch, wie ein jedwedes Stud nad) der Kuglgröß ausgetailt
vnd gemadt vnd was es koſt“.)
Eine praftijche Anwendung der Mathematik, welche, der Artillerie
ganz ausjchlieplich zugemwendet, von großer Wichtigkeit geworden ijt,
war die Erfindung des Kaliberjtabes (BVijierjtabes, Artillerie
maßjtabes), welche um 1540 von Georg Hartmann zu Nürnberg
mitgeteilt wurde?).
1) über die Herftellungskoften der Geſchütze finden fich in der ſchönen Erlanger Ab.
ihrift von Cleves ſtriegsbuch [S. 341] ebenfalls interefiante Angaben in einem Anhange: „Was
5 buppel Gartaunen, 12 Gartaunen, 8 jchlangen, 4 duplete jchlangen und 24 Falconetlein fupffer v.
metall, gießen, beichlagen v. eyſſenwerch geftehen wurt”.
2) Hulfius: Ander Tractat der mechaniſchen Injtrumente (Frankfurt a. M. 1603). Vossii
de universae mathesios natura et constitutione liber (Amifterdam 1650). Doppelmanr:
Hiſtor Nachrichten von den Nürnbergifhen Mathematicid und Künftlern (Nürnberg 1730). — Eine
Unleitung zur Berfertigung ber Kalibermaßftäbe gab jpäter u. a. Struenjee in feinen „Anfangs
gründen der Artillerie” (Leipzig und Liegnig 1760).
606 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
Hartmann war 1498 zu Eggolzheim im Bambergiichen geboren, batte um
1510 zu Köln Theologie und Mathematik jtudiert, Jtalien bereit und fich dam
als Vikar in Nürnberg niedergelafien, wo er ſich vorzugsweiſe mit der Verfertigung
mathematischer Inſtrumente bejchäftigte und 1564 jtarb. — Der Kaliberjtab ii
ein metallener Maßſtab, auf welchem die Durchmefjer der jteinernen, bleiernen und
eiſernen Kugeln von 1 Quentchen bis 100 oder 125 Pfund angegeben jind. Er
diente dazu, den Bohrungsdurchmeſſer der Geſchütze, ſowie den Durchmefler der
Kugeln von befanntem Gewicht, oder, wenn man den Durchmeſſer kannte,
deren Gewicht zu bejtimmen. Dieje »Scala librarum« verwandelte aljo das Ab-
wägen in ein bequemeres Abmeſſen. Der Mapjtab gibt übrigens den Spiel:
raum für alle Kaliber proportional, wodurd er für die großen zu groß wird.
Hartmann legte jeinem Stabe Nürnberger Maß und Gewicht zu Grunde, und
daher find, abgejehen von Tranfreih und England, wo das Inſtrument niemals
rehten Eingang fand, fajt in allen europäijdhen Artillerien Nürn-
berger Maß und Gewicht auf lange Zeit Hin herrſchend gewor—
den; denn man übernahm den Maßſtab ſchlichtweg jo, wie ihn der alte Bilar
an der St. Sebaldustirche hergejtellt Hatte.
Für jedes Kaliber wurde eine bejondere Ladejchaufel (lanterne)
fonjtruiert, welche gewöhnlich aus Kupfer gearbeitet und derart ein—
gerichtet war, „daß deren jeder einen Schuß Pulver jajje, damit man
in der not (in der Eile) fürderlic laden fann.“
Sache des fundigen Büchſenmeiſters blieb es dabei doch, je nad) der Eigen:
ihaft des Pulvers und der ind Auge gefaßten Entfernung die Ladung zu mehren
oder zu mindern.
In der mannigfaltigiten Weile wurde von den Gejchügmetitern
auch der Quadrant variiert, der ja jchon während des 15. Ihdts.
allgemein bei der Gejchügbedienung im Gebrauche gewejen war.
Marimilian I. erfand, wie aus feinem „Memorienbuche“ [5.418] ber-
vorgeht, einen neuen Quadranten „mit dem Kreuze“ und ließ ihn durch jeinen
Beugmeijter in 20 Eremplaren beritellen.
Der Duadrant diente jowohl zum Aufjuchen der wahren Mittellinie eines
Geſchützes, als auch dazu, den Richtwinkel beim Schießen zn bejtimmen. Das
„Suchen des Mittels“ gejhah früherhin in der Weije, daß man die beiden höchſten
Punkte des Metalld durd) Kreide oder mit der Feile markierte und dann auf den
Kopf oder (falld man weit jdießen wollte), auf die Frieje ein Vergleichskorn jegte.
Saß das Korn auf dem Kopfe, jo legte man hinten auf die höchſte Frieſe beide
Daumen gegeneinander und vifierte nad dem Ziele; dann jtand das Gejchüs
zum Kernſchuß bereit. — Für nähere Entfernungen machte man das Korn böber,
für weite niedriger, und um Bogenjchüfle zu tun, nahm man Aufſatz. Bediente
man jich hierzu des Quadranten, jo bedurfte man nod) einer Gradtafel. Es galt
aber für eine bejonders feine Kunjt, de Quadranten entraten zu fönnen. — Im
Jahre 1507 fand z. B. zu Nürnberg ein Preißſchießen ftatt, bei dem man, der
1. Die Zeit Kaijer Karla V. 607
Verordnung gemäß, „ohne allen Aufjat ſchießen jolle, auch ohne Quadranten,
jondern nur mit einem jchlidhten Abjehen: hinten ein Hölzlein und vorn ein
Wächslein auf die Büchſen zu jegen.“')
Vornehmlich von der Gejchügbedienung handelt eine Handjchrift
der fal. öff. Bibliothek zu Dresden ($. 114), welche der erjten Hälfte
des Ihdts. entitammt und den Titel führt „Buch von der Arttlarey“.
Das Erdfinungsbild jtellt einen Büchſenmeiſter am Geſchütze dar,
neben ihm die Perjonififation der Artillerie: eine Yrau mit Federhut, Maßſtab
und Bulverflaiche. — „Die hebet ſich ahn das Buch von der Wrtlarey, d. i. vom
Schießen aus jeglider Buchſſen, von der größten bis auf die Hleinite,
namlich wie iglicyer ir Quadrant oder Verhöhung aufgejegt ſol werden.“ — Die
aufgeführten Gejhüge find: Singerin, Quartana, Nottſchlang, Schlange, Feld—
ichlang, Falcuna, Scerpfentin, Doppelhaden, halbe Baden, Zielbüchſe, Fuhr—
büchſe. — Bon nötten ijt, daß iglicher Büchjfenmeijter wiſſen fol, wieuiel Pul—
wer er igflicher Büchſen laden fol, mit dem Eirfel, dieweil man aus einer Büchjen
jtein, bley oder eijen ſcheußt; es wil das dreyen iglich& feine eigene ladung
baben, wiltu ander einen gewiſſen ſchuß thun. Wan das Bley ift ſchwerer dan
das Eijen, das Eiſen ift ſchwerer dan der Stein; jo fahren iglicher höher ala das
ander. Der Stein, als das geringjte, feret weitter wann das eijen, das Eijen
feret weitter ald da Bley u. j. w.“ — An die Einleitung reihen jih dann fol-
gende Abjchnitte:
1. Bon der Ladung igklicher Büchſen, wie man die mit dem Zirdel
finden jol.
2. „So du haft ſchießen aus igfliher Buchjen mit einer fugell, ſzo
will ich dir offenbaren, wie du ein Hagelgeſchoß aus einer großen Buchſſen
ichjeßen vnd mit welchem vorteil du das laden ſolt.“ (Die Ladung gejchieht derart,
daß erjt dag Pulver, dann die Kugel, dann ein eichener Klotz, dann Kießling oder
bleierne Handrohrkugeln geladen werden. Ebenjo mag man auch aus Handrohren
Hagel ſchießen.)
„Item, wann du drei Schüfje auß einer fhlangen oder handt—
buchſſen jchießen wilt, jo lade die Buchje aljo, jo nimmt man lengliche (cylin-
driiche) Kugeln, die durchbohrt find.” Durd; Zündichnur verbunden, werden drei
Ladungen in die Büchſe gebracht u. zw. am Stoß eine von Riſchpulver, dann
das Geſchoß, dann eine Schicht Faulpulver, dann Rifchpulver, darauf das zweite
Geiho u. f. w.
3. „Fußeiſen zu jhießen aus einer Buchſen (Mörfer) in einen Graben,
jo die Feinde ftürmen wollen.“ Die Ladung wird mit nafjem Heu verdämmt.
4. Bon Feuerwergf. — a. Öluend Kugel. (Nach der Rulverladung wird
Hader, dann Gras ind Geihüg gebracht und darauf die glühende Kugel gejtoßen.
Ebenjo bei Mörjern.) — b. Nicht jtinfende und nicht rauchende Zünditride und
Schwämme zu mahen. — c. Zündterzen u. dgl. — d. Raketen. — e. Feuer:
1) Würbinger: Sriegdgeichichte von Banern II.
608 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
pfeile. — f. Wajlertugeln. — g. yeuerräder, fliegende Drachen, Legefeuer. —
h. Srdentugeln u. dgl. zum Sturm. Eiferne Handkugeln mit Schlägen. Feuerkolben
Man fieht: es iſt nicht jowohl das ballijtiiche Element, was in
diefer Schrift im WVordergrunde der Schießkunſt jteht, als vielmehr
die Anweiſung zum Laden, und wie bei allen deutjchen Arbeiten
nehmen die Beichreibungen der verjchiedenen Gejchoffe und pyrotechntiche
Vorſchriften den meiiten Raum ein.
8 44.
Das fanonische Artilleriebuc) des 16. Ihdts., welches für Dies
Beitalter ebenjo fennzeichnend und wichtig iſt wie für das 15. Ihdt.
das alte Feuerwerksbuch, ift Franz Helms Buch von den probierten
Künsten, welches in den Jahren 1527 bis 1535 entjtand.
Man vermag die Entjtehung diejes Werkes ziemlich, gut zu ver:
jolgen. Seine vollkommenſte Ausgejtaltung liegt u. a. in einer 1585
gemachten Abjchrift der Wiener Hofbibliothef vor (Nr. 10953), auf
deren Titel „Metiter Franz Helmb von Cöllenn am Rhein,
Schloſſer und der durchl. hochgeporenen Fürjten und Herrn, der
Hertoge Ludwigen und Albrechten in Bayern Oberjter Bürenmatfter“
als Verfafjer genannt wird und in dejjen Tert es auf BI. 54 heißt:
„Dijes Werf, jo von mir Franz Helm, Burger und Schlofjfer von
Cölln a. Rh. gejammelt und... im 1527. Jahr durch meiner eigenen
Hände Kunſt angefangen worden, ilt zu Ende des 1535. Jahrs
vollendet.“
Major Toll, der zuerjt von diejer Wiener Handihrift Nachricht gab (Archiv
60. Band), meint, daß durd) diefe Notiz die Autorfhaft Helms noch keineswegs zur
Gewißheit gemacht jei; denn es könne fich leicht damit verhalten wie mit der
zweier jpäteren Artilleriften: Tegernjeers (M. ©. in Münden) und Hafjpergs
(M. ©. ehemals in Straßburg), die in ihren Büchern, welche unzweifelhaft iden-
tiich mit Helms Wert und nur durd einige Nachträge vermehrt find, auch jagen,
daß fie jolche „beraittet,“ bagl. „bejchrieben“ hätten. Indes liegt das Ding für
Helm dod anders; denn hier ijt in einer Handichrift von 1585, mit der er offen:
bar jelbjt gar nichtS mehr zu tun haben konnte, ausgeſprochen, daß er den Tert von
1527 bis 1535 gefchrieben habe; eine Aneignung kann alſo hier nicht vorliegen, oder
ift doch mindejtens überaus unwahrjheinlid. Und in der Tat vermag man
gerade für die Frijt von 1527 bis 1535 das Werk in mehreren Phajen nachzuweiſen
Wohl die ältejte Gejtalt ift diejenige, welche eine mit zwei Erem-
plaren des alten Feuerwerksbuchs zujammengebundene Handſchrift
(ms. 3) des Berliner Zeughauſes darſtellt und welche ſich noch
1. Die Zeit Kaifer Karls V. 609
jehr eng an den Inhalt jener älteren Arbeit anlehnt. Aber am
Schluß macht der Urheber der Handjchrift doch jchon jeine Autorjchaft
geltend, denn er unterzeichnet: „rang Helm von follnn am reinn,
ichloffer, puchjenmetjter vd. feuerwerfher, der in dem +42. (Rebens-)
Jar aus dem Ungarland tjt gen Langhut zu Herzog Ludwig vnd
Wilhelm und Herzog Albrechten vnd Hans von Baiern for ein büchjen-
meister gedient hat.“
Einen entjchtedenen Fortjchritt zu weiterer Selbjtändigfeit zeigt
dann ein Mipt. der Großhrzgl. Bibliothef zu Weimar (fol. 330),
das den Titel führt: „Ain ſchönes Funjtbuch, die pychjenmaijterey,
auch jeuerwerch betreffend.. durch mich Frannz Helm vonn
Kölln a. RH., fritl. Bayerijcher püchſenmeyſter allſo zuſamengebracht.“ —
Der Inhalt ordnet jich folgendermaßen:
1) Wer puchſen vnnd pulffer erdacht hatt. (Maiſter Bardolduß). 2) Wer den
puchjenmayjter die ardittelpryeff hatt aufgeryhtt und waß ſy vyer Frayhaitt
haben. (Kayjer Fryderyeuß der Drytt i. J. 1444 in 9 Artikeln.) 3) Der Aldten
puchſen mayjter Zwelf Fragſtukh. 4) Waß wejen vnd gewanhaitt ain jeder puchjen
mayjter an im fol haben. 5) Wie ein puchjenmaijter joll wyfjen, der mit puchjen
umgehtt, fie jeien groß oder clain, das eyſſen jcheußt oder pley, damit er ſich
wayß zu verhychten vnd zu halden. 6) Wie ain puchjenmaijter ſain jtufh ſoll abdailen,
damit er jol wyſſen, ob das ſtukhkugl jey dydh oder nitt. T) Daß ein puchſen—
maifter ſain ladfhauffel ſoll wyſſen abzudailen. 8) Daſs ain pucjenmaifter ſain
ſtudh mag abdailn mit ſainer ſchnur vnd prynngtt das abſehen mitt. 9) Wie
ain puchſenmaiſter ſeyn ſtukh mag abdailn mit dem ſetzkolben, daß er kann wyſſen,
wie ſeyn ſtukh geladen iſt mitt kraudtt vnd lodtt: halb kugl ſchwer mit pulffer
oder kuglſchwer gar. 10) Mitt dem ſetzkolben ſeyn ſtuckh die ladung zu geben,
das er die ladttichauffel nitt darf abdaylen. 11) Wie ain puchjenmaijter ain
Jitrament haben joll, dardurd er jeyn jtudh khann probbyrn, ob ez ain pulffer-
ſackh hab oder nitt vnnd ob das fhernenfien im jtudh vom guß gewuchen fen oder
nitt. 12) Wie ain pehimjtr jeyn jtudh joll myttellyren!) mit dem pyrlegium
der menjur (?) vnd jeyn quaderanden oder dryangl. wyß zu prauchen. 13) Wie
ain pchſinſtr ain Iſtrament Haben oder machen jol, damit er jeyn jtudh
than probbyrn, ob es grueben hab oder nitt. 14) Wan ain ſtuckh verihlagen wurdt
bey dem zynndlod von den Feyndenn, wie du es ſolſt ausſchyſſen vnnd laden.
15) Wie ain pchſmſtr. jeyn pulffer joll probbyrn. 16) Wie ain pchimitr. jeyn ſtuckh
in ainer ſchantz joll ryſten mit prugtten vnd ſchantzkherben. 17) Wie ain pchjmitr.,
dem ain pöller oder merjer vnderthenig gemacht wurdtt, wieehrn regyren jolle, es
ſey mit Eyſſen oder jtain oder feuerberg zum Ehrnnit. 18) Wie ain jedliches ſtuchh,
es jey groß oder klaynn, jein daylung mitt prynngtt aufzujegen mit dem Iſtra—
ment. 19) Wa3 ain jedliches jtudh fyer ain Daylung pryngtt, das ſtayn jcheuit,
1) D. h. die Mittellinie finden.
Jähnms, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 39
610 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
es jey groß oder klain. — 20) Bon ainer gewaldigen ſturmkhugl. 21) Wie man
ain weiljen zeug joll maden zu waſſerkhugl vnd feuerberg. 22 bis 24) desal.
25) Wie man foll ain feuerkhugl machen zum Ehrnſten, die an Dächern ſteckhen
bleiben. 26) Wie man joll an ftainnige fugl Feuerberg machen. 27) Wie man
joll fprynngentt fugl maden mit Feuerberg. 28) Wie man foll von aller farben
Feuerberg machen. 29) Was ainer auff ain jtainige Kugl jol laden von Pulffer.
30) Yin waſſerkugl zu machen. 31 bis 35) Manicherley Wafjer- und Feuerkugl
zu machen. 36) Wie man gutt feurn pfeil joll machen vnnd Rogettl (NRateten:)
zeug. 37) Rogettel Zeug zu machen. 38) Zeug zu jturmrynng oder pöchrynng
39) Confect- vnd Brandtzeug. 40) Wie ſych ayn Zeugmanfter mytt jambtt den
huchfenmaiftern aynnjt gewalttygenn ſturmbs inn ainer Bejagung gegenn jeinen
Feynnden haldenn foll.
Diefem Terte folgt ein artillerijtiihes Bilderbud von 66 Seiten
mit guten farbigen Darjtellungen, da& (zwar nicht in den Kojtümen der Figuren)
wol aber jeinem ganzen Inhalt nad in den Anfang des 16. Ihrdts. gehört
und fic den Fortſetzungen der mittelalterlichen Jfonograpbien anreibt, deren früber
gedacht mwurde.‘)
Die Weimarer Handjchrift trägt das Datum 1565. Daß dies
die Zeit der Kopie, nicht die der Entjtehung des Werkes jet, lehrt
der erjte Blid auf den Inhalt. Diejer iſt jogar jo altertümlich, dat
man eher geneigt fein wird, ihn in das zweite als in das Dritte
Dezenntum des 16. Ihdts. zu jegen. Und das wird auch wohl zu:
treffen; denn man hat es allerdings in diefem Werke noch nicht mit
dem „Buche von den probierten Künſten“ zu tun, dejlen Beginn
Helm jelbit in das Jahr 1527 jet, jondern offenbar mit einem
früheren Buche desjelben Verfaffers, das ihm vermutlich als Bor:
arbeit zu feinem jo berühmt gewordenen Hauptwerfe gedient hat.
Die erjte, allerdings noch nicht ganz reife Geſtalt, in der wir
das eigentliche „Buch von den probierten Künſten“ fennen, it Die
einer undatierten titellojen Gothaer Handjchrift (Cod. Chart. A.
p. 757). Eine Notiz des Premierlteutenants, jegigen Generals Köhler
vom Mat 1852, welche auf der erjten Seite diejes Koder jteht, lautet:
„Die Handjchrift iſt um 1525 verfaßt. Sie ergänzt die um diejelbe
Zeit gejchriebene Kriegsordnung Nickel (Michel) Ottens [$ 12] und
jcheint dieſen ebenfalls zum Berfafjer zu haben.“ Wenn nun aud
diefe Vermutung, was den Verfaſſer betrifft, nicht zutreffen dürfte,
jo fennzeichnet fie doch den Charakter und die Uriprungszeit der
1) Es ift übrigens jehr zweifelhaft, ob dies Bilderbuch urjprünglich zu Helms Tert gehört bat
oder ihm nur angebunden ift. Die der Jfonographie folgende Paraphraſe des alten Fenerwerfäbudes
bat ſchwerlich dazu gehört.
1. Die Zeit Kaiſer Karla V. 611
Handichrift überrajchend genau; denn offenbar hat man es hier mit jener
eriten Faſſung des Buches von den probierten Künſten zu tun, welche
dejjen Autor, Helm, in das Jahr 1527 jeßt. Der Inhalt gruppiert
jich wie folgt:
„Bon Salpeter. Bon Schwefel. Bon dem Pülffer. Bon den Feuerpfeilen.
Von dem yeuerwerd. Bon den Neuchen vnd Dempfen. Bon den Confortativen
der Pülffer und yeuerwerd. Von den Delen zum yeuerwerd. Von der ler vnd
Bnterweifung des geſchütz. (Geſchützbedienung, Schießkunſt, Batteriebau, Artillerie-
taftif.) Bon den Quatranten vnd ihr Vnterweißung. Allerlei Mortfeuer und
Sturmgerät.” — Soweit jtimmen Regiſter und Inhalt des Buches. Nun aber
folgt tatjählih in dem offenbar nicht vollendeten Manujfripte ein Teil des alten
Feuerwerksbuches, nämlicd) die „Zwölf Fragen“ und der nur etwas modernijierte
Abjchnitt über die moraliſche und dienftliche Haltung der Büchjenmeifter, worauf
einige gut gezeichnete Darjtellungen ziemlich altertümliher Geſchütze u. dgl. den
Beſchluß machen. Das Regijter dagegen läuft in die Überſicht der Geſchützmaſſe
aus, die zu einem Heereszuge gebraudt wird und beredynet, ähnlich wie das dem
Michael Ott i. 3.1530 gewidmete „VBerzeihnus der Arcolerey“ [S. 492] oder wie
der artillerijtiiche Anjcylag Reinharts von Solms [S. 618] Gewicht, Munition, Be-
dienung, Bejpannung und Kojten einer folchen Artillerie.
Ein Bergleich diejer Inhaltsangabe mit der der vollendeten
Faſſung des „Buchs von den probierten Künften“ zeigt, daß das
Werk in diejer Gothaer Handjchrift noch im Werden ift. Die logijche
Anordnung des Stoffes iſt noch unficher; aber die Grundlage zu
einer modernen Behandlung desjelben iſt doch gelegt, und auf diejer
baute Helm nun fort. Das Wiener Manuffript jagt, daß er jein
Buch i. 3. 1535 vollendet habe, und eben aus diefem Jahre jtammt
die Ältejte datierte und zugleich die älteſte vollitändige Handjchrift
des jpäter jo oft Eopierten Werkes: der Coder Palat. Germ. 128 der
Heidelberger Bibliothek, welcher den Titel führt: „Ein Buch
zujamen gezogenn auß vilen Brobiertten funjten vnnd
erfarungen, wie ein Zeuge Hauß jampt aller monition anheymiſch
gehalten joll werden.” — Dies Buch iſt die vollendete Ausgeitaltung
des Gothaer Manuffriptes und identisch mit dem der Wiener Hof:
bibliothek [S. 608], welches den Namen Helms überliefert, der dem
Heidelberger Codex leider fehlt. Folgendes iſt eine Inhaltsüberjicht
dieſer pfälzischen Handjchrift:
Einer theologiic gefärbten Vorrede folgt die Einleitung „Was Ordnung
vnd fleiß jih ein zeugmwart mit allem geſchoß vnd monicey auch anderem in
ein zewghauß gehörig gebrauchen joll.“ (BI. 1—8). Daran ſchließt ſich das überaus
eingehend behandelte Puluer-Buch welches von Salpeter, Schwefel, Kohle und
39*
612 . Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
den verfchiedenen Arten des Büchfenpulvers ſpricht. 6 —41). Nun kommt des
Fewerwercks-Buch. Dies handelt von den TFeuerpfeilen, von den aus Bleiden
und Schleudern zu werfenden Feuerfugeln, von Leuchtkugeln, von den jich jelbit
entzündenden Feuern, von Brandjägen, von Springfugeln (Handgranaten) von
glühenden Kugeln und von den mannigjaltigen Dlen und „Convertativen* dei
Pulvers. Letzterer Ausdrud wechſelt mit „Confortativen“, und in der Tat be
deutet er teils Stoffe, welche zum „convertieren“ d. h. zum Verändern der Farbe
des Pulvers felbjt oder feiner Flamme, teils joldhe, die zum „confortieren“, d. h.
zum Berftärten des Pulvers dienen follen. Das Pulverbuch ift der bei weiten
umfangreichite Teil des Wertes (BI. 42—131). Dann beginnt das Buch der
Bühfenmeyfterei mit den befannten zwölf Fragen und der Auseinander:
jegung „was wejens ein Büchſenmeyſter fein fol“. Daran reihen fih Vorjchriiten
über Laden, Brechelegen und „Betrugkſchuß“ d. H. jcheinbares Verſagenlaſſen der
Geſchütze, um den Feind zu unvorfichtigem Anlauf zu verloden. Ferner werden
der Gebrauch der Hagelgeſchoſſe, dad Schießen von Pfeilen und Stangen aus
Büchfen, die Treffkunſt und bejonder8 eingehend Quadrant, Zirkel, Triangel und
die Praxis des Zielen beſprochen (BI. 132—185). Den Beihluß des Wertes
macht eine höchſt interefiante „Ordnung der Wagenburg, wie man fie im
Felde fueren, ſchlagen vnd leggern ſoll“. Namentlich dies Kapitel ijt reich mit
trefflichen illuminierten Zeichnungen ausgejtattet. Aber auch fonjt fehlt es nicht
an guten Bildern, von denen zumal die das Zielen betreffenden anſchaulich und
charakteriftiich find. Außer dem größeren Biertelfreife wird dabei auch der Fleinere
Duadrant dargeftellt und erläutert, der vermittels feines Fußes und des darin
befindlichen Viſierloches auch zur Bejtimmung der Mittellinie auf dem Gejchüse
und fo zu genauer Direktion desjelben dient.
Das „Buch von den probierten Künjten“ geht von dem alten
Feuerwerfsbuche aus, entwidelt es vationell weiter und zieht Die
Summe des gejamten artilleriftiichen Willens jeiner Zeit. — Als
eine unmittelbare Ergänzung desjelben darf ein nur um ein Jahr
jüngeres Buch gelten, von dem jich em aus d. 3. 1536 datiertes
Eremplar in der Bibl. zu Weimar u. zw. in demjelben Coder Nr. 33U
befindet, der auch das oben S. 609) ausführlic) erläuterte Erſtlings—
werk Helms enthält. — Die Überjchrift lautet: „Vann mir Frans
Helm von Khölln a. Ahern, bairijcher Puxenmaiſter vnd feurberfher
fec. 1536 jar. Hie it zu wiſſen vnd zu merden, wie man ein
zewghaus vnd jambt den Werfhiteten vnd plegen vnd
gerten: als gußhauß, zimmerhauß, jchlojjerey, thijchlerey vnd jchmitten
vnd mwagnerey und gewelber, die leng vnd die weiden vnd Die
praiden vnd hohen machen vnd bawen joll“ ').
’) Eine eng verwandte Handſchrift befigt bie Großherzogl. Bibl. zu Darmitadt (Mr. Frei.
1. Die Zeit Kaifer Karla V. 613
Das Bud) Hat die Form eines Berichte an den Fürſten und macht genaue
Angaben über die baulihe Anlage und innere Einrichtung eines Zeughauſes,
wobei nit nur die Aufjtellung der einzelnen Gegenjtände, jondern, der Raums
berehnung wegen, meijt auch ihre Maße und ihre wünfjchenswerte Zahl mit-
geteilt werden: von den Munitionsbejtandteilen an bis hinauf zu den Sciff-
brüden. — Ws Zeugmeijter folle man einen kriegserfahrenen landſäſſigen
Edelmann bejtellen, als Zeugmwart einen Kriegsmann, der als Büchjenmeijter
gedient und auch in Schanzen gejchoffen habe. Der Zeugwart ſoll „Löjen,
ihreiben vnd Rechnen khünden; dann an ainem Zeugwart viel gelegen ijt vnd er
mer dann ain Zeugmaifter willen muß“.
Die Helms jcheinen eine echte Artilleriftenfamilie gemwejen zu
jein. Gerade fünfzig Jahr nach Abfaffung des Zeughausbuches,
aljo 1. 3. 1586, wurde „der Oberbüchjenmeilter Hang Helmb*
(vielleicht der Sohn des Franz) vom Herzoge von Bayern beauftragt,
eine Injtruftion für das Zeugmeiſteramt zu entwerfen !). Diejelbe
tt noch vorhanden und lehnt ſich ganz unmittelbar an die eben
bejprochene Schrift Franz Helms von 1536 an.
Das „Buch von den probierten Künſten“ Löfte das alte Teuer:
werfsbuch als Reglement und Kanon der zünftigen Artillerijten ab
und beherrfchte ihre Streije bi8 gegen Ende des 16. Ihdts. — Teils
in dem Umfange und mit dem Inhalte, wie e8 in der Heidelberger
Handichrift von 1535 vorliegt, teild unter Hinzunahme der Abhand—
lung vom Zeughausbau aus d. 3. 1536, teil® auch unter Heran—
ziehung eines oder des andern Abjchnittes aus Helms altem. Kunjt-
buch (Weimar), teils endlich mit Zujägen jpäterer Abjchreiber und
Redaktoren — jo findet es jich in ungewöhnlich großer Zahl mannig-
fach von einander abweichender und doch wieder in allem wejentlichen
übereinftimmender Eremplare durch ganz Deutjchland zerjtreut. Viel—
leicht ijt die Mehrzahl davon noch heut in Privathänden, und Die
nachfolgenden, öffentlichen Bücherjammlungen angehörigen Abjchriften
bilden nur einen Teil der wirklich vorhandenen Kopien.
Wohl nur wenig jünger als die Heidelberger Handſchrift ijt ein Exemplar
der Kgl. Bibliothek zu Berlin (ms. germ. fol. 487), in das ſich Andr. Preg—
niger, Studgießer zu Culmbad) n. Chr. 1546 als Eigentümer eingejhrieben hat.
— Die öffentlihe Bibliothef zu Dresden bejigt zwei jchöne Abjchriften von
1560 (E. 115 und 118), eine von 1577 (EC. 421), fowie ein undatiertes Eremplar
(E. 364). — Ebenfalld die Jahreszahl 1560 trägt eine Kopie der Münchener
1) Würdinger: Franz Albr,, Frhr. v. Eprinzenftein. (Verhandlungen des hiſtor. Vereins
für Niederbayern. Bd. XXIV, Heft 3 und 4.)
614 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
Hof: und Statsbibliothel (cod. gerin. 3672); eine andere, welde ſich dort in
einem Sammelcoder (Nr. 3673) befindet, ift drei Jahre jünger. — Ein aus alt:
bayeriſchem Beſitze jtammendes Eremplar von 1561, ein minder qute® von 1587,
jowie ein undatierte® bewahrt die großherzogliche Bibliothef zu Weimar (fol.
329; qu. 344; fol. 331). — Eine Abſchrift von 1563 „Herrn Albredt v. Rofien:
berg zugehörig“, findet fi in der Bibliothek zu Karlsruhe (Durlah 221). —
Die Bücherei des Berliner Zeughaufes bejigt eine bejonders interefiante Ab-
ichrift (ms. 14), die der Gerichtäprofurator Lengius 1574 dem Junfer rd. Albr.
v. Heſſenburg, würzburgiſchem Rate, zueignete, wobei er die alte Vorrede repro-
duziert und dann angibt, daß dies Eremplar aus dem Bejige jeines Schwager:
jtamme, der Fähnrich geweſen jei und dem es „jein General Obrijter, Herr Niclas
Graf von Serin“ (Zrin d. i. Zriny) in Szigetd zum Geſchenk gemacht habe. Es
ift eine vorzüglice Kopie; eine der illuminierten Zeichnungen, die das Schleudern
von Stinffäjlern darjtellt, bringt auch nod) einmal das Bild einer Bleide. Ein
zweites Eremplar (ms. 12) ijt derjelben Sammlung als Geſchenk des Prinzen
Karl von Preußen zugewacjen ; ein dritte® Eremplar des Zeughaujes, in einem
aus der Wolkenjtain’schen Bibliothef jtammenden Sammelbande (ms. 10), ijt un-
vollftändig. — Eine Abſchrift ohne Bilder enthält der Cod. palat. germ. 135 zu
Heidelberg. — Drei Eremplare, eins von 1584 und zwei undatierte, bejigt die
Bibliothek Hauslab (jet Liechtenftein) zu Wien. Die datierte Kopie bat
feine Illuſtrationen, enthält aber „die gejchriebene Articul der Büchjenmaniter
Freijhaitten“ und die „Privilegien Kaiſer Friedrihs III.“ aus Helms altem
Kunſtbuche. Ebenfalls aus d. 3. 1584 rührt die erjte Bearbeitung des Wertes
her, welche ji von Chriſtoph Tegernjeer in der Hof: und Statsbibliothef zu
Münden findet (cod. 3676). Ihr reihen jich dort noch vier andere von dem:
jelben Meijter aus den Jahren 1585, 1586, 1595 und 1598 an. (Cod. germ.
3677— 3679 und 3682). (Bergl. weiter unten!) — Vom Jahre 1584 jtammt ferner
ein Eremplar der Kgl. Bibliothef in Stuttgart (Milit. fol. no. 8), die aud
no eine Kopie von 1594 (Milit. fol. no. 7) ohne Zeihnungen und ohne Ab:
handlung über die Wagenburg und ein undatiertes Eremplar bejigt (Nr. 23).
Im Kupferjtihlabinet zu Berlin findet fich ebenfalld eine Abſchrift von 1584.
— Wohl aus derjelben Zeit rührt eine undatierte Bearbeitung der Wiene:
Hofbibliothet Her (Nr. 10935). welche die Abhandlung von der Wagenburg fort:
läßt, dafür jedoch ausführlicher vom Belagerungstriege [handelt u. zw. mit aus
drüdlicher Hindeutung auf die Türfengefahr. — Undatiert find aud die Eremplare
im Germaniſchen Mujeum zu Nürnberg (Nr. 27722), in der Kajjeler
Zandesbibliothet (ms. math. fol. 10), in der Darmjtädter Bibliothe
(Nr. 291), ſowie die jchöne, reich mit farbigen Zeichnungen ausgeftattete Abjchrift
zu Gotha (chart. fol. 569), welde auch den Zujag hat: „Wie ein Zeughaus
jambt aller Municion vnnd Zuegehör anhaimiſch jollte gehalten werden“. —
Eine volljtändige Wiederholung von Helm's Zeughausbuh a. d. J. 1536 ift
einer nur wenig abgewandelten Kopie des „Buchs von den probierten Künſten“
angehängt, die ji) unter dem Titel: „Ein Neuu, Whar, Probierrt und Practiciert
geichriebenes Feuur Buch“ von 1598 in der BibliotHef Hauslab zu Wien
1. Die Zeit Kaifer Karla V. 615
befindet. Die gleiche Überjchrift trägt ein ſchönes Quartexemplar der Behörden-
bibliothef zu Deſſau v. 3. 1601 (Nr. 11033: 6106 B), als deſſen Befiger
Ghrijtianus, princeps Anhaltinus, genannt iſt und dem auc die Abhandlung
„mie man ein Zeughauß anhaimbs Halten joll“ nicht fehlt.
Zu Anfang des 17. Ihdts. jcheint der eifrigjte Bearbeiter des
Buches für den eigentlichen Autor gegolten zu haben; wenigjtens be-
jigt Die fürjtliche Bibliothek zu Donauejchingen das Werk in
einer Redaktion von 1612 (Nr. 863) unter dem Titel: „Feuuerbuch,
zujammengetragen durch Chriſtophen Tegernjeer, Burgern zu
Munichen“, und auch im Ms. germ. fol. 877 der Kal. Bibliothek
zu Berlin trägt die Paraphraje von Helms Werk den Namen
Tegernjeers }).
Der I. Teil führt hier den Titel: „Ein Whaar Approbiert vnnd Practicierttes
gejchriebenes Feuur-Buch. Wie ein Zeughauuß Anhaimbs mit aller Zugehoerung
Solte gehalten werden . . . Zue jonderem Nutze vnd wolfartt den Ehrijtlichenn
Stenndt vnd Stetten unnjeres geliebten Teuttfchlandts mit jonder gangem Fleiß
gemachet durch CHrijtophen Tegernjeern, Burgern vnd Püchfenmaijtern zu Münichen
in Hochloblichem Bayerenn. Beraittet in 1613”.
Diefer Teil bejpriht wie das Original zum Eingang die Pflichten des
Zeugwartd®. Dann folgen Pulver und Feuerwerkbuch, wobei gelegentlid) alte
Scerze des 15. Ihdts. (3. B. die Feuersbrunſt jtiftende Klage) neu aufgewärmt
werden; hierauf fommt die Abhandlung „vom Groben Geſchütz“ nebjt weitläufiger
Beiprehung der verjchiedenjten Arten von Sturm= und Feuerkugeln, unter denen
die „Sprengende Kugel aus dem Mörfer zu werffen“ (Bombe mit zwei Feuern)
am interejjantejten ijt, jowie Kapitel über „Karttettihen” (hölzerne Hagelbüchſen
von fünf Kugellängen) und „Ragettlein“.
Der I. Zeil ift überichrieben: „Won Wagenburgen vmb ein Feldtläger,
Bon Umbihangen vnd Untergraben ; Auch was gejtalt die Stett, Schlöeffer vnd
andere Gebeuu nutzlich mögen erbawet, bewharet vnd nad) Notturfft verjehen
werden, Was auch zue einem gangen Feldtzug an Munition, Perſohnen vnnd
Vnkhoſten gehoerig. tem wie man ein Zeughaus jammt den Werdjtätten und
Plägen, Gärtten, Gußhauß u. ſ. w. erbauen jolle... Won demjelben. 1614“.
Die Gejhügaufzählung diejes Teiles beginnt (höchſt anachroniftiic) für das
17. Ihdt.) mit der „Scharffen Metze“ und endet mit dem „Scharfadinlein“,
worauf die „Mortierer“ folgen. Der taktiſche Teil ijt breiter als in Helms
Original, do nichts weniger wie far u. 3. T. in ſchlechten Verſen abgefaßt.
Die weite Verbreitung und mannigfaltige Ausgejtaltung läßt
das „Buch von den probierten Künſten“ als Gegenſtück ſowohl des
| I) Das Eremplar ftammt aus Privatbefig und ift jehr viel ärmer an Zeichnungen wie die
quten Kopien des Originalwerls. Übrigens find die Zeichnungen auch hier mit Wafjerfarben getuſcht.
Biele der wichtigften umb interefianteften, 3. B. bie von der Wagenburg, fehlen aber.
616 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
alten „Feuerwerksbuchs“ erjcheinen, an deſſen Stelle es trat, wie des
ichiefjalvollen Amterbuches, als deſſen Ergänzung es fich darjtellt.
Wie aber das Feuerwerksbuch mehr als ein Jahrhundert lang brauchte,
bevor e8 (1529) gedruckt wurde, jo auch das „Buch von den probierten
Künjten“. Immer wieder und wieder abgejchrieben, blieb es doch
ſtets von dem Schleier des Zunftgeheimniſſes umgeben, bis ſich all-
mählich neben ihm eine neue Tradition gebildet hatte, welche die Ver—
öffentlichung jener num veralteten Artillerielehre unjchädlih und
erlaubt erichemen ließ. So wurde es dann endlich i. 3. 1625 von
I. Ammon zu Frankfurt a. M. Herausgegeben u. 3m. unter dem
Titel: „Armamentum principale oder Kriegsmunition und Artillerey-
Buch, darinnen bejchrieben Wie ein zeughauß jampt aller Munition
und Zugehöre bejtellt und in rechtem Weſen jol underhalden werden
auch von Salpeder, Schwefel und Kohlen jampt allerhand vortheyl
mit pulver; deigleichen unterjchtedenes Muſter von brechzeugen, Fewer—
pfeilen, Wilden vnd zahmen Sturm Wehr, Einleg vnd Mordfeuer ...
beneben einem Bericht der Wagenburg ... . Dergleichen hievor nie
an Tag fommen, anjego aber im offenen Drud geben“. — Wie
langjam mußte der Fortſchritt der Wiſſenſchaft jein, wenn ein Bud),
das zur Zeit der Auflöſung des Schwäbilchen Bundes vollendet
worden war, in den Tagen des niederjächjiich-dänijchen Krieges ver-
Öffentlicht werden konnte, ohne doch als veraltet zu gelten!
Eine italieniiche Überjegung des Buches von den
probierten Künjten befindet jich in der Biblioteca Riccardiana
(no. 2525) in den Uffizien zu ‚Florenz.
Der Trattato zerfällt hier in acht Kapitel. Das 1. handelt im Allgemeinen
bon dem Amte eines Capitano della Artigleria, da® 2. del salnito, del solfo,
del carbone, d’ogni sorta de polvere per artigleria et archebuse. Capo 3
beipricht instrumenti per rumpere et aprir porte, fenestre, ferrate u. j. mw.
Gapo 4 redet di varii fuoci artificiali, Capo 5 dell fumi avvellenati e non
avvellenati per gettare o tirare con l’artigleria o qualtrivoglia altro instru-
mento (Blide). Das 6. Stapitel behandelt die Confortativi delle polvere et
fuochi artificiali tanto avvellenati che non avvellenati; Capo 7 bringt diversi
et utilissimi avertimenti appartinente al arte del Bombardiere, divise in
12 domande (Bücjjenmeijterfragen). Hier wird auch vom Transport der Geſchütze
gehandelt, von der Heritellung eiferner und jteinerner Geſchoſſe, vom Brechelegen,
von Trugichüffen, von Minen, vom Quadranten, Kompas und Triangel, vom
Jujtieren des Geſchützes und dem Berechnen feiner Schwere. Das 83. Kapitel
endlich beipricht Marſch- und Lagerordnung für carriagi, fanteria und cavalleria.
*
1. Die Zeit Kaiſer Karls V. 617
— Die jhönen illuminierten Zeihnungen entjprehen im wejentlihen ganz und
gar denen der deutſchen Handicriften.
Die Kgl. Privatbibliotgek zu Turin beſitzt ein Facjimile diefer Handichrift
unter dem Titel: Trattato di Artigleria d’Anonimo del sec. XVII, weldes
der Architeft CHirici hergejtellt hat. Der Traktat galt bisher für in italienisches
Originalwerk.
Eine unmittelbare Übertragung ins Franzöſiſche ſcheint nicht
ſtattgefunden zu haben; wohl aber ſtellt ſich der erſte franzöfiiche
Drud, welcher ſich auf Artillerie bezieht, ver Livre decannonerie
et artifice de feu (Paris 1561) umverfennbar al3 eine Be
arbeitung des Buches von den probierten Künjten dar, jo daß fich
hier noch einmal der beherrichende Einfluß der deutſchen Büchjen-
meijterei auf Wejteuropa erfennen läßt !).
Nicht jo ausgedehnte Weiterbearbeitung wie das Buch von
probierten Künjten erfuhr Helms Zeughausbuch von 1536. Welche
Bedeutung man ihm jedoch beimaß, beweijt der Umjtand, daß es
bald nad) jeinem Entjtehen zur Grundlage einer offiziellen Injtruftion
in Nürnberg gemacht wurde, die anjcheinend durch die ganze zweite
Hälfte des Jahrhunderts in Kraft blieb. Eine Handjchrift derjelben
befindet jich in der Berliner Zeughausbibliothef (ms. 13) und führt
den Titel: „Ein ordentlich vnd Fünftlich Bejchreibung über
ein Zeughaus vnd was bdemjelben mit aller Munition vnd
Arthollerey anhengig jein mag. Durch weyland Cajparn Brunner,
zeugmwarter, anno 1542 mit vleis zujammenbracht, ellen zeugherrn
vnd zeuguerwanten zu lejen nutzlich. — Den treyen verordneten Zeug:
herren über die Zewghewſer ... . iſt einem yeden im 1563. Jahre
ein ſolchs Buch, ich darinnen zu erjehen, in gehaimer verwarnung
pberantwortet worden.“
Der Inhalt gliedert fi in drei Teile. LI. 1. Buch: Beichreibung eines
Beughaufes mit aller Munition vnd Arthollerey. 2. Buch: Neue Ordnung deren
Studh, jo in ein Zeughaus gehören. Wie man fid) mit den Gefejen halten joll.
— 1.1. Bud: Von den Feuerwerdhen, jo zum Ernſt gehören. 2. Buch: Wie
die Lujtlugeln u. j. w. zu maden. 3. Buch: Bon jteigenden Keſten GRaketen)
und andern Iujtigen Faſtnachtsrorlein. 4. Buch: Wie man Puluer vnd Salliter
machen vnd leutern fol. Dazu die Feuerwerkhs-Setz. — III Gründlicher Bericht
des Büchſengießens.
1) Bol. über dies Werk: Louis Napoléon Bonaparte: Etudes I, 208; II, 66 u. 100.
618 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
Es ijt eine jehr jorgfältige, von einem fundigen und genauen Fachmann
ausgeführte Arbeit, die jedoch nur in ihrem dritten Teile wejentlich über den im
Helms Werten gebotenen Inhalt hinausgeht.
8 45.
Den Berjuch einer Zujammenfaffung des gejamten artillertftijchen
Wiſſens feiner Zeit machte Graf Reinhart von Solms in den
beiden der Geſchützwaffe gewidmeten Teilen jener „Kriegs:
regterung“ [8 22).
Neinhart theilt das Geſchütz nad dem Gewichte der
Rohre folgendermaßen ein:
1. Brechgeſchütz oder Mauerbrederinen.
Scharfmetz wiegt 115 Ztr., it 15 Kugeln lang, ſchießt 85 Pd.
Nadhtigal „ 80, 4127 — — A
Nothſchlange, 60 „ 442 . a „16,
Kartaune, BO... „1838 — u. MB ,
2. Feldgeſchütz.
Feldſchlange wiegt 40 Ztr., iſt 34 Kugeln lang, ſchießt 12 Pfd.
Halbe Kartaune„ 36 „ „ 20 J se
Halbe Schlange „ 24 „ „ 3 u J u 7
Falkaune 12 40400 — —ã
Falkonet > Mt " „1.
Ein Heer von 20000 Fußknechten und 5000 Pferden iſt, Graf
Reinhart zufolge, wohl mit Gejchüß verjehen, wenn es verfügt
an Brechgeſchütz über an Feldgeſchütz über
2 Scharfmegen,
4 Nadıtigallen,
4 Nothichlangen,
5 Nartaunen,
6 Schlangen
8 halbe Kartaunen,
10 halbe Schlangen,
10 Biertelihlangen,
20 Falkonets,
18 Stüd. 54 Stüd.
An Munition fordert der Graf für jedes Geſchütz 100 Kugeln
mit halbkugeljchwerer Ladung und dringt auf gute Bejpannung, denn
„Eile it ein großer VBortheil in diefem Spiele“. Eben diejer Geſichts
punft der Feuerbeſchleunigung veranlagt ihn auch die Kartujcen
oder (tie er fie nennt) „SKartetjchen“ zu empfehlen, deren man jid
vorzugsweije bei Hinterladern zum Schnellfeuer bediente. Solms
jtimmt hier mit Biringuccto überein S. 595).
1. Die Zeit Kaifer Karls V. 619
Die Mörjer und Böller bilden eine völlig abgejonderte Klaſſe
des Geſchützes und werden vorzugsweile zum Steinwurf und zum
Wurf von Feuerwerk verwendet.
Sie erfordern eine ganz eigenartige Manipulation: „Ein Büchjenmeifter
möge jeiner Büchje Meijter fein; an einem Mörſer aber ijt nie auszulernen, weil
der Bogenſchuß von jo vielen Dingen, wie Stärfe des Pulvers, Wind und Wetter
abhangt”. Mit diejem Urteil jtimmte 1589 auch nocd Daniel Spedle überein
[S 121]; denn der jagt von den Mörſergeſchoſſen: „Diejelbigen haben ihren Weg“,
und daher jollen jie „nicht zu hoch und weit geworfen werden, jondern nur
ſchwach unter den Feind im Graben“. Im Gegenjape biezu war aber Graf
Solms ein Freund der Mörjer und griff dem Verjtändnis und den Neigungen
jeiner Zeit vor, indem er für die Anwendung einer großen Zahl Mörjer geringen
Kalibers jpricht, die im Belagerungsfriege namentlich dem Verteidiger ausgezeichnete
Dienite leijten fünnten.
Auch der Rafeten mit „Flügeln“ (Fallichirmen), jowie der
irdenen Handgranaten gedenft Graf Solms.
Sein Abjchnitt vom Feuerwerk tt offenbar eine Zuſammen—
jtellung aus älteren Schriften. Sogar noch mit dem Feuerwerks—
buche vom Anfange des 15. Ihrdts. jtimmen einzelne Vorjchriften
auch Diejer Arbeit wieder wörtlich überein. Ein großer Teil der
Feuerwerksſätze jind höchſt abenteuerliche Kompofitionen.
Ungelöjchter Kalt und allerlei Dlarten fpielen die Hanptrolle. — Hier ift
der Graf durdyaus nicht auf der Höhe feiner Zeit. Einige der Rezepte jind ge—
reimt, ohne daß doc die Verszeilen abgejept wären; 3. B.: „Ein höflich kunſt
ſich bier entichleußt und lehrt wie man mit Waſſer jheußt“. Die Zahl der Pulver:
rezepte ijt Yegion; mehr als zwanzig lehren „das aller bejte“ Pulver herzuftellen.
Trotz jolher Wunderlichkeiten nimmt der artillerijtiiche Teil
des Solmsjchen Werkes unter den deutjchen Arbeiten der erjten Hälfte
des 16. Jhrdts. einen hohen Ramg ein. Uns mutet e8 ja freilich
jeltjam an, wenn der Graf die Meinung ausjpricht, daß das „ge
ſchütz nunmehr am höchiten jteht und dasjelbig nit wolmag
höher noch jterfer gemacht werden.“ (II. ©. 29.) — Aus diejem
naiven: „Und wie wir's dann jo herrlich weit gebracht!“ Klingt eine
Selbitzufriedenheit heraus, die vielleicht mit zur Erklärung des auf
fallenden Umjtandes dienen mag, daß die Weiterentwicdelung der
Artilleriewiffenjchaft, deren Begründung im 15. Ihrdt. doch unzweifel-
haft den Deutjchen zu verdanfen gewejen war, im 16. Jhrdt. zus
nächjt nicht mehr von ihnen ausging, jondern auf längere Zeit hinaus
den Italienern zugefallen it.
620 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenktunde.
S 46.
Eine Überficht des Geſchützmaterials der eriten Hälftedes 16. Ihrdts.
gibt die „Bejchreibung des Kaiſers Caroli quinti gejchüs,
jowol der 149 Stüd, jo ©. K. M. haben gießen laſſen als von
vielen andern, jo aus vunderjchtedlichen ländern genommen worden:
als aus dem Gajtell Pierrefort 2 Stüd, aus des landgraffen Philippi
von Heſſen land anno 1547, 170 Stüd, Bon Churfürſt Sohanns
Sriderico von Sadjen vnd aus Gotha 131 Stüd, von Churfürit
Othoni Friderico, Praltgraff, 3 Stüd, aus den NReichsjtätten Augs
burg 12, Ulm12, Straßburg 12, Heilbrunn 7, Esling 6, Memming 4,
Neutling 1, Eiſenach 1. Machen in allem 520 jtüd. So hernachen
gar Eunftlich in ihrer rechter Form und länge abgerifjen, und iſt des
kugels große und Schwere (fie jey von Eyjen oder Stein) alzeit da-
neben geitelt. 1552.“
Ih kenne fünf Eremplare diejer Bejchreibung in den Bibliotheten zu
Frankfurt a. M., Wolfenbüttel, Gotha, Erlangen und Paris, Cinige find nur
mit ſpaniſchem Terte (Titel und Beifchriften) verjehen; andere führen den deutſchen
Titel neben jpanifchen Erläuterungen. Der jpanijche Titel lautet: Discurso del
Artilleria del Invictissino Emperador Carolo V. ete. — Alle Eremplarr,
mächtige Yolianten, jind jehr jauber, wenn aud) mehr oder minder elegant, ge
zeichnet und illuminiert. Gewöhnlich ijt den Gejchügdarjtellungen das Kaliber
beigefügt. — Nahbildungen finden fih in „Eifenweins „Quellen zur
Geſch. der Feuerwaffen“ (S. 76) und in Louis Napoldons Etudes (I, 165,
III, 223 ff.)
Die Beuteftüde des jchmalfaldiichen Krieges rühren 3. T.
aus den neunziger Jahren des 15. Jhdts., 3. T. aus dem eriten
Drittel des 16. her und zeigen die buntejte Mannigfaltigfeit der
Formen und Kaliber, Das ijt jene jchwerfällige und maſſenhafte
Artillerie, welcher Landgraf Wilhelm IV. von Heſſen einen wejentlichen
Anteil an dem Kriegsunglüd Philipps des Großmütigen zufchreibt.
[$ 31.] — Ganz anders die Geſchütze, welche der Kaiſer jelbit
gießen ließ! Site find das Werk eines Deutjchen, Gregor Köffler,
deiien Streben dahin ging, das Material zu erleichtern und die Zahl
der Gejchügarten zu vermindern.
Die „ſcharfe Metze“, das Kolofjalgefjhüg der vorangegangenen Beriode, das
anderwärts fein Dajein bis Ende des Jahrhunderts frijtet, it hier aufgegeben.
Abgejehen von den Mörjern gibt es planmäßig nur noch jieben Gejhüp:
gattungen: Kanonen (den früheren Karthaunen, Nadtigallen und Singerinen
entiprechend) ganze Schlangen, halbe Kanonen, halbe Schlangen, kurze Schlangen,
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 621
Safer und Falkonete. Sie jchiehen je 40, 12, 24, 6, 12, 6,5 und 3 Pfund.
Kurze und lange Schlangen haben aljo gleiches, halbe Schlangen und Safer
nahezu gleiches Kaliber. Die Gejhügrohre jind reich verziert u, zw. im Gegen
jage zu den früheren Rohren, welche gothiihe Motive zeigen, zum erjtenmale
im Renaifjanceitil.
Welche Gefichtspunfte Löffler Hatte, zeigen die „Rathſchläg
vnd Bedenden das Gejhüß betreffend,“ welche der Inns—
bruder Meijter auf die Frage des Nürnberger Rates, „was für Stüd
möchten gegofjjen werden?“ am 4. Sept. 1554 abgab und deren
Handjchrift das Nürnberger Archiv bewahrt. Er jagt:
Die meiften Stüde find auf eine gleiche Kugel zu ridten, nämlich auf 3,
5, 10, 20, 28, zum höchſten 40 Pfund, darüber nicht, falls nicht etwa überaus
viele große Kugeln vorrätig jeien und es an Geſchoß (Geſchütz) dazu mangele.
Sollten wirklich noch „gewaltige Mauerbrecherinen“ gegofjen werden, „jo möge
man diejelben nicht zu lang, jondern etwas dider und jtärfer gießen und dazu
inmwendig Hinter der Kugelladung einen guten Pulverfad machen, damit man
darnach die Kugel dejto jtärfer und weiter hinaustreiben möge”. — Das Zer—
ipringen der Rohre wird, Löffler zufolge, meiſt dadurch verjchuldet, daß man
Pulver anwende, welches zu jtarf mit Salpeter überjegt jei.
2. Gruppe.
Die zweite Hälfte des 16. Iahrhunderts.
8.47.
Zu den unausweichlichen Namen diejes Zeitalter gehört, auch auf
artilleriftiichem Gebiete, derjenige des Lienhard frönsperger. Seine
„Fünf Bücher von Kriegsregiment und Ordnung“ (1555) 8 32] ent-
halten, wie jchon erwähnt, nur Wiederholungen der entjprechenden
Teile der Dttjchen Kriegsordnung 8 12) mit einigen Ergänzungen
aus Helms Schriften [$ 44]. Frönsperger fühlte jelbit, daß Dies
ungenügend jei und veröffentlichte daher zwei Jahre jpäter die Schrift
„Bon Geſchütz vnnd Fewrwerck, wie dasjelb zumerffen vnd
ichiejfen, Auch von gründlicher zuberaitung allerley gezeugs und rechten
gebrauch der Fewrwerck.. Mit dem andern Buch Bonn Erbamwung
der wehrlichen Beuejtungen.“ (Frankf. a. M. 1557.)!) Der artilleri-
ſtiſche Teil diejes Werkes hat folgenden Inhalt:
Von den erjten Anfängen des Schießens und zweierlei Feuerwerk. Bon
Rogeten. Wie man guten brinnenden Zeug in die waſſer- und feuerkugeln be=
1) Das bei Zephelius jchön gebrudte Doppelwerk iſt jelten. In Berlin beiigen e8 die Bücherei
des Zeughauſes und bie bed Verfaflers.
622 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
repten jol. Ein Alphabet, was gejtalt die zeug gemacht werden. Wie Säd um)
Zwilch bereyt werden. Wie Sturmbrügel und Kolben bereyt werden. Desal.
Sturmhäfen, Fläſchen, Krüglein, Läm- oder Fußeyſen, Zündjtrid und Bädhrina
Wie Schläg, Schütt, Schrött geſchmidt werden. Wie Feuerkugeln in Böler oder
Büchſſen zu machen. Bon Steinen, Eyfien und Hülzen Kugeln. Von fünfferlen
Kugeln. Bon Schangen zum Geihüg. Von Schanpförb, Prücken, Dielen und
Finnen zum Geihüg. Bon Munition, Yaden, Richten und Anzünden. Injtrument
zu den Böllern und Fewerbüchſen (Quadrant.)
Das Buch handelt aljo von Feuerwerk, Munition und Geſchütz—
bedienung, wobei es bemerfenswert, daß in eriter Linie u. zw. jehr
eingehend der Raketen gedacht wird: es tt, als bejtünde noch eine
dımfle Erinnerung, daß man es bier mit der ältejten, uriprünglichiten
Feuerwaffe zu tun habe.
„Roget ijt das geringjt fewerwerd, gemacht aus puluer, jalitter, ſchwefel
vnd foln, hart eingefchlagen in Papier... . Vnd mwiewol die Roget an jbr jelbs
von geringer wirdung vnd bald vergeht, jo find dod) daraus vil ſchöner fewrwerck
zu machen... vnd find fürnämlich diejer art, daß ſie jih von jhrem eygenen
fewer in die fufft erheben, bedörffen feins jchießens-oder eines anderen trieb&.“
Das Zerfpringen der dejhüge erfordert nod oft Cpfer. Als Gründe
dafür hebt Frönsperger hervor: „dünne frumme Stüde oder zu faltes Gießen,
Sciefer, überladen“, — Andere häufige Unglüdsfälle waren Folge der Ent-
zündung des in offenen Fäſſern umberjtehbenden Rulvers. Fröns—
perger erlebte dies jelbjt 1535 vor Mancilia, 1541 vor Ofen, 1542 vor Peſt und
1552 vor Helffenjtein. — Mehrfach wird der Feldgebrauch von Papier: und Leder:
Kartuſchen erwähnt.
Im allgemeinen iſt Frönspergers Bortrag bier deutlich und ver:
jtändig; ja man darf vielleicht behaupten, daß dies Buch das beite jet,
was er überhaupt gejchrieben habe.
MWahrjcheinlich auch von Frönsperger rührt eine Handjchrift der
k. £. Hofbibl. zu Wien her (Nr. 10922), welche handelt „Bon kurtz—
wetlligen Luft v. Scherzfeuwrwerden... zu Mumereyen
oder Gejellichafften... im 18 Kapitel verfaßt 1557 durch 2. F.“
8 48.
Die Feuerwerferei jtand im 16. Ihdt. bei den Deutſchen in
großer Gunſt; es find am diejer Stelle drei Lehrjchriften aufzuführen,
welche jich mit ihr bejchäftigen.
Bon dem Nürnberger Zeugmeiiter Hanns Stard bejitt die Bibl.
Hauslab, jett Liechtenftein zu Wien, einen „Sründlichen Bericht
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 623
von feurwerd,“ der etwa a. d. 3. 1560 herrührt.!) Die Hand»
Ichrift enthält u. a.:
Fragen und Antworten zwijchen Zeugmeifter und Büchjenmeifter. Die ge—
meine Büchjenmeifterordnung. Gießen der Büchſen und Feuermörjer. (Die Metall:
mijchung war 5 Teile Glodenfpeife, 5 T. Kupfer und 1 T. Zinn. Ein Zentner
diejer Kompojition fojtete 11 Gulden, alfo das Rohr einer Scharfmege 1100 Gulden).
Die Kojten des Faſſens und Beichlagens der Büchfen (diefe betrugen beim größten
Geſchütz, der Scharfmete 60, beim Meinjten, dem Scarpfentinlein 10 Gulden.
Bol. übrigens ©. 605). Die Preife der Kugeln und anderen Materialien. Der
Auffag für jedes Geſchütz auf 1000 Schritt. Drdnung der Schläge. Laden aller
Stein= und Feuerkugeln. Herjtellung des Viſierſtabs. Nafetenjäge, Feuer, Sturm-
und Sprengkugeln. Sturmhäfen, Feuertolben, Feuerſpieß und Faßnachtröhrlein.
Ein offenbar unvollendetes Manujfript des jonjt unbekannten
Meiiter® Hanns Lamentur findet jich in einem Sammelbande des
Berliner Zeughaujes (ms. 7). Es führt den Titel: „Khünftlich
Fewrwerckh aigentlich mit fleis figurweis auf das Bapier entworffen
vnd abgerijjen; jo vormals nie gejehen worden.” Kunſtloſe, doch
deutliche TFederzeichnungen erläutern folgende Abjchnitte:
Salpeter, Kohle und Schwefel. Leuchtkerzlein. Raketen (auch ſolche mit
Ausftoßladungen). Feuerräder. Stöde und Kolben mit ausfahrendem euer.
Schießende Fadeln oder Windlichter. Feuerfugeln (aud) jpringende und Hin und
ber laufende). Faßnachtsfeuerwerk. Bijterjtab und Quadrant. Zwölf Regel und
Fragſtück über Büchjenmeijterei. Anfang des alten Feuerwerlsbuch a. d. XV. Ihdt.
Zu den wenigen gedrucdten Artilleriebüchern dieſer Zeit gehört
des Johann Schmidlap von Schorndorff Werk: „Khünftliche und
rehtichaffene Fewerwerck zum Schimpff,“ welches zuerjt 1561
zu Nürnberg erjchtien. — Folgendes it der Inhalt:
Wie der gemain Salpeter tügenlich zun Feuerwerden zuzurichten vnd wie
er zu jchmelgen jeye. Koln zun Feuerwerden tügenlich, von was holß jie jein
jollen. Schwebel wie er jein jolle zum Feuerwerd. Reuchkertzlein, jo jie ange:
zündet, einem in der handt zerfaren. Nadetenjtöde, wie fie zuzurichten. Racketen,
die fliegen mit einem jchlag. Nadeten, die auf der Erd hin und wider laufen.
Nadeten, die fliegen mit 2 oder 3 ſchlägen. Nadeten, die herwider laufen an
Schnuren. Ein umblauffend redlein, jo e8 wirdt angezündt. Ein jchön Feuer:
werd, welches genannt wirdt: der Stod mit vil ausfarenden feuren. Ein Streit:
kolben mit ausfarenden euren. Ein jchießende Fackel oder windlicht. Feuerkugl
ins waſſer. Magit ſolche aus einem Mörjer werffen. Feuerkugln, jo jie auf
einem ebenen plaß angezündet werden, daz jie 3 oder 4 jprung thun. Feuerkugl,
die inn einer jtuben mag angezündet werden, laufft darin hin und wieder. Gin
1) Bel. Schneider: Die Bibl. bes FZM. v. Hauslab a. a. O. ©. 135.
624 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
vnterricht, wie du fampt einer gefellichaft zu Faßnachtszeitten eine jhöne Mummarei
von Feurwerck zurichten magit.
Der größte Teil diefer auf die Nafeten- und LZujtfeuerwerfere:
bezüglichen Vorjchriften findet jich bereit in älteren Werfen, bejonders
in dem Buche von den probierten Künjten [$ 44]; in den Einzelheiten
aber ift die nahe Berwandtjchaft mit der vorher erwähnten Camentur—
ſchen Handjchrift unverkennbar. Nur mweniges verdient hervorgehoben
zu werden.
Als beite Kohle empfiehlt Schmidlap die von der Xinde, welche
nicht im freien ‘Felde, jondern im Weiler bereitet und frei von Rinde
it. — Sorgfältig handelt er von den Raketen. Sein Rafetenitod
hat einen Unterſatz mit cylindrischer Warze ohne Dorn; auf den
Treibjag kommt eine durchbohrte Holzicheibe und darauf Schießpulver.
Die Spitfappe iſt ihm nicht befannt. Die Rute tft dreimal jo lang
wie die Rakete; am Mundloch wird balanciert. Dies Mundloch
(Zündloch) wird voll Sat geſtopft. Schmidlap jest auch mehrere
Nafeten in einander. — Interefjant tft jene Darjtellung eines Mannes,
der eine hohle Feuerkugel (Handgranate) mit der Linken wirft, nach—
dem die Rechte fie mit einer Lunte angezündet hat.')
Das Buch iſt dem Zeugmeiſter des Herzogs von Württemberg,
Wild. von Janumig, gewidmet und die Vorrede von 1560 datiert. —
Spätere Auflagen erjchienen zu Nürnberg 1590, 1591 und 1608; ?)
eine Überjegung insg Holländiiche unter dem Titel: „Ian Smidlap:
Een ghetrow onderwiis van menigerhande Vyer-Wercken“ fam als
Anhang der 3. niederdeutjchen Ausg. von Brechtels Büchjenmeijterei
[$ 58] i. 3. 1625 zu Amjterdam heraus.
8 49.
Während fich jo die artillerijtiiche Literatur in Deutichland mehr
und mehr in das Feuerwerksweſen vertiefte, wendeten die Mathematiker
ihre Aufmerfjamfeit auch einmal wieder auf das ballijtiiche Pro
blem. So der berühmte Kosmograph Sebajtian Münſter in den
Rudimenta Mathematica in Il libros, quorum prior prin-
ceipia tradit Geometriae (Bajel 1551). — Näher noch ging auf
1) Dieje Figur ift wiederholt bei Brechtel [8 58] und in Schneiders Abhandlung über bie
Handgranaren (Öfterr. milit. Heitichrift, herausgegeben von Streffleur. Wien 1864).
”) Die Auflage von 1661 in der Bibl. Hauslab-Liechtenftein unb in der des Berliner Zeug—
baufes (A. 420).
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 625
den Gegenjtand Daniel Santbeh aus Neumagen ein. Er handelte
nämlich im 6. Abjchnitte jeiner Problematum astronomicorum et
geometricorum sectiones septem (Basileae 1561)!) de absoluto
artificio ejaculandi sphaeras tormentarias. Dieje
Sektion jeines Werkes zerfällt in folgende Kapitel:
Ex quo fundamento sit extructum artificium eiaculandi sphaeras &
tormentis. — ÖObservationes quaedam ad certas collocationes et omnem
usum tormenti necessariae, ne a scopo multum aberremus. Qnomodo ex
singulis elevationum aut inclinationum circumferentiis vroreivso« tormenti
colligatur. — In quantam altitudinem ad singulas elevationes tormentum
sphaeram excutiat. — Quanta sit distantia tormenti & loco, in quem
sphaera delabitur, ex singulis elevationibus et hypotenusa colligere.. —
Qnomodo axis tormenti in libellam collocetur. — De multiplici Quadrantis
collocatione ad exquisitam axis tormenti elevationem explorandam. —
De duobus aliis quadrantis collocationibus, quibus certam axis tormenti
elevationem experimur. — Quomodo per regulam, cui annexum sit
perpendiculum, multipliciter ejusdem axis tormenti elevationem experi-
amur. — In quantam altitudinem supra basin elevandum sit tor-
mentum, ut sphaera in locum praefixum per xadero» descendat. —
Qua ratione spbaerae sint e tormentis emittendae, ut per hypotenusam
in praefixum locum incurrant. — Qua ratione, quae in antegressis
propositionibus numerorum adminiculo sunt inventa, solo perpendiculo
in Quadrante absolvantur. — Quomodo sine Quadrante tantum oflicio
regulae et perpendiculi, ea, quae sunt hactenus explicata, inveniantur.
— Si castrum aliquod in monte constructum ex inferiore loco per tor-
menta diruendum sit, qua ratione negocium expediri debeat. — Si
tormenta in montibus constituantur, qua ratione sphaeras in urbem aut
quemvis inferiorem locum eiaculari liceat. — Qua ratione tormento in
monte collocato, piceae sphaerae sive ignis extorqueri debeant, ut per
cathetum in inferiora loca devolvantur. — Quomodo sphaerae ex castris
in aedificia intra urbis moenia constituta sint eiaculandae — Quomodo
intempesta nocte tormenta sint collocanda ut in quoscunque scopos prae-
fixos eadem commoditate, qua in medio die, exquisite sphaeras eiaculentur.
— Ex urbana turri sphaeras in castra hostium eiaculari. — Si tormenta
intra urbis moenia constituta fuerint, quomodo sphaerae sint in castra
hostium extorquendae — Quomodo collocatis post montem tormentis,
sphaerae in urbem possint extorqueri. — Tormentis ultra flurhen con-
stitutis, quomodo sphaerae debeant extorqueri in praefixa urbis loca. —
De ratione eiaculandi sphaeras ex iis locis, quae cum -praefixis scopis aut
altiorem aut aequalem situm occupant. — Quae sit ratio dimensionis in
effodiendis cuniculis sub moenibus. — Quomodo sit aqua ex fovea urbis
1) figl. Bibl. zu Berlin.
Zähne, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 40
626 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
ınoenia ambiente educenda. — Quomodo latitudinem labentis fluminis
liceat metiri. — Qua metiendi ratione quantitatem scalarum, quae a foss
in urbis moenia extenduntur, liceat explorare. — Quomodo inter fodiendum
iter debeat institui, ut certo inveniamus locum, qui ad perpendiculum
consistat sub arce in monte constructa. — Quomodo situs alicujus urbi:
sit explorandus, ut interiorum partium constitutionis et distantiarum rat
a singulis extra circumiacentibus locis exquisite innotescat. — Quomods
cum a recto itinere occurrentibus obstaculis deflectendum fuerit, eodem
liceat reverti.
Santbech3 Werk gibt aljo eine Überficht der gejamten damaliger
Schießkunſt und außerdem einige Anweifungen zur Löjung andermweitiger
milttärijch-mechanifcher Aufgaben, wie jie namentlich im Belagerung:
kriege vorfommen. Aber jeine Vorftellung von der Flugbahn iſt jeh:
viel jchlechter als diejenige des Tartaglia, nicht nur als die der
Quefiti, jondern auch al3 die der Nova Scientia; denn Santbed
erflärt die Bewegung der Kugel derart, daß er ihre Flugbahn al:
gerade Linie deutet bis zu dem Augenblide, da die ihr mitgeteilt:
Gejchwindigfeit völlig erichöpft jet, worauf jie jenfrecht zu Boden
falle. Wie es möglich war, dieje Anjicht feitzuhalten, iſt jchimieris
einzujehen: Wer nur einmal aufmerfjam den Flug eines Pfeils odır
eines geworfenen Steins oder den Austritt eines Waſſerſtrahls au:
einer Brunnenröhre beobachtete, der mußte jich doch jofort überzeugen.
daß die Bahn jedes geworfenen Körpers eine Kurve jei. Daß die
nicht geſchah, lehrt, wie außerordentlich groß auch bei wiljenjchaftlicher
Unterjuchungen die Macht der vorgefaßten Meinung it, namentlit
dann, wenn dieje Unterfuchungen das Experiment verjchmähen. Sant:
bech wurde auch noch, u. zw. ohne Nennung feines Namens, aus
geichrieben von Robert de Flurance in dejien El6mens de lar-
tillerie. (1605.)")
8 50.
Eine zweite weſentlich der Balliftif zugewendete Arbeit Liegt ir
zwei nahe verwandten Codices in Stuttgart und Wien vor. — Die
Stuttgarter Handjchrift (ms. fol. 18, aus der alten Bibl. des Ober
rat), führt folgenden Titel: Summarijche vnnd grondtliche Be
jchreibunge der Geometrijchen newen Arteglieria Sampt
derjelben Incorporirtten Mathematijchen vnd Mechanischen gehaimen
1) Ein Eremplar in der Bücherei des Berliner Zeughauſes (A. 41).
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 627
vnd mererstheild vor vnbefhanndten herrlichen jecreten Regijtraturen,
Dandtgriffen, Innftrumenten, materialien vnd anderen zierlichen jub-
tiliteten. Darinn die Fürnemeſten Generalhaupthandlungen zu jcherffung
recht geichaffenen verjtanndts vnd gebrauch® des groſſen Gejchütes
tractiert vnd Injonderheit Wie man aller gejchlecht der Stückh vnd
Böller höchſte effect, bede der Pulffer vnd tryb vermegen . . . durch
gewiſſe menſſur Einer vorgeſtelten nach Mathematiſcher konnſt extra—
hierten ewig werenden Tarriffen oder Viſier Tabulas... zu einem
begerten fürgegebnen geraden oder einem bogenjchuß jtellen... Mit
jonderer Staffierung des hagelichrots.... Gehandlet würdt.“ —
Das Manujfript der Wiener Hofbibliothef (no. 10911) ift (abgefürzt)
betitelt: „Bejchreibung der mathemattjchen vnd geometrischen verbor-
genen newen Artigleria oder Büchjenmaifterey“, und hier iſt auch der
Name des Berfajjers genannt; es iſt der „bayerische Diener Auguft
Dogel.“ — Beide Handjchriften jind dem Katjer Maximilian II. ges
widmet, aljo in der Zeit von 1564 bis 1576 entitanden.
In der Stuttgarter Handjchrift ordnet der Inhalt fich fol
gendermaßen:
Einer erjten „Prefation“ folgt die Epijtel oder Oration an die
Röm. Kayſ. Majejtät, in welcher der Zwed des Buches dahin erläutert wird: in
„Zariffen (Schußtafeln) dei ganngen factum der Geometrifchen geheimen
Artegleriam principal fundament zu referiren“ und zugleid Anleitung zu geben,
„den veindt bejonders mit fonnftlicher jtaffierung des Schrots ... zu nicht zu
machen.“ — Die zweite Prefation hebt die Bedeutung der Mathe-
matif für das Geſchützweſen nod näher hervor: „So wenig jid) die Müſiej
one die Scala, der Muſicaliſchen Menſur, des Gejangs vnd derjelben terminibus
gebrauchen megen, alljo vnd nod) vill vnmüglicher megen ſich die, jo der Mathe-
matijchen fonnjten vnbefannt, deß großen geſchützes . . . willenjchaft rüemen ...
Injonderheit wa jy die meijterjhafft irer vermeinten fonnjt im fall der not oder
zu erlangendem erndanth zu bemweijen dartun jollen, yedoch von jolden beden
Sachen, dep Gejangs vnd Gejhügs wichtigen circumftantien, jecreten vnd ſub—
tiliteten“ nichts wifjen und die „Zabulaturen vnd Negijtraturen“ nicht kennen
und veritehen, „wo ſichs allein beder fonnjten fundament erlernet vnd die difcritiones
der ab vnd auffjteigenden Clauis puncten vnd minuten, bede der muficalijchen
Scala vnd Geometriſchen quadranten zu behaltliher gedechtnus eingebildet ijt.“
Das Bud) eröffnet eine „Herrlide Oration, welche der Hector von Troya
die Troyaner ermahnt hat“, und daran reihen jich folgende Abjchnitte:
Bon Natur vnd aigenſchafft aud würdhbung vnd vngeſtüem
des Geſchützs.
Bon Ermwehlung pnd eriter fürjehung des Geſchützes. — Die
alte Regel, daß ein Stüd jo viel Zenter wiegen müffe, als die Kugel Pfunde, jei
40*
—— — — —————— —
628 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
falſchy. — Worauf beim Guß zu achten jei. — Warnung vor dem Überladen mit
zu jtarfem oder fein gekörntem Pulver. — Empfehlung der Sauberteit von
Geſchütz und Munition (die namentlid vor Spinnen und giftigem Ungeziefer zu
hüten find). — Notwendigkeit regelmäßiger Kühlung der Stüde bei anhaltendem
Schießen. — Die Kugel ijt beim Laden hart auf das Pulver zu ſetzen und dies
jelbjt fejt zufammenzujtoßen, damit feine Zwifchenluft oder öde Höhlung verbleibt,
welche des Triebs Stärke verhindert und das Geſchütz fprengen fann.
Eorolarium. (Moralifierende Verſe.)
„Sircumjceription der mathbematifhen vnd geometrijden
Principal figur, darin das factum aller... bewegliche tıyb, außgang vnd
legerung . . . in 12 auffiteigende puncten vnd zwijchen jteenden minuten abgetailt
zu volfieren vervrſacht.“ — Dieje Figur gibt eine überjichtlihe Zufammenitellung
der Flugbahnen der Gejchofle, wobei der Verfaſſer jih an Tartaglias ältere
Vorjtellung hält, daß der ganze „Umbſchwaif“ (Flugbahn) aus zwei geraden
Linien bejtehe, welche durch ein Kreisſegment verbunden feien. Das Richten ae
ichieht über 12 Punkte, d. h. in 12 verjchiedenen Elevationsgraden mit da—
zwijchen liegenden Minuten. Die Punkte 1-6 umfajjen die „niederen Richtungen“
unter der Diagonale (45°), welche den Feldgeſchützen und „großen Stuckh“ zufallen;
die Punkte 6—12, „die hochen Richtungen“, fommen den Böllern zu. Über den
eriten Punkt richten, heißt aljo in der Horizontale jchießen; Punkt 6 iſt die
Diagonalis, welche den weitejten Schuß oder Wurf ergibt; Punkt 12 ijt die
Irthagonalis (Senkrechte). — Der Verfaſſer vergleicht diefe Elemente denen des
Sonnenlaufes und des Kalenders. — Die Bogenrichtungen (furzen Würfe) gelten
ihm als die fünjtlihjten, „darmit man einen Büchjfenmaijter am jwubtilliften
brobiren fan.”
Bonn vonnderjhidlidem gebraud der Studh vnd Kuglen. —
„Zu diem thun der geometrijchen Arteglieriam jein allein die ronnden Corpore
oder die jo etwas auß der Ronnditet eines verlengten forms, als ein Ey...
die beiten vnd an Gewicht, Form und Maß gegen iren mitgejellen die gleicheiten,
doch nimmermehr jo gleich (ob ſy jhon eines forms, jubjtannz oder diameter:'
daß ſy am gewicht einhelliger gleihheit megen befunden werden... Deswegen
drei onnderjchiedliche Tarriffen oder Viſier-Tabulas ertrahiret, ald nemblich:
Die 1. Tariffen ift abgerechnet auff den Böller, welde man vber oder
ob der Diagonallinj de Duadrants richt. Dejien Rubrik iſt mit dem
Wörtlein Orientalis bezeichnet.
Die 2. Tariffen jchleußt in ihr Rechnung allerlei Corpora des metalls
(Blei, Eyjien, Ehrin, vnd gemijten Erg) jo aus den langen Studhen und veldt-
geijhug under der Diagonalis gejchofien werden. Dejien Rubrik ijt Ocei-
dentales genannt.
Die 3. Tariffen (Meridionalis) joll gebraucht werden zu allerhand Stein-
fugeln vnd Fewrballen, jo ringerer materj al® metall und auf den großen haubt-
ſtuckhen, Mawrbrechhern, Steine vnd Feurbüchſſen aud under der Diagonallini
geſchoſſen werden.“ i
I) Und boch bat noh Gribeauval (1765) das Verhältnis 100 : 1 feitgebalten.
2. Die zweite Hälfte deö 16. Jahrhunderts. 629
Alle drei Tarife zeigen, wie weit und hoch jedes Geſchoß „mit gebüren=
dem vmbſchweiff“ getrieben wird. Orientalis ift in 100, Occidentalis in 200,
Meridionali in 240 Genus, d. 5. Gejchüßarten geteilt. Jedes Genus oder
Geſchlechts jonderbarer Trieb iſt nach Weite, Höhe und Umſchweif jubtiliert, unter
und über der Diagonale in 6 gleiche Theile und dazmwijchenjtehende Minuten ab:
gefertigt. „Vnd iſt zu wifjen, daß die Tariffen mit nichten auf die genera der
ſtuckh geichleht, artten vond Namen als Scharffmegen, Cartthunen, Schlanngen,
Balconen, Balconetten, ja wie man die allerley arth, Teutſchem vnd welſchem
gebraud) nad), nominiren mag, noch derjelben maßwerckh, weytte oder lenge der
ror, annderjt wie wir vber yede Tariffen bejtimbt haben (welches auch diefe vnſere
matbhematijche ordnung nicht zuegibt), gerichtet, jonnder zugleich auff alle ſtuckh . ..
Vnd iſt auch weitter der gebürlihen Ladungen halber zu merden, daß jolche alljo
gemeindt vnd angejehen jey . . daß yede Ladung zum Schuß oder Wurff eine
wie die andere bejegt vnd mit fleyß verricht worden jeye... Eremplj gratia:
Sp mir ein jtudh Böller, der mir vor vnbefanndt aus einer anzall zubanden
gejtelt, mid) deſſen oder für fich ſelbſt zu probieren vnd fein aigentliche proportion,
d. i. den termin feines innjtehenden höchiten trybs effect und vermegen, zu er-
juchen, wellihes allein dur einen Schuß oder Wurff bejchehen mag, vnd ſollicher
Böller, auf 8 puncten gericht, in die Weitte 800 paſſus oder ſchrytt jtredhennde
erreicht, dem ich alddann ferner in der Tariffen Orientalis nachſehe und daß
folliher Böller dem zehenden Genus geeignet, jo wirth ſich nach gleichheltiger
Mathematifcher comparation zutreffen, daß jolher tryb von der Erden gegen der
Höche (wan zu obrijt von desfelben mitelbogen ein pleifchnuer herabzulaſſen ver-
miüglich) 792 pajjus in die lufft gangen, aber der bogen ſeines gannpen vmb-
ihwaiffs vom außgang biß zu feiner legerung, jo der in ein paralell finj oder
aerade jhnuer gezogen werden mechte, 1914 paſſus oder jchrit geweſt ſy“ .. . u. ſ. w.
In ähnlicher Weife lafjen fi dann die Flugbahnen der verjchiedenartigen Gejchofie
(Stein, Blei, Erz) vergleichen. — Um die Schußtafeln furz und überfichtlich zu
halten, jind Zeichen eingeführt: Der Wagebalfen bedeutet die Weite jedes
Trieb8, der Zwilling IM die Höhe, der Mond BY den ganzen Umjchweif. Der
Tarif ſieht alfo jo aus:
6. (Buntte)
der umbſchwaiff.
Hierrein fombt die Höch des trybs.
bie mweitte. 25. Genus. | *
Hierrein fommen a l.
die viertell zall der weitte als 4 2.
J8.
®
u
—
oder minuten 24
Der Verfaſſer behandelt demnächſt noch folgende Momente: „Vonn dem,
dab die Studh jelten oder gar wenig vber 3 punkten hoch gerichtet werden“
(d. 5. die Rädergefhüge). „Von Berrudhung der Studh vnd Böller deren ortten,
dahin fie erjtlih daraus zu ſchießen vnd werffen gelegert vnd was davon zu
halten. Bon vnderſchiedlichen krefften und trybs vermegen in den auffjteigenden
richtungen. Von den Geometrifchen teillen vnd maßwerdhen. (Mahvergleihungen.)
630 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
Bon den Bejtungen, jo am Meer oder. anndern waflern aud) in Seeen vnd Inſeln
beichlojjen gelegen“. Endlidy aber kommt Vogel auf den zweiten Hauptpunft feiner
Auseinanderfegungen, auf den „Hageljhrot oder Strey“, welcher in
„manicherley form vnd gejtalt, jpig und egkh, verlenngt, ronndt gejhwaiftt, dich,
dünn, mit Eyjien oder anderm metal oder in abgang desjelben mit zerſchlagenen
hardten jteintrymmern, Ertz- vnd Eyfien-Schlaggen von den Bergkhwerdhern vnd
ſchmidten . . zugeriht werden joll... Solcher Hageljhrot, nahdem die Kern
des gejhüg groß oder Hein, ... von 10 bis auf 100 oder 1000 ftudh an einen
bundt geſetzt vnd dermaßen zuſammen bejchlofien werden, dab er ſich zu yedes
begern inn die weite oder nee von einander zeritrewen vnd jein amt volbringen
joll... De kleiner der Hagelſchrodt gemacht ift, ye necher der fih am Trieb ein-
ziehen vnd verfürgen, aud vom gegenjtandt des luffts ſoviel weiter von einander
getryben würdt . . . Gleichwol der reißendt Sandt vnd jtaub bequemlicher an
einem jturm vor vnd in vejtungen dann im Veld zu gebrauden ... Beim Schrot
aber ijt nit jo viel gefahr aber merer trojtliche außrichtung als beim Feurwerchhe
zu gewarten.” — Das Weitere ertlären Vogels Figuren; er jtellt nämlich Eylinder
aus fleinen vielförmigen Körpern zujammen, 3.8. 72 eine Kreisplatte bildende
Stüde fiebenmal über einander, jo dab das zujammengebundene Streugeſchoß
504 Stüde enthält. Das frühere oder jpätere Auseinanderfahren des Geſamt—
geſchoſſes aber joll dur die mehr oder minder feite Zujammenjchnürung des
Hagelö herbeigeführt werden. — Man ſieht: es handelt ji um einen jehr primi-
tiven Vorläufer des Shrapnel-Gedantens.
Die Wiener Handjchrift jcheint die Vorarbeit der Stuttgarter
zu fein. — Bogels balliſtiſche Anſchauungen fußen durchaus auf denen
der Nova Scientia Tartaglias, an welche oft jogar der Wortlaut
erinnert. Seine „Tarife“ aber find jehr ungenügend. Alle Angaben
derjelben begründen ſich auf der von dem Geſchoſſe bei einer gewiſſen
Elevation erreichten Schuß- bzgl. Wurfweite; die Ladung aber bleibt
(abgejehen von der Materie des Gejchojjes), ganz aus dem Spiele;
e8 wird nur eben vorausgejeßt, dat jie regelrecht je. Als Normal
ladung erwähnt der Verf. einmal gelegentlich für eine Schlange %5
des Gewichts der Eijenfugel (d. h. 5 von 16 Pfund); im übrigen
iſt dies Hochwichtige Element jedoch gänzlich bei Seite gejchoben. Unter
diefen Umjtänden aber muß die grundlegende Bejtimmung, welchem
der 200 bis 240 „Genera“ das probierte Geſchütz angehöre und
welche Nummer des Tarifs alſo nachzujchlagen jei, um die Flugbahn
jener Geſchoſſe bei den verichtedenen Elevationen zu beitimmen, na
türlich im hohem Maße unficher bleiben. — Die Wiener Hdjchit.
handelt in einem Anhange noch „vom vberfleigigen gebrauch dagegen
notwendiger Eriparung dei Pulffers.“
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 631
8 51.
Da das artilleriftiiche Hauptwerk der Zeit, das Buch von den
probierten Künſten, den Nachdruf auf die TFeuerwerferei legte, jo
bedurfte e3 eimes ergänzenden Kompendiums, in welchem namentlich
auc das Gejchügmaterial eingehend dargelegt wurde. Diejem Be—
dürfnis juchte Beit Wulff von Senfftenberg [8 30] durch jein „Kunſt—
buch von Kriegsjachen“ zu entjprechen, dejjen, etwa von 1570
jtammende Hdjchft. die Behördenbibl. zu Deſſau bewahrt. (11026:
6179 B.) — Ihr Inhalt zerfällt in fünf Teile:
1. Bon allerlei gefhug vnd mawrbrechern: Neunerlei jcharfe
Meten (100— 70-Pfdr.); dreierley Bafilisfen oder Wildemann (66 —58-Pfdr.)};
zweierley Singerin (54—50-Pfdr.) ; dreierley Nachtigallen (46—38-Pfdr.) ; 3 Quar-
tana (32—24:Pfdr.)N); 8 Notſchlangen (20—13-Pfdr.); 3 Feldtihlangen (12 bis
10-Pfdr.); 4 Falconen (10 — 9:Bfdr.); 2 Quartier» Schlenglin (5 — 4-Rfdr.) ;
2 Falconet (3—2:Pfdr.); Scharpfedins (1-Pfor.); . . . Nun folgen die Meinen
Rohr, die bley Schießen: Doppelhaden (4—5 Ith.), Sturmhagken (zu Hagel in
den Streicdhweeren). Newe ſturmhaken zum Hagelſchießen (ſprachrohrartige, fonijche
Handfeuerwaffen). Die Räder und Gefähe (Lafeten).
2. Bon allerlei Feuerwerk. Brandjäge, Feuerpfeile, Nafetenzeug ?);
ogivale Hohlgejhhofje mit jtarfen und langen Holzzündern aus Steinbüchſen oder
hurzen Feuerkatzen in Schiffe zu jchießen; Feuerkugeln (eiferne Bomben) ; Zünder—
fonjtruftionen; Ovalgeſchoſſe, hohle, zum Anzünden von Blodhäufern; Schlagende
Kugeln, die mit Pulver gefüllt und außen mit Schnüren ummwidelt jind, auf
welche jharfe Schrote „wie ein Paternofter” aufgereiht find; Elephanten-Kugeln
(große Bomben mit dreiteiligem Zünder); vom Laden der jtüden; vom Hagel—
ſchuſs; mandherlei jhädlihe Kugeln (Kettenfugeln u. dgl.).
3. Bon Streitlfarren und Streitwagen. „Bor furzen Jahren noch
bei Königs Ludwichs aus Frankreich Tagen ift noch nicht bräuchlich gewejen,
ſtuck-handſchutzen in's feldt zu führen; biß erjt da der großmächtigſt Kaiſer
Carolus V den König Franciscum in der Schladht bei Bauy (Pavia) erlegt, find die
hiſpaniſchen Hakenſchützen eine große förderung zur eroberung einer ſolchen ſchlacht
geweſen.“ Diejer Einleitung folgt eine jehr interefjante Auseinanderjegung über
die Streitfarren von den Spiehfarren an. „Dergleihen Karn Kondten auch nod)
zu vnſern zeitten mit nuß trefflih wol zur wehr gebraucht werden, wie auch
Fürfjtenberg in feinem Buch (?) antzeiget.“ Vorteilhafter jeien aber noch
Karren mit Meinen Orgelgeſchützen, von denen verichiedene Mufter gegeben werden,
Sie jollen vor der Front der hellen Haufen in zwei Gliedern, jchadhbrettartig
angeordnet, auffahren, während hinter dem Haufen Mörſer ftehen, die über ihn
1) Die Duartana und Quartier: Schlenglin ftehen nicht in dem Deſſauer Verzeichniſſe; ich habe fie
aus dem Dreddener Manuffripte (C. 363) hieher übernommen.
2) An biejer Stelle nennt fi) der Beriaffer.
632 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenftunde.
fort ihre Bomben auf den Angreifer jchleudern. Für den Gebirgäfrieg werden
Geſchütze auf Saumjätteln empfohlen.
Den Beſchluß diejes Abjchnittes, der mit leicht Hingemworfenen, guten Feder:
zeihnungen illujtriert ift, madt eine Sammlung friegerijher Rezepte
für die verjchiedenjten Zwede: eiferne Fauſthandſchuh, Pulvermifhungen, Fuß—
eijen, hölzerne Mortiere u. dgl. m.
4. Bom Gebraud der Femwerladen, d. 5. der Sprengfajten und
Minen. Dergleihen hätte gegen Tamerlan angewendet werden jollen; die Moren
in Tunis hätten fi damit gegen Karl V. gewehrt. Auf welche Schwierigkeiten
wären Franz I. oder Herzog Moriz von Sachſen gejtoßen, wenn man die Päſſe
nad) Piemont oder die Ehrenberger Klaujfe mit ſolchen „Sprengwerden“ (heute
nennt man es Yandtorpedo8), verteidigt hätte, welche bei der Enge diejer Päſſe gar
wohl durch Drahtzüge von den benadhbarten Höhen aus hätten zum Spielen
gebracht werden können. Immer handelt es ſich um Kaſten, die mit Spreng=
material gefüllt und mit Feuerſchlöſſern, eventuell auch mit Meinen Uhren ver-
jehen find, welche die Entzündung ohne jedes unmittelbare Eingreifen ermöglichen.
Leptere Einrichtung eigne ſich beſonders dazu, Schiffe zu zeritören, ohne an Bord
zu fein, indem man die Kijte mit dem Sprengjtoff und dem Uhr-Schlagzünder
vor der Abfahrt des Fahrzeugs in den Schiffsraum jchaffe. Sie erplodiere dann
nad einer beliebigen Anzahl von Stunden oder Tagen, je nachdem man die Uhr
gejtellt. Sogar in Form von Geldkiften oder von Briefen fünne man jolde
Heinen Sprengfijten an einzelne Perſonen jenden, jo daß fie bei deren Eröffnung
zerjprängen „und mordtlichen jchaden“ täten [S. 546).
5. Quaedam alia. Verjchiedenartigite Vorjchriften zur Zeritörung von
allen möglichen guten Dingen: Bäumen, Tieren, Quellen u. ſ. w., die nach des
Julius Africanus „VBenusgürtel* [5.103] oder nad) byzantinifhen Originalen
ihmeden und denen ſich denn auch ein bejonderes Kapitel „vom Bergifften“ an:
ichließt, dem jogar die Abbildungen der Giftpflanzen nicht fehlen.
Die Auffaffung vom Kriege, welche aus diefem Buche Veit Wolfs
hervorgeht, it widerwärtig. Seine Anleitung zum heimtüdijchen
Zerjtören der Schiffe erinnert unmittelbar an das jcheußliche Ver:
brechen des Thomas, welches in unjeren Tagen Europa entjeßte.
„Die Sicherung der Grenzen durch Vulkane,“ welche neuerdings von
franzöfiicher, bzgl. belgischer Seite angeregt worden ijt!), findet in Veit
Wolfs „Sprengwerfen“ ihr unmittelbares Vorbild.
„Es wehre gut“, meint er, „daß in allen bejagungen, Claujen vnd be:
vejtigten Paſſen ſolch Sprengwerd (es jei von Kijten oder Feuerkugeln) mit
feurichlofjen zugericht, im vorrath ahn der handt wehren, vnd auch die jtelle und
leger fon dazu gegraben vnd gerüft wehren, wohin mans im fall der not jtellen
vnd einlegen wollte. Damit man behend in einer nacht joldhes füllen vnd ein-
legen fündte vnd nit erit graben vnd zurichten wollte, wan die not vorhanden.
1) Bol. Militär-Wocenblatt 1888 Nr. ı und Wr. 4,
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 633
Bnd daß ein heimlicher zuge (Leitung, Zugdraht) ins veldt hinaus, jo mügelich
vnder der erden, geordnet wehre; doc, alles verdedt vnd verleget, aber mit einem
gemerd, daß man es zu finden wiſſe . . . Dis jei einem herrn zur wahrnunge
gejagt, jih wol umbzujehn, wo man durd) enge Gebirge oder vber enge Straßen
im mos ziehen muß, ald in Salzburg, Tyrol, Schweiz, Lotringen, Vngern,
Hijpanien. Item in Beheim, Düringen, Sadjen, Schwarzwaldt, Savoy, im
Stalienifhen Gebirge auff Florenz vond Rom. Ahn ſolchen ortten wehren die
feindt mit gutter gelegenheit in vil hundert wegen zu betriegen.“ S. 543.]
Ein dem Deſſauer Buche nahe verwandtes, nur etwas weiter
ausgeführtes Werk Veit Wolfs liegt im zwei Eremplaren vor. Das
eine, eine rohgetujchte Bilderhandichrift in mäßigem Kleinquartband,
bejigt Dr. med. Rud. Schlötfe zu Berlin. Es führt den Titel „Kriegs—
und Feuerwerckskunſt“ und jcheint das Handeremplar des Ver:
faſſers gewejen zu jein, weijt aber leider eine Lüde auf. Das andere
Eremplar befindet jic) im Depöt general de la guerre zu Paris
(A. I. f. 85), ein jehr großer Foliant (50 cm hoch, 25 breit) mit
vorzüglich ausgeführten NAquarellbildern. Dies it offenbar Die
Reinjchrift Veit Wolf. Der Titel des Pariſer Eremplars lautet:
„Bon allerlei Kriegsgewehr von Gejhüz. Von den langen
Studen. Bon den Mortieren. Von den Feuerkazen . . . Vom Hagel-
geſchoß, Orgelgeſchüz, Streitkarren . . . Auch wie man jtett, ſchlöſſer
vnd allerley beveſtigungen . . . in kurzen Tagen erobern vnd hinwider
wie man ſich gegen dem feind herauſſ wehren joll... Desgl. vilerley
friegsliit, gejchwindigfeiten und ſtrattagemata . . . Vnd vilerley graus
jame erjchrodenliche newe Erfindungen...“ Eine Jahreszahl it in
diefem tadellos erhaltenen Coder ebenjowenig zu finden wie in dem
Berliner Eremplar. Übrigens ftimmen beide durchaus überein, und
die durch Herausreißen entitandene Lücke der Berliner Handjchrift,
welche das Kapitel der Rohrgejchüge umfaßte, läßt jich mit Hilfe
der Barijer Hdſchft. ausfüllen. — Der Inhalt ordnet ſich in
7 Bücher wie folgt:
Vorrede. — Vom Bndergraben. — Etliche der alten Feuerwerck, wie
man’3 vor zeitten gebraucht. — Ragetenzeug, die ich Veit Wolff ſelbs probiert.
— Alte Füerjhleg, Mortjchleg vnd Fewerkugeln. Nüpliche jtüd dem
Femwerwerd anhengig: Behring, Züntſtrick, Fewer einzulegen, Yadeln,
Nachtliecht (aud) einem Roß anzuhenken), Feuer das man weit getragen mag,
Kugelfewer vber veldt zu werffen, Pfahl oder ander Holzwerd im Wafjer zu
verbrennen, Schiffbrüden und Blodhäufer, Schlöfler und Städte (legtere nad)
634 Das XVI Jahrhundert. II. Waffentunde.
uralter Weije durch eingefangene, dort heimijche Kagen oder Tauben) anzuzünden.
Alte Rüftungen (Feuerjchleuder u. dgl.), Triumphfaftell mit Frödenfeuer. — Die
guten geuerfugeln, Mort- und Sprengfugeln: Fewerkfugeln formen ;
ein geheimnig, merf!; Bericht auf alle fewerfugeln, die man oben anzündt; bülzen
fugeln ; eyjen Kugeln; In ein Stadt zu werffen; Sprengfugeln zu maden; eine
ihlagende Kugel; ſorgliche Schlagfugel; Strewfugel mit Fußeiſen; Elefanten-
fugeln; jehr ſtarke Bulver zu Sprengladungen.
Mauerbreher: Scharpfe mezen, 9 geſchlecht (70 — 100: Pidr.); Baii-
liiden, von etlihen aud) Wildemann, von den Jtaliern Nana genannt, 3 geſchlecht
(58—66-Pfdr.); Singerin, zweierley (50 und 54-Pfdr.); Nachtgallen, dreierley
(38—46-Pfdr.); Quartanen, dreierley (40 bis 50-Pfdr.). — PVeldgeihüs.
Nottihlangen, acterley (13—20:Pfdr.); VBeldtichlangen, dreierley (10—12-
Pdr.); Falconen, viererley (6—9-Pfdr.); mag mit 4 Pferden gefuhrt werden;
Duartier Schlenglin, zweierley (4—5-Pfdr.), gefuert mit 3 Pferden; Falconet,
zweierley (2 und 3-Pfdr.); man madt aud feine falconetlin, die 1 Pid.
ſchießen; Scharpfedin. — Baſtartgeſchütz: Feuerkazen, Feuerbüchſen, Stein-
büchſen, Keilſtücke (ganz moderne Hinterlader), Kammerſtücke, meiſtenteils in
Schiffen auf der See gebraucht; Orgelgeſchütz; Barſibüchſen. — Minderes
Geſchütz: Sturmhaken, Mawerhaken, Handgeſchüz. — Stückgießen; Faſſen der
Stück (Lafeten); Räder; Feuern des Geſchützes; Neu gegoſſen Stück beſchießen;
Meßinſtrumente; Kugelmaß; Maßſtäbe. — Mortier mit großen geheimnuſſen:
Elefant, Track, Wolf, Meerkatz Mortier zu gießen. Hültzen mortier. Werfzeug.
Bon den gefehen (Stühlen) der Mortier. Ungefarlicher vberſchlag, wieviel mortier
ein heer zu einem Veltzug mitfueren mochte (Ferdinand 1556 in Ungarn). —
Bon Hagelgeihoh (Markgraf Albrehts Mitrailleufen). — Bon den Oua-
dranten (24 Arten). Horizont des weiten Wurfes (Theorie der ylugbahn).
— Bon dem Laden der jtuden und mortier. — Vom Schangen: Chriſtliche
vermanung; Fußeyſen; Bergifften. — Bon der Brofant. — Bon Schlaffen
machen. — Vber feldt verborgenlich jchreiben, geheime Wort, zeichen geben
(Telegraphie) — Streitfarren und Wagen. — Kurze Leeren von den
Fußknechten. — Etliche leeren der Reifigen. —Wagenburgen. Ordnung
der Wagenburg, Form der eriten Wagenburg, Wagenburg um Lager zu jhlagen. —
Bon Kundihaftern (Shwimmgürtel), Wachten und andere Kriegdgwarnungen.
— Bon Kriegslijten, Stratagemata genannt insgemain. — Bon Ber
ihwiegenheit. — Behandlung der Gefangenen.
Die Inhaltsüberjicht zeigt, dab dieje jpätere Form des Werkes
Veit Wolffs der häßlichen Auswüchje ledig ift, durch welche die
Defjauer Fafjung jo unangenehm auffällt. Die Bieljeitigfeit und
Mannigfaltigfeit des Inhaltes aber find geblieben und zeigen den
Verfaſſer als einen Mann von weitem Überblid. Zuweilen gemahnen
gewiſſe Momente auch deutlich daran, da man es mit einem Artil-
leriften zu tun hat, der in Dienjten einer Seejtadt jtand. — Als
Schriften, welche ihm bei Abfafjung jeiner Arbeit dienlic) gemwejen,
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 635
nennt Senftenberg die des Machiavelli (!), des della Valle, Fröns—
pergers, Reinhart3 von Solms und des Markgrafen von Marignan (?). —
Bon bejonderem Intereſſe jind jene Auseinanderjegungen über die
Geſchoßkonſtruktionen. Über Form, Herjtellung und Ladung der
Hohlgeſchoſſe bringt er Einzelheiten, welche bisher niemand jo Kar
dargelegt hatte. Vgl. ©. 544.) Namentlich gilt das von dem Ab—
ichnitte über die Zünder!).
Senfftenberg unterjcheidet die Zündung don vorn und die durch die Ladung;
aber er fennt au die Zündung „mit zwei Feuern“, bei der zuerjt ein gegen
die Mündung gerichtetes Brandrohr des Hohlgejchoffes und dann erft die Bulver-
ladung des Geſchützes entzündet wird, die nun ihrerjeit3 ein zweites inneres
Brandröhrlein entflammt. — Dasjelbe Berfahren empfiehlt aud) Frönsperger.
Bon jpeziellem Intereſſe find Senfftenbergs Angaben über die
verjchiedenen Arten der Hagelgejchojje:
„Hagelgeſchoß kann man aus allerlei großen und Meinen Stüden jchießen
auch aus den Mortieren werfen; infonderheit dienen die Steinbüchſen und Feuer:
fagen wol dazu, deögleichen die furzen Sturmhaken, welche man pfleget in den
Streichwehren zu gebrauden. 1. Auf die Ladung des Pulvers ſchlage ein Wiſch
von Heu oder Stroh, darauf 20 oder mehr kleine Kugeln aus Lehm gebrannt,
darauf wieder mit Heu verbuſcht. 2. Oder eifen Schrot in ein Lehm eingebohrt.
3. Oder auf dad Pulver jchlag ein Holzklotz, der kürzer denn did jei; darauf ſetz
dann allerlei Kiejeljiteine und verbujd; wieder davor mit Lehm oder Heu. 4. Oder
lade auf das Pulver eine große recht gefügte Kugel aus Hafenerde (Töpferthon)
gebrannt, darauf eine jtarfe Spanne lang voll Kiejeljteine oder Hein gebaden
Kugeln in einen Sad gefüllt oder viele Kugeln oder Schrot in eine plechne
Büchſe GBBüchſenkartätſche). — Item der allerbejte Hagel: Nimm von
Lehm eine armlange Stange in der Stärke des Rohrs oder etwas ftärter, laß
gut trodnen, ſchneide mit einem Mejjingdraht die Stange in Scheiben und dieje
in Stüde, die Stüde laß an der Sonne trodnen; dann je die Stücke mit einem
Drabtlein zujammen und laſs jie im Ofen brennen, dann mit grobem Hanf um—
winden und ein wenig überjhiwemmen. Zu Wien machen jie die Hagelgeſchoß
in den Streihwehren (ald Flantengejhüg), auch alſo von gebadnem Stein ge=
ichnitten, jegend danad) wieder zujammen und beſchmieren es noch ein wenig
mit Zeim, daſs es zufammenhalte, danad) gebrannt.” — Diejer „allerbejte Hagel“
ijt aljo offenbar Bogels „Hagelſchrot oder Strew“ S. 630). — Senfftenberg jpricht
auch von dem „Beheimnis“ (nad Art der Klotzbüchſen oder Espingolen), mehrere
durchlöcherte Kugeln aufeinander zu laden und jie durd einen Schwefeljaden zu
verbinden. Befjer erjcheint e8 ihm aber, dem Rohr drei Zündlöcher zu geben und
1) Die betreffenden Abjchnitte hat General Have in einer Überfegung des Generalftabshaupt-
manns de Milly in feine Fortſezung von Napolcons Etudes aufgenommen, weil die franzöfiiche
giteratur jener Zeit nicht? auch nur entiernt gleich Gediegenes beſaß. Auch Senfitenbergs Zeichnungen
find 3. 7- reproduziert (Vol. III p. 274 ff.).
636 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
die Schüffe darin durd gute Holzjcheiben zu trennen; dann fünne man die drei
Schuß nad) Belieben abfeuern und den Feind täufchen, wenn er wähne, nad
dem eriten Schujje das Geſchütz unterlaufen zu fünnen.
Daß die beiten technichen Anweiſungen diejer Art ſich immer
nur in Handjchriften, nicht in gedrudten Büchern finden, hat jeinen
Grund offenbar darin, daß es Zunftgeheimntfje waren, die innerhalb
eines engeren Kreiſes der Fachgenoſſen mündlich, höchſtens aber jchrirt-
(ich fortgepflanzt, dem großen Publikum jedoch abjichtlich verborgen
gehalten wurden.
Bon bejonderem Werte jind auch Senfftenbergs Angaben über
das Geſchützmaterial jeiner Zeit. — An Rohrgeihügen, die vor:
zugsweije eijerne Vollfugeln jchojjen, führt er 10 bis 11 Arten auf?).
Er erwähnt aber auch eigentliche Hagelgeſchütze (Mitrailleujen).
Bei Markgraf Albrecht zu Brandenburgs Zeiten jind (in Preußen) Stüde
gegofien, 8 Schub lang von 7 Rohren in einem Corpus bei einander, haben
ungef. 1 Pd. Eijen wie die Heinen Falkonetlein gejhojjen. Das ganze Stüd
hat 14 Ztr. gewogen; darin hat man jedes Rohr bejonders allein gelonnt ab-
ihießen oder allezumal miteinander; ijt gleichwol ein fertig Ding aber eine
ihwere lajt gewejen; meines Erachtens ijt mit dem vorgemeldeten gebadenen
Hagel gleich jo viel oder mehr auszurichten.“
Hinterlader jcheinen zu Senfftenbergs Zeit fajt nur noch als
Schiffsgeichüge in Anwendung geitanden zu haben, u. zw. ſowohl
gußeijerne als gejchmiedete.
„Ein Stüd fo 42 Pd. Eifen jchießt, jol 12 Schub lang vor der Kammer
jein und die Kammer für fich ein Fünftel des ganzen Stüdes. Zu jedem Stüd
3 Kammern, diht und gehäb gegofjen für den Dunjt. Auf den Schiffen bat
man viel Kammerbüchjen von hinten zu laden; da nehmen fie zu den eijen-
gejchmiedeten Stüden kugelſchwere Ladung, da viel Dunft neben ausgeht; bei
%s Ladung würde ed nur ſchwachen Schuß geben. Sie haben dazu viel Ladungen
oder Kammern hinten einzuſchieben; da joll man beim Laden das Pulver in
drei Teilen einbringen und jedesmal die Kammern aufjtoßen, damit das Pulver
jich zurecht jet, darauf mit einem fejten Dolzfloß verpfropft, das Zündloch mit
Unjchlitt verklebt und die Kammern zu Hauf gelegt bis man ihrer bedarf. So
fie dann das Stüd laden wollen, nehmen jie die eiferne Kugel, umwinden fie
mit grobem Hanf, jchieben jie dann hinten gedrang in's Rohr, damit fie beim
Schießen nad Unten nicht vorrolle; dann ſchiebt man die geladene Kammer
hinein und jchlägt den Keil dahinter mit einem Poſſekel (Schmiedehammer) feit
und räumt ein.“
ı) Eine Tabelle über Senfftenbergs Rohrgeſchütze bringt Favé a.a. D. p. 26%.
Sie enthält Durchmefler und Gewicht der Kugeln, Gewicht und Länge bed Rohrs, Gewicht der Ladung,
Beipannung, Lafetenlänge, ſowie Dide und Höhe der Lafetenwände. Sorgfältige Darftellungen der
11 Staliber, die jämtlich reich verziert find, begleiten dieſe Tabelle.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 637
Intereſſant und fait befremdlich ift e8, daß der meeranmwohnende
Zeugmeiſter der Stadt Danzig auch der Gebirgs-Artillerie gedenft.
„stem, wo aber Gebirg und rauhe Engweg find, da würde mit Karren
und Wagen nicht viel auszurichten jein; dagegen fünne man gut jtarfe Rohr
machen, Scharfentinlein, 1 bis 1'/a Ztr. jchwer, nicht gegoflen, ſondern von
Eijen gejhmiedet (jpringen nicht jo wie die metallenen) auch können mit Kammern
fein gemacht werden von hinten zu laden; fie freſſen ſich auch nicht auf; wie ich
in Schweden gejehen.” — Rohr und Lafeten werden auf Tragefätteln Pferden
aufgeladen. Die Lafete hat oben eine drehbare Gabel zur Aufnahme des Rohre
und unten umflappbare Füße.
An Mörjern unterjcheidet Senfftenberg 4 bis 7 Arten: den
Elephanten („das jind wahre St. Betersichlüfjel”), (18 Zoll Durch—
mejjer), den Drachen (15), Greifen (14), Salamander (12°), Löwen
(10), Wolf (8), Meerkatze (6). — Es erinnert lebhaft an den
Lafetenbau für moderne Gejchüge mit großen Ladungen, wenn Senfften-
berg berichtet, daß er in Polen Mörjergefäße (Lafeten) gejehen habe,
deren Schildzapfenlager zu ihrer Schonung mit widerjtrebenden Federn
ausgerüjtet gewejen jeien.
Was die Bedienung der Gejchüge betrifft, jo gibt Senfften-
berg namentlich über die Kunjt des Richtens jorgfältige und jehr
belehrende Angaben, mit deren Würdigung Favä ſich eingehend be—
ihäftigt hat. — Recht bejorgt zeigt fich der Danziger Zeugmeifter
für die Sicherheit der Büchjenmeifter.
„So du nad) dem erjten Schuß wieder ladeft, jo jteh mit geſtrax vor dem
Rohr des Stüds, jondern auf den Seiten, damit, jo Unfall zuſchlägt, und noch
verborgen euer im Rohr wäre (wie oft gejchehen), jo iſt befler ein Arm dann
den Leib verloren haben. So du anzündejt, jo jteh hinterm Stüd zwijchen
dem Boden und den Seiten ded Stüds, etlihe Schritte davon, das ift das
Sicherjte.“
Was Senfftenbergs Werk außer artilleriftiichen Dingen enthält,
it ganz ummejentlich und nebenjächlich!).
8 52.
Es ijt oben [S. 621] einer verftändigen artilleriftiichen Arbeit
‚srönspergers gedacht worden; man möchte bezweifeln, daß jie von
ihm jelbjt herrührt, man möchte annehmen, daß er fie, wie fat all
jeine anderen Schriften, irgendwo abgejchrieben habe, wenn man jeine
ı) Auf das Berliner Eremplar hat zuerft Hauptmann Stein aufmerkjam gemadht im „Archiv
für Artillerie und Ingenieur-Offiziere”. 81. Band (Berlin 1877).
638 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde.
jpätere Arbeit iiber denjelben Gegenjtand ins Auge faßt, welche ſich
in einem undatierten Coder der Wiener Hofbibl. (no. 10866) umd
in zweiter Abjchrift in der Dresdener Bibliothek (C. 73) findet und
den Titel führt: „Der großen Stuckbuchſen auch Bollern oder
Morjern, durch welche diefer Zeit die jtarden wehrlichen Gebäum
oder befejtungen zu bezwingen vnd erobern fünden vnd mügen vor:
genommen werden, jampt der Zewg- vnd Büchjenmeifter kunſt, Hilf
Nat vnd VBerjtand; Alles in ain Gefpräch verfaßt vnd mit not:
türfftigen Figuren geordnet. Durch Lienhart Fronfperger an Tag
geben.“
Die Arbeit ijt in dem Wiener Eremplare dem Kaifer Marimilian II., in dem
Dresdener dem Kurfürjten F. Augujto zu Sadjen gewidmet und die Dedikation
unterzeichnet „Fronſperg, burger zu Ulm“. So läppiih und jhwüljtig wie
der Titel ift auch der Inhalt, der von der Herjtellung des „Zuylbüchfenpulpers“
bis zu der der Feuerfugeln das Gebiet der Feuerwerferei und Büchſenmeiſterei
fatehismusartig in Frage und Antwort abhandelt, weldhe einem Zeug- und
einem Biüchjenmeijter zugeteilt jind. In feiner Weife geht die Schrift inhaltlich
über da® „Buch von den probierten Künjten“ hinaus, und in Form und Por:
tragsweiſe bleibt fie weit hinter demjelben zurüd. Vielleicht hat das Frönsperger
jelbjt gefühlt; denn, jo drudluftig er auch war: diejen Katehismus hat er dod
nicht veröffentlicht.
Inzwiſchen trat Frönsperger mit jeinem befannten großen „Krieg
buche“ auf. Der I. Band desjelben erjchten 1566, die beiden anderen
1573 [$ 32). Natürlich nimmt in diejer breiten SKompilation Die
Artillerie eimen bedeutenden Raum ein, dem allerdings der Wert
nicht entipricht.
Sm I Bande bejdäftigen fid das 4. und 8. Buch mit der Artillerie”.
— Das 4. Bud) ift im wejentlichen eine Wiederholung des artilleriftiihen Inhalts
aus Frönspergers früherem Kriegsbuch von 1555 S. 549), das 8. Buch ein ein-
facher Abdrud des i. J. 1557 von ihm veröffentlichten Wertes „Von Geſchütz
vnd Fewerwerck“, das ebenfalls bereits bejprochen worden ift. [S. 621.)
Den II. Band beginnt Frönsperger mit einem Überſchlag der Ardellen
für einen gewöhnlidhen Feldzug. Er nimmt dabei diejelben Geihüg-
zahlen an wie Ott [5.485]; aber weit entfernt, etwa gleich Solms, eigene Ge—
danken über die Zufammenfegung der Artillerie zu entwideln [$ 45 u. 96], hält ſich
Frönsperger in allen wejentlihen Punkten jtrifte an den Entwurf der alten
1) Die Originaltitel ber einzelnen Bücher vgl. $ 32, wo eine Gejamtüberficht des Frönsperger
Ichen ſtriegsbuches gegeben ift. — Eine Stopie (oder die Originalzufammenitelung?) ber in Frröndpergers
Kriegsbuch aufgenommenen artilleriftiichen Kapitel enthält der Cod. Chart. A. 755 „Bon 'Geihüs und
Kriegsrüſtung“ der herzogl. Bibl. zu Gotha.
—
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 639
Kriegsordnung, wie er in deren 2. Buche (Kapitel 1—13) auseinandergeſetzt iſt.
Dinzugefügt find einige techniſche Einzelheiten: Bejchreibung „eines Trogs,
darinnen ein Rad mag umbgehen vnd über ein Moß geführt mag werden“,
d. h. Unterweijung, eine hölzerne Fahrbahn mit vertiefter Radſpur herzujftellen,
um Gejhüge über Sümpfe zu führen. Ferner: „Inftrument, darauff man die
großen jchweren Stüd Büchſen hin und wieder zwijchen die Schiehlöcher oder
Schantzkörb an alle bejhwernufien bringen fann und mag” (Keilblöde). „Auff
etlich vnkoſten des großen Geſchütz zu erjparn“, nämlich durch Abjchaffung der
Sattelmagen und Einrichtung der Marſchlager in den Lafeten des groben Ge—
ſchützes, eine Erfindung, welche Fröngperger dem Oberjten Zeugmeijter des Kaiſers,
Franz v. Poppendorff, zujchreibt. — Daran reiht fi eine Tabelle über Ge—
wicht, Bejpannung, Ladung und Bedienung der Geſchütze, ſowie ein Überjchlag
der Koſten der Artilleriebedüfnijfe (Gejchüge, Metall, Zuſatz, Gießerlohn,
Gefäße, Blochwagen, Progen, Stetten, Yadtzeug und ander Notdurfften), ſowie
eine Abhandlung über die Einrichtung der Yafeten.
In demjelben Bande folgt dann nocd eine „Ander Form eines vber-
ihlags auff ein Ardeley“ für 20 bis 30000 Mann, wobei ein großer
Teil des Vorhergejagten noch einmal auseinandergejept wird und diejenigen
Kapitel von Otts Kriegsordnung, die border übergangen worden waren, nad)=
geholt werden.
Ferner enthält der II. Band von Frönspergers Kriegsbuch aud eine
Mathematiſch-Geometriſche Ardelley, welhe dem Kaiſerlichen Oberſt—
Zeugmeiſter Frantz dv. Poppendorff gewidmet ijt. Die Arbeit ſtützt jich, jomweit
ballijtiide Dinge in Frage fommen, wejentlih auf Reiffs gleichnamige Wert
(2. 603], indes waltet der empirifchspraftijche Gefichtspunft vor. Frönsperger
lehrt den Gebraud des Uuadranten und des Winfelhafens jowie des Kaliber:
jtabes (nad) öjterr. und bayr. Gewicht), das Meſſen der Entfernung mittels des
Winkelhakens und mitteld des Ajtrolabiums. Dann folgen: Bergleihung der ge-
wöhnlihen Maße; Beichreibung des Tajterzirfeld ſowie verjchiedener Arten von
Quadranten und Rihtinftrumente, wobei viel Überflüffige® mit unterläuft; Ver:
gleihung der Kanonen; Kern- und Viſierſchuß. Eine jeltjame Wichtigtuerei jpricht
aus dem Tone dieje8 Buches, namentlich aus dem der Vorrede.
An die mathematijche Ardelley jchließt fih ein Kapitel über Bau und
Einrihtung der Zeughäujer, das jedoch, Helm gegenüber, faum etwas
Neues bringt, und eine Abhandlung, die unter dem Titel „Geſchützes Inhalt“
20 Säße der praktiſchen Geſchützkunſt auseinanderjegt. Dann unterrichtet
der Berfafier über: Ausladen der Kanonen; Verhältnis der Yadung zur Metall:
itärfe; Offnen vernagelter Zündlöcher; Pulverprobe; Laden der Mörjer; Aufſatz
der Gefchüge nad) Zollmaß; Hagel- und Igelſchüſſe; „Undergraben vnd ver:
iprengen“ (jehr obenhin); Artillerie bei Sturm.
Endli bringt der II. Band nod ein Kapitel unter der überſchrift:
„Andere furge Form etlicher Artikel, die Büchſenmeiſter be—
langendt,“ in welchem vorzugsweiſe von Munition und Feuerwerk gehandelt
640 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
wird, offenbar auf Grund von Helms „Kunſtbuch“. Brodenweije jpielen Stard:
und Schmidlapps Schriften hinein.
Der III. Band des Kriegsbuchs bringt feine artilleriftiichen Abjchnitte. —
Ein Auszug des für dad Geſchützweſen Wichtigiten aus Frönspergers Kriegsbud
findet ſich in Eſſenweins „Quellen zur Gejchichte der Feuerwaffen“ S. 87 ff.
8 53.
Em Werk von hoher Bedeutung it der „Dialogus oder Ge
jprech zwayer Berjonen, nemlich aines Büchjenmaijters mit
ainem Fewerwercks-Künſtler, von der waren Kunſt vnd rechtem
Gebrauch des Büchjengejchoß und Ferverwerds,* das Samuel Zümer-
mann von Augsburg i. 3. 1573 jchrieb.
Die erjte Nachricht davon gab der verdienjtwolle Forjher Major Toll,
der die Heidelberger Handſchrift kennen gelernt hatte und fie für ein Unicum
hielt. Indes fenne ich außer diefem Cod. palat. 258 nod) Eremplare in den
Bibliothelen zu Dresden (C. 73), Darmjtadt (Nr. 485) mit der Jahreszahl
1574 auf dem Einbande, Stuttgart (milit fol. no. 14, 2), Wolfenbüttel (Extra-
vag. 234) mit einer vom 15. April 1575 datierten Vorrede, Berliner Zeughaus
(ms. 16), München (cod. germ. 4165), Gotha (chart. fol. 560, 561, unvolljtändia,
568) und HauslabsLiechtenftein zu Wien, d. d. Augsburg 1577. — Nicht alle
Handichriften find mit Zeichnungen erläutert; fie fehlen 3. B. denen von Darm:
jtadt, Wolfenbüttel und München.
Der „Eingang“ ijt „reimensweije gejtellt“: Büchſenmeiſter und Feuer—
werfer taujchen ihre Kenntniffe aus, wobei jeder eigentlid gern mit den Geheim—
niffen zurüdhielte und nur auf inftändige Bitte des andern ſoviel davon offen:
bart, als fih mit bloßen Worten erflären lafje. — Diejem Eingange folgen
zwei Teile.
Der 1. Teil handelt „Von den Büchſengeſchoß, von den Büchſen—
puluer aud von jeiner frafft vnd würdung.“ Bejondere Abjchnitte
desjelben jind die „Von den Zintjtriden, Schwammen, Zunder vnd Schwefel-
ferzen; Was vor Injtrument ein jegliher Büchjenmaijter zu feiner Notturit
jtetig bei ihm haben mujs; Bon den Fürfchlägen; Bon den Kugeln; Bon den
Hagel Gefchröt; Von gejpaltenen Kugeln jo an Dreten und Ketten gefchlofien
werden; Wafjer und Fewer Strahlen zu ſchießen; Wie die großen Stüd Büchſen
jollen geladen, aud) gericht werden; Von den geometriihen Injtrumenten, damit
eine jegliche Höhe, Tiefe, Weite, Breite gemefjen und abgejehen mag werden.“
Der 2. Teil handelt „Bon Fewerwercken“. Im einzelnen bejprict
er: „Manderley componirte und angetragene Zeuge zu allerley Fewerwerch
Raggeten, Stöde, Nageten und alle ihre Zugehörung, aud) wie diejelbe zu machen,
daraus den anfenglih alle Fuerwerd ihren Uhrſprung haben; Schnurfeuer, die
an Schnüren hin und wieder faren; Steigende und fliegende Feuer; Feuerkugeln
mit und ohne Schläge in die Bohler zu mahen; Sturmringe; Feuerwercke, die
— — —e —— —— — ——
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 641
ſich von ihm ſelbſt anzünden; böſe vergiffte Rauche und Geſtencke; Beſchreibung
der Salpetererden; Salpeterſudt und Läuterung und etliche Puluer-Sätze.
Der intereſſanteſte Abſchnitt des Werkes iſt der von den Kugeln.
Da iſt die Rede von Geſchoſſen mit inwendig verborgenem ſpringenden
Federwerk, von „Kugeln, die ſich vom Schuß in ein dunſtend Waſſer
rejolviren“, von Gejchofjen, „die jich von ihrem Niederfall und An—
treffen entzünden“ (Perkuſſionszünder), von „Hagel mit vielen Stücken
in eimer bleyernen Zarge“ (Hülle), von einer Hagelkugel aus Metall,
„die ganz von einem Stüd gegojjen iſt und jich vom Schuß jchmelzt“,
endlich aber von einem „Hagelgejchret, das ſich über etlich
hundert Schritt vom Stud auftut.“ Die Beichreibung diejes
höchſt merkwürdigen, für die Gejchichte der Artillerie überaus wichtigen
Geſchoſſes lautet wie folgt!):
„Seuerwerder: Mag aud) nicht ain Hagel gemadt werden, der ganz
vom Rohr fert und jich erſt ober ettlich Hundert Schrytt, nachet oder fer wie man
will, von ainander geht und ſich austhailet ?
Bühjenmaijter: Solliches ift gar ſchwerlich und mit grofjer mühejeligfait
ins werdh zu richten, jedoch moglih; aber nit wie ettlih auß vnverſtandt ohn
alle erfahrung davon geredt vnd gejchryben haben. (Geht das vielleicht auf Vogels
Hagel? [E. 630). Man joll den Hai in ain Blayen Zarg ainmachen, die zu-
binderjt ain boden, miden in demjelben ain Loch, daß man ungevährlich ain
fünger hineinjtoßen mag, vnd ain hülzen rohr (Zünder) binden bei dem dazu—
gemadten loch in den boden hineingejtoßen, bis auf halben Thail. Durnad)
neben dem rohr joll die Zarg mit röjchem (Korn=)puluer ausgefüllt werden vnd
ungepährlid ain Ziwvergfünger Hoch über das rohr. Darnad) den Hagel (Kartätich-
fugeln, Eijenftüde, Kieſelſteine) darauf hineinjegen, geheb und jtatt. Das rohr
(den Zünder) joll man mit ſchwachen Raggetten= oder angefeuchtem Zeug ainfüllen
vnd zuporderjt (an jeinem Kopfe) mit Zündtpuluer aingerungt (eingeräumet, an—
gefeuert) vnd aljo in dad Studh auf das Puluer hinaingeladen und gejtofien
geſchoſſen). So zündt fih da8 Zeug im Rohr vom Schuß an vnd fehrt der
Hagel aljo gang (ungeteilt, ungeöffnet) vom Studh vnd bleibt bei aynandter bis
der Zeug im Rohr (Zünder) ausbrynnt bi auf das Puluer. Alßdann zerichlag
ihn erit das Puluer, jo dahinter ligt vnd gedh von ainander. Soliche Speculation
haben vil gehabt; aber im Werdh und in der Prob hats ihnen grob und wait
gefelet. Dergleihen Erempel hab ich vor welcher zeitt jelbjt gejehen, dab ſich
ain jolliher Hagel im Studh angezündtt vnd gleich vor dem Studh zerjprungen
vnd in Boden gangen. Und het (hätte) der Teufel ain Gaugelſpiel angericht,
wo nicht das Glickh jonderlich dabei geweien ... Willit du aber, daß es guet
thue vnd fhaine gefar darbei zu beforgen jey, mujtu die Zarg inwendig mit dünnem
) Nach dem Codex palatinus Nr. 258 unter erläuternder Vergleihung mit der Handſchrift
ner Bücherei des Berliner Beughaufes.
Zähne, Geſchichte ver Kriegswiſſenſchaften. 41
642 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
Zaimb (feinem Thon) füttern, darzu daß Rohr (Zünder) fleyhig mit dem Zew
füllen vnd zuvorderjt auf dem Zeug ainrummen. Vnd jatt auf das Puluer cn
ſtuckh hineinjegen, wie ſich geburt.”
Aus dieſer Darlegung ergibt Jich (wie jchon Toll nachgewieſen
hat), unmiderleglich, daß die Granatfartätjchen, oder, um da
üblichen Ausdrud anzumenden, die Shrapnels, eine deutidi
Erfindung aus dem 16. Ihdt. jind; ja ſie fällt in eine Zeit, die
hinter derjenigen, in welcher Zümermann jchrieb, noch um mehr als
ein Menjchenalter zurüdliegen muß; denn es heist zu Beginn de
Kapitels von den „Hagel-Geſchrott“, daß dies Geſchoß „bey vuniern
Bätern eine große Kunjt vnd heimligfeit gewejen..., dab vniere
vorfahren ein Hagelgejchröt in ein Bleyen jarg eingemacht vnd alſo
geſchoſſen.“ — Dieje Angaben lehren, wie alt und wie deutjch-national
dieje vermeintlich jo junge, angeblich engliiche Erfindung it. Das
Schießen mit derartigen Granatfartätjchen jcheint übrigens nach und nad
zu eimem jolchen Grade von Vollkommenheit gebracht worden zu jem,
daß es im Gefechte Anwendung fand. Ein Bericht über die Belagerung
von Gennep läßt in dieſer Hinficht feinen Zweifel!). Toll bemerkt
darüber, daß die deutjche Artilleriegden von ihr zuerjt gefaßten Ge
danken in der Folge fallen lajjen und nicht zuerjt wieder aufgenommen
hat: es jei das nur zum Teil ihre Schuld. „Denn befanntlich haben
ja von jeher deutjche Erfindungen in Deutjchland nur erjt dann Ein
und Fortgang gefunden, nachdem jie vom Auslande unter fremder
Firma dahin zurücgefehrt waren.” — Ob der General Shrapne
Kenntnis von der deutjchen Hagelfugel und von den Grumdjägen
ihrer Anwendung gehabt, das muß dahingejtellt bleiben ?).
8 54.
Bon demjelben Samuel Zümermann, welcher diejen bob
intereffanten Dialogus verfaßt hat, bejigen wir noch ein zweites u. zw.
ı) Als Graf Wilh. v. Oranien 1641 Gennep belagerte, ſchoß die ſpaniſche Artillerie aus der
Schloſſe bleierne Hohlkugeln, die mit Fleinen Kiejeln gefüllt waren, melde nad dem Zerplapen der
Kugel umberflogen und viel Schaden taten. Dieſe Hohllugeln (boulets de plomb, qui estoieni
remplis au dedans de petits cailloux) wurden aus Sanonen geſchoſſen, mas daraus berworad
daß nach der Einnahme des Schloffes nur jolche, feine Mörjer, vorgefunden wurden. Die Stremmg
fand ftatt »lorsque les boulets venoient a tomber«, aljo nod) während bes Flugs: es An
fomit unzweifelhaft Granatfartätihen. (Commelyn: Hist. de la vie de Fred. Henry de Nassau
Amsterd. 1656. II, p. 92.)
9) Bol. General Bormann: Das Shrapnel-Geſchoß. Hiftor.»techniihe Stizze. Verbeutiö‘
und mit Anmerkungen verjehen von General du Bigrau (Berlin 1863).
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderte. 643
jehr jeltiames Buch, welches betitelt it: „Bezaar, Wider alle jtich,
ſchuß vnd jtraich, voller großer geheimnuffen, genannt Byromadia,
d. i. fürnemblich die funft, wie man wider das büchjengejchoß vnd
belloniſche feuerwerch durch andere feuer, jo nit allein aus der Me
chanica verborgener Griff Menjchlicher behendigfait, jondern auch
vbernaturlicher weiß ihren vriprung haben, Mannlich, Ritterlich, künſtlich
vnd Sighaft jtreiten jol.“
Ein Eremplar des feltenen ungedrudten Werks befindet fi in Gotha (Cod.
Chart. 566), ein anderes in der Behördenbibliothek zu Defjau. (11025 : 6178. B.)
In dieſem „Bezaar“?) zeigt jich nun „der bejtellte Büchjenmeijter
der Neichsjtadt Augsburg und der freien Künjte Liebhaber“ Zümer-
mann, doch als ein bedenklich abergläubiicher Kopf, der in den Vor:
urtetlen jener Zeit recht gründlich verjtridt war; denn wenn das Buch
auch feineswegs nur „Beliala“, d. h. teuflische Rezepte, enthält, viel-
mehr auch manche ganz praftijche Heil- und Nettungsvorichrift, ins—
bejondere für das Feuerlöſchweſen, jo überwiegt der nefromantijche
Teil doc wejentlih. — Einige® aus dem Eingangsgedichte zum
„Dialogus* ijt, entjprechend eingefleidet, auch dem Bezaar wieder
vorangeitellt. Eimer hiſtoriſch-theologiſchen Einleitung folgen dann
10 Bücher:
1. Wie man ſich vor vil feurs gefärlichkeiten bewahren ſoll. — 2. Von
bellonifchen Feuerwerchen, wie in gar vilen Caſibus tröſtlich, ritterlich, ſieghaft
vnd mannlich darmwider zu ftreiten jey. — 3. Von den NRemedien, ziemlichen und
unziemlihen Miteln wider das Feur vnd Büchſengeſchoß, damit auch die Brunit-
feuer verjönet werden. — 4. Bon Brunjtfeuren, wie in vielen Caſibus damider
zu handeln jey. — 5. Bon verborgenen euren der Ehriftallen, feurjpieglen,
Saphirftainen u. dgl., auch wie darmwider zu handeln jey. — 6. Bon den Ero-
dinifchen vnd Teſſeriſchen furen (d. i. Kreyden, Feldgefhrey, Lojung, Warnung
durch Feur, Raud und Büchſenſchuß; alfo Feldtelegraphie). — 7. Bon den Metheori-
ichen vnd vbernatürlichen feuren und ob die Heren vnd Zauberinen ſolche oder
blig, Negen, Hagel maden können; wie auch darwider zu handeln fey. — 8. Von
der Probation, Pürgation vnd Jurisdiction des feurd; was davon zu halten. —
9. Bon den Remedien wider alle feuerbrennung oder verbrennung oder verlegung
der hitz vnd flammen. — 10. Bon Kräften vnd eigenjhaften der feur, vnd wie
darwider zu handeln jey. — Den Beihluß des Buches macht ein Onomasticon,
d. h. eine artilleriftiiche und pyrotehnifche Wörtererflärung, welche nad) vielen
Richtungen Hin wertvoll erjcheint.
1) „Bezoar” vom arabiſchen bäzachar (aus perfiih bädizehr; bäd = Wind, zeher = Gift),
bedeutet: „Das Gift in den Wind!” aljo eine audtreibende Arzenei, al® welche der Magenftein ber
Gazelle galt.
41*
644 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
8 55.
Es iſt auffallend, dat die meijten größeren Arbeiten dieſer Zeit
in Deutjchland jo vorwiegend das pyrotechnijche Element hervorheben:
die Feuerwerkerei, einjchlieglid) der Geſchoßkunde, überwiegt offenbar
die Büchjenmeiiterei. Doch fehlt es, jelbit abgejehen von Wulff von
Senfftenbergs Schriften, nicht ganz an Handbüchern, welche auch dem
Artillertematerial entiprechende Aufmerkjamfeit zumeyden. Dahin ge
hören die folgenden:
Win bewertten büchjenmatiterey Khünjten anno dom. 1574.
In der Studienbibl. zu Salzburg (ms. V. 1.3. ©. 2. 252). Bietet
weder neues noch wichtiges.
Büchſenmeiſterey Buch in der E. £. Hofbibl. zu Wien (no. 10772),
eine unfritijche, wenig gebildete Zulammenjtellung.
Auf der Innenſeite des Dedels jteht „Georg v. Eyb, geb. 1569.“ Die von
anderer Seite geäußerte Vermutung, dab diefer Eyb Verfaſſer des Buches fei, üit
nichtig; denn der Einband weilt da8 Datum 1580 auf; Georg hätte das Wert
mit zehn Jahren jchreiben müjien.
Anwetjung zur Feuerwerkerkunſt und Büchjenmeijterei
in der fol. Bibliothek zu Berlin (ms. germ. qu. 169) iſt interejjanter.
Dieje Arbeit jtammt etwa a. d. 3. 1575 und zerfällt in einen pyro—
technifchen und einen artilleriſtiſchen Zeil.
I. Feuerwerkerkunſt: Salpeterleutterung. Pulvermaden. Körnnenn.
Pulverſätze. (Pirſch-, Hadhen-, Schlangen» und Feuerkugel-Sätze.) Gejchmelgen
Zeug. Brennende Steine (Brandkugeln) zuzurichten und zu teuffen. Sturm-
hänge, Sturmipieße, Sturmbäfflein. Waſſerkugeln. Rachethen. Feuerräder.
Bienenihwärme. Röhrenzeuge.
I. Büchjenmeifterei: Die jtüdhe jambt den lodten. Feldtgeſchott:
Falchonetlein, Feldtichlänglein, Falkonen, Feldtihlangen, Uuartierichlangen, Not:
ihlangen, Singerin. Hauptjtüdhen: Nacdtigallen (5 Arten), Scharffmegen
(12 Arten). — Bon den gefähen und den Radenn. — „Folgen nod) etliche Rezepte.
Den Beihluß macht die Darjtellung einer an einem Thore angebradıten Betarde.
Faſt ausjchlieglich mit dem Materiale der Artillerie u. zw. den
fleiniten Kalibern, die auf der Grenzicheide zu den Handwaffen ftehen,
beichäftigt jich eine Bilderhandjchrift der Wolfenbütteler Bibliothek
(Extran. 158), die den Titel führt: „Karnwerg mit dem geichüge,
Ittem Schirmfarın auff zwey Raden, jo der Graff von Görs ge
braucht.“ 1586.
Auf der eriten Seite des jeltiamen Büchleins jtehbt: Contenta: 1. Alerband
Inventiones des Kriegsgeſchützes, ed auf eine bequeme Art zu tranjportiren.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 645
2. Allerley Karrenwert im Kriege zu maden. 3. Wie es mit dem Salpeter in
Brandenburg 1572 gehalten worden.
Die »Inventionese verfolgen einen doppelten Zwed: einmal den, mächtige
Doppelhaten auf Karren zu lagern und im Gefechte als Mittelding zwifchen
Handfeuerwaffe und eigentlihem Gejhüß zu verwenden, dann aber den, Streit-
farren einzurichten im Sinne der von Beit Wulff empfohlenen Maſchinen, zu
dem Zwede, mit ihnen gegen helle Haufen oder gegen feſte Bofitionen vorzugehen.
Die meijten Jnventionen rühren von dem Herzoge Heinrich Julius von Braun:
ſchweig her"), und jtet3 wird gewiljenhaft der Tag angegeben, an welchem fürjtl.
Gnaden dieje Erfindung gemadt. Es jind meist jchlecht jfizzierte Spielereien ;
doc; kommen aud) einige gut ausgezeichnete, verjtändige Waffen vor, jo 3. B. die
am 18. und 19. November 1586 erfundenen „Juliushaken“, leichte Hinterlader-
geihüge auf Sciebfarren. Mit allem Zubehör wird der Preiß eines folchen
Gewehrs auf 30 Gulden angegeben. Auch mehrere Rohre finden fich auf einer Karre
vereinigt. Närrifch ijt die Invention eines Braunfchweiger Löwen, durch den ein
Feuerrohr hindurchgeführt ift; er wird am After geladen und die Mündung liegt
im Rachen. — Welche der Inventionen eigentlid) auf den Grafen von Görs (Görk ?)
zurüdzuführen find, läßt fich nicht erfennen. — Das angehängte Reglement
über die brandenburgiſchen Salpeterjieder iſt hiſtoriſch intereffant.
Ferner verdienen an diejer Stelle zwei Handjchriften der Münchener
Hof und Statsbibliothef, ſowie eine des Berliner Zeughaujes Er:
wähnung:
Das Khunſtbuch des bayerischen Büchſenmeiſters Andree
DPepffinger von 1571 (cod. germ. 3674), das übrigens nur die ge
wöhnliche, jchulmäßige Überlieferung enthält.
Feürkunſt vnd Kriegsbued des Schurff von Schönwerd
von 1576 (Zeughaus ms. 15), dem ein „Sründlicher Bericht von der
Püxenmeiſterei“ angehängt it. Auch dieſe Handjchrift tit ohne be
jondere Bedeutung.
In dem von dem Ingoljtädter Zeugmeiiter Walther Lügelmann
i. 3. 1582 verfaßten und dem Herzoge Wilhelm von Ober: und Nieder:
bayern gewidmeten Artillerie und Feuerwerksbuch (cod. germ.
909) ericheint bejonders der die Wagenburgen betreffende Ab-
ichnitt bemerfenswert, den Würdinger im Anzgr. f. d. Kumde der
dtich. Vorzeit (1872 ©. 283 ff.) mitgeteilt hat.
Nicht umintereffant it ein vermutlich auch aus den achtziger
Sahren jtammendes, in der k. k. Hofbibl. zu Wien bewahrtes Manu—
1) Daß diefer Fürſt, der damals erft ein zweiundzwanzigjähriger Erbprinz war, der Erfinder
ift und nicht etwa fein Vater Herzog Julius, geht daraus hervor, daß überall ein aus H und J ver:
fhlungenes Monogramm vorfommt. Heinrich Julius hat fi ja auch als praktischer Fortifilator
betätigt.
646 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
jfript (no. 10921): „Ein vnterricht wie man Fewer zurichten
muß, Cartaunen, Schlangen, depgleichen auß den Mörjern werffen
vnd jchießen joll zu brennen, zu jprengen vnd zu jchlahen zugericht.“
Bejondere Aufmerkſamkeit verdient der Vorjchlag, die Belagerungen durd
vermehrte Anwendung des Vertikal-Feuers, namentlid; mit großen Feuerkugeln,
abzufürzen. Dies erinnert lebhaft an Senfftenberg [S. 545).
Eine in meinem eigenen Beſitz befindliche Handichrift, „Ain
furzer Bnderricht, wes ſich ain Büchjenmaijter halten joll“,
rührt ungefähr aus derjelben Zeit her.
Die pyrotehniihen Dinge nehmen freilich aud) hier den breitejten Raum
ein; doc jind auch die rein artilleriftiihen nicht vernachläſſigt. Insbeſondere
zeichnet fi) die mit rohen, doc) deutlichen Skizzen reich illuftrierte Handſchrift
durch gute Einzelheiten über die Verſchlußſyſteme der Kammergeſchütze ſowie über
die verjchiedenen Arten der Betarden aus. Bemerkenswert erjcheint es, dab dieſe
jpäte Arbeit ſich noch auf die Autorität Löffler S. 620] beruft.
Im Jahre 1840 befand jich ein hHandichriftliches „Kunjtbucd von
Artollereij vnd Büchſenmeiſterſachen“ im Belite ©. K. 9.
des Prinzen Auguſt von Preußen, über dejjen Verbleib mir nichts
befannt it. Die Herren v. Malinowski und v. Bonin führen daraus
in ihrer „eich. der Brandenburg. Breußiichen Artillerie“ (1840)
einige Angaben über Pulverbereitung an.
Der jpandauifhe Pulverſatz bejtand aus 1 Pfd. Salp., 3 Lth. Schw.,
4 Lth. K., der cüftrinische aus 1 Pd. Salp., 4 Lth. Schw., 2 Ltd. K. oder ge
mehltem Sandel; denn jtatt der Kohle wird aud roter Sandel (Salbnußholz)
in Ejjig gebeizt, verwendet. Auch Rezepte zu farbigem und aldymijtischem Pulver
finden ſich Bergiftetes Pulver wird wie folgt hergejtellt: „Nimm ein
Molch vnd ein Wurm; dieſe zween Würme thue lebendigs zujammen in einen
neuen Hafen, verkleibe den wol vnd brenne jie zu Pulver, miſche es alsdann
unter das andere qute Pulver, lade damit, vnd wenn du jcheujt, jo höret man
den jchues jämmerlichen vnd jeder mann erjchridet.“
Das Marburger Archiv bewahrt eme „Büchßenmeijteren.
Bon Bulffer vnd Feurwerdh zum Schtmpff vnd Ernjt zu machen
vnd zu werffen. Auch von Buchjen zu Schießen vnd Abzutheylen.“
Bon Werner Heydemann, Burgern zu Caſſel 1589.
AL diejen Werfen nahe verwandt ijt eine „Büchjenmeijterey“,
welche Friedrich Meyer, gewejener Feldzeugmeijter und Bürger zu
Straßburg, i. 3. 1594 verfaßte und welche fich im bayerischen National-
mujeum zu München befindet. Ejjenwein hat von ihr in jeinen
„uellen zur Gejch. der Feuerwaffen“ (S. 97) Mitteilung gemacht.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 647
8 56.
Bon höherem Intereſſe als die meijten der eben erwähnten
Werfe it die in der Münchener Hof und Statsbibl. aufbewahrte
„Artilleriefunft durch vnd für einen Ausüber derjelben
gejchrieben zu München 1591.“ (Cod. bavar. 3113.)!)
Die Arbeit zerfällt in zwei Teile, deren jeder pyrotechniſche und artilleriftijche
Elemente mifht. Der erjte Teil geht vorzugsweife auf die Zubereitung der Ges
ichofie, auf die Schießkunſt und das Verhalten des Meijters ein.
Nach zahlreihen Rezepten zur Bereitung der Yeuerpfeile, des zahmen
und wilden Feuerwerks, der Feuerkugeln, Feuerfählein u. f. w.
tommt Berfafjer auf die glühenden Kugeln, die in blehernen Büchjen ver-
laden und von dem Pulver durd einen Klogen getrennt wurden. Wie in den
meiften anderen Feuerbüchern diejer Zeit (z.B. aud) bei Senfftenberg), werden die
jeltjamen Brandjtiftungen in belagerten Städten durh Tauben und Katzen
ausführlich erörtert. — Beim Laden joll fein Hauptjtüd über ein Drittel der
Länge mit Pulver, Kloß und Kugel angefüllt werden. — Das Brechſchießen
geijhah mit Scharfmegen und Notſchlangen. Letztere eröffneten das Feuer, indem
jie zwei Mannslängen über der Erde Schuß neben Schuß in die Mauer fepten;
dann legte man zwijchen je zwei Notjchlangenjchüfle einen Schuß aus einer
Scharfmege ein: „jo bohren die Schlangen in das Gemäuer; darnad) erjchellen
es die jcharfen Mepen, dab es viel dejto bälder fallen mu}.“ War das Gemäuer
„erichellet“, jo gab man den legten Nachdrud mit Steinbüchſen. — Um eine
Schlahtordnung mit dem Geſchütz zu befämpfen, wird der Göllſchuß mit dem
doppelten Aufihlag auf hartem Boden empfohlen”). — Injtrumente des
Büchjenmeijters jind: Duadrant, Driangel, Winkelmaß, Bleifheid und Waſſer—
wage. — Unter den „ernjtlihen Kugeln“ jind bejonders die „pringenden“
interefjant. Es waren das Granaten, entweder von Eiſen gejchmiedet oder hohl
gegofien, meijt nur mit einem Loc, in das ein eijernes, mit trägem Zeug gefülltes
Röhrlein getrieben wurde. Dies entzimdete man von vorn und gab dann „hinten“
euer. — Kartätſchen oder Hagel aus 30 bis 40 Schroten faßte man in
VPapierbüchſen zujammen und ſchoß damit bis auf 300 Schritt. — Das Kapitel
„von Unterweijung des Geſchützes den Büchjenmeijtern zuftändig“ bringt nod)
immer die nun faft zweihundert Jahre alten Bühjenmeijterfragen. —
Energiſch jpricht der artilleriftiiche Zunftgeift fich in folgender Bemerkung aus:
„Sewarnt will ich did) Haben, lieber Pirrenmeijter, da du deinem Zeugmeifter
1) Bol. Heilmann: Ariegägeih. von Bayern, Franten, Pfalz und Schwaben von 1506—5l.
(Münden 1868), ©. 369 ff.
2) Diefen Rollſchuß (Göllſchuß, Ricochetſchuß) wenig elevierter Geſchütze empfiehlt auch der
Fortifilator Marchi 3 116) in ſeinem 4., von der Artillerie handelnden Buche (1565). Auch ein aus
derjelben Zeit ſtammendes anonymes Manujtript der Ricardiana in Florenz (Mr. 2525 des gebrudten
Kataloged), jagt: „Richtet das Stüd jo, daß die Kugel, etwas vor den Truppen aufichlagend, in
Cprüngen (rimbalzi) dur ihre Reiben bringe, Das tut großen Echaden, zumal auf feftem und
fteinigem Boden, wo bie emporipringenden Steine mitwirfen.”
648 Das XVI Jahrhundert. II. Waffenktunde.
bei deinen fayjerlichen Freyheiten, mehr als deinem Feldherrn gehorjam jein
wolleſt und gar feinen Schuß ohne feinen Willen und Wiſſen thuejt bei Leibes-
itrafe; denn er im Felde und Beſatzung der Oberjte ift.“
Der zweite Teil ift wejentlid) pyrotechnifcher Natur und behandelt dir
Pulverbeftandteile und Pulvermifhungen: für Stein und Stra
büchjen: 1 Salpeter zu 1 Schwefel und 34 Kohle, zu Hauptjtüden: 2 Salpeter zu
1 Schwefel und 34 Kohle. — Nachdem die Dimenfionen und innere Einrichtung
eineg Zeughauſes angegeben worden, zählt Verfafjer die Geſchütze auf, welde
es aufzunehmen hat. Nämlid an Wurfzeug:
2 Böller oder Mörjer auf Schlitten, um Feuerwerk zu werfen.
4 Mörjer im Gefäß auf Achſen.
2 Heinere auf Schlitten zum Feuermwerf.
4 Dararen auf der Achſe im Gefäß, um Stein= oder Feuerkugeln zu werfen.
Un Rohrgeihüp:
2 Scharfmetzen, welche 95 bis 100 Pfund Eijen jchießen.
2 halbe Scharfmegen (80 Pfd.) 8 halbe Notſchlangen (Singerinen)
2 Doppelsftarthaunen (70 Pfd.) (20 Bd.)
4 Karthaunen (50 Pfd.) 12 ganze Feldihlangen (15 fd.)
2 halbe Karthaunen (40 Pfd.) 12 halbe Feldſchlangen (10 Pfd.)
2 Quartier Slarthaunen 12 Quartierjhlangen (Fallonen) (5 Bid.
(30—50 Bid.) 12 Faltonetlein (1—3 Pd.)
4 Notſchlangeu (25 Bid.) 12 Falkonetl (1 Pd.)
Endlich, 12 Igel, die man auf der Achſe jchießt, oder die man jonjt Karren:
büchjen nennt, die etwa ain 9 Schuß tun oder mehr.“ Die Summa des Ge
ſchützes macht mit den Igeln 161 Stüde; „doc nad) eines jeden Herrn Bermögen
hierin feine Ordnung zu geben.“ — Im erjten Teile nennt der Verfaſſer aufer
den hier aufgeführten Gefhügen noch: Parjcherlufg (40 Pfd.), Nachteral (45),
Püfel (55), Aff (65) und Drommetterin oder Dararen (WM Pfd.).
8 57.
Noch etwas jünger als dies Werk iſt das „Schön vnd Khünſt
lihe Bueh von der Pirenmatjterey Zum Ernit von?
Schimpff”, zujammengetragen von Sebajtian Hälle. Eine Quart:
handjchrift derjelben mit folorierten Abbildungen befindet fich in der
Bibl. des FZM. v. Hauslab, welche jet dem Fürſten Liechtenjten
zu Wien gehört, eine Foliohandjchrift mit jchiwarzen Federzeichnungen
in der Bücherei des Berliner Zeughaufes (ms. 19).
Hälle nennt in der Einleitung die Meijter, von denen er gelernt:
jo von Hans Karle (Schneider!) lieft Schärle) von Ingoljtadt 1588 das Feuer:
wert, von Bartolome Behem, gem. Büchfenmeijter auf Hohenfalzburg, 1595 des
1) Vgl. Schneider: Die Bibliothet Sr. Erz. des FHM. von Hauslab. (Mitteilungen des
t. f. Artillerie und Ingenieurfomiteed. 1866.)
2 Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 649
Pulvermaden, von Tobias Volckmar, Goldfhmied Mathematicus vnd Aſtro—
nomus zu Braunſchweig, den Schuß aus dem Stückzeug und das Werfen aus
den Mörſern, von Martin Händle von Nürnberg auf Veranlaſſung des Fürſt—
bijchof8 Wolf Dietrih von Salzburg 1596 die Kunjt des Sprengwerts. — Auf
dem Titel erflärt übrigens Hälle, daß der Inhalt „zum Guetten Thail durd)
Mid Lrobiert worden“, und in der Tat trägt das Buch in vielen Dingen
originef.e8 Gepräge. — Der Überjchrift folgen nachſtehende Verſe:
Veracht nit mich vnd die Meinen,
Beſchau vor dich vnd die Deinen ;
Siehe dich an vnd nit mid);
Thue ich vnrecht, So hiette did).
Ih thue das Meinig, fouill mir Got die Gnad bejcheret;
Sp thue ein anderer das Seinig, jo wirdt die Khunjt gemeret. —
Was man will haben behenndt,
So ſuch man Hinten im Regijter vnd an fein endt.
Das Leptere ijt leider im Berliner Eremplare nicht möglich, weil die Ab—
fchrift nicht ganz vollendet it. Am wichtigjten erjcheinen folgende Abjchnitte:
Ale Stüd nad geometriihem Grund zu mefjen und abzuteilen. Die Pro-
portionen der Stüd. Über Petarden, Minen, Schanzen, Sprengwerte, Spreng—
und Hagelkugeln (darunter wieder einige [chrapnelartige), Sprenggeſchoſſe mit
Perkujjionszündern, Handbomben, Granaten mit Tempierung. Bifier:
injtrumente, Quadrate, Triangel. Unterricht zum Scieken. „Wendt = StidHl,
auf allen Seiten gerecht, iſt 7 Schub lang, ſcheußt 1 Pd. Eifen, wird zu Feldt
amt allermeijten gebraudt, zur Wagenburg gut und nüglich.“ (Kleiner Hinterlader
mit einem hoch über die Lafete erhobenen Rohr und Vorrichtung zum Wenden
nach allen Seiten.) Intereffante Richtmajchinen. Räderkonſtruktionen. Koſten—
anſchläge. — Hälle braudt für jeine verjchiedenen jpringenden Feuerkugeln bereits
den Ausdrud „Granadinen“ oder auch „Granaten“. — Vielleicht das Bemertens-
mwertejte im ganzen Buche aber ijt die Konjtruftion eine® Zünders „auf Fall
und Knall“, d. H. eines beim Aufjchlagen des Hohlgeſchoſſes wirffam werdenden
Perkuſſionszünders. Zu dem Behufe war zwijchen zwei rauh gemadjte Stahl-
jtäbe ein Feuerſtein geflemmt, durch deſſen Hineintreiben beim Auffhlag Funken
erzeugt wurden, die den Sag entzünden follten. Da aud Zümermann dergleichen
Zünder beſchreibt [S. 641], jo ſcheinen fie weit verbreitet gewejen zu jein.
8 58.
Gedrudte artilleriftiiche Werfe aus dem legten Viertel
des 16. Ihdts. gibt es nicht viele, und ſie find von minderer Be—
deutung als die metjten der erwähnten Handjchriften. Dies gilt na—
mentlich von der
„Büchjenmetiterey vnd Fewerwerderey“ des Chriſtoph
Mann von Dantig auf der Weichjelmünde (Danzig 1578), jowte von
650 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
Kaſpar Bürgers „Unterricht, wieman auf Wällen vnd
im Felde grob Gejhüß laden, richten und gewiß daraus
ſchießen ſoll“. (Straßburg 1591.)
Viel intereffanter it Frantz Joachim Bredtels „Büchſen
meijterei, d. ti. furbe doc) eigentliche erklärung deren ding, jo einem
Büchjenmeifter fürnemlich zu wifjen von nöthen“. (Nürnberg 1591.)')
Schon Frank Joachims Bater, Stephan Brechtel, war aus einem Arith-
meticus und Mathematicus in Leipzig Artillerift geworden. Denn „ala Anno
47 die Statt belägert worden, zu welcher Zeit dann die Burger vnd Inwohner
alle andern ſachen beyjeit3 geleget und der vorjtehenden gefahr mit rath vnd
that abzuhelffen nachgedacht“, hat auch der Vater „in der Büchſenmeyſtereikunfſt
jein ergepligheit gejucht, darzu er ſich dann dejto leichter bewegen lafien, weil er
augenscheinlich vermerfet, daß die studia Mathematica, denen er ex professo
ſich devovirt, jhme darzu nicht wenig behülfflich gewejen. Vber das hat jm audı
jonderlihe Anreitzung geben die gar gemeine Kundſchafft etliher fürnemen
Büchjfenmeijter, jo desjelbig mal in der Bejagung gelegen, und was er aljo mit
Gelegenheit erfarn mögen, das hat er jehr fleiffig auffgezeichnet“. Ganz dasſelbe
begegnete nun zu jener friegerifchen Zeit dem Sohne in den Niederlanden, und
da er überdies aud) Anno 83 „die fürnehmjten Ungerijhen Grängheujer und
Feſtungen befihtigt“, jo hat auch er „vilerley feiner jadhen erfaren und adnotirt“.
Aus diejen Aufzeihnungen von Vater und Sohn, die aljo ganz dem Tages
bedürfnis entjprangen, ift denn das Bud) entjtanden, das Frank Joahim immer
in der Stille gehegt, indem er an das Spridwort gedadht: „Wer weiß wohin ſich
einsmals dieſer lapp oder fled jchidet“.
Das Buch it dem Herzoge Ludwig von Württemberg gewidmet. —
Der Inhalt gliedert ſich in zwei Teilen wie folgt:
Wolgemeinte Erinnerung, daß einem Fürſten zu befhügung land und leut
ſich jederzeit mit allen notwendigen Kriegsrüftungen zu verjehen gebüre. Waä
Perfonen das große Gejchüß zu verwalten übergeben werden jolle und was einem
Büchjenmeijter zu willen jonderlih von nöthen. Wie eine Veſtung vordem und
ehe jie beſchoſſen wird, befichtiget (recognosciert) werden joll. Wie das Läger
und die Schang mit aller Bequemlichkeit zu machen jei. Benennung alles großen
Geſchützes, auch wie ſchwer jedes eine Kugel führe (weicht wejentlih von Senfiten-
berg ab; kennt z. B. wie der aus demjelben Jahre 1591 jtammende Münchener
Cod. bav. 3113: 90-Pfünder: Trometer, 65-Pfünder, Aff, 55-Pfünder: Püffeh.
Wie ein jedes Büchfenrohr rechtermaßen proportionirt fein jol. Wie jedes Kor,
jo auf den Arten abgefchoffen wirdt, geladen werden fol. Gründlicher bericht,
wie ein Bijirftab außgetheilt werden fol. Mit Cubictafel. Vngefehrliche Ber:
zeihnus dei gewichts eines jedlihen Rors großes gejchüges, auch wie ſolches
ohne Wag allein mit einer Schnur zu erkundigen. Inſtrumenta, dardurdh ein
1) Das Buch jcheint jelten zu fein. Die Ausgabe von 1591 findet fi in der Bibliothek Hauslab,
eine von 1598 im Berliner Zeughauſe (A. 34) und im German. Mujeum zu Nürnberg (Nr. 77833.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 651
jeglichs jtud Büchſen auf ein fürgenommen zil gewiß gerichtet werden joll.
(3 Kapitel.) Auff waz weiß dei nachts gleich als bei hellem tag geſchoſſen wirdt.
Welcher gejtallt ji) mit ladung der Büchſen zur Zeit da man ſich ſtürmens oder
des überfalls bejorget, fürfichtiglich zuverhalten jey. (Hagelichüjfe, Glühende
Kugeln). Vom Gebraud der Böller und Mörjer.
Auf was weiß die ernitlihen unleſchlichen Feuerkugeln bereittet werden.
Bon bereitung mehrerley heimlichen leg- fleb=- und zündfeuern. Wie einer dem
andern durch verborgene Schriften zujchreiben mag (Chiffrierkunſt). Auf was
weis die Belegerten den Sturm dejto leichter abtreiben mögen. (Sturmfrüglein,
Blendfugeln, Feuerfolben u. j. w.) Zündtjtrid. Schwamm. VBerborgen Teuer.
Feuerfugeln. Steigende Käjten, jo man auch Dracheten oder Rageten nennt.
Faßnadtröhrlein.
Bredteld Brandſatz beiteht aus Mehlpulver, Salpeter und Schwefel mit
Leinöl gefnetet. Brandfugeln werden in Pech getaucht und mit einer Ladung
pon Yıs ihrer eigenen Schwere gejchojien. Legfeuer find Brandjäge in Säden,
die man mit abgemefjener Lunte hinlegt. Zündfugeln aus Salpeter, Schwefel
und SKolophon werden mit dem Blasrohr brennend in Magazine oder bdergl.
gejchofien. Blendfugeln zum Berhüllen Haben ſtark rauchenden Sap. Bei den
Raketen erwähnt Brechtel die Bohrung nicht. Crepirt die Rakete, jo war das
gewürgte Zündlod zu Hein, bleibt jie auf dem Nagel, jo war es zu weit.
Auffallend viel it von Kammergejhügen die Rede. Die Größe der
Kammern von Hauptjtüden ijt derart berechnet, daß auf 1 Bid. Pulver 4 Pb.
Ztein fommen. Zu enge Kammern jhwäcen den Schuß, zu weite fprengen das
Rohr. Für Steingefchoije find fie am beiten 1Ya Kaliber lang und *%/s breit, für
eiferne 3 8. lang, %4 breit. Wird die Kammer nicht voll, jo muß ein längerer
Holzpfropf hinein; vor die Kugel fommt ein fejtgejtampfter Heukranz. Das Laden
der Kammergejhüge iſt jchwierig und darum nimmt ihr Gebrauch jehr ab.
Die Nugelgröße prüft man mit der Lere. Groblörnige Steine find zu
feicht, eijerne Kugeln oft wegen Gallen nicht vollwidhtig. Brechtel kennt
Dagel von Kiejeln in Süden oder Weidentörben. Gegen trodenes Holz wendet
er glübende Kugeln an, gegen Truppen nur !'s der Qadung wie gegen
Mauerwerk. Die angeführten Entfernungen find gering (400—600 Schritt). Der
Viſierſchuß aller Gejhiüge (mit Ausnahme der Schlangen) ergibt 300 Schritt.
Bei Regen oder Dunkelheit, jowie über Tal und Wajjer hinweg muß immer für
100 Scritt höher gerichtet werden.
Brechtels Buch) ijt in feiner Art eine tüchtige Leiftung. Sein Grundfag it:
Wer Frieden will, muß friegsjtarf ſein:
Wer d' katz jo ſchwach gleich wie die maus
Sp wer gar bald ir feindjchafft aus;
Ya hätt die maus der katzen größ,
Die Kap wer g’wiß nit halb jo böß.
In demjelben Jahre, in welchem Brechteld Bud zu Nürnberg
herausgegeben wurde, 1591, erjchien es u. d. T. „De Eonjte van
652 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde.
Busjchieten“ in niederdeuticher Sprache auch zu Amjterdam und er:
lebte in diejer Gejtalt dort noch 3 Auflagen (1594, 1605 und 1625)",
Erwähnt jei endlich noch eine mir nicht zugänglich geworden:
niederländische Arbeit: Der Bujjen Meejterye... an allerhande
geichut te jchieten ende van jalpeter poeyer ende alderhande vyerwerd:
jonderlich te bereyden. (Amjterdam 1593.)
S 59.
Neben jo lebensfriichen und bedeutjamen Arbeiten jchleppen jid
in Abjchrift und Drud völlig veraltete Nachzügler dahin, die
einen faſt Eomijchen Eindrud machen. Zu den Manujfripten Diejer
Art gehört „Die Kunst der löblichen freyen Büchjenmaijterey‘
zu Darmjtadt (ms. no. 254), welche i. 3. 1592 „angefangen“ iſt umd
Doch noch mit der von „Irer fayj. may. Friedrich III.“ verliehenen
Freiheit beginnt und tief in längjt überwundenen Anjchauungen jtedt. —
Dahin gehört ferner ein Sammelcoder in Berlin (Kal. Bibl. ms.
germ. qu. 128), der das alte Feuerwerksbuch des 15. Ihdts. zei
mal enthält, einmal in einer Kopie vom Anfange und dann in einer
vom Ende des 16. Ihdts. Daneben laufen flott mit der Jeder hin
geworfene Gejchüßzeichnungen und einige Einjchübe, u. a.: „Ein qute
lehre Reims Weije, darin viel guter Rahts ift, lehret Cato.“ — Aud
das Kunjtbuch von allerley Fewerwerd durd Joh. Fauft Röhre,
Maiſter in Nürnberg, approbirt 1593 (hrzgl. Bibl. Gotha. 747),
wimmelt von Anachronismen, hat mdeljen doch Intereffe wegen der
jorgfältigen Behandlung, die es den Schlagröhren zuteil werden läßt. —
Als die ſeltſamſte archaiftische Erjcheinung aber ftellt jich dar: „Ein
fürtrefflih Künſtbuch aus vielen hHaimlichen allten ge
Ihriebnen Büchern diejer Kunft... und viel langwierig Er
fahrenhait vieler feldtzüg mit guttem fleiß, mühe vnd often ver:
ſucht.“ (Wiener Hofbibl. no. 10855.)
Das Werk zerfällt in zwei Teile. — Der erjte nennt fih „Befhreibung
oder Abjhrift eines vhralten kunſtbuechs“. Es handelt „Bon den
Beraittungen der verborgnen vnd Fünftlichen feiierwerdhen“ (der wejentliche In—
halt des alten Feuerwerksbuches). Wie mit dem Uuadranten zu handeln. Bon
dem großen Gejhüg mit feiner Aufjegung. Bon des Mörjerd rechte Werffung
vnd deſſen Triangelaufſatz. Vom Sciehen der glüenden Kugel. Vom Werffen de
Fußeiſen (die auch vergiftet werden können). Vom Hagelſchießen. Wie man
I) Diefen Ausgaben ift Jan Smidlaps „Onderwiijd van Vyer⸗Wercken“ angehängt [8 48
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 653
aus einer Handtbüchſen oder Schlangen 3 Schuh nacheinander tut. Bon Ragfeten
ond Fürpfeill. Bon fürigen Traden. Legfeuer. Irden Geſchir. Eyſenkugelln
mit eyſen Schlegen. Sprengfäffer und Sprengthruen. Feuerkugeln mit Schlegen.
Der zweite Teil führt dad Motto:
„Dies Buech hab ich mir auserwölt
Vnd zallt mihrs niemandt vmb fhanir geldt;
Dan es foll vnd mueß mein jchag fein,
Dieweil ic) hab das leben mein“.
Diejer Teil beginnt wieder mit Bruchjtüden des alten Feuerwerksbuches
(Bulvererfindung, 12 Fragen u. ſ. w.), trägt dann die Kunſt des „Abjehens“
(Sielens) vor, lehrt die Büchjenthailung und dad Mefien und Laden. Auc in
diefen Dingen herrſcht ein merkwürdig altertümliher Ton vor: „Es thuet ain
Maijter ainen frag, in weldjer maß ain püchſen fein muß, die am allerweittejten
iheuft . .. Ein Püchs, die ain Venediger Centner jcheujt, die geht am weittejten“
u. ſ. w. Auch das Schießen von Stangen und Feuerpfeilen wird noch erwähnt ;
uralte Figuren vom Ausgange des 15. Ihdts. findet man reproduziert, jo dab es
fajt den Anſchein hat, ala ob hier bereits ein archäologiſches Intereſſe vorjchlüge.
Denn obgleid) die den Schluß des Werkes bildende Sammlung hiſtoriſch-militäriſcher
Daten, die mit der Schlacht bei Reutling beginnt, nur bis zum württembergijchen
Aufruhr 1514 geführt iſt, jo iſt doch das Wert felbjt vor dem Beginne des
zweiten Teild von 1595 datiert. Es jcheint Schwäbischen Urſprungs zu jein.
Auch das legte deutjche gedruckte Artilleriebuch des Jahrhunderts
it ein jeltjamer Anachronismus. Die bei Egenolff Erben 1597 zu
Frankfurt herausgegebene „Büchſenmeiſterey“ enthält nämlich auch
das alte Feuerwerfsbuch der Vorzeit, das mit den 12 Fragſtück be
ginnt; dann folgt die Abhandlung aus dem Kriegsbuch von 1526
„Ein jeder großer und gewaltiger Feldtzug hat gewohnlich dreterley
Regiment . . .“ und den Beichluß machen die „gemeynen jtreitäregeln“
des Vegetius!). Die Eriftenz dieſes Buches beweiit, wie fern das
große Publikum der zunftmäßig abgejchlojfenen Wiſſenſchaft jtand;
denn nur jo erklärt es jich, daß man noch auf Leſer ſolcher abgejtan-
denen Weisheit hoffte.
8 60.
Arm it die artillerijtijche Literatur der Franzoſen
im 16. Ihdt. Kein Volk Europas hat die Artillerie jo früh und
bewußt als eine der „drei Waffen“ aufgefaßt wie das franzöfiiche,
feines hat fie jo früh, jo ſachgemäß und erfolgreich dem Heeres—
organismus eingereiht wie eben die Franzoſen unter Charles VIIL.,
') Das feltene Bud findet fih im German, Mufeum zu Nürnberg (Nr. 7920).
654 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde.
Louis XI. und Frangois I.; merfwürdigerwerie aber fehlt Diesen
Leijtungen die Wiederjpiegelung und Begründung in der wiljenjchaft:
fichen Literatur. Es it bezeichnend, daß die einzigen Schriftdenfmal:
artilleritiichen Inhalts aus der eriten Hälfte des Jahrhunderts,
Abra's de Raconis Traicte de l’artillerie und Jean d’Eiftrees
Memoire de lartillerie, welcje beide in den vierziger Jahren ent-
Itanden'), einen durchaus amtlichen Stempel tragen und auf das be
jtimmtejte diejenige Richtung zur Geltung bringen, durch welche die
Franzoſen für das Geſchützweſen epochemachend wurden: Verein
fachung und feiteRegelung des Materials. Marquis dD’Eitrees
bringt das berühmte Syſtem der six calibres de France zur deut-
lichten Daritellung. Die ſechs Kaliber jind:
Canon 33—34-Rfdr. Coulevrine moyenne 2-Fibr.
Grande couleuvrine 15-Pfdr. Faucon 1:Pfdr.
Coulevrine bätarde 7-Pfdr. Fauconneau !/s-Rfdr.
Die erſten vier Kaliber wurden von je 21,17, 11 bzgl. 4 Pferden gezogen.
In demjelben Sinne iſt der gleichfalld ungedrudte Discours
des fgl. Artilleriesflommifjars La Treille gehalten (1567) !). — Mehr
wiijenjchaftlichen Charakter hat diejenige Behandlung der Artillerie,
welche ihr Blaije de Digenere im 38. Kapitel jener Paraphraſe
von Onejanders Feldherrnkunſt zuteil werden ließ [S. 451'.
Aber auch hier ist doch die Hauptjache ein methodiſches Bild der gejamten
Organijation des Gejchügmwejens Frankreichs von der Regierung
Henris II. bis zu der von Henri IV.?) — lm jo wunderbarer be
rührt e8, daß die einzige Arbeit eines Franzoſen über Artillerie,
welche im 16. Ihdt. gedruct wurde und wenige Jahre jpäter jogar
einen Berdeutjcher fand, ein völlig anderes Gejicht als die bisher
erwähnten Arbeiten zeigt: des Yothringers Joſef Boillot: »Modeles
artifices de feu et divers instruments de guerre av«
les moyens de s’en prevaloir pour assieger, batire, surprendre
et defendre toutes places«. (Chaumont 1598.)
1) Die Manujffripte diefer Arbeiten befinden ſich in der franzöſiſchen Nationalbibl. (Fonds
francais 20007, 651, 16691). Näheres über biejelben findet. fih in Louis Napoleons, bagl. Fun
Wert sur le passe et l’avenir de l’artillerie.
2) Das Buch erihien erft nach dem Tode des Verfafierd zu Paris i. 3. 1605 und ift dem be
maligen Großmeifter der Artillerie, Mag de Bethune, Herzog von Cully, gewidmet. (Erempflar im
Depöt de la guerre zu Paris A. Ia. 13.) Gin beionderer Abdrud des Artillerietraftate® Fam untr
dem Titel: De l’artillerie au XVI siecle i. 3. 1829 zu Paris heraus. (Ebd. A. J. f. 86, m)
im Befit des Berfaflers.)
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 655
Boillot war 1560 zu Langres geboren. Seiner mutigen Energie gelang
e3, jeine VBaterjtadt in Gehorſam gegen Henri IV. zu erhalten, und zum Dant
dafür ernannte der König ihn zum Garde du magasin des salp&tres et poudres
&etabli à Langres. Die Haupttätigfeit de8 Mannes lag nad) der Seite der
Ardhiteftur und der Naturkunde, und das tritt auch unverfennbar in feinem
militärifhen Werte hervor. Dies erlebte 1602 eine neue Auflage, und i. %. 1603
widmete Hermann von Loy zu Straßburg eine dritte Auflage mit den
Driginalzeihnungen und einer volljtändigen Verdeutſchung, „Künjtliches
Feuerwerk überfegt von Brantzius“, dem Pfalzgrafen Johann!). Er charakterisiert
das Werf mit folgenden Worten: „Gott der Allmächtige, der die feinen aud in
höchſter gefahr zu jchügen weiß, hat denjelben vaſt allezeit Mittel an die hand
geben, durdy welche fie boßhafftigen Anjchlägen vnd vorhaben abmwehren vnd
contrariis malis begegnen oder, wie man prouerbialiter jagt, artem arte de-
ludirn fünnen. Denn was in Niderland, Frandreid) vnd anderßwo wenig Jar
bero durch wunderliche Practiden, Minen, Petard u. dgl. verichtet worden, ijt
fundbar vnd am tag. Sonderlich werden vns aud in diefem tractatu (jo furk
verudter Zeit an jeßo regierende Königl. May. in Franckreich, Henricurn IIII,
zugejchrieben, von dero auch jehr werth gehalten) treffliche, jchöne, newe Fewr—
werd vnd Kriegs Inſtrumenta neben vilen andern Gubtiliteten vnd Künjten in
allerhand Nothfällen tam in defensionibus quam offensionibus et expugna-
tionibus munitissimorum quantumuis locorum furchtbarlidy zu gebrauchen
praefigurirt vnd vorgeftellt“. — In der Tat ift der Inhalt diefes Wertes ganz
anders geartet al® der der übrigen gleichzeitigen Artilleriebücher. Schlägt man
es auf, jo glaubt man im erjten Augenblide, einen Traftat des 15. Ihdts., etwa
im Stile des VBalturius, vor fi) zu jehen; denn die Menge der alten Kriegs:
inftrumente, welche Boillot in zart geäßten Nadierungen darftellt, fcheint einer
entlegenen Vorzeit anzugehören. Fehlen doch jogar die fahrbaren Armbruite
nicht! Und wie weit greift der Autor aus! Als erjte Kriegsinjtrumente
bejchreibt er und ftellt er bildlich dar: das Auge, den Mund, die Zunge, die
Hand! Doch wie hochmodern mutet es wieder an, wenn er bon diejen ange-
borenen Werkzeugen, ganz im Sinne von Kappe „Philofophie der Technik“
Braunſchweig 1877), zu Hebel, Schraube, Maßſtab, ald den Erweiterungen und
Bervolltommnungen der Gliedmaßen übergeht. Allerdings, feine Neigung, die
Kriegsmaſchinen der Alten für moderne Artilleriezwede zu aptieren, geht oft zu
weit. Immerhin mögen bei der notorijchen Bedeutung, welche die damaligen
„stapen“, d. 5. die batterientragenden Überhöhungsbauten, mehrfach während des
niederländifhen Befreiungsfriegs gewonnen haben, mancde von Boillots hele-
polenartigen Konjtruftionen wohl praftijche Verwendung gefunden haben. Was
von all diejen Inſtrumenten Erfindung des Verfaſſers ift, läßt fid) übrigens um
jo weniger fejtitellen, al8 er aud) von längjt bekannten Dingen in einem Tone
redet, als trage er etwas noch nie Dagewejened vor. Das gilt 3. B. von Richt:
maſchinen, von Leitereinrihtungen u. dgl. m.
1) Bibl. des Zeughauſes in Berlin (A. 421).
656 Das XVI. Jahrhundert. U. Waffenfunde.
Intereſſanter iſt aber noch der pyrotedhnijdhe Teil. Auf der Radierung,
welche Berthold Schwarz darjtellt, wie er die Bejtandteile des Pulvers abmieat,
jteht der Teufel jegnend hinter ihm. Die Salpeterbereitung bejpridt Boillot als
befonder8 berufener Fachmann begreiflicherweije eingehend. Der Salpeter wird
mit Alaun gejhäumt und dreimal geläutert!). Der Schwefel wird aus Kieſen
jublimirt. Zur Kohle nimmt man ſchwarze Sumpfweide oder Hajelholz; Nuß
eignet jih nur für grobes Pulver. Das bejte Pulver beiteht aus °/s Salpeter,
!s Schwefel, Ys Kohle. Hauptſache bei der Herjtellung iſt das gute Zerkleinern
der Bejtandteile. Die Bereitung gejchieht in Stampfmühlen. Für grobes Geſchütz
förnt man erbjengroß, für fleine Kaliber linjengroß.
Boillot verwirft die frühere Verwirrung der vielen Geſchützarten, tadelt
übermäßige Rohrlängen. Die NRadierung, welche feine ſechs Kaliber daritellt,
zeigt die Rohre zwijchen Bodenjtüd und Kopf ohne riefen. Metallitärfe und
Stellung der Schildzapfen bejtimmt der Gieher je nad) der Güte ded Materials.
Das Zündloch bedarf eines Stahljtollensd. — Bon Geſchoſſen beihreibt Boillot
u. a. Ketten- und Hohlkugeln. Unter den legteren finden ſich ſolche, die aus
zwei Halbkugeln bejtehen, welche jich außerhalb des Geſchützes öffnen und dann
die Meinen Gijenfugeln (dets, perdreaux), mit denen jie gefüllt jind, ftreuen:
aljo eine Art Granatkartätſchen [S. 641). — Jedes Geſchütz wird von zwei Mann
bedient. Wijher und Anjapfolben befinden fih an einer Stange. Wit
Kartuſchen jchießt man dreimal jo jchnell ald wenn man ſich des Lademaßes be
dient. — Eingehend behandelt der Berfafler die Betarden, melde jeit Kurzem
in Gebrauch gefommen. Er kennt deren von 5 bis 50 Bid. Pulver in 20 bis
200 Pid. Metall. Das dazu verwendete Bulver muß fein geförnt jein und min
in einzölligen Yagen mit eijernem Stempel fejtgedrüdt und mit Wachs über:
goſſen. — Sonderbar jind Boillots Anweijungen, die Tore gegen Retardienung
und Überfall zu fihern. Er bringt zu dem Ende nämlid eine Art Fuchs= oder
Mardereijen an, welches die ganze Breite des Tores deden und den feindlichen
Petardier fejthalten oder in den Graben jtürzen joll. — Übrigens will Boillot
die Petarde aud) im Graben anwenden, um bier Breche zu legen. Endlich
empfiehlt er Handgranaten von jprödem Glodenmetalle.
8 61.
Auch die italienische Artillerieliteratur der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts iſt minder reich als die deutjche. Aus den jechsziger
Jahren verdienen die Avvertimenti et essamini Des Forti—
jifators Cataneo [$ 118] und die Precetti della milizia Ruscellis
Erwähnung, jene, weil fie offenbar ganz unter deutjchem Einfluſſe
jtehen, dieje, weil fie die Grundlage eines i. 3. 1620 in Deutjchland
erichienenen Kriegs- und Artillertebuches wurden, von dem noch zu
reden jein wird. [$ 107 und XVIIa. $ 46.) — Sehr bedeutend iſt der
ı Näheres vol. bei Favé a. a. O. III, p. 29.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 657
artillerijtiiche Teil von Mardhis Architettura militare (das
4. Bud). Er zeichnet jich durch den emergiichen joldattichen Geiſt
aus, welcher aus den niederländischen Kämpfen mit ihren großen
Belagerungsfämpfen herüberweht; denn dieje hat Francesco de Marchi
mitgemacht. Während bei den meijten zeitgenöjjischen Arbeiten, na—
mentlich denen der Deutjchen, die in einem nur allzu faulen Frieden
Dahinlebten, der Lejer Jic) wie in die Wände eines Zeughaufes oder
eines Laboratoriums eingejchlofjen fühlt, öffnet jich bei Marchi der
große weltgejchichtliche Gefichtsfreis. Doc kann auf dies fremde
nicht verdeutjchte Werf hier nicht näher eingegangen werden. !)
Nur dies jei erwähnt, daß Marchi die Artillerie in „Lünigliche“ (reale) und
„nicht königliche“ einteilt. Jene umfaßt die Gefhüge vom Adtpfünder aufwärts,
diefe die geringeren Kaliber. An dieje Unterſcheidung haben fid in der Folge
aud auf dem Gebiete der Befeſtigungskunſt gewiſſe technifche Ausdrüde ange-
müpft, um derentwillen jie wichtig geworden ijt.
Im Laufe der jiebziger Jahre erichtenen zwei nennenswerte furz-
gefaßte Xehrbücher: die Sceltidocumentilllarzaris (Bicenza 1579)
und die Inventioni von Macht da Reggio (Parma 1579). —
Das legte Jahrzehnt des Jahrhunderts bringt Romanos Proteo
militare (Neapel 1591), ein Werk vorwiegend mathematischen
Charakters wie das des W. Neff S. 603], dann Gentilinis und
Schiavinas Instruttione de’ bombardiere für die Unter—
richtszwecke der venetianischen Gejchügjchule (Venedig 1592), Cornaros
Dialogo (Ambrojiana @. 123), welcher ungewöhnlicherweije einmal
eingehend von den Handfeuerwaffen handelt?) und endlich die Corona
et palma militare de artiglieria von Lapobianco (Be-
nedig 1598), welche eine vorzügliche Überficht des gejamten italienijchen
Artilleriewejens zu Ende des Jahrhunderts gewährt und in Bezug
auf die Balliſtik viele Beziehungspunfte zu Vogels Werke S. 627),
jowie die jehr intereſſante Konjtruftion eines Dijtanzmefjers darbietet.
8 02.
Wenngleich die Spanier ihre glänzenden Erfolge auf den
Schlachtfeldern des 16. Ihdts. vorzüglich ihren gewandten degen—
1) Bol. übrigen? Toll: Marchi als Artillerift. (Archiv für Artillerie und Ingenieur-T ffiziere
54. Bd. (Berlin 1863.)
2) Bol. Benturi: Vom Urſprung und den erften Fortichritten des Geſchütßzweſens. Deutich
von Röblih. (Berlin 1822.)
Jähns, Geidichte der Kriegswiſſenſchaften. 42
658 Das XVI. Jahrhundert. IL, Waffentunde.
führenden Rundjchtildnern und den Handjchügen verdanften, nicht dem
Geſchütz, jo bleibt es doch merkwürdig, wie außerordentlich jpät bei
ihnen die artilleriitijche Literatur anhebt. Als »primer nacional:
der ſpaniſchen Artilleriejchriftiteller gilt Don Diego de Alaba y Dia-
mont !), .dejjen Schrift »El perfeto Capitan y la nueua
ciencia dela Artilleria i. 3. 1590 zu Madrid erichten. Indes
auch der artilleriftiiche Teil diejes Werkes tjt lediglich eine Bearbeitung
der betreffenden Abjchnitte aus della Valles und Tartaglias Schriften,
fein Original. — Bedeutend und jelbjtändig dagegen it des Luis
Collado Plätica manualdeArtilleria, welche zuerit i. J. 1586
zu Venedig in italienischer*), dann vollitändiger in ſpaniſcher Sprade
1592 zu Mailand erjchien, leider aber nicht verdeutjcht wurde. Bon
bejonderem Interejje jind Collados Mitteilungen über die von Katier
Karl V. zu Burgos begründete Artilleriejchule.
Erwägt man den Einfluß der nichtdeutjchen Artillerieliteratur
des Jahrhunderts auf die deutſche Wiſſenſchaft, jo jtellt derſelbe ſich
al3 überaus gering heraus; eigentlich fommt da nur ein einziger
Schriftjteller in Betracht: Tartaglia.
3. Gruppe.
Die Handwaflen.
8 63.
Wie im 15., jo jehweigt auch im 16. Ihdt. die wifjenjchaftliche
Literatur fajt ganz über die Dandfeuerwaften. Man tit Hinfichtlic
derjelben auf Darjtellungen gleichzeitiger Künftler, auf ſummariſche
Erwähnungen in den Zeughausbejtänden, auf gelegentliche hiſtoriſche,
namentlich chronifaltiche Nachrichten und endlich auf die überbliebenen
Waffen jelbjt angewiejen. Dieje aber jind oft ungemein jchwierig zu
datieren, wie das aus dem die Handfeuerwaffen betreffenden Kapitel
in Ejjenweins „Quellen zur Gejchichte der Feuerwaffen“ deutlich
hervorgeht. Die nachjtehende Überſicht folgt daher vorzugsweiie
den Angaben eines ausgezeichneten Kenners, des jächjiichen Oberſten
Thierbach, in dejjen Werf „Die gejchichtliche Entwidelung der Hand:
ı) De los Rios: Discurso sobre los illustres autores y inventores de Artilleria en
Espana (Mabrib 1767).
2) Bibl. des Berliner Zeughauies (B. 445).
3. Die Handwaffen. 659
Teuerwaffen“ (Dresden 1886) die näheren technijchen Einzelheiten, auf
roelche hier nicht eingegangen werden kann, nachzujchlagen jind.')
Die herrichende Handfeuerwaffe zu Anfang des 16. Ihdts. war
Der „Daten“, d. h. das gewöhnliche Luntenſchloßgewehr [©. 415).
Wahrſcheinlich war indefjen um die Wende des 15. und 16. Ihdts.
bereits das Luntenſchnappſchloß erfunden.
Bei diefem wird der Yuntenhahn nicht wie bisher durd einen jteten Drud
auf den Abzug nad der Pfanne geführt, fondern Happt nad) dem Spannen mit
einem Sclage nieder. Zu dem Ende jtüßte den verlängerten Fuß des Hahnes eine
gewöhnlich außen angebradte Stangenfeder, welche beim Abdrüden gehoben wurde
und darn den Hahn frei ließ. — Die meijten Luntenſchnappſchlöſſer waren zugleid)
Schwammſchlöſſer, d. h. nicht die Lunte wurde in einen Schlig des Hahnes
gellemmt, jondern diefer war an feinem Kopfe mit einer Meinen Röhre verjehen,
in welcher ein Stückchen Schwamm ſteckte, das unmittelbar vor dem Abfeuern
eingeführt und mit der Lunte entziindet wurde. Dabei fiel dag Abflopfen der
Aſche von der eingefniffenen Yunte fort, was die Bedienung erleichterte.
Gegenüber den Feuerwaffen hatte man bejtändig die Nüjtungen
verjtärft, damit wenigjtens Bruſt- und Rückenharniſch, ſowie der Helm
Ichußfrer wären. Infolge davon gingengdie Schügen bald zu größeren
Kalibern über. Zuerſt war es Alba, der an Stelle der Arfebuje oder
„halben Hafens“ [S. 415], i. 3. 1521 den „ganzen Hafen“ unter
dem Namen der Musfete?) einführte.
Sie wog 15 bis 20 Pfund und jchoß vierlöthige Kugeln big auf 300 Schritt.
Ihr Gewicht gejtattete den freihändigen Anjchlag nicht, und daher führte der
Musketier eine Gabel mit, auf welche er beim Feuern den vorderen Teil der
Waffe jtügte, während er die Schulter durch ein Kiffen gegen den Rüdjtoß ſicherte.
Die Erfolge diefer Waffe forderten zur Nachahmung heraus,
und bald wurde in ganz Europa die Ausleje der Schügen mit Mus:
feten bewaffnet.
Ihre Einführung führt zugleich, u. zw. auch bei den leichteren Hafen, eine
wenn aud) geringe Abjenfung des Kolbens herbei, welde das Zielen wejentlid)
erleichterte. Eine eigentliche Dünnung aber hatten alle diefe Gewehre nod) nicht;
vielmehr lag an deren Stelle nur eine Ausrundung für den Daumen der vechten
Hand, um diejer eine feite Haltung beim Abdrüden zu jichern.
1) Bol. auch Schön: Geſchichte der Handfeuerwarfen (Dresden 1858).
2) Muschettae, d. h. Feine) Sperber, nannte man im Mittelalter die jchweren Bolzen ber
größten Armbruftarten ; von ihnen wurde der Name auf bie jchweren Geſchoſſe der großen Hafen und
demnächſt auf die Waffe jelbit übertragen, wie ja auch ſonſt Schußwaffen nad Jagbvögeln benannt
find: die Nachtigall, die Falfaune vom Falk, das Terzerol vom Tercel (mtlt. tertiolus), einer Meinen
Fallenart u. j. m.
42*
660 Das XVI Jahrhundert. II. Waffentunde.
Der Wunſch, die Hinderliche Lunte entbehren zu fünnen, war
frühzeitig vege; er iſt jehr begreiflich und ebenjo, daß man bei den
Berjuchen, jie zu erjegen, zumächjt an die üblichen Feuerzeuge dachte.
Am gangbarjten waren damals die Reibfeuerzeuge, und in der Tat findet
fi) eine jehr altertümlihe Kurzwaffe im Dresdener bijtoriihen Muſeum, die jog.
Mönchsbüchſe, unmittelbar mit einem jolhen Feuerzeuge, d. h. mit einem
Schwefeltiesitüd und einer daran jtreihenden, Funken erzeugenden Feile, verjeben.
Es lag nahe, dieje Feile, der vermehrten Reibungsflähe wegen, bogenförmia,
halbmondförmig, endlich vadförmig zu geitalten (und es jind Waffen erhalten,
weiche dieje Entwidelungsjtufen zeigen). Al® man nun zur Kreisfeile vorge—
jchritten, ging man dazu über, dies Rad in jelbittätige, jchnelle Bewegung zu
jegen, um auf diefe Weife Funken zu erzeugen und in die Pfanne zu werfen.
So entjtand das Radſchloß, bei dem die Welle eines jtählernen
drehbaren Nädchens mit gereifter oder gezahnter Beripherie im Innern
des Schlofjes durch eine Kette mit einer jtarfen Schlagfeder in Ber:
bindung gejegt war, welche durch Aufziehen des Nades mittels eines
Sclüjjels gejpannt wurde. Vorwärts der Pfanne befand ſich ein
auf starker Feder beweglicher Hahn, welcher ein Stüd Pyrit (Schwefel:
fies) hielt. Hatte man das Rad aufgezogen, den Bfannendedel zurüd-
gejchoben und den Hahn auf das Rad gebracht, jo löjte ein Drud
am Abzuge eine Stange aus dem Nade, das nun, durch die aus
jchnellende Feder Fräftig um jene Achje gedreht, ſich am Schwefel—
fieje rieb und dadurch Funken erzeugte, die das Pulver auf der Pfanne
entzündeten. — Offenbar iſt das Rad- oder Feuerſchloß eine Deutjche
Erfindung und verdient daher auch den zuweilen dafür gebrauchten
Namen „deutiches Schloß“.
Guler dv. Weined jagt in feiner »Raetia« (Züridy 1616, S. 162): „Tie
fünjtlichen fewrichloß jeynd Anno 1517 zu Augsburg vnd Nürnberg aufflommen.”
— Wagenjeil citiert in feiner De civitate Norimbergensi commentatio (Alt-
dorf 1697, S. 150), eine ungedrudte, von ihm nicht datierte Nürnberger Chronit,
in der es heißt: „Die zu den Schiehröhren gehörigen Feuerſchlöſſer jind erjt 1517
zu Nürnberg erfunden worden.“ — Um die Berbefierung des Radſchloſſes machten
jih die beiden Nürnberger Büchſenmacher Georg Kühfuß und Kajpar Red
nagel bejonders verdient, und vielleicht jtammt von erjterem der vulgäre Aus—
drud „Kuhfuß“ für Nommißgewehr, wie man heutzutage furzweg von „Ehaflepor“
oder „Mauſer“ redet und nicht die Erfinder, jondern die Waffen meint. Zum
Radſchloßgewehr gehörten als jog. „Stleinzeug“ der Spanner ESchlüſſel), der
Krätzer mit Kugelzieher, das Wiſcheiſen und ein zinnernes Olfläſchchen.
Die Radſchloßgewehre hatten große Vorzüge vor den alten Haken;
denn ſie machten die immer glimmend zu erhaltende Lunte überflüſſig,
3. Die Handwaffen. 661
funftionterten auch bei Negenmetter und gewährten eine rubhigere,
jicherere Entzimdung. Leßterer Vorzug ging indes jchon nach wenigen,
ichnell hintereinander getanen Schüjjen verloren, da das Rad wegen
jeiner unmittelbaren Berührung mit dem Zündpulver bald verjchwandete
und dann den Dienjt verjagte. Überdies gejtattete der Spannungs:
modus nur ein langjames Feuer und der Schwefelkies nutzte Sich
raſch ab. Nicht jelten gab man daher den Gewehren neben dem
Radſchloſſe auch noch ein Luntenjchloß. Aus diefen Gründen, jorvie
wegen der Eojtjpieligen und komplizierten Einrichtung, welche jtet3 gut
in Ol gehalten werden mußte, fand das Radſchloßgewehr niemals
allgemeine Anwendung; jein Bereich blieb Deutjchland, und auch hier
war er beſchränkt: abgejehen von Jägern und Scheibenjchügen, ward das
Radſchloß nur von der Neiterei in umfafjenden Gebrauch genommen.
Für diefe machte allerdings die neue Waffe Epoche. Die brennende Lunte,
welche bis dahin der Reiter mit den Zügeln in der Linken führen mußte, hatte
ihn natürlid) auf das peinlichjte behelligt. Jetzt konnte er bequem ein feuer-
ichlagendes Kurzgewehr, ein Petrinal, einen Karabiner oder ein Pijtol braucen,
und dieſe Gewehre wurden daher jeit den jchmalfaldifhen Kriegen die Haupt—
und Lieblingswaffe der „deutjchen Reiter“, der „Ringerpferde“. 8 94.]
Wie den Deutichen das NReibfeuerzeug Anlaß zur Erfindung des
Radſchloſſes, jo wurde das Schlagfeuerzeug den Spuniern der Aus-
gangspunft zur Herjtellung des Steinjchnappichlojjes, die jeden:
falls auch noch in die erjte Hälfte des Ihdts. fällt.
Die urſprüngliche Konjtruftion entjpricht, was die Bewegung des Hahnes
und der Stange betrifft, vollitändig dem Luntenjchnappichlofie. Aber der Hahn
hielt nunmehr einen Stein fejt; die Schlagfeder war verjtärtt, um dem nieder:
ichlagenden Hahne mehr Kraft zu geben, und diefem gegenüber war eine raube
Schlagfläche angebradt, auf die der Stein ſchlug und Funken erzeugte, welche in
die entjprehend angebradte Pfanne fielen. Spätere Berbefjferungen bejtanden
dann in der Vereinigung von Pfannendedel und Schlagflähenteil zu einem
Stüde, der „Batterie“ (ca. 1580) und der Einridhtung einer zweiten Raft für den
Hahn. Wegen des Vorzugs größerer Einfachheit vor dem Radſchloſſe wurden die
Schnapphahnſchlöſſer in Deutjchland viel nachgeahmt und aud) verbejjert, namentlic)
durch Berlegung der Schlagfeder nad) dem Inneren des Schlofjes und durch Ein—
ihiebung der „Nuß“, auf welche dieje Feder wirkte und jo ihre Kraft auf den
Hahn übertrug. Aber auch das Steinſchnappſchloßgewehr iſt vom deutjchen Fuß—
volf nicht angenommen worden; nur bei der Bewaffnung der Bürger fefter Städte
und bei fürjtliden Leibwachen ijt es nadyzumweifen.
Die berühmteiten Bühjenmacher Deutjchlands lebten in
Augsburg, Nürnberg, Suhl und Solingen.
662 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde.
Im Jahre 1546 jah der Rat von Augsburg jid veranlaßt, die Gewehr—
ausfuhr zu verbieten, weil die Meifter derart mit Aufträgen von auswärts über-
bäuft waren, dab die Reichsſtadt jelbjt die Feuerrohre, deren fie bedurfte, nicht
erhalten konnte. — Zu Nürnberg verbefjerte Wolff Danner (f 1552) das
Ausbohren und Schmieden der Nohre. Er gehörte einer berühmten Schmiede-
familie an. Hans Danner trieb ſchon dazumal „von den Metallen Spähne, ala
hätte er weiches Holz unter den Händen, und jein Bruder Leonhard war der
Erfinder von mauerftürzenden Brechichrauben.“ Eine alte Überlieferung fchreibt
dem Wolff Danner ſogar die Erfindung des Feuerjteinichlofies zu; indes handelt
es fi) dabei wohl nur um eine Verbefjerung des Steinihnappihlofies. — Die
Brandenburgifche Regierung in Bayreuth bezog 1563 die Handfeuerwafien für die
Beite Plafjenburg meist aus Solingen, zum Teil aber au aus Schmal—
falden. In demjelben Jahre verlieh Fürft Georg v. Henneberg den Büchſen—
macdern in Suhl, wo jeit uralter Zeit Waffenfabrifen bejtanden, da® Innungs—
recht. Zwanzig Jahre fpäter boten die Augsburger Büchjenmeijter dem Herzoge
Wilhelm von Bayern 900 Handrohre an, „jo alle auf eine Kugel gerihtet* —
dies war aljo ungewöhnlih! Im Jahre 1596 lieferte Simon Stör in Suhl
der pfälziihen Regierung zu Neuburg binnen 14 Tagen: 160 Musfeten mit
Tiannenzündern und aufgehenden Pfannen famt dazu gehörigen Modellen, Wijchern,
Gabeln, großen und Heinen Pulverflafchen, ſowie 160 Schilt- oder Halbhaken auch
Halbhafen mit ſchwarzen frummen Scäften nebjt Zubehör.
Im J. 1543 wurde, alter Überlieferung zufolge, von Wolff Danner
der Stecher (Doppelabzug) erfunden, der bei all den bisher ge
nannten Waffenarten in Anwendung gebracht werden fonnte, Doc)
vorzugsweiſe bei gezogenen Büchjen gebraucht wurde.
Gezogene Handfeuerwaffen werden bereits gelegentlich eines
Leipziger Scheibenjchießens i. 3. 1498 erwähnt. Offenbar handelt
es ſich dabei jedocd, nur um gerade Züge, die wohl urjprünglic
als Schmußrinnen für den Pulverrückſtand eingerichtet worden waren.
Den „Drall*, die Schraubenzüge, führte angeblich der Nürnberger
Aug. Kutter um 1560 ein. Wahrjcheinlich hat bet dieſer Erfindung
wie bei jo mancher anderen der Zufall jein Spiel gehabt.
Das kann etwa in der Weiſe gejchehen fein, daß eine gewundene Schweihnaht,
wie fie in alten Läufen nicht jelten vortommt, Beranlafjung wurde, die biäber
geraden Züge jchraubenförmig zu führen, und daß man dann erfannte, die Kugel
folge jolhen Zügen nicht nur beim Laden, fondern drehe ſich ihnen entjprechend
auch nod im Fluge. — Eine wijlenjchaftliche Erkenntnis davon, daß eine der Kugel
verliehene Rotation um die Ceelenahje eine Korrektur der Flugbahn
berbeiführe, indem fie die unregelmäßigen Ablenfungen durd) die freiwillige, wilde
Rotation um die Schwerachſe und durd; den Wechjel des Luftwiderjtandes mittels
unaufhörlicher Übertragung paralyfiere — eine jolde wiſſenſchaftliche Erkenntnis
lag den ballijtifchen Anjchauungen der Zeit allerdings nod fern. Wie jo oft
3. Die Handwaffen. 663
haben aud) hier dunkle Ahnungen jürdernd gewaltet. Und dieje Ahnung von
dem Wert der regelmäßigen Drehung eines gejchleuderten oder gejchojlenen Körpers
ift uralt. Die Einrihtung des Riemenſpießes der Hellenen, wie die der Dreh:
bolzen des Mittelalter8 beruht ja ganz auf demfelben Prinzipe.
Seit den jechziger Jahren hört man wiederholt von den gezogenen
Feuerwaffen u. zw. immer als von etwas Vorzüglichem.
Eine Verordnung der Berner Regierung von 1563 jagt: Bor furzen Jahren
ſei eine Kunſt hervorgefommen, die Rohre der Zielbüchfen, von gewiffern Schießens
wegen, mit Schneggen oder fonjt frummen Zügen inwendig zu frigen und zu
bereiten, als woher, wegen Ungleichheit, Span entitanden jei; daher die Abjtellung
jolcher Züge bei gemeinem Schießen geboten wird, Für „Reisbüchſen“ (Kriegs—
aewehre) blieben die Schneggen natürlich erlaubt. — Dieſem Zeitpunft und diejer
Jrürdigung des Wertes der Züge entipricht es durchaus, wenn Fiſchart 1575 in
feiner „Geſchichtsklitterung“ fagt: „Wie fein kunſt iſt bei dem wein qut leben,
alſo ijt fein funft, mit gutem gejhoß und gejchraubten oder gezogenen Büchjen
wol ſchießen.“ — Auch noch 1582 wurden bei dem Stahl: und Zielbüchſen—
hießen zu Frankfurt a. M. „gejchraubte, gezogene und gerifjene od. dgl. andere
ungewöhnliche Rohr” als „aefährlide und ungebürliche Vorteile“ verboten. —
Einige Jahre jpäter äußert Pigafetta in einer italienifhen Handſchrift (Ambrofiana
Wr. 125. M. S. R): „Wenn die Büchfen durch Geſchwindbohrer gereift werden
jo jchießen jie mit weniger Pulver viel ficherer.“
Im 3. 1584 jtellte Niklas Zurkinden in Bern Schießproben
mit einer Revolverbüchje an, die jedoch unglüclich ausfielen.
Offenbar war die Büchfe mit einer Drehwalze verfehen, deren Seelen nicht
gehörig mit denen des Laufe zufammentrafen; infolge dejien jprang die Waffe
und verwundete mehrere Menjchen.
Um die Mitte des 16. Ihdts. gab es auch jog. „Streurohre“,
welche mehrere Kugeln aus einem Laufe jchoßen. Frönsperger bes
jchreibt Ddiejelben in jeinem „Buche von faijerlichen Kriegsrechten“
1552 [©. 549) wie folgt:
„Man hat auch furge büchjen , die find ungefährlich anderthalben Schuh
fang, die jollen gar did und ſtark, auch für das ftoßen mit einem Anja wie ein
Haad vnd hinten mit ein Pulfferfad gemacht jeyn; diefelben haben ein Rohr jo
groß als vngefährlih ein Hein Hennen Ey. Sollihe Büchſen lädt man mit
pilen Handbüchſen Kugeln, etwa zwölff oder fünfitzehn auf einmal, vnd werden
aljo in einer Bejagung gar füglich gebrauchet unter die ftürmenden, ſonderlich in
jtreigwehren; doch fan mans nit in die weite brauchen; aber in der nähe zer:
ftreumt es ſich weit vnd thut großen Schaden.“
Die vollitändige Gewehrpatrone bejchreibt zuerjt Capobtanco
[©. 657] i. 3. 1597. Er jagt aber, daß fie bei den Arfebufieren Neapels
bereits jeit längerer Zeit im Gebrauche jei. In Deutjchland führten
664 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
Neiter in der 2. Hälfte des Jahrhunderts zuweilen die Bapierpatrone,
jedoch ohne Kugel. Immerhin war fie auch in diejer Form noch etwas
Seltenes und Ungewöhnliches. — Der gemeine Schüße trug das
Pulver loje in einer Flajche, dazu 30 Kugeln und 6 Stlafter Yunte.
Die Kugeln (das „Loth“) befanden jich in einem Lederbeutel; das „Pul—
verin“ oder „Zündfraut“, d. 5. das feine Pulver, welches auf die Pfanne ge-
jchüttet wurde, bewahrte man in einem am Bandeliere befeitigten Fläſchchen. An
dieſem Bandelier trug der Musketier wohl aud) eine Anzahl fertiger Ladungen
(doc ohne Kugeln) in Heinen hölzernen Büchſen. — Der Preis einer Schützen—
ausrüſtung jtellte jih auf 4 bis 5 Gulden.
Es iſt jehr merkwürdig, daß Blaije de Vigenere in jeinem Traftat
über die Artillerie [S. 654), der anfangs der neunziger Jahre ge
jchrieben it, behauptet: die größten Feldherrn jeiner Zeit Huldigten über-
einjtimmend der Anficht, daß die Handfeuerwaffen den alten
Handfernwaffen, dem Bogen und der Armbrujt, nicht ebenbürtig
jeten und weit geringere Leiftungen aufzuweiſen hätten. Ganz Der:
jelben Meinung it auch der »Veterano« in Antonio Lornaros zu
derjelben Zeit verfaßtem Dialogo, [S. 657] dejjen Manujfript die Bibl.
Ambrosiana zu Mailand bewahrt. (Q. 123.)')
Der Alte will von den bisherigen Handfeuerwaffen nicht viel willen. Bei
Wind und Regen erlöſche die Lunte; nachts verrate fie den heimlich Daber-
fommenden. Der Junge gibt das zu; „aber (meint er) wir haben ja jegt die
Radſchlöſſer, zumal die jhönen und jtarfen aus Flandern, deren dag Stüd zu
25 Scudi verkauft wird.” — Der Alte: „Die find verwidelt, zerbrechlich und
zu teuer. Aber es wird Rat geichafft werden durch Einführung eines aus wenigen
Eijenteilen beſtehenden Feuerzeuges, das auch der roheſte Menſch jchnell und
gefahrlos handhaben lernt, da es mit einem geringen Stein wohl taujend Schüſſe
tun und auf jeder gewöhnlichen Büchſe leicht angebradt werden fann und da jein
‚euer jtets in die Mitte der Pianne fällt.“ Der Junge: „Das wäre etwas!
Das überträfe ja ſelbſt die prächtigen Radſchlöſſer der Leibwache Emanuels von
Savoyen, die denn doch auch noc oft genug das Teuer nicht auf die Pfanne,
jondern nebenbei werfen!” Der Alte: „Einer meiner Freunde iſt der Erfinder.“
Jedenfalls Cornaro.) „Er hat es nad) jahrelanger Geiſtesanſtrengung fertig gebracht.“
Der Junge: „Sind nicht auc jene Radſchlöſſer jehr gut, für deren Herſtellung
die VBenetianer einen franzöfiichen Meijter beſolden?“ (Es ijt Jean Dujardin
gemeint, den der Rat der Zehn 1587 in den Dienjt des Mrjenals genommen
hatte.) Der Alte: „Ich kenne fie; wohl geben fie mehr Funken als die ge
wöhnlichen; aber dafür haben fie einen neuen Fehler; fie haben eine Spindel
gleich den Uhren, und dieſe wird jehr leicht bejhädigt und vom Nojt zerfrejien.“
1) Mitgeteilt von Benturi in feiner Abhandlung „Bon dem Uriprung unb den eriten Fort:
ichritten des Geſchützweſens“. Deutih von Rödlich (Berlin 1822).
3. Die Handwaffen. 665
Es muß dahin gejtellt bleiben, ob die Erfindung, welche der Alte jo an-
preiit, etwa eine Veränderung des Schnapphahnichlofies, oder, wie man fait
glauben möchte, ein Borläufer des Flintenſchloſſes war, das, der gewöhnlichen
Annahme nad), erit um 1630 in Frankreich erfunden wurde.
Sp ericheinen denn jchon in dem SHandfeuerwaffenwejen des
16. Ihdts. die Keime und Anſätze der gejamten bis zur Gegenwart
vollzogenen Entwidelung; aber in der Praxis beherrichte dod)
das Luntengewehr die Situation fait ganz allein und blieb
in dieſer dominierenden Stellung noch über den Dreißigjährigen Krieg
hinaus.
8 64.
Weniger noch als von den Handfeuerwaffen reden die wiljen-
ichaftlichen Werfe des 16. Ihdts. von den blanfen Waffen, und
auch an diejer Stelle joll nicht näher auf diejelben eingegangen werden,
da das Wejentlichite darüber gelegentlich teils jchon erwähnt wurde,
teils in dem Kapitel „Truppenkunde“ hervorzuheben jein wird. —
Die deutjchen Schwertfeger, Haubenjchmiede und Harnischmacher brachten
die kriegeriſche Rüſtung zur größten Gediegenheit und entfalteten dabei
zugleich nicht jelten echten Kunſtſinn.
8 65.
Wie bereits erwähnt, bieten in Bezug auf die Dandwaffen des
16. Shots. die Rüſtkammern weit mehr als die Literatur: ſowohl
in den wirklich noch vorhandenen Waffen als durch die Verzeichnifje
der Vergangenheit. — Von Materialnachweijen der Zeug
bäujer des 16. Ihdts. jeten beiſpielsweiſe an diejer Stelle aufgeführt:
Nürnberger Inventar aus der Mitte des 16. Ihdts., mitgeteilt im
Anzeiger f. d. Kunde der dtjch. Vorzeit. 1853. ©. 19.
Connrad Haas von Dornbah, Rom. khon. Mayejtat Zeugewart in der
Hermenjtadt in Siebenbürgen: „Aller vnd ieder Empfahung des Geihüg und
iller Munition.“ Ein Verzeichnis der unter Haas’ Obhut gejtellten Ferdinandeiſchen
Xrtillerie mit lehrreihen Daten aus der Zeit von 1553 bis 1556. (Städt. Ardiv
‚u Hermannjtadt.) Mitgeteilt ebenda.
Inuentarium vnd verzaihnus dei Geſchutzes vnd Munition
jampt anderer zugehör, jo jn der Vejtung Gießen jgo befunden vnd vor—
banden. 1568. Mitgeteilt ebenda, 1854, ©. 167, 191, 220, 242, 275, und in
Gjienweind „Quellen zur Gejch. der Feuerwaffen.“ S. 86/7.
Inventar über das Nürnberger Zeughaus 157980. (Bibl. des
Serm. Muſeums Nr. 44502.) Mitgeteilt bei Eſſenwein a. a. D. ©. 92/3.
666 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenfunde.
Inventar des fürjtbifhöflihen Zeughaujes zu Würzburg. 15%
(Bibl. des Germ. Mujeums Nr. 9378). Mitgeteilt bei Ejjenwein a. a. O. ©. 34
Unter den noch beſtehenden Zeughäufern find bejonders
zwei für das Waffenwejen des 16. Ihdts. wichtig: die Rüſtkammer
zu Graz!) und die bürgerliche Kriegsfammer zu Emden’);
denn ihre Beitände jind (im Gegenjage zu den metjten der anderen,
nach und nac) aus Liebhaberei zujammengebrachten Waffenjammlungen),
größtenteils jeit drei Jahrhunderten vollftändig beiſammen geblieben.
Sie jegen jich nicht aus Prunkſtücken zuſammen, jondern jtellen den
einfachen Kriegswaffenbedarf des 16. Ihdts. im äußerſten Süden wie
im äußerjten Norden des Neiches anjchaulich dar.
4. Gruppe.
Waffengebrauch und Reitkunft.
Hing im 15. Ihdt. das eigentlich Eriegeriiche Element noch jo
eng mit dem Leben der einzelnen Stände zujammen, daß die Grenze
zwijchen der „Hofekunſt“ und den wirklich militärischen Disziplinen
oft Schwierig zu bejtimmen iſt, jo treten in dieſer Hinficht im 16. Ihdt.
bereitS ganz klare Scheidelinten hervor, und eine „Gejchichte der
Kriegsmwiljenjchaften“ würde auf diejenigen Waffenübungen, welche
dem ritterlichen und bürgerlichen Leben als jolchem angehören, gar
nicht einzugehen haben, wenn es ſich dabei nicht großenteil® um das
Ausklingen alter, ehemals wirklich echt kriegeriſcher Bejtrebungen
handelte: ein Verhältnis, das bejonders in der Literatur hervortritt.
Aus dieſem Grunde mögen hier einige der wichtigiten Werfe erwähnt
werden, welche ſich auf ritterliche und bürgerliche Waffenpiele, ſowie
auf Brerdefenntnis und Reitkunſt beziehen; denn auch das Pferd üt
eine „Waffe“.
a) Nitterliche und bürgerliche Waffenübungen.
8 66.
So jehr Katjer Marimiltan auch bemüht war, den alten Glan;
des Stechens aufrecht zu erhalten, jo trat e8 doch jchon in der eriten
Hälfte des 16. Ihdts. völlig in den Hintergrund, hatte gar feine
militärische Bedeutung mehr umd wurde endlich durch das Karuſſell
!) Vol. Dr. Pichler und Franz Grafv. Meran: Das Landeszeughaus zu Graz (Leipzig 1830)
und Eugen Ritter v. Mor: Die Rüftlammer ber Steiermart,. („Der Sammler”, 15. Juli 1886.)
2) Bol. Rolffs: Die antike KRüfttammer des Embder Rathhaufes (Emden 1861).
*
4. a. Ritterlihe und bürgerliche Waffenübungen. 667
erTegt. Aber in der Literatur jpielt das QTurnierwejen noch jeine
Rolle fort. — Zu Anfang des Ihdts. widmete Marx Würfung dem
Erbtruchjeß des Stiftes Salzburg, Herrn Hans v. d. Alben zu Hue-
burg, das Buch „Bon wann vnd umb welcher vriachen willen
Das loblich ritterjpiel des turniers erdacht vnd zum erjten
qeubet worden tft.“ (Augsburg 1518.)
Dies jehr jeltene Buch!) ift der Abdrud eines damals handſchriftlich weit—
verbreiteten Traftates, den Würfung von dem Herrn dv. d. Alm empfangen hatte.
Der Verfafier läßt die Turniere von Heinrich I. nad) defjen Siegen über Wenden
und Hunnen einführen u. zw. um die zum Seerzuge verfammelten Fürjten und
Herren, Ritter und Knecht zu ehren. Die „Stucke“ (Turniergejege) wurden in
freier Beratung feitgejtellt: das 1. vom „Kaiſer“ ſelbſt, das 2. vom Pfalzgrafen
bei Rhein, das 3. vom Herzoge aus Franken, das 4. von dem aus Schwaben,
das 5. von dem aus Bayern, und dann wurde das Turnier nad) „Maidenburg“
ausgejchrieben. Bier Turniervögte wurden gewählt, welde ein 6. „Stud“ fejt-
festen; das 7. und 8. Stüd bejtimmten die „Räte“ des Turniers, und die legten
vier redigierte des Kaiſers Sekretarius. Dann murden Grieswärtel erwählt,
„Freiheit und Gerechtigkeit“ des Turniers verkündet, Ritterjchaft und Frauen zur
„Beſchau“ berufen. Endlich turnierte man am Ericdistage auf dem Werder bei
Magdeburg und gab zu Nadıt beim Tanze „die Dänk“ aus.
Schon ein Jahr nach dem Erjcheinen diejes Buches, aljo 1519,
ichloß Ritter Ludwig v. Eyb zum Berttenftein, eben der, welcher
20 Jahre früher die große Ikonographie hergeftellt [5.272], eine Erweite—
rung desjelben ab, das „Buech mit anzaig des Turniers“, dejjen
Handichrift die Hof und Statsbibl. zu München bewahrt?) — Mit
dieſem Eybeſchen Manujfripte aber jtimmt faſt Wort für Wort das
befannte Drucdwerf überein, welches den Titel führt: „Anfang, vr—
iprung vnd berfommen des Thurniers in Teutjcher
Nation. Wie uiel Thurnier big vff den letiten zu Worms, auch
wie vnd an welchen ortten die gehalten vnd durch was Fürſten,
Grauen, Herrn, Ritter und vom Adel fie in yeder zeit bejucht worden
find. Bon Georg Rürner, genannt Hterujalem Eraldo vnd
Khündiger der Wapenn.“ (Simmern 1530°), 1532.)
Das reich illuftrierte Drudwerf unterjcheidet jih von Eybs Turnierbucd nur
durch Abweichungen in den Verzeichniſſen der Perſonen, welde den Qurnieren
beigewohnt haben jollen, tritt aber troß diejes völligen Mangels an Originalität
2) Bücherei des German. Mufeums zu Nürnberg (Nr. 6885).
2) Bol.: „Die deutichen Handſchriften der F. bayer. H0f- und Statsbibl.“ I, 1866, ©. 158, und
„Anzeiger f. d. Hunde ber beutichen Vorzeit“, 1853, Nr. 2; Sp 25/6.
») Ein Eremplar im Berl. Beugbauje (A. 8).
668 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
außerordentlich jelbitbewuht und anjprudhsboll auf. Von Würſungs „Iractätlein“
ſpricht Rüxner ganz verächtlich; ihm jelbjt jei von dem Vikare des Mauritius-
jtiftes zu Magdeburg ein „Original* anvertraut worden, das er „auß irem
furgen Teutſch (Niederdeutijh) mit großer mühe vnd arbeyt in dieß hochdeutic
gebracht.“ — Das Bud) beginnt mit einer nur durd allerhand Namen bereicherten
Wiederholung der Würfungihen Schrift und ſchließt daran Bejhreibungen aller
anderen großen Reichdturniere der „vier Lande” (Rhein, Schwaben, Baner,
Franken). Aufgeführt werden Turniere zu Rotenburg, Conſtanz, Merjeburg,
Braunſchweig, Trier, Halle, Augsburg, Göttingen, Zürih, Cöln, Nürnberg,
Worms, Würzburg, Regensburg, Schweinfurt, Ravensburg, Ingelheim, Bamberg,
Eßlingen, Schaffhaujen, Regensburg, Darmitadt, Heylbronn, Regensburg, Stutt-
gart, Landshut, das Gejellenjtehen zu Nürnberg, die Turniere zu Würzburg,
Mainz, Heidelberg, Stuttgart, Ingoljtadt, Anſpach, Bamberg, Regensburg, und
zulegt, das 36jte, zu Worms.
Die volllommene Nichtigkeit der meisten Angaben diejer Turnier:
bücher it längjt erwiejen!); im 16. und 17. Ihdt. aber glaubte man
an diejelben und traute den unverichämt zujammengelogenen Berjonen-
verzeichnifjen derjelben jo gut wie den frei erfundenen Wappenjagen.
Dies jpiegelt jich 3. B. in des Hans Sachs: „Thurnterjiprud.
Alle Thurnier, wo wie vnd wenn fie in Teutjchland gehalten find
worden.“ (Nürnberg 1541.) — Den Übergang des Turniers zu den
Ring: und Karuſſellſpielen zeigen mehrere Handjchriften aus der zweiten
Hälfte des Ihdts., u. a. ein Dresdener Foliomanujfript (C. 95):
„Zurnter= und Cartel-Budh zum Jußturnier, zum rer
Nennen, zur Pallia, Mantenidoren u. |. w.“ — Alle Em:
zelheiten eines vollflommenen Karujjells endlich finden fich in den
interefjanten Kupferjtichen dargejitellt, die das anonyme lateinijch und
deutſch gejchriebene Werk jchmüden: Insignia inclitae domus
Hassiacae. (Caſſel 1596.)
8 67.
Die Fechtkunſt haftet noch immer an Liechtenawers großem
Namen [S. 368], jo in einer Hdjchrft. von 1550: „Maiſter Kiechten:
awers Kunjtbuch, darin auch Maiſter Lions, Maiſter Hundts
felders [S. 371] vnd Wild. Huters Künste.“ (München, cod. germ.
5712.) Bon Jorg Wilh. Huter bejißt diejelbe Bibl. übrigens aud
noch em jelbjtändiges handjchriftl. Fechtbuch aus Augsburg von 1523.
— 1) Wal. — den Discurs ob Georgen Rixners Thurnier-Buch auch pro scripto Authentico
zu halten und wie mweit demjelben Glauben zuzuftellen jene.” (Mürnbergiihes Schönbartäbud un?
Sejellenftehen. Aus einem alten Manuflript zum Drud beförbert 1765.)
4. a. Ritterlihe und bürgerliche Waffenübungen. 669
Die Literatur der Fecht- und Ringkunſt ijt ziemlich ausgebreitet
in Deutjchland. Auf Albrecht Dürer pflegen die Vorlagen zu den vor-
trefflichen Darjtellungen einer OILAO4IIAZKA A LA zurüdgeführt
zu werden, von der jich Handſchriften in der E. k. Fideikommiß-Bibl.
zu Wien und in der Magdalenen-Bibl. zu Breslau befinden, welche
von 1512 jtammen jollen.!) — Verwandten Inhalts ijt ein fleines,
überaus jeltenes „Fechtbuch. Die Ritterliche, Mannliche Kunſt v.
Dandarbeyt Fechtens vnd Kempffens. Auß warem vriprunglichem
Grund der Alten mitjampt heymlichen Gejchwindigfeyten. In leibs
nöten jich des Feindes tröjtlich zu erwehren vnd ritterlich obzujiegen.“
(Frankf. a. M. ca. 1555.) ?)
Es find 48 Bl. mit 41 ſchönen Holzjchnitten von 9. ©. Beham. Der
1. Zeil lehrt: „Wie man fortheyl im langen Schwerdt, welchs ein grundt vnd
Briprung alles Fechten zu beeden henden brauchen joll. — Der 2. Teil ijt „Zu
dem furgen Schwert“ und enthält auch einen Abjchnitt „Bon Meſſer Fechten.
Herrn Hanjen Leblommers v. Nürnberg an den Pfalzgrafen Philipp v. Rhein.
(Das Mejjer ijt ein Kurzjäbel.) Ferner: Fechten im Budlier oder Rodeln, Fechten
im Zolden oder Kempfftegen und Ringen und Werffen. — Der 3. Teil handelt
„Bon Fechten in der Stangen, weliche ein Vrſprung iſt vieler wehr als Langipieh,
Sceflin, Helmparte und Zuberjtange.“ — Im erjten Teil ijt viel aus Lichten-
auer übernommen.
Die Ringerkunſt, welche jchon vor 1550 in einigen anonymen
Druden bejchrieben worden?), fommt herrlich zur Darjtellung in
Fabians v. Auerswald „Ringerkunſt: 85 jtüde zu ehren Eurfitl.
gnaden zu Sachjen.“ (Wittenberg 1539.)*)
Die 85 Stücde find von 2. Cranach d. Ä. gezeichnet, von dem auch das
Titelbildnis Auerswalds herrührt, der überdies in jedem Stüd als je einer der
beiden Ringer dargejtellt ijt. Er war 1462 geboren und jchrieb 1537.
Auerswald folgt übrigens jehr genau dem „echt: und Ring:
buch“ des Baul Hektor Mair, dejjen jchöne Papierhdſchft. aus
der 1. Hälfte des 16. Ihdts. die Dresdener Bibl. bewahrt und von
dem auch die Münchener Hof: und Stats-Bibl. einen prächtigen Liber
artis athleticae bejitt. (Cod. icon. 393.) Diejer Mair war
Matsdiener zu Augsburg und wurde wegen Untreue gehängt. —
1) Bol. Büfhing: Dürerd Fecht- und Ringerbuch (Kunftblatt 1824), Jahn und Eifelen
Zurnhimft (Berlin 1816), Udert: Fechtkunſt. (Beitr. 3. ält. Liter, III, 1838.)
2) Oct. 1887 im Befig des Antiquars Chon zu Berlin.
2) Bal. Maßmann im Serapeum. 1844. ©. 33 ff.
*) Neuandgabe von G. U. Schmidt mit Einleitung von Wahmannsdorf (Leipzig 1869).
670 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
Später entjtanden des Straßburger Freifechtes Joahim Mayer:
„Sründtl. Beihreybung der Kunſt des Fechtens“ (Straßb. 1570,
1590, Augsb. 1600), ferner oh. Sutors Künſtlich Fechtbuch in
allerley gebräuchlichen Wehren als Schwert, Düjaden, Rappier u. }. w.“
(2. Aufl. Franff. a. M. 1612; neu als Facſimile gedrudt von Scheibie,
Stuttg. 1849), ferner Bünterrodöts De veris principiis artis
dimicatoriae (Wittenbg. 1579) und endlich das interefjante Ber:
gamentmanujfript der Wolfenbüttler Bibl. von 1591, welches den
Titel führt: „Neues kunſtreiches Fechtbuch, darin alle fürnembite,
nußbarliche v. geheimbte Stüde, jo mit Schwert, halben Stangen,
Helbart, Dolch, Dojaden und im Ringen vnd Werffen fünnen ge
braucht werden, zu finden ijt.“
Manche andere ähnliche Werke fünnen hier nicht mehr aufgezählt
werden, da es jich doch nur um ein Grenzgebiet der Kriegswiſſenſchaft
handelt.
b) Die Schießkunſt.
8 68.
Das Problem der Flugbahn war zuerit von SItalienern
jelbjtändig durchdacht worden. Die Anfänge der Balliſtik knüpfen
jih an die Namen Tartaglia und Cardanus. Aber den Ddeutjchen
Büchjenmeijtern gebührt das VBerdienjt, die praftiichen Hilfsmittel
hergejtellt zu haben, um die Ergebniffe der mathematischen Unter:
juchungen ins Leben zu führen. Solche Hilfsmittel find, außer der
Richtichraube Dürers, der Quadrant, der Kaltberjtab, die Ladeſchaufel
und das Bifitiereifen zum Aufjuchen der Gruben und Gallen im Rohr,
die Kugellehre u. j. w.
Beim praktischen Schießen berichtigte man die Längenabweich—
ungen meijt durch Veränderung der Ladung oder durch Vorichteben,
bagl. Zurücdnehmen des Gejchüßes; doch waren auch die Aufjäte
bereitS befannt, u. 310. jowohl der verjchiebbare wie der mit Yöchern.
Großen Wert legte man auf die Kenntnis der Entfernungen, und
einem Staltener, dem Capo Bianco, verdankt man die Erfindung des
eriten „Diſtanzmeſſers“ — Seitenabweichungen forrigierte man
derart, daß man zunächjt wie vorher richtete, dann aber das (beweg—
liche) Korn joweit nach der Abweichungsjeite hinüber jchob, bis der
Fehlſchuß im Viſier erichten.
4. b. Die Schießkunſt. 671
Die Schußarten, welche man anwendete, jind: der Brechſchuß
(Demontierjchuß), welcher gelegentlich als Prellſchuß (bricol) auftritt,
der Senkſchuß, der Göllſchuß (Rollen), der jtreichende Schuß (Enfi=
fieren) und der aus dem Senkſchuß und dem jtreichenden Schujie
zujammengejegte Schleuderichuß (Ricochet), der denn zumeilen auch
zum Göllſchuſſe wird. Erſt Vauban hat zu Ende des 17. Ihdts. diejen
Schuß in allgemeinen Gebrauch gebracht; daß er aber längjt befannt
war, lehrt der Umstand, daß ich Spedle, Marchi und Cataneo bereits
gegen ihn durch Traverjen Jicherten. — Der vieljeitigen Amvendung
der Hohlgeſchoſſe in Deutjchland entſprach es, daß hier zuerſt der
Bogenſchuß ausgebildet ward und daß man für diefen auch bejon-
dere furze Feuerſchlünde goß, welche geeignet waren, jtarf gebogene
Flugbahnen (große Einfallswinfel) zu ermöglichen. Der „hohe Bogen
ſchuß“ galt als entſcheidende Prüfung der Meifterichaft in der Schießkunſt.
Schußtafeln entwarf zuerit Tartaglia; der Deutjche Vogel
folgte ihm nad. Auch Collado und Capobianco haben dergleichen
ausgearbeitet.
Collado gibt die Rejultate jorgfältiger Verſuche, welche er über die
Shußmeiten eines dreipfündigen Falkonets bei verjchiedenen Elevationen ans
gejtellt. Danad) trug der Kernſchuß auf 268 Schritt; die Elevation auf den erjten
Punkt (d. 5. auf Un des Quadranten) ergab 594 Schritt Tragweite, der zweite
Buntt 794, der dritte 954, der vierte 1010, der fünfte 1040, der ſechſte 1053 Schritt.
Dies ijt die Diagonalerhebung. Die Schußweite bei Richtung über den fiebenten
Punkt liegt zwiſchen der vom dritten und vierten, die vom achten zwijchen der
vom zweiten und dritten, die vom neunten zwijchen der vom erjten und zweiten,
die vom zehnten zwijchen der vom erjten Punkte und dem Kernſchuſſe. — Capo—
biancos Scuätafel ijt (beijpielsweije) folgendermaßen angeordnet:
Kaliber. Elevations-Punkte
. 2. 3. 4. 5. 6.
Petriera a braga 12-%fdr. 400 680 8348 912 90 960 Schritte Tragweite.
z „ „. 14 „ 500 850 1000 1140 1180 1200 ”
8 69.
Schießübungen wurden mit dem fleinen Gewehr und mit dem
Gejchüge abgehalten. Die erjteren bildeten einen beliebten Teil volfs-
tümlicher Lujtbarfeiten. Die Schügenfejte jpielten im 16. Ihdt. eine
große Rolle und haben eine breite Literatur Hinterlafjen. Es handelt
ih um „Haupt und Herrenjchiegen“ oder um „zürjtliche Frey—
ichtegen“ u. dgl. m., teil$ noch mit dem Bogen oder dem Stachel
672 Das XVIL Jahrhundert. II. Waffenfunde.
(Armbruit), teils mit Hand» und Zielbüchlen. Durch „Schütenbriek“
wurden fremde Freunde eingeladen. „Schüßenordnungen“ regelte
den Gang der Wettübung.
Die Stadt Gerolshofen bejaß eine jolche Ordnung jchon 1491
für ihre Büchjenjchügen. Georg v. Frundsberg erteilte 1523 jeme
Herrichaft Mindelsheim derartige VBorjchriften. Aus demjelben Jahr
ſtammt die „Alt Ordnung der Bürenjchüczen“ zu Wien.
Da heißt es u. a.: „ES jollen auch alle geuerlich vortheill verpodten jer
und fain ſchütz zw (2) fhugel eines ſchuß jchießen, noch gefuetert oder geiris
thugel, jondern jimbel und rundt. Wellicher das vbertritt und mit ſolchem geu:
lichen vorthetll begriffen, desjelb ſchießzeug it verfallen ſandt ſebaſtian an al:
gnat vnd widerret . . . tem die jchügen jamentlich jollen fih gegeneinande
aller vngebürlichen andafitungen, Goczlejiterung, Lugitraffen vnd anderer ver-
pottener Scheltwortt, auch des bejchreyen vnd einreden am ſchießen im ftandt, ın
der ſchueßhütten, auf der zielitatt, bei der jheyben vnd allenthalben gennzlis
enthalten.“ ?)
Das große Stuttgarter Büchjenjchiegen von 1560 rühmt de
Chroniſt „als föftlicher denn vor alten Zeiten ein Turnier.“
Die Schilderungen oder „Lobſprüche“ jolcher Schießen gehören
natürlich nicht in den Kreis unjerer Betrachtungen, obgleich mandx
Einzelheit derjelben auch in friegsfünftleriicher Hinſicht wohl belehren!
it. Das gilt fogar, u. zw. nicht zum wenigiten, von humoriſtiſchen
Zutaten, 3.3. von der föjtlichen gereimten „Ausred aller Schügen.
was jy pflegen zu reden, wenn jy nitt vil treffen, wie ſich—
zutragen mag, es jey mit Armbrojt, Büchjen, Hanntbogen. Pi:
allerley vrjachen vnd ausrede gang nußbarlich vnd furgweilig zu leien
Gejtelt durch Balthajar Han, Burger zu Frankfurt.“ (Hdjchit. 7
der Univerfitätsbibl. zu Erlangen ms. 1620.)
}
Wie mit dem Heinen Fenergewehr, wurden auch öfter mit den’
Geihügen große dÖffentlihe Schießen gehalten. Dabei ze
neten Jich namentlich Nürnberg, Wien und Augsburg aus. ?)
Im Jahre 1507 fand in Nürnberg ein Schießen mit Steinbüdicz
jtatt. Zu demjelben wurden nur Nürnberger zugelajien. Der Rat gab %
und die Kugeln; daS Pulver ließ er ji) unter dem Preije vergüten. |
ı) Shlager: Wiener Skizzen. R. %. II, ©. 65 ff.
2) Quellen: 1. Müller: Nürnbergiihe Annalen (Wanuitript), 2. Schlager: Br
Stizzen. 3. v. Stetten: Geidhichte von Augsburg bei dem einichlägigen Jahr. 4. Eruftst
Schwäbiſch Chronil II. 339.
4. b. Die Schießtunſt. 673
Zu Bien „haben den 19. April Bürgermeiſter vnd Rath in yetziger vor—
iteender Kriegsnot gemainer Bürgerjhaft ond zu mehrerer Uebung irer Berjonen
zuegeben vnd gejtatt, ain Freyſchieſſen mit VBalfhoneten allhie bei Sand Niklas
vor der Stat, vnd zu ainem voraus vnd freier Schanfhung verordnet: 3 Gewinn-
endten, nemlich 5 Ellen Taffant, 5 Biertel roten Stainat (Tuch) vnd 1 zinnerne
Schüſſel u. ſ. w.”.
Im Juli 1565 erlaubte der Rat zu Nürnberg dem Zeugmeifter und den
Büchjenmeiftern ein Shlangenfhießen, da ein ſolches feit zwanzig Jahren
nicht mehr jtattgefunden. Der Rat lieh Hierzu 5 Schlangen aus dem Zeughaus
und gab eine Tonne Pulver und 12 fl. zum Beiten. „Man hat bei St. Johann
über’3 Wafjer gegen das Weiherhäuslein hin abgejchoffen.“
Im Auguſt 1578 fand zu Augsburg in der Roſenau ein Freiſchießen
mit Falkonets jtatt, das jechd Wochen dauerte. Gegen ein Leggeld von
20 fr. durfte jeder Schüge drei Schüfje auf die 800 Schritte entfernte Scheibe thun.
Ein Schwertfeger aus Augsburg ſchoß dreimal ind Schwarze und gewann das Beite.
Wie jelten übrigens gute Treffer waren, erhellt daraus, daß joldye
von zeitgenöfjiijhen Gefchichtsichreibern wie von Wrtilleriften meiſt ganz aus—
drüdlic” erwähnt und von den Befehlähabern durd) Belohnung anerkannt
wurden. Als vor Siena ein deutſcher Büchjenmeifter auf den erjten Schuß eine
Kanone der Belagerten traf, Hing ihm der Marceje von Marignano die eigene
goldene Ehrentette um (Collado). In gleiher Weije belohnte Spinola vor
Oſtende einen gejhidten Artillerijten (Uffano). |
In Folge des langen Friedens nahm die Tüchtigfeit der deutjchen
Artillerijten im Laufe des Jahrhunderts jtetig ab.
Anfangs der neunziger Jahre fanden zu München in Gegenwart des Hofes
und eines jpanifchen Abgeordneten Schießverfuche ftatt, zu denen auch die Ingol—
jtädter Büchjenmeifter berufen wurden, von denen mande jchon 30 bis 40 Jahre
in ihrer Stellung waren. „Und wie man ihnen grobes Geihüp, als Scarf-
megen, Karthaunen, Singerinnen und Schlangen daraus zu jchießen vorgejtellt,
haben ſie jchier alle vor den Stüden gezittert; als fie num diefelben laden
jollten und wie E. Tchl. ſelbſt gnädigſt gejehen, haben fie, die Büchjenmeijter,
über alles folteitirn eine ganze Glodenjtund zugebradht, ehe fie die großen Stüd
geladen, abgejehen und losbrannten. Nachdem fie nun dasjelbemal fait alle
nicht allein die große holzerne Wand, die man aufgeſchlagen, gefehlt, und wer
wei wie hoch darüber hinweggejhojien u. j. w.“ (Bericht des Landzeugmeijters
von Sprinzenjtein.)
c) Bferdefenntnis und Reitkunit.
8 70.
Pferdefunde umd Roßarzeneiweſen find eng verbunden und
gehen teils direft von antiken Traditionen aus, teils knüpfen jie an
Jahns, Gedichte der Kriegswifienichaiten. 43
674 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
die mittelalterlichen Überlieferungen an. In erjterer Hinficht war!
die Sammlung der alten Schriftiteller über Tierarzeneifunde grumd-
fegend, welche Jean Ruel (1497— 1567), Leibarzt François' I., unter
dem Titel Veterinariae medicinae libri IV :. 3. 1530 ver:
öffentlichte. Im Deutjchland wurde das Werk populär durch die
Überjegung, welche ein Egerer, der Dr. Zechendorfer veranftaltete:
„Roßartzeney. Zwey nußliche jehr gute Bücher von mancherley ae
brechen vnd frandhaiten der Roß vnd anderer arbeytjamen Thiere.
Erjtlih auß befelich königl, Würde in Frankreich durch den Herm
Rvellivm Sveſſionenſem aus vielen alten griechiichen Sfribenten zu:
jammengezogen“. (Nürnberg 1575.)')
Auch die Reitkunſt juchte fich auf antife Überlieferung zu jtügen. —
Camerarius jchrieb De tractandis equis et Xenophontis
libellus de re equestri (Tübingen 1539). Bald aber wurde
auf dieſem Gebiete Italien tonangebend. Seine adeligen Kaufleute,
die Buondelmonti, Donati, Amadei und Medict führten aus Syrien
die edeliten arabijchen Typen ein und feierten jene glänzenden Karufjells,
die der Reitkunjt den Sporn gaben. Unter diejen Aujpizien begründete
Federico Grifone zu Neapel die erjte öffentliche Reitichule und jchriet
jein epochemachendes Wert Ordini di cavalcare e modi di
conoscere le nature de’ cavalli, di emendare i lor vitü e
di ammaestrargli per l’uso della guerra et commoditä degli
uomini (Neapel 1550?), Venedig 1551, 71, 84, 90, 1620), welches er
dem Kardinal von Ferrara, Hippolito da Ejte, widmete.
Seit 1584 find die Ausgaben durd einen Anhang über Roßarzneitunde be
reichert. — Franzöfiiche Überjegung: Paris 1559 und 1615.
Der erſte VBerdeutjcher der Ordini di cavalcare war Joi.
Höchftetter. Seine Arbeit ijt nur Handjchriftlich vorhanden und findet
ih in den Bibliothefen zu Berlin (ms. germ. fol. 16), Wien
(ms. 10879) und Wolfenbüttel (August. 11. 26 fol.).
Es ijt eine treue jchlichte Wiedergabe. des Originals. „Und ſoll der Leier
bierinnen gang fain zierlichait der Ned noch geſchickten vergrif juochen, fonder
die jiegigkait der blümen jaugen im nutzmachen vnd erwögen, die wichtigkait des
Factums, ja wie ſchwär fich dieje vber alle adelichſt vnd hochberümbteſt tugent
in die feder, fülmehr in vatterländijche ſprach bringen lajt“.
1) Supferftichfabinet zu Berlin. Der Sammelband enthält außerdem ein großes Bildei!
Schwenbis, bie prächtig illuftrierte Schilderung Augsburger Armbruftihießen (1470—1509) und eimix
Zurnierdarftellungen.
2) gl, Bibl. zu Berlin.;
4. c. Pferdekenntnis und Reitkunit. 675
Grifones Arbeit beginnt mit furzer Darlegung der Pferdefunde, lehrt die
Ausbildung in den verſchiedenen Gang- und Reitarten und endet mit ausführ-
licher Darjtelung der für die einzelnen Stadien des Zureitens und die ver—
ſchiedenen Mäuler anzumendenden Gebifje, deren bereit3 er nicht weniger als
fünfzig in halber Naturgröße abbildet.
Eine freiere Bearbeitung des italienischen Werkes ift die ZILITO-
KROMIKH. Künſtlicher Bericht... des hochberühmten
Sriderci Grijonig, wie die jtreitbare Pferdt zum Ernſt vnd
Ritterlicher Kurtzweil geſchickt und vollfommen zu machen. Im jechs
Bücher wolverjtändlichem Teutſch durch Joh. Fayfer, den Jüngeren
von Arnjtein in Franken. (Augsburg 1570. 1599. 1608.) !)
Hier Handelt das 1. Bud „von der erfenntnuß der Rob“, das 2. „vom
Ringreuten (volta), das 3. „vom Redopiren“, das 4. „von Biſſen“ (Gebijjen),
das 5. „von Laſtern der Pferdt“, das 6. „von kunſtreichen Unterweijungen“.
Angehängt find „Zwanzig Kampfjtud“ aus der Zeit Marimilians I. (Joſt
Amman), welche mit Griſones Werk nichts zu tun haben.
Mit jeinen Gebikdarjtellungen hatte Grijone durchaus den Geſchmack
der Zeit und ganz bejonders den der Deutjchen getroffen. Daritellung
und Erläuterung der mannigfaltigjten Zaumarten in ſog. „Bißbüchern“
entwidelten jich zu einem bejonderen Literaturzweige. Schon 1560
überreichte ein Ungenannter „meinem gnädigen Herrn Ehrijtoff, Her:
zog von Würtemberg* ein jolches „Bißbuch“ (Münchener Hofbibt.
cod. iconogr. 257), und 1562 erjchien zu Augsburg Hans Kreuß-
bergers dem Könige von Ungarn und Böhmen zugeeignete „Wahr:
hafftige vnd Eygentlihe Contrafactur vnd Formen der
Zeumung vnd Gebiß zu allerley mängeln und vndterrichtung der
Pferdt ... jampt jren zugehörenden Naßbändern, Cauczonj, Steg—
reif u. ſ. w.“-?)
Außer der Widmung enthält das große Holzjchnittwert nur Figurentafeln,
in welche ganz furze Erläuterungen hineingejhrieben jind.
Daran reihen jic) die Variaecapistrorumetfrenorum
figurae delineatae des Mlacantius, welche Joan Sambucus
t. 3. 1564 dem Kaiſer Marimiltian II widmete (Wiener Hofbibl. ms.
10841) jowie ein aus der Bücherei der Karmeliter jtammendes Biß—
ı) Ausg. von 1608 in ber fol. Bibl. zu Berlin.
) Handichrift in ber Wiener Hofbibl. (ms. 10904). Drud in der Bibl: zu Wolfenbüttel.
45°
676 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
buch der Stadtbibl. zu Köln (ms. 62) und ein jolches in der Kal.
Bibl. zu Berlin (ms. germ. fol. 71) v. 3. 1570.
Lepteres iſt titello8 und bringt 412 große Zeichnungen von Gebijjen und
anderen reiterlihen Gebraucdhsgegenjtänden.
Alle diefe Bißbücher find Variationen des von Griſone ange
ichlagenen Themas.
8 71.
Am Schluffe feiner Bearbeitung des Griſone hatte Tayfer auf
ern jelbjtändiges Werk Hingewiejen, welches er vorbereite. Dies cr
ſchien u.d. T. „Hippiatria: Gründtlicher Bericht und allerordent-
lichte Bejchreibung der bewehrten Roßärtzney“ (Augsburg 1576) ')
und iſt dem Markgrafen Friedrich von Brandenburg zugeeignet. Es
bietet nur eine Neubearbeitung der mittelalterlichen Überlieferung.
Dasjelbe gilt von des Kajpar Reuſchlein von Hagenaw „Hip-
piatria. Gründtlicher vnnd eigentlicher Bericht von Art und Eygen-
ichafften der Pferde, allerhand Zeumung vnd Abrichtung u. ſ. w.“
(Straßburg 1593) ?).
Unvergleichlich bedeutender und jelbjtändiger als dies Werk it
Marx Fuggers Herrn von Kirchberg und Weiſſenhorn, Buch „Bon
der Geſtüterey. Das iſt ein grundtliche Beſchreibung wie vnd
wo man ein Geſtüt von guten edlen Kriegsroſſen auffrichten, vnder—
halten vnd wie man die jungen von einem Jar zu dem andern erw
ziehen joll, bis fie einem Bereitter zum abrichten zu vndergeben, vnd
jo fie abgericht, in langmwiriger Gejundhatt zu erhalten“. (Frank
furt a. M. 1578°), 1584*), 1611; neue Ausgabe von Wolſtein
1788.)
Der Berfafjer, geb. 1529, war der Sohn des großen Augsburger
Patriziers Anton Fugger und Stifter der Nordendorfer Linie jeines
Haufes. Sein Werf beruht auf unmittelbarer Kenntnis von den
Dingen jelbjt und umterjcheidet ſich dadurch Höchjt vorteilhaft von
den ältern, meijt von Mönchen compilirten Sammelwerfen, welche
ji) auf Grund der Hippiatrifer des Altertumes und nad) dem Vor—
1) Hal. Kupferſtichkabinet zu Berlin.
*, Im Jahre 1888 ein Eremplar in Harrafjowig’ Antiquariat in Leipzig.
») Öffentl. Bibl. zu Dresden. (Mutor-Eremplar, deſſen Borrede der Berf. eigenhändig unter
zeichnet und deſſen Drudiehler er verbeffert bat.)
9 Agl. Bibl. und Bibl. der Beuthſammlung im Schintel-Mufeum zu Berlin,
4. c. Pferdekenntnis und Reitkunſt. 677
gange byzantiniicher Gelehrter bloß litterariſch mit Tierzucht umd
Tierheilfunde befaßt hatten !). Markus Fugger jtarb 1597. — Das
Buch — eine der monumentalen Grundwerke der Hippologie —
zerfällt in 24 Slapitel:
1. Wer erjtlich erfunden Habe, die Roſſz zum reutten vnd zu dei Menjchen
Sebraud zu richten. 2. Von der Natur vnd Compferion der Rod. 3. Bon dem
langen Leben der Roß. 4. Bon dem Verjtandt oder Bernunfft der Pferd. 5. Von
der Gedächtniß der Pferd, vnd daß fie die Sprach, deren fie gewohnt, verjtehn,
auch thun, wa® man jhnen jchafft. 6. Von der Treue vnd Liebe, jo die Roh
gegen jhrer Herren vnd denjenigen tragen, die jhnen guts thun, fie auch vor
Schaden warnen. 7. Bon etlihen Roſſen, jo vmb ein großes Gelt find erkaufft
worden. 8. In was großen Wirden die Roß vor zeitten gehalten vnd etlichen
nach jhrem Tod große Ehr bewiefen worden. 9. Bon dem Nutz, fo der Menſch
von den Pferden hat. 10. Bon den Argeneien, fo von den Rofjen genommen,
dem Menfchen und Vih mögen gebraucht werden. 11. Von den Roſſen, jo nad)
eines jeden Lands art fallen. 12. Bon den wilden Rofien. 13. Von dem Kojten,
jo man auff die Gejtüt gewendt hat. 14. Bon den verjchnitten oder cajtrierten
Nofien. 15. Von den Farben der Roh. 16. Bon den weißen oder anderen
Beiden der Rob. 17. Wie das Ort fein ſoll, allda ein Gejtüt zu halten.
18. Stallungen für die Stuten, VBollen vnd alte Roh. 19. Wie ain Bejcheller
jeyn vnd man jhn durchs ganze Jar Halten folle.. 20. Wie die Stuten jeyn
jollen. 21. Wie vnd wann man bejcellen joll. 22. Wie die ein, zwey, drey
vnd vierjährigen Füllen jollen auferzogen vnd jhnen gewartet werden. 23. Wie
man den beritten Roß warten joll, daß jie lange gejundt bleiben. 24. Bon
den Gebredlihaiten und Mängel der Roſſz, auch was darin zu betrachten jey,
wann man's fauffen will.
Das Buch ift mit ausgezeichnet ſchönen Holzichnitten gejhmüdt und in
jeiner erjten (Quart⸗) Ausgabe wahrjcheinlid aus einer Fuggerſchen Privat-
druderei hervorgegangen.
Wie Fugger entjtammte auch Hans Friedrich Hoerwarth von
Hohenburg emem Augsburger Adelsgejchlechte. Er diente dem
Herzoge Ferdinand von Bayern als Kämmerer und Stallmeijter und
ihrieb „Bon der Hohberhümpten Adelihen vnnd Ritter-
lihen Kunjt der Reitterey“. (Tegernjee 1578) 2). Er faßt darin
die Summe der Erfahrungen zujammen, welche er in Italien, Frank—
reich und Deutjchland gemacht. — Das Werk zerfällt in 4 Bücher.
Das 1. handelt von der Natur der Pferde, ihrer Erjheinung und ihren
Eigenschaften, jowie vom Geftütswejen und der Stallpflege bis zu dem Augen
— — — — —
1) Bgl. Röſſing: Pragmat. Geſch. der Öconom. und Cameral-Wiflenjchaft, 1781, ſowie Fraae
Geih. der Landbau und Forft-Wiffenihaft, Münden 1866.
*) Berlin, gl. Bibl. und Beuth-Sammlung im Schinfelmufeum.
678 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffenkunde.
blide, wo das Pferd gejattelt vorgeführt wird. Deutjche Art ift Hier mit italienijcher
gemischt. Im 2. Buche wird die Schule de Zureitens abgehandelt, wobei die
Einwirfung des Grifone überaus ſtark Hervortritt. Dasjelbe gilt von dem 3.,
dem „Biſsbuche“. Das 4. Buch endlich handelt von den Hufen und deren
Beichlage.
Großenteils gleichlautend mit diefem Werfe und dementjprechend
ebenjo abhängig von dem italienischen Originale ift die „Ritterliche
Neutterfunft, darinnen ordentlich begriffen, wie man zuvorderit
die Nitterliche vnd adeliche Vbung der NReutterey bevorab in Teutſch
land mit mufterhafftigem Geſchmuck, NRitterjpiel, Mumerey, Kleidung
vnd allem andern, beydes in Schimpff und Ernſt gebrauchen möge.
Durch den edlen gejtrengen Herrn L. V. C., gewejenen Keyjerlicher
Maieitat Stallmeijter. (Frankfurt a. M. 1584) !).
Der Verfaſſer, „ein fürnehmer vom Adel“, beginnt, bezeichnenderweije, mit
den Mummereyen. Dann folgen mit gereimtem Text die ritterlihen Kämpf zu
Roſs aus der Zeit Marimilians I., wie fie aud) der Anhang von Tayjers Ver—
deutfhung Grifones enthält. Hieran fließen jich, wieder mit Reimen, die Figuren
eines Feitzuges, „wie keyferl. Maj. in Solenniteten pfleget zu reutten“. — Den
Kern des Werkes bilden aber die vier Bücher: Von Wartung der Pferdt; Bon
Abrihtung der Pferdt; Marftallereyg von Gebik und Mundftüden und Bon Be
ſchlagung der Pferdt, welche wörtlich mit Hoerwarth8 „Reitterey“ übereinjtimmen. —
Ebenjowenig felbjtändig iji der Net des Werkes: Das Buch vom Rofziegel oder
Beichellen ftügt fi) ganz auf das betreffende Kapitel Fuggers (oder beide haben
aus derjelben fremden Quelle geihöpft), und das von Arpeney der Pferdt, teile
auf ebendasjelbe Wert, teils auf Zechendörfers Übertragung des Ruellius. [S. 674.)
Überaus reich ift das Bud mit Holzjhnitten Joft Ammans gejhmüdt,
von denen einige Fuggerd Werk entnommen find. Einzelne Pierdedarjtellungen
jind aud) Originalftöde von Beham.?)
Ein verwandtes Werk iſt das des Jeremias Schemel, von
welchem fich eine Handjchrift in der Wiener Hofbibl. (ms. 61—172),
eine andere in der Cimelienfammlung zu Wolfenbüttel befindet. Erſtere
führt den Titel „Vom Roßthumblen“; die andere, ein prachtvoller
Foliant, benennt jich: „Ein jehr Herlich8 wol gegrindts und gezierttes
auch nußliches vnd jchenes Contrafectbuch, Wie die Willden, unbendigen
vnd vngezambten Roß mit allem Bortail und Gejchidlichfaiten . . -
gezembt vnd gebraucht werden mügen al3 zu Nennen, Stechen, Tur-
nteren vnd anderer adelicher Freud und Kurzweil ze ernſt vnd ſchimpf“.
1) Berlin, Kal. Bibl. und Kupferftichfabinet.
») Behams Schrift: „Difes buchlein zeyget an ... ein maß ober proportion der Rob...
(Nürnberg 1528) gehört nicht in bie Hippologie, ſondern in bie Beichnenfunde.
4. c. Pferdefenntnis und Reitkunft. 679
Das Werk beruht im erjten Teil wejentlic auf Grifo, jpäter namentlich auf
Rüxners Turmierbud. Auch die zwölf Kampfjtüd fehlen nicht.
Im Jahre 1575 befahl Kurfürſt Auguft von Sachſen feinem
Stallmeijter Georg Engelhart Köhneyfen, ihm einen „Bericht
des Zeumens“ zu verfaſſen und die Stangen und Mundjtüde in ge
wiſſe Maße abzuteilen. Bevor Löhneyjen fein Werf vollendete, war
der Kurfürjt geitorben und der Berfaffer in braunjchweigische Dienite
getreten, wo er als Stallmeijter zu Grüningen und Wolfenbüttel und
in der Folge auch als Hauptmann der Erzgebirge am Harze tätig
war. In diejer Stellung vollendete er jein Buch „Bom Zeumen.
Gründlicher Bericht des Zeumens und ordentliche Austeilung der
Mundſtück vnd Stangen“, das jich Handjchriftlich in der Wiener Hof
bibl. (ms. 10794) und in der Landesbibl. zu Caſſel (ms. math. fol. 5b)
vorfindet. Es wurde endlich 1588 zu Grüningen (s. 1.) veröffentlicht ?).
Dies Werk legte Löhneyjen zwanzig Jahre jpäter einer zweiten
Arbeit zu grunde, welche er dem Herzoge Ulrich von Braunjchweig
und Lüneburg widmete. Sie führt den Titel: »Della Caualleria.
Srümdtlicher Bericht von allem, was zur Reutterey gehörig vnd einem
Gauallier davon zu wiljen geburt“ und zerfällt in zwei Zeile, von
denen der erite 6, der zweite 2 Bücher umfaßt. Beide Teile erjchienen
zu Nemlingen, der erite 1609, der zweite, in welchen das alte Werk
von 1588 mit jeinen 121 verjchiedenen „Bißſtangen“ überging, i. 3.
1610 ?). (1624) ).
Nur unter der Widmung nennt ſich der Verfaſſer u. zw. mit eigenhändiger
Namensunterfchrift; aber auf dem Titel ift er dargejtellt in jpanifher Hoftradht,
ein Bündel Zäume in der Hand, welche er fünf vor ihm ftehenden, aufmerfenden
Pferden mit den Worten entgegenhält:
Ich jtehe und jehe euch an Vnd was ich euch hinfort wil lehrn,
Wegen ewr Gjtalt vnd Complexion. | Dadurd) ewr Lob vnd Tugendt vermehrn.
Die acht Bücher handeln: 1. Von einer Hoffchul, wie man Junge vom Adel
aufferziehen fol. Vom Hoffleben, wie jich ein Cauallier zu Hoff in allem jeinen
thun vnd leben halten fol. Ferner von erfendnuß und vnterſcheid der Pierd. —
2. Bon Gejtüth, wie man das beitellen vnd auffrichten fol. — 3. Von bejtellung
eines Fürſten Stalß vnd wartung der Pferde. — 4. Von Strapieiren und erjter
Schuel, darin man die jungen Bohlen anfenglic Rittig vnd zaumrecht macht. —
5. Vom Ningfreuten vnd wie die Pferdt auff allerley manier abzuridten. —
6. Bon der Rofsargenei. — 7. Bom Zeumen der Pferdt vnd Austeilung der
Mundjtüd und Stangen, wie diejelben nad) jedes Pferdts Arth vnd eygenſchafft
1) Kal. Kupferftichlabinet zu Berlin. *) Kal. Bibl. zu Berlin. (Eremplar aus ber Bibl. bes
Großen Kurfürften.) 2) Ebda. (Statalog Oeconom.) und Bibl. des Berliner Zeughauſes (B. 390).
680 Das XVI. Jahrhundert. II. Waffentunde.
jollen gebraudht werden. — 8. Bom Anfang der Turniere vnd allerley Ritterſpiel
jampt den darzu gehörigen ardellen, jtem wie man die Pferdt auff allerlen
manieren ſchmückt vnd fie zieren joll vnd allerley Invention der Schlitten.
Der £olojjale Foltant, eine8 der mächtigjten Bücher, Die im
16. Ihdt. gedrucdt wurden, ijt überaus reich mit Kupferitichen aus-
geitattet. Die Mundjtüde und Stangen füllen allem 120 aroke
Tafeln und find in Originalgröße dargejtellt. Der Prerdejchmud,
die Schlittenausftattungen, die Aufzüge jind mit überquellender Phan-
tajtif erdacht!). Neues jedoch, was über Fugger und Griſone hinaus
ginge, bringt das Werk nur wenig, und in friegswifjenjchaftlicher
Hinficht iſt es unergiebig.
Wie das Erjtlingswerf Löhneyjens, jo handelt auch Seutters
Foliant: „Ein jhönes und nutzliches Bißbuch“ (Augsburg
1588) mit jeinen 194 Kupfertafeln lediglih vom Zeumen.
8 72.
Griſone jtand nicht nur praftiich einer wirklichen Neitichule vor,
wie jie vielleicht niemals großartiger und folgereicher beitanden hat,
jondern er machte auch in ganz Europa Schule im hippologiſchen
Sinne. Wie jehr das in Deutjchland der Fall war, haben Die vor:
bergehenden Paragraphen gezeigt. In Stalien jelbit jind zu er
wähnen: des fiashi Trattato del imbrigliare (1556), welcher
ins Franzöſiſche überjegt ward (1564), des Ferraro Buch Delle
razze et disciplina del cavalcare (1560) und das großes
Aufjehen erregende Werk des neapolitanischen Edlen Caracciolo: La
gloria del cavallo (1566). Daran reihen jich Senofonte: Modo
di cavalcare (1571), Toralto: Discorsi cavallereschi
(1571), Shisliero: Regole di molti cavagliereschi eser-
eiti (1587) und Siliceo: Scuola de caualleri (1598).
Neben der Neitjchule von Neapel erfreuten fi) die von Rom
und von Padua hohen Ruhmes und verjammelten Schüler aus allen
Ländern. Neapel beſonders aber wurde die Brüde nah Spanien,
wo die Schulreiterei bald zu einer Entwickelung gelangte, welche jogar
diejenige der Italiener noch übertraf: ein ähnliches Verhältnis, wie
es ſich auch auf anderen Gebieten unſeres Wiffenskreijes ergab. Bon
1) Neu⸗Ausgabe mit nicht eben alüdlicher Verjüngung des Zertes von Val. Tridter, Be
reiter der löbl. Republit Nürnberg, u. d. T.: Neueröffnete Hof-friegd: und Reitihul. (Nürnberg 1729.)
4. c. Pierdetenntnis und Reitkunit. 681
ſpaniſchen Werfen jind bejonders vier erwähnenswert: Mancçanas
Libro de enfrenamiento (1570), Aguilars Trattado de
la cavalleria (1572), Peraltas Tractado de la caballeria
(1580) und des Grafen Davila: Para estar A laGineta con
gracia y hermosura (1590).
Griſones perjönlicher Nachfolger, Bignatelli, war der Lehrer
des Franzoſen de la Broue, welcher die Reitkunſt Italiens auf
den Boden jeiner Heimat übertrug und deren Preceptes princi-
paux 1593 veröffentlichte.
In wie hohem Maße die edle Reitkunſt — ähnlich wie heut-
zutage das Wettrennen — Gegenjtand des internationalen Interejjes
war, zeigt u. a. ein ſeltſamer Mijchcoder der fgl. Bibliothek zu Berlin
(ms. germ. fol. 64). Er führt den Titel: Libro que trata A
la Brida y Gieneta en italiano (»y mal castellano« hat eine
fremde Hand hinzugefügt). In fine liber Medicinae Veteri-
narie germanica (!. In Madrid di Giorgio Zinnez.
Die Handſchrift ift 1599 bis 1600 entjtanden und bringt zuerjt Darjtellungen
von Gebijjen und anderem Neitzeug, dann ein Avertimento del Imbrigliare
und endlid ein „Bewährtes vnd Künjtlihes Roßartzeneibuch.“
8 73.
Auch in dem Gebiete der Roßarzneikunde, auf welches hier
nicht näher eingegangen werden fann, brechen vorzugsweije italientjche
Forſcher Bahn, zumal der Bologneje Ruini mit jeinem oftmals auf:
gelegten Werfe Dell’ infirmita del cavallo (1598), welches
in deutjcher Bearbeitung von Uffenbach herausgegeben wurde.
(Frankfurt a. M. 1603). Übrigens fehlt es auch nicht an älteren
deutjchen Arbeiten, von denen ſich namentlich in der Dresdener Bibl.
eine Reihe von Handichriften findet. So unter ©. 288 Wolff Ernit
v. Wolframsdorff: Ein jehr nüglihes Pierdarzneibud,
unter ©. 293 Wolfgang Graun von Hohenlohe Roßartzeneyen
1564, und endlich drei Sammlungen von Rokarzneibüchern,
nämlich unter C. 313 deren jieben, unter C. 325 deren drei umd unter
C. 326 deren vier.
682 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer und Truppen-Kunde.
III. Bapifel.
Heer- und Iruppen-Kunde
I. Öruppe.
Heeresanfbringung.
8 74.
Die Reſte der alten „Landfolgen“ hatten zu Anfang des
16. Ihdts. nur noch untergeordnete Bedeutung. Was davon lebendig
war, ordnete ſich unter die drei Hauptgruppen der Lehnsmilizen, des
Heerbanns der ſog. „Pflichtigen“ und der Stadtmilizen. — Nicht
jowohl der Schwung nattonaler Begeijterung als vielmehr drüdender
Geldmangel, der die Aufitellung von Söldnern erjchwerte, führte je
doch, auch jchon in der erjten Hälfte des 16. Ihdts., wiederholt dazu,
daß manche Fürjten Aufgebote Ausſchüſſe) ihrer Untertanen ins
Feld ſtellten. Das geſchah, wie es ſcheint, am früheſten und groß—
artigſten in Tirol, deſſen Landesverteidigung i. J. 1518 durch
Kaifer Marx I zum Mittelpunkte der erſten gemeinſamen
Wehrverfajjung der deutjchen Erblande des djterreidi:
ihen Haujes erhoben wurde.')
Gejeglich geregelt wurde die offenbar uralte tirolijhde Landes—
bewaffinung auf dem Landtage zu Bozen (1511) durd) das von Mar mit den
Ständen vereinbarte „elfjährige Libell“. Der Natur des ihm jo teueren
Landes entjprechend, wurde vor allem darauf gejehen, durd Errichtung und Be
jegung fejter Häufer die Klaufen und Thäler zu jperren. Doc, follten zu diejen umd
anderen Berteidigungsziwveden nie mehr als 20000 M. vom Lande gefordert werden,
u. zw. immer nur nad) Maßgabe der Notwendigkeit in Aufgeboten von je 5000 M.
Für den Sold kamen die Stände auf; Waffen und Mundvorrat jtellte der Fürſt.
In militärpolitiicher Hinfiht wurden den Ständen wichtige Vorrechte eingeräumt.
— Auf Grund diefer Verfafjung begannen nun langjährige Verhandlungen
ftändifcher Ausſchüſſe der deutjchen Erblande, welche endlich da8 „Innsbruder
Libell“ von 1518, d. h. eine „allgemeine Defenfiondordnung der
römijch faiferl. Majejtät und aller desfjelben nieder- und ober:
öſterreichiſche Lande“ abſchloß und krönte.
1) Abdruck in der ‚Landts⸗Handveſt bes 10bl. Herzogthumes Crain“ (Laibach 1687). Auszüge in
Meyhnerts Geld. der k. f. öfterr. Armee. II. (Wien 1854) und in Gilbert Angers Jlluftr. Geid.
der k. f. Armee. I. (Wien 1886.)
1. Heeresaufbringung. 683
I. Rüjtung und OÖrdinanz der niederdfterreihifhen Lande
für ſich ſelbſty. — Jedes Land foll für fich ſelbſt und aus feiner Mitte ſechs
redliche, gejchidte und verftändige Männer ald Kriegsräte wählen und einen der—
jfelben zum Landesfeldhauptmann beftellen. Diefer, fowie die Räte, der Land—
marjhall und der Vicedom des Kaiſers follen angeficht® einer Bedrohung des
Landes beraten, wie demjelben mit den einheimifchen Kräften zu widerſtehen jei.
Ergäb es ſich aber, daß diefe zu ſchwach feien, jo ſollen auf des Kaiſers oder
feines Oberſtfeldhauptmanns Aufgebot die Nachbarn mit verabredeter Macht
jchleunig zu Hilfe ziehen. Zu dem Ende follen in den niederöfterreichiichen
Ländern von je 200 Pd. Geldes, Nupungen, Renten und Eintommen ein Reifiger
und zwei Fußknechte angejhlagen und gehalten und niemand davon ausgeſchloſſen
jein. Die fo gewonnene Mannſchaft joll im Notfall dem bedrohten Nachbar—
erblande zuziehen. „Bei ſolchen Sriegsereignifien ſoll auch jedes der nieder-
öjterreihiichen Lande zum erjten Aufgebote aus den verordneten Kriegsräten zwei
verjtändige Männer gegen Brud an der Mur, als einen Mittelplap, bis zu
Ende des Krieges verordnen . . .“ Stiege die Gefahr aufs Außerfte, fo fei über
jenes erjte Aufgebot hinauszugehen und allenthalben in den Landen aufzubieten,
dergeitalt, daß die vom Adel in eigener Perfon mit den Ihrigen jchleunig an-
fommen, aud die Prälaten und Städte die Jhrigen auf das ſtärkſte ſchicken.
„In die obvermeldete Rüftung und erjte Hilfe jollen auch wir (d. h. der Staifer)
von unjerem Urbarn, Renten und Nutzungen in den benannten Landen, fie feien
verpfändet oder nicht, durchgehends von 200 Pfd. Geldes einen Reifigen und zwei
Fußfnedte halten... .“
II. Der folgende Abſatz wiederholt die wejentliden Punkte des für
Oberöſterreich, d. h. nad) damaligem Sprachgebraud) Tirol, allein giltigen
Libells von 1511 mit dem Zufage: „Zu jolcher unferer oberöfterreichifchen
Sandordnung und Rüftung haben wir und bewilligt, von unferm Kammergut
500 gerüjtete Pferde... zu unterhalten, und jo oft unſere Grafichaft Tirol nebjt
beiden Stiftern (Briren und Trient) und die vorderen Lande (die ſchwäbiſchen
Befigungen) in Gefahr geraten würden, ... . mit noch mehrerem Kriegsvolf auch
Geſchütz und Proviant ald Herr und Landesfürft nad) unſerm Vermögen zu
jtatten fommen wollen.“
II. Einigung und Berftand (Einverjtändnis) kaiſerl. Majeſtät
und der nieder- und oberdjterreihifhen Lande untereinander.
Für den Fall der Bedrohung Oberöfterreih8 (Tirols) wollen der Kaifer und die
niederöjterreihifchen Lande 1000 gerüftete Pferde in volljtändiger Anzahl und für
die übrigen 500 Pferde jeden Monat 5000 fl. rheinifch oder jo viel Münze, je
nachdem es uns oder unfern niederöjterreihiichen Landen am pafjenditen ift, zu
I) Unter NRieder-Öfterreich find bier Öfterr. ob und unter der Ens, ſowie die Steyermarf und
wohl aud Kärnten unb Krain verftanden. — Schon durch ein „Krebenzichreiben* an bie gemeine
Landſchaft ob ber Enns d. d. Füſſen 12. Juli 1803 hatte Marimilian die Aufbringung von 1000 Reitern
und 6000 Diann 3. F. gefordert, nämlich 1000 gerüftete Pferde, 1000 Leichtihügen, 1000 Büchſen⸗
ichüßen, 3000 lange Spiehe und 1000 Sellebarbiere. Aber er fcheint damit nicht burcdhgebrungen zu
fein. (Bol. Meynerta.a. D. ©. 9.)
684 Das XVI. Jahrhundert. IH. Heer: und Truppensftunde.
Hilfe und Troft ohne Verzug ausfertigen und zujhiden. Hinwiederum, wenn
und jo oft die niederditerreidhiichen Yande, eine® oder mehre, von unjern oder
ihren Feinden (Gläubige oder Ungläubige) mit gewaltjamen Einfällen beläitig:
würden... daß dann wir und unjere oberöjterreichiihen Lande den niedern
Landen ebenfalld 1000 gerüjtete Pferde und für jeden Monat 500 Gulden rbeintiic
. . . zujdiden jollen und wollen. Außer ald im Notfalle jollen jedoch die niederen
und oberen Lande, zur Vermeidung nußlojer Untojten, voneinander feine jolde
Hilfe begehren“. Die Verpflichtung zur Kriegshilfe erlifcht übrigend, wenn der
verpflichtete Teil gleichzeitig jelbjt angegriffen wird. Als Dauer der Hilfe werden
ſechs Monate einjhließlicd An= und Abzug feitgejeßt; „welcher Teil der Hilfe auf
längere Zeit bedürfen follte, dem joll der andere dienen, doc in unjerem Sold
und Kojten. Es joll auch die Mahnung der ober: und niederöſterreichiſchen Yandı
gegeneinander in jedem Jahre nicht mehr ala einmal geſchehen .. .“
In dieſem Innsbrucker Libell ift e8 auf en Zuſammen—
wirfen der örtlichen Aufgebote mit Aufgeboten der
Nahbarn und den jujtvorhandenen ordentlichen Streit:
fräften des Landesherrn abgejehen. Es iſt der erſte Ausdrud
der gejamtjtatlichen Idee in Dfterreich, welche ja notwendigerweiie
auf dem Gebiete der Landesverteidigung zuerit zum Durchbruce
fommen mußte.
Bis dahin gab es nur niederöfterreichifche, jteieriiche, tiroler Aufgebote ; jest
fonnte man don einer öſterreichiſchen Kriegsmacht reden; denn das Libell machte
indireft dem läjtigen Privileg ein Ende, daß jedes Aufgebot nur innerhalb der
Grenzen jeines eigenen Landes verwendet werden dürfe. Zugleich erjcheinen in
den ſtändiſchen Kriegsräten die erften Spuren dauernder militäriſcher Behörden,
und die Bereinigung derjelben zum „niederdjterreichiichen Kriegsrate“ hat bis zur
Wende des 17. und 18. Ihdts. die wichtigite Grundlage der Kriegäverfaflung der
deutſchen Erblande ausgemadt.
Der jtatsrechtlichen Bedeutung diejer Vorfehrung Marimilians
jcheint übrigens die militärtjche Leijtung kaum entiprochen zu haben;
noch weniger war dies anderwärts der Fall. Stiegen doch die An-
läufe zur Wiederbelebung des deutſchen Volkskriegertums auf Die
entjchiedenste Abneigung der ſoldatiſchen Fachmänner, wie das z. B.
aus des Grafen Reinhart von Solms dringender Abmahnung von der
Bewaffnung der Untertanen [S. 514] deutlich hervorgeht. — Ebenio
jcheiterten die Berjuche, das Söldnerweſen in die fejteren
Formen ftehender Truppen überzuführen Obne regel
mäßige Steuern, wie die franzöfiiche „Taille“ eine war, vermochte
man folche Truppen nicht auf die Dauer zu unterhalten. Dergleichen
Steuern konnten jedoch weder der Kaiſer noch die Fürſten bet ihren
1. Heeredaufbringung. 685
Ständen durchjegen. Nur Karl dem Kühnen war 1471 eine länger
währende Nachahmung der franzöfiichen Ordonnanzfompagnien ge
glüdt. Der Verſuch des Kaiſers Marimilian I, regelmäßig bejoldete
„Kyriſſer“ aufzuftellen [S. 318) hat offenbar wenig Folge gehabt,
und noch mehr dürfte dies von der i. 3. 1514 beabjichtigten Einrichtung
einer „Garde“ der Fall ſein. Der Entwurf lautet:?)
„Die faijerl. Majejtät ift aus vielen und beweglichen Urjachen des Willens
und Fürnehmens, eine Garde oder ehrliche Geſellſchaft, inmaßen dann Ihre
Majejtät im Eingang ihrer Regierung auch gehabt?), aufzurichten, dergejtalt wie
tofgt: — 1. daß K. M. auf jedes Pferd, das gerüftet ift und fich in die Garde
bemilligt, de8 Monat3 3 Gulden rh., dazu Futter und Mahl, Nagel und Eijen
und jedes Jahr auf ein Pferd zwei Kleider geben ſoll. — 2. daß ein jeder, der
jih in ſolche Garde bewilligt, von Stund an von jedem Pferde 30 ©. rh. Hinter
dem Hauptmann erlegen joll, der jolches Geld nad Jahresfriſt wieder bezahlen
und entrighten wird. (Alſo eine Kaution). Solche Garde joll auf drei Jahre
fang gejtellt werden und jeder Edelmann ein Kyriſſer fein und fünf Pferde unter
ihm halten. — 3. joll unfer Rat und Schagmeijter Jacob PVillinger, einen jeden
um jeinen Sold, Speijung und Kleidung, wie oben jteht, verſprechen“. Das
Verzeichnis der Eingejtellten joll dem Kaiſer zugeftellt werden.
Man weiß von diejer Garde weiter nichts; ſie jcheint gar nicht
zujtande gefommen zu jein, wahrſcheinlich aus Geldmangel, jener
Klippe, an der die meilten Ideen Kaiſer Marimilians I gejcheitert
jind. Denn erjtens war diejem das Geld wirklich knapp zugemejjen;
dann aber verjtand er, bei jeinem großartig ſanguiniſchen Temperament
auch nicht damit umzugehen. Seinem jparjamen Vater, der ihm
ihon in der Jugend jeine übermäßige ?Freigebigfeit vorhielt, ant-
wortete Mar: Er wolle nicht ein König des Geldes werden, jondern
des Volkes und aller derer, welche Geld haben; „ein jeder König
bejtreite und befriege mit dem Volfe und nicht mit Geld jene Feinde.“ °)
Aber zu jeiner Zeit vermochte man doch feinen Krieg mehr zu führen
ohne Mietjoldaten, und dieje wollten vor allem bezahlt jen. Da
es nun Marimilian, obgleich er auch ein König jolcher war, „welche
Geld Haben“, nicht gelang, diefe dazu zu bringen, ihre Tajchen ent=
iprechend zu öffnen, jo mußte er darauf verzichten, durch eine Ein-
richtung,wie jene „Garde“ einen entjcheidenden Schritt in der Rich—
tung auf das jtehende Heer zu tun; und wie im dieſem Falle, jo
1) Mitteilung bei Anger a. a. O.
2) Bon dieſer Garbe ift nichts befannt.
») „Der Weiß⸗Kunig“, p. 72 (Wien 1775).
686 Das XVI. Jayrdundert. III. Heer: und Truppen-ftunde.
jah man fich überall nach wie vor auf das „Söldnerwejen auf
Zeit“ verwiejen.
8 75.
Die allgemeine Verbreitung, ja faſt Alleinherrichaft des Söldner:
tums hat auf die militärischen, politiichen und jozialen Verhältniſſe
tiefgreifenden Einfluß ausgeübt. Sie veränderte in nicht geringem
Maße die bisherige Stellung der Staten; denn während fie arme
Großmächte jchädigte, begünftigte fie reiche Kleinlande. Nicht Um:
fang und Bevölferung eines Gebietes, jondern jeine inneren Geld-
quellen wurden jett entjcheidend für die militäriiche Macht. Sachſen
3. B., das um die Wende des 15. und 16. Ihdts. durch den damals
großartigen Segen jeiner Bergwerfe alle Nachbaren an Metallreichtum
übertraf, jtieg, ganz abgejehen von Flächeninhalt und Bevölkerungs—
zahl, plöglic zu einer Hochbedeutenden Macht empor; denn es war
in der Lage, große Söldnermafjen mieten zu können; jeine Zeug-
häujer und Armeen erwuchlen aus den Silberichachten Schneebergs.
Herzog Albredt der Beherzte von Sadjen, der vertraute Freund
Marimilians I., bediente ſich, als er 1487 dem Kaifer Friedrich III. Hilfsvölter
gegen König Matthiad von Ungarn zuführte, jtarter Söldnerfharen, und als er,
wenige Jahre jpäter, in Stellvertretung des Kaiſers nach Friesland zog, bradıte
er die „große Garde“ von 6000 Landsknechten auf. Seine Nachfolger blieben
joldem Brauche treu. Im Jahre 1528 bewilligten die ſächſiſchen Stände eine
bedeutende Summe zum Unterhalte geworbenen Fußvolks, und 1546 bei Ausbrud
des Schmalkaldiſchen Krieges, forderte Joh. Friedrich zwar die Lehnsmiliz
nad) der Ritterrolle zum Roßdienſt, aber ftatt der Untertanen zu Fuß ein Gel»
äquivalent zur Werbung von Landsfnedhten”). So blieb es unter dem Kurfüriten
Moriz, der während feiner friegerifchen Regierung fogar in den kurzen Friedens
frijten die Truppen auf Wartegeld beibehielt, jo daß er fait ein ftehendes Heer
hielt *).
Ähnlich lagen die Dinge in Bayern, und nur das arme
Brandenburg Hielt an den Überlieferungen der älteren, auf die
Heerespflicht der Untertanen gejtügten Kriegsverfaffung fefter als die
meisten anderen Staten des Reiches, welche unaufhaltfam und jchnell
dem Söldnerwejen verfielen, jo lebhaft, ja leidenschaftlich ſich aud
die Zeitgenofjjen gegen dasjelbe ausjprachen. Stellt doch Sebaitian
Frank die Landsfnechte und die Franzojenfranfheit als zwei eben
1) Bgl. Hoyer: Pragmat. Geſch. d. fühl. Truppen (Leipzig 1792).
2) Bangenn: Moriz dv. Sachſen. II, ©. 67 (Leipzig 1841).
1. Heeresaufbringung. 687
bürtige, gleichzeitig über Deutjchland hereingebrochene Plagen dar !),
und jagt doc Quadt dv. Kinfelbah: „Wie ehrlich fich die heutigen
Landsfnechte Halten, jieht man daran, daß beide, Bürger und Bauern,
fie für taujend Teufel wünſchen, wo fie diefelben nur jehen oder
hören anfommen?).“
Sehr früh Hat fich die Söldnerei, ihrem Urjprung aus der
Geldwirtichaft entjprechend, zu einem fürmlichen Lieferungsgejchäft
entwidelt. Es iſt das Konzeſſions- und Aftienwejen der heutigen
Zeit, nur jtatt auf Eifenbahn- und InduftrieBegründungen auf das
Heerwejen angewandt, und mit dem allerdings bedeutjamen Unter:
Ichiede, daß die Aktionäre, wenigſtens großenteils, nicht nur ihr Ka—
pital einzahlten, jondern auch ihre Berjon.
Selten reichten nämlich, troß der gejteigerten Einkünfte, die Barjendungen
der Fürſten aus, um die gewünſchte Zahl von Regimentern gründen zu fünnen;
meijt machte (wie ſchon erwähnt), der Oberjt, der ald Unternehmer auftritt,
jehr bedeutende Vorſchüſſe. Auf den Kredit hin, den fein Name hatte, u. zw. in
der doppelten Beziehung der militärifhen Tüchtigfeit und der Zahlungsfähigfeit,
und unterjtügt von Hauptleuten, welche als Zwijchenunternehmer die einzelnen
Kompagnien aufftellten, ließ er werben, und in der befjeren Zeit des Söldnertums,
um die Wende des 15. und 16. Ihdts., jtrömte ihm die friegsluftige Jugend
mit wahrer freiwilligfeit zu, bereit „in feines Glüdes Schiff mit ihm zu fteigen“.
Später jedoch wurde dad Land den militärischen Entrepreneurs oft in der rück—
fihtslojejten Weife preisgegeben, und fie erhielten Konzejfionen, bei denen von
Recht und Gejep feine Rede mehr war. Wohl meldeten fi) noch immer nicht
wenige wirfliche Freiwillige; mehr aber noch wurden durd die mannigfaltigjten
und ſchamloſeſten, von vielen Regierungen begünftigten Werbekünſte gepreßt.
Solde Kniffe reichten allerdings für die jehr geſuchten Spezialwaffen, ſchwere
Reiterei und Artillerie, nicht aus; bei ihnen galt e8 für die Parteien, den Bor:
fauf zu erlangen, und daher hatten Küraffiere und Stückknechte einen volljtändigen
Tageskours, der auf den militärifchen Börfen, d. 5. den Werbeplägen, genau
notiert ward. Zuletzt bildete fi) fogar aus diefem Treiben ein Syſtem ganz
unrehtmäßiger Bereiherung, indem man die Werbung lediglich zum Vorwande
betrügerijher Erprefiung machte. So Magt Leipzig einmal in einem Immediat—
beridt an den Kaijer, daß man dort an Pagen und Lakaien Hlompagnien ver:
geben habe, von denen niemals auch nur ein einziger Mann angeworben worden
jei, während man doch den geordneten Unterhalt für diejelben, Sold und Ber:
pflegung, eingetrieben habe, ald wären fie fomplet. Natürlich teilten ſich der
jogenannte „Kapitän“ und der, welcher ihm das Patent ausgejtellt, in das ge—
wonnene Sündengeld. Wie ähnlich ift dieſes Verfahren dem jener modernen
1) Ghronifa, Zeitbuch und Geichicht-Bibel bis i. d. 1591. Jahr (Straßburg 1551).
9) Deutfher Nation Herligleitt. (Göln 1609.) Bibl. des Verfaſſers.
688 Das XVI. Jahrhundert. IH. Heer: und Truppen-Kunde.
Finanzſpekulationen, bei denen der „gegründete“ Gegenjtand entweder ebenfalls
gar nicht hergeitellt wird oder doc) wertlos ijt! Das Altienwejen, das ja jchon
auf wirtſchaftlichem Gebiete nicht überall ohne Schaden angewandt werden darf
— auf militäriihem Boden ift e8 eine Ungeheuerlichkeit.
Ein jehr bemerfenswertes Kennzeichen der Söldnerheere, ins—
bejondere derer des 16. Ihdts., ift ihre numeriijhe Schwäche.
In diejer Hinficht bietet namentlid Spanien ein lehrreiches Bei-
jpiel. Das damals doch bei weitem mächtigjte Reich des Erdballs,
„in dem die Sonne nicht unterging“ und das jeine Macht in Europa auf
vier bis fünf Kriegsſchauplätzen zerjplitterte: in den Niederlanden, in
Sizilien und Neapel, in Tunis, Portugal und gegen Frankreich, dabeı
noch dem Kaiſer und italienischen Fürjten Hilfstruppen gab umd
zugleich jenjeit8 der Meere focht, dies Neich hatte in allen Ländern
und Weltteilen ein Heer von faum 100000 Mann.
Die Geringfügigfeit diefer Armee wird aber erjt dann ganz deutlich, wenn
man ji die Zujammenjegung der jpanishen Nation überhaupt vergegenwärtigt.
Dies Volk zählte nad) der Austreibung der Mauren 8 Millionen ; davon gehörten
770000 der Kleriſei männlihen und weiblihen Geſchlechts an )y; 450000 waren
HZivilbeamte; das Kriegsheer in allen Landen diesſeits und jenfjeitS des Ozeans
mad)te aljo noch fein Viertel der Beamtenſchar und wenig mehr als ein Achtel der
Klerifei aus! Und das in einem Reiche, wo von 3 bis 4 erwachſenen Männern
immer einer im Dienjte des States oder der Kirche jtand! — Aber das Heine Heer
fojtete unerjchwinglihe Summen, weil die Befehlshaber wie die Raben jtahlen.
Als Alba nad) jeiner fürchterlichen Statthalterjchaft die Niederlande verlieh, ohne,
troß aller militärischen Erfolge, irgend etwas Dauerndes erreicht zu haben, da
fehrte er für feine Perjon mit Schäßen beladen in die Heimat zurüd; das Heer
jedody, das jein Nachfolger übernahm, befand ji) in lodernder Empörung ; denn
es hatte jeit 23 Monaten feinen Pfennig Sold empfangen! Nicht viel anders
jtanden die Dinge unter dem jonjt jo ausgezeichneten Aleſſandro Farneſe, Herzog
von Parma. Und das waren Feldherren eriten Ranges, vornehme, von Haus
aus reihe Herren. Will man ſich wundern, wenn es die Emportömmlinge nod
ärger trieben! ?
Man kann leicht ermejjen, wie volfszerrüttend dies Söldnerweſen
wirken mußte. Eine jeiner böſeſten Folgen bejtand darin, daß wenige
der entlafjenen Knechte Luſt zu friedlichem Erwerb heimbrachten,
vielmehr durch ihr „Sarten“?), d. 5. durch Betteln unter Waffen,
die härteſte Geikel des Landvolks wurden.
1) Wir haben jegt in Preußen auf 28 Millionen Einwohner wenig mehr als 30000 geiſtliche
Perjonen (alle Küfter, Todtengräber und Leichenbitier eingerechnet).
) „Garten“ = warten. Die „Gartbrüber* find Leute, die wirflih oder angeblih auf ment
Anmwerbung warten.
1. Heeresaufbringung. 689
Deutjchland hat das Söldnerwejen überdies in doppelter Were
gejchadet, da unjer Vaterland die vorzüglichjte Soldatenbezugsquelle
für das Ausland war. Und doch lag hierin auch wieder ein Troft.
Man jah: wenn wir auch feinen feiten und glänzenden Stats- und
Volkskryſtall bildeten — die Mutterlauge, aus der er einmal hervor-
gehen konnte, die war reichlich vorhanden und war vollauf gejättigt
mit tüchtiger Kraft. Anders in Frankreich! Ihm war es un-
möglich, im eigenen Lande die Hauptwaffe der modernen
Bölfer: ein tüchtiges Fußvolk, zu werben, jo ermitlich
jeine Könige fich auch dafür bemühten.
8 76,
Der jchlimme Verfall des Söldnertums in Deutjchland führte
dahin, daß man hier der Dienftpfliht der Untertanen
überall erneute Aufmerkjamfeit zumendete und es im Laufe des
16. Shots. wiederholt verjuchte, das „Landesdefenfionswejen“, diejen
Reit des alten Heerbanns, aus der WVerrottung, in Die es ver-
junfen, wieder emporzuheben. Jenes Defenfionsmwejen beruhte auf
dem Grundjage, daß dem Landesherrn zur Aufrechterhaltung der
Ordnung und zum Schuße des Landes jeder Untertan Dienjt zu
leiſten habe; aber diejer Grundjag war längjt durch den anderen
bejchränft worden, daß der Landesherr nicht befugt ei, die „Nahe
rung“ jeimer Untertanen zu jtören. Daher wurde das Defenjions-
werk auf den Landtagen zwiſchen Fürjt und Ständen „verglichen“ ;
der „Ausſchuß“ (Kontingent) ward auf die einzelnen „Orte“ (Kom—
munen) verteilt und dann gewöhnlich die Gejtellung der Mannichaft
durch Geld abgelöjt, für das der Fürſt Söldner werben mochte.
Dies Herfommen galt e8 nun, abzuftellen; es galt den Verſuch,
die alte Einrichtung m neue, feite Formen zu faljen und durch
‚sriedensübungen! aus dem Aufgebote der Landeskinder eine Truppe
zu bilden, welche zur Verteidigung der Heimat, ja womöglich auc)
im Felde gebraucht werden könnte. — Bejtrebungen jolcher Art
regten ſich in allen Teilen des Reiches, am frühejten anjcheinend
wieder in Ofterreich, wo ſich 1529 zwar der Türfe an den
Mauern des tapferen Wiens fruchtlos den Kopf zerjtoßen hatte,
wo jedoch die Wiederkehr ähnlicher Gefahr in naher Aussicht jtand
Zähne, Geihichte der ſtriegswiſſenſchaften. 44
690 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensftunde.
und man deshalb die Beitimmungen des anjcheinend jchon wieder
halb vergejfenen Innsbruder Libells S. 682] erneute !).
Die Stände ded Landes ob der Enns beſchloſſen (abgejehen von einer
augenblidliden Beihilfe zur Einrichtung eines „ordentlichen Militärs“ auf fünf
Monate), die Reorganijation des Landesaufgebotes und jepten folgendes feit:
Ale Herrihaften im Lande mujtern ihre waffenfähigen Untertanen und heben
den zehnten und den fünften Mann zum Aufgebote aus. Für den Unterhalt
desjelben jorgen die Heimbleibenden. Die Wocenlöhnung des Aufgebotenen
darf jedod vier Schilling nicht überfteigen. Die Stände wählen einen Oberfeld-
hauptmann oder Landoberjten und vier Biertelhauptleute. Dem Oberjten reichen
die Herrihaften ihre Mujterrollen ein. Die Viertelhauptleute bejtimmen die
Sammelpläge der ihnen unterjtellten Aufgebotsmänner. — Im Fall der Not:
wendigfeit haben jich aud) die nicht Gemujterten an der Verteidigung des Landes
zu beteiligen, welche auf Befejtigungen der Grenzen (Schanzen und Berhaue) zu
jtügen ift. Als eine Art Kernwerk foll der Markt Stremberg mit jtarten Schanzen
umgeben werden. Die Bültenbefiger haben von je 100 Bid. Einfommen 1 Prerd
zu jtellen. Jedermann von 12 Jahren an zahlt 4 Kreuzer Kriegsjteuer. In jedem
Viertel werden bejtimmte Zufluchtsorte eingerichtet, um reife, Weiber und
Kinder zu bergen.
Dieſe Defenfionsordnung hat im wejentlihen bis zur gänzlihen Um—
wandlung der öſterreichiſchen Kriegsverfaſſung bejtanden und iſt mehrfah in
Tätigfeit getreten.
Inzwiſchen erfannte man in Ojfterreich auch, wie drückend für den
Adel die rein perjönliche, ohne Rüdjicht auf den Bejit geforderte
Kriegspflicht jei. Mlinder begüterte Edelleute waren bei den häufigen
Aufgeboten bald nicht mehr im jtande, ſich in genügender Rüjtung
zu halten, und demgemäß wurde ti. 3. 1557 feitgejeßt, daß von
100 Bid. Geldes ein gerüftetes Pferd auf drei Monate und von
30 Untertanen ein Büchſenſchütz zu jtellen je. Dieje neue Auf:
gebotsordnung wurde 1564/5 wiederholt bekaunt gemacht ?).
Die Bewachung der Städte und ihrer Befejtigungen blieb im
Frieden den Bürgern überlajjen, deren Borjtände daher auch die
Feſtungsſchlüſſel führten.
Die Bürger hielten regelmäßige Schiegübungen ab und hatten feite Sap-
ungen, 3. B. zu Wien die „alt Ordnung der Pürenſchüczen“ von 1525
[S. 672), welche 1559 verbejjert wurde. Manche ihrer VBorjchriften erinnern nad
Genauigkeit und Strenge an die Artifelbriefe. — Eine der militäriich bejtgeordneten
Bürgerjhaften war die feit dem 14. Ihdt. bejtehende Triejter Terri:
torialmiliz®).
1) Kurz; Geſch. der Landwehr im Lande ob der Enns. I, ©. 84. Wusg. bei Menner:
a.a. 0. Il. 9 Suarient: Codex Austriacus I, ©. 63. ?) Bgl. Zrieiter Ztg. (März 1852).
1. Heeresaufbringung. 691
In Ungarn zerfiel die Landwehr (militia) in die personalis
insurrectio der Edelleute und Geijtlichen und in die auf dem unter:
tänigen Örundeigentume beruhende „Bortalmiliz“, d.h. den Be
Jagungsdienjt in den Burgen. Dieje Bejagungsfahnen (Banderien),
bildeten eine Art jtehendes Heer, den jog. „föniglichen Arm“.
Ferdinand I. reorganijierte jie und näherte zugleich die Einrichtungen
der Landesdejenjion Ungarns denjenigen Dfterreichs an ?).
Bejonderd warn und einjichtig trat für den Gebrauch der Unter:
tanen im Kriegsdienſt der wadere Lazarus von Schwendi in die
Scranfen [S. 539]. Aber zu jeiner Zeit war die allgemeine Zeit:
ſtrömung jolchen Ansichten jchon nicht mehr hold, führte vielmehr eben
gerade damals jogar in Tirol zu einer grumdjäglichen Umwandlung
der perjönlichen Dienjtleiftung in eine Geldzahlung.
Der Betrag des im elfjährigen Landlibell [S. 682] verordneten 1. Aufgebotes
von 5000 Streitfnechten wurde zu Grunde gelegt und fejtgejtellt, daß jene, die ver-
pflichtet waren, einen Knecht zu jtellen, jtatt dejien 36 Gulden zahlen jollten.
So wurden aus Streitfnechten jogenannte „Steuerfnechte“, deren Geldleijtung
übrigens nad) und nad) jtieg ?).
In Brandenburg, wo das Lehnswejen niemals eine jolche
Nolle geipielt wie im Weiten und Süden des Neiches, und wo die
unmittelbare Beziehung des Volkes zum Markgrafen durch die lang
währenden Kriege mit Wenden, Polen und Pommern weit frifcher
und Fräftiger geblieben war, lag der Schritt zur Wiederbelebung des
Heerbannes näher al3 in irgend einem anderen Gebiete Deutjchlands.
Kurfürit Johann Georg befahl in den jiebziger Jahren den Haupt:
leuten der geworbenen Feſtungsgarden die Muſterung ganzer Landſchaften und
die Ausbildung der Mannſchaft, damit fie ſich „gegen den Feind in die Ordnung
ihiden, ihre Rüjtung, Wehr und Waffen nüglih und zur Errettung ihres Leibes
und Lebens gebrauchen und fich jederzeit gefafit halten jollen, damit Wir in
Nothfällen Uns auf diejelben zu verlajjen haben mögen“ 9). — Im Jahre 1583 ver:
ordnete der Kurfürjt die Anfertigung eines neuen allgemeinen Mujterregijters
von Adel und Städten *) und hielt auf diefe Weiſe den Grundjag der perjönlichen
Dienjtpflit der Untertanen lebendig. Hand in Hand damit ging die Sorge für
ı, Biringer: Ungarns Banberien (Wien 1810, 1816). Mepymert: Kriegsweſen der Ungarn
(Wien 1876).
2, Meynert: Geidh. db. öſterr. Kriegsweſens II, ©. 173 (Wien 1854).
>) Bol. die Beftallung Baltzers von Schönaidh bei de U’ Homme de Gourbiäre: Geſchichte
ber brandenburg.spreußifchen Heeresverfafiung (Berlin 1852).
4 Ebd. die Zujammenftellung der von ben Städten zu biefem Zwede eingeforderten Berichte
nah dem im der Kgl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrten Ms. boruss. Wr. 310
44°
692 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppensfunde.
deren Bewaffnung. Neander von Petershaiden erwähnt in feinem Injtruftions
buch, daß die brandenburgijhen Kurfürſten auf allen ihren märfifchen un»
preußiſchen Schlöfjern Zeughäuſer eingerichtet hätten, um das Aufgebot daraus
zu bewafinen. Xeider habe ſich bei einer 1586 vorgenommenen Prüfung derjelben
ergeben, dab die Musketen und Haken oft zum Jagdgebrauche verliehen gemeien,
an anderen Orten aufbewahrt, ja wohl gar veruntreut gewejen jeien.
Bejonders zielbewußt und Har handelte man in Bayern. Die
treibende Perjünlichfeit war bier der Freiherr Franz Albrecht von
Sprinzenjtein, der aus einem ſüdtiroliſchen Hauje jtammte und
wohl mittelbar noch unter dem Einflujje der heeresorgantjatoriichen
Ideen Machiavellis jtand [S. 463).
Bergleiht man die von Eprinzenjtein als bayerifcher Oberlandeszeugmeijter
und Organifator der Miliz, wie als Generals-Superintendent der Fejtungen in
Ungarn und Ofterreih an den Tag gelegten militärischen Auffafjungen mit den
am Hofe des Großherzogs Cosmus von Medici herrihenden Verhältnifien,
jo drängt ſich unwillfürlich die Überzeugung auf, daß der langjährige Aufenthalt
des Freiherrn zu Florenz al® maßgebend für defjen Entwidelung auf dem Gebiete
des Kriegsweſens anzujehen ift. Die ganze Negierungsart des Mediceers hatte
nämlid einen militärijchen Anſtrich. Am Hofe befanden ſich viele tüchtige Haupt—
leute wie Savelli, Baglioni, Friedrih und Otto Barbolani, dann der im Kriegs
wejen, namentlich im Befejtigungswejen und der Belagerungskunſt, ausgezeichnet:
Ehiapponi Vitelli, neben ihm als Artillerift befannt der Mailänder Clement:
Pietra. Des Großherzogs Leibgarde bejtand aus einer Kompagnie deutjcer
Soldaten, 100 Hafenjhügen und einer Estadron Chevaulegers, i. ©. 600 Mann
welche ihn auf Reifen ſtets begleiteten. In der Schweiz, Deutſchland und einigen
italienijhen Staten gab der Fürjt tüchtigen Hauptleuten Wartegeld, um fich ihrer
gelegentlich bedienen zu fünnen. Im Lande waren die Feſtungen in trefflichem
Zuſtand; die im Bau begriffenen wurden nad) den neuejten Erfahrungen errichtet.
Das Gejamt- Militärfyftem aber war da8 der Milizen, nidt ganz in
der Weiſe, wie: e8 einſt Maciavelli angejtrebt, aber doch immerhin im ver:
wandtem Sinn. — Im Jahre 1584 überreihte nun Sprinzenjtein dem Herzoge
Wilhelm V. von Bayern eine Denkichrift (Bayer. Reichsarchiv. Adelsjelect.',
in der er ſich erbietet, außer einer Werbung von 1000 Schügenpferden für den
Landsberger Bund eine Miliz in Bayern einzurichten und einzuüben. „Wenn
er nicht von Jugend auf bei jolden Ererzitien erzogen, würde er die Abrichtung
der Miliz gewiß nicht wünjchen. Hätte der Großherzog von Toskana die Miliz
nicht vorgenommen, würde er zur Stund von Land und Leuten vertrieben jein.
Bis man ein fremdes Kriegsvolk ind Yand bringt, kann, wenn feine Miliz da.
viel verloren fein. Er wolle zu Landshut mit einem Fähnlein die Probe ab:
legen; man müfje aber hierzu die eiertage der Sommerszeit wählen, damit die
Leute nicht im Erwerbe gejtört würden.“ Der Herzog ging auf Sprinzenjteins
Vorſchläge ein, und bis zum I. 1587 bejchäftigte fich der Freiherr außer mit
1. Heeresaufbringung. 693
Angelegenheiten der Artillerie und der Truppenausrüftung mit der Milizeinrichtung
bejonders in Niederbayern, wobei es ſich zugleich um Einrichtung von Zeughäufern
für das Landvolk handelte‘). Herzog Marimilian I. ſchritt auf diefem Wege
fort, indem er unmittelbar nad) jeinem NRegierungsantritte das Landvolks—
bewehrungswerk eifrig in die Hand nahm. Am 30. Dezember 1600 wurden all=
gemein neue Mujterregijter aufgejtellt, auf Grund deren die Amtleute die „Land—
fahnen“ formierten.
Niemand Hat die Gründe für Bejeitigung des Söldnerweſens
und dejjen Erjag durch die geordnete Bewaffnung der geübten Unter:
tanen mit mehr Wärme und Klarheit auseinandergejegt, als Graf
Johann von Najjau, der jie zugleich in jeinem eigenen Lande
praftiich ins Werk ſetzte [S. 574].
Nahe verwandte Einrichtungen wurden in der Wetterau, in
Heſſen, in der Pfalz, inBaden und Schwaben, in Branden-
burg-Kulmbad, in Sadjen und Preußen teil3 vorbereitet,
teil3 durchgeführt, wovon jpäter XVIIa. III. Kapitel] die Rede
jein wird. Nirgends aber haben diejelben auf die Dauer den Hoff:
nungen entjprochen, welche jich an ſie fnüpften, und immer aufs neue
jahen jich die deutjchen Kriegsherren auf das Söldnermwejen zurüd-
gewieſen.
877.
Entgegen der auf die Volksbewaffnung hindrängenden Strömung
läßt ſich eine andere erkennen, welche die Entwickelung ſtehender
Armeen im Auge hatte, alſo an den Gedanken anknüpfte, der zuerſt
nach Ausgang der engliſchen Kriege, wenn auch nur in enger Be—
ſchränkung, von Charles VII. in Frankreich verwirklicht worden war.
Um die Mitte des 16. Ihdts. hat Markgraf Albrecht von Branden—
burg-Preußen das „Deſiderium“ des ſtehenden Heeres aufgeſtellt
S. 523]; aber ſchon ein Menſchenalter vor ihm war es von Thur—
mayr, genannt Uventinus, ausgejprochen worden, u. zw. in einer
längeren Denkſchrift „Das alt Romijch Kriegs-Regiment*,
welche die Ef. k. Hofbibl. zu Wien, das Neichsarchiv zu München ?)
und die Leipziger Stadtbibliothef bewahren [S. 525).
„Es ijt bei uns Deutjchen“, jo jagt er, „ein jolher Braud, wenn der
Kaiſer oder König einen Krieg führt, und Kriegsvolk auf will nehmen, jo läßt
1) Würdingera.a. ©.
*») Heilmanna.a. O.
694 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen=flunde.
er im Reid) umjchlagen, dann jo kommt eine große Anzahl Volks zujammen.
rotzigs und reudigd, geübt8 und ungeübts, Knecht und Diener, Jungs und Alte:
und ijt faum der halbe Theil gejhidt zum Krieg; nun braucht man fie jo lans
man ihrer bedarf; es geräth wohl oder übel, jobald man ihrer nimmer bebar,
jo gibt man ihnen Urlaub, und läßt fie abziehen, dazu oft böslich bezahlt, un!
wenn fie dann nicht flint aus dem Lande ziehen und ſich flugs paden, jo drob:
man ihnen mit Henken und Tränten aus dem Land. Wann man ihrer in Nöthen
bedarf, jo heißt man fie Ritter, freundbarlid; Landsknecht, und ſpricht ihnen mit
ehrlichen Titeln zu; jobald man ihrer nimmer bedarf: nur aus mit den Buben
oder alle gehenft! Und ijt uns Deutfchen eine große Schande, daß man einen
Kriegämann, der fein Leib und Leben für einen Herrn, Land und Leute jest,
nicht bezahlen jolle, noch viel größre Schand, daß man ihm bei Henken und aller
Ungnad aus dem Lande treibt; nahmald® muß er dann mit Beichwerde des ge-
meinen Mannes heimgarten, ijt ein wenig ehrlicher als betteln.“ — Daß tur
nun der Türke nicht; er behalte jein Kriegsvolk ſtets beijammen, wie e8 auch die
Römer getan, und lege es auf die Grenze oder in des Feindes Land. Die
Römer behielten immer den halben Monatjold zurüd, um ihn nach beendigtem
Kriege dem Manne zu geben; „jeßo dagegen iſt der Braud, wenn man ben
Monatfold ausgibt, behält mander feinen Sold feine zwei Stunden, jo bat er
ihn ſchon verjpielt oder in andern Weg böslich verthan; nachmals legt er fich aui
den armen Mann“. Bei den Römern hätten die alten Knechte — emeritos,
veteranos milites — mit ®eib und Sind viel Freiheit und gute „geitifte
Pfründen“ genofjen; „jeßo müſſens gleich jo wohl Mangel leiden, und im Bettel
umlaufen, als die jungen Knechte“. Die Römer hätten den dritten Teil ſämt—
liher Statseinnahmen in die „Rentſtube“ gelegt und damit „ein gejtiffts
friegspoLf“, d. h. ein jtehendes Heer unterhalten. Dasjelbe täten die Türken,
und auch fie hätten ihren jtehenden Truppen die jchönjten Siege verdantt. Wenn
die römijche Kriegskafje leer gewejen, jo hätten die Reichen Geld porgejchofien.
In Deutihland zahle freilich nur der Bauer Steuern; doch aud) der werde das
Geld lieber auf die „Kriegsrentjtube” als zu den Piaffen und in die Klöfter
bringen. „Alleweil aber ſolche Ordnung mit den geftiften Rentjtuben und Krieg‘
volf aus dem Brauch fommen, und gar ein amderer ungereimter und deutſcher
Nation jhädliher Mißbrauch mit dem Kriegsvolk eingewachſen ijt, dadurd die
deutjche Nation hochbeſchwert und das Land an Geld dadurch erjeigert wird, io
will ich ein Anzeigen und meinem Gutbedünfen dartun, wie und auf melden
Weg jolde Kriegsrentjtube und dazu gejtift Kriegsleut möchten auf:
rihten und bejtellen, wierwohl ich weiß, daß mir bei vielen nicht Folge wird ge
than zc. x.” Er jchlägt nun vor: Den dritten Pfennig der Stat8einnahmen,
die „geitifte Pfründen“ und die Klöfter und Stiftgelder in die „Kriegsrentſtube
zu legen. Auf dieje Weije brädte man jährlih eine große Summe Geldes
zufammen „und man möchte viel gejtiftes Kriegsvolf für und für davon umter-
halten und gegen die Feinde auf die Grenze legen... Und wenn man alio
das Kriegsvolf für und für bei einander in guter Übung behielt, bedurfte man
nit allweg fo viel und große Menge, thäten in einer Schlacht 1000 geübte
1. Heeresaufbringung. 695
Knete mehr, denn jonjt 2000, jo nicht geübt und des Kriegs und der Schlacht—
ordnung Braud nicht willen, fommt mander alte geübte Knecht um in der Schladht,
jo jonjt, wo feines gleichen hinter ihm hielt, der fein Auffehen auf ihn ſoll haben,
bei Leben blieb“.
In dieſer intereffanten Denkichrift verbindet fich alfo der Gedanke
des jtehenden Heeres einerjeit3 mit dem der Stiftung einer jtändigen
Striegsfajje, andererjeitS mit dem des Grenzerheeres, wie ein jolches
ja in der Tat den Osmanen gegenüber zu jtande kam.
Dieje öſterreichiſch-ungariſche „Grenze“ it von hoher
Bedeutung geworden. Sie iſt, wie H. v. Zwiedined-Südenhorit fejt-
gejtellt Hat ?), ganz weſentlich eine Schöpfung deutjcher Tatfraft,
und deutjche Schriftjtüde jind es daher auch, an deren Hand jener
Forſcher die Entwidelung der Grenzeinrichtungen nachgewiejen hat.
„Ganntzer Ordinari Khriegsjtaat. Wie der von Sibenbürgen an
bis auf Windiih Lant dur die Khay. Mat. vndterhalten wierdt vnnd wie der=
jetb vermög der Mufterofficier vberſchichhten Verzaichnufien auf einer und ber
andern Graniz zue Ausgang des 89. Jars (1589) befunden worden. (Bibl. des
Germ. Mujeums zu Nürnberg Nr. 66523 Handicrift.)
Summa aller graniz heuſer in vnder vnd ober Graiß der Cron
Hungern. Anno 1593. (Kriegsarchiv in Wien.)
Inſtruktion was zu ießt von der Röm. Kay. auch zu Hungarn und
Bohaim Maj. ... geen Regensburg auf den 17. Wprilis jchierift volgunden
94. Jars ausgeſchriebener Reichstag bey denen hodlöblichjten Ständen des 9.
röm. Reichs . . . Fürſtenthum und Lande Steier, Kärnten und Crain die
mwolgeborenen Herrn . .. . als dreier Lande erfiejte Gejandte fürbringen, handeln
und verrichten jollen. (Steierm. Landesarchiv. Kriegsakten. Fasc. 2./12.) Gibt
eine jehr überjichtlihe Darjtellung der Verhältnifje an den Grenzen.
„Discurs“ eines inneröjterreihiihen Beamten, die Türfenhilfe betreffend.
(Steierm. Yandesarhiv. Fasc. 1/6 Kriegäaften.)
Sieht man von den eigentümlichen Einrichtungen diejer Militär:
grenze ab, jo blieb das vaterländische Söldnerwejen unverändert in
der gleichen jchlimmen Berfaffung, wie jie Thurmayr jelbjt gejchildert.
878.
Unter ſolchen Umſtänden mußte die Aufbringung der Führer—
ſchaft auf große Schwierigkeiten ſtoßen. Handelte es ſich doch nicht
nur darum, brauchbare, ſondern zugleich weithin bekannte und vorſchuß—
fähige Männer ſowohl im Augenblicke der Heeresaufbringung an der
i) ſrriegsbilder aus der Zeit ber Landsknechte (Stuttgart 1883). Vgl. auch: Trautmann:
Überf. d. Entſtehung der öfterr. Militärgrenze (Oſterr. mil. Ztſchr. 1886, VI, ©. 278).
696 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
Hand zu haben, als ſich ihres Rates bei militäriichen Einrichtungen
aller Art auch im Frieden bedienen zu fünnen. Da die Fürjten num
meijt durchaus nicht in der Lage waren, die großen Koſten einer
ſtändigen Bejoldung derartiger Berjönlichkeiten zu tragen, jo wurden
mit zuverläjjigen Inländern, welche jich erboten, über die ihnen als
Untertanen zulommende Heerespflicht hinaus die Stellung weiterer
Mannjchaft (befonders Neiter), zu übernehmen, jowie mit tüchtigen Aus-
ländern, welche geeignet waren, Werbungen durchzuführen, oder ſich
an der Ausbildung der Milizen und der Artillerie zu beteiligen, oder
durch) ihre Beziehungen zu den Höfen diplomatische Sendungen zu
übernehmen, auf längere Zeit Dienjtverträge abgejchloffen, die
jie verpflichteten, gegen em Wartegeld oder Leibgeding ſtets jich
bereit zu Halten, den mit ihnen vereinbarten Anforderungen nach
fommen zu fünnen. Verträge folcher Art hatte der deutjche Orden
ſchon jeit dem letzten Viertel des 14. Ihdts. mit dem pommerjchen
Adel, im 15. Ihdt. mit Edelleuten Schlefiens, der Lauſitz und des
Meißener Landes abgejchlojfen; jet wurden jie auch im inneren
Deutjchland allgememer. In manchen Fällen war vorgejchrieben,
wie viele Wochen die Verpflichteten jährlic) im Lande des Auftrag-
gebers zuzubringen hatten. Man nannte jie Brovifioner?).
E3 waren Fürjten, Grafen, Edelleute, Bürgerlice, je nach Umſtänden; es
fonnten Herren jein, welche bei einem befreundeten Hofe in Beitallung, d. 5. in
aktivem PDienjtverhältniffe, jtanden und von ihrem Dienjtherrn Erlaubnis zur An—
nahme der PBrovifion erhalten hatten; es konnten altgediente Krieggmänner jein,
die ſich eigentlich zur Ruhe gejegt: wie der Wiener Provifioner von 1536 [$ 80]
oder der Feldgerichtsſchultheiß Frönsperger 1566 [$ 32). Ob die beiden leßteren
übernommen hatten, im Sriegsfall aud) Truppen zu werben, ijt nicht befannt,
doch unwahrjcheinlich; vermutlich ſaßen fie lediglich als Wachtmeiſter und Schult-
heiß auf Wartegeld; meijt aber waren die Provifioner verpflichtet, jobald es ge
fordert würde, nicht nur ſelbſt zu erjcheinen, jondern an der Spike einer gewiſſen
Anzahl von Kriegern. Demgemäß hielten fie auch im Frieden gewöhnlich einige
Leute, bezw. Pferde. Dies zeigt fi) in Bayern jhon bei dem Landshuter
Aufgebote von 1526. Der Herzog von Württemberg hielt 1596 35 Pro—
vijioner mit 96 Pferden, drei Jahre jpäter nur nod 15 mit 39 Pferden ?). — In
der Mark Brandenburg nahm Markgraf Johann 1552 den oh. dv. d. Aſſe—
burg als NRittmeijter über 500 reifige Pferde und Schügen in Dienft; dieje aber
wurden nicht verjammelt, jondern der Rittmeijter erhielt für jedes Pferd 5 Taler
1) Würbingera. a. D.
2) VBgl. das Verzeichnis in Beilage XXII von Stadlingers „Geld. des württemb. Kriens
weſens (Stuttgart 1858).
1. Heeresaufbringung. 697
Wartegeld und verpflichtete jich, im Bedarfsfalle am Muſterungstage vollzählig
zu erſcheinen. Solche Verträge liegen viele vor; fie garantierten zugleich Offiziere
wie Mannſchaft für den Notfall und jtellen jich al® eine Art von neuem Lehns—
neru8 dar; denn die Proviſioner ſchloſſen wieder mit andern ihnen befannten
Kriegsleuten ähnliche Kapitulationen, wozu fich immer eine Menge von Leuten
meldeten. War das Verhältnis doch oft jehr vorteilhaft für die Proviſioner;
denn wenn der Kriegäherr im Berlaufe der Vertragszeit die Truppen nicht ge=
braucht Hatte, jo war das Wartegeld reiner Gewinn für den Unternehmer und
jeine Hintermänner. Bon Patriotismus war dabei wohl jelten die Rede.
Eine ähnliche Stellung nahmen die Büchſenmeiſter ein, jowie
die Zeugmeijter, deren Fürſten und Städte einen oder mehrere in
mebrjährigem, jelten in dauerndem Dienjte zu halten pflegten.
Die Bühjenmeijter goſſen und falibrierten die Gejchüge meijt nad
ihrem Gutdünken, ließen Pulver und Kugeln nad) ihrer Angabe fertigen; fahrbare
Brüden, Brech- und Hebezeug entjprangen ihrer Erfindung. Jeder jolder Meijter
bildete gewijjermaßen ein für ſich abgeſchloſſenes Stüd Artillerie, das nur im
Felde oder bei Belagerungen jih dem Zeugmeijter ald Oberbefehlshaber
unterordnete. — Ihre Gehilfen, die Stückknechte, wählten fie aus dem Fuß—
volfe und richteten jie ab, bejorgten aber das Bifieren und Losſchießen jelbit.
Die bei Kriegsausbruch nötig merdende Vermehrung dieſes Perſonals wurde
immer nur für je einen yeldzug angeworben. Man rechnete auf jeden Mauer:
breder (Belagerungsgejhüg) zwei Bichjenmeijter, auf jedes Feldgeſchütz einen
„Schützen“, d. h. einen Büchjenmeijter untergeordneten Ranges. Der Zeugmeijter
prüfte ihre Papiere und unterwarf ſie nötigenfall® aucd einer Prüfung. Die
Löhnung richtete ji) nad) der Größe des zu bedienenden Stüdes und jtieg vom
1'/sfahen zum 4fachen Landsknechtsſolde.
Ihre Ausbildung gewannen die Büchjenmeijter als fahrende Schüler auf
der Wanderihaft von einem berühmten Meifter zum andern. Bon Mund zu
Mund oder in den handichriftlichen Zeughaus und Büchjenbüchern pflanzten ſich
die Ktenntnijie fort. Lediglich an diefe Manujfripte muß man ſich halten, wenn
man den wirklichen Bejtand des artillerijtiichen Wiſſens jedes Jahrzehntes fennen
fernen will; denn die gedrudten Bücher plaudern jelten aus der Schule,
predigen vielmehr fait immer nur längjt, oft jeit fait einem Jahrhundert veraltete
Weisheit. — Dabei lebte in den zunftmäßig abgeſchloſſenen Kreiſen der Büchſen—
meijter ein jtarler Berufsjtolz, welcher den anderen Teilen der bewaffneten Madıt
zumeilen mit überjpanntem Selbjtgefühl begegnete. Und doch war das Willen
vieler diejer „Meifter“ recht verworrener Art, und wie jehr fie, namentlid in
der zweiten, friedlichen Hälfte des Jahrhunderts der Praxis entwöhnt waren, iſt
ihon bei Betradytung der Schiegübungen [S. 673] angedeutet worden.
Collado klagt darüber, daß die als Söldner umberziehenden Büchjenmeijter,
der Mehrzahl nad) Deutjche, Trunfenbolde jeien, die von der Theorie, zumal
von der Anfertigung der Ladeſchaufeln (d. h. von der Beitimmung der Pulver:
ladung je nach dem Kaliber), von dem Auffinden des Spielraums umd dem Ge-
brauche der Ridhtinjtrumente wenig verjtünden. Schlimmer freilich jeien noch die
698 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-funde.
Spanier und Jtaliener. Unter diefen hätten ihm jogar einige bejtritten, daß
man durd Steigerung der Elevation die Schußweite vergrößern fünne.
Zur befjeren Bildung des Perſonals legte, wie Collado (V)
verjichert, zuerjt Venedig Artilleriejchulen an, welche lange Zeit durch
für die beiten gehalten wurden. Dann begründete Kaiſer Karl V. eine
Artilleriejchule zu Burgos, deren Gejege noch erhalten jind!).
Waffengemäße Organifation der Artillerie von jtats-
wegen fam zuerjt in Frankreich auf; aber gegen Ende des Jahr:
hundertS wurde doch auch in Deutichland das Bedürfnis einheitlicher
Leitung des Gejchügiwejens in einzelnen Territorien jo ſtark empfunden,
daß manche Fürjten eine Behörde einrichteten, unter welcher die Aus
rüftung mit den Waffen, deren Aufbewahrung in den Zeughäujern
(die übrigens ſtets jamt ihrem Inhalt als fürftliches Privateigentum
galten), dann die Feitungen, die Wagenburgen und die Schiffbrücen
Itanden. Ein jolches oberites „Landzeugamt“ jcheint ſich zuerit
in Bayern jeit den jiebziger Jahren allmählich herausgebildet zu haben.
Im Jahre 1586 befam der Oberbüchfenmeifter Hanz Helmb [S. 613)
den Auftrag, für das Zeugmeijteramt eine Inſtruktion zu entwerfen, aus der
wir bezüglid) des Perjonals entnehmen: „Der Obrijt Zeugmeijter joll einer
von Adel und Landjafje fein, der ein Kriegsmann gewejen; er hat einen Lieute—
nant, der ein Landsknecht war, und ein Büchjenmeijter ift. Der Zeugmeiiter
joll ein Büchjenmeijter fein und die Munition arbeiten können. Er joll haben
Gießer, einen Pulvermader, dann Scloffer, Wagner, Zimmerer und Schmiede,
außerdem einen Rüjtmeijter und einen Zeugjchreiber, der Alles doppelt aufnimmt.
Die Auffiht über die Feldſchmieden und die Schiffbrüden hat ebenfalld der Zeug—
meijter und dafür einen Geſchirrmeiſter, der mit der Munition im Kriege
gefahren und gebraucht worden“.
Bejondere Kriegsbaumeijter finden jich bereit3 unter Katjer
Marimilian I. angejtellt, von denen bejonders Reinhold von
Sendlingen jener Gejchidlichfeit wegen gerühmt wird.
2. Bruppe.
Das Fußvolk.
8 79.
Wenn es Kaiſer Max nicht gelungen war, die Grundlage eines
jtehenden Heeres zu jchaffen, jo wurden jeine organijatoriichen Be
jtrebungen zu gunjten des Fußvolks deſto folgereicher. Er hielt ſich
ı) Bol. Hoyer: Weich. der Sriegätunft I, ©. 268 (1797).
2. Das Fußvolt. 699
dabei an die überfommene Form der „freien Werbung“ und wandte
jein volles fürderndes Interefje jenen Kriegergemeinden zu, die jich
zumal in Oberdeutjchland nach eidgenöſſiſchem Vorbilde geitaltet hatten:
den Landsknechten, deren Fähnlein jich aus Edelleuten, Bürgern
und Bauern gemijcht ergänzten, deren Fechtweiſe er jorglich ausbildete
und deren Zujammenjchliegung zu „NRegimentern“ etwa um 1490 zu
jtande gefommen ift. Über deren Verfaſſung geben die alte Kriegs-
ordnung [$ 12], die verjchiedenen Abwandlungen des Ämterbuches
[SS 19, 22, 26, 28, 29], jowie die Frönspergerjchen Werfe 8 32]
reichlich Auskunft.
Die Deutjchen (Schweizer und Landsfnechte), teilten jich zu Anfang
des Ihdts. mit den Spaniern in den Ruf der beiten Soldaten. Die
Deutjchen, welche vorzugsweije Langſpieße und Halmbarten führten,
fochten in mächtigen, vieredigen Gewalthaufen von durchaus phalan-
gitiihem Charakter, welche bei feitem Zujammenhalt für Reiterei fajt
unüberwindlich waren. Da nun die Ritterjchaft jahrhundertelang die
Schlachtfelder beherricht hatte, jo erjchten eine Formation, welche das Fuß—
volk befähigte, den Banzergejchwadern erfolgreichen Widerjtand zu letiten,
natürlic) al3 überaus wertvoll. Auch beim Zujammenjtoße mit feindlicher
Infanterie erwiejen jich die langen Spieße als jehr wohl geeignet, die
Ordnung des Gegners zu löjen. Damit aber war ihre Wirfung
freilich zu Ende. Sobald es das Handgemenge galt, wurden die langen
Spieße unnüß. Aus diefem Grunde füllten die Schweizer das Innere
ihrer großen Vierede mit Männern, welche kürzere Wehren, namentlich
Streitärte, Kolben und Halmbarten führten; allein auch für die Ver—
wendung dieſer Waffen fehlte es im entjcheidenden Augenblide nicht
jelten an dem nötigen Raume; denn fie waren auf den Hieb be-
rechnet. — Anders bei den Spaniern. Dieje erjchienen, der Haupt-
mafje nach, gleich den Sriegern des alten Rom, mit Schwert und
Schild bewaffnet und weit mehr für den Einzelfampf bejtimmt und
geeignet wie die Deutjchen. Wohl führten auch die vorderen Glieder
ihrer batallatas Piken, um den Einbruch zu erzwingen oder abzu—
wehren; aber im Handgemenge waren die ringfertigen und behenden
ſpaniſchen Rundjchildner den deutjchen Halmbartieren jehr überlegen;
ja oft war ihr Vertrauen auf den geſchickten Gebrauch von Degen
und Dolch und auf die Tüchtigfeit von Rüftung und Schild jo groß,
daß jie e8 wagten, mit kleinen beweglichen Abteilungen, den cuadrillas,
700 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-ftunde.
die hellen Haufen der nordiichen Gegner von mehreren Seiten zugleich
anzupaden und jich in mörderijchem Ringen gleichſam hineinzufreſſen.
8 80.
Die erjten wijjenjhaftlihen Unterjuhungen über
die Taktik des Fußvolks haben damals Italiener angeitellt.
Niemand war über die Zujtände des Kriegsweſens zu Anfang des
16. Ihdts. jo vollfommen und zujammenhangend unterrichtet, als
Macdiavelli. Eben er legt aber in jenen Sette libri dell’ arte
della guerra [$ 7] den Hauptnachdruf auf das Fußvolk, da
er den „Nerv der Heere“ nennt, und daher eriwog er mit Berftändnis
und Sorgfalt die Vorteile ſowohl der deutjchen als der jpantichen
Taktik und entjchted ſich jchlieglich für eine Vereinigung beider, für
eine Verbindung phalangitiicher und legionarer Fechtart.
Wie jhon zehn Jahrhunderte vor ihm PVegetius, macht auch Machiavelli
die Bemerfung, daß man faun jemals mehr ala 6 bis 8 taufend Mann obne
Intervalle und Dijtanzen in einem Haufen vereinigt habe. „Dies Hauptglied
der Organijation“, jo jagt er, „wurde von den Griehen Phalanr, von den
Römern Legion, von den Galliern Caterva genannt; die Schweizer, melde
in unferer Zeit noch einen Schatten der Kriegäfunft bewahrt haben, nennen es
»battaglione«e (Schladhthaufen.. Auh Macdiavelli will jein battaglione aus
6000 Mann formieren, nämlid) aus 3000 Schildträgern, die mit dem Degen
fechten, 2000 Pilenieren und 1000 Schügen. Die Zahl der legteren greift er
alfo noch jehr gering, nur auf ein Sechsſtel des gefammten Fußvolks. Er reiht die
Schützen auch nicht in die Front ein, fondern läßt fie nur vor derjelben jharmusgiren.
Als Fdeal eines Fußvolks erjcheint dem großen Florentiner natürlich das
römijhe. Er fennt die Klagen des Vegetius über die VBerzärtelung der ſpät—
römischen Legionare, weldhe die Schutzwaffen verjhmähten, auf denen doch die
Möglichkeit des Nahgefechtes beruhte, und ſchließt jich diefen Klagen für jeine
eigene Zeit mit vollem Rechte an. „Unjer heutiges Fußvolk“, jagt er, „trägt zu
jeiner Verteidigung ein eifernes Bruſtſtück . . . nur wenige haben aud Rüden
und Arme bewehrt, feiner den Kopf... Diefe Art der Bewaffnung ijt zwed—
mäßig für die Erleihterung der Märjche und Evolutionen. Ohne Schutzwaffen
ijt aber der Mann jedem Schlage preisgegeben; er ijt geradezu unbraudbar beim
Angriffe auf Befeitigungen, ja überall, wo er auf erniten, kräftigen Widerjtand
jtößt, aljo auch gegen tüchtige Infanterie. Sobald ein gutes, mit Schußwaffen
und Degen verjehenes Fußvolk den Schweizern jo nahe auf den Leib rüdt, das
ihnen die Pife nicht mehr nüßt, jind fie doch aud auf den Degen angemieien,
und dann fommen jie wegen des Mangel an Schupwaffen in Nachteil.“
Durch die großen Gevierthaufen der Schweizer und Landsknechte
war der Gedanke der Defenjive leitend geworden. Da jedoch mut
7
2. Das Fußvolt. 01
reiner Defenjive feine GEntjcheidung zu gewinnen it, jo galt es,
esormen zu finden, welche dem Fußvolke günjtige Bedingungen für
den Angriff ficherten. Als Mittel dazu erſchien den Taftifern die
Berbreiterung der Gejamtfront des Heeres und das Re-
Jervejyjtem. Praktiſch wurde beides längit von den Schweizern
in ihrer jtaffelförmigen Schlachtordnung angewendet; theoretijch aber
hat Machiavelli dieje Dinge nicht nur zuerjt gründlich auseinander:
gejeßt, jondern jie auch weiter entwidelt u. zw. zunächjt lediglich in
Anwendung auf die blanfen Waffen, da er auf die Feuerwirkung noc)
ungemem wenig Wert legt.
„Ihr teilt — fo ruft er feinen Zeitgenojjen zu — eure Heere in drei große
Haufen: Avantgarde, Bataille, Arrieregarde: aber es find nur drei Namen; ihr
benugt dieje Einteilung lediglih für die Bequemlichkeit der Märſche und der
Lager. In der Schladt jtellt ihr die” drei Haufen in einem Treffen neben=
einander und jet das ganze Schickſal des Kampfes auf einen Wurf. VBernünftiger
verfahren die Schweizer; fie ordnen wenigitens von ihren großen Haufen den
zweiten ſeitwärts-rückwärts vom erjten an, und das dritte Bataillon halten jie
einen Büchſenſchuß binterwärt® von den beiden erjten. So vermag das zweite
den Moment zu erjehen, um dem erjten beizujpringen, und das dritte hat Raum
zum Vorgehen, um die beiden erjten aufzunehmen, wenn fie geworfen werden.
Dieje Art, die Bataillone zu ordnen, ift notwendig, wenn man einmal durchaus
die großen ungejhlachten Haufen anwenden will; man fann ſich aber mit geringeren
Zwijchenräumen zwijhen den Bataillonen begnügen und doc das Treffen>
ſyſtem anwenden, jobald man die taftijchen Einheiten zwedmähig verkleinert.
Andrerjeit3 ift das jchweizeriihe Syitem immer nody ungenügend. In dem eins
zelnen Bataillon desjelben iſt die Unterjtügung, welche die Unterabteilungen
einander gewähren können, feine andere, als die in der griechiſchen Phalanı :
die hinteren Glieder treten nur dann in Tätigkeit, wenn die vorderen außer Gefecht
gejegt find; allenfalls treiben die hinteren Glieder die vorderen vorwärts. Das
it nicht jene lebendige Unterjtügung, welche die einzelnen Unterabteilungen der
Legion einander gewährten.“
Um nun etwas diefer Ähnliches zu erhalten, gibt Machiavelli feinem Haufen
(battaglione) 10 Fähnlein (battaglie), deren jedes 400 Mann in 20 Rotten und
20 Gliedern zählt. Bon dieſen ftellt er 5 Fähnlein in das erjte Treffen und
läßt zwiichen je zweien derjelben Intervalle von 10 Fuß. Im zweiten Treffen,
weiches 60 Fuß Hinter dem erjten angeordnet ijt, werden 3 Fähnlein u. zw.
hinter dem mittleren und den beiden Flügelfähnlein des erjten Treffens auf—
gejtellt ; im dritten Treffen endlid) jtehen nur zwei Fähnlein hinter dem Flügel—
tähnlein des zweiten Treffens, von welchen es abermals 60 Fuß Abjtand hat.
Hierdurdy werden die geworfenen Fähnlein des erjten Treffens befähigt, ſich ohne
Verwirrung zurücdzuziehen; das zweite Treffen joll fie aufnehmen und den Kampf
fortführen; endlich falls beide vorderen Treffen geworfen wären, jollen jie ſich
702 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensftunde.
auf das dritte zurüdziehen und nun, gemeinfam mit diejem, den legten ent-
jcheidenden Verſuch maden.
Machiavelli nimmt aljo die römische Legionartaftif zum Vorbilde:
troßdem aber bleibt auch jeine Schlachtordnung mehr auf die Ver:
teidigung als auf den Angriff eingerichtet; denn jogar diejer große
Geiſt jteht doch unter dem Banne jeiner Zeitanjchauung; auch ihm
erjcheint unbewußt das Fußvolk als untergeordnet gegenüber Der
Neiterei, als jchußbedürftig, und eben darum vermag er jein Vorbild
nicht zu erreichen. Noch immer führen die fünf vorderen Glieder
jeiner Fähnlein Spieße; noch immer umjchliegt die freien Flanken
eine Spießerhede, und um die dafür erforderliche Mannjchaft zu ge
winnen, gibt er jedem feiner Schlachthaufen einen Trupp von 100U
„außerordentlichen“ Pikenieren bei, welche, gleich den Schüten, nicht
in die Fähnlein eingereiht werden. Nur die 15 hinteren Glieder
jeiner zwanzig Mann tief jtehenden Fähnlein bejtehen aus Degen
jechtern (Rondartichiren, Rundſchildnern). — Auch die‘ verjchiedene
Breite der Intervalle innerhalb der Treffen lehrt, dag Macjiavelli
doch wejentlich von der defenjiven Stimmung des Fußvolks jeiner
Zeit beeinflußt war: diejenigen des 2. und 3. Treffens jind nämlich
groß genug, um dem 1. Treffen zu gejtatten, jich durch Diejelben
zu rückzuziehen; die Intervalle des 1. Treffens dagegen reichen feines:
wegs aus: weder dazu, den Feind zur Teilung jeiner Front zu ver:
anlafjen, noch dazu, dem 2. Treffen die Möglichkeit zu gewähren, tn alt
römischer Weije dem erjten wirkſam zu Hilfe zu kommen.
Ber Machiavelli handelt es ji) um Wünſche und Vorjchläge.
Will man den wirklichen Zuftand der damaligen Fußvolkstaktik Italiens
fennen lernen, jo muß man des della Dalle gleichzeitiges Büchlein
Vallo zu Rate ziehen, dejjen libro terzo denjelben Gegenjtand er
fäutert [$ 8). Da ergibt ſich hinfichtli der Waffenzujammen-
jegung, daß unter den blanfen Waffen die Pike allein berricht
(abgejehen von den wenigen Halblanzen — lanco spezzate — der
Bannerwache), und daß die Zahl der Schügen zwar in feinem fejten
Verhältnis zu der der Piken jteht, durchweg aber jehr gering iſt.
Eine »ordinanza de cento piche«e zählt 105 Piken, 9 Halblanzen (ein:
ichließlich de8 Banners) und 17 Schützen. Die „Ordonnanz von 200 Pilen“
zählt 180 Riten, 14 Halblanzen und 28 Schützen, die „Ordonnanz von
300 Riten“: 270 Riten, 14 Halblanzen und jeltjamerweije nur 17 Schügen.
2. Das Fußvolt. 703
In der Marſchordnung werden das Banner mit jener Wache,
ſowie die Schüßen derart verteilt, daß fie beim Aufmarjch zum Schladht-
haufen (per vnire a battaglioni) bequem an ihren Pla gelangen
fönnen. Die Schügen find daher an den Gelenk: und Brechpunften
der Kolonne in dieje eingeichoben und in das erjte und letzte Glied
derjelben aufgenommen.
Die ordinanza de cento marjchiert zu dreien: 11 lieder Pilen, dann
1 Gl. Schügen, 4 GI. Pilten, 3 Gl. Fahnenwache nebit Banner, 4 GI. Bilen,
1 Gl. Schüßen, 10 GI. Piken, 2 GI. Schügen, 6 GL. Piken. In das erite
Pifenglied der ganzen Kolonne find drei, in das legte zwei Schüßen eingereiht,
jo daß jenes ſechs, dies fünf Köpfe zählt.
Die ordinanza de 200 piche marjciert zu fünfen: 12 Glieder Riten, 2 ©t.
Schützen, 5 GI. Piken, 3 Gl. Banner mit lanze spezzate, 5 GI. Riten, 2 1.
Schützen, 13 Gl. Pilen. In das erjte und legte Glied der Marſchſäule find je
vier Schügen eingereiht, jo daß fie je neun Mann ſtark find.
Die ordinanza de 300 piche marjciert zu jechjen. — U. f. w.
Die normale Gefehtsordnung tt das volle Viered
von ebenjoviel Gliedern wie Rotten, deſſen innerjten Kern
das Banner mit jeiner Fahnenwache bildet, während die Schüßen in
die Außenglieder zwiſchen die Pikeniere eingereiht find.
Das battaglione de piche cento zählt 10 lieder zu je 10 Notten. Die
Schützen find in das erjte und legte Glied eingejchoben, jo daß immer ein
Spießer und ein Schü nebeneinander jtehen.
Das battaglione de ducento piche hat 15 Glieder zu je 15 Rotten.
Die Schüpen find in alle vier Außenglieder eingereiht, in denen die Leute daher
doppelt jo eng als in den andern jtehen. Inter „Außenglieder“ find hier Front,
Rüden und Marjchflanten des Vierecks verjtanden, von denen die beiden leßteren
je nad Umſtänden dur einfache Wendung ebenfalls Fronten, bezw. Rüden
werden können.
Für Battaglioni von großer Stärfe (vier, jechs bis
zehn Taujend Mann), empfiehlt della Valle beweglichere Anordnungen.
Er gliedert die Maſſe z. B. (Fig. A ©. 704) in 4 Haufen und ordnet dieje
in zwei Trefjen an u. zw. jo, daß je 2 Haufen hintereinanderjtehen. In dieje
4 Haufen nimmt er nur Spießer auf; zwijchen fie aber ſchiebt er ein Gemifch von
Spießern und Schügen ein: ein hohles Rechted, tiefer als beide Pilenier-
treffen zujammen genommen, in dejlen Binnenraum SHeerführer, Banner und
Artillerie geborgen werden. — Oder er jtellt (Fig. B) die vier Haufen derart
zum Kreuze zujammen, daß in der Mitte ein großer, freier Plag für Banner
und Troß bleibt, während die Artillerie, in den Winkelpunften der Kreuzordnung
aufgejtellt, daS Terrain vor den Flanken der Haufen bejtreiht und jomit dedt.
Wenn man will, mag man dieje Kreuzform auch als eine in drei Treffen
1704 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
ihahbrettfürmig angeordnete Schladhtordnung bezeichnen, wobei denn aller:
dings der Treffenabjtand nicht größer ijt als die Tiefe jedes einzelnen Haufens
Artillerie.
Fahnen.
—
dig. B.
Artillerie
u
E
Pe
0-3
2*
—
£
=
&
ar
Auch die Anordnung im Keil (in triangolo) kennt und erläutert
della Balle. Er zeigt ſich geneigt, den Keil gelegentlih auch noch
mit zwei Flügeln oder Armen (doi brazza) zu verjehen, um der
eingedrungenen Spite von außen ber zu Hilfe zu fommen. Einen
jolchen Arm gibt della Valle zuweilen auch dem vieredigen Haufen
(battaglione in quadrangolo) zu dem ausdrüdlichen Zwede, beim
Zuſammenſtoße die Front des Gegners zu flanfieren; daher diejem
Arme denn auch Schützen beigejellt find.
Was der Verfafjer jonjt noch dvorbringt, verliert jich meijt in das Gebiet
der Spielerei mit taftijhen Formen: jo die Anwendung des Hohlfeils (forfice),
der elliptijhen Wufjtellung, der balbmondjörmigen Anordnungen
(mezza luna), die 3. T. aufs fünjtlichite verbunden werden, und nicht zum
wenigjten der Shladhtordnung »a& modo de scorpione«, welde auf
einer Verbindung der dee der forfex mit der der depugnatio in similitudinem
veru des Cato und Vegetius beruht [A. 18 und 37). Dieje unpraltiichen,
fiherlic; niemals lebendig gewordenen Formationen find eben ſämtlich mehr oder
minder mißverjtandene Neflere des gleichzeitigen humanijtiihen Studiums in den
Schriften der antiken Taktiker.
Um Ton und Haltung der Schrift zu fennzeichnen, folge bier
das 35. Kapitel des dritten Buches, welches von dem parade—
mäßigen Auftreten des Fußvolfs handelt, u. zw. des leichteren
Verſtändniſſes wegen, in der franzöfijchen Überjegung von 1529).
ı) Die Leitern diefer Überjegung find gotifh, und bie altertümlihe Echreibweije wimmelt von
Abfürzungen, die oben aufgeldft find.
2. Das Fußvolt. 105
»De rechief est necessaire de scauoir mettre ses gensdarmes de piedz
bien ordonnance et aornee deuant les yeulx des magnanimes, affin que
prennent delectation de leurs aornemens et bonne ordre, que donne le
cueur des experts gens darmes; est besoing mettre sa picque en l’espaule
senestre auec la main aupres lespaule et auec le coulde hault fort et
auec la teste droicte, ferme et estable, auec la main dextre sur la dague
ou espee, et que la dicte pieque batte au droict du pied senestre, et il
wient ainsi aux aultres de la mesme renche, et plus qu’vnchescun deulx
ayent a entendre le tambourin en lordonnance auec pas lentz et braues
et vnchescun deulx auec la mesme iambe mouuant le pas lung et lautre
a ung temps en non se mouuent de la renche de leurs renche ou reigle,
et ainsi faisant je concludz que delectera moult aux magnanimes iceulx
present et circonstantz a tel ordonnance.«
Man erjieht aus diefen Angaben, dab zur Bewaffnung der Pilenierd außer
dem auf der linken Schulter getragenen Spieße auch noch Schwert oder Dold)
gehörte, daß nad) der Trommel im Gleichſchritte marjdiert und Richtung
in den Gliedern gehalten wurde, daß überhaupt Regeln und Zwede des Parade—
marjches jhon damals diefelben waren wie fpäter und daß der, welcher fie wohl
beadtete, auch damals jchon deleftierte les yeulx des magnanimes|
8 81.
In della Valles Buch tritt uns die gevierte Ordnung von ebenjo-
viel Gliedern als Rotten für Oberitalien als unzweifelhaft normal
entgegen. Daß dieſe Ordnung zu jener Zeit aber auch in Deutjch-
(and herrichte, beweiſen die gejchichtlichen Nachrichten. Das jchweizerijche
Vorbild war hier gleichfall8 maßgebend geworden [XV. & 36).
Noch aber gab es Männer, welche die beffere Überlieferung der Ver:
gangenheit: breite Fronten bei mäßiger Tiefe, wiljenjchaftlich
verfochten, und niemand hat das mit größerer Wärme und Einficht
getan, als der „Irewe Rath“ [$ 9], welcher jeine Schlachtförper
dreimal jo breit als tief jtellen will, aljo durchaus noch auf dem-
jelben Standpunkte verharrt, den in den jiebziger Jahren des 15. Ihdts.
Philipp von Seldenef vertrat [S. 325]. — Doc die wohl er:
wogenen Mahnungen des treuen Nates fanden fein Gehör mehr bei
dem jungen Gejchlechte; die großen tiefen Haufen beherrjchten wie die
Schlachtfelder jo auch den Gedanfenfreis der Zeit. Dies lehrt u. A.
eine bereits früher 8 17] erwähnte anonyme taftijche „Inſtruckzion“
v. 3. 1536 oder 1538, welche ein jchöngejchriebenes dünnes Heft
ausfüllt, das in der Wiener Hofbibl. (ms. 10849) aufbewahrt wird
und den Titel führt: „Nemwe Kriegsordnung vnd ain fhurge
Jahme, Geichichte der Kriegewifienicaften. 45
706 Das XVI. Jahrhundert. IIL Heer- und Truppen-Kunde.
wegweyjung, nemlich wie man doch die knecht gejchwind zuo
ainer geuierten bejchlojjenen jhlahtordnung in nötten
mocht bringen vnd auch ebenjobald wider in ain zugordnung joll
richten mögen ... Darzu wirtt auch angezaygt, wie man doch möcht
am iedlichen nach jeinem jtand vnd wirden bejoldenn vnd dennoch
auc dem kriegßherrn leydlich wurd jeyn.“
Der Berfaffer nennt ſich „ain getruewer, der rom. fayj. Mat. Diener vnd
brouißioner” (auf Wartegeld jtehender Offizier). Er beſchwert jih, daß ihm durch
falfhe Berichte beim Kaifer Unrecht gejchehen jei. Vor 36 oder 38 Jahren jchon
habe er fih an der Einnahme Mailands beteiligt, wo damals dejjen Herzog ge-
fangen wurde (1500), er habe die Graubündener jhlagen helfen und bei Pavie
mitgefochten. Er unterbricht die kurze Jnftruftion wiederholt durch gejchwägiae
Hinweife auf fein eigenes Scidjal.
Der Tert jchildert zunächit das Muſterungsgeſchäft, eifert
gegen den vielfältigen und jchädlichen Betrug, zumal den mit blinden
Namen, und gibt die Soldſätze vom Hauptmann bi hinab zum
Gerichtsmann und dem „Semainen“. Dabei ergibt jich, daß das Fähm
lein 500 Mann zählte; der aus einem jolchen zujammengejtoßene Haufe
iteht aber 23%X23 Mann breit und hoch, jo daß 29 Mann fehlen,
um ihn voll zu machen. Dieje bieten fich in den in Reih und Glied
tretenden VBorgejegten mit ihren Dienern und dem „Droß“ dar. Der
intereffantejte Teil des Inhalts ift die große farbige Grundris
dDarjtellung einer gevierten Shlahtordnung.
Im „Horn“, d. h. in der Front, jtehen 23 Mann, ebenjoviel in der Tiefe:
die Zahl der Glieder und die der Rotten ijt alſo diefelbe. Die Mitte der Front
nehmen 13 „Dobol-Söldner”, d. h. gewappnete Spieher, ein; rechts und links
auf den Flügeln jtehen je 5 „Dobol-Schützen“. Die Rotten diefer Schügen
laufen durch alle 23 Glieder, jo daß die Flanken des Haufens ganz von Schügen
eingefaßt find. Dagegen hören die Doppeljöldner mit dem 4. Gliede auf; als
5. Glied folgen Helmbardiere, dann zwei Glieder „Mitteljöldner”, drei gemeine
Söldner, drei, welhe aus Führern, Furiern, Waybeln und Schlachtſchwertern
zufammengejegt find und in deren mittlerem zwei Fahnen wehen. Darauf fommen
fünf Glieder gemeiner Söldner, ein Glied Knebelſpießer und endlich wieder zwei
Glieder Doppelföldner. — In der Mitte des 1. Gliedes jteht der Hauptmann,
in der des legten der „Leyttenambt“ mit jeinen großen „Hanſen“ (Schließende).
Die Zufammenjegung diejes deutjchen Haufens weicht doch wejentlich
von der des italienijchen ab. Während in diefem die Schügen nur etwa
Yıo bis Yo der Kopfzahl ausmachen, it das Verhältnis der Schügen
zur Geſamtmaſſe im deutjchen Fähnlen wie 2:5. Site find daher
auch nicht zwijchen die Pifen der auswendigen Glieder eingejchoben,
2. Das Fußvolt. 107
jondern bilden jtarfe, in fich einheitliche Abteilungen auf den Flügeln
der blanten Waffen und find offenbar zum zerjtreuten Gefecht bejtimmt.
In diejer Anordnung, welche noch einigermaßen an die Normaljtellung
Philipps v. Seldenet mahnt S. 325], zeigt ſich eine wejentliche
Überlegenheit der deutjchen Taktik über die italienifche. Leider waren
jedoch das Vorbild der Schweizer und der Einfluß der italienischen
Lehrſchriften jo ftarf, daß auch die Reſte der guten Überlieferungen
des 15. Ihdts. nach und nad) aus der Praxis der deutjchen Elementar-
taftif verichwanden.
8 82.
Derjelbe italienische Denker, welcher die erjten Fundamente der
Balliftif legte und zuerſt das mathematijche Prinzip auf den Feitungs-
bau anmendete, Niccolo Tartaglia [$ 42], hat auc) auf dem Gebiete
der Elementartaftif des Fußvolks die geometrijchen Grundbegriffe feit-
geſtellt. Schöpferiich ijt er nicht aufgetreten; er hält ji) an Die
überfommenen Formen; aber er jucht für dieje, d. h. aljo namentlich
für die großen Vierede und die ihnen entiprechenden Marjchordnnungen,
die mathematischen Verhältniſſe fejtzujtellen. Die Ergebnijje jeiner
Unterjuchungen finden jich im 4. Buche der Quesiti et inventioni,
bzgl. in Reiffs Verdeutichung als 4. Teil des erjten Buches von der
Beveitigung Gebewen u. d. T.: „Wie ein hauffen Kriegßvolk
behendt in ein Schladt- oder Veldt- ordnung gebradt
werden joll, auch wie ein Ordnung auff den Zug gericht
vnd im Ziehen unzertrennt erhalten werden mag.“
In der Einleitung hebt der VBerfaffer ausdrüdlic hervor, daß er die Ord—
nungen jchildere „nit wie ſolche von Vegetio vnd anderen, jo dije dinge auf jren
gebraud geordnet Haben“, dargejtellt worden, jondern modern. Alle Formationen
find durd deutliche Figuren erläutert, in denen jeder einzelne Mann u. zw. nicht
nur durch eine bloße Signatur gezeichnet ijt.
Kap. 1 lehrt „ein hauffen Kriegsvold in eine gefierdte ordnung“ zu
bringen. Dabei unterfcheidet man die „Bierung Volcks“ (battaglie quadre
di gente) und die „Bierung Landts“ (battaglie quadre di terreno). Die
erjtere ergibt ein arithmetijches, die leßtere ein geometrijches Duadrat. Stehen
nämlich ebenjoviel Glieder wie Rotten !) im Viered, jo wird dies jtet3 tiefer als
breit jein, weil nur bei ganz engem Aufichließen, wie es auf dem Marſche nie=
1) Meiff braudt dad Wort „Rotte” in unjerem Sinne nit; nur der Kürze und Deutlichkeit
wegen wende ich ed an.
45”
708 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer und Truppen-Kunde.
mals und aud beim Halt nur ſchwer möglich ift, der Gliederabitand nicht größer
ift wie der Rottenabjtand. Für gewöhnlid) wird derjelbe jogar nad) dem Bor:
bilde des Vegetius wie 7 zu 3 angenommen. — Um eine „Ordnung Bolds“
aufzustellen, wird aus der ganzen Summa des Volks „Radicem quadratam erjudt;
die zeigt mir die rechte Zal an, wieuiel knecht in ein gliedt gejtellt werden
jollen“. Berbleibt ein Rejt, jo wird er am beiten hinter das letzte Glied geitellt.
Im 2. Kap. Handelt es fih um Herjtellung der gevierten Ord—
nung aus der Zugordnung. Zu dem Ende muß die Marjchlolonne der
Tiefe nad) in fo viel Abteilungen gegliedert jein, daß durch deren einfachen Aui-
marſch rechts oder links die gevierte Ordnung bergeitellt wird. So marjchieren
3. B. 81 Mann mit 3 Mann in der Front, 27 Glieder tief oder (was dasſelbe
jagen will), in 3 neungliederigen Abteilungen hintereinander. Bequem iſt es, da,
wo die Abteilungen enden und anfangen, zwijchen die mit den Spießen bewaffneten
Knechte je 2 Glieder Halenjhüpen einzujchieben: dann erfennt man auf den eriten
Blid, wo die Bruchſtelle der Kolonne ift, und hat überdies nach dem Aufmarice
in erjter und legter Linie des Vierecks je ein Glied Hakenſchützen. — Läht ſich
die Radir quadrata der Knechtzahl nicht durdy 3 teilen, jo muß man ſich anders
helfen. 3. B. ordnet man 100 Mann derart, daß zuerit und zulegt eine Ab-
teilung von je 30 Mann (3 Rotten in 10 Gliedern), in der Mitte aber cine
Abteilung von 40 Mann (4 Rotten in 10 Gliedern) marjciert. Auf 100 Knechte
werden gewöhnlid 20 Hakenſchützen gerechnet, die dann entjpredend den Ab-
teilungen zuzuteilen find (mämlid) je 3, bezw. 4 zu Anfang und zu Ende jeder
Marjchgruppe). Übrigbleibende Knechte, die ſich auch bei folder verichiedenartiger
Anordnung der Marjchabteilungen nicht unterbringen lafjen, müjlen „nach er:
teilung der Waibel“ außerhalb der Glieder bleiben.
Das 3. Kap. „Wie eine jede Summe Volcbs in eine gleide ord—
nung zu bringen gegen einer andren fürgebnen ordnung” be
ihäftigt fi) mit einem arithmetifchen Problem, das für die Praris ſchwerlich
jemals bejonderen Wert gehabt hat; denn es handelt jich lediglih darum, für
eine neue Mannjchaftszahl das arithmetifche Analogon zu einer bereit® vorber
gebildeten Vierung des Volkes zu berechnen.
Im 4. Kap. jtellt der Verfafler die geometrifche Aufgabe, „wie der plag
einer vberlengten gefierdten ordnung erjudt werden joll“.
Er veriteht darunter die Anordnung des „Vierecks Landts“, d. h. des wirtk—
lihen Quadrates. Verfaſſer nimmt das Verhältnis der Tiefe und Breite für
den einzelnen Mann wie 3:7. — VBorausgejept, es ſeien 3600 Mann in eine
PVierung Lands zu ordnen, jo wird die Zahl 3600 mit dem Quadrat von 7 (49)
multipliziert, das Produft 176400 aber wieder mit dem Multiplilationsergebnis
von 3 und 7, aljo mit 21 dividiert. Aus dem gewonnenen Duotienten 8400
wird dann die Wurzel gezogen und dieje, d. 5. 91, it die Zahl der Knechte, welche
in ein Glied gejtellt werden. Die Zahl der Glieder aber ijt 39, — Allerdings
bleiben dabei 119 Mann übrig, die anderweitig unterzubringen oder anzuhängen
find. (Ich gebe die Ziffern dieſes umjftändlihen Verfahrens jo wie fie Neff
bietet, bemerte aber ausdrüdlich, daß fie z. T. faljch find.)
2. Das Fußvolt. 709
Das 5. Kap. lehrt „wie ein Shlahtordnung in ein ſpitz gebradt
werden jol“, — Reiff bezeichnet den Spig, d. 5. die feilförmige Anordnung
als veraltet, „da die Schlahtordnungen diefer zeit dermaßen gerichtet werden
(Sonderlihen in ehrlichen Veldtzügen), aljo das ye ein glied gerad auf das andere
gehet“; aber alte, erfahrene Sriegsleute bevorzugten doch zumeilen auch nod)
andere Formen als die gepierte Ordnung. — „Der Triangel wird nad) der
arithmetiihen Progreſſion angerichtet, alſo das im vorderjten glid allein ein einzig
Mann, im andern 3, dann 5, dann 7, dann 9, dann 11 vnd aljo ye mehr fur
vnd fur zu orönen.“
Im 6. Kap. zeigt Reif, „wie gegen einen folden ſcharpffen
TZriangel ein andere ordnung zu ftellen von zweyen fharpffen
jpigen“ Eine jolde Anordnung fei ein von alters erprobte Mittel, den An—
griffsfeil zu umfaſſen. Die beiden „ſcharpfen jpigen“ bangen derart zuſammen,
dab das letzte Glied durch beide durchläuft und alſo zwijchen den beiden Triangeln
ein Hohlfeil entjteht. Es ijt die forfex des Cato und des Vegetius.
Das T. Kap. jept auseinander: „Was vortheils ein jharpff ge—
jpigte ordnung haben mag, wann ji) der Feindt nit dargegen in eine
folhe ordnung der zweyen jcharpffen jpiten jtellen mag“. Dabei wird befonders
Wert darauf gelegt, dab die Schüpen denjenigen Punkt der feindlichen gevierten
Schlachtordnung, auf den die Spite des Keils gerichtet ift, jcharf unter Feuer
halten; dann werde ed dem Triangel unzweifelhaft gelingen, das Biered zu
fprengen.
Das 8. Kap. befpricht unter der Überihrift „Wie man ein haufjen
Kriegbvold auff ein andre manier in ein Schladhtordnung
jtellen möge“, die Anordnung mehrerer Doppelfeile hinter einander — eine
recht unglüdliche Idee, zumal der eine als „jonderliche Hinderhut zu einem nach—
trud verordnet“ wird.
Ebenjowenig Wert hat die im 9. Kap. vorgetragene Lehre, „wie ein
Schlachtordnung in die form oder gejtalt einer rauten gebradt
werden mög“.
Das 10. Kap. handelt davon, „wie eine Shladtordnung zu jtellen
jey, die jre nebenflügel hab’. Wenn man Nebenflügel haben will, die
man je nad) Umftänden „in die Weite erjtreden oder einziehn fann on alle ver-
mwirrung der Ordnung“, fo teile man den Haufen in drei Teile. Davon jtelle
man den einen nad) der im 4. Kap. angegebenen Art, d.h. „in vberlengter
fierung“ auf; die beiden anderen jtelle man „in gerader oder enger
fierung nad) ausweijung des 1. Kap. auf“ u. zw. vor dem „oberlegten fiered“.
Diefe Schlahtordnung gewähre den Vorteil, „dag man der flügel einen furan
ichiden mag vnd doch die Hinderjt ordnung vunzertrennt bleibt“.
Das 11. Kap. rät, „wie es zu halten, jo das Geſchütz auff ein
Shlahtordnung abgejhofjen wurde und mit [haden hart treffe“.
Dann folle jedesmal der Hintermann des Getroffenen an feine Stelle treten, To
daß die vorderen Glieder ſtets volljtändig blieben.
710 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen=fiunde.
Das 12. Kap. zeigt, „wie ein gefierdte ordnung ſchnell in der
eyl in einen jharpffen fpig zu bringen“ Auf ein Trompetenfignal
machen die Kinechte (je nachdem man die rechte oder linfe Borderede der Vierung
zur Keilfpige gewählt hat), halbrechts- oder halblinksum, wobei dann natürlic
eine Anzahl von Leuten feinen Vordermann mehr haben. Diefe treten nun
jofort in die leeren Stellen ein, und dadurd bildet fi in einfachſter Weiſe ein
ihräg gewendeter Triangel, und „wa man ſich aljo ftümpflihen weiß zu ver:
feren, ijt der feindt der Halb vortheil benommen“.
Das 13. Kap.: „Wie durd fleifige Nachtrachtung leichtlichen
zu erfinden manderley geftaltder Shladhtordnung“ enthält feinerlei
praftiihe Vorſchläge, fondern in der Hauptſache nur eine Erwägung des furdt-
baren Einflufjes des Geſchützes auf die Kriegführung. „Ve größer Heer ye mehr
das Geſchütz!“ Dies gelte zumal von den Türfen. Doc ſei „von der natur
fein ſolches jchedliches gifft erichaffen, dagegen fie nit auch herwiderumb ein heil-
jame argney erjhaffen hab“. Diejer jolle man nur nachforſchen.
Vornehmlich wichtig in Tartaglias Arbeit iſt die wiſſenſchaftliche
Unterjcheidung von Mannsviered und Landsviereck, d. 5. der
arithmetifchen und der geometrijchen Vierung in der Taktik. Da die
erjtere viel leichter herzuftellen iſt als die legtere und zugleich der
Neigung der Zeit zu möglichjit tiefer Aufjtellung entgegenfam, jo
gewann fie leider das Übergewicht, was denn abermals eine weitere
Entfernung von den befjeren Überlieferungen der Vergangenheit, von
den weiſen Vorjchriften des „Trewen Rats“ bedeutete. Stand doch
ein und diejelbe Zahl Leute im Mannsviereck mindejtens doppelt jo
tief als im Viered Lands. — Emmen jehr folgereichen und bedenklichen
Schritt tut Tartaglia Hinfichtlich der Schügen. Die Zahl derjelben
hatte ſich bei den Italienern während des Vierteljahrhunderts von
della Balle (1521) bis Tartaglia (1546) bedeutend gejteigert; betrug
jie bei jenem nur Ye bis Ys der Gejamtzahl, jo macht jie bei dieſem
bereit3 "s derjelben aus. Allerdings iſt das immer erjt halbjoviel
wie bei dem Wiener Provijioner von 1563. Tartaglia ordnet nun
die Schüßen anders an als jeine Vorgänger. Hatten die Arkebuſiere
das zerftreute Gefecht aufzugeben, jo warfen ſie ſich bei Valle auf
die vorderen Glieder des Haufens und krochen da unter, jo gut es
eben gehen mochte; della Valles aus Spießen und Schügen gemijchte
Außenglieder zeigen daher auf demjelben Raume wie Die inneren die
doppelte Mannszahl wie dieje, ohne daß der Verfaffer erläutert, in
welcher Weije er ſich dies Verhältnis praftiich dachte. Solch rohes
Unterjteden verwirft Tartaglia; er zieht die Schügen mit in die ge
2. Das Fußvolt. 711
ordnete Raumberechnung des Vierecks ein; ſie bilden in der Urauf—
ſtellung desſelben oder wenn ſie das zerſtreute Gefecht aufgeben müſſen
und auf den Haufen zurückgeworfen werden, deſſen erſtes und letztes
Glied. Dieſe rechnungsmäßige Verbindung der Schützen mit
dem Spießerviereck iſt aber etwas ganz anderes, ſehr viel ſchlechteres
als die organiſche Verbindung, welche bisher in Deutſchland ſtatt—
hatte und welche bei Philipp v. Seldened (1480) wie bei dem Wiener
Provijioner (1536) darin bejtand, daß die Schüßen recht8 und links
der blanfen Waffen bejondere Flügel bildeten, welche ausſchwärmen
oder entjendet werden oder an Ort und Stelle durch rotten- bzgl.
gliederweijen Kontremarſch ein jtetig genährtes Feuer unterhalten
mochten. Dergleichen war bet der ganz mechanijchen Anfügung, die
Tartaglia beliebte, nicht möglich. Wurden ihm die ausgejchwärmten
Schützen auf den Haufen zurüdgeivorfen, jo eilten fie unter die Spieße
des erjten Gliedes, und mochten fie hier auch niederfnien oder jich
auf den Boden fauern: die Pifeniere waren doch, jujt in dem Augen:
blide, da ihnen der Angriff drohte, durch die eigenen Schützen wejentlich
im Waffengebrauche behindert. — In diefer Einführung eines
Schütenjaums (fornitura de archibusieri) durch Tartaglia er-
ſcheint num aber nur der erſte Anja einer überaus bedenflichen Ent-
widelung; denn in der Folge mehrte ſich mit der Zahl der Schüßen
überhaupt auch die Zahl der den Haufen umjäumenden Schüßen:
glieder, welche bald außer Front und Rücken auch die Flanken um—
jponnen. Se breiter aber die Garnitur der Schüßen wurde, umjo-
weniger vermochten die Pifeniere ihre Waffen zu verwerten, um jo
entjchiedener wurde der durch die Schützen geblendete Spießerhaufen
ein Widerjpruch in fich jelbjt. Aus diefem Grunde iſt das Verfahren
Tartaglias, den Schüßen jtatt der Flügelrotten die Außenglieder der
Front und des Rückens zuzumeien, geradezu verhängnisvoll geworden.
Denn nur allzu bereitwillig wurde es nachgeahmt.
Die Anordnung der großen Fußvolfsvierungen hatte namhafte
Schwierigfeit für die damit betrauten Oberftwachtmeijter oder Sar-
genti maggiori. Cine wifjenjchaftliche Arbeit wie die des Tartaglia
fonnte ihnen für den Handgebrauc nichts nügen, und jo galt es,
Rechenknechte herzujtellen, um durch einfaches Nachichlagen in
Tabellen zu erfahren, wie viel Leute bei einer gegebenen Gejamtzahl
in je ein Glied zu ftellen jeien und wie groß der Umfang eines
712 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
Viereds jein werde. Hilfsmittel jolcher Art, welche das Ausziehen
der Quadratwurzel und das Berechnen der Seitenlängen erjparten,
jind ziemlich viel während des 16. Ihdts. entitanden; das ältejte
derjelben jind wohl des Ajjinito da Morra: Opera nova...
quale insegna ordini modi e forma d'ordinar ordinanze di
fanteria et crescere quelle che con quelli formare battaglie
quadre de quale si voglia numero. de picche, incominciando
da picche 100 sina a 10000 con la fornitura de li suoi archi-
busieri. (Turin 1548.)
Die Schrift jcheint ſehr jelten zu jein; ich habe jie nicht erlangen fönnen.
8 83.
Recht intereffante Angaben über die formale Taktik des Fußvolks
bringt der 4. und der 7. Teil der Kriegsordnung des Marl:
grafen Albreht von Brandenburg, Herzogs von Preußen
[$ 23] von 1552.
Zunächſt enthält Kapitel 58 eme „Tafel der Fußknecht,
darın man findet Raum vnd Platz, auch wievil in ein Glied vnd
wievil Glieder Hintereinander“ — aljo einen Nechenfnecht der eben
erwähnten Art von folgender Einrichtung:
Gang Summa der | Wieviel Knecht in ein Glied | Länge des Platzes
Knecht neben | binder an einer Seiten
(die vorhanden) einander Sel") | Nutten
Wie Tartaglia-Keiff rechnet auch Herzog Albrecht auf jeden Mann im die
Länge (d. h. Rottentiefe) 7 Fuß, nämlich 1‘ auf dem er jteht, 3° vor und 3° Hinter
jich, dagegen für die Mannsbreite von Achſel zu Achſel 3. — Den Gebraud
der Tafel erklärt er (etwas abgekürzt) wie folgt: — „Ich ſprich, ich hab
5500 Fußknecht, die will ich in ein rechte gevierte Ordnung jtellen, jo juche id
bei meiner erjten Column bei der linten Hand; dann gehe ich zwifchen denjelben
Swerdlinien (Uuerlinien) in die ander Column gegen der rechten Hand; da fınd
1) 1 ©el (Seil) = 10 Ruten; 1 Rute= 14 Werkſchuh; 1 Werfjhub (Fuß) = 30,5 cm. —
180 Sel machen eine deutiche Meile aus.
2. Das Fußvolt. 713
ich 116 gejeßt, bedeut, daß ich 116 in ein Glied nebeneinander mu jtellen. In
der dritt Column, da find ich 50 gejeßt, bedeut, daß 50 Glied hintereinander ftehn
und gibt mir eine rechte gevierte Ordnung. In der vierten Column, da find ich
2 gejeßt, bedeut 2 Sel, in der fünften jteht 5, bedeut, dab der Pla, darauf
vorgemelt Summa Knecht in der Ordnung jtehn 2 Sel und 5 Ruten an einer
Seiten lang muß jein und auch ebenjo breit.“ — Die Fußvoltstafel
Albrechts iſt aljo vernünftigermweife nicht auf da8 Manndviered eingerichtet,
jondern auf die Vierung Lande. — Da natürli nicht jede denfbare
Mannjchaftsjumme in der Tabelle jtehen kann, jo gibt der Herzog noch folgende
Anweijung: „Wenn einer jein Summa nicht gleidy fände in der eriten Column,
jo ſoll er die nädjte drüber oder drunter nehmen; denn es jeind die Summa in
der Tafel dermaßen gejegt, daß fie zu Zeiten 50 oder 100 Knecht überjpringen,
da man jolde Haufen jelten mit 50 vermehret, jondern gemeiniglich mit 100
oder mit ganzen Fähnlein.... Wolt man aber die Ordnung überlengt
(d. 5. tiefer als breit) haben, jo mag einer ein Knecht 10, 15, 20 oder wieviel
er will weniger in ein Glied jtellen, jo wird die Ordnung überlengt. Will er
aber die Ordnung überbreit (d. 5. breiter als tief) haben, jo mag er mehr
Knecht in ein Glied nehmen“. Lepteres ift nun offenbar im Sinne des Herzogs
jelbjt ; denn nicht wenige der im Grundrifje dargejtellten Haufen jeines Kriegsbuches
ind feine Quadrate, jondern Rechtecke von doppelter Breite wie Tiefe.
Das 69. Kapitel enthält 11 „Figuren, dardurd alle andere
gevierte ordnung vnd hauffen verordnet, auch geduplirt, ver-
mindert oder vermehret, desgl. überlengt oder überbreitet,
auch in die Rundung oder halbrundung, desgl. in einen Driangel
oder in ein rauten, auch inwendig holl vnd junjt in allerlei furm
und jpigen gebracht mag werden, und gejchieht alles aus einem
rechten grund, nämlich aus einem rechten gevierten quadrat, der mit
roten Linien in dijen nachfolgenden figuren allemal gezeichnet tft.“
1. Figur, in welder 6 gerechte vierung in einander jein gerijien und belt
ſich allemal eines gegen den andern geduppelt in ihr Größ vnd Proportion.
(Diefe Figur dient ald Maßſtab für die folgenden.)
2. Figur: Fünf gerehte Quadrate auseinandergezogen, und ijt in izlicher
vierung (Hohlquarree) der weiße Platz inmwendig (der leere Binnenraum) gleich jo
groß als der mit Knechten auswendig herum bejtellet if. Jede Bierung ijt
außen jo groß als in der nächſt Feineren der innere Platz. Das Heinjte Uuarre
üt voll. — Die Herjtellung des Hohlpiereds jchildert Herzog Albrecht
wie folgt: „Es wirt von erjt geordnet ein geuirter (voller) hauff, er jey groß
oder klein . . . Solchen hauffen mil ich in wendig auf die hellfft holl machen.
Dem thue ich aljo: Ich ſprech ich hab 12000 fnecht in meinem geuirten hauffen,
jo wil ich die 6000 in der mitten in irer rechten ordnung herausfuren, aljo das
der hauff aufwendig vnd vnuerrudt bleib. Dem thue ich aljo: ich gebe in die
taffel der knecht vnd befich, wieuil net in ein glidt werden geitelt, auch wieuil
714 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-ftunde.
glider Hindereinander (bei 6000 Mann). Sovil glider lad id in der mitt aus
obgemeltem hauffen, welcher 12000 ftard ift, in guter ordnung vornen heraus
ziehn, ſo bleiben mir an jeder jeitten 22 glidt jtehn vnd hinden 21 glidt, je
nim ich die 11 glidt von binden vnd las mit den andern hienfür ruden, vn)
zuuorderjt müflen fie ſtehn bleiben; jo bleibt der erjt hauff in feiner groß vnd
der ander auch in jeiner ordnung, und hat der groß inwendig einen ramen blag,
der gleich groß ijt als der Feiner hauffen und helt ieder hauff 6000 knecht.“ —
Der Herzog ijt ein ausgejprodener Freund der hohlen Bierede um
äußert jich folgendermaßen über die Borzüge derjelben: „Man jol ſich aufs
höchſte befleißen in allen ſchlachtordnungen, dad man das meifte vold zum angrii
vnd treffen bring vnd die hauffen aufs größt made... Auch fan man in
jolhen Hauffen nocd einen jer großen fortheil zum angrif zumwegen bringen,
jofern ala man geſchickte friegsleut hat, Nemlich mit dem großen Geſchütz, meld:
man gang verborgen in einem iglichen hauffen fan fortbringen, jo jolche hauffen
. dur gejchidlichkeit der kriegsleut wiſſen fi im angrif dermaßen von
einander zu thun, das das gewaltige geihüg in der feinde rechte ordnung und
angrif mag treffen... . vnd hernach mit freuden angegryffen wirdt, hab ich des
ſigs gar fein zweiffel nicht“.
3. Figur: Fünf Rundungen auseinandergezogen. Genau dasſelbe
Prinzip, das bei der 2. Figur auf das Viered bezogen worden, auf den Kreis
angewendet.
4. Figur: Fünf Halbfreije desgl. — Die runden Formen werden
warm empfohlen, weil jie den Feind jehr „irren“; ſie jeien auch gar nicht io
ihmwierig zu ordnen wie man meine, vielmehr machten fie ſich durch Abſtumpfung
der Eden fajt von jelbit.
5. Figur: Wie die Fußknecht in der Zugordnung ziehn und aus der:
jelben in die gevierte Schlahtordnung rüden (aufmarjdieren) ſollen (u. zw. zum
vollen Biered). — Entſpricht genau dem 2. Kapitel Reiffs, auch hinſichtlich
der Verteilung der Hakenſchützen, was mit des Herzog jonjtigen Angaben über
die Anordnung der Schüßen in vollem Widerfprude jteht.
6. Figur: Zweites Beifpiel dazu.
7. Figur: Umgeftaltung eines quadrierten Haufens in einen
halb ſo tiefen rechteckigen durch Rechts- und Links-Aufmarſch der hinteren
Hälfte des vollen Vierecks.
8. Figur: Umgeſtaltung eines Quadrates in einen Spißtz
„Ich nimm die helffte der glider auff jeder ſeitten von vorn, jo daß im 1. Glied
nicht mehr als 1 Mann ſtehn bleibt, ziehe die beiden Spitz von vorn über ort
(diagonal) hinweg und ſetz Izu hinderſt auf beiden Seiten der Ordnung wieder
an. (Vgl. das verjchiedene Verfahren Reiffs in dejien 12. Kapitel) [S. 710].
9. Figur: Umgejtaltung eines Duadrates in 3 jonderlide
Duadrate. Bon jeder Ede wird ein Dreied abgelöft und diefe werden zu
zwei Meineren Biereden rechts und links des alten Quadrates formiert. Das
legtere jteht demgemäß „über ort“ d. 5. mit einer Ede nad) vorn.
2. Das Fußvolt. 715
10. Figur: Umgejtaltung einesQuadrates in ein kleineres,
über Ort gejtellte® mit je zwei Dreieden rechts und links.
11. Figur: Umgeftaltung eines Quadrate® in eine drei-
fpigige Shlahtordnung durd Herauslöſen einzelner Frontteile und An—
ſetzen derjelben an die Flanken des Vierecks.
„Solde Figuren“, jchließt der Herzog, „wären noch on zal zu maden! Id
will® aber um für willen underlafien.“ — Daran hat er recht getan; denn
ihon die drei legten Yormationsveränderungen gehören unzweifelhaft in das
Gebiet der taltiſchen Spielerei und find vielleicht niemals wirklich ausgeführt worden.
Ganz vortrefflich ift die von Herzog Albrecht beliebte Ver—
wendung der Schüßen. Im Texte jpricht er jich zwar nicht
näher über diejelbe aus; fie erhellt jedoch mit zweifellojer Genauigfeit
aus den 42 Darftellungen feiner Schlachtordnungen. Da zeigt Jich
nämlich, daß die Schüßen faſt ausſchließlich als ganz jelb-
jtändig formierte Haufen auftreten. Gewöhnlich find fie mit
der leichteren Reiterei dem 1. Treffen zugewielen, u. zw. bilden fie
durchweg volle Vierede, welche meift Eleiner find als die Spießer—
VBierungen und nicht wie dieſe Banner und Fähnlein führen. Nur
jehr jelten find Schützen einem Spießerhaufen angehängt; aber auch
in dieſem Falle bilden fie niemals einen Saum, jondern völlig in ſich
gejchloffene Flügel von derjelben Rottenzahl wie der Spiegerhaufen
(fo bei den Schlachtordnungen 13 und 27), oder fie find (Nr. 39)
hörnerartig recht8 und links vor die Front vorgejchoben. Dffenbar
hat man es hier aljo mit derjelben Formierung der Schügen zu tun,
wie fie ung um 1480 bei Phil. v. Seldened und bei dem Wiener
Provifioner von 1536 begegnen.
Demnächſt jeffelt die warme Empfehlung der Hohl-Formationen.
Sie jollen dazu dienen, möglichjt viel Leute zur wirklichen Waffen:
verwendung fommen zu lafjen, und jodann dazu, die Artillerie un—
gejehen heranzubringen, die dann, nach plößlicher Offnung des Vierecks
oder Kreiſes, den Angriff desſelben durch überraſchendes Feuer vor—
bereitet. Etwas ganz ähnliches bezwedt jchon della Valle 1521
mit feinem hohlen Rechte zwijchen den zwei Pilentertreffen und mit
jeiner Kreuzformation, und nicht minder du Bellay-Langey 1542
(S 18] mit jeiner Anordnung des Fußvolks in einem hohlen Viereck,
vor deffen Front die Enfants perdus jchwärmen, während auf den
Flügeln die Gendarmerie hält. — Die Fortentwickelung diefer Momente
wird ung noch bejchäftigen.
716 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
Spärlich find die Nachrichten, welche des Herzogs Albrecht Zeit:
genoffe Scipio Nollano, genannt Schellenfchmidt, 1553 über „Zug |
vnd Schlachtordnung der Knecht“ beibringt [$ 27).
Nollanos Fähnlein zählen 600 Mann, nämlich 400 Spieher und 200 Schügen
Bon erjteren find 100 Doppelföldner, einfchlieglich der Befehlshaber. Bon Doppel
ihügen, wie der Wiener Provifioner, redet er nicht mehr; offenbar war das An:
gebot auch guter Schügen bereits jo groß, daß man ihnen keinen Doppeliol!
mehr zu geben braudte. — Eigentlid gibt Nollano nur die Zugordnung,
u. zw. läßt er 600 Mann zu neunen, 1000 zu elfen abbreden. Voraus ziehen
100 Schügen; dann folgen 150 Spieher, 50 Doppelföldner, Fähnlein und Spiel
wieder 50 Doppeljöldner, 150 Spießer und 100 Schügen jchließen des Fähnleint
Zug. — „Bas die Shlahtordnung belanget, will ich den verjtendiger
Hauptleuten heimgejtellt haben.“
8 84.
Die Heritellung der gevierten Ordnung aus einer
gegebenen Anzahl von Knechten war das vornehmjte taftiice
Anliegen diejer Zeit. Mit ihm bejchäftigen jich ausjchlieglich die
„Zwey Büchlein der gerechneten Schladtordnung. Allen
Feldtherrn, Generaloberjten, Oberjten, Hauptlewten, Fendrichen, Feld
jchreybern, ?Feldtweibeln, Fürern vnd Bevelchhabern zum beiten
geordnet durch rechten quadraten ausgezogen vnd gejucht durch
Zachariam LCochner zu Ingoljtadt 1557"). Das Heft iſt dem
Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg gewidmet und will
auseinanderjegen, wieviel Knecht auf ein Glied kommen, damit die
Ordnung „geviert“ werde, auch „wievil vber die ordnung vberbfeiben,
die man dann doch notturfftig einteilt oder in die Flügel anhengen mag.“
Im J. Bud find die Schlahtordnungen auf ganze Fähnlein geitellt:
„Die vbertrettung wird von einem fendlein an alleweg umb ein fendlein bis au
250 fendlein (jede zu 400 Mann) angenommen“. Der II. Teil ijt gejtell
„auf vbertrettung von einem hundert an allmeg umb hundert bis auf 10000
Mann.“ „... Dann wie id) aud) bericht von allen Kriegßlewten, dab fein
befjer ordnung geſchloſſen fünt werden, dann recht geviert, wo man das veld!
haben kann; wo aber die fleche des veldts nicht vorhanden, muß man vorteil
juhen wie man fann, damit gleihwol den feinden abbruch geſchehe. So tann
nun yeglicher, er fün den außzug des Quadraten oder nicht, leichtlih auf diejem
büchlein ein recht gevierte jhlachtordnung jchließen, jo er den namen (Zahl) des
Kriegßvolks weiß, wieviel jein vorhanden.“
1) Kal. Bibl. zu Berlin (H. v. 28010). German. Mufeum zu Nürnberg (Nr. 13755).
2. Das Fußvolf, 717
Lochner hat jein Buch wiederholt umgearbeitet. Einmal, i. J. 1569, widmet
er dasſelbe al8 „Vier Buecher der gerehneten Schladtordnung“
feinem Bruder, einem G®eijtlihen !). Die „vier“ Bücher find aber viermal genau
dasfelbe, nur immer mehr ins Einzelne gehend, d. 5. die Wurzelzahlen von 25
bis 100000 Mann werden mit immer fleineren Sprüngen angegeben. — Auf
drei Bücher eingeſchränkt ift die Bearbeitung von 1571, welche dem Kaifer
Marimilian II. zugeeignet iſt)y. — Die Grundformel ijt ſtets diejelbe; 3. B.
„12 Fähnlein Haben 4800 Knecht; kummen in die Radir 67, pleyben vber 47”.
(Stimmt übrigens nidt.) Durchweg handelt es ſich nur um die jchwerfälligen,
übermäßig tiefen Mannsvierede von gleicher Zahl der Glieder wie der Rotten.
Leute, die dabei nicht unterzubringen find, follen zu „Flügeln“ zuſammengeſtellt
werden. Dieje aber mußten dann fehr dürftig ausfallen.
Etwas reicheren Inhalts iſt das jeltene „Kriegs Feldbüchlin
von allerley Shlahtordnungen,“ welches der Arithmetifug
Hanns Lohr zu Wien i. 3. 1569 dem Herrn Sebaſt. Schärtel
vd. Burtenbach widmete und zu Dillingen erjcheinen ließ ®).
Lohr Hat ſich „underjtanden, nit ohne geringe mühe und arbeit ein Com:
pendium berzujtellen, daraus ohne viel nachdenckens vnd ausrechnen zu erjehen
ift, wie ein hauffen Kriegsvolcks, es jey zu Rob oder Fuß, in ein gevierdte
Schladtordnung, deßgleichen ein driedete mag bejchlofjen werden; dann jhr gar
wenig jeind, die radiciren, ertrahiren oder außziehen fünnen ... Es ſoll aud
ein Feldt General Oberjter, jo er mit einem haufen auß einem leger in das
ander verrudt, alsbald er jich erjtredt, jein rechnung machen, wie vnd wo er joll
abbrechen“. — Zur Erläuterung diefer Dinge gibt Lohr nun 10 jelbjtändige
„Büdhlin“. 1. Bon quatrirten Shladhtordnungen. Tafel von 50 big
50000 Mann, welde z. B. zeigt, daß um 1250 Mann in eine gevierte Ordnung
zu bringen, 35 Mann in ein Glied gejtellt werden müſſen, wobei dann noch
25 Mann übrig bleiben, die „in Flügeln anzuhenden“ find.
2. Bon quatrirten Shlahtordnungen. Tafel von 81 bis 50176
Knecht, welche 3. B. zeigt, daß wenn ein Oberjt einen gevierten Haufen von
21 Mann Front haben will, er dazu 441 Mann braudtt.
3. Bon Schlahtordnungen des Driangels. Solche find zwed-
mäßig; denn „man kann mit joldhen Schlachten mit halbem Volck dem Feind
ebenfo ftard begegnen vnd ob er ſchon noch jouil volds hat“. Tafel von 50 bis
50000 Sineht. „An der erjten linien ftehen die fendlin (d. h. deren Zahl bei
einer Stärke von je 400 Mann), in der andern die jumma des Kriegßvolcks, in
der dritten, was in das erjt glid fumpt nach der braite, in der vierten lini,
was zu flügeln vberbleibt.* 3.8.: 7 Fähnlein = 2800 Mann werden fo auf:
geftellt, daß im 1. Glied 74 Mann jtehen; dann nimmt jedes Glied um 1 Mann
ab, und übrig bleiben 25 Mann. — Dies ijt eine höchſt merkwürdige und be=
1) Hanbichrift der Münchener Hofbibl. (cod. germ. 4179), 164 Duartblätter.
2) Handichrift der Wiener Hofbibl. (Nr. 10769— 10771.)
») Gräfl. Bibl. zu Wernigerode (L. 257). Bücherei des Verfaſſers.
718 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-funde.
fremdlihe Aufftellung; denn während im ganzen Lauf der Gejhidhte der Hei
immer mit der Spige angegriffen hat und daher auch „Spig“ heißt, will Lohr
mit der Breitjeite des Dreiecks angreifen; er bezwedt aljo nicht de
Stoßwirkung auf einen Punkt, jondern möglichjte Verbreiterung der gront
4. Vom Driangel. Tafel von 55 bis 50086 Mann, welche zeigt,
wieviel Mann ein Oberjt haben muB, wenn er eine gewiſſe Zahl von Leuten in
da8 breitejte Glied des Dreiecks jtellen will.
5—10. Sechs Büdhlin den langen Feldzug betreffend. „Rem
lihen wann 2, 3, 4, 5, 6 oder 7 Mann nebeneinander (auf dem Marche) ber:
zugen, wo vnd in welchem Glid der General fol abbreden.“ Tafel von 81 bie
50000 Mann. „Stehen bei allen Bühlin in der erjten Linien die Yendlin, in
der andern die ſumma des Volcks, in der dritten, in weldem Glid du abbreden
jolt vnd in der vierten wieniel mal du es thuen fannit . . . Aljo im einem
Zug von 3025 Mann giengen oder ritten 5 nebeneinander, jo brichſt (um auf—
zumarjchieren) in dem 55 Glied forn oder Hinden im zug ab und rudjt wider
mit 55 Glid neben denen, die jtill jtehen Her; das thuejt du 11 mal, jo wirt
dein Schlahtordnung quatrirt vnd bleibt dir fein Mann vber.“
Anhang: „Ausgeſetzte Shlahtordnungen, wie man fi gegen den
Feind im Fall der not verhalten ſoll“. Ausſchlagsblätter mit Zeichnungen,
welche darjtellen, wie gevierte Haufen von Triangeln anzugreifen jeien, meld:
mit der Breitfeite gegen fie vorgehen.
Lochnerd und Lohr Bücher find alſo Rechenknechte für
Oberjtwachtmeijter, wie Moras Opera nova von 1548 und wie
deren damals noch mehrere gerade in Italien erichienen. So gab
Girolamo KLataneo dergleichen Tavole brevissime heraus:
(Brescia 1567), welche er jpäter (1584) al3 Modo di formare con
prestezza le moderne battaglie dem 3. Buche jeiner Dell’ arte
militare libri cinque einverleibte!), und auch des Cigogna Trattato
militare (Venedig 1567) gehört im wejentlichen hierher?).
Die tariffe Cigognas bringen zuerjt Anordnungen für Reihbenmärid:
(bisse), welche nachweifen, wieviel Glieder, fi für jede Hundertihaft von 100 bi!
1200 Mann ergeben, wenn man 3, 4, 5 bis 12 Mann in ein Marjchglied ftelt
Aus den jo gebildeten Rottentomplexen geht dann der Schlahthaufen
(battaglia) hervor, welchen der Berfaffer, folange es fih nur um Fußvolt handelt.
durhweg voll bildet. Nach Tartagliad Vorbild unterjcheidet er die Battaglie
quadre di terreno von denen di gente, empfiehlt aber bejonderö den Quadro
un poco lungo, bei dem zu gunjten der Frontausdehnung die Zahl der Glieder
auf die Hälfte der Rottenzahl vermindert ift, alfo das breitgejtellte Rechted
— Cigognas Schlahtordnungen für Heere aus allen drei Waffen find jo vermwidelt
und phantaftiih, daß man jie nicht ernjt nehmen kann.
1) gl. Bibl. zu Berlin. — Franzöf. Lyon 1584. Latein. Genf 1600.
2) Bibl. der Berliner Kriegsalademie.
2. Das Fußvolt. 719
8 85.
Wenn man die umfangreichen Folianten des Frönspergerjchen
Kriegsbuchs von 1566—1573 betrachtet, jo iſt man geneigt, einen
bedeutenden taftijchen Inhalt darin vorauszujegen. Doch mit Unrecht!
Das wenige Bemerfenswerte, was die formale Taftif des Fußvolks
betrifft, it etwa folgendes:
Im 2. Buche des I. Bandes (1566) handelt Verfaſſer davon:
Wie Shlahtordnungen Durch die Regel Duadrat gemadt
werden.
Da heißt e8 u. a.: „Durch die Oberjten fol zuvor, ehe es die not ergreifft,
au den Regiftern durch Rechnung vberſchlagen, wie ftard ein jedlihes Fendlin,
Negiment und Hauffen jeyen an langen und furken Wehren, an Hadenjhügen,
an Perſonen und wehrhafftigem Kriegsvolck, darauß dann entjchloffen mag werden,
wieviel man Landtsknecht in ein Glied fan ordnen und ftellen, damit es ein
gevierte Schlahtordnung und Hauffen gebe. Denn wo die großen Heer oder
Feldtzüg jeind, jo jtößt man etiwae zwey oder drey Regiment zufammen, jo weil;
ein jeglicher Oberjter one zweiffel auß gemeldten Regijtern ſelbs wol, wie jtard
er an Schügen, Doppeljöldnern vnd einfachen Knehten, aud) an furken und
langen Wehren; derhalben er leichtlih vberichlahen fan, wieviel man Perſonen
in ein Glied ordnen wölle . . Dergleihen werden aud die Regiment vnd
Fendlin zertheilet vnd zertrennt, aljo daß fie werden vom Hauffen geſchickt ala
in Befagungen, Profandt oder ander zu beleiten auch auff ſonderliche Wacht
u. dgl. — Dergleihen jollen die Oberjten und Hauptleut gleichermaßen betrachten
vnd berechnen . . . Solche gevierte Schlahtordnung werden dermaßen gemadt,
wo mans an den Poppeljöldnern und Schügen gehaben mag, da man hinden
vnd vornen, dergl. auff beyden jeiten mit Doppeljöldnern und Schützen verwahrt
vnd verjorgt werde... Wo man jolde Schladhtordnung macht, jollen alle
Schügen bejonders geordnet und gerechnet werden; denn fie gehören in jonderliche
Hauffen vnd Glieder; fie werden auch gemeinlich an die gewaltigen Hauffen als
Flügel angehengt vnd gliedermweiß eingeführt... , Die Zalen der Perjonen und
der Fendlin find hin und wieder ungleich, jonderlic was die Spaniſchen, Jtalieni-
iden oder Welfhen Fendlin feind, die haben nit viel Perjonen . . . Es werden
auch vnder den Landtsknechten Schlachtordnungen durch den gel mit gejendten
Spießen gefchreg, kreutzweis oder durch den Dryangel vber einander gejchrerft
vnd dermaßen beſchloſſen gemacht, daß weder Rob noh Mann vor den Spitzen
der Spießeyſen einbrehen mag.“
An diefe Betrachtung jchließt fi) eine Tafel der Duadratwurzeln einer
Reihe von Gejamtmannfchaftszahlen als Mannzzahlen in Glied und Rotte.
Für die Führung des Gefechtes formiert Frönsperger vor allem zur
Einleitung desjelben einen „verlorenen Haufen“, für den aus jeder Rotte
ein Mann zu bejtimmen fei: „er thu es mit willen oder verlier'3 durch jpielen“
(ofen). Die Leute, welche zu ſolchen „Blut Fenle“ zujammentreten, nennt er
1720 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
„Laufer“ (wie der „Irewe Nat”). In das 1. Glied de „gewaltigenhauffens“,
des Gros, find die bejtgerüfteten Männer, Hauptleute und Doppeljöldner zu
jtellen, al8 2. Glied aber die beiten Hakenſchützen einzuführen; dann folgen bis
zum 7. oder 9. Gliede Spießer und im Kern die Kurzwehren. Der Oberjt oder
fein Leutenampt habe das Ganze zu umreiten und ſich zu überzeugen, daß die
Aufitellung in Ordnung jei.
Bemerkenswert erjcheint es, daß Frönsperger ſich gerade mie
Herzog Albrecht von Preußen [S. 713] für flachere Rechtede itatt
der tiefen Vierung ausſpricht.
„Wo es die malftatt oder der plaß erleiden, ijt e8 bequemer, daz jolde
Schlachtordnung nicht der vierung gerad durchaus jondern ſich mehr den breiten
weder den langen weg nad) eritreden, umb des Angreiffens willen. Es [hießen
jr viel in einem glied baß nebeneinander, dann fo jr viel in eim
glied hindereinander” — In den legten Worten tritt eine jehr ent:
ichiedene, zu jener Zeit nod) jeltene Anerkennung der Bedeutung des Teuer:
gefechtes hervor.
Beſſer als der über das Knie gebrochene, jchlecht gejchriebene
Tert Frönspergers orientieren über die damalige deutjche Taktik die
jeinem Werfe beigegebenen großen, in Kupfer geitochenen Ausſchlags—
bilder.
Der Stich, welcher die Zugordnung eines gegen einen Ausfall vorgebenden
Belagerungsheered darjtellt (I, vor ©. 59), zeigt die Spiehervierede als leidlich
breite NRedhtede, neben denen die Schüpen eine höchſt unbedeutende Rolle jpielen:
denn nur je eine Rotte von etwa 25 Mann geht jeitwärt® vorwärts jedes
Spieherhaufens u. zw. zu Einem pläntelnd vor. Der Berfafjer nennt dieje einzeln
hintereinander jchreitenden Leute doch „Flügel Hakenſchützen“.
Auf dem Stich, der eine Feldſchlacht darjtellt (I, vor ©. 63), gehen mehr:
rottige Halenjchügenflügel unmittelbar neben dem hellen Haufen der Spießer ber.
Der Kupferjtich, welcher den Sturm auf eine Feſtung abbildet (I, vor ©. 155),
zeigt das Fußvolk derart geordnet, daß den gevierten Spießerhaufen vor der Front
und auf den Flanken je drei Glieder Schüigen umgeben, die von den Piken durch
einen Abjtand von einigen Schritten getrennt find. Solden Saum nennt
Frönsperger „Führend anbangend Flügel“. Unmittelbar Hinter diefem aus
12 Fähnlein zufammengeftoßenen Pitenhaufen folgen noch 10 Spießerfähnlein,
welche hufeifenförmig angeordnet find u. zw. jo, daß die Arme rüdwärts Liegen,
fomit verhältnismäßig ſchmale Flügel von Pilenieren bilden, welche leicht rechts
und links aufmarjhieren und dem vorausgehenden Haupthaufen aus der Tiefe
ber zu Hilfe fommen fünnen. — Auch hier offenbart jih nod einmal ein
erfreuliher Reſt jener alten, guten Überlieferung, die vierzig Jahre früher der
„Trewe Rat“ zufammengefaßt hatte [$ 9).
Im I. Bande (1573) findet fich die Darjtellung eines Marjches (vor ©. 60\
Da bilden die Schügen große, jelbjtändige Haufen, welche die beiden äußeren
2. Das Fuhpvolf. 121
Marſchſäulen eröffnen und fließen. Den hier jehr tief geordneten Spießerhaufen
find feine Schügen beigejellt. — Bei einer anderen Marjhordnung „zwijchen
Geſchütz vnd Wagenburg“ (II, ©. 64) bildet „der gewaltige Hauffen Fußknecht“
ein Hoblviered, in welchem der „Droß“ marſchiert. Vor dem Haufen zieht in
jehr breiter Front eine Abteilung Hakenſchützen und vor diefer wieder der „verloren
Hauffen Knecht oder die 3 Blut Fenle“ (Spießer). Rechts diejer Vorhut marſchiert
ein quadratiſch angeordneter Schüpenhaufe, lint3 dagegen ein ebenfall3 quadratiicher
Spießerhaufe, dem auf der äußeren Seite ein Schüßenflügel angehängt iſt.
Bejonderes Intereſſe gewährt die im III. Bande (1573) gebotene Beſchreibung
und Darftellung einer „Bberlängten geuierten Feldtſchlacht Ordnung
mit angehengkten vier Fliglen Schützen“ (©. 132). — Frönsperger
rechnet auf 1 Regiment oder 10 Fändle Fußknecht 4000 Mann, darunter zum
wenigjten 1500 Hafenjhügen. Die übrig bleibenden 2500 Mann führen blante
Waffen: lange oder kurze Wehren, und werden in 59 Glieder zu 51 Rotten in
einen jehr tiefen, „vberlängten“ gevierten Haufen eingereiht. Bon den Schüten
werden 1000 Mann in vier Flügel, jeder zu 250 Mann formiert, welche mit
10 Mann in der front, aljo 25 Glieder tief, jeltwärts vorwärts, bez. jeitwärts
rüdwärts des gewaltigen Haufens ziehn. Bon den übrig bleibenden 500 Schützen
wird zunächjt ein Glied (aljo 51 Mann) Hinter das erjte Glied der Spieher ein-
geführt, und außerdem werden alle vier Seiten des großen Haufens mit einem
oder mehreren Gliedern Schügen umgeben. Bleiben deren aud dann nod übrig
(und das wären bei einem nur eingliedrigen Saum immer nod 229 Schügen),
jo mögen fie als „frey Schügen“ neben aus geführet werden. „Vnd wo eine
ſolche Feldtſchlachtordnung dermaßen gemacht vnd aljo in einem weiten geraumen
Feldt außgetheilt, jo ijt ſolches nicht allein ein luft zu jehen, iondern auch der=
maſſen bewahret, daß fein Feindt ohne jchaden daran etwas aufrichten wirdt
mögen.“
Alle die verjchiedenen Formen der Fußvolksanordnung, welche in den drei
Bänden erwähnt oder dargejtellt find, finden fich endlich vereint auf dem Bilde
einer Schlacht zwijchen Franzoſen und Keyſeriſchen (III, vor S. 139).
Die Mannigfaltigfeit der taftijchen Formen, welche
‚srönsperger bietet, läßt darauf jchliegen, daß diejelben jehr flüjlig
waren. Dies hat jeinen vornehmjten Grund wohl darin, daß nicht
allein der Eigenwille jedes Kleinen Kriegsheren oder Feldherrn neue
Normen aufjtellte, jondern dab jich überhaupt fein fejter Brauch
herausbilden konnte, weil das Neich, ja außer dem mit den Türken
beichäftigten Südojtgebiete auch fein größerer Neichsitand einen ernten
Krieg zu führen hatte. — Bemerkenswert ericheint es, daß Fröns—
perger des „Driangels“ gar nicht mehr erwähnt, weder des jpit-
noch des breitgeitellten, und daß er auch der Hohlformationen
als Gefechtsordnnung nicht gedenkt, wenigſtens nicht bet den Ehrijten;
denn nur auf einer Darjtellung der türkischen Schlachtordnung gegen
Jähns, Geſchichte der ſtriegswiſſenſchaften. 46
122 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
Ende des I. Bandes finden jich drei Hohlvierede von Bogenichügen,
in deren einem der Sultan reitet.
8 86.
Einem Heere, das wie das jpanijche inmitten einer großartigen
Kriegspraris jtand, mußte jich der Mangel feiter veglementarifcher
Formen lebhaft fühlbar machen, und jo beauftragte der Herzog Alba
einen jeiner tüchtigften Offiziere, den Maejtro de Campo Sancho de
Condoño, ein Dienjthandbuch zu verfafjen [S. 567). Don Sancho voll
endete dasjelbe 1568 und widmete es jeinem Auftraggeber. Es iſt nicht
verdeutjcht worden; doch bei dem großen Einfluß, welchen die Spanier,
insbejondere auf die Entwidelung der Infanterietaftif, im 16. umd
17. Ihdt. ausgeübt haben, muß auf dieje grundlegende Arbeit bier
doch einigermaßen eingegangen werden.
Londonos Werk führt den Titel: »Discurso sobre la
forma dereduzirladisciplina militärä mejor y anti-
guo estado« und erjchien erjt neun Jahre nach jeiner Vollendung
im Drud. (Brüfjel 1587.)
Spätere Ausgaben: Brüjjel 1589, 1596 '), Madrid 1593 9.
Die Spanier formierten ihr Fußvolf in „Tercios“, d. 5. wörtlich
Drittel, weil urjprünglich ein jolcher Haufe die Infanterie eines der
drei Treffen, jomit alfo ein Drittel des gejamten Fußvolks des Heeres
umfaßte. In der Folge nahm dann Tercio diejelbe Bedeutung an,
wie das deutjche „Regiment“, jedoch mit dem Nebenfinne einer Truppe,
in welchem die Offiziere vom Klönige ernannt wurden, und tm Gegen:
jage zu den vorübergehend angeworbenen Söldnerregimentern. Übrigen:
war der Tercio in höherem Sinne als das deutjche Regiment zugleid
ein eigentlich taftijcher Körper, ein „gewaltiger Haufe“ ; den
längjt hatte die jchweizeriiche Kampfweife in großen Biereden aud
den Spantern als Borbild gedient; die leicht beweglichen Cuadrillas.
mit denen jie aus dem 15. in das 16. Ihdt. übergegangen, waren
bei ihnen ebenjo verſchwunden, wie die Kleinen flachen Nechtede be
den Deutjchen. Im Tercio waren nun aud), gerade wie in der wejentlic
administrativen Einheit des deutichen „Regiments“, die verichiedenen
Waffen des Fußvolks vertreten; je mehr er aber als wirklich taktiſcher
1) Stabtbibl. zu Frankiurt a. M. (Mijchband Hisp. III, 12).
2) Kgl. Bibl zu Berlin (H. u. 20530).
2. Das Fußvolf. 123
Körper galt, um jo wichtiger war es, daß die Waffen eben in ihm
ſelbſt jachgemäß angeordnet und verbunden wurden. Dies traf jedoch
auf bejondere Schwierigkeiten, weil gerade bei den Spaniern die
Zahl der Feuerwaffen außerordentlich rajch zugenommen hatte.
An das Auftreten der ſpaniſchen Arcabujeros in der Schlacht bei
Pavia hatte jich der erjte große Erfolg der Feuerjchügen im freien
Felde geknüpft; jeitdem beſtand lebhafte Vorliebe für diefe Waffe im
Heer der Halbinjel, und namentlich Alba widmete ihr warme Sorgfalt
und Förderung. Rechnet Frönsperger 1573 auf eine Gejamt-
zahl von 4000 Mann: 2500 Spieße und 1500 Feuergemwehre, nimmt
aljo das Verhältnis der Waffen wie 5 zu 3 an, jo jtellte es ſich
unter Alba wie 1 zul. Denn diejfer Feldherr gab nicht nur jeder
einzelnen compania 20 Musfetiere bei, jondern fügte zu jedem Tercio
zwet überhaupt nur aus Schügen bejtehende Kompagnien. Eine jo große
Zahl von Feuerwaffen galt es nun, mit den Spießen in ein und dem-
jelben taftijchen Körper zu vereinigen, und die Löſung diejer jchwierigen
Aufgabe bildete einen wichtigen Teil des dem Londoño von Alba
gegebenen Auftrages.
Don Sanchos furzgefaßte Abhandlung umfaht die Organtjation
der compafiia, des tercio und des ejercito (Heeres), eine Erläuterung
der Offizierspflichten vom general an bi3 hinab zum cabo de escuadra
(Korporal), einige Angaben über Ausrüftung, Marſch- und Lager:
weſen und zuleßt die Kriegsartifel.
Londoños Tercio beiteht aus 10 Kompagnien: 8 Pilenier- und 2 Artebufir-
Kompagnien. Von erjteren zählt jede 200 Spieße, 100 Arkebuſen und 20 Mus:
feten (Gabelgewehre), während eine Schügenfompagnie 300 Artebujen und
20 Musteten zählt. Der ganze Tercio hat alfo 1600 Riten, 1400 Urtebufen
und 200 Musketen, i. G. 3200 Mann. Die bisherige Normaljtellung desjelben
war der volle gevierte Haufe gewejen: esquadron quadro de gente oder de
terreno. Londono ſchlägt jtatt deſſen das hohle Biered vor, weldes er,
u. 310. nur aus den Pileniren, in Quadrate der Kopfzahl bilden will, jo da aljo
in jeder der vier Fronten 40 Rotten in 10 Gliedern jtehen. Der Gedante,
welcher ihn dabei leitet, ift derjelbe, den Herzog Albredt von Preußen hegte, als
er das hohle Viered empfahl: Vergrößerung des Umfangs; doc während Albredt
(abgejehen von der Maäfierung der Artillerie im Hohlraum) dieje Vergrößerung
anstrebt, um mehr Waffen, mehr Spiehe zur Wirkſamkeit fommen zu lafien, it
Zondonos Abficht eine andere: er vergrößert den Umfang des Pilenir-
viereds, damit fih mehr Schügen unter die Spieße flüdten
fönnen, fall fie dem Feinde gegenüber das Feld nicht mehr halten können
46*
124 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer» und Truppen=flunde.
Den preußifchen Herzog aljo leitet der offenfive, den Spanier der defenfive Ge—
dankte. Diefer nahm demgemäß aud nicht das Geſchütz in den Haufen auf, welches,
bei Albredht, demasfiert, durch fein Feuer den Einbruch vorbereiten fol, jondern
er barg in dem Hohlraum (centro) Fahnen, Munition und Troß. Die 200 mos-
queteros wurden dem Bilenir-Edquadron an den vier Eden als jelbjtändige
Schüpenflügel angehängt und bildeten ſomit gewiflermaßen vier Pfeiler, zwiſchen
welche jich die Arkebufiere einzureihen Hatten, wenn fie auf den Schlahthaufen
zurüdgeworfen wurden. Falls fih alle Schügen unter die Spieße flüchteten,
jo ergab ſich für jede der vier Seiten des Duadrates ein Beja (guarnicion) von
Arcabuferos in 8 Gliedern, welder derart angeordnet war, daß die beiden
jelbjtändigen Artebufierfompagnien vorwiegend Front und Rüden, die Arkebufiere
der Pilenirtompagnien die Flanken des Vierecks gamierten. — Bei einer
Sgliedrigen Stellung der Schüßen vor den Spiehen hört aber der Begriff des
geld, durd den die jtachligen Bilenhaufen einjt jo furdtbar geweſen, völlig
auf; denn faum das erite Glied der Spieher vermag die Speereifen dann nod
mühfam vor die geblendete Front zu bringen. Londoños Gedanfe war daber
ein jehr unglüdlicher! Nichts deſto weniger jcheint er allgemein zur Aus—
führung gelommen zu jein, u. zw. (was noch jchlimmer) gewöhnlih ohne Ber:
größerung des Umfangs des Pileniresfadrons durch Aushöhlung desjelben. Dieje,
an einem unlöslichen inneren Widerſpruche krankende Formation ijt die legte
Konjequenz der zuerjt von Tartaglia vorgeſchlagenen Garnierung der Spießerhaufen
mit Schügen [S. 711).
Andere taktiſche Vorſchläge Londonos find vernünftiger: Einführung des
Gleichſchritts (den übrigens ſchon della Valle verlangt) und der Übungsmärſche
für das Fußvolk, Zuteilung einer Anzahl leichter Reiter zu jedem Tercio. — Am
wichtigiten aber ift der echt ſoldatiſche Geiſt, weldher aus dem gut und fnapp
gejchriebenen Buche atmet. Died gewährt eben ein treues Bild jener jtolzen
ipanifchen Armada, die i. 3. 1567 den berühmten Marih von Italien nach den
Niederlanden ausführte und in der der Nerv des Fußvolks, wie Don Sando
berichtet, vorzugsweife aus jpanifhem Kleinadel bejtand. Es fehlt dem Verfaſſer,
trotz oder beſſer wegen jener ſoldatiſchen Haltung, keineswegs an Auffhwung, ja
an poetiihem Glanze; jogar DVichterjtellen find eingejtreut, u. a. jene jchönen
Verſe der Jliade, in welcher die Ruhe und Ordnung der Griechen gegenüber dem
Geihrei und dem Drängen der Barbaren gepriefen werden. Das war ein
pajiendes Citat für Albas Heer. — Londoño ijt auch der Urheber jenes be:
rühmten Ausſpruchs, der jpäter in die föniglihen Ordenanzas überging: „Wir
jind Spanier, welche die Ehre höher achten ald das Leben und der Schande den
Tod vorziehn!“
In demjelben Jahre, in welchem Londono jeinen Discurso
vollendete, veröffentlichte der Capitan Francesco ferretti aus
Ancona, der bei Karls V. Heer in Languedoc Mut und Tüchtigkeit
bewiejen hatte, zwei militärtiche Werfe: die Libri due della
2. Das Fußvolf. 125
Össervanza militare (Benedig 1568) !) und die Dialoghi
notturni (Benedig 1568.)
Spätere Auflagen der Dfjervanza: Venedig 1577, Rom 1579; der
Dialoghi: Ancona 1580, Rom 1604 und Ancona 1608 (zuweilen u. d. T.
Diporti notturni).
Das erſte Buch der Osservanza ift ein Ämterbuch; das zweite gibt neben
allgemeinen Andeutungen über Sriegspfliht und Kriegskunſt eine in taktifcher
Hinfiht wertvolle Überfiht der Aufgaben des sergente maggiore. — Die Dia-
loghi noturni handeln von Schlaht und Marfchordnungen, vom Lager und von
der Terrainbeurteilung, namentlich auch Hinfichtlic der Anlage von Befeftigungen.
Am interefjantejten jind die durch Zeichnungen erläuterten Be-
ichreibungen einiger Schlachtordnungen im 2. Buche der Osservanza;
denn jie lehren, daß der Italiener den deutjchen Auffaffungen, wie
fie bei Herzog Albrecht und bei Frönsperger hervortreten, weit näher
jtand als denjenigen Londoños, von dejjen umorganijchem und jchäd-
lichen Anklammern an die Umfaffung des Spießerhaufens bei ihm
feine Spur zu finden iſt. Offenbar traut Ferretti wie Herzog Albrecht
von Preußen den Schügen die Fähigkeit der Selbjtbehauptung zu
und gliedert jie deshalb in jelbjtändige Abteilungen.
Vier Schladhtordnungen: 1. Battaglia di tereno di Fanteria
Italiana ijt ein Spießerhaufe ohne Beigabe von Kurzwehren, den recht? und
lints jchmalere Schüßenflügel begleiten (manica destra et sinistra de archibuseri).
— 2. Battaglia in forma di Croce, ein aus vier Pilenierhaufen gebildetes Kreuz,
dejien Winkel Schügenguadrate füllen, jo dab i. G. doch wieder ein großes
Viereck entjteht. Ferretti jagt: dieje Form werde von Schweizern und Gascognern
bevorzugt. — 3. Corno destro e sinistro archibugieri sbandati, Schüpenflügel,
die einem vieredigen Gewalthaufen nicht nur zur Seite, jondern aud) voraus-
gehen und nadfolgen, eine bei den talienern und den ſpaniſchen Veteranen
beliebte Anordnung, welche den beiten Schuß gegen die Handrohre der deutjchen
Reiter (pistoletti oder ferraivoli, soldati Tedeschi a cavallo) gewähre. —
4. Squadrone in forma di Luna: Kreisſtellung der piche armate; hinter
ihnen die leichter gerüfteten Spießer und die allabardieri; innerhalb des Kreiſes
das Geihüg; außerhalb desfelben in vier großen Trupps die archibugeri. Dieſe
Anordnung wird bejonders für den Fall empfohlen, daß man eines nächtlichen
Angriffs gemwärtig jei. Bei den Schügen jolle man daher »lumi«, d. 5. große,
ballonartige Windlichter verteilen. (Bemerkenswert erjcheint e8, daß zu Ferrettis
Zeit der Ausdrud squadrone, d. h. Biered, bereit3 identiſch iſt battaglione,
Schlachthaufen, fo dab Terretti ohne Zögern von squadrone in forma di luna,
alfo von freisförmigen Viereden ſpricht. Man fiegt: der Sprade iſt die Duadratur
des Birkels nit unmöglich!)
1) Bibliothef der Berliner Kriegdalademie (D. 555).
126 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
Auf einem noch freieren Standpunkte jteht der Bologneje Do:
menico Mora mit jeinem dem Herzoge von Barma, Ottavio Farneſe,
gewidmeten Buche Il Soldato (Venedig 1570.) !) — Im 1. Abjchnitt
handelt Mora von den Pflichten des Kriegsheren, der hohen Amter
und der Ritterjchaft, im 2. vom Fußvolk und deſſen Taktik, in den
beiden legten von der Befeſtigungskunſt.
Mora erörtert die Vorzüge und Nachteile der großen einfahen Gefechts—
formen: battaglie quadro di numero, battaglie quadro di terreno und bat-
taglie large in fronto, und entfheidet jih für die flahe Stellung,
u. zw. für die fehsgliedrigel Was das Verhältnis der Schügen zu den
Pilenieren anlangt, jo jhäßt er die vermutlich vorhandene Zahl der leßteren
bereit3 nur noch auf die Hälfte der Schüßen. Unter folchen Umjtänden vermögen
die Piken natürlich nicht mehr die Grundlage für die Formation zu geben, und
demgemäh ordnet Mora Spießer und Schügen, beide ſechs Glieder tier,
ganz einfadh in jelbftändigen Abteilungen nebeneinander an.
Damit war, wenigjten® in der Theorie, ein enticheidender Fortſchritt geicheben:
man war zurücgefehrt zu jener lojen, naturgemäßen Verbindung der beiden Fuß—
volföwaffen wie fie im 15. Ihdt. bejtanden, wie fie Seldened gelehrt Hatte [XV,
S. 325]. Der Unterfchied von damals und der neugerwonnenen Lage war nur der,
daß im 15. Ihdt. die Schügen ein Hilfßorgan der blanten Waffen gemeien
waren, während nunmehr die Pileniere eben nur nod) Soutiens der Schügen
bildeten. Es ijt derjelbe Weg, den Moriz von Dranien einjchlug.
Im Übrigen ahmt Mora zu fHlavifc der Antike nad; es macht jeltjamen
Eindrud, wie er jid) bemüht, die Schlahtordnungen des Cäſar oder des Pompejus
als unmittelbare Vorbilder für die eigene Zeit darzuftellen.
8 87.
Auch bei den Franzoſen zeigt jich jtarfes Schwanfen in der
Wahl der Infanterieformationen. In einem von 1540 datierten
Manufkripte Jacques Chantereaus, welches dem Könige Francois 1.
gewidmet ijt und auf der Pariſer Nationalbibliothet aufbewahrt wird
(ms. franc. no. 8), jtehen die eigenen Wünſche des jachfundigen
Berfafjers mit den aufgeführten Beifpielen aus dem praftiichen Krieg
(eben gelegentlich in vollem Widerfpruche. So befürwortet Chantereau
in diefem Miroir des armes militaires et instruction des
gens de pied die Anwendung von Bataillons, welche zwei bis
dreimal mehr Leute in der Front als in der Tiefe haben.
Ein battaillon de 4000 picquiers fteht 3. B. in 100 Rotten und 40 Gliedern;
die Flanken find womöglich mit Gendarmes einzurahmen; den Ktern bilden 630
ı) Kol. Bibl. zu Berlin (H. u. 15670).
2. Das Fußvolt. 127
Hellebarden. — Ein Pitenierbataillon von 10000 Mann formirt ſich in 169 Rotten
und 63 Glieder; 13 Mann jtehen auf den Flanken der Fahnenräume, die von
1413 Hellebardieren eingerahmt werden und 23 Fahnen aufnehmen.
Ganz anders, nämlich weit tiefer als breit, wurden aber
franzöfiiche Heerhaufen in Wirklichkeit angeordnet:
La forme en bataillon des gens de pied Frangoys lequel
conduisoit Msgr. le marechal de Monteian & la venu de Msgr. le daulphin
en Piedmont pres le lieu Sainct-Amboise : Ein Battaillon von 4462 Mann,
u. zw. 338 corselets (Gewappnete Spießer) 2552 piques ordinaires und 1572
hallebardiers ; 65 Rotten, 68 lieder und drei Glieder Fahnen. Da die Glieder:
abjtände größer find als die Rottenabjtände hat der Schladhthaufen ein Verhältnis
der Frontbreite zur Tiefe wie 2:3. — Die linfe Flanke des Bataillond wird
von einem Arkebufierflügel gededt, deſſen Tete die des Pifenierhaufens überragt
und der 27 Mann in der Front und 65 in der Rotte zählt. Ein zweiter Schügen-
baufe folgt dem Bataillon der blanten Waffen in breiter yormation: 65 in der
Front bei 27 in der Rotte.
Die Einzelvorichriften Chantereaus über die Anordnung der
Haufen jind jchwerfällig und verwidelt und laſſen es begreifen, daß
fie den Sergents de bende und den Sergents de bataille arge
Mühe und viel Zeit Fojteten, während aus den Reihen der unge:
duldigen Majje »se sourdent grands cris et murmures.«
Unter dem Namen »limassone«e beichreibt er die gemwundene
Marſchkolonne der Infanterie. Denjelben Ausdrud braucht bereits
Molinet !) von einer Bewegung des deutjchen Fußvolks, welche dies
auf Befehl des Grafen Friedrich v. Zollern 1488 um feine Feuer
auf dem Marftplage zu Brügge ausführte: eine Bewegung, die den
glimmenden Aufruhr der Städter zum Ausbruche brachte. Eingehender
childert dieje „Schnede“ der Arzt Aler. Benedictus als Augenzeuge
der Truppenichau Lodovicos von Mailand über das von Georg
v. Ebenjten ihm zugeführte Faijerliche Kriegsvolk (1495.) ?)
Entjchtedener noch als Chantereaus Miroir tritt eine andere
anonyme und titelloje Handjchrift der Pariſer Bibliothek (no. 7743)
für Die „überbreiten* Wechtede ein, welche man bataillons pro-
portionnes nannte, weil es jich bei ihrer Aufitellung darım handelte,
ein bejtimmtes Verhältnis von Breite und Tiefe (3.8. 4:3) durch
richtige Verteilung der Mannjchaft in Glieder umd Rotten zu ges
winnen. Die Handjchrift gibt den Kalkul, den die Sergents-majors
Dabei anitellten, wie folgt:
1) Chroniques de 1474—1504. (III, 207.) *) Bei Eccard Corp. hist. II, 1612.
128 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensftunde.
3600 Mann find in ein volled Bataillon zu ordnen, deijen Front fich zur
Tiefe wie 4:3 verhält. Wie ftarf werden die files (Rotten), wie ſtark die rangs
(Glieder)? — Bier mal 3 = 12; 12 mal 3600 = 42200; die Wurzel daraus
iſt 207; diefe Zahl dividiert durd) 3 ergibt 69, die Zahl der Rotten; 207 dividiert
durch 4 ergibt 51, die Zahl der Glieder. Übrig bleiben 81 Mann, die auf den
Flanken der Fahnen zu verteilen find.
Neunzehn Jahre jpäter als Londoño bejchäftigte jich ein fran—
zöjticher Heerführer mit dem Problem, Schügen und Spieper
in befriedigender Weije unmittelbar zu ein und dDemjelben
Schlahtförper zu verbinden; es war de la Noue [$ 36), der
zu diefem Verjuche durch die überaus jchlechte Mannszucht der fran-
zöſiſchen Schüßen veranlaßt wurde, welche den Gedanken, daß dieje ſich
ohne direkte Unterjtügung der Pikentere jelbjt behaupten fünnten, gar
nicht auffommen ließ. De la Noue findet denn auch fein anderes
Mittel zur feiten Verfoppelung der beiden Waffen als das hohle
Viered wie Londono. — Der Hugenott jtellt das „PBaradoron“
auf: 2500 Doppeljöldner und 1500 Schüßen fünnen fich, jogar auf
freier Ebene, drei Meilen Weges ungefährdet gegenüber von 2000
Kürifjern oder Speer-Keitern in Sicherheit bringen. — Die Löſung
einer jolchen Aufgabe galt alfo anfangs der achtziger Jahre in Frank:
reich, wie aus La Noues Ausernanderjegung hervorgeht, noch als
unerhört, oder, richtiger gejagt, ald wieder unerhört, u. zw., wie
der wacere Capitaine verfichert, weil die langen Spieße, der Zahl
wie der Handhabung nach heruntergefommen jeien und an ihrer Statt
das „hilfloſe“ Schügenwejen jo arg um jich gegriffen Habe. La Noue
it der Meinung, daß jenes Problem auch nur unter der Voraus
jegung zu löjen jei, daß man über tüchtige8 Spießvolk gebiete, wie
er e8 in den 2500 gerüfteten Doppeljöldnern vorausjegt.
Er fjormiert zwei hohle Schladhthaufen, jeden zu 1250 gerüjteter Spieher
und 750 Schüßen, von denen der eine 80 Schritt jeitwärtssrüdwärtö des anderen
marjchiert, um fo eine gegenfeitige Flankierung zu ermöglichen. Jeder Haufe iſt
folgendermaßen jormiert: In der Front 7 Glieder Spießer zu 50 Rotten, danadı
10 Glieder Schüpen, in deren Mitte das Fahnenglied; in der Queue 6 Glieder
Spieher. In jeder Flante 6 Glieder Spieher zu je 50 Mann. Bleiben übria
250 Schügen, unter denen jid) die Mustfetiere befinden, die mit dem ſchwereren.
bejier treffenden Gabelgewehr ausgerüftet jind. Diefe Schügen bilden num vier
Abteilungen zu je 60 Mann, ſcharmuzieren rottenweije dor den Spießern und
ziehen fich, fall die feindliche Neiterei angreift, unter die Spieße des erjten
2. Das Fußvolt. 129
Gliedes zurüd, indem fie hier niederfnien und fortfahren zu feuern. Die jo ge-
ordneten Haufen werden im Stande fein, jchnell nad allen Seiten Front zu
machen und jede Attaque wirffam abzufchlagen.
Vergleicht man de la Noues Vorjchlag mit demjenigen Londoños,
jo ergibt jich, daß bei dem Franzoſen die Spieße brauchbar bleiben,
da jie nur von einem einzigen Schügengliede umjäumt werden. Dafür
aber werden, mit Ausnahme diejes einen Gliedes, wieder jämtliche
Schüten zur Untätigfeit verurteilt. Daraus erhellt, daß eine jolche
Verquickung der beiden Fußvolkswaffen in ein und demjelben taktischen
Körper an und für jich und auf jede Weiſe verfehrt und daß der
Fortſchritt in anderer Richtung zu juchen war, nämlich in der der
freten Vereinigung beider Waffen und in der der Verkleinerung und
Verbreiterung der taktiſchen Einheiten.
S 88.
Für den Gedanken der Frontverbreiterung treten denn
auch zwei gleichzeitige ſpaniſche Schriftiteller, Waldes und Eguiluz,
ein; da fie denjelben jedoch nicht mit dem der Gmanzipation der
Schügen und dem der Verkleinerung der taktiichen Einheiten verbinden,
jo fommen doch auch fie wieder für den Notfall auf die Anwendung des
Hohlvierecks zur Aufnahme der bedrohten Schüten zurüd.
Der Maejtro de Campo Francisco de Daldes widmete 1571
dem Herzoge von Alba jeinen »Espeio. Disciplina militar,
en el qual se tratta del officio del Sargento Mayor«, und es tt
nicht unwahrjcheinlich, daß auch dies Werf wie dasjenige Londoños,
auf unmittelbare Anregung des Herzogs zurücdzuführen ift. Es erjchien
jedoch erjt vier Jahre nach dejjen Tode 1586 zu Brüfjel.
Spätere Auflagen: Brüffel 1589, 1590, 15961); Madrid 1591; Ant—
werpen 1601.
Baldes „Spiegel“ iſt in Pialogform gejchrieben: Londoito und Bargas
unterhalten ſich „an den Ufern des jchönen Rheines“ über die Aufgaben des
Sargento mayor. Waldes warnt vor der Anwendung des esquadron de gente,
weil diejelbe nur allzuleiht zu dem esquadron prolongado, dem übermäßig
tiefen Haufen der Schweizer, ausdarte, der in der front jchmaler ſei als in der
Flanke. Er empfiehlt als Grundftellung das Rechteck mit breiter Front
(esquadron quadro terreno mas proporcionado). In diefem Sinne habe der
Herzog von Alba, als er Oranien an der Maas gegenübergejtanden, die 1200
I) Stadtbibl. zu Frankfurt a. M. Dieje Ausgabe, mie die von 1589 ift unmittelbar mit
Londorios Werl verbunden, was auch durch einen gemeinjamen Titel zum Ausdruck gebradt ift.
130 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensfunde.
picas aller drei ſpaniſchen Tercios, über welde er verfügte, zu einem Rechter
von 60 Rotten in der Front bei 20 Gliedern Tiefe vereint. Dies folle man zum
Mufter nehmen. Die Garnierung eines jolhen Pifenviered® mit arcabuzeris
jei jo einzurichten, daß fie höchſtens 5 Glieder tief vor den Spießen ſtehe; met:
vermöchten dieſe unter feinen Umftänden zu deden. Den übrig bleibenden Reit
der Schüßen möge der Sargento mayor dem Esquadron als Flügel (mangas)
an die Eden hängen. Dadurd erhaltet jold) esquadron bien formado ein:
glüdlihe Ähnlichkeit mit einem Feſtungswerke (castillo); denn die
Fronten desjelben glihen den Gurtinen; die Mangas aber, welche vor dieſen
Kurtinen Kreuzfeuer unterhielten, erfüllten die Aufgabe der Baſtionskavalliere
(eaualleros), Alle Arkebuſiere jeien freilich auch auf ſolche Weiſe ſchwerlich
unterzubringen; der Reſt müſſe frei bleiben; und angeſichts ſtarker feindlichet
Reiterei ſei man dann allerdings genötigt, zu ihrer Rettung den Esquadron alt
hohles Viereck zu formieren und ſie in deſſen Mitte aufzunehmen, Es jei
aber eifrig dahin zu ſtreben, die beſtändige Vermehrung der Schützen zu verhindern.
Die wandelnde Feitung des Baldes mit der mehrgliedrigen
Schüßengarnitur und den Schügenbajtionen auf den Eden iſt dem
in der Tat die Normalformation des ſpaniſchen Fußvolks
geworden, welche ſich auf das der Dfterreicher übertrug und nod
im dreißigjährigen Kriege überall in den katholiſchen Heeren herrichte.
In demjelben Jahre 1586, da Baldes „Spiegel“ erichien, voll
endete der Biscayer Martin de Eguiluz jeine»Milicia, Discurso
y Regla militar.«e Doc) erjchien das Werk erjt 1592 zu Mapdrid.')
Spätere Ausgaben: Madrid 1593, Antwerpen 15%.
Die Schrift zerfällt in zwei Bücher. Das eine behandelt den Dienſt der
Infanterie, das andere die Aufgaben der höheren Befehlöhaber, d. bh. die des Maestro
de campo general de un exercito, die de Lugar teniente del Capitan General
und die des Capitan General jelbit.
Über die Fußvoltstaktitk handelt Eguiluz bejonders im 8. Kapitel des
1. Buches. Er jchildert zuerjt den Quadro de gente, in&bejondere den vieredigen
Haufen, in dejjen von Spiehern frei gelaſſenem Innern (anima) die ungerüjteten
Spießer (picas secas), jowie die Arkebufiere, die Schanzgräber (guastadores)
und die Bagage Schuß finden. Meijt find feine Esquadronen mit Flügeln von
Schügen verjehen (con volante). Gelegentlich formiert er die ganze Mafje auch
in vier Sonderabteilungen zum Kreuz (en cruz), dejien Mitte dann der depo-
sito der genannten ficher zu jtellenden Abteilungen bildet. — Den Quadro pro
longado erflärt Eguiluz wie Waldes für unzweckmäßig; wie diejer ſpricht er ſich
zu Gunjten de8 Quadro de terreno aus u. zw. wieder mit Vorliebe für das
hohle Viered, das im Stande ijt, Schügen und Fahrzeuge zu bergen. Bei—
’) gl. Bibl. zu Berlin (Sammelband H. u. 20530). — GStabtbibl. zu Frantturt a. M.
* (Sammelband. Hisp. III, 12.)
2. Das Fußvolt. 731
läufig wird der feilförmigen und kreisförmigen Ordnungen gedacht. — Bedeutend
ift feine Museinanderfegung de8 Zufammenmirfens dreier Haufen als
eine organifhe Schladteinheit, (Tres esquadrones quadros de terreno
hechos de uno); es iſt da8 eine Anordnung, die uns vielfach auf den Schlachtfeldern
der Zeit begegnet und die von W. Rüſtow in feiner „Geſchichte der Infanterie”
al8 die „jpanifhe Brigade“ bezeichnet wird, ein Name, der freilih in den
Originalquellen nicht vorlommt. Das eine Esquadron marſchiert dabei im erjten,
die beiden anderen im zweiten Treffen,
Im wejentlichen auf ganz demjelben Standpunkte wie die Spanier
ſteht der erjte taktiſche Schriftjteller, welcher ſich aus dem Lager ihrer
Gegner vernehmen läßt: Andrian Dupk, der übrigens, wie er jelbjt
bemerft, 3. &. aus dem Franzöfiichen überjegt hat. Das jehr jeltene
Bud führt den Titel: „Inftructie van de Crjichs-oorts—
itellinghe, allen hoofden Beleyders van Armeyden van Voetvold
ende anderen Chrijchslaft hebbende nut ende dienjtelijt. Eensdeels
unten Franchoyſchen in onje Nederlandiche tale overghejet, eensdeels
ook bij ahevvecht, vermeerdert ende verandert door de arbeyt van
U. Duyk.“ (LXeyden 1588.) !)
Die Schrift ift dem Generallieutenant von Holland und Seeland, Grafen
Bhilipp von Hohenlohe gewidmet und zerfällt in drei Bücher.
Bud) 1 handelt von den Slaadyoorden vier cants volcr (arithmet. Quadrate),
Bud 2 von den Slachoorden viercant3 aerdens (geometr. Duadrate), Duyt
wiederholt Hier nur feine Vorgänger. Die Zahl der Schügen aber zeigt ſich ge—
wachjen: während jie 20 Jahre früher unter Alba eben nur der der Pilten gleid)-
tam, rechnet Duyk bereit reglementarifc) auf je 40 Spiesdraghers 60 Schutten.
— Im dritten Buche erklärt der Verfafier die Mittel, „omme t’eene Slaachoorden
haejtelijt in t’andre te veranderen met enighe meer bederf zijnde kuntjchappen“.
Auch Hier wird Belanntes vorgetragen; erwähnenswert ift etwa, daß die vier-
tantigen Schlahtordnungen nicht nur zu dreien, jondern auch zu fünfen im
Marſchſäulen abbrechen, (marcherende tot vijf voor't glit). Den Spießerfern der
Vierede umgeben ſtets 3 bis 4 Schügenglieder (Stadyoorden viercant® alomme
met Schutten ghewapent), und „de rejterende mannen” werden als „VBleugelen“,
d. h. als Schügenflügel, an die vier Eden gehängt — ganz wie bei Baldes. —
Auffallend ift aber, daß Duyk nirgends von hohlen Viereden redet, die dod)
eben damals bei Franzoſen und Spaniern ebenjo in Gunſt jtanden, wie Ferrettis
Verfiherung zufolge, auch bei den Hocdeutichen. Sie jcheinen von den Nieder:
ländern alfo abgelehnt worden zu jein. — Adr. Duyf jtarb 1620 im Hag.
Im Jahre 1592 jchrieb Chriſtöbal Kechuga, ein Andalufier,
damals Capitan, jpäter Sargento General de Batalla und General-
!) Deflauer Bebörbenbibl. (10961: 6015 B.)
7132 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer» und Truppensftunde.
lieutenant der Artillerie in Flandern und Mailand, einen Discurso
en que trata del cargo del Maestro de Campo General
der jich ganz vorzugsweile mit der Infanterietaftif bejchäftigt. Bevor
er jein Werf dem Könige widmete, legte er es einer Reihe hervor-
ragender Perjönlichkeiten zur Prüfung vor: dem Coronel de Mon-
dragon, dem Grafen Karl von Mansfeld, dem Coronel Verdugo und
dem Marechal de Trance, Seigneur de None (Rohan). Ihre jebr
günftigen, doch durchaus jachlich gehaltenen Beurteilungen, welche
a. d. 3. 1593— 95 jtammen, jind dem Werke vorgedrudt. Die
Widmung an den König datiert von Antwerpen 1599; im Drud
erichien das Bud) jedoch erit 1603 zu Mailand. !)
Stalienifche Überfegung Mailand 1606.
Lehugas Arbeit ijt an und für ſich wertvoll und wegen der autoritativen
Gutachten von bejonderem Jnterejie für die Kenntnis der in den leitenden Kreijen
des jpanifchen Heeres herrihenden Anichauungen. Während in der erjten Hälite
des Werkes die Aufgaben des Maestro de Campo General, d. 5. des General:
ſtabschefs, auseinandergejeßt werden, ift die zweite Hälfte rein taktifchen Inhalte.
Da zeigt ji) denn ein immer weiteres Bordringen des Gedankens der Front:
verbreiterung. Die Stellungstafeln, welche Leduga bietet, beziehen ſich nicht
mehr auf die Unordnung quadratifcer Gemwalthaufen, jondern auf die Herjtellung
der esquadrones proporcionales von doppelt bis jiebenfad
größerer Front als Tiefe. Bier folder mehr oder minder flachen Rected:
Esquadron de troncos con su Esquadron passado
placa vacia passado del Cruz
[_ e_] |
en I I]
|
jtellt nun Lehuga je nah Umjtänden zu hohlen Viereden zujammen, deren
einzelne Seiten er dann als trongos (Stümpfe, Abjchnitte) bezeichnet und danad
das Hohlvieret al® Esquadron de trongos con su plaga vacia nennt. Die
leere placa nahm die zurücdgeworfenen Schüßen auf. Übrigens brauchten die
Troncos nicht unbedingt zum Hohlviered zujammengefügt werden; fie konnten
auch im Sinne der von Eguiluz erläuterten Kreuz: oder Staffelitellung angewendet
werden, und eine jolche mochte ſich gelegentlich dadurd ergeben, dat man die
beiden Flanten-Trongos eines Hohlviered? gegen die Front einſchwenken lieh.
1) Bibl. der Berliner riegdalademie (D. 4110.) Franffurter Stabtbibl. (Hisp. III, 12.)
2. Das Fußvolt. 133
Dann bildeten fie ein zweites Treffen hinter dem früheren fyront-Trongo, während
der Rüden» Tronco zum dritten Treffen wurde‘). — Aud die Kreuzordnung
(Esquadron passado del Cruz) würdigt Lechuga forgfältig; fie konnte leicht
zu einer ähnlichen Treffenftellung ausgebildet werden. — Auffallend aber ift es
und mutet ſeltſam ardaijtiih an, daß aud) der esquadron triangulado nod) ein=
gehend beiproden mwird.
8 89.
Wie Lechuga die Entwicdelung der Infanterietaktif der Spanier,
jo faßt ein Neapolitaner, Cejare d’Evoli, diejenige der Italiener
zujammen, leider gerade unter Außerachtlafjung des modernjten und
zufunftsvolliten unter ihnen, de8 Mora. Evolis Schrift Dell
ordinanze e Battaglie erjchien 1593 zu Rom.
Evoli jegt 13 Arten der Anordnung des Fußvolks auseinander und erläutert
jie durch genau ausgeführte taktiſche Grundriffe. Eine orientierende Einleitung
über die Bewaffnung der verjchiedenen Truppen und über die Aufgaben des
Sergente jowie über die Elementargrundfäge der Infanterietaktik eröffnet das
Verl. Die drei Waffen, aus denen das Fußvolk bejteht, find die Picchieri,
die Archibuggieri und die Arme d’hasta e rotelli. Das Verhältnis derjelben
in der erjten Schladhtordnung ift wie 658: 392: 62, wobei den Rundjchildnern
die Aufgabe der Fahnenwache im innerjten Kerne ded 27 Glieder tief gejtellten
Pilenierhaufens zufällt, während die Schüßen in zwei gleich ſtarken Flügeln,
14 Glieder tief derart vor die Front gejhoben find, daß ihr legtes Glied mit
dem erjten der Spießer abjchneidet. Ein andermal formiert Evoli 4 Flügel
(manipoli) von Schügen, an jeder Ede des Biered3 einen. Bemerkenswert aber
iſt e8, da er vielfach bedeutend größere Maſſen von Schüßen als von Pilenieren
annimmt, meift jogar doppelt jo viel. Dann ordnet er jene in Flügeln an, die
ebenjo tief find als der helle Haufe, jchiebt womöglid noch ein weiteres Echelon
von Schüßen rechts oder links vorwärts; ja fogar über eine ſolche Staffel greift
er wohl noch durd einen Trupp berittener Arkebuſiere hinaus. Auch hohle
Vierede gejtaltet er (quinto modo), u. zw. derart, daß die Spieher ein Kreuz
formieren, deſſen Mitte offen bleibt, um die Schügen, welde für gewöhnlid in
den einfpringenden Winkeln des Kreuzes jtehen, im Fall eines feindlichen Reiter-
angriffs aufnehmen zu fünnen.
8 90.
Das Ergebnis, zu welchem den Mora im Jahre 1570 jeine
Studien geführt [S. 726], das wurde endlich gegen Ende des Jahr:
1) Auf biefe Weile jucht der General Köhler die Entitehung der oranijchen Brigabeaufftellung
in ihrer geſchachten Orbnung zu erflären, wobei er aber nicht an Lechuga anfnüpft, jondern an das
Hohlviered Londorios [8 85). Ich teile dieje Anihauung nicht, bin vielmehr der Meinung, daß bie
eranifche Ordnung eine bewußte und freie Nachahmung der von Polybios geichilderten Aufftellung der
römiichen Legion if. [XVI.a $ 1 u. 69.)
734 Das XVI Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
hundert, u. zw. offenbar ganz unabhängig von jenen italientichen
Theorien, auf den Schlachtfeldern der nafjauischen Fürſten zu epodıe
machender Sriegspraris!
Jener Graf Philipp von Hohenlohe, welchem Adrian Duyk i. 3. 158>
jeine „Inſtructie“ gewidmet [S. 731], war Mentor des jungen Brinzen
Moriz von Dranien, Grafen von Najjau, der vielleicht nid
die politische Bedeutung jeines großen Vaters Wilhelm hatte, der diejen
jedoch als Kriegsfürft entjchteden überragte. Die früheiten, wiſſen
Ichaftlih gefaßten Nachrichten über die epochemachende Taktik Ddieje:
Prinzen verdanfen wir einem jeiner Vettern, dem Grafen Johann
von Lafjau-Siegen, von dem jchon die Rede war und von dem aud
jpäter noch mehrfach zu sprechen jein wird [$ 38. XVILa 8 69.
Sohann, fünf Jahre jünger als Moriz und deſſen begeilterter Verehrer,
fam zuerjt 1592 auf den niederländijchen Kriegsſchauplatz, wohnte
jpäter dem glorreichen Feldzuge von 1597 bei, in welchem Moriz die
Spanier bei Zournhaut zerjtreute, Aheinbergen, Moers, ſowie die
Plätze Overyſſels nahm, und machte hier jene „Annotationes“
über die Taktik Oraniens (Alt. Dillenburger Archiv K. 971 in Wie:
baden), welche den beiten Begriff von den Anfängen der neuen Taktil
geben. — Die Grundgedanken diejer Taktik jind: Srontver
breiterung, Selbjtändigmahung der Schüßen, Ber:
fleinerung der Einheiten, flache Aufjtellung derjelben,
aber Vertiefung der Schlahtordnung dDurd ein reich ge:
gliedertes Treffen-Syſtem.
Das „Regiment Fußvolt“ Oraniens bejteht aus 250 Doppeljöldnern
(Spiehern), 100 Mustetieren und 200 Schützen (Arkebufieren); es zählt alſo
ohne die Befehläleute 550 Mann, erreichte aber diefe Stärke nicht immer. Dos
aud in diefem Falle ſtieß man nicht mehrere Regimenter zu einem „Treffen“
(d. h. hier Schlachthaufen) zufammen, jondern bildete grumdjäglich jeden Haufen
aus einem NRegimente. Die Doppelföldner, der altüberlieferte Halt der Schlacht:
ordnung, deren man möglichjt viel zu haben wünſchte, ftanden in der Gefechté—
jtellung des Regimentes in der Mitte. Rechts und links an jte reibten
jih je 50 Musketiere, „weil die das ſchwerſte Gewehr ift und-gemeiniglich die
beiten Soldaten“. Sie feien den gemeinen Schüßen „in jeder Hinjicht vorzuziehen
und unbedenklich auf Koften der lepteren zu vermehren“. Auf den Flügeln
jtanden die gemeinen Schügen. Dede diefer Abteilungen — troups nennt jıe
Naſſau — war als jelbjtändiges taktifhes Individuum gedadht, was daraus
hervorgeht, daß jeder troup jeinen eigenen Befehlshaber hat. Die Fahnen
jtanden bei den Pilenieren. — Die Doppelföldner jtellte Moriz anfangs 10 Glieder
2. Das Fußvolt. 135
tief, alſo ald ein Rechteck von 25 Mann in der Front und 10 Mann in der
Flanke. Im der Folge aber verdoppelte er die Frontbreite der Spieher, ordnete
jie nur fünfgliedrig an und bildete jo Spießerredtede von 50 Mann in der
Front und 5 Mann in der Flanke). Musteliere und Schügen jtanden 10 Mann
hoch. — In Bezug auf die Dichtigkeit der NAufftellung unterjhied man
ordinati, densati und constipati. Ordinati iſt 6 Schuhe Abſtand Hinter und
nebeneinander; Densati d. i. „Schließt euere Reihen !” daß fie fi mit den Ell—
bogen anrühren; Constipati d. i. „Schließt euere Glieder!” jo hart fie können
aufeinander und haben diefe Ordnung aud die Römer gebraudt. — Zwijchen
den Troups wurden „Gaſſen“ frei gelajien, um die jelbjtändigen Abteilungen zu
jondern und den Schügen, welche gefeuert, Raum zum Zurüdgehen zu bieten.
Ein Zeil der Schügen jcharmuzierte ftet3 vor der Front und zog ſich nur in Be—
drängnis auf die Flügel des Regiments zurüd; au nahm man während eines
itehenden YFeuergefechtes wohl die Musketiere in zwei Gliedern vor die Front
der Doppeljöldner, um ihnen eine breitere Feuerlinie zu gewähren ?®).
Wurden mehrere Regimenter zu einer Schladtordnung ver=
einigt, jo blieben zwijhen ihnen Gafjen von Regimentöbreite, und die hinter
den andern jtehenden Regimenter (d. h. aljo das 2., bezw. 3. Treffen nad) unferm
Sprachgebrauce) wurden „uff den jeiten“ geordnet, damit die vorderen nicht in
Unordnung gerieten „wann ihre Mitgejellen zu dem Streidy fommen, wie aud)
ihre Mitgejellen, jo fie entjegen jollen, Pla haben, neben ihnen zu fechten“.
Dies ift die berühmte ſchachbrettförmige Shlahtordnung Oraniens,
welche offenbar dem Quincunx der Römer nachgebildet ijt und diejelben taftijchen
Zwecke verfolgt wie diefer [A. $ 17].
So oft als möglich jtellte Morig jein Volk in Schladhtordnung, daher dieje
den Leuten „jo gebräulich“ war, daß fein Oberjt dabei zu fein brauchte. Und
es blieb auch immer bei ein und derjelben Schlahtordnung, jo jehr der Prinz
ſich perſönlich noch mit ihrer Verbefjerung bejchäftigte, damit nicht jeder Oberjt
oder Kapitän jich beliebige Veränderungen erlaube.
Die Zugordnung entwidelte ſich jehr einfach aus der Schladhtordnung,
indem vom rechten Flügel an in Frontabteilungen von je 5 Mann abgebrochen
wurde, jo daß aljo die gemeinen Schügen den Zug eröffneten und jchlofjen.
8 91.
Nur ein Jahr jpäter als Graf Johann jeine Annotationen machte,
veröffentlichte ein britiicher Offizier die erjte nennenswerte kriegswiſſen—
Ihaftliche Arbeit, welche überhaupt in englischer Sprache gejchrieben
worden tit: »The Theorike and Practike of moderne
Warres, discoursed in Dialogue wise« by Robert Barret.
London 1598.) 3)
y Im einer jpäteren Abichrift der Annotationes, weldhe Graf Johann wieder mit eigenbändigen
Randbemerkungen verjehen hat (Dillenburger Archiv K. 924, ſeriegebuch T. III) heißt es ausdrücklich
„Sonderlidh nur 5 Glieder hintereinander, die Doppelföldner belangent.”
2) Ebva. 2) Landesbibl. zu Caſſel (Milit. gen. fol. 22).
136 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
Barret hatte in franzöfiichem, italienischem, jpantichem und
niederländischem Dienfte gejtanden und fannte überdies, wie jein jora-
fältig gearbeitetes Buch beweiſt, die bisherige Militärliteratur ſehr
genau. Sein militäriſches Vorbild jind die Spanier; ſpaniſch üt
auch das jchöne Motto jeines Werkes: Ozar morir da la vida!
Das 1. Bud ijt eine allgemeine Einleitung, das 2. ein kurz gefaßtes
Amterbuc, welches die Pflichten der Rangitufen vom caporall bis hinauf
zum captaine of infanterie auseinanderjegt. Das 3. Buch handelt von Legion
und Phalanx, um dann zur modernen Elementartaktif und zuden Schladt-
ordnungen der Heere überzugehen. Lebhaft jegt Barret die Borteile auseinander,
welche einer Bataille of proportion eignen, which is of more men in breath
then in length, und meijt gibt er jeinem »square« die doppelte Anzahl Rotten
wie Glieder. Blanfe Waffen und Schüßen nimmt er zu gleichen Stärfen an;
zu jenen zählen die pikes und die short weapen (Helmbarten, Beile und Schladit-
jchwerter), zu diefen die muskets und die callivers (Artebujen). Sein Viered
it voll; außen jtehen immer die armed pikes, innen die unarmed pikes. Tie
Umbüllung mit Schüßen ift nur wenige Glieder ftark und nur ausnahmsweiſe
wird aud die Front des Square mit Schügen gejäumt (girdled). An jeder
Ede desjelben jteht ein squadron of muskets; die übrigen Schüßen werden in
einer großen Anzahl Meiner Truppe von etwa 30 Gemwehren außerhalb des
Haufens verteilt: vor der front »in the forlorne hope«, aber auch auf den
Flanken und im Rüden des Viereds, und diejen troups of shot werden die Leute
mit den Kurzwehren zugewiejen. — Größere Heere will Barret in ſchachbrett
fürmiger Mnordnung aufitellen: 5 Bataillone in der vantgard, vier im
Haupttreffen (battle), drei in der reareward.
Das 4. Buch fept die Betrachtung der Ämter fort, indem es das dei
Sergeant-Maior jowie das de8 Camp-maister oder Colonell würdigt.
Das 5. Bud) befpricht den Gejchäftsfrei® des Maister of the Ordinance oder
Generall of the Artillerie, jowie das des Captain Generall of the horse
das des Lord high Marshall oder Camp-maister Generall, da® des High
Treasurer und endlich daS des Oberbefehlöhabers, de Lord High Generall of
the Armie.
Das 6. Bud bringt Stellungstafeln: 1. Tables of battles in pro-
portion of equalitie, as is 1:1. Das find Tafeln of due squares of men
how many rankes so many men by ranke, or how many rankes so many
files (Mannövierede),. — 2. Tables of battles in proportion of inequalitie,
as is 2:1. Das find Tafeln of broad squares or hearst battles, bei denen
doppelt jo viel Leute in der Front als in der Flanke jtehen, eine Anordnung,
welhe aud; ala twyfold battle bezeichnet wird. — 3. Tafeln zur WVertei-
lung einer gewiſſen Mannszahl in mehrere gejonderte Bierede. — 4. Table of
Bataillons for Cross Battels. — 5. Berechnung der Zahl der Glieder gemwapp:
neter Pileniere bei einem gewifjen Verhältnis ihrer Stärfe zu der der ung
wappneten u. dgl. m.
3. Die Reiterei. i31
Man fühlt Barrets Werk die Mannigfaltigfeit der Erfahrungen
in den verjchiedeniten Dienjten an; aber der ſpaniſche Einfluß iſt
doch der vorherrichende. Von den großen Bataillonen vermag er
jich nicht loszumachen, und wenngleich er die Mehrzahl der Schüßen
in Eleinen Trupps frei manövrieren läßt, jo Hangt doch auch er noch)
immer an der widerjinnigen Umgürtung des Spießerhaufens mit
Schügen; denn die Macht der Gewohnheit ijt groß, und das gute
Neue wird oft um jo entjchiedener mikachtet, je einfacher und je natür-
licher es iſt.
3. Gruppe.
Die Reiterei.
892.
Die Reiterei beſtand, ſoweit es ſich um den eigentlichen „raiſigen
Zeug“, d.h. um die lanzenführenden Gewappneten, handelte, vor—
zugsweiſe aus Edelleuten. Dieje erjchienen entweder als „Kyrijjer“
auf „verdedten Hengjten“ oder als „Spießer“ auf ungeharnijchten
Rofjen. Neben diefem »equitatus« gab es zu Anfang des Jahr:
hundert3 nur die berittenen Schüßen mit Armbruft oder „Schößlin“
(Feuerrohr.) Die Einheit für Verwaltung wie Gefecht war die jog.
„Sejellichaft“ (compagnia), als deren Unterabteilung die aus Spießern
und Schützen gemijchte Motte diente: jo 3. B. beim Würtenberger
Zuge von 1519. Im der Folge jonderten fich jedoch die Waffen.
Neben Spießerfähnlein erjcheinen bejondere Schützenfähnlein als Leichte
Reiterei. Als dann das Bedürfnis eigentlicher leichter Reiter anläßlich
der Türfenfriege jtieg, warb man, nach venetianischem Vorbilde, alba=
nejiiche Reiter, die jog. Stradioten, welche u. a. auch bei jenem
eben erwähnten Würtenberger Zuge vorfommen. Ihnen gejellten jich
bald darauf die in Ungarn geworbenen „Hujjeren“ [$ 94.) — Seit
dem Schmalfaldener Kriege traten endlich in und außer dem Reiche
den Landöfnechten die „Deutjchen Reiter“ zur Seite [S. 745). Es
waren „Ringerpferde“, d. h. geringere Pferde als die der Kyrijjer, ein
Mittelwejen zwijchen dieſen und den Neiterjchügen vom Anfang des
Beitalters, dejjen Eigenart auf lange hinaus herrjchend wurde in Europa.
Nur jparjam äußern jich die Militärjchriftiteller des 16. Shots.
über den Gebrauch der Reiterei. Vielleicht die bedeutendjte aller
Jähne, Geſchichte der Kriegswifienidaften. 47
138 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-ſtunde.
Darlegungen ijt die ältefte, die des WMlachiavelli, der ſich zwar nicht
auf taktische Einzelheiten einläßt, dafür aber das tiefite Wejen der
ganzen Waffe mit bewunderungswürdigem Scharffinn erfennt und
deutlich ausjpricht.
„Ich behaupte”, fo jagt er, „daß Völker, welche mehr Wert auf Reiterei
als auf Fußvolk legen, immer ſchwach find. Den Beweis liefert unjer Jtalien,
das von den Fremden verhert wurde, weil es das Fußvolk vernadläfigt und als
Krieger nur Reiter hatte.“ Machiavelli ijt jedoch weit entfernt davon, die Reiterei
zu unterfhägen; er gibt im Gegenteil einfichtige Vorſchläge zu ihrer Verbefierung.
zumal durd Hebung der Pferdezucht mitteld Einrihtung von Statägeftüten
und Hengjtdepots. Befremdlich erjcheint auf den erjten Blid der Vorſchlag, das
Fußvolk vom platten Yande, die Reiterei aus den Städten zu ergänzen:
man möchte glauben, daß Hiebei antife Reminiscenzen doch gar zu großen Einfluß
auf Macdiavelli gehabt; denn allerdings gingen die Hippeis der Griechen wie die
Equites der Römer ja vorzugsweije aus den Reihen der wohlhabenden Städter
hervor. Indes, man darf nicht überjehen, daß diejenigen Staten, welche der
Berfafler zunächſt im Auge hatte, die italienischen Mitteljtaten, den antifen Stadt:
itaten ganz auferordentlid ähnelten. — Mit überrajchender Unbefangenbeit er:
tennt Machiavell die Schwäche der antiken unzureichend gerüjteten Reiterei an.
nicht minder aber aud) die großen Nachteile der in ihre Harniſche eingezwängten
Nitterfchaft feiner eigenen Zeit und die Unzulänglichleit de Lanzentampfes. Er
empfiehlt für das NReitergefeht den langen Degen. Feuergewehre
joll nur der Bortrab führen, „um die Bauern zu jchreden“ und um allenfalls
Engmwege öffnen und Heine Ortögefechte führen zu fünnen. — Machiavelli wil,
daß die Reiterei weniger als ein Drittel de8 Heered ausmache; bilde man fir
jtärfer, jo nehme man dem Fußvolk den Kern der Mannſchaft vorweg. Er weiß
jedem battaglione [S. 701) 300 Reiter zu. — Geine Borjtellungen über zwed:
mäßigen Gebraud der Kavallerie faht er in folgenden Worten zujammen:
— „Man bedarf der Reiterei zur Unterjtügung und Verjtärtung des Fußvollkes
feinesweg8 aber darf man fie als des Heeres Hauptwaffe betrachten. Sie bat
ihre hohe umd berechtigte Bedeutung bei NRelognoszierungen, als Avantgarde,
auf Streifzügen, zur Fouragierung und zur Verwüſtung feindlichen Gebietes,
zur jteten Beunruhigung der feindlihen Lager und zum Abfangen feiner Zu:
fuhren. In Feldſchlachten jedoch, wie jie über das Scidjal der Völker ent:
ſcheiden, ijt die Neiterei mehr geeignet, einen ſchon erjhütterten Feind anzugreifen
oder den jliehenden zu verfolgen, als zu irgend einer anderen Aufgabe. —“ Benn
man diefe Süße lieſt, jo glaubt man einen Theoretifer aus unjeren eigenen Tagen
zu hören!
$ 93.
Die Gefehtsjorm der deutjchen Reiterei war gegen
Ende des 15. Ihdts. der Keil, defjen Heritellung und Kampfweiſe
ja Bhilipp von Seldened jo eingehend gejchildert hat. [S. 328.] Gute
3. Die Reiterei. 1739
Daritellungen jolcher „Spite“ bietet ein großer Holzſchnitt Dürers
v. 3. 1527, welcher die Belagerung einer Stadt jchildert. !)
Das interefjante Blatt, welches weſentlich zum Verſtändniſſe der Dürerjchen
Befejtigungskunft beiträgt, zeigt einen Teil einer Stadtumfafjung, insbeſondere
eine mächtige Bajtei, vor welcher austretende Streihwehren im Graben liegen.
Aus einem neben der Bajtei gelegenen Tore gejhieht ein Ausfall. Das Fußvolk
bildet einen großen quadraten Haufen von acht Fähnlein, dem zwei Fähnlein
al3 verlorene Knechte vorausziehen; die Reiterei rüdt im Spiß vor,
dejjen erites Glied ſechs Pferde zählt; zwijchen diefem Spig und dem verlorenen
Fähnlein fährt die Artillerie zu vieren. — Der Belagerer bat feine Batterien
am Grabenrande entwidelt und ſich hinter denjelben zum Empfange des Ausfalls
in Schlahtordnung gejtellt. Bor dem rechten Flügel feiner Borhut gehen Streit:
farren ber und in gleicher Höhe mit diejen bewegt fi die Reiterei, aud
bier durchweg keilförmig majfiert. Wie bei den Ausfalltruppen zieht
die Artillerie zwijchen Reiterei und Fußvolk. Den Rüden der Stellung dedt
eine aus der Bagage gebildete Wagenburg.
Dieje durchaus realiftiiche, in jedem Einzelzuge der Wirklichkeit
offenbar genau abgelaujchte Darjtellung kennt aljo noch feine andere
‚Formation der deutjchen Neiterei al3 die im Dreied. In eben
diefer jind auch die Reiterabteilungen in dem von der Wende der
zwanziger und dreißiger Jahre herrührenden „Buch von den probtrten
Künften“ dargejtellt und werden in diejer Form mit dem Buche jelbjt
bis gegen Ende des Jahrhunderts getreulich fopiert [$ 44.) — Schon
bald jedoch nad) Vollendung der Zeichnung Dürers muß im taftijchen
Brauch eine Änderung eingetreten jein; denn eine aus den dreißiger
Jahren jtammende, in Stuttgart aufbewahrte Handjchrift (milit. fol. 1)
jtellt bereit3 ausdrücklich die Wahl zwijchen der feilfürmigen umd der
„breiten“, d. h. der vieredigen Anordnnng. Der Coder enthält eine
Anweiſung über den Dienjt der Neiterei, einen Artifelbrief für den
Türfenzug von 1532 und einen Heeresanjchlag für eben diejen Feldzug.
Der erſte diefer drei Aufſätze führt folgenden Titel: „Wie eines
Churfürjten oder Herrn Hofgejindt vnd Reitter zum
Straiffen oder junft vber Landt zu ziehen mögen geordnet
werden von 100 Pferdten an bis auf fünfhundert. Vnd darnad)
Wie von 600 Pferdt bis auf 6000 Pferdt zu ainem vheldtzug
dder gegenwer die Hauffen geordnet vnd das vheldt
möge bejtelt werden, jamt einer jonderen VBorrede vnd etlichen
bnderweijungen zu jelbigem dienlich und mit fleiß zujammengezogen.“
1) Hupferftichlabinet zu Berlin (Nr. 2499) ala Anhang zu Dürers Befeftigungstunit.
47*
740 Das XVL Jahrhundert. III. Heer: und Truppensflunde.
Dieje Arbeit ijt unmittelbar aus den alten deutjchen Überlieferungen er⸗
wachſen. Wie bei Seldeneck wird das taktiſche Anordnen der Truppen noch be
zeichnet als das „Bejtellen des Feldes“. — „Bor Zeiten“, jo heißt es im Eingang
„hat man an Chur: und FürftensHöffen Reißige vom Adel vnd einjpennige
fnecht, jo erforen vnd Wiſſenſchafft wol fhundig vnd geſchicht gemwejen, fich auch
weder Eojten weder bejoldung trauern fajjen ... angenommen“. Da habe man
immer über tüchtige Reiter und Führer verfügt. Leider jei man in neuerer
Zeit davon abgefommen, und wenn man nun „überland zeucht“, jo jieht man das
Feld oftmals bejtellt, wie wenn „die Zigeiner“ ziehen. Darum will der leider
ungenannte Verfaſſer eine feine „anmanung“ tun, wie wohl zu jtreifen und über
Land zu ziehen jei.
Den Hauptinhalt des Werkes bilden ganz genaue Vorjchriften
über die Marjchordnung von Neiterzügen u. zw. in dem Sinne, daß
diefe Marjchordnung zugleich Gefechtsordnung jet. — Einige Berjpiele
fennzeichnen die Arbeit am beiten.
Ordnung für 200 Pferdt: — Vorwart 35 Pferde. Schügen 20 Fi.
Haufe 120 Pf. Nachwart 25 Pf. — Die Vorwart fendet 10 Reiter voraus, von
denen vier auf der Straße, je drei recht? und lints als Nebenwarten ziehen. —
Soll der Haufe, der für gewöhnlich zu dreien marjchiert, in eine „ſpützige Ord—
nung“ gebradt werden, jo nimmt man in das erjte Glied 3, in das zweite 5,
in das dritte 7, in das vierte 9, in das fünfte 11 Pferde. In dies Glied kommt
„der Fahnen“, und von nun an bleiben die Glieder 11 Pferde breit bi zum
legten, dem zwölften. Acht Pferde bleiben übrig. — Soll aber aus dem Haufen
eine breite Ordnung werden, jo bilde man 13 Glieder zu je 9 Pf.; dann
bleiben nur 3 Pf. übrig.
Ordnung für 6000 Pferdt: — VBorwart 170 Pf. Nebenwart 260 Pi.
(auf jeder Seite 130 Bf.) Rennfanen 600 Pi. Schüpenfanen 600 Pf. Gewaltig
Hauff 3600 Pf. Nachzug 600 Pf. Nachwart 170 Bi. — Soll der gewaltige
Haufen in ſpitziger Ordnung zum Gefecht gejtellt werden, jo fommen in das
erite Glied 29, in das andere 31, in das dritte 33, in das vierte 35, in das
fünfte 37, in das jechite 39, in das fiebente 41, in das achte 43 Pferde. In dies
achte Glied wird die Hauptfahne gejegt, und von nun an werden alle Glieder
43 Pferde breit. Im Ganzen bildet man 85 Glieder, und bleibt 1 Pferd übrig.
— Will man den Gewalthaufen jedod in breiter Ordnung haben, jo formiert
man 83 Glieder zu 43 Pferden und ſetzt den Hauptfahnen in das achte Blied.
— Zwiſchen diejer breiten Ordnung und der im Spitz ift aljo nur ein ganz
geringer Unterſchied; während ein ſolcher bei Fleineren Abteilungen ſtärker hervor:
tritt. — Übrigens rät Verfaſſer einen jo großen Haufen zu teilen und mit dem
einen in der Front anzugreifen, mit dem anderen zu manövrieren, Flanken—
bewegungen auszuführen und dabei nad Gelegenheit die Rennfahne, die Bor-
wart, die Schügen, den Nachzug, jei es hier, ſei es dort, mit eingreifen zu lajien.
Etwa 600 Pierde jeien dem Lands- oder Kriegsfüriten zu feinem perjönlicen
Schutze zuzumeijen, Ä
3. Die Reiterei. 741
Lebhaft beklagt der Verfaſſer den Verfall des Reiterdienſtes
in Oberdeutichland.
„Beij vnſeren tagen ijt die Krieges Übunge des Raißigen Zeugs in jollichen
abfol vnd farlefjigen veradjtunge in Hoc Deüticher Nation fhomen, das jchier
niemandt nichts mehr darum waiſſt oder Luft darzu hatt, jondern ſich jedermann
vf die Landts Knecht begibt; dann diejelb rüftung nit vil für betradhtung vnd
weißhait bedorff; allein welcher der fölleſt und größt Gotts Leſterer iſt, jegt der
beit unnd am höchſten berfürgezogen. Darumb vnd weil fie den Herrn jöllidhe
vbermeffige Bejoldung abdringen . . . ſchier niemandt mehr Raißiger jein will.
Wie aber aud die Großen Herrn vrſach darzu gegeben, da were vil von zu
ſchreiben; mir zweiffelt aber nit, fie mögen fich desjelbigen wol erinnern. Durd)
ſölliches alles leider geuolgen, daß wir in hochteütſchen Landen wenig Leut
haben, die ain gewaltigen Raifigen Zeug zu ordnen wijjen oder ir Sinne vnnd
gemueth darvf wenden, jülliher noch zu gedendhen, die weder freid noch luſt
darzuo haben, jondern allein ſich dahin richten, ires eignen willens vnd gefallens
zu leben. Dardurd jöllihe rüjtung, erlich vnd ritterlihe vbung der Raißigen zu
den Sachßen, Hejjen vnd Niderländern fhamenn, die desfelben noch in
gebrauch fein; ala wann man in hochteutjchen Landen ein anjehenlichen Raißigen
Zeug haben foll, muß man denjelbigen bey inen ſuochen vnd mit großer jchmwerer
befoldung vfbringen. Ob ſolliches vnns Hocteutjchen ein ehr oder vercleinerung,
hatt ain jeder verjtendiger zuermefjen; zu dem das e8 dem hochdeutichen Adel,
darzuo auch Landt vnd leutten verderblich.“
Unter der Überſchrift: „Feldthaubtmans vnnd Kriegs Räthe er—
welen, Beuelch thun vnd laſſen“ bringt der Verfaſſer dann eine
Darlegung der an einen Feldherrn zu ſtellenden An—
forderungen, welche durchaus auf das entſprechende Kapitel
Kaiſer Leos zurückführt [M. $ 8]; während die dann folgende Feld—
beitellung und Beuteordnung fic unmittelbar an die betreffenden
Abjchnitte bei Seldeneck anlehnt. [M. 8 36.]
Großen Nahdrud legt der ‚Berfafler auf genügende Borbereitung zum
Kriege; „dann es were bejier, die Krieg vnd Zug vnderlaſſen, dann nit vollenden
mögen, wie dann an vil Orthen bejchehenn! und noch teglich erfaren würdt“. —
Bon allen wichtigen Perfonen jol ji der Feldhauptmann ein Regijter an-
legen, welches nicht nur die Führer der einzelnen Heeresabteilungen jondern aud)
jämtliche Reiter umfafjfen muß, die im Spitz vor der Fahne reiten ; denn dieje
Plätze gebühren den Fürften, Grafen und Edlen. Der Kriegsherr ſelbſt ſoll im
Keil unmittelbar hinter der Hauptfahne reiten (fall ihm nicht ein eigener Haufe
ausgefondert iſt). — Als Offiziere nennt der Berfafjer den Leitenandt vber
die Raißigen, den Vheldtmarjhaldd, 2 Uuartiermeijter, 2 Scarchmeifter (Schar-
meijter), 2 Prouiandtmeijter, 1 Wagenburgmeijter: „alle uß den Raißigen“. —
Die Beute joll in jorgfältigiter Weife nad altüberlieferten Grundfägen durch
den „Beithmaijter“ aufgenommen und demnädjt, nad Billigung jeines Vorſchlags
— ——— — — — — — — — —
742 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
jeitend des Kriegsherrn, verteilt werden, — Hüten möge jidh der Feldherr, ſich
vom Feinde in ungünftiger Lage zum Gefecht drängen zu lafjen, und bejondere
Aufmerkſamkeit richte er auf den Kundſchafts- und Melde-Dienit.
In Bezug auf die Gefechtstaftif erreicht der Verfaſſer jein Vor:
bild Seldened in feiner Weije. Statt ficherer, klarer Vorjchläge bringt
er leere Allgemeinheiten ; wie denn überhaupt der friſche Geiſt Seldeneds
diefem Nachfolger mangelt und allenthalben viel Pedanterei hervorjchaut.
8 94.
Während anfangs der dreißiger Jahre dem Reiterführer die Wahl
der Anordnung jeines Haufens im Spitz oder in der Breite frei ge
jtellt ıft, erwähnen jeit den fünfziger Jahren die Taftifer den Seil
entweder gar nicht mehr oder als eine nicht mehr angemejjene
Formation der Vergangenheit.
So jagt Braf Solms [$ 23] in jeiner „Kriegsregierung“: „Man
hat auch vor Jaren jpigige Ordnung vnder den Reuttern gemacht,
ift aber diejer Zeit gar davon kommen.“ !)
Die Rudimente der alten Einrihtung lafjen fich aber bei Solms
doch nod erkennen. Noch immer wird nämlich aud) in der gevierten Ordnung
des erjten Gliedes der Mittelreiter ald Spite des-ganzen Haufens gedacht. „Das
ipiß bevelhen”“, jagt Solms, „geihieht darumb, wann ein mann in der beritten
ordnung reit vnd fi in einer enge theilen muß vnd wieder auff eine weite
tommt, jollen im die borderiten nachreiten, wo dan der, der ſpitz ijt, reit, jollen
fi) jeine nebengeoröneten wieder an yn ſchmücken; damit rüdt ein jeder wie es
gehört, und wird die ordnung wieder ganz“. — Hieraus erhellt, daß die
Rangierung der Reiterei nad) der Mitte auf die alte Keilformation zurüdjührt,
und zugleid; wird Mar, warum bei Reitern wie Fußvolk im 16. Ihdt., ja nod
weit jpäter, mit einer an Aberglauben grenzenden Entſchiedenheit darauf gehalten
wird, daß die Rottenzahl ftet® ungerade jei. Dies erflärt fich einfach daraus,
daß eben nur dann ein wirfliher Mann der Mitte, des Spiges, vorhanden war,
Graf Solms hat auch noch eine deutliche Vorjtellung von dem „itidh ze
folge“ oder dem „nachreiten“ der mittelalterlihen Angriffspraris, bei welcher,
nachdem der Durdbrud) gelungen, der jiegreiche Keil recht3 oder links fehrtichwentte
und die Befiegten von hinten her aufs Neue durhjagte. Er jagt: „Auch iſt
etwan der brauch gewejen, dab die Hauptleut iren reutern am treffen zugejprocen
und gejagt haben: Lieben herrn, juntern und gejellen, Hilfft vns Gott, darumb
wir fein gnad bitten wollen, daß wir durch vnſere Feinde brechen, fo jollet ir
euch auff die rechten oder linken feitten wenden; dafelbit wollen wir vns jamlen
vnn wo die notturft erfordert, wider daran machen“.
1) Rriegsregierung IT. Bud.
3. Die Neiterei. 1 43
Herzog Albreht von Preußen nimmt für die Reiterei ganz
wie für das Fußvolk ald normal lediglich die gevierte Ordnung
an und gibt dementjprechend auch für jene eine Ordnungstafel von
ganz gleicher Eimrichtung wie für das leßtere S. 712.)
Beträgt 3. B. die Summe der „Reutter“ 338, fo iſt die Zahl der Glieder
nebeneinander 26, hintereinander 13 und die Länge jeder Seite 7, Ruten.
Die großartige Auffaffung der Taktik, welche Albreht3 Werk ſonſt aus—
zeichnet, tritt Hinfichtlich der Reiterei keineswegs hervor.
Nolano genannt Schellenfchmidt [$ 27] geht näher auf die Reiter:
taftif ein, Er erwähnt (wenigjtens in der Danziger Faſſung jeiner
„Zürfenfeuer* — ob auch in den anderen Handjchriften, iſt mir nicht
erinnerlich) des Spies mit den Worten: „Wiewoll die ehrliebende
Altenn ire Schlahhtordnung nach dem Driangell gemacht vnd geitellt,
dernad) im erjten glit 13, darnach 14, mehr 15 vnd aljo fort...
oder 7 im erjten, 9 im zweiten, dann elf u. ſ. w. . . . Dieweil aber
igigen gefehrlichen zeitenn die Schlahtordnung gefürt (geviert)
durch die vorjichtigen Friegkleut erfanndt, aljo mögen fie nach dem
vorteil zu jeiner zeit gebraucht werden.“ — Nolano unterjcheidet bei
der gevierten Ordnung die Schlachtordnung der „gerueiten Pferde“
und diejenige der „geringen Pferde“ oder „Hufjeren.“
Die gerüfteten Pferde will Nolano in Haufen ftellen, die ſich möglichit
dem arithmetijchen Quadrate nähern, aljo, im Gegenfage zu Herzog Albrecht,
viel tiefer als breit: 200 oder 300 3. B. zu 13, 500 zu 21 im Gliede. Die
Kürißer jtehen voran, im 3. Gliede die Fahne, darnady die Halbkürißer. Die
Schügen kommen in Flügeln rechts und links zur Verwendung. Abteilungen
von mehr als 600 Pferden führen zwei Fahnen, eine fliegende im 3. und eine
verborgene im 7. Gliede. Lebtere wird erjt enthüllt, wenn die erjte verloren tft;
„wie man dann allwege pfleget nad) den Fhanen zu jchießen“. Zweckmäßig ijt
e8, das erjte und legte Glied mit Edelleuten zu bejeßen. — Für eine „gewaltige
Schlachtordnung zu Roß“ tut man gut, 2 Haufen zu formieren, zwijchen denen
Geſchütz Fährt. Die Haufen wenden fi) im Angriff auf die Flanken des Feindes,
nachdem das Geihüg gewirkt: eine interefjante Verbindung beider Waffen, die
der in den hohlen Fußvolfsviereden des Herzogs Albrecht entjpridt, wie denn
überhaupt Nolanos Reiterformationen denen des Fußvolks immer jo ähnlich wie
möglid) gebildet jind. — Trommeter und Heerpaufer ziehen neben der Ordnung
her und blajen und trommeln nad Kräften.
Hujjeren oder Ringerpferde werden befonders formiert u. zw. breiter
als tief, 200 3.8. zu 19 im Gliede; denn die Hufjeren halten keine gleihmäßige
Ordnung, jondern allein nach dem Bedünfen; „ich wollt fie ſonſt vieredig, weniger
dann breit machen“.
744 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppensflunde.
Srönsperger handelt „Von der Reiligen Schlahtordnung“
im 2. Buche jeines I. Teiles. Auch er gedenkt (1566—98) noch der
Keilformation; aber zu jeiner Zeit war diejelbe allerdings ganz außer
Gebraud).
„Mit den Reifigen hat e8 eben die gejtallt jhre Schlahtordnungen zumadıen,
wie mit dem Fußvold; denn es werden gemeinlich etwan 2 oder 3 vnnd biß ie
6 oder 8 Geſchwader vnd Fahnen oder Paner zujammengejtoßen, darmit ein ge:
waltiger vnd gevierter Hauffen daraus gemacht mög werden,
Wiewol bey den alten gebräuchlich geweſen, daß fie jhre Schlachtordnungen
gejpigt oder in drey angel gemacht haben, aljo daß etwan im erjten Glied 7 Mann,
im andern 8, im dritten 9, im vierdten 10, aljo fortan bi auff den halben
theil der Ordnung. Darnad) (d. h. von der Mitte an) find jie durchaus geviert
gemacht worden . . .“
Die Anweifung, welde Frönsperger zur Formierung der gevierten Reiter:
ihlahthaufen gibt, legt auch für diefe da8 Manns: (hier Reiter) Quadrat zu
Grunde Demgemäß find feine Gejhwader natürlih jehr viel tiefer als breit.
Tauſend Reiter haben beijpielsweife bei ihm nur 31 Pferde Front, allerdings
aud) 31 Pferde Tiefe, und 39 Pferde „bleiben vber“.
8 95.
Wie für die deutjche Neiteret der „Spig“, jo war für die fran-
zöfifche der „Hag“ gegen Ende des 15. Ihdts. Normalformation
geweſen umd dieſe Angriffsweije en haye oder en file erhielt ſich
bis zu den achtziger Jahren des 16. Ihdts. Der erjte Schriftiteller,
welcher ernitlich gegen diejelbe auftrat, war de la Noue (1585) u. zw.
zunächjt in jenem Discours, que la forme ancienne de
ranger la caualerie en haye ou en file est mainte-
nant peu vtile et qu’il est necessaire qu’elleprenne
lusage des esquadrons. [©. 564.]
De la Noue jegt auseinander, wie feltiam es ei, daß die Franzoſen, jonit
immer geneigt, nur allzujchnell das Neuejte zu ergreifen, nod immer daran fejt-
hielten, die Neiterei (la cauallerie) in einem einzigen Gliede (en file oder en
haye) angreifen zu lajien. Das füme daher, weil fein Edelmann dem anderen
den Vorritt gönne; aber es fei veraltet und es ſei notwendig, auch die franzöſiſche
Neiterei par esquadrons, d. h. in gevierten Haufen zu formieren, wie e8 Deutſche,
Spanier und Staliener täten. Oft habe er gejehen, daß die haye der Yranzojen
von deutſchen Gejchwadern durchbrochen worden, obgleih in diejen weniger
noblesse vertreten jei. Bei Valenciennes® habe der König über mehr als 2000
Zanzen verfügt; dieje aber jeien jo weitläufig angeritten, daß ihrer 300, range
en file, nahezu 1000 Schritt Front gehabt; hätte man dieje 300 in drei Escadrons
formiert, jo würden fie nur 120 Schritt Breite beanjprucht haben, die Ordnung
3. Die Reiterei. 745
wäre befjer gewejen, und fie wären von den Reitres nicht über den Haufen ge: .
ritten worden. Dasſelbe jei den Franzoſen bei St. Quentin und Gravelingen
geihehen und den Hugenotten bei Moncontour, weil bier einmal ausnahmsweiſe
die Lanzen des Königs in Escadrons formiert gewejen jeien. Dazu komme, daß
trog der Zujfammenjegung der Kavallerie aus Edelleuten, ſich doc viele Lanzen
im Yugenblide des Angriff zurüdhielten: der eine befomme Nafjenbluten; dem
anderen rutſche der Sattel; der dritte habe ein lojes Eifen, und jo gelange die
ihon jo dünne Hede jtet3 auch noch mit großen Lüden an den Feind. Darüber
dürfe man fich nicht wundern; denn eine Truppe, welche, wie die franzöſiſche
Adelsreiterei feine gute Marjhordnung halte, die ſei auch außer Stande ein
regelrechte8 Gefecht durchzuführen. — Man fafje aljo die Kavallerie getrojt in
Escadrond zujammen und lafje ihr nur, wenn es denn nicht ander® gehe, allen=
jall8 ein VBortreffen von 20 bis 30 Langen en haye als erjte Staffel vorausgehen.
Auch die alte Ritterwaffe jelbit, die Lanze der Geharniichten
auf den hohen gewappneten Hengiten, will dem de la Noue bereits
in fragmwürdiger Gejtalt erjcheinen, und unter den Quatre paradoxes
militaires, welche er aufitellt, lautet das erjte: Qu’un esquadron
de Reitres doit battre un esquadron de lances.
Die Reitres, d. 5. die deutjchen Reiter, Schwarzreiter oder Ningerpferde,
jind die auf leichteren Pferden jißenden, Pijtolen, oder wie man es damals in
Deutihland hieß, Feuftlinge, führenden Schwertreiter, deren Gejchwader die
Schlachtfelder zu beherrihen begannen. Freilich ift der brave Hugenottenführer
nicht gut auf die mörderiſchen Handfeuerwaffen zu jprechen: »tous ces instrumens
la sont diaboliques, inventez en quelque möchante boutique .... Neant-
moins la malice humaine les a rendus si necessaires, qu’on ne s'en
scauroit passer. Or pour se pr@valoir des pistoles, il convient avoir vn
win merveilleux; ce que toutes nations n'ont a beaucoup pres tel que
l»s Allemans: qui est occasion que je les mettray sur les rangs comme
ceıx qui emportent le prix en ceste espece de cauallerie«e Der Feuſtling
jei >ine bejjere Waffe als die Lanze, nit nur an ſich wirtungsvoller, jondern
auch dadurch, daß jeder Reiter zwei Pijtolen, der Kavalier aber nur eine Lanze
führe. Dann aber hielten namentlih die deutſchen Reiter bewunderungs-
würdige Ordnung ; fie jeien wie zufammengeleimt (collez). Wenn trogdem nicht
jeder ihrer Angriffe gelänge, jo füme das daher, daß fie häufig zu früh ſchöſſen;
nicht au. 20, fondern auf 3 Schritt töte das Piſtol den geharnijchten Gegner.
Der Hauftvorteil des Gefechts mit Feuftling und Degen trete aber erjt im Hand:
gemenge hervor; da werde die Lanze völlig unnüß, und wenn man fie nicht
gänzlich abjchaffen wolle, wozu er übrigens feinesweges rate, jo feien die Speer-
reiter wenigjtens jehr viel beſſer auszubilden und jtreng zu üben, im gejchloijenen
Geſchwader zu fehten. Dem franzöjiihen Edelmanne neben der Lanze ein
Piſtol zu geben, jei unnüß; er werde es doc nicht in Stand halten, jid in
Bezug auf Reinigung und Ladung lediglich auf feinen Diener zu verlafien, und
dann werde es im enticheidenden Augenblide verjagen.
746 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
Man fieht: de la Noue weiß dem Adel jeines Volkes auch nichts
Beſſeres nachzujagen, als der Stuttgarter Anonymus den Ober:
deutjchen!
8 96.
Einen Begriff von der oraniſchen Reitertaftif gewähren
die „Annotationes* des Grafen Johann von Hafjau [$ 38
und $ 90], welche aus demjelben Jahre 1597 jtammen, in das der
Ehrentag der niederländijchen Neiterei, das Treffen von Tournhaut,
fiel. — Die von Johann überlieferte Anordnung ift jehr einfach):
Eine „Compain“ Reutter von 100 oder 125 Pferden zerfällt in vier oder
fünf Trupps, deren jeder 25 Pferde zählt und zu fünfen im Glied und zu fünf
in der Rotte reitet, wenn nicht Engwege zu weiterem Abbredhen zwingen. Zum
Gefecht marjchieren diefe Trupps ganz einfach rechts oder links auf. Der Ritt:
meijter hält vor der Front, der Cornet mit der Standarte in der Mitte des
2. Gliedes, der Lieutenant hinter der ganzen Kompagnie. — Man kann die
125 Pferde aber audy in drei Treffen teilen, jedes 7 Pferde breit und 6 Pierde
hoch; dann führt der Rittmeifter das 1., der Fähnric das 2. und der Lieutenant
das 3. Treffen.
Eine Hauptjahe ijt es, daß die Neiterei gute — Führer habe, ſo
daß bei jedem Viertelhundert Pferde ſtets ein tüchtiger Mann ſei, der dieſelben
bei Scharmützeln, Beſichtigungen Recognoszierungen) Verſchickungen, Ambuſcaden
u. dgl. ſelbſtändig und aufmerkſam zu leiten wiſſe.
Für die gleichzeitigen oſtdeutſchen Verhältniſſe iſt
ein Beſtallungsbrief belehrend, durch welchen Kaiſer Rudolf LI.
zu Prag am 20. Mai 1598 den Geo. Rud. Marjchald zum Oberjten
über 1000 gerüjtete Pferde (ſchwere Reiter) einjeßt. *)
Es jollen alles „nur wolgeübete Reifigefnechte fein, mit tauglihen Pferden
und Rüftungen, Alß wolbededten Schurz und Ermeln, Kragen, Rüd-, Krebs-,
Hand» und Haupt-Harnifch, darzu mit ſolchen guten Seitengewehren und Stechern,
deren fie jich zum Ernſt gebrauchen können und injfonderheit jeder wenigitens (!)
mit Zweyen gerechten Feuerſchlagenden Püchſen gefafit . . .“ Sie jollen zunädjt
drei Monat lang dienen. „Und follen die 1000 Pferd in 4 Fahnen,
nemblich ein jeder 250 Pferde getheilt werden. Darauf fie auch der Obriſt
mit gut erfharen Rittmeijter verjehen fol. So bewilligen wir . . . auf jedes
gerüjtete Pferd... . den gebräuchlichen Rittgulden dem Rittmeijter. Mehr jollen
allewege über 50 gemujfterte Pferde ein Rottmeijter gehalten und demjelben
von jedem gemujt. Pferd !/a Gulden monatlichen gut gemacht werden. Gleichfalls
jollen ihn auf 12 Pfd. ein gerüfteter Wagen mit guten 4 Rofjen gemuftert
1) Mitgeteilt von Gilb. Unger: Geſch. der E. f. Armee I (Wien 1886).
4. Artillerie. 147
und allewege auf jeden, wo nicht zwey doc ein guter feuerfchlagender Doppel:
baden oder Muſchketen mit jammt zweyen Knebelſpießen gehalten werden, und
auf jolhen gemujterten Wagen wollen wir monatlihen pafjiren 24 Gulden. Item
jollen auf 12 Pferde 1 Troßklepper gemujtert und darauf 6 G. monatl,
pajjirt werden.“
Man erkennt aus dieſen Beitimmungen, daß die damalige deutjche
Reitertaftif ganz wejentlich auf den Feuerwaffen beruhte, ja, daß
jie jogar den Anſchluß an eine mit Feuerwaffen mittleren Kalibers
ausgerüftete Wagenburg nicht verfchmähte. Kommen doch auf die
1000 Reiter nicht weniger als 83 mit Doppelhafen bewehrte Rüjt-
wagen! — Der Monatsjold jtellte ji) wie folgt für jede der
vier Fahnen: |
Das reijige Pferd 12%Ys fl., der Lieutenant 40 jl., jeder feiner beiden Tra—
banten 8 fl., der Fähnrich 40 fl., 2 Trompeter jeder 12 fl., 1 Forier 12 fl.,
1 Sattler 6 fl, 1 Scloffer 12 fl, 1 Schmitt 12 fl., 1 Blattner 12 fl.
1 Dolmetih 12 Gulden, jeder zu 15 Papen oder 60 Kreuzer. (Der Normalfold
des Reifigen war 12 Gulden; der halbe Gulden, den jeder Reifige monatlid)
mehr empfing, war „Zubuße“.)
4. Bruppe.
Artillerie.
8 97.
Einen Begriff von der Artillerie-Ausrüftung deutjcher
Heere bieten, außer den eigentlich gejchichtlichen Daten, ‘einige Vor—
anjchläge zu Feldzügen und einige Angaben in den jchon mehrfac)
erwähnten Kriegsbüchern von Ott und Solms.
Im Jahre 1504 fertigte Leonhard Eder für Herzog Albrecht
von München ein „Notaverzeichnis, was an einem kleinen
Feldzug an Geſchütz gehört.“')
E3 follen mitgeführt werden: 3 Scharpfmegen, die 70 Bd. Eijen
ihießen; für jede 200 Kugeln und 60 Etr. Rulverd. — 4 Quarten oder
Nachtigallen, M-pfündig; zu jeder 250 Kugeln und 50 Etr. Pulver. — 4 Not:
ihlangen, 20-pfdg.; zu jeder 300 Kugeln und 45 Etr. Pulver. — 6 Feld—
ihlangen, 11=pfdg.; zu jeder 300 Kugeln und 24 Etr. Pulver. — 6 Halb=
ihlangen, 8=pfdg.; zu jeder 350 Kugeln und 18 Etr. Rulver. — 6 Yalconet,
6=pfdg.; zu jedem 400 Kugeln und 12 Etr. Pulver. — 60 Haden (30 doppelt,
30 einfach), dazu 20 Etr. Blei und 8 Etr, Pulver. — Alle Kugeln und Blei
wiegen zujammen 1541 Etr., alles Pulver 892 Etr. (500 Etr. Kugeln und
200 Etr. Pulver bleiben in Rejerve).
2) Würbdinger a. a. ©. II, ©. 408.
748 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
Auf einen Wagen lädt man 25 Etr.; tut 66 Wagen. Bor jeden Wagen
gehören 5 Pferd; tut 330 Wagenpferde,
Zu dem (Blod-) Wagen einer Scharfmege gehören 16, zu jedem „Gefäh“
(Lafete) derjelben 6 Pferde; zum Wagen einer Quartane 12, zu ihrem Gefäh
6 Pferde; für eine Schlange 8, für eine Halbſchlange 6, für ein Falkonet 5 Pferde.
— Summa der Pferde zum Geſchütz 324 Pferde — Zu den Haken—
büchſen 50 Böd, Zündftrid, Pulverfäte und Kugeln, dazu 1 Wagen mit
6 Pferden. — 1 Wagen und 6 Pird. zu Giehlöffeln, Gießpfannen und 20 Etr.
Blei. — Zwei Brüden und ihre Yagerhölzer auf 2 Wagen, jeder mit 6 Pferden.
— Schmidt uud Wagner mit ihrem Zeug; dazu 1 Wagen mit 6 Pferden.
Aht Zimmerknecht mit ihrem Werkzeug auf 1 Wagen mit 6 Pferden. —
Ein Wagen mit Knechtſpieß, dazu 6 Pferde; ein anderer desgl. mit Harnaſch,
Neitjpießeifen, Helmparten, Fußeiſen und Pehpfannen. — Zwei Wagen m. 6 Fir.
zu verjchiedenartigem Feldgerat, Eimern u. j. wm. — Ein Wagen m. 6 Br. zu
4 Zelten. — Vier Wagen für den Zeugmeijter, welcher deren Bepadung bejtimmt,
— Neun Wagen mit Rädern, Achſen, Speichen, 14 Sturmleitern, Handwerfäzeug,
Hufeifen, Brechzeug u. dgl. m,
Summa der „Wagen zur gemeinen Munition“ 36, aller Pferde 786.
Auf Marimilians VBenedigerzuge von 1509 führte das
faijerliche Heer einen Park von 106 Radgejchügen mit fich.
Ein handichriftliher Sammelband zur Gejchichte von Mainz,
der im German. Mujeum aufbewahrt wird (Nr. 23077), enthält einen
Anjchlag!) „Wie viel geichüß zu eynem dapfferen Veldt-
zug gehort vnd was dem anhengig iſt.“ — Geſchütz und
„Noitturfft“ verlangen danad):
3ſcharpffer Mepen 54 Roß, ihre „gefes“ 18 Roh, dazu drei „laythern“
8 R., 400 Kugeln SOR,, 2 Etr. Bulver 40 R. (9). — 4 nadtigaln 56 R,
dazu 600 Kugeln 80 R. 2 Etr. Rulver 40 R. — 5 Sengerin 50 R., 1000
fugeln 60 R,, 3 Etr. puluer 52 R. — 6 noitslangen 36 R., 1500 fugeln
24 R., 8 Halb jlenglin oder Baldenetlin 16 R.; die fugelnn geußt man jo
viel noit iſt; 100 Etr. puluer 16 R. — 2 Zeugwagenn 8R.; 15 wagenn
mit Feldgerät 60 R., 4 mit Speifen 16 R,
Über die Ausrüftung deuticher Heere mit Artillerie von 1520—30
gibt der Abjchnitt von Dtt-Preuß’s „Kriegsordnung“ gerügende Aus
funft, welcher die Überschrift führt: „Die Gefchlecht der Püchien
im Zeughaus in’s Veldt [S. 486], jowie die Bearbeitung desjelben
Werfes von 1530, deren erjtes Kapitel ebenfalls ein ſolches „Ver:
zeihnus der Arcolerey“ bringt. [©. 492.)
I (Ejienwein): Quellen z. G. d. Feuerwaffen S 61.
4. Artillerie. 749
Ein Überjchlag, was von Gejhüß für ein Heer von
10000 Fußgängern und 1500 Reitern nöthig tjt, vom
Sahre 1540 im Statsarchiv zu Stuttgart verlangt:
4 Scarfmegen, 4 Nadhtigallen, 4 kurze und 2 lange Sängerinen, 4 gr.
Schlangen, 8 Falconen, 12 Falkonetten, 2 Feuerbüchfen, 2 gr. u. 2 fl. Mörſer ').
Das gejamte Metall, 1180 Etr., koſtet 9440 G., Räder und Gejtell 2000 Gl.,
die Kugeln 2315 ©., 600 Etr. Pulver 8400, zuſ. 22154 Gulden. Geihüg und
zugehörige Wagen erfordern 427 Pferde.
Graf Reinhart von Solms rechnet 1550 in feiner Kriegsregierung
[$ 45] auf 2000 Fußknechte und 5000 Pferde 18 Stüd Brech- und
54 Stüd Feldgeſchütz.
Nach der Kriegsverfafjung des Heidelberger Fürjtenvereins
(1553) rechnete man auf 1000 Mann: 4—5, nad) der des Lands—
berger Schirmvereins (1556): 4 Geſchütze. Demgemäß ſetzte
jich der Artillerieparf einer Armee aus einem oder mehreren „Zeug:
häuſern“ zujammen [S. 486.)
Außerdem führte zuweilen jedes Landsfnehtsfähnlein
1 leihtes®ejchüg mit, 3. B. auf dem Strafzuge gegen die adligen
Friedensbrecher in Franken 1523 je eine „gemeine Schlange“ oder nad)
dem Speyer. Reichstagsabjchiede (1542) eine „halbe Schlange oder
Falcone.“ — Die Gejhügbededung bejtand gewöhnlich aus
Landsfnechten. — Auf jedes Zeughaus pflegte man ein Fähnlein
„Schanzbauern“ (Bajtadoren, Pioniere) zu rechnen: 400 Mann,
die im Rotten zu je 12 Köpfen unter Rottmeijtern jtanden.
Aus der für Deutjchland ja meist friedlich verlaufenen zweiten
Hälfte des Jahrhunderts find nähere Nachrichten über das Maß der
Artillerieausrüftung der Heere anjcheinend nicht erhalten. [S. 588.]
8 98.
Bon einer Taktik der Artillerie als jolcher iſt eigentlich
noch feine Rede. — Geradezu befremdlich erjcheint das Verhältnis
Machiavells zu diefer Waffe. Obgleich die sette libri doch nad)
der Schlaht von Ravenna gejchrieben find, in welcher die italieniſche
Artillerie einen überrajchenden Beweis von Reife gegeben hatte, tritt
Machiavelli ihr ganz ungemem zurüdhaltend gegenüber.
Machiavelli will bei der Artillerie feines Heeres 10 Poſitionsgeſchütze haben,
die bis höchſtens 50 Pfd. ſchießen; das übrige Geſchütz wünſcht er leicht, lieber
1) Näheres bei v. Stadlinger: Geſch. d. württemberg. Kriegsweſens. (Blg. I Stuttgart 1866).
750 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
Zehn: als Fünfzehn-Pfünder. Die Bombardieri erjcheinen ihm noch faum als
Krieger ; er wirft jie mit den Zimmerleuten und Ochjentreibern des Trofjes zufammen.
Im Gefechte jtehe das Geſchütz am beiten in der Flanke an einem
ficheren Orte, wo der Feind es nicht wegnehmen könne; jei das nicht möglich, jo
müſſe es vor der ganzen Front verteilt werden. Große Wirkungen traut der
geniale Statsjefretär diefer Waffe jedoc) feineswegs zu ; jeine Voreingenommenheit,
die wohl einfeitiger Verehrung der Antike entjpringt, ift in diejer Hinfiht un:
vertennbar. Mit ſolchem Haß jteht er (wie Luthers Beifpiel ung gezeigt [S. 496)
durhaug nicht allein, und zumal in Ftalien war derjelbe jeit Petrarcas Tagen
[S. 228] bejonder8 lebendig; war doch gerade die virtuoje, auf der Willkür
perjönlihen Talentes beruhende Kriegsweiſe der Condottieri durd; Einführung
der Feuerwaffen empfindlichjt beeinträchtigt; denn „die Kugel ijt eigenfinnig“.
Guicciardini ging in feiner Abneigung gegen die Feuerwaffen jo weit, dab
er fie ala eine „Bet“ bezeichnete und jie jogar bei Belagerungen nit gelten
lajjen wollte; die Schwierigkeit der Heranihaffung und Bedienung jtünden nicht
in rihtigem Verhältnifje zum Nutzen. In diefer Hinficht urteilt Machiavelli
allerdings unbefangener; ihn hatten die poliorketiihen Erfolge Charles VIIL
über die Bedeutung der Artillerie im Feſtungskriege ausreichend belehrt. In
der Schlacht aber will er das Feuergeſchütz nur zu Anfang für eine einzige Lage
benugen, nach der er dasjelbe (falls es nicht etwa in einer Flankenjtellung auf:
gefahren ift) wieder Hinter das Fußvolk zurüdzieft. — In jeiner Schlacht—
bejhreibung nimmt er an, daß das feindliche Gefhüß eine Salve gibt; „aber
die Kugeln fliegen unſchädlich über die Köpfe unſeres Fußvolks“. Auch jchon
des jtörenden Pulverdampfes wegen. will er von der Artillerie feinen weiteren
Gebraud machen; er erklärt fie für „eine unnüge Sache jobald das Handgemenge
begonnen“. — Darin jedod hat Machiavell volltommen recht, daß er es für das
bejte und einzige Mittel, „das feindliche Gejhüg zum Schweigen zu bringen“
erflärt, „daß man fofort darauf losgehe“. Dies traf zu feiner Zeit zu!
Die jüngere Generation teilte übrigens Machiavellis Abneigung
gegen die Artillerie nur noch zum Teil. — In entgegengejegten Sinne
ſprach jich vor allem Busca aus in jeiner Instruttione de
Bombardiere. (Venedig 1545.)
Spätere Ausgaben: Venedig 1554, 1559; Carmagnola 15841), 1589. An:
hangsweije wiedergegeben in Buscas Schrift Delle espugnatione etc. [$ 131.
In diefem guten praftiihen Handbüchlein iſt zwar nur von technifhen und
poliorfetiihen Dingen die Rede, nit von der Taktik der Artillerie; doch in einem
angehängten Briefe behandelt Busca die Frage, ob der Artillerift den Namen
eines Soldaten verdiene. Natürlic; bejaht er fie; war er jelbjt doch Capitano
d’artigleria.
Dem warmen Interefje des Grafen Reinhart von Solms
für die Artillerie entjpricht es, daß er in jeiner „Kriegsregierung“
1) gl. Bibl. zu Berlin (H. w. 28015.)
4. Artillerie, 751
[$ 45] in abminiftrativetaktischer Hinficht einige Reformvorjchläge wagt,
die allerdings zunächjt nicht Durchdrangen.
Dahin gehört namentlich die Formation der ganzen Geſchützmaſſe in fleine
Abteilungen unter bejonder8 angeftellten Offizieren (Oberſten oder Edelleuten),
welche dem Zeugmeijter Hilfreich zur Seite jtehen und den Befehl über mehrere
Büchjenmeijter führen, fomit als Batteriehefs fungieren follen. Karl V. hat in
der Tat einmal je zwei bejpannte Geſchütze einem Edelmanne zugeteilt. Aber
wenn dies Verfahren auch hie und da Nahahmung gefunden haben mag: all:
gemein und andauernd war e8 keinesweges. — In der Shladt, meint Solms,
möge der Feldoberſt fein Geſchütz jo viel immer möglic gegen den Feind arbeiten
lafien, jein Volk gut deden, nit lange in der Feinde Feuer halten, jondern
entweder „treffen“ (angreifen) oder „aus dem feindlihen Geſchütz in feinen Bor:
teil (Dedung) ziehen. Die 2:pfünd, Faltaunen gehören neben oder vor der
Knechte Haufen, deren Angriff fie vorbereiten; doh mag man fie auch Hinter
einen Teil der Mannſchaft ftellen, und wenn fie feuern follen, „tun fich die
Knechte vorn auf“.
Kaiſer Karl V. iſt wohl der erſte, welcher eine Art von Regle—
ment für jeine Wrtillerie erlieg. Es führt den Titel: »Instruction
et ordonnance aduuisee, faicte et conclute par l’'Empereur sur
la conduicte des maistres et officiers de son artillerie en ses
pays dembas tant en temps de paix que de guerre.« Augs-
burg, 5. Avr. 1551. Die Handjchrift diejer Injtruftion bewahrt die
fgl. Bibliothek zu Brüffel (no. 16228.)
Herzog Albredt von Preußen (1552) verwendet jein hohles
Bieref [S. 521 und ©. 714] in artilleriftifcher Beziehung ganz im
Sinne Reinharts v. Solms zur Überrafchung ; ebenfo wie diefer empfiehlt
auch Albrecht mit großem Nachdruck, das Gejchüg tätig zu verwenden,
es entichlofjen einzufjeßen.
Abgejehen von diejen deutjchen Fürjten, jtehen die meijten Kriegs-
jchriftjteller des 16. Ihdts. auf einem dem Machiavelli ziemlich nahen
Standpunkte. Dies aber hatte jeinen Grund darin, daß troß aller
zunftmäßigen Arbeiten und Erfindungen der Büchjenmeijter, namentlich
auf dem Gebiete der Feuerwerkerei und der Gejchoßfunde, die Feld—
artillerie feine Fortjchritte machte, während die Handfeuerwaffen -
ununterbrochen an Bedeutung gewannen. Seit der jchönen Flanken:
bewegung Alfonjos von Ejte vor Ravenna 1512 wird weder in der
Kriegsgeichichte noch in den wiflenjchaftlichen Werfen irgend etwas
Ähnliches wieder erwähnt. Die Autoren raten meiſt, das Geſchütz
zunächſt zu maskieren, dann auf nahen Abjtand es frei zu machen,
152 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
eine Lage abzugeben und nun zum Handgemenge überzugehen — .Die
großen Kaliber überbürdeten die Heere; die Nachteile jolcher Belajtung
waren im jchmalfaldiichen Kriege jchreiend hervorgetreten und jchreckten
von ihrem Gebrauche ab [$ 31.] Dazu fam, daß der, welcher die
Schlacht verlor, faft regelmäßig auch feine ganze Artillerie einbüßte.
Und welchen Wert jtellten dieje großen, jchönen Geſchütze dar! Die
kleinen Karrengejchüge aber hatten zu geringe Wirkung. Infolgedeſſen
nahm der Gebrauch des Feldgeſchützes überhaupt ab. Einfichtige
Kriegsmänner empfanden das als jchlimmen Mangel und jannen auf
deſſen Bejeitigung. Im diejer Hinficht verdienen bejonders die Bor:
ichläge hervorgehoben zu werden, welche Graf Johann von Haffau,
nachdem er Oraniens Kriegführung fennen gelernt, in einem „Dis
furs die Artillerie belangend“ niedergelegt hat, welcher ſich
im Alten Dillenburger Archive zu Wiesbaden befindet (1597).
Graf Johann jagt: Es kommt darauf an, großes Geſchütz auch mit ins
Feld führen zu können; zu dem Ende muß es erleichtert werden. Man muß
dahin kommen, halbe Karthaunen, die 24 Pfund jchießen und gewöhnlich 50 Etr.
wiegen, auf ein Gewicht von 12 Etr. herabzumindern, jo daß jie, mit nur
4 Pierden bejpannt, dem marjchierenden Heere auf allen Wegen zu folgen ver:
mögen. Dies ift zu ermögliden: 1. indem man fie kürzer macht, was angeht,
weil fie in der Feldſchlacht nicht zwiichen Schanztörben ftehen; — 2. indem man
die Metallitärle vermindert, was man jid) gleichfall3 gejtatten darf, weil man
in einer Schladht gewiß nicht mehr wie 4 bis 5 Schuß aus einem Kanon tun
wird, das Rohr aljo wenig erhigt wird; — 3. indem man jtatt der Bolltugeln
Hohlkugeln anwendet, die zwar das Kaliber 24-pfündiger Kugeln, thatſächlich
aber nur ein Gewicht von 12 Pfund haben, jo daß man ftatt 12 Pfund Pulver
nur 4 Pfund anzumwenden braudht; — 4. indem man Gefhüge mit Kammern
conjtruirt, in denen das Pulver eng gefaßt iſt und in Folge defjen erhöhte
Wirkung hat. Natürlich kann man aus jolden Kartaunen aud) Kartätjchen jchiehen.
Dieje einfichtige Ausernanderjegung werit auf den Weg, den in
der Folge Gustav Mdolf eingejchlagen hat und auf dem ſich die
Artillerie nach und nach die Stellung auf den Schlachtfeldern eroberte
durch welche jie endlich dem Konjtablertume entzogen und zu emer
ebenbürtigen dritten Waffe entwidelt worden tt.
5. Gruppe.
Wagenburgen.
899,
War im 15. Ihdt. der Name „Wagenburg“ gleichbedeutend ge
wejen mit „Heer“, jo war das im 16. Ihdt. nicht mehr der Fall
5. Wagenburgen. 153
Die von den Wagen emanzipierte Artillerie war die gefährlichjte Feindin
der alten Genojjin geworden und hatte deren Rolle wejentlich bejchränft,
bejeitigt jedoch noch feineswegs. Vielmehr jchleppte man noch immer
eine ungeheuere Zahl von „Heer“ oder „Raiswagen“ mit, deren Form
uud Ausrüjtung durch vielfache Reichs-und Landesgeſetze bejtimmt waren.
Nah 8 32 des Reichsabſchiedes von Speier jollte ein „gerüjteter guter
NRaiswagen“, für den monatlid 24 Gulden vergütet wurden, verjehen jeit mit
4 Pferden, einer Hakenbüchſe mit ihrer Neidfchaft, 2 Schweinjpießen oder Helles
barden, jowie Hafen und Scaufeln. Die Kinehte mit den Spießen wurden
„Bafladoren” genannt. Sie mußten „mit den Hauen, Schaufeln und zu anderen
der Wagenburg und Geihüg Nothdurft gewärtig und dienftlich fein“. Sämtliche
Wagen jtanden unter einem Wagenburgmeijter.
Solms äußert 1550 in jener „Kriegsregierung“ [8 22]:
„Manche meinen, die Wagenburg mitzuführen jet bejchwerlich und bringe
große Kojten, und jet jchwerlich zu unterhalten, und wo man im
Felde liege, möge man ſich anjtatt der Wagenburg mit Schanzen
vergraben. Das tjt wahr und iſt ein gar gut Werf, jo man ſtill
liegt... Aber wie dem jet, jo halte ich eine Wagenburg auch gut
und nüßlih, und it im viel Wege zu gebrauchen, wo man mit
Schanzen nichts tun kann und diejes unmöglich it. Aber jie ſind
beide brauchbar jedes jelbjt für jich und beide zujammen und in
einander gezogen.“
Volano jpricht 1553 [$ 27] von der Wagenburg nur als Zager-
befejtigung. Als jolche fünne jie (dreiedig, vieredig, rund), großen
Nutzen gewähren, wie er jelbjt erfahren.
Er war 1537 unter dem Oberjten Frhrn. dv. Feld mit 4000 Mann vor
Eperies durd) 20000 Feinde eingejchlofien. Doch man erhielt ſich mit Hilfe der
Wagenburg trog häufiger Scharmügel, bis nad) drei Tagen Entjaß kam.
Herzog Albreht von Preußen fennt aber auch noch den Marſch
in der Wagenburg und erläutert: „Wie man die wagen
allemal in ezliche zeilen führen joll, damit man jie zu
einem iglichen bejchluß mag mit geringer mühe einführen.“ [$ 23.) Er
fnüpft die Betrachtung darüber an zehn anjchauliche Figuren.
1. Zwölf Reihen Wagen, auf jeder Seite ſechs, und in der Mitte ein „raumer
plag“ von 4a Sel Breite [S. 712], in dem die Truppen jamt Artillerie und Troß
marjhieren. Auf jeder Seite nimmt die Länge der Wagenzeilen von außen
nach innen bejtändig ab, jo daß aljo der Binnenraum vorn in der Front etwa
dreimal jo breit ift als das Minimum von 4!/a Sel, jomit genügt, um eine
Schladjytordnung darin aufzujtellen, deren Flügel dann dur die Wagenburg
Jähns, Geihichte der Kriegswifienihaften. 48
754 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
gededt find. Allerdings wird der Marſch in folder Ordnung nur jelten möglid
jein; denn er erfordert 700 bis 800 Schritt Front.
Bagenzeilen.
mn)
5 —
3 u —
4 — — — —
— 2 — 217
s—— — — —————
| 2 2
4'fa Sel | Naumer Plap. e ———
a
v — |
10 — —
11 ÿ —
= Wagenzeilen. ?
2. Aufmarjch aus vier Zeilen in ein Quadrat oder Rechteck mit doppeltem
Wagenſchutze.
.Aufmarſch aus vier Zeilen in ein großes, doppeltes Dreied.
. Deggl. in einen doppelten Kreis und
. in einen „oberlengten runden Platz“ d. h. in ein doppeltes Oval.
. Aufmarih aus ſechs Zeilen in ein doppeltes Sechseck und
. in ein doppeltes Achted.
8. Aufmarſch aus ſechs Zeilen in einen „viertantigen Plag“ (großes Biered),
9. in einen „plag mit ſechs jpiten“ (aus⸗ und einfpringenden Winkeln) um)
10. in einen „platz mit adıt jpigen“.
Will man einem überlegenen Feinde gegenüber in der Wagenburg marjchieren,
jo führt man „von den eußerſten Zeilen von einer zu der anderen einen Wagen
neben den anderen vnd ſchließt diefelbigen mit fetten, oben durd die lettern oder
durch die fafjung zufammen. So faren fie jametlich zugleich allgemad) fort. Dei
einen Fuhrmanns pferdt geht neben des andern Fuhrmannd wagen, aljo da
die reder auf nechjt beifammen find“. Auf diejfe Weije ijt aljo die ganze
marjchierende Truppe von der eng gejchlojienen fahrenden Wagenburg umgeben
und dadurd allerdings, namentlich gegen Reiterei, volllommen geſchützt.
Das Aufmarjchieren der Wagen zum Lager bezeichnet
Herzog Albrecht als „gedoppelt einführen und bejchließen.“ Seine
„Zafel zur Wagenburg“ bringt eine genaue Überjicht der Verhältniſſe
von Raum, Seitenlänge des Lagers zur Zahl der Wagen bei ein
fachem, doppeltem und dreifachem Bejchluffe, in folgender Form:
190m
Länge der plat Größ d.gantzen Wagen des |. | | Sanz Summ
aneinerjeitten | gevierten platz einfachen re der Wagen
S x :
Sel. Sel. Beſchluß. Beil. 24. 8
221,2 |
| 250 | 208 216 | 24 |
33 1080 | 1328 | 1336 | 1344 | 4008
5. Wagenburgen. 755
Dann folgt unter der Überschrift: „Wie man jich mit einer
gangen Kriegsrüjtung im feldt vor dem feindt legern
ſoll“ eine nähere Ausführung der drei aus den vorher erläuterten
Aufmärjchen 8, 9 und 10 jechszeiliger Wagenburgen hervorgehenden
‚seldläger:
ad 8. Vierkantiger Plap mit einem Mittelplag (Alarmplatz). In jeder
der vier Seiten ein Tor, das von der inneren Wagenreihe ber durch jchräg ge=
jtellte Gejhüße unter Feuer genommen wird. Im übrigen ift die Artillerie
zwiſchen der äußeren Wagenreihe verteilt.
ad 9. Pla mit ſechs Spitzen. Hier liegen an den einfpringenden Winkeln
der von den Wagenreihen gebildeten Tenaillen je drei Gejhüge zum Bejtreichen
der Tenaillenjeite. Jede diefer Batterien hat eine Wache als Partikularbedeckung,
u. zw. die eine Knechte, die andere Reifige, jo da an jedem einfpringenden
Winkel Fußvolk und Neiterei vertreten ift. In einigen diefer Winfel liegen dann
aud) die Tore.
ad 10. Plag mit acht Spitzen iſt ganz entjprechend angeordnet.
8 100.
Bon weit geringerem Werte jind die Angaben, welche Fröns—
perger im II. Teile jeines Sriegsbuches: „Bon der Wagenburg
vmb die Feldtläger u. j. w.“ 1.3. 1573 madt. [$ 32.] Weit:
ihweifig und unklar, wie alle jeine Auseinanderjegungen, zeigen die
der Wagenburg gewtdmeten 39 Seiten, daß es auch von deren eigenem
Verfaſſer gilt, wenn er jagt: „Dieweil aber nun die Kriegßvbung der
Wagenburg in langer zeit nicht gebraucht vnd beynahent gar vergejjen,
wie dann in vielen Zügen wider den Erbfeindt gejehen, daß man in
dem gangen Römiſchen Weich oder Lägern niemandt gefunden, dem
man bett jolch ampt jtattlich zuuerjehen, berufen vnd vertrawen
mögen.“ — Frönspergers „Bericht der Wagenburgen, wie man ich
darınn lägern, ziehen, auch ſonſt in nöten bewaren jolle,“ beruht im
wejentlichen auf dem betreffenden Schlußfapitel in dem Buche von
den probierten Künjten [$ 44] und zerfällt in 19 Abjchnitte:
1. Bon Kriegßerfahrenheit. 2. Welcher maſſen aufjer vnd innerhalb der
Bagenburg gezogen werde. 3. Wagen Ordnung vnd Drofier Fahnen. 4. Bon
Bagenburg vmbs Kriegßvolck vnd Läger zu führen vnd fchließen. 5. Befeld) des
Bagenburgmeijterd. 6. Erklärung der Wagenburg vnd gemeinen Wagenmeijter
zu Rob vnd zu Zub. 7. Vom Wagenburgmeijter. 8. Wagenburg in ein weit
eben Landt oder Feldt zu führen. 9. Wagenburg vnd Läger zu jhlagen. 10. Zug:
ordnung, in welcher das Kriegkvold zu Rob vnd Zub in felliger Schlahtordnung
48°
756 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen=flunde.
daher ziehen. 11. Wie man ordentlid dem Feindt vonder Augen ziehen jol.
12. Eine vberlengte halbrunde Wagenburg. 13. Wagenburg geſchloſſen. 14. Wie
man don eim Läger in das ander verruden foll. 15. Abzug zwiſchen dem Geſchütz
vnd Wagenburg. 16. Bon Befeftigung der Wagenburgen. 17. Bberlengte Wagen:
burg jampt dem Läger. 18. Zirdelrunde Wagenburg. 19. Halbrunde Wagenburg
an ein Paß oder Waſſer geichlagen.
Der Inhalt der Kapitel hält nur zum Heinften Teile, was die Überjchriit
verjpricht. Zwei Drittel iſt Geſchwätz, das da, wo es gereimt iſt, noch am folidejten
erſcheint. Eingehend ijt die Befehlsfolge erläutert: Über 200 bis 500
Pferde ift je ein Gejchirrmeijter gejegt; über ihnen jtehen die Wagenburgmeijter
der einzelnen Regimenter und über diejen der General:Oberjt-Wagenburgmeiiter
ded Heeres. Er bejtimmte, in wieviel Zeilen die Wagen nebeneinander jahren
jollten und wie die Pulverwagen zu verteilen jeien; er ordnete den Gebraud
verjchiedenfarbiger Troßfahnen an und befahl den täglihen Wechſel im VBor-,
Mittel- und Nahzuge. Die Marjchdijtanz von Wagen zu Wagen war auf zebn
Schritt fejtgefeßt. Die Flanken des marfcdhierenden Heeres wurden meijt durch
je zwei Beilen von Gepäd- und Brüdenmwagen gededt; die Munitionstwagen und
das ſchwere Geihüg fuhren zwiichen den in vier Kolonnen geordneten Truppen-
förpern. Front und Rüden der wandelnden Burg wurden dur das leichte Feld—
geſchütz gefichert, zu deſſen Dedung Schützenhaufen hinausgefhoben waren. —
Bon Streitwagen im eigentlihen Sinne ift gar nicht mehr die Rede; nur zumeilen
finden ſich noch Wagen dargejtellt, auf denen zwiſchen Gepädkajten einige große
Hakenbüchſen eingefchaltet find; jonjt entbehren die zur Einfriedung des Lagers
gebrauchten Fahrzeuge jeglicher ſachgemäßen BVerteidigungseinridtung. Ronton-
wagen, Laſtkarren, ja fogar die Gejhüßprogen werden im Lager zum äußeren
Abſchluſſe verwendet. Hinter diejen Hindernismitteln ijt das Gejhüg aufgefahren,
ohne daß erjichtlid wird, wie e8 dabei zur Wirkung fommen könnte. — Die
ihönen, als große Ausſchlagsbilder hergejtellten Kupferitiche, welche den Tert
illuftrieren, find übrigens bei weitem das Beſte des Buches; ohne diefe Beigabe
wäre Frönsperger überhaupt nicht verjtändlih. — Als Anhang gibt er nod
einige andere mechaniſche Hindernismittel an, die dem Fußvolk zum Schuß gegen
Kavdallerieangriffe dienen könnten S. 552), wie dergl. im legten Viertel des 16. Ihdts.
auch in Wirklichfeit vielfady angewendet wurde.
Gegen Ende des Jahrhunderts jcheint der Gebrauch der Wagen-
burg eher zu= als abgenommen zu haben u. zw. vorzugsweiſe infolge
der Kämpfe mit den Türfen auf den Ebenen Ungarnd. Schwendi
S. 537 u. beſonders 541)] legt gewöhnlich das ganze Lager in die Wagen:
burg hinein, um es vor den leichten Neitern des Feindes zu jichern,
und um angejichts diefer beim Marſch durch die Ebene unbehelligt
zu bleiben, marjchterte das Heer nicht jelten zwiichen zwei Reihen
nahe aneinander fahrender Wagen. Auf der Außenſeite der letzteren
befanden ſich die Orgelgejchüge, Igel, Karrenbüchjen und anderes
6. Verwaltung und Recht. 157
leichtes Feldgeſchütz mit Schügen in feinen Intervallen. Drohte ein
Angriff, jo machte man Halt und bejette die Wagen mit Schügen.
Zur Artillerie und Wagenburg zählten auch die Schiffbrüden,
deren Organijatton zuerjt in Ojterreich waffengemäß ausgebildet wurde.
Um die Mitte des 16. Ihdts. bejtand zu Wien ein Schiffmeifter-Amt,
dem ich in der Folge Nebenämter zu Preßburg, Raab, Komorn und anderen
Orten Ungarns anreihten; denn es galt, bejonder8 während der Türfenfriege,
nicht nur die gelegentlich notwendigen Stromübergänge herzuftellen, fondern auch
auf den Hauptverbindungen der Armeen dauernde Brüden zu erridten und zugleich
den Wajjertransport zu übernehmen, der bei dem Mangel guter Straßen für die
Heeresverpfjlegung unerläßlih war"). — Die Bereithaltung von Sciffbrüden
erwähnt aud) der Speyerifche Reichsabſchied von 1566. Frönsperger redinet 1555
auf eine Schiffbrüde wenigſtens 30 gute Schiffe von 7 bis 8 Fuß Breite und
16 bis 18 Fuß Länge, deren jedes jamt feinem Zubehör auf einem vierfpännigen
Wagen geführt wurde. Die dazugehörigen Botsfnechte, Zimmerleute und Hand-
langer jtanden unter einem Brüdenmeijter.
6. Öruppe.
Verwaltung und Red.
8 101.
Ber den romanischen Völfern waren die taftijchen An
vrdnungen mit den adminijtrativen, ja den jurijtijchen
aufs engjte verbunden in der Hand des Sergent de bataille,
bzgl. des Maestro di campo oder Sargento mayor. Baldes definiert
die Aufgaben diejes Offizters als dreierlei Art [$ 88]:
1. Aushebung, Ausrüjtung und Ausbildung. 2. Anordnung
der Märjhe und Lager. 3. Führung im Gefecht. — Der Sergento
mayor jteht über den Gapitanos. »Todos los officiales del tercio son in-
strumentos del Sargento mayor.«e Er hat unbedingten Zutritt zum Quartier
des Königs oder des Generald. Er führt den palo corto des Richters, joll aber
zugleich aucd der VBertrauensmann der Gemeinen jein. »Padre deve ser en
amor el Sargente mayor a todos los soldados del tercio.« Seine unmittel-
baren Organe find weniger die Capitane als die Alferezes, die Fähnriche, die
den Leuten mit bejtem Beifpiele voranzugehen haben; denn die Fahnen find
Symbole der Majejtät. »Autoridad Teal representan las banderas.«
Solcher Stellung des Sargento mayor bei dem einzelnen Regi—
mente entjpricht die de8 Maestro de Campo General bei dem
ganzen Heere.
1) Brinner: Geſchichte bes k. k. Pionier-Regiments in Verbindung mit einer Geſchichte bes
Kriegsbrüdenmweiens in Öfterreih. (Wien, 1878.)
158 Das XVI. Jahrhundert. IIL Heer und Truppen=flunde,
Dieje hat Lechuga in feinem gleichnamigen Werte [$ 88] eingehend erläutert,
in dem er dad Amt (carga, charge, niederdeutich „laſt“) jenes Offiziers nicht
nur ſelbſt eingehend fchildert, jondern auch die Nußerungen des Herzogs Phil.
von Cleve: el Sedor de Rauenstein S. 342] über die entſprechende Stellung
de8 Mareschal . de l’host fowie diejenigen des Ascanio Centorio degli
Ortenzii [$ 39], des Bernardino de Escalante [$ 37], des Don Diego
de Alava y Biamont [$ 62] und des Don Bernardino de Mendoza [S. 568)
auszüglih mitteilt und die betreffenden Bejtimmungen Kaiſer Karls V.,
Phelippes II. und des Statthalter, Herzog3 von Parma (ordenanzas sobre el
exercicio y administracion de la juridicion y justicia militar) hinzufügt.
Eine ähnliche Konzentration der Gewalten beſtand m Deutſch—
land nicht. — Die Aushebung, welche (wie früher auseinander-
gejegt) ja überhaupt nur ganz ausnahmsweiſe jtattfand, geſchah durch die
Ortsobrigfeiten, die gewöhnliche Werbung dagegen durch die Haupt-
leute, welche als Kriegsunternehmer ihre Fähnlein aufitellten und
dem Oberjten zuführten, der auf Grund einer fatjerlichen oder
landesherrlichen Bejtallung ihnen das Werbepatent ausgejtellt hatte.
Das Ergebnis der Werbung, u. zw. nicht nur das rein perjonelle,
jondern auch die Ausrüſtung und im gewijjem Sinne auch die
Ausbildung der Mannjchaft, unterlag dann der Prüfung durch einen
vom Kriegsherrn gejandten Muſterherrn und feine Kommiſſare. —
Die Anordnung der Märjche und Lager war Sade der
Dberjiten Wacht: und Quartier-Meijter; die Führung im
Gefechte fiel den Oberſten und ihren Lieutenants zu. Die
jurtjtijhen Aufgaben bejchäftigten unter der höchiten Leitung
des Oberſten Feldprofoſes (aud Capitän de Juftitia genannt)
die Profoſe der einzelnen Negimenter unter mannigfaltiger Kon:
furrenz des Feldmarjchall® und FFeldzeugmeiiters. Alle dieje Ange
legenheiten, jowie die Nechte und Pflichten jämtlicher Kriegsämter
find, u. 3m. 3. T. jehr eingehend, in den allgememen friegswijjen-
ihaftlihen Werfen abgehandelt, welche im I. Kapitel diejes Buches
bejprochen wurden, jo daß es der Hauptjache nad) genügen wird,
auf jene Werke hinzuweiſen.
Borzugsweije fommen in Betradht: Der Trewe Nat, die alte „Kriegs:
ordnung“ von 1526 und ihre Verwertung durd Herzog Albrecht von Preußen,
die „ Newe Kriegsordnung“ don 1536, vor allem aber das von Putler
und Bemelberg Herrührende „Amterbucd” mit feinen mannigjaltigen Be-
arbeitungen durch Graf Solms, Gentzſchen, Nolano, in der „Forma vnd
Ordnung“ von 1568, in Schwendis berühmtem Kriegsdiskurs ſowie in den
Umgejtaltungen von Philippi und dv. d. Olßnitz. Endlid find Fröns—
6. Verwaltung und Red. 159
pergers Schriften zu erwähnen, auf deren einſchlägliche Teile fpäter noch etwas
näber eingegangen werden joll.
$ 102.
Ob die gejeglihen Beitimmungen über das Heer:
wejen als friegswiljenjchaftliche Arbeiten anzuſehen ſeien, mag zweifel-
baft erjcheinen. Ich bejahe die Frage, und da ich glaube, daß wenig-
jtens eme Überjicht jener Beſtimmungen auch willkommen und
nützlich ſein werde, ſo will ich eine ſolche geben.
J. Vom Reichs-Kriegsrechte. a) Vorſchriften für die drei
Waffen.
1508. Kaiſer Maximilians I. Artikulsbrief9. — Die 23 Artikel
dieſes Briefes verlangen: Treue gegen den Kaiſer, Gehorſam gegen den Feldherrn
und ſämtliche Vorgeſetzte, Fahnentreue, regelmäßigen Wachtdienſt, Ordnung im
Lager, unweigerliches und pünktliches Erſcheinen auf dem Sammelplatze, Unter:
werfung unter den Beſchluß des Feldherrn, falls dieſer einen ihm vom Feinde
übergebenen Ort mit der Plünderung verjchonen will, Ablieferung gemachter
Beute zu regelrehter Verteilung, Unterlafjung jeder unerlaubten Rottierung (fein
„Gemein“ machen ohne des LOberjten Erlaubnis), Achtung der Marktfreiheit,
Schonung der geiftlihen Gebäude und Stiftungen, der Kindbetterinnen, Witwen,
Schwangeren und Jungfrauen, alten Leute und geijtlichen Perſonen, Unterlafjung
der Gottesläjterung, der Trunfenheit, der Ahndung alten Groll® und jeder
Parteiung oder Gewalttat, Verträglichkeit zwiſchen Fußknechten und Reitern,
Gehorſam auch in jolhen Punkten, die nicht bejonders artifuliert find, und endlich
entjchlofienes Einjchreiten mit der Waffe gegen feige und flüchtige Mitjtreiter. —
Diejer Artifelbrief. ijt die Grundlage aller entjprechenden Verordnungen für das
Fußvolt des 16. Ihdts. insbeſondere auch des Artifelbriefes König
Ferdinands I. vom Jahre 15272, — Hinſichtlich der Artillerie gilt dasjelbe
von den „Privilegien“ und „Reguln“, welde
15 ? Kaiſer Karl V. als Articul vnd Freyheiten der Büchſen—
meijter vnd ihrer Zugethanen bejtätigte®). — Dieſe „Freyheiten“
jtammen wahrfcheinlid aus der Zeit Kaifer Friedrichs II. Der Soldmonat des
Büchjenmeifters ijt aus, fobald ein Sturm auf eine von ihm belagerte oder ver—
teidigte Veſte gelungen, bezw. abgejchlagen ijt. Jeder Büchjenmeijter joll 3 bis
4 Handlanger halten. Weder Profos noch Stedenfnechte dürfen Hand an einen
Büchſenmeiſter legen, jondern, jo er ſich vergangen, iſt e8 dem Zeugmeijter zu
melden. Das Geſchütz gewährt, wenn es berührt wird, dreitägiges Aiyl. Drei
Schüfje aus einem ihm unbelfannten Stüd darf der Meifter zu feiner eigenen
Unterriditung tun; erjt dann ijt er zum Treffen verpflichtet. Ihre Weiber und
1) Abbrud in Hermsdorffs Corpus juris militaris. (Frankfurt a. M. 1674.)
9) Ausführlicher Auszug in Meynerts Geſch. des Öfterr. Rriegsweſens. II, ©. 54 (Wien 1854)
und in Gilbert Angers: Geich. ber !. f. Armee, I. (Wien 1886.) *?) Desgleichen.
760 Das XVI Jahrhundert. III. Heers und Truppen-ftunde.
Jungen dürfen die Meijter auf einem Stugelwagen fahren laſſen, damit fie nicht
unter dem Troß zu gehen brauden. Auf dem Markt hat der Meijter, falls er
jeine Zündrute (als Abzeichen) mitführt, das Vorkaufsrecht; auch ift ihm gejtattet,
bei der Artillerie zu martetendern. Gloden in Feindes Land gehören den
Büchjenmeiftern, ebenjo in erjtürmten Städten die Kriegsrüftungen und die
größte Büchfe, die noch in den Stüden ftedenden Ladungen; und alle aufgeſchlagenen
Tonnen Pulvers. Gleiches gilt aud im Felde. Doch kann ihnen der Feld:
marjchall oder der Kriegsherr die Dinge zu bejcheidenem Werte ablaufen. — Das
jind die zehn Privilegien; ihnen jchließen fi die Regula an: Die Büchjen-
meijter jollen alle Morgen vor dem Zeughauſe erjcheinen, fromm und tugendhaft
leben, jidy nicht mit ungetrauten Weibern jchleppen, die untergebenen Stüde und
Sachen wie ihr eigen Leben halten, nicht über Nacht vom Stüd wegbleiben,
nicht ohne Befehl jchießen oder, angegriffen, ohne Erlaubnis vom Stüd weichen,
jih nicht zanfen, die Mängel der Geſchütze dem Zeugmeijter anzeigen, fih ohne
Weigern aud zu Bejapungen fommandieren lafjen, nicht brennen noch brand-
ihagen, feine Kirchen berauben oder fi in Mühlen oder bei Wöchnerinnen ein-
quartieren, fich nicht mit dem Feinde einlafjen, ohne des Zeugmeijter8 Vorwiſſen
feine Verſammlung halten, bei ausbleibendem Solde Geduld haben u. ſ. w.
1570 fand das Erlöſchen des Lehnskriegsweſens feinen heerredhtlichen Aus—
diud in Kaifer Marimilianöll. und des Heiligen Römiſchen Reichs
Reutter=-Bejtellung, denen eine Erneuerung von „der Teutjchen Knecht
Articel* angehängt wurde. ALS Verfaſſer beider gilt Lazarus v. Schwendi [S. 537),
und daher hat der Edle von Janko dieje Gejege ald Anhang feiner Lebens—
bejhreibung Schwendi? abgedrudt. Der ganze Komplex, der auch betitelt wird:
„Dero Röm. Kayſ. Maj. Marimiliani II. und dei H. Reichs anno 1570 durd
den Reichs-Abſchied zu Speyer auffgerichtete Verordnung und gemeine Wer:
gleihung“ wurde 1570 zu Mainz gedrudt!) und umfaßt 224 Artikel.
Eine traurige Betrachtung darüber, daß die „Teutſche Freyheit“ in Miß—
braudy geraten, bildet die Einleitung zu der eigentlihen Reuterbejtallung
(Artifel 1—141). Es wird zuerjt vom Anritt und der Mufterung, ſowie von der
Bejoldung gehandelt. Dreißig Tage werden für einen Monat gerechnet, umd
wenigjtens wird für ein Vierteljahr Sold gezahlt. Neifige und Troß = Pferde
dürfen nur in dringenden Notfällen eingefpannt werden. Jeder Rittmeiſter joll
etwa 300 Pferde unter fi) haben und ihm auf jedes gerüjtete Pierd 1 Gulden
Rittmeiftergeld gut getan werden. Je 50 Pferde ftehen unter einem Rottmeijter
Auf 12 Pferde ift ein Troßflepper zuzulafien. Bei jeder Neiterfahne befinden
jih: 1 Lieutenant, 1 Fähnrih, 2 Trompeter, 1 Feldſcher, 1 Furier, 1 Feuer:
ſchloßmacher, 1 Sattler, 1 Hufichmied, 2 Trabanten und 1 Kaplan. Kein Ritt:
meijter joll über 12, fein Graf oder Herr über 10 bis 12, feiner vom Adel über
6 bis 8 Pferde mitführen (es wäre denn, daß er gar vermögenlid und feine
Leute bejonders wol jtaffirt und gerüjtet ſeien). Es find genaue namentliche
1) Bibl. des Verfaſſers. — Ubdrud bei Hermaborff a. a. D. Ausführl. Auszug bei
Menpnert: Geſch. des dfterr. Kriegsweſens. II. (Wien 1854).
6. Verwaltung und Redt. 761
Mufjterregiiter anzulegen. Einem Edlen, der nur 3 oder 4 Pferde hat, joll kein
Junge pajjieren, einem, der 5 oder 6 Pierde hat, nur 1 Junge; einem, der
12 Bierde hat, mögen 2 Jungen gejtattet fein. Jeder Edle, der 2 oder mehr
Pferde hat, joll einen berittenen Knecht mit langem ?Feuerrohr halten. Edelleute,
welche ſich nicht ins Regiſter jchreiben und nicht geboren wollen, jog. „Frey—
Reutter“, find nicht zuzulafjen, ſonſt aber ijt der Adel bei der Aufnahme vorzüglich
zu berüdjichtigen. Die Knete haben ſolange unter der Fahne auszuhalten, als
ihre Junker fich derjelben verpflichtet haben. Dieſe müfjen für tüchtige Bekleidung
und Ausrüſtung der Knechte jorgen, fie gut halten, und feiner joll dem andern
fein Gejinde abjpannen. Beurlaubungen und Neueinjtellungen dürfen nur mit
Erlaubnis des Feldoberſten jtattfinden. Die Pferde und Rüſtungen kranker oder
gefangener Reifiger werden bei jeder Mujterung mit vorgeführt. Niemand darf
bei einer jolden Knechte, Pferde oder Rüftungsftüde von anderen leihen. Außer
dem 12. Pferde des Rittmeijter® und dem 6. des Fähnrichs ijt keines mwachtfrei.
Es ijt jtrenger Gehorjam zu leiften von den Neutern und NRottmeijtern an bis
hinauf zu den Oberſten, welchen der Feldmarſchall ala des Kaiſers Oberit-
Lieutenant befiehlt. Dafür follen die Reifigen aber auch bei ihren alten ritter-
lihen, adelihen Ehren und PBilichten erhalten bleiben, nämlich bei dem von
Kaijerl. Majejtät und des Reich! Ständen wieder eingejepten löbl. Ritters und
Reutter-Rechte. Über darnach ergangene Urteile ift Protokoll zu führen und
dies dem Kurfürjten Erzlanzler nad) Mainz zu überjenden. Verdächtige Weiber
jind nicht im Lager zu dulden. Der Gottesdienjt ift treulih zu feiern und
während desjelben der Markt zu jchließen. Gottesläftern, „viehiſches Bollfaufen“
find zu meiden. Zrunfenheit dient zu feiner Entjchuldigung oder Strafe
milderung. Wer Teindesnot aus Völlerei verjchläft, foll jterben. An Leib,
Ehr und Gut wird gejtraft, wer gegen einen VBorgefegten die Hand erhebt. Bor
das Meuterreht wird gejtellt, wer die Obrigkeit ſchmäht oder Meuterei madt.
Der Profos ijt bei Verhaftungen u. dgl. nicht zu hindern. Niemand foll „für
den Fahnen jtreihen“, d. h. das Lager ohne Erlaubnis verlafjen oder über Nacht
ausbleiben, wenn er „auf Fütterung“ geritten. Feldflüchtige werden an Ehre,
Leib und Leben gejtraft, Überläufer für Schelme erflärt. Feindesboten find an
Nittmeijter oder Oberjten zu weijen. Stein feindliher Mann darf die Wachen
pafjieren. In den Wachen ijt alles Balgen und Schlagen verboten; aud) im Lager
joll man fid nicht mit mördlicher Wehr anfallen, ſich herausfordern oder die Zelte
gewalttätig überfallen. Pflüge, Mühlen, Badöfen, Korn und Mehl find nicht zu
verderben, Greife, Weiber, Kinder und Geiſtliche nicht tot zu jchlagen. Gehören
verjchiedene Nationen zum Heer, jo follen jie nicht wider einander rottieren.
Auf der Waht muß alles till fein. Alter Groll ijt nicht zu eifern, noch zu rächen;
Uneinigfeit iſt zu vergleihen. Wer die Wacht verjäumt, wird vor das Reuterrecht
gejtellt. Wer auf der Wacht ſich von Rob und Harniſch trennt, verliert beide an
den FFeldmarjchall. Trunkenheit auf der Wade wird nad; Erkenntnis des Feld—
marſchalls oder des Oberjten oder des Reuterrechts gejtraft. Niemand darf fremde
verdächtige Perſonen beherbergen. Vorteil für Freunde und Nachteil für Feinde
iind anzuzeigen. Ohne des Feldoberſten Erlaubnis jol nicht gebrandſchatzt werden.
762 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer- und Truppen-Kunde.
In der Schlacht darf feiner, bei jeiner Ehre, von dem ihm angemwiejenen Plat:
weichen, auch nicht zum Beutemachen. Jrrungen über Beute entjcheiden die Bor:
gejegten oder das Reuterrecht. Erbeutete Lebensmittel jind auf dem Proviant-
plaß zu verkaufen, der nicht geplündert und dejjen Verkehr nicht gejtört werden
darf. Verdächtige Perjonen und Dinge find anzuzeigen, Geleit, Paßporte und
Salvguardia zu rejpektieren und die Reichuntertanen nicht zu beleidigen. Bei
ausbleibendem Solde mag man von den Wirten borgen, doh muß man aud
zurüdbezahlen. Gefangene feindliche Oberjte und Hauptleute find gegen jtattliche
und billige Verehrung dem Kriegsherrn abzuliefern, gemeine Gefangene mit des
Rittmeijters Wiſſen gegen Löjegeld zu entlaſſen. Geihüg, Munition und Proviant,
die erobert werden, gehören dem Kriegsherrn. Neuterreht fann in Abwejenpeit
des Feldmarſchalls nötigenfall® auch ohne dieſen gehalten werden. Bor dies
Gericht gehören auch die, jo Anrittgeld genommen, doch nicht in Dienjt getreten,
nicht minder die Ziwiftigfeiten der in fremdem Dienfte jtehenden deutihen Reiter.
Das Recht ijt ehrlich und in Gegenwart eines Oberjten zu erteilen. Die Reifigen
jollen monatlid; gemujtert werden, doch Verzögerung des Monatsjoldes geduldig
ertragen. Bei der Mujterung find Bejtallung und Artikel unter fliegenden Fahnen
zu verlejen. Übeltäter dürfen nicht angeworben werden. Auch nicht artikulierte
billige und natürliche Forderungen der Oberen jind zu befolgen. — Die Be:
jtellung des Feldes und des NReuterrechte® beginnt mit einer Vorhaltung
des Feldoberſten und der Vorleſung der Reich&bejtallung. Alle werden ermahnt, ihr
nachzukommen und geloben dad. Dann wird das Feld beitellt, indem den Reitern die
Herren vorgejtellt werden, denen die Hohen AÄmter anvertraut find. Der Feld—
marjchall gelobt, nachdem ein Herold ihm das bloße Schwert überreicht, treue
Rechtspflege; der Feldoberjt ermahnt die Amtsinhaber; dieje danken. — Zum
Reuterrecht bejtellt der Feldmarfchall einen Edelmann als jeinen Lieutenant.
Wenn das Recht gehalten werden joll, wird es im Lager ausgeblajen und mit
3 Rittmeiftern, 3 Lieutenants, 3 Fähnrichen, 3 Rottmeijtern, ſowie einem Oberiten
bejegt. Bei jehr großer Stärke des „Reutterhauffens“ oder befonders wichtigen
Fällen jind außer dem Oberjten auch) wohl die doppelte Zahl an Richtern, 24,
zu bejtellen. Bei bürgerlichen Parteiſachen mag der Lieutenant des Yeldmarjchalls
den Vorſitz führen, jonjt er jelbft, dem unter Trompetenjchall ein jchneidend Schwert
borausgetragen wird und dem die Nichter folgen, ihre entblößten Schwerter in
der Hand (nur bei Zivilfachen behalten fie e8 an der Seite). An der Gerichts—
jtelle legt der Feldmarjhall das Schwert und den Bejtallungsbrief vor ſich auf
den Tiſch, und die Richter kehren, wenn e8 ein peinliches Gericht ijt, ihre Schwerter
mit der Spite abwärts. Nad) Vermahnung und Umfrage „verbannt“ der Marichall
das Recht. In peinlihen Sahen fungiert der Profos ald Ankläger und das
Urteil erfolgt auf Grund der Artikel der NReuterbejtallung oder derer des Hals—
gericht3 Karla V. (Bal. unten.) Die Vota find verjchiwiegen zu halten bis ins
Grab. Der Feldmarichall veröffentlicht da8 Urteil erjt, nachdem er ſich mit dem
Oberjten wegen etwaiger Milderung desjelben beiprohen hat. Nach dem Urteils-
ſpruch hebt der Marjchall dad Schwert empor, dem ahmen die Richter nad; der
Marſchall bricht jeinen Stab.
6. Verwaltung und Redt. 163
MarimiliansII Articulaufdie Teutſche Fuß-Knechte (141— 215)
find eine weitere Ausführung der Artifel von 1508 mit jtrengeren Strafbeitim-
mungen. Alle Knechte jollen (außer mit dem Spieß, der Kurzwehr oder dem
Feuerrohr) aud) mit guten Seitenwehren verjehen fein, die Schügen aucd mit
Haken» und Flafhen-Deden. Kein Knecht joll im Zuge aus der Ordnung gehen
ohne merfliche Urſache. Keiner darf fid) der Arbeiten an Bauten, Schanzen u. ſ. w.
weigern. Schlägt man als Feitungsbefagung Stürme ab, jo iſt das doc fein
Grund zu neuen Soldforderungen. Nur wenn eine Hauptiefte mit gewaltigem
Sturm genommen oder eine Feldichlaht gewonnen wird, jo joll ein Monat aus:
und angehen. „Und da das Geld nicht gleich vorhanden und den Feinden Abs
bruch gejchehen möchte, jo jollen fie jih auf ihres Oberjten Befehl nad) der Tat
nachzudruden, nicht widern und feinen Zug abjchlagen, andernfalls follen jie ala
meineydig gehalten und an Leib und Leben gejtraft werden.“ Niemand darf
während eines Gefechtes oder Sturmes plündern, niemand aus dem Lager ohne
Urlaub auf Beute ziehen. Ohne Gnade jollen an Leib und Leben jolde Knechte
gejtraft werden, die ohne des Oberjten Willen „eine Gemein machen.“ ahnen:
flüchtige werden für Schelme erflärt und im Betretungsfalle hingerichtet. Beim
Balgen darf man fid) nur des Seitengewehrs und auch deſſen lediglich zur
Notwehr bedienen. Niemand foll nachts jein Gewehr abſchießen. Nur mit des
Hauptmanns Einwilligung dürfen Stellvertreter eine Wacht übernehmen. Streng
verboten iſt aller Betrug bei der Muſterung, jowohl der mit Perfonen als der
mit Sachen. Auch die „Befehlichsleute“ jollen dabei mit ihrer Rüſtung erjcheinen.
„Wo Neifige vnd Fußknechte bey einander in einem Läger liegen würden, jo
follen die Knechte ziemlicher mahen weichen, damit die Neifige ihre Pierde unter—
bringen mögen, vnd id) untereinander leiden.“ seiner joll dem anderen zu=
trinken, um ihn zum Trunk zu nötigen, fein Hauptmann dem anderen feine Knechte
abjpenjtig machen und niemand auf Borg jpielen. — Alle anderen Artikel jind im
wejentlichen Wiederholungen folder von 1508 oder ſolcher der Reuterbejtallung.
Der Reuterbejtallung und den Kneht3-Articuln find noch neun jonderlide
Puntte „anhängig*“. — Nur deutjche Cherjte, Hauptleute und Rittmeijter dürfen
für fremde Fürjten deutjhes Kriegsvolk werben, feine Offiziere
fremder Nation. Deutiche, weldye fremden Dienjt oder fremde Penſion (Warte:
geld) nehmen, müfjen die Bedingung jtellen, nicht gegen das big. Reid gebraucht
zu werden, und müſſen auch im fremden Dienjte Reuterrecht und Knechtsartikel
halten. — Ein Fähnlein joll ſtark fein 400 Köpfe, darunter 100 wohl»
gerüjtete Ainechte mit langen Spießen und furzem yeuerrohr, don demen die
Hälfte (alfo 50) ald Doppeljöldner (8 fl. monatlih) volle Rüftungen mit ganzen
Armſchienen tragen jollen; ferner 50 qutgerüjtete ältere und erfahrene Kriegs—
männer mit Schlachtichwertern oder Helmparten, 50 ungerüjtete Spießgejellen
und 200 Hakenſchützen mit Sturmhüten, guten Rappieren, guten Röhren, Feuer—
oder Schwammſchloſſen. „Sie follen monatlic geübt und ihnen an Baden an—
zufchlagen und abzuſchießen eingebunden werden; welcher dann mit feinem Schießen
nicht beitehet, dem ſoll zur Strafe der Hade niedergelegt und ein bloßer Spieß
gegeben, und dafür einer don den gemeinen bloßen Knechten an jeine Statt
®
164 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer und Truppen-Kunde.
genommen werden. Und dieweil die fremden Nationen anheben, ji der Doppel-
baden unter den Schüßen zu gebrauchen, jo jollen unter jedem Fähnlein 10 Schügen
mit Doppelhafen unterhalten werden.“ (Hundert Schügen empfangen 5, fünfzig 6,
vierzig 7 oder 8, die mit Doppelhaten 10 Gulden monatlich.) Bei jedem Fähnlein
jollen wenigſtens acht bis zehn vom Adel oder andere erfahrene Kriegsleute mit
etwas höherer Bejoldung fein, welche ſich auf eigene Kojten beritten halten, um
„auf ihren Oberjt oder Hauptmann zu warten, two es vonnöthen, jonderlich aber
zur Führung der Schüßen fich gebrauchen lafjen“, weil an den Schüßen „ißiger
Beit merdlid) hoch viel gelegen. *
b) Strafgejege allgemeiner Natur, welche auch für die Heere gültig:
Kayjers KaroliV. und des Hlg. Röm. Reichs Peinliche Halß—
Gerichts-Ordnung, wie jolde auf denen Reichs-Tagen zu Augspurg und
Negenspurg in den Jahren 1530 und 1532 aufgerichtet und beſchloſſen worden.
(219 Artikel.)
Durch diefe vom Frhrn. von Schwarzenberg ausgearbeitete Gerichts-
ordnung trat an die Stelle verjchiedenartigjter, big dahin im Reiche geltender
Strafrehte mit einem Sclage ein einheitlicher Kriminalcoder, der ohne bejondere
Rückſicht auf das römische Recht ein wohldurchdachtes Ganzes darjtellt und deſſen
fejte Norm auch eine Wohltat für die Heere ward"). Allerdings erjcheinen die
Strafen der Carolina uns heute oft nahezu barbariih und doc bedeuten fie einen
bemerkenswerten Fortſchritt auf der Bahn der Menſchlichkeit, zumal durd die
Milderung der Folter. Mit der Todesitrafe iſt das Geſetz freilich jchnell bei der
Hand, und wer einmal Holzjchnitte oder Kupferftihe aus dem 16. Ihdt. durd-
blättert hat, welche dem Lager: und Söldnerwejen gewidmet find, der weiß, dab
fajt immer im Hintergrunde ein „wohlbevölferter” Galgen jihtbar wird.
c) Statsrechtliche Beitimmungen.
Des Hlg. Röm Reichs Erecutiondordnung, wie jelbige bei dem
Neichdtage zu Augspurg anno 1555 aufgerichtet und dem Abſchiede einverleibet
worden. — Diefe Ordnung handelt von der Reichs- und Kreis-Kriegsverfaſſung
zur Handhabung des Landfriedend, von den Werbungen, Wujterplägen und
Durchzügen u. ſ. w. Die Neuterbejtallung nimmt darauf Bezug. — Von minderer
Wichtigkeit, doch nicht uninterefiant in militäriiher Hinfiht find die Reichs—
tagsabjcdiede von Augsburg 1500 und 1510, Worms 1518 und 1521, Nürn-
berg 1521 und 1522, Speyer und Ehlingen 1526, Regensburg 1527, Speyer 1529,
Augsburg 1530, Regensburg 1532, Worms 1535, Regensburg 1541, Speyer und
Nürnberg 1542, Nürnberg 1543, Speyer 1544, Augsburg 1548 und 1555, Negens-
burg 1557, Speyer 1559, Worms 1564, Augsburg 1566, Erfurt 1567, Frankfurt
1569, Speyer 1570, Regensburg 1576, Augsburg 1582 und Regensburg 1594 und 158.
Il. Bom Kreis-Kriegsrechte.
Die Reichskreis-Verfaſſung nach dem Augsburger Abjchiede von 1555:
Bon dem Kreisoberſten. Bon den zugeordneten Ständen. Von Gewalt, Befehl
1) Auszug ber die Heere betreffenden Stellen, „wie fie namentlid) von Herrn Betro Pappo in
feinen Triegsredhtl. Annotationibus angezogen werben“ in Hermsdorffs Corp. jur. milit.
en —
6. Verwaltung und Redt. 165
und Macht beider. Gewaltjtreitigleiten zwiſchen Kreisſtänden. Bejtallung der
Befehläleute und Kreis-Kriegs-Verfaſſung. Bom Vorrat. Vom Geſchütz. Bon
der Kreishülfe. Bon Strafe der ungehorfamen Stände. Bon Vergadderung oder
Berjanmlung des Kriegsvolls. Daß ſich niemand wider Kaiſer und Reich darf
gebrauchen lafen. Bon denen, die ſich in fremder Potentaten Dienſt einlafjen.
Bon Mujterplägen, Durch: und Überzügen. Bon Pladareien, berrenlofen Gardenden
und andern umbjchwaiffenden Rayſigen und Fußknechten. Vom Nadeil, Sturm—
oder Glodenjtraih und denen Thätern, die in fremder Oberfait ergriffen und
niedergeworfen werden. Bon dem Straiffen und feiner Ordnung. Von der Ver:
theilung der Stände und ihren Leiftungen. Bon Aufmahnung der Kreishilf aud)
Hilf der anreinenden Kreiſen und von den Peputirten.
Der ſchwäbiſche Kreis hat die bei weitem ſolideſte Verfafjung heraus:
gebildet, welche überhaupt unter den deutjchen Kreifen zujtande gekommen ijt. Er
verdanfte jie dem Berzoge Chriſtoph von Württemberg, welder ſchon im
März 1554 auf dem Kreistage zu Ulm „zu mehrerer Befeitigung des Landfriedens
und Abhaltung äußerer Gewalt” auf eine „nähere Zujammenjegung“ der Kreis—
jtände antrug. Immerhin währte es nod) fait ein Jahrzehnt, bevor die Kreis—
verjfajjung und Erecutiongordnung vom 22.Novem ber 1568 zujtande
fam, welche in drei Abjchnitten: Won den Perjonen, Bon den nothwendigen Stüden
ohne welde die Erecution des Religions- und Yandfriedens nicht gefchehen fann,
und bon der Erecution jelbjt handelt!). — Angehängt find diefer Ordnung eine
Kriegsverfafjung?), Bejtallungen und ein Artikelsbrief9. Ein
Conclujum vom 4. Mai 1564 ſchloß die Verhandlungen. Im März; 1595
wurden, gelegentlich; des Türfenzuges, die Kriegsartifel umgearbeitet.
Des Niederfähjijhen Kreiſes Erecutiond- und Kriegsver—
faſſungs-Receß von 1556. — Meuer Articulsbrief vor die Teutjchen
Knechte des Niederſächſiſchen Kreifes. 1591. — Reuterbejtallung vnd Articul
des N. ©. Kreiſes vor deſſen wider die Türken gefendete Auriliar-Bölter. 1598.
III. Bon der Reihsjtände Kriegsredt.
Die erzherzoglich öſterreichiſche Miliz wurde allemal auc in des
Hlg. Röm. Reichs Pfliht genommen, jo daß die Reichskriegsgeſetze unter allen
Berhältnijjen für jie unbedingt galten. Bejonderer Erwähnung bedarf nur des
Kaijerd Marimilian I. Shiff8-Ordnung*), welche vorzugsweije für die Heine
Armada bejtimmt war, welche jtet3 den nach Ungarn ziehenden Heeren ald Trans:
portjlotte auf dem Donauſtrome folgte.
In welcher Art die Verpflegung eingerichtet war, ergibt ſich aus Kaiſer
Ferdinands I. Injtruftion für den Proviantmeijter Hans Fünfkirchen vom
20. November 1541.)
ı) Nähere Inhaltsangabe bei v. Stadlinger: Geſch. des Württemb. Kriegsweſens. (Stutt-
gart 1856.) — *) Ebd, Beilage II: Berechnung ber monatl. Koſten des ſchwäb. Kreisfontinentse. —
) Yuszug ebd. ©. 59.
4) Alle bisher aufgeführten Verordnungen find (leider nicht mit diplomatifcher Treue) abgebrudt
in bes Job. Ehriftian Lünig: Corpus juris militaris. (Leipzig 1723.)
5) Graf Mailäth: Geſch. bes öfterr. Kaiferftated. (Hamburg 1834—1850.) II, ©. 395 ff.
766 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
Die übrigen Stände richteten jich im 16. Ihdt. nadı dem Kriegsrechte
der betreffenden Kreiſe oder da, wo ein ſolches nicht bejonder® ausgearbeitet
worden, nach den Verordnungen von Kaiſer und Reich, indem fie jih vor Erlaß
der jpäter maßgebenden Codifikation Marimilians II. auf die Artifel von 1508
jtüßten. Derart find 3. B. die Artifel der Kriegsleute umter Herzog
Erich U. von Braunſchweig von 1553") und die Werbeordnung und
Kriegsartiftel der Landsknechte für Kurfürſt Ernjt von Köln von
1583) und viele andere, die in den Arhiven der ehemaligen Reichsſtände ruhen
und auf die an diejer Stelle nicht eingegangen werden fann.
IV. Bom Kriegsrecht der Deutjchen im ausländijchen
Dienite.
Der Anhang zur „Reuterbejtallung“ verfügt, daß die in fremden Diensten
jtehenden Deutjchen ebenfalls jener Bejtallung und den „Artikeln für die Teutjchen
Knechte“ nachleben jollten. Das ſchloß natürlich nicht aus, daß für den Einzelfall
Sonderbejtimmungen erfolgten. Vor 1570 muhten überhaupt eigenartige Normen
gegeben werden, wie jie 3. B. in der „Ordtnung der teutjhen Landts—
tneht in Hyspanien“ von 1552 vorliegen‘). — Ungefähr aus derjelben Zeit
wie die Reuterbejtallung jtammt der „Articulsbrieff, darauff dem durd-
leuchtigſten, großmedtigften Fürften und Herin, Herrn Philippſſen Khenig
zu Hifpanien, vnſrem gnedigjten Herrn daß teutſch Kriegkvold zu fuck,
jo Jre Kgl. Maj. annehmen lajjen, geloben und fhweren ſoll.“) — Bon
befonderem Intereſſe ift die „Kriegs Ordnung vnd Redt, jo der hochgeborene
Fürft vnd Herr, Herr Robrecht, Graue zu Leycejter u. ſ. w., Bannerherr
zu Dendigh 2c., Statthalter vnd Generaltriegsoberjt vber Jrer Majeftät Wapffung
vnd Kriesvolt (!) ihn den Niederlanden vnd General-Gubernator derjelben,
offentlih inTrud publiciren lajjen... zu guter Adminijtration. Erjt-
lid) in Leyden gedrudt vnd jegund aus dem Niederländischen in gutte (?) Teutjche
ſprach trewlich transferirt und vbergejegt. (Cölln. 1586.)5) Folgendes ijt eine
Inhaltsüberſicht: Theolog.smoralifche Einleitung. 1. Gottesläfterung. 2. Gottes-
dienjt. 3. Vnziembliches Spielen. 4. Leichtfertige Weiber. 5. Schonung von
Schwangeren, Alten u. f. w. 6. Frawensnöttigung. 7. Drundensihaftt. 8. Ber:
rätereisVerjchweigen. 9. Verräterei vnd Verbundnuß. 10. Gemeinjhafft mit dem
feindt. 11. VBerlafjung des Legers oder Garnifond. 12. Brechung der Ordnung.
13. Verſaumniß der Wacht. 14. Offenbarung oder veränderung der löfen (Loſung).
15. Meuterey vnd unziemliche Vergatterung. 16. Aufhebung der Waffen gegen
die Oberen, 17. Hader vnd Gezand. 18. Angelangt vnrecht von einer andern
nation. 19. Verlaſung der Schangen. 20. Einjchreibung der Soldaten vnter
1, Beitichrift für deutiche Kulturgeſchichte. N. F. J. (Hannover 1872.) ©. IN.
2) Anzeiger für die Hunde bed deutſchen Mittelalter. 1839. ©. 1164.
3) Beibig: Beiträge zur Öfterr. Geſch. aus dem Sllofterneuburger Archive. (Wien 1853.) Aus
zug bei Meynert a. a. O. II, ©. 52 und 74, und bei G. Ungerin der Geich. der FE. f. Armer. I.
(Wien 1886.)
4, Handſchrift im German. Mujeum zu Nürnberg (Nr. 28516).
5, Bibl. des Germaniſchen Mujeums.
6. Verwaltung und Ned. 767
zween Hauptleut. 21. Veräußerung oder verminderung der Waffen. 22. Ber:
pfändung derjelben. 23. Entrudung der Kriegsgejellen Bictualien. 24. Gewaltige
abnehmung gueter PVictualien. 25. Vorkauff. 26. Beraubung der Martetenvder.
27. Provifion von gejagten Tagen nit vberjchreiten. 28. Verdrudung der Freunde.
29. Vbertrettung der gebotter. 30. Bejhugung der mihthädigen, das jie nit
werden gefangen. 31. Ein jeder zufrieden mit feinem Lofament. 32. Wafjer:
mühlen jhonen. 33. Brandsjtehen. 34. Stillheit auf der Wadt. 35. Alarm.
36. Herbergung fremder Antömelingh. 37. Geſprech mit Trommeter v. Trommen-
ichleger des feindts. 38. Warttung auff Karren oder Wagen. 39. Foderung holen.
40. Gefangene Soldaten. 41. Gehorfam dem Hauptmann v. jeinen ontergejepten.
42. Beijtande des Fenleins. 43. Erfennung des Trommenfhlages. 44. Schladhtung
der Biejten. 45. Gevöch machen (Kaden). 46. Vbertommen Gefangene oder Beute.
47. Still verziehen v. treden. 48. Vbergebung eines Plagen in des feindts gemalt.
49. Abtrennigfeit zum feindt. 50. Einwandelung der gemeinen Pfad. 51. Heroldten.
52. Entwendung der Soldaten (durd) andere Hauptleute). 53. Verbott aller An—
ichlege ohne Conſens des Generald. 54. Wacht der Befehlshaber. 55. Verfauffung
oder Ranzonirung der gefangenen. 56. Mißthedige Soldaten fangen. 57. Beridtung
der Soldaten (Bereidigung). 58. Heimliche Erlaubnus derjelben. 59. Bejoldung
des Kriegsvolcks. 60. Bejuchung der Wapfen. 61. Beitraffung aller Mifjethaten.
62. Außruffung der Articuln zu aller 26 Tagen. Am Schlufjfe: Form des Eydts,
wellhen alle Haubtleuthe, Soldaten vnd alle andern, jo jid zu diejer Striegs-
rüftung begeben, thun jollen.
g 103.
Frühzeitig haben Behörden und Private die üblichen
Kriegsgebräuche und die gejeßlichen Bejtimmungen handlic
aujammenzujtellen verjucht; wie jich denn dergleichen mehr oder
minder volljtändig in den meisten Amterbüchern (vgl. I. Kapitel), vor-
findet. An vereinzelten Arbeiten ijt aber noch eine Nachleje zu halten,
und dabei joll denn auch gleich) auf die hHierhergehörigen Kapitel
Frönspergers eingegangen werden.
Erwähnenswert ijt die Kriegsordnung in einem Folianten
des Ferdinandenms zu Innsbruck (Di Pauleana, ms. 890. III),
welcher die Aufjchrift trägt: „Bejtimmungen über das Vermögen der
Klöſter und der Geiitlichfert aus der Zeit der tiroler Bauermunruhen
im 1. Viertel des 16. Ihdts. und Kriegsreglements a. d. 16. Ihdt.“
Die Kriegsordnung beginnt: „Anfengliden wie man ein Megiment auf:
rihten fol deren Obrijt nach) einem verjtendigen Mann tradıten, der gejchledht und
de3 Kriegsgebrauchs wol erfahren jei. Denjelben mag er zu einem jchultheijen machen
vnd den jtab vbergeben v. bei pflichten ermahnen vnd einbinten, daß er ſich pm
12 gejhidte Männer, die ihm das Recht halten, jichere, v. wolt er auch mit
168 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
ichreyber v. gerichtsweybel v. anderweg der notturfft nad) zum rechten verjehen“
u. ſ. w. — Folgt der Eid diefer Amter und eine allgemeine Borjchrift für deren
Führung, fowie eine Auseinanderjegung des gefamten Gerichtsverfahrens: 1. jieben
ragen und Antworten. 2. Verbannung des Rechten. 3. Clag vnd Antwort.
Ned vnd Widerred. 4. Malefig urtel. — Folgt das Recht mit den langen Spiehen,
dann die „gerichtlich jchif-ordnung“, ferner „ain Bejtallung von 1551“ und endlich
der Articulbrief.
Zu ſolchen Zufammenstellungen gehört auch der Sammelcoder
des fürftlich ſächſiſchen Hofmarichalls von Dippad), den die hrzgl.
Gothaiſche Bibliothek bewahrt. (cod. 577.) Er enthält bejonders viel
interefjante Bejtallungsbriefe. — Ferner gehört hierher ein Kriegsbuch,
welches den Titel führt: „Der Röm. Kati. Maj. Gerihtsordnung.
Wie die gebräuchet werden joll under dem Teutjchen Kriegsvolth jamt
dem Artickelbrieff, auch anderen guetten Stüdhen, jo ainen Yeglichen
ehrlichen Mann, der Krieg brauchen will ... gar nüglichen vnd guet
zu wiſſen iſt.“ Eine Hojchft. derj. von 1558 bewahrt die Dresdener
fgl. Bibliothek (C. 117), eine andere von 1556 die Univerjitätsbibl.
Heidelberg. (Palat. germ. 132.) Der Inhalt ordnet fich wie folgt:
1. Ausführliches, jehr wohl geordnetes juriſtiſches Compendium, wobei die
Parteien: der Schultheiß, der Gefangene, der Fürſprech immer redend eingeführt
werden. — 2. Schiffordnung, wie es auff dem mehr vnd naue zu jaren ijt vnd
wie es auch mit dem tutjchen Kriegsvolf zueget dv. gehalten wurd. — 3. Kriegs—
ordnung mit ſampt ettlicher Oberjten Bejtallungen zue Roß vnd Fuoß, auch ains
Oberjten gejchirmaijter8 der Argkoley vnd derjelben Artidelbrief. — 4. Kurtze
verzaicdhnus vber die Arculay. (5. in Dresden: Amt und Befehl der einzelnen
Ehargen.)
Ähnlichen Inhalts ift die „Ordnung Kriegsrechts des Negi-
ments deutscher Landsfnechte“, deren Handjchrift ſich in der Hof-
und Statsbibliothef zu München befindet (cod. 4903), jowie das
Manujkript 10929 der Wiener Hofbibliothef: „Artidel Röm. Kay).
Mayeſtat vnd dei heiligen Römischen Reichs.“
Sehr reich find die Mitteilungen Lienhard Frönspergers auf
dDiefem Gebiete, wie das von einem alten Feldgerichtsichultheigen zu
erwarten iſt. Sein Erftlingswerf, die Herausgabe der „Katjerlichen
Kriegsrehte* i. 3. 1552, bejchäftigt ſich ausjchlieglich damit ').
Bon den „Fünff Büchern von Kriegsregiment und Ord—
nung“ (1555) gehören das erjte, dritte und vierte Buch ebenfalls
hierher; doch braucht man ſich mit diejen Arbeiten nicht näher zu
1) Bibl. des Berliner Zeughauſes. (A. 24.) Ausg. von 1566,
6. Verwaltung und Red. 769
beichäftigen, da ihr Kern in das große „Kriegßbuch“ aufgenommen
worden iſt. [$ 32.)
Im I. Bande bilden die Bücher 2 big 6 ein Umterbud. Das 2. Bud)
bringt Patente, Mufterungsanweijungen, Bejtallungen, Artifelbriefe und eine
Reihe taktiiher Anweifungen, auf welche bereit3 eingegangen ift. [$ 85.] —
Das 3. Bud erläutert die allgemeinen Berhältnifje: Was für anfang eincs
Kriegß zu erwegen gebürt. Geheimer Rahtſchlag. Staht, Ampt vnd Befeld)
eines Oberjten. Wrtidel, darauf der General Oberjt angenommen wird. Bon
Kriegsrähten vnd Mujterherrn. Vom Biennigmeijter. Vom Oberſten Profande
meijter. Vom Oberjten Profojen. Vom Herold. Vom Oberjten Schreiber. Von
Mujterfchreibern. Bon Paßbarten. Vom Oberften Quartiermeijter. Vom Oberſten
Feld Arget. Vnder was Regiment jeder gehörig jey. Ampter vnder dem General
Oberſten: beim Reijigen Zeug, bei jedem gejchwader Reuter, bei der Ardeley, bei
der Fußknecht Regiment und bei jedem Fenlein Knecht. — Das 4. Buch handelt
von den Aufgaben und Ämtern der Artollerey, aljo von Ordnung vnd
Regiment des Feldzeugmeijterd. Seine Untergebenen find die Zeugmeijter, Büchjen-
meijter, Schangmeijter, Pfennigmeijter, Zeugmwarte, Gejchirrmeijter, Brofoje, Pulver:
hüter, Zeugdiener, Schneller und Schanzbauern. — Das 5. Bud) ift dem Reijigen
Zeug gewidmet, an dejjen Spite als Oberft der Feldmarjchald jteht. Ihm unter-
geben find der Gereifigen Hauptleut und ihre Leutenants, die Quartiermeijter,
Wachtmeiſter, Profoſen, Fendriche, Führer und Caplane. — Das 6. Bud befchäftigt
jih mit dem Regimente der Fußknechte. Unter dem Oberjten jtehen jein
Leutenant, die Hauptleute, Leutenants, Fenderiche, Feld- und Gemeynweybel, Fuhriere,
Führrer, Schreiber, Feldichärer, Caplane, Rottmeijter, Ampoffaten, Hurnmweibel, —
Die „Läuffer“, d. h. die „Woghälß“, welche den verlorenen Haufen bilden, jollen
eigenen Oberjt, eigene Hauptleute und Fendriche haben, denen fie jedoch) nur dann
unterjtellt werden, wenn jie aus dem großen Haufen herausgezogen find, jei es
in Folge freiwilliger Meldung, jei e8 in Folge von Auslojung aus den Rotten. —
Ein bejonderes Kapitel voll Schelte und Schmähung widmet Frönsperger den
„Federhanfen und Eyffenbeifjern“, d. 5. den aufgepußten, doch untüchtigen und
räuberiſchen Landsknechten, die als Zotterbuben, Wölff, Galgenvögel oder Schwengel,
Spigbuben und Bettler, Spieler und Säufer, nur mit dem Maul freydig jeien,
Hader jäeten, die Armen plagten und dem ganzen Haufen zu höchſtem Schaden
gereichten. Meiſt jeien es bejahrte Leute; denn „weit darvon gibt alte Kriegß—
leut.“ Mit jungen erreiche man mehr; „die lauffen tapferer denn die alten an
den feindt; fie meynen, es müß alfo fein.“ — Eine Ergänzung diefer Ämter—
bücher bilden in Frönspergers II. Teile (1573) die Soldberehnungen für ein
Regiment Fußknecht und für 1000 Pferde. Beim Fußvoltk ijt die Rechnungs:
einheit der einfadhe Sold von 4 Gulden monatlid. Darnad) empfängt der Oberſt
100, der Oberjtlieutenant 25, Wachtmeiſter, Quartier-, Proviant-Meijter, oberjter
Feldſcherer und oberjter Feldarzt je 10, der oberite Schreiber 6, der Caplan 3 „Söldt“
u. j. w., jo daß auf den ganzen Negimentsjtab 204 Söldt, d. h. 816 Gulden
monatlicd; fommen, von denen der Oberjt allein 400 erhält. Dazu kommt aber
noch das Perjonal des Negimentsgerihts, von welchem Scultheiß und Profoß
Jahns, Gedichte der Krriegswiſſenſchaften. 49
170 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
je 10, Weibel und Stocdmeijter je 4 Söldt erhalten, während die anderen doppelten
oder einfadhen Sold beziehen; im ganzen erfordert das Gericht monatlih 43 Söldt
= 172 Gulden. In jedem Fähnlein empfängt der Hauptmann 10, Leutenampt
und Fenderich je 5, der Capplan 2, der Feldwaybel 3 Söldt. Von der Mann-
ihaft find mehr Doppeljöldner als einfache, jo daß Frönsperger alles in allem
auf jeden der 400 Köpfe des Fähnleind 8 Gulden rechnet und dejien Monatäfold
demgemäß auf 3200 Gulden und dem eines Regiments von 10 Fähnlein, ein-
ichlieglich der hohen Ämter u. j. w. auf 37842 Gulden jeftjtellt. — Den Monats—
jold für 1000 Pferde jhlägt Frönsperger wie folgt an: Oberſt 400, jeine
8 Trabanten 64, der Oberjt Leutenampt 100, feine 2 Trabanten 16, vier Ritt-
meijter (einſchließlich Nittmeijtergeld) 500 Gulden, vier Lieutenants 160, vicr
Fähndrichs 120, acht Rittmeijtertrabanten 64, zwanzig Rottmeijter (je 25) 500,
Wacht-, Proviant- und Quartier Meijter (je 40) 120 Gulden, Feldargt 40,
Gapplan 16, Forierer 16, vier Trummeter (je 16) 64 Gulden, vier Heer Keſſel
oder Baudherrn (je 16) 64 Gulden, dem Schreiber 24, zehn Hufichmieden (je 12)
120 ©., zehn Büchjenmadern (je 12) 120 G., hundert Küriſſer auf verdedten
Hengſten (je 24) 2400 G., ihre hundert Spiehjungen (je 8) 800 ©. ihre hundert
Trofien oder Bottenpferde (je 6) 600 G., hundert Wagen mit je vier Roſſen
(je 24) 2400 G., neunhundert Pferde einjchlieglih der Schüten (je 12) 10800 ©.
Im ganzen monatlich 19508 Gulden. — Eine gereimte Baraphraje des
Amterbucdes findet fich endlich im III. Teile des Kriegsbuches und wird
von 60 jehr charakteriftiichen Holzjchnitten Joeſt Amanns begleitet. Auch die
Reime jelbjt, in denen jedes Amt redend eingeführt it, bieten manches Interejjante.
Mit dem Gerihtswefen und der Heeredgejeggebung beſchäftigt
jih im L Bande Frönspergers das 1. Bud: Die Gerihtäordnung unter
den Landtsknechten: Amt und Eyd des Schultheifen. Amt und Eid der
GerichtSleut, des Schreiberd, Weybels. Gerihtfigung (Fragen und Antworten
zwiichen dem Schultheißen ald Vorfigenden und den Richtern als Geſchworenen).
Klage des Profoſſen durch jeinen Fürfpreh. Verleſung des verlegten Artikels.
Rede des Fürſprechs des Gefangenen. Aufjchubserteilung oder Urteil). Ander
Form, Malefig vnd Schultreht mit Kundichafften (Zeugenverhör) zu geben vnd
verhören, jampt dero Tar vnd belohnung. Urteilsvollitredung. (Mit dem Schwert,
dem Strang, Bierteilen, Rädern, Yinger-Abhauen). Bon Zeugen vnd Kundt-
ihafften geben. Meineydsjtraffen. Ander Form des Zeugenverhörd. Gerichts-
fojten. — Kriegsrecht mit den langen Spiefjen. (Summarijches Ber-
fahren im Ringe der Landsknechtsgemeinde, da8 von dem Kriegsherrn bejonders
verliehen fein muß und das bei Verurteilung mit dem Gaſſenlaufe durd die
langen Spiehe endet!). — Articulsbrief, darauf R. K. M. Teutſch Kriegbvold
der oberländijchen Regiment zu dienen ſchwören jollen (49 Artikel). Ander Form
des Artitelsbrief der Fußknecht. — Der II. Teil des Kriegsbuchs enthält feine
bierhergehörigen Abjchnitte; dejto reicher ijt daran der III. Teil. Er beginnt mit
1) Bol. die Daritellung des Spiehrechtes bei Heilmann; Kriegsgeſch. von Bayern n. f. w.
I. (Münden 1868) ©. 324, und bie von Friedländer in ber Beitichrift für deutſche Nulturge:
ſchichte. III. 1874, ©. 504.
6. Verwaltung und Redt. 771
einer Frönspergerſchen Bearbeitung des „Kriegß Ritter oder Reutter—
rechtens. Dann folgt eine Beſtallung Kaiſer Karls V. auf TeutſchKriegß—
volckzu Roß. Es iſt das die weſentliche Grundlage der Maximilianiſchen Reuter—
beſtallung, das jog. Jus castrense Caroli V. seu militum germanorum, das
auch handſchriftlich mehrfach überliefert ijt)). Daran reiht fi die „geldt-
ordnung oder Artidel vber das Teutſch Kriegkuold zu Rob vnd
zu Fuß“ von Marimilian II. (55 Artikel), desjelben Artickels Brieff auff die
Zeutjchen Knecht (59 Artikel) und Kaiſer Karls V. Beinlidhe Halsgerichts—
ordnung (220 Artikel). Nach einer Reihe von Kapiteln, welche mit den rechtlichen
Dingen nicht das mindejte zu tun haben, bringt endlich Frönsperger den Abdrud
der Marimilianijhen Reuterbejtallung (111 Artikel), die dazu gehörige
Beitellung des Feldts (11 Artifel) und des Reutter-Rechts (18 Artikel), die
gleichzeitigen Artidel auff die Teutſchen Knecht (11) und die Angehängten Punkte
(9 Artikel). — Man jieht: Frönsperger hat, troß feiner eigenen jurijtiichen Tätig-
feit, auch in diefen Dingen nichts weniger als methodifch gearbeitet, jondern
fritifloS zujammengerafft, was ihm irgend zugänglid; war; er iſt weder hijtorijch
verfahren, nod hat er deutlich gemadt, was von den überlieferten Satzungen
giltig ſei, was nicht; hat er fie doch nicht einmal datiert. Wer jein Buch ge—
brauden wollte, der mußte wohl jeufzend fragen: Was ijt denn nun Rechtens!? —
Um die Verwirrung zu jteigern, bringt er endlich noch unter der Überſchrift:
„Von der Kriegshandlung der 16. Titel aus dem XXIV. Bud Keyſer—
lihen Rechten gezogen“ ſechszehn „Geſatze“, d. h. Äußerungen antiker
Juriſten, wie Paulus, Furius, Modeſtinus, Ulpianus, Martianus und Arrianus.
8 104.
Für den unmittelbaren praktiſchen Gebrauch ſchrieb Stanislaus
Hohenſpach „Kurtzer vnd nottwendiger Bericht der Feldt—
ſchreiberey, Was einem rechten Feldtſchreiber zu wiſſen hochnötig,
auch in ſeinem Ampt vnd Beruff eignet und gebüret“. (Heidelberg 1577.)?)
Das feine, jehr jeltene Schriftchen ijt eine Anweifung zur Dienjt- und
Lijtenführung eines Feldtſchreibers, wie fie namentlich bei der Muſterung, der
Beitellung der Kriegsämter und der Soldzahlung in Frage fam. Hohenſpach,
welcher jelbjt Feldjchreiber war, hat das Büchlein, wie er jagt, auf wiederholtes
Erjuchen feiner Borgejegten und Amtögenofien zujammengejtellt, e8 dem Feld—
oberjten Claus von Haditad gewidmet und handelt darin von der Anfertigung
der Mujterrolle, von der Verpflegung, dem Krankenweſen, der Bezahlung, dem
Wachtdienſt, den Paßporten u. j. w., indem er überall Yormulare für die ent:
iprechenden Lijten beifügt.
Bon bejonderem Intereſſe find die Mitteilungen über die Herjtellung
der Mujterrolle, weil fie in der unverblümtejten Weije Einblid in die Art
1) Wiener H0f- und Statsbibl. Mscpte. 10787, 2, 108,99,9, 179 10901,2.
2) gl. Bibl. in Berlin (H. u. 21700).
49*
172 Das XVI. Jahrhundert. III. Heer: und Truppen-Kunde.
der üblichen Durchftedereien gewähren. Es heißt da: „Sobald ein Schreiber auff
den Mujterplag fompt, fol er zum Furier gehn, ihnn befragen, was für Knecht
fommen jeyn und mit jme in alle Xofement gehen, jeden Knecht injonderheit auf-
fchreiben, ob er gerüft oder mit einem Haden fommen jey und wer jhn ange
nommen und was für Lauffgeld er empfangen hab; ... dann ein Schreiber iſt
allweg jchuldig, des Hauptmanns nu und frommen zu fürdern und jhaden zu
wahren.“ Aber auf der Rückſeite des 5. Blattes fteht: „Wolteft einen auff ein
Blinden oder andern namen durchſchicken, fo gib jme denjelben auff ein Zedel
gejchrieben und befildy jhme, dab er fleiffig darauff merde, und wann man ver-
lift, daß er nu dapffer darauff durchgehe, ald wann e3 fein eigener nam were.“
Weiterhin heißt eg: „Ob man einen aber für krank verfprehen wolt, der nun
lengſt geftorben were, jo leg ein Hurenjungen oder jonft ein franfen Knecht, der
zuvor jhon durdhgangen war, in ein lojament im Landsknechtskleide darnieder,
Gib jhme denjelben namen, als wann er fein eigener name were, wille zu jagen
an einer Rotte, daß fie jchreyen, er ligt im Lojament, wann man denfelben
namen verliefet. Darneben befilch den andere Knechten vor den Mujtern, dab
feiner jchrey, er ſey todt oder entlauffen, ſondern jie joll engar jtill ſchweigen,
darmit fie an der Mujterung nichts ploderen.“ — Ganz arg ift, was Hohenſpach
davon erzählt, wie mans in frankreich made. „Gemeinlich hat man 300 Dann
unter dem Fenlin, ift 60 Glied; allda jtellt man welſche Marktatender, Huren
und Buben in Landsknechtskleyder ein, muß alles gut jeyn, gilt jedes ein Mann,
wann jhon das Ding, jo in den Lat gehörig, zeripalten it, gibet dody einen
guten Landsknecht.“
8 105.
Ein gedrudtes Werk, welches vermutlich hierher gehört, habe ich
nicht zu erlangen vermocht:
Budrini: Kriegsregiment (Mömpelgard 1594.)
Endlich jei noch einer Handjchrift der Wiener Hofbibliothek ge
dacht (ms. 10787), welche die Jahreszahl 1600 trägt und drei ein-
Ihlägliche Arbeiten vereinigt:
I. Kriegsordnung. Wie man in Gegenwart der gemainen Sinechten die
Mufterung anthündigen vnd beſtellen folle, jo in diefenn Cöllniſchen Krieg iſt
gebraudyt worden; auch wie man den Articl® Brief vnd Aydtspflicht verlejen vnd
ernnitlih einbyndten jolle.
II. Kaiſerl. Malefigreht, wie fie Carolus V. gehalten vnd auf vns bat
fommen lajjen. Welliches etwas langweilig iſt vnd von einem Rechtstag auff
den andern Aufihub nehmen kan vnd nicht jo bald fortfahren ala im Standtärcdt.
III. Kaiſer Karl peinliche Gerichtsordnung.
Das „Standrecht“, von welchem bier im LI. Abſchnitt di die Rede
iſt, entjpricht im wejentlichen noch unjerem gegenwärtigen gleichnamigen
6. Verwaltung und Ned. 713
Verfahren. Es ijt „Eürzer und jchärfer abgebrochen als das Malefiz-
gericht umd gejtattet weder Bedenkzeit noch Aufichub.“ ')
Die Decrets et ordonnances militaires pour les
Pays-bas pendant le XVI. siecle bewahrt die kgl. Bibliothef
zu Brüfjel in einem jtarfen Manujfriptfolianten (no. 20411.)
Zulegt ijt hier noch der Kriegsgejege und des Articuls-
briefs der niederländijchen Generaljtaten zu gedenfen, welche
am 13. Auguſt 1590 erlaffen wurden und deren Berfaffer Betrug
Bappus von Trasberg iſt. Sie find von bejonderer Wichtigkeit
als Grundlage der entiprechenden Beitimmungen der meijten prote-
ſtantiſchen Reichsftände im 17. Ihdt. Im hochdeutjcher Sprache wurden
jie von Matthias Wörner herausgegeben als: „Holländijch Kriegs—
Recht und Artidels-Brieff von Herrn Petro Pappo von Traßberg
mit jchönen Annotationibus ... explieirt vnd dedueirt, daß es
mit Recht genennet mag werden ein Corpus iuris militaris... .«
(Frankfurt a. M. 1632.)?)
Wörner widmete feine Arbeit dem Könige Guftav Adolf und „deß Beil.
Evangelij vnd der Teutfchen Libertet jämptlihen getrewen Verfechtern und Bes
ihügern.“ Jedem der 82 Urtifel läßt er ausführliche gelehrte Erläuterungen
jolgen, welden er Ullegate aus anderen Kriegsgeſetzen beifügt. Als Anhang teilt
er Mar’ II. Artidelöbrief von 1570, jowie 25 Artifel der Carolina mit.
1) Bol. v. Zmwiedined-Südenhorft: Das Gerichtäweien der Landbölnehte (Allg. Big. 1883
Beilage zu Nr. 75 und 76.)
”) Kgl. Bibl. zu Berlin (F. M. 9146). Ein jpäterer Abdruck u. d. T.: „Holländiſch oder
derer General:Staaden der Bereinigten Niederlande Kriegsreht und Articuls-Grieff de dato Arn⸗
heim, 13. Aug. 1590 unterm Begriffe 82 Articuln“ findet fich in Hermsdorffs Corpus juris militaris.
(Franffurt a. M. 1674). ©. 525—689.
774 Das X VI Jahrhundert. IV. Die Wijjenichaft von der Befeitigung ac.
IV. Bapifel.
Die Viſſenſchaft von der Befeftigung und dem Belagerungskriege.
I. Gruppe.
Übergangszeit.
S 106.
Die zunehmende Macht der Artillerie hatte im 15. Ihdt.
zwei neue wichtige Gedanken gezeitigt: den der Slanfterung durch
ausspringende Batterien an Stelle der alten Türme und den, die
Escarpe, welche bisher faſt nur ein Hindernis gewejen war, mit
jelbjtändig wirfender Wehrfraft auszujtatten. Beide Gedanken
hatten in der zweiten Hälfte des 15. Ihdts. bet den Völfern diesjeits
der Alpen durch die Rondelle und die Hohlbauten Verwirklichung
gefunden. Als begleitende Elemente trateır Hinzu: die Steigerung der
niederen Grabenverteidigung durch Verbeſſerung der „austretenden
Streichwehren“ (caponnieres) und die Verwendung von
Erde, Holz und Flechtwerk als Baumaterial. In letzterer
Hinficht waren die Deutjichen allen andern Völkern voraus: der
Bau mit Schutten (Erdwällen), Bergen (Kurtinenfavalieren) und
Bajteren (kajemattierten Bollwerken), wie Hans Schermer ihn lehrt
(XV. 575), darf als Höhepunkt der Befeſtigungskunſt des 15. Ihdts.
betrachtet werden. — Dieje Überlegenheit empfand man aud) in Italien,
wo das geradezu betäubende völlige Verſagen der jo großartigen
mittelalterlichen Befejtigungen der reichen Städte gegenüber der Artil-
lerie Charles’ VIII. Anlaß zu nachdrüdlichen Reformbejtrebungen
wurde. Der kriegeriiche Bapit Julius II, berief eine congregazione
von Bauverjtändigen, die unter dem Vorfige des Herzogs von
Urbino nach Mitteln juchen jollte, um der fortififatoriichen Ohn—
macht Italiens abzuhelfen. Daß fie dabei ihre Augen nach Norden
richtete, erjcheint begreiflich, wenn man 3. B. Machiavelli 1521 im
jenem 7. Buche, nach rühmendem Hinweis auf eime deutjche Tor:
einrichtung, ausrufen hört: „Immer von neuem erfläre ich, daß das
antike Kriegswejen in der ganzen Welt vergejjen, in Italien aber
völlig untergegangen ift. Findet fich ſonſt noch einmal irgend etwas
Brauchbares, jo haben wir es den Völkern jenſeits der Alpen zu ver-
1. Übergangszeit. 17
Ir
danken“. Demgemäß unterrichtete jich auch die päpjtliche Congregazion
bejonders über das, was etwa in Deutjchland gejchehe, und ein im
dieſem Lande bewanderter Söldnerführer, della Balle [$ 8],
Lieutenant des Herzogs von Urbino, hat denn auch jeine cisalpinen
Erfahrungen in dem von ihm 1521 veröffentlichten Kriegsbuche nieder:
gelegt, worauf noch näher einzugehen jein wird. Schon weit früher
aber, jchon 1509, vervollitändigte das vom Kaiſer bedrohte Padua
jeine überfommene mittelalterliche Befejtigung durchaus nach deutſchem
Muſter. Guicciardini, welcher nicht nur Statsmann und Heer:
führer, jondern auch tüchtiger Ingenieur war, gibt davon in der Storia
d'Italia (lib. VIII cap. 10) eine gute Schilderung.
„Der Graben war voll Wafjer und vor allen Toren jowie an anderen
günjtigen Stellen lagen Baftione (oder, wie Savorgnani fie nennt, Ballo-
vardi, d. h. NRundbauten von Erde und Holz, welde 1513 von Alviano
rejtauriert, 1517 aber erjt, auf Befehl der venetianijchen Signoria, revetiert
wurden). Dieje Bajtione waren mit der Mauer verbunden und von innen ber
zugänglid und bejtricdhen den Graben mit Geſchütz. Für den Fall, daß man ein
ſolches Baſtion aufgeben mußte, vermochte man es mit Hilfe einer von Anfang
an vorbereiteten Unterminierung in die Luft zu ſprengen. Hinter der ſorg—
fältig ausgebeſſerten und von ihren Zinnen befreiten Mauer wurde längs des
ganzen Stadtumfangs ein Gerüſt von Palliſaden, Baumſtämmen und anderem
Holzwerk erbaut, weldes um jo viel von der Mauer abjtand als dieje jelbjt did
war, und der zwijchen Gerüft und Mauer befindlihe Raum wurde mit Erde
ausgefüllt... Hinter diefer verftärtten Mauer hob man einen zweiten
tiefen und breiten (trodenen) Graben aus, der überall von Gajesmates und
fleinen Gejhügtürmden (Streichwehren) beſtrichen wurde, die ebenfalls unter—
miniert waren. Endlih lag hinter diefem Graben ein Erdwall, breiter als
die „remparirte* Mauer, welcher (abgejehen von wenigen an und für ji) völlig
gejicherten Stellen) um die ganze Stadt lief und eine ſtarke Brujtwehr trug.“
Der glücliche Widerjtand, den Padua mit Hilfe diejer, deutjchen
Borbildern folgenden Befejtigung leitete, trug natürlich viel dazu
bei, die Anlage von Bollwerken, Erd- und Holzbauten in Italien zu
fürdern. Gleich nad) der Schlacht von Ravenna (1512) lie Alfonfo
von Ferrara die Gräben jeiner Hauptjtadt erweitern und große
Bollwerfe errichten, „in denen man jich mit der Artillerie bewegen
fonnte“, und in Folge diejer Werfe galt Ferrara, wie jich der Mar-
ihall von Fleuranges in jenen Denkwürdigfeiten ausdrüdt, für den
bejtbefejtigten Ort der Chrijtenheit. — Auch zu Crema, Piſa, Rom,
Neapel und Turin famen derartige Berjtärfungsbauten zur Aus—
führung und erregten jo viel Bewunderung, daß die Italiener num
7176 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung 2c.
nicht zögerten, die Übernahme der deutjchen Baumweije als „Invention“
ihrer berühmten Landsleute Battijta Alberti [XV. $ 74] oder Bar-
tolomeo d'Alviano zu preifen.
& 107.
Der eigentliche Lehrer des Holz und Erdbaus in Italien it
der in Deutjchland bewanderte Gianbattijta della Dalle [S 8.
Seine Beichreibung der aus gejtampften Fajchinen und Boden, durd
Gerippe von verjchränften Balken oder Bohlen zujammengehaltenen,
bald vieredigen, bald runden bastioni lautet im Urtert und in der
Berdeutichung Jacobs de Zetter XVII. a. $ 46] folgendermaßen:
MododefareBastioniquadri | Einen vieredeten Thamm auf:
con soi pertinentie.
Questo e modo de Bastione quadro
con le soe chiaue et candonere con
doe casematte, elquale bisogna Como
e stato ditto che sta al sapere murare
le soe manocchie, et calcarli como
per laltro e dicto, et facendose como
conviene et con larte et intendimento
pertinente ad epso sera de gran
perfetione. Et piu e da sapere che
li Bastioni son trovati per molti
boni respeti, prima son piu expedi-
tivi alla guerra chel Muro, et se
reseccann piu presto chel muro, et
mancho spesa, et anchora resisteno
piu ad colpi de artellarie, et piu
securo de faville de pietre che non |
e cossi el muro, che quando non si
po piu resistere ale botte, et muro
fa piu dando le pietre de epso muro
ad li Militi che la pietra del can-
doner, o altro pezo, quello che non
fanno elriparo prendendo el devere,
che quando si fa uno riparo e pro-
hibito che el terreno che ui metiateche
non li sia pietre ni suna che quando
la palla del nimico uiene, et troua |
pietre al riparo lo disfa piu presto
et le pietre che usisce fora amaza
gli militi che stanno al combattere.
|
zujdhlagen vnd was zu dem—
ſelben gehörig.
Die Bruſtwehr oder Thämm ſind in
den Belägerungen zu vilen dingen
nützlich und gut: ALS erſtlichen an ſtatt
einer Mauer, erfordern einen viel
geringern Vnkoſten, werden auch eher
auffgericht ond gejchwinder truden. Zu
gejhweigen, daß fie auch dem gemalt
der großen Stüden weit bejier wider:
itehen als die Mauren ſelbſt; als deren
Stein, wenn ſie durd dad Schießen
wirdt zerfprängt, den Soldaten offter:
mals größere ſchaden zufügen ala die
Kugeln jelbit. Gleihmwie man die Lüden,
jo in den Thämmen durch das Schießen
werden vervrſacht, in einer kurtzen Zeit
widerumb auffüllen vnd ergängen fan.
1. Übergangszeit. 777
Modo de fare uno Bastione | Eine runde Brujtwehr oder (?)
tonto per defendere conle | Schantzzenkörbaufzurichten vnd
soe chiaue, et casematte, et | das Geſchütz zujampt der Arche—
cannonniere!). leymeijtern vnd andern Sol-
E da notare anchora di questo daten damit zu bewahren.
Bastione tondo per defendere in uno Ebenermafjen dienet auch der runde
luoco che sia apto, et necessario, | Thamm oder Schanglörb an den Drt,
Nel quale bastione gli siano doe da es die noht erfordert, auffgerichtet,
case matte con soe candonere como | nad) Gebür formiert mit feinen Schlüfje-
q. appare et con soe chiaue le quale | len oben vnd mit einer Binnen vnd
ueneno calando con soi bisogni et | einer Bruſtwehr verjehn, für ein Mawr.
nella parte di sopra ci uiene uno | Diejelbe aber zu verfertigen, müſſen
Caualiero con uno parapetto, et il | die Hölger, die man gebraudjt, an der
ditto bastione e de tanta uirtu facen- | Dide nit größer jeyn als ein Arm und
dose alloco ditto che le de mara- | dazu wol gebogen, in der Mitte ges
uiglia. Et per fare el ditto Bastione | bunden vnd aljo in einandergeflochten
bisogna sapere fare li manochi de vnd gleichjam vermauret, daß die ge-
fascinette lequale non uoleno essere | frümpte ort ſamptlich herauswerg kom—
de piu grossezza che uno brazzo, | men. Solches gejchehen bejhüttet oder
et uoleno ben torti, et nel mezzo | erfüllt man foldye Gerten oder Gattern
alligate, et poi e da sapere murare | mit Erden, ſtößt diejelbige mit einem
molto ben stretti, et quello torto | ſchweren Stempffel wol auffeinander,
uada di fuori, et poi uno solao de | legt alddann widerumb eine lage Gerten
Terreno ben calcato con maglio, o | vnd folgende abermals feite Erden,
con uno Cantino de legno, attale che vnd läht auch die Schließen nicht aus
si gli metta uno solaio de fascine | der Acht. Wo aber die Karthaunen
et laltro di terra et non sidimenticare vnd andere große Geihüß eingeordnet
delle chiaue, como qui appare, et | werden, da muß man den Orth mit
suoi candoneri, Et piu anchora e da | Holt auff allen Seiten nad) der Queer
considerare doue sonno le candonere | jein hoch vnd räumig machen vnd
bisogna farce lo concauo con legname | oberhalb mit Gerten und Erden vers
a traverso per ogni banda, et fascine | wahren, welches alles jid) beſſer faſſen
sopra, et terreno, el quale el mirar | läßt, wenn man jelbjt dabei und es
de lochio, Ma el fare de esso e il | practicieren ſieht.
buon iudicio a comprendere il tutto. |
Diejer »modo di fare bastioni« della Valles bietet eine wert—
volle Ergänzung zu Schermers Bilderhandjchrift. Zwar iſt der Text
feineswegs klar; doch jo viel lehrt er, und die beigegebenen Zeich—
nungen bejtätigen es, daß es Sich bei Valles Bajtionen wie bei
Schermers PBajteyen um ganz Ddiejelben Materialien und im wejent-
lichen auch um denjelben Aufbau handelt. Die bastioni jind mit
1) Chiave find Mlammern, Querhölzer; cannoniere Schießſcharten.
778 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung 2c.
Kajematten in zwei Stocdwerfen verjehen; die Gejchüge feuern durch
Scarten, welche innen durchaus mit Bohlen ausgefüttert ſind —
ganz jo wie das auch bei Schermer der Fall it.
Bezeichnend ijt die Art, wie Better die Kapitel Balle’S ver:
deutſcht. Er jchrieb i. 3. 1620 und vermochte ji offenbar nicht vorzujtellen,
daß man unter „Bajtion“ irgend etwas anderes verjtehen fünne als die zu jeiner
Zeit obligatoriſchen fünfedigen Vorjprünge des Hauptwalls; vieredige oder gar
runde Bajtione find ihm unerhört. Er gebraucht deshalb für Bajtion den Aus—
drud „Damm“; ja hinjichtlid) des bastione tondo gerät er in eine ſolche Ber-
wirrung, daß er dieſe Bezeichnung mit „runde Brujtwehr oder Schangentörb“
wiederzugeben verſucht.
Soweit die Dinge jich erkennen lajjen, will della Valle jeine
„bajtionterten“ Hilfsbauten als jelbitändige Werfe vor die alte Mauer
legen, die dann aljo eine Art Generalabjchnitt hinter einer Reihe
vorgejchobener Forts bildet — eine Gejtaltung, in welcher das mittel-
alterliche und das moderne Prinzip der Fortififation nicht ſowohl
bautechnisch als vielmehr taktiſch verbunden erjcheinen.
Unter den von della Valle angegebenen Verteidigungsmitteln
iſt eine primitive Art von Landtorpedos bemerfenswert: hölzerne mit
Eijenringen umgebene Gefäße, die, mit Bulver geladen, nebeneinander
vergraben und im gegebenen NAugenblide auf einmal durch Kommuni—
fation abgefeuert werden. Man kann hierin einen Vorläufer Der
Senfftenberg’jchen Sprengwerfe jehen [$ 51]. — Unter den Angriffs:
mitteln jchildert Valle mehrere Arten von Sturmleitern, Sturm:
böcen, Yaufhallen und Sturmwänden, aljo jene hölzernen Apparate,
welche Philipp v. Gleve bereits als veraltet verwirft XV. S TT.
Wie Philipp empfiehlt auch Valle lebhaft den Gebrauch der Schan;
förbe (gabbioni), die übrigens auch der Verteidiger als Baumaterial
vortrefflich verwenden fünne. Die Laufgräben (trencieri) mögen in
Schlangenlinien oder im Zickzack geführt werden. Das Auspumpen
des naſſen Grabens gejchieht durch jene blajebalgartige Maschine,
welche auch im deutjchen Begez, bzgl. im Valturius dargeitellt it.
[S. 266.) Endlich jpricht Valle von dem- Sprengen der Minen mit
Pulver, dejjen der Herzog von Cleve nicht gedenft.
8 108.
Der in Padua ausgeführte Gedanfe einer Verjtärfung der
Bereitigung durch Anlage von Graben und Wall Hinter der
1. Übergangszeit. 779
alten Hauptumfaffung erinnert an Befeftigungsvorichläge Philipps
von Gleve [S. 440) und findet ſich auch bei Machiavelli wieder.
Diejer jagt:
„Wenn ihr die Gräben, um die Anwendung der Sturmleitern zu erjchweren,
vor den Mauern zieht, jo vermag ein Feind, der über bedeutende Streitkräfte
gebietet, jie unzweifelhaft früher oder jpäter auszufüllen, und dann ift ihm die
Mauer preisgegeben. Ich glaube daher, unbeſchadet einer bejjeren Meinung, daß
man den Graben nit vor, jondern Hinter die hohe Mauer legen joll. Dies
iſt die feitefte Art der Befejtigung, welche man anwenden fann; denn jie fichert
zugleich vor dem Gejchüge, wie vor der Escalade und verbietet dem Feinde, den
Graben auszufüllen. Die Mauer darf nicht weniger ald 6‘ (3 braccia = Arme:
längen) did jein, um ihre Zerjtörung nicht leicht zu machen; ihre Türme müfjen
in Bwifchenräumen von 200° errichtet werden. Der innere Graben muß wenigjtens
60° (30 braccia) breit und 24° tief fein; alle ausgegrabene Erde wird gegen
die Stadt zu aufgefchüttet und jo ein übermannshoher Wall hinter dem Graben
errichtet, der durch eine von der Grabenjohle aufiteigende Mauer befleidet wird.
Auf der Sohle diejes Grabens baut man von 200 zu 200 Armlängen je eine
casa matta, die jeden, der hinabgejtiegen, con artiglierie beſchießt. Hinter
diefem Walle nun wird das jchwere Geſchütz (l’artiglierie grosse) aufgejtellt ;
während zur Berteidigung der hohen Vormauer und ihrer Türme nur fleine und
mittlere Kaliber (altre che le minute 0 mezzane) angewendet werden fünnen.
Verſucht dann der Feind die Leitererjteigung, jo ſchützt euch die Höhe der eriten
Mauer; rüdt er mit jeinem Geſchütz vor, jo hat er zunädjt in diefe Mauer Breche
zu legen (battere). Geſchieht dies, jo fallen ihre Trümmer, einem befannten
Geſetze zufolge, vorwärtd gegen den Feind zu; da fie aber hier fein Graben
aufnimmt, jo erhöhen fie nur das Terrain, geben dem Hinter ihnen liegenden
Graben nur noch größere Tiefe. Nun muß der Feind im Nahfeuer euerer ſchweren
Geſchütze die Mauertrümmer überjteigen und den breiten, tiefen Graben aus
füllen, und das dürfte ihm jehr jchwer fallen, zumal er von andern, noch nicht
niedergelegten Teilen der Mauer flanfirt werden wird (essendo le mura sinuose
e concave) und er überdie8 alle zur Ausfülung des Graben notwendigen
Stoffe über die Brehe heranjchleppen muB, was die größen Scwierigfeiten
macht. — Ih Halte daher eine jo befeitigte Stadt für uneinnehmbar. Noch
jejter wird die Stadt, wenn man außer dem inneren Graben aud) nocd einen
äußeren anlegt. Will man fid) aber mit Einem Graben begnügen, jo jage id:
es ijt bejier, ihn innen al® außen zu ziehen.“
Es erjcheint jehr merkwürdig, daß in diefer ganzen Auseinanderjegung —
abgejehen von den niederen Streihwehren im Graben — gar feine Rede von
flankierenden Werken ijt. Und doch waren dem Macdjiavelli die turmartigen,
dreis oder fünfedigen Geſchützſtände, welche jeine Zeitgenofien zu diefem Zwecke
errichteten und welde fie puntoni nannten XV. $ 76) jehr wohl befannt ;
hatte er jelbit doch i. 3. 1509 vie mit puntoni bejeßte Befejtigung von Pija
bejichtigt, den Erbauer derjelben, Giamberti da San Gallo, mit jeinem Rate
730 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc. 1
unterjtügt und eingehend über die Anlage berichtet‘). Nirgends aber braudıt
Macdiavelli in feinem Kriegslehrbuche aud) nur den Ausdrud puntoni. Offenbar
zieht er eine Flankierung durch gegenjeitige8 Sekundieren der Wallinien vor:
denn er jagt: „Die erjte Sorge jedes Ingenieurs muß darauf gerichtet fein, die
Mauern in gebrochenen Linien zu führen, fo dab möglichſt viel aus⸗ und ein-
jpringende Winkel entjtehen“. Das ijt der Grundgedanke der Tenaillenbefejtigung.
Übrigens gibt da8 7. Buch der Arte della guerra fein er-
ihöpfendes Bild der fortififatorischen Anjchauungen Machiavells. Um
ein jolches zu gewinnen, bedarf es der Heranziehung jeiner gelegent-
lichen, doch oft jehr bedeutenden ÄAußerungen in den Statsjchriften;
namentlic) der Bericht über die Umfaffung von Florenz 1526 und
die über denjelben Gegenjtand an Guiccardini gerichteten Briefe fallen
ins Gewicht. Sie betreffen die Neubefejtigung der bergigen Vorjtadt
San Spirito auf dem linfen Arno-Ufer und zeigen den Statsjefretär
al3 vollfommenen Fachmann und durchaus vorurteilsfret.?)
Wie der berühmte Ingenieur Pedro-Navarro, mit welhem Machiavelli bei
dieſer Gelegenheit zuſammenwirkte, legt er den höchſten Wert auf den Graben,
u. zw. zieht er trodene Gräben den nafjen vor. Allerdings hätten dieje den
Vorteil, vor Minen zu jchügen; die trodenen jeien jedoch beſſer zu flankieren
(durch niedere Streicdhwehren) und könnten nie durd Froſt gangbar werden, wie
das bei Mirandola begegnete als es Papſt Julius II. belagerte. Um ſich gegen
die Minen zu ſchützen, will Macjiavelli den Graben fo tief maden, daß mer
unter ihm vorzugehn verjuche, auf Waſſer ſtoßen müſſe.
Interefjant iſt Meachiavellis Beurteilung der fortififatoriichen
Elemente, welche Navarro zur Anwendung bringen wollte, jchon deshalb,
weil daraus hervorgeht, wie weit man damals noch von dem Ge
danken der bajtionierten Front entfernt war, wie durchaus noch Die
Abjicht Frontaler Mafjenwirfung überlegener Artillerie bei
Einrichtung der Berteidigungswerfe im WBordergrunde jtand. Der
Statsjefretär berichtet:
„Wenn man außerhalb des Tores San Giorgio weitergeht, jo fommt man
nad ungefähr 150 Schritten an eine Ede, wo die Mauer ſich rechts wendet.
Hier will der General entweder eine Streihwehr (casamate) oder ein rundes
Bolmwerf zur Seitenverteidigung haben. — Zu bemerken ift, daß er überall,
wo Mauern find, auch Gräben verlangt; denn diese jeien die Hauptihup-
mittel der Feftungen. — Nad weiteren 150 Schritten gelangten wir an
1) Gaye: Carteggio inedito d’artisti dei secoli 14, 15 e 16, publicato e illustrato con
documenti pure inediti (Florenz 1839—1841). II, p. 117 fl.
) Relazione d'una visita fatta per fortificare Firenze, escritta en 1526. Zuerſt ab
gebrudt in der Ausgabe der Werfe Machiavellis von Cambiagi 1729. Deutſch von Biegler in jeiner
Überfegung der Werte Machiavelld S. 24— 41.
1. Übergangszeit 781
eine Stelle, wo einige Strebepfeiler vorragen. Hierhin disponiert er ein zweites
Bollwerk. Falls man dies jehr jtart machte und weit vorichöbe, ließe ſich das
Bolwert an der vorhergenannten Ede entbehren. Weitergehend kamen wir an
einen Turm. Den will er dider und niederer gemacht haben, jo daß oben für
zwei jchwere Geſchütze Raum wird. Er wies darauf hin, wie dadurch, daß alle
diefe Werke ſich amphitheatraliſch übereinander erhöben, jo daß die Geſchütze in
mehreren Reihen übereinander jtänden, der Plaß jehr jtart werde u. zw. nicht
ſowohl durh Flankierung des Yeindes als durd das Frontal>
feuer. „Denn“, meinte der General, „man muß immer annehmen, daß eine
Feſtung reiher an Geſchütz jei als der Angreifer, der ed mühſam nachjchleppen
muß; und jobald ihr mehr Stärke gegen den Feind in Tätigfeit ſetzen könnt als
er gegen euch, jo ijt es ihm unmöglich, euch zu jhaden; denn die größere Geſchütz—
fraft bejiegt die kleinere. Vermögt ihr daher ſchweres Geſchütz auf und in all’
eure Türme zu bringen und jtehen viele Türme nahe bei einander, jo wird der
Feind euch jchwerlich etwas anhaben können.“
Acht Tage nad Erftattung diejes Berichtes reifte Maciavelli nah) Rom,
um dem Papjte die VBefejtigungspläne von Florenz vorzulegen — ein Zeichen,
wie Hoc) feinen Mitbürgern auch die fortififatoriihe Einficht des großen Stats—
mannes jtand.
Höchſt merkwürdig iſt es, daß Machtiavelli in den sette libri
bereit3 den Gedanfen eines Rayongejetes ausjpricht, u. zw. eines
jolchen, das viel jtrenger it als irgend eme moderne Verordnung.
Er verlangt, daß bis zu einer Entfernung von wwenigjtens einer ita-
lieniichen Meile vor der Mauer rings um die Stadt weder Mauer:
werf aufgeführt noch jelbit das Feld bejtellt werden joll.
Übrigens ift Machiavelli eigentlich ein prinzipieller Gegner
aller Fejtungsbauten und führt in feinem Diskurs über die erjte Dekade
des Livius eingehend aus, daß ein StatSoberhaupt, welches ein tüchtiges Heer
befite, Feſtungen entbehren, ein ſolches ohne derartiges Heer fie gar nicht ge—
brauchen fünne. Dabei laufen alerdings irrtümliche Übertreibungen und Miß—
verjtändnifje der römischen Einrichtungen in Menge mit unter’).
8 109.
Der Bau mit Bajteien war jeit Schermers Tagen in Deutſch—
land allgemein geworden. Großes Interejje gewährt das „Mujter
ainer pajtey“ im dem Zewg-Inventarium Kaiſer Marimiltanz J.
XV. 8 66).
Es jtellt eine Heine ovale Feite mit vier Rondelen dar. Der ganze Umzug
ift gemauert. Auf die Nundele führen Erdrampen aus dem inneren der Feſte
hinauf. An den nicht von den Rundelen eingenommenen Teilen der Umfafjung
1) Bol. die Verdeutſchung in (v. d. Gröbens): Neue Kriegsbibliothet. V, Breslau 1777.
782 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
fäuft auf der Höhe ein hölzerner bededter Wehrgang mit Scharten. Unter ihm:
iind Geſchützſcharten eingefchnitten. Die Feſte umgibt ein Wajjergraben. Unter:
halb der niederen Geihügfcharten ift eine Fräfierung, am äußeren Grabenrande
eine doppelte Berpfählung angebradt.
Die Armierung ift wie folgt geordnet. Bon jedem Nondel feuern 3 bis 4
Nüdergeihüte, durch die Scharten des Wehrgangs große Halenbücjen, durch
die des gemauerten Umzugs Geſchütze, welche auf dem Horizonte des Feſtungs—
inneren ftehen u. zw. auf Rädern; nur eine einzige mörjerartige Hauptbüdhie
liegt auf einer mächtigen Lade am Boden, einen jtarfen „Anſtoß“ nebjt Erdauf—
wurf hinter ji).
Aus wenig jpäterer Zeit wie dies Baſteimuſter jtammt der
„Discurs Joannis Thomae von Venedig, weylandt Kayjer Caroli V.
nachmals der Herrichaft zu Venedig fürtrefflichen Ingeniers von Be
ſchützung vnd Eroberung der Veſtungen vnd anderer Kriegs—
jachen mehr“, dejjen Original mir unbekannt geblieben it und audı
von Mariano d’Ayala nicht erwähnt wird. Indejjen bat Jakob
de Zetter 1619 in jeiner „Kriegs: und Archeley:Kunft“ einen Muszug
aus Thomas’ Schrift gegeben. [X VII. a. $ 46.)
Thomas, der gelegentlih auch den Zunamen „Scala“ erhält, verjichert,
daß er von Kind auf Soldat gewejen und daß feinerzeit wenig Schlachten un)
Belagerungen jtattgefunden hätten, an denen er nicht teilgenommen. Er tadelt
es, dab die Anlage der Feitungen meiſt ausſchließlich den Baumeijtern zufale,
während erfahrene Ktriegsleute dabei das erjte und legte Wort zu führen hätten
und jenen nur die technijche Ausführung übertragen werden ſolle. Denn die
Fähigkeit der Auswahl, Benugung und Verteidigung einer Ortlichfeit lerne man
nicht auf den hohen Schulen zu Padua, Bologna u. f. w., ſondern nur durch lange
Kriegsprarid. Davon gäben fo verfehlte Anlagen wie des Antonio da Sar
Gallo Verſtärkung von Florenz oder Gengas Befejtigung von Placeng recht
ihlagende Beiſpiele. — Sieben Stüd jeien vor allem einer Feſtung
von nöten: 1. die entiprechende Bejapung; 2. ausreihende Wafjermenae:
3. Schuß gegen Einfiht von außen; 4. „ein zweyfacher Wall von gutem dichten
Erdtrich“; 5. Geräumige und bequem gelegene Pläße im Inneren für Wachen
und Rejerven; 6. eine von Buſch und Strauch völlig freie, reine Umgebung:
7. ausreihende Munition. Die Hauptjache ſei und bfeibe die Tüchtigfeit der Be-
jagung, welche am beiten aus Leuten bejtehe, die dem Potenraten nicht nur getreu
jeien, jondern ihn von Herzen liebten. Da müſſe denn freilich der Herr danadı
jein! — In Bezug auf die Baus Ausführung erläutert der Verfaſſer die ver:
ihiedenen Materialien; Badjteine jtellt er am niedrigjten ; überhaupt joll Stein-
bau auf das notwenigjte bejchränkt, der Wall aus hartgejchlagener Erde u, zw
derart hergejtellt werden, daß überall die Bewegung des Waſſers geregelt und
der Bau dadurd vor Selbjtzeritörung gewahrt werde. Im Belagerungsfries:
fomme es darauf an, den Feind mit der einen Hand abzutreiben, mit der anderen
1. Übergangszeit. 183
aber zu bauen, „Schütten gegen Schütten, Wäl gegen Wäll zu jeßen“. —
Überraſchend ijt der Wert, welchen Thomas bereit3 auf den Minenfrieg legt,
zumal auf die jchon bei Anlage der Feſtung vorzubereitende Einrichtung von
Segenminen. Er jpridt von dem verfehlten Minenangriffe König Henry von
England auf „Bononia in dem Meer“ (Boulogne) und anderen ähnlichen Unter:
nebmungen und gibt, vorzugsweiſe für die Herjtellung von Minen, die Kon:
jtruftion verſchiedener Mepinjtrumente an, die jedoch nad) Zetters ungenügendem
Auszuge nicht verjtändlich werden.
Auch Thomas ijt aljo ein entjchiedener Anhänger der Erdbauten.
8 110.
Wie der erite Autor, der über den Bau von Baſteien aus Erde
und Holz gejchrieben hat, ein Deutjcher war, Hans Schermer, jo
handelt auch ein Deutjcher zuerjt von dem Bau gemauerter Baſteien
und bietet damit zugleich das erjte ſyſtematiſche Werf über die
Berejtigungsfunit unter Zugrundelegung der Wirfung der Feuer—
artillerie. Es iſt Albrecht Dürer, einer jener vieljeitigen Kunſtheroen
der Renaiſſancezeit, dejjen Priorität als fortififatoriicher Fachſchrift—
ſteller im 16. und 17. Ihdt. unbedingt anerkannt war.
Busca jagt: »Scrissa prima di tutti in questa materia (della forma
delle fortezze) Alberto Durero, Allemanno; appresso di lui un Giov.
Franc. Scriva messe in luce due Dialoghi in lingua Spagnuola in difesa
della fortezza da lui fatta a Napoli. Ne tratta poi il Tartaglia in alcuni
Dialoghi della sua nuova inventione...« (Architettura militare (Mailand
1601. ©. 123). Und ebenjo bejtimmt drüdt fih Naudäus aus: »Quem ad-
modum ferme primus, ab usurpatos in muros antiquae structurae ful-
munabilibus pilis facere agressus est Albertus Durerus, qui ut coelo
et calamo valuit, sic utraque condendarum et muniendarum arcium varios
modos expressit. (Bibliogr. milit. Rom. 1637 p. 133.)
Dürer wurde am 20. Mat 1471 zu Nürnberg geboren und
entfaltete jeine großen künſtleriſchen Gaben nad) — Richtung: er
war Maler, Kupferſtecher, Bildhauer und Architekt. Für einen deutſchen
Künſtler jener Zeit hat er viel Welt geſehen, — ſeinen fortifika—
toriſchen Intereſſen zu gute kam.
Dürers erſte Wanderjahre (1492—1494) führten ihn an den Oberrhein,
wo das durch ausgezeichnete Wehrbauten berühmte Bafel Eindrud auf ihn
machen mußte, und vielleicht auch jchon nad Venedig, wo er jich jedenfalls
1505 längere Zeit aufhielt und von wo aus er au Bologna und Verona
beſuchte. Nah einer Nachricht Joachims von Sandrart3 in deſſen 1675 er:
jhienenen „Zeutjchen Academie“ joll Dürer auch ſchon in den Jahren 1490 bis
1494, nad) anderen um 1510, in den Niederlanden gemwejen jein, und an dieje
— — — — — —
—
falſche Angabe hat ſich eine Legende geknüpft. Damals galten nämlich die groß—
artigen gemauerten Baſteien am Severinstor und am Hahnentor zu Cöln mit Recht
als Werke von hoher Bedeutung; dieſe hätten nun beſtimmenden Einfluß auf
Dürers fortifikatoriſche Anſchauungen gehabt. Solcher Eindrücke voll ſei er nach
Antwerpen gekommen, wo man ſich eben mit dem Umbau der alten Befeſtigungen
beſchäftigte. Dürer ſcheine Anteil daran genommen zu haben; wenigſtens befänden
ſich im Antwerpener Archive einige Entwürfe, die an ſeine Weiſe erinnerten; ja
der belgiſche Oberſtlieutenant Wauwermanns glaubt Dürers Einfluß ſogar in
einigen ausgeführten Bauten Antwerpens zu erfennen und erhebt ſich auf Grund
diefer Iuftigen Vermutungen zu dem mehr als jeltfamen Ausruf: »En un mot:
Durer est un veritable ingenieur flamand!« !) — — Das jind nun alles
müßige Erfindungen. In dem Tagebuche, welches Dürer über jeine 1520/21
wirflih in den Niederlanden ausgeführte Reife geführt hat, jchildert er dieſe
Gegenden durchaus als einer, der fie zum erjtenmale jieht, und gedenft mit
feinem Worte eines früheren Aufenthaltes, erwähnt niemals, daß er dieje Stadt,
jenen Menjchen, jenes Gemälde ſchon einmal gejehen ?). Auch der beſte Biograph
Dürers verwirft die Annahme eines früheren Aufenthaltes des Meijter im den
Niederlanden ganz entſchieden ®).
Nach der niederländtichen Reife von 1520/21, auf welcher er nun
allerdings die Cölner Bauten fennen gelernt, jchrieb Dürer dann im der
Heimat jein Werk: Etliche onderricht zu befejtigung der Stett,
Schloß vnd fleden“ (Nürnberg 1527). Am 6. April 1528 jtarb
der deutſche Meiiter.
Eine Iateinijhe Überfegung von Camerarius erjdien 1535 zu
Baris, ein Nahdrud des Originals in „Opera Alb. Dureri, d. i. alle
Bücher des weitberühmten vnd Kunſtreichen Mathematici vnd Malers Albrechten
Dürers von Nürnberg“ zu Arnheim 1603. Eine neue Ausgabe mit geichicht-
lihen und fahmännijchen Erklärungen ward 1823 „in neuem Deutih“ zu Berlin
veranjtaltet. Eine Prachtausgabe in franzöfifherÜberjegung »Instruction
sur la fortification, traduit par Ratheau« fam 1870 in Paris heraus.
Während des 15. Shots. hatten jich zwei fortifikatoriſche Anfichten
befämpft. Die eine juchte die bedrohte Überlegenheit der Verteidigung
über den Angriff dadurch zu bewahren, daß jie den Belagereg jchon
auf große Entfernungen befämpfte, ihm das Etablieren im Vorterraim
zu verbieten jtrebte und zu dem Ende für das eigene Geſchütz Die
hohen mittelalterlichen Türme beibehielt und nur zur Batteriejtellung
verbreiterte. Die andere wollte den nahe gefommenen Gegner mit
784 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ıc.
I) L’architecture militaire flamande et italienne au 16, sieele. (Revue beige d’arı
et des sciences militaires. 3annde. I, (Brüjfjel 1878) u. Albert Durer, son &uvre militaire,
son influence sur la fortification flamande. (Ebd, 1880.)
2) Bol. Leitihub: A. Dürers Tagebuch der Reife in die Niederlande. (Leipzig 1884.)
2) Thaufing: Dürer. Geſch. feines Lebens und feiner Kunſt. (2eipzig, 1876.)
1. Übergangszeit. 185
überlegenem Feuer überjchütten und bevorzugte deshalb niedrigere,
gut Flanfierende Bollwerfe und Grabenjtreichwehren. Dürer gedachte
beide Anjichten zu vereinen und gab deshalb jeinen weithinjchlagenden
Türmen, die er „Bajteyen“ nannte, nur mäßige Höhe, aber jo großen
Durchmefjer, daß fie bedeutende Batterien aufzunehmen vermochten,
während er jich zugleich bejtrebte, die Nahverteidigung dadurch zu
verjtärfen, daß er die bis zur Mitte des 15. Shots. meist tote Esfarpe
durch Einführung von Defenfivgalerien belebte, woran es ihm jchon
nicht an Vorbildern fehlte.
Diürers Werk zerfällt in vier Hauptabjchnitte, die zwar im
deutjchen Originale feine Überjchriften tragen, in der lateinifchen
Ausgabe jedoch mit Necht unter folgende Aubrifen gebracht find:
— De struendis aggeribus; de evenda arce; de castellis aedifi-
candis und de antiquae civitatis muniendae rationis.
Das Titelblatt wird fajt ganz durd einen großen Wappenadler aus:
gefüllt; auf der Rüdjeite jteht die von Pirfheimer aufgejegte Zueignung an
den Keichöverwejer König Ferdinand von Ungarn und Böhmen, dem ſich Dürer
zu dienen ſchuldig fühlt „wegen der Gnaden und Wohltaten, die ihm don weiland
jeinem Großvater Kaiſer Marimilian zu teil geworden jeien. Dieweil fih nun
zuträgt, daß Euer Majejtät etliche Städte und Flecken zu befeftigen befohlen hat,
bin ich dadurch veranlaht, meine geringe Kenntnis von diefen Dingen befannt
zu geben . . .“ Dabei gedachte Dürer insbejfondere, wie „die Länder jo dem
Türken gelegen find, ſich vor desjelben Gewalt und Geſchoß erretten möchte“ —
zwei Jahre bevor Sultan Suleiman gegen Wien heranzog und Luther feine
Heerpredigt wider den Türfen ausgehen ließ [$ 24). „So fein reagirte“, jagt
Thaufig, „die Baterlandsliebe in Dürer.“
Vortreffliche Holzfchnitte erläutern das Werk. Inſofern Bierglieder vor—
fommen, gehören fie dem Renaifjancejtil an.
Der 1. Abſchnitt behandelt die Anlage einer Stadtbefe-
tigung und zwar ganz in demjelben Sinne wie es, etiwa ein halbes
Jahrhundert früher, Hans Schermer getan [XV. 8 73], nämlich in
dem des Polygonalſyſtems, und wie Schermer, jo geht auch
Dürer dabei von den Bajteien aus, deren Emrichtung ganz genau
gejchildert wird. Der wejentliche Unterjchted gegen Schermer liegt
aber darin, dat Dürer nicht in Erde, Holz und Hürden, jondern
durchtveg in Stein baut, daß jeine Bajteten Hinten und oben ge
ichlofjen find und daß er die Geſchützwirkung in die gerne nicht von
„Bergen“ in der Mitte der Langwälle, jondern von den Plattformen
jeiner gewaltigen Baſteien ausgehen läßt.
Jähnms, Gedichte der Kriegswifienibaften. 50
7836 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wifjenichaft von der Befejtigung ꝛc.
Die Bajteien liegen in den ausfpringenden Winkeln der Umfaſſung
Ihr Grundriß ijt ein nad) außen halbfreisfjörmig abgerundetes Rechteck. Sie
ipringen weit über den Stadtumfang vor; ihr hinterer Teil ijt ein bomben-
fiherer Hohlbau und dient als Wohnraum und Magazin, während der äußere,
im Kern auägemauerte Rundteil mit niederen Streidhwehren (Defenſwkaſematten)
verjehen ijt. Die Plattform der Baftei it auch gegen die Stadt zu abgefchlofien
und zur Urtillerieverteidigung eingerichtet, jo daß jede Bajtei ein jelbjtändiges
Feitungswert bildet. — Es werden 3 „Meynungen“ (Manieren) Bajteien
zu bauen auseinandergejegt, die je nach den verfügbaren Mitteln anzumenden
find. Die Abmeflungen find folojjal. Beiſpielsweiſe ijt bei der mittleren Manier
der ausgemauerte Graben 250° breit, 50° tief. Die Stirnmauer erhebt ſich
nur 40° über die Sohle; jie ijt alfo 10° niederer als die Klontrestarpe und bat
5’ Anlage. Die Plattform der Bafteien ragt 20‘ über den Bauhorizont
und iſt mit 4‘ hoher, 18° jtarker jteinerner Bruſtwehr gefrönt, hinter der Heine
Gräben zur Dedung der Mannſchaft eingejchnitten find; denn Dürrer zieht das
Banffeuer dem dur Binnen vor. Die Stirnmauer der Bafteien ijt unten
15, oben 10° did; 35‘ rüdwärts jteht eine von mächtigen Strebepfeilern gejtügte
innere Mauer, und zwifchen diejen beiden Mauern läuft die Streihwehr für
ihweres Geſchütz mit Scharten, Rauchſchlöten und Luftabzügen. Im der eriten
Manier bejteht die Streihwehr aus Bertifal-, in der zweiten aus Parallel—
Kafematten. Über den Scharten find „Brunnenkreife“ (Brehbögen) in die Stim-
mauer eingelegt, um diefe hier zu verjtärten. Unmittelbar vor der Streichwehr
ift in die Sohle des Hauptgrabens nocd ein 18° tiefer Graben eingejchnitten,
um die Scharten zu jichern. Der Fuß der Streichwehr liegt in ein und derjelben
Ebene mit der Grabenfohle, der Fuß der Wohn: und Speicherräume dagegen im
Bauborizonte. — Die Kurtinen bejtehen aus zwei Rarallelmauern, deren
Bwijchenraum mit Erde ausgefüllt ijt bis zur Höhe des Wallgangs, der niedriger
als die Plattform der Bajtei liegt, von diejer aljo beherriht wird. Die Parallel:
mauern find 7° über den Wallgang fortgeführt, kreneliert und überdadit.
Prüft man dieje Anlage, jo ergibt fich eine gute und jtarfe Be-
herrichung des Borterrains von den Bajteien aus und eine große
Selbjtändigfeit diefer Werke jelbjt, deren Speicherräume die Mög—
Lichkeit geben, fie einzeln zu verproviantieren, und deren alljeitige Ber:
teidigung (auch nach rückwärts) eine energiiche Beſatzung in den Stand
jegt, den Feind zu zwingen, jede Bajtei einzeln anzugreifen. — Minder
günstig jtellt fich Dienahe und niedere Verteidigung. Die Geſchütz
galerie vermag nämlich) feindliche Batterien auf der hohen Kontresfarpe
faum zu befämpfen, und auch der niederen Grabenverteidigung dürite
fie jchwerlich genügen, weil fie durch die herabfallenden Schutt und
Erdmafjen der angegriffenen hochragenden Bajter vermutlich bald ge
biendet jein würde; denn den oberen Teil der Bajteien dedt ja die
Kontresfarpe nit. Die Seitenverteidigung durch die Bajteien
1. Übergangszeit. 187
iſt in der erjten Manier jehr jchwach (mie bei Schermer), in der
zweiten ausreichend, da hier wenigitens acht Geſchütze der Plattform
und vier der Kajematte Mauer und Graben bequem bejtreichen. —
Bedenflich bleibt, daß nicht erwähnt wird, in welcher Weije die aus
dem Graben ausgehobene ungeheuere Bodenmajje zweckmäßig ver-
wendet werden joll. — Wie allen Dürerjchen Konftruftionen mangelt
der Bajteibefejtigung jedes offenjive Element.
Im 2. Abjchnitte entwidelt Dürer an dem Beijpiele eines
Fürſtenſchloſſes ſeine Befejtigungsmweije mit austretenden
Streichwehren (Caponnieren).
Die Sejamtanlage bildet ein großes Quadrat von 4300° Seitenlänge, defien
Eden mit 600‘ abgejtumpft find, und das von zwei geraden „gemauerten Schutten“
umzogen wird. Die innere, 60° hohe Schütte überhöht die äußere, von der fie
durd einen 50° breiten und tiefen Graben und einen 150° breiten freien Raum
getrennt ijt. Bor dem Außenwalle liegt der Hauptgraben, 150° breit und 50°‘
tief, und vor diefem abermals ein 150‘ breiter freier Raum, der eine Art ge-
dedten Weges bildet, injofern er z. T. durch einen glacisförmigen Aufwurf gededt
wird. Die beiden Gräben erhalten äußerjt kräftige Verteidigung, erjtlicd) durch
Defenfivfajematten hinter den Estkarpen, dann aber durd) große „austrettende
Streihweeren“ (Caponnieren). Deren liegen im Hauptgraben zwölf, jede
100° breit und lang, im Heinen Graben, dejjen ganze Breite fie einnehmen, acht.
In der Mitte diejes Vierecks fteht dann das quadratiihe Schloß. — Die langen
Linien des Bieredd würden dem Nichochettichuffe gegenüber abjolut unzuläffig
fein; diejer aber fängt erjt in der zweiten Hälfte des 16. Jhdt3. an, eine zunächſt
aud) noch jehr bejcheidene Rolle zu fpielen.
Der 3. Abjchnitt handelt von der Einrichtung einer „Clauſen“,
d. h. einer Paßbefeſtigung, und bei diefer Gelegenheit legt Dürer
den fruchtbaren Gedanken der Zirfularfortifilation dar.
Der Verfafjer geht davon aus, daß eine auf den engen Raum eines Paſſes
bejchränkte Befejtigung dem Angreifer nur dann überlegen fein könne, wenn es
diefem nicht möglich jei, gegen einzelne ihrer Bunfte ein Mehr von Geſchützen
zu fonzentrieren, und wenn die laufe eine Form babe, die bei möglichjt geringem
Umfange größtmöglihen Raum einfchließe und die Geſchütze ſowohl gegen Frontal-
feuer wie gegen die Enfilade fichere. Solden Erwägungen entjprang Dürer dee
der freisförmigen Forts. — Einen runden Hof von 200° Halbmefjer umgibt
ein gewaltiger „Stod“, d. 5. ein Kaſemattenkorps in zwei Gefchoffen, deren eines
unter, deren anderes über dem natürlichen Horizonte liegt. Dies „runde Haus“
umgibt ein 100‘ breiter, 50° tiefer Graben, und vor diejem liegt eine „gemauerte
Schütte“ oder „Paſtey“, d. h. eine durch das Obergeſchoß des „Stodes“ be—
berrichte Enveloppe und ein zweiter Ringgraben. Den Hauptgraben verteidigen
außer der umlaufenden Galerie vier austretende Streichwehren, welche zugleich
50*
788 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wifjenihaft von der Befeftigung zc.
als Hohltoffer die Verbindung zwifchen Kern und Enveloppe herjtellen. Im Enve:
foppengraben liegen jech® ſolcher Caponnieren. (Die ambrofianiiche Bibliotbet
zu Mailand befigt eine Federzeihnung Dürer, welche eine perſpeltiviſche Anſich
der kreisförmigen Klaujen bietet.)
Der legte furze Abſchnitt bringt Dürer8 Borjchläge zur
VBerjtärfung älterer Befejtigungen und lehrt, „wie umb em
zuvorgepaute Stat ein wehrliche ſchut mit einem graben mit jtreidy
weeren gemacht joll werden“.
Der Meijter empfiehlt hier die Anlage folder Hilfsbauten (Schutten oder
Niederwälle) wie fie das 15. Ihdt. bereit® vielfadh in Anwendung gebracht hatte
(XV. 8 72]. U. zw. ift fein Vorwall völlig von der Hauptbefejtigung losgelöſt,
erjcheint aljo als das, was die Franzoſen jpäter im Gegenjage zu dem mißver—
itandenen Worte fausse-braie eine echte braie nannten. Übrigens find aud die
Abmefjungen diejer doch nur zur Aushilfe, zum „Rempariven“ bejtimmten Bauten
enorm, wenngleich freilid” die Kojten nicht jo maßlos ausfallen wie bei den
anderen Bauten, von denen Dürer jelbjt bemerkt, daß er jie nur für Beberricer
großer Reiche entworfen habe.
Fragt man, welche Bauten im Sinne Dürers ausge:
führt worden jeten, jo iſt da allerdings nicht viel zu jagen. In
den Dimenfionen, welche er ſelbſt vorjchreibt, konnte fein König oder
Kaijer jener Zeit bauen; fie waren viel zu riejenhaft und daher un
erjchwinglich koſtſpielig. — Er jelbjt ift fich darüber, wie es fcheint,
annähernd klar gewejen; denn er jagt in feiner Einleitung:
„An etlichen orten, do die leut nit pey gelt findt oder die eyl vnd not
das ereyſcht, machen fie große jchütten, verjchranten und vergraben die, vnd
weren ſich fedlicdy daraus; das ijt vajt gut. Dauon mil ich aber bie nit jchreiben
dann die friegsleut wijjen ſolchs wol zu machen; auch erlernen es die teglich, io
die friegänot darzu tringt; wan man aber folder gepeu nit mer bedarf, leſt man
die gewonlich zerreptern; dann niemandt hat darnad) acht darauff. — Mber in
eyner treflihen ſtat oder achtparem ſchlos, do die mauren, thurn vnd (ob das
fein mag) gefuttert gräben vmb ji haben, da fol man ſolche befeftigung aud
mauren vnd dem anderen gepeu gemes machen, auff das, jo man der zu jenner
zeyt nit bedarff, da8 die dannoch wehrhafft beleyben, pis zu eyner anderen zebt;
darumb müfen folch mauren vejt gepaut werden. Vnd ob man jagen wolt, &
wurde vil cojten, jo gedend man an die Kunig in Egypten, welche großen cojten
an die Pyramides gelegt haben, der doch nicht nuß gemweit ift, jo doch diſer
cojten jeer nuß iſt. Haben die herre vil armer leut, die man ſunſt mit dem
almuſen erhalten muß, den geb man taglon für iere arbeit, jo darffen fie mit
petteln vnd werden dejtminder zu auffrur bewegt. Es ijt auch peſſer, ein be
verpau ein groß Geld auff daß er beleyben müge, denn daß er in eyner gebe
von jeinem feindt vbereilet und aus jeinem land vertriben wurde, wie das eum
ieglicher geringen verjtandes leychtlicd; abzunehmen hat.“
1. Übergangszeit. 1789
Es hat ſich doch Fein Herr herbeilaffen mögen, dieſe Gegenſtücke
der Pyramiden zu erbauen, welche übrigens weniger an die Wunder-
werke Ägyptens, als vielmehr an diejenigen Karthagos erinnern, wo
ja, gerade wie bei Dürer, gewaltige Fajemattierte Räume das Unter:
geichoß der ungeheueren Mauerförper bildeten. Nur eine deutjche
Reichsſtadt hat, zwar in bejcheideneren Dimenfionen, doch immerhin
großartig genug, einen Monumentalbau der Dürerjchen Zirkularbefe
jtigung errichtet: nicht des Meiſters Vaterſtadt jondern Schaff-
hauſen, deſſen 1563 bis 82 erbauter jtattlicher „Unnot“ den Ruhm
bat, die Dürerjche Bauweiſe in deutjchen Landen allein zu vertreten. !)
Wenigſtens einen ganzen Dürerjchen Gedanken. Elemente jeiner
Befeſtigungsweiſe finden ich allerdings auch noch an einigen
anderen Orten, jo namentlich in Ingoljtadt, deſſen Befeftigung im
Sahre 1537 von den bayerijchen Herzögen dem Grafen Reinhart von
Solms [$ 22 und 8 112] zu völliger Neugejtaltung übertragen wurde. ?)
Solms legte gleidjlaufend mit der unangetajtet bleibenden alten Stadt=
mauer vor deren Graben einen zur Gejhütaufjtellung geeigneten Vorwall mit
balbgemauerter E3carpe, und in defjen ausjpringenden Winkeln erbaute er felb-
ftändige Rundelle, teild in Erde, teild gemauert. Diefe Anlage umgab ein 25 m
breiter, vom Grundwaſſer gejpeijter Graben, deſſen Kontresfarpe unbefleidet blieb.
Zur Bejtreihung beider Gräben dienten austretende Streichwehren, von denen
die des inneren Graben? eigentlih großartige dreijtödige Kafemattenkörper zu
nennen jind, ganz in der Art unjerer modernen Grabencaponnieren. Die Platt:
formen der Bajteien und Rundelle überhöhen den Hauptwall um 1'/s bis 2 m,
das Borgelände um 10 m. Die Erdrundelle der Südweſtfront bilden völlig
jelbjtändige Werke; jie find vom Walle abgerüdt, und ihren Fuß umzieht eine
freiftehende Schartenmauer. Ahnlic find auch einige der gemauerten Bajteien
behandelt. Bor zwei Bajteien liegen baſtionsähnliche Außenwerke, um das Feld
vor dem äußeren Graben zu bejtreihen, und ala Torſchutz.
Dieje Anlage folgt, zwar nicht in den Maßen, wohl aber der
Idee nach, wejentlich dem Dürerjchen Bolygonaljyjtem. — Baſtei—
bauten in des Meijters Sinne waren die von den Straßburgern
errichtete Bafter am Kronenburger Tor und die Bastei Nojened, von
denen die erjtere, nur wenig verändert, noch heute beiteht, während
die andere jchon 1577 von Daniel Spedle [$ 121) umgebaut worden
iſt. — Auch die Kajemattierung, welche der Meijter Johann
1) Val. Jähns: Handbuch einer Geſch. bes Älteren Kriegsweiend. ©. 1187 ff. u. J. R.Rahn:
Der Unnoth in Schaffhaufen. (Schweizer Bauzeitung 1889; 1., 8. und 15. Juni.)
2) Bol. Kleemann: Geſch. der Feſtung Ingolftabt. (München 1883.)
790 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung :c.
der von ihm erbauten jchönen Citadelle Jülichs zuteil werden lieh,
cheint auf den großen Nürnberger zurüdzumeijen.
Im allgemeinen fand Dürer Werk jedoch bei den Zeitgenofjen
geringe Anerkennung und erjt im neuerer Zeit ift nachdrüdlic) auf
dasjelbe aufmerfjam gemacht und Dürer als Begründer einer
bejonderen deutjchen Feitungsbaufunft gepriejen worden. In
diefem Sinne jprach jich bejonders General Adolf v. Zajtrow in jeiner
1839 veröffentlichten „Geſchichte der bejtändigen Befejtigung” aus.
Gerade im Gegenjage dazu behaupteten Franzojen und Belgier, daß
Dürer Werf le dernier traite de la fortification an-
tique jet!) und dieſe Anficht hat auf den erjten Blick manches
für ſich.
Dürer, der die Erdſchutten nur als dürftigen Notbehelf gelten läßt, knüpft
ja in der Tat an die mittelalterliche Überlieferung de& reinen Mauerbaues un-
mittelbar an, der auch vor ihm bereit3 den Hohlbau und die Selbjtändigfeit
großer Turmbauten innerhalb des Mauergürtel® entwidelt Hatte. Findet ſich
legtere8 Prinzip doc fogar ſchon bei Philon [A. $ 12] wie bei Vitruv [A.$ 24).
Nicht minder begegnet man dem Gedanken der vorgejchobenen Feſten bereits in
der Unlage von Burgengruppen des Mittelalters; die Defenjivfafematten, die
außtretenden Streihwehren, die Gemwölbetonjtruftionen — all das war im
15. Ihdt. bald Hier, bald da tatjächlich angewendet worden, und jo kann Dürer
wirflih als ein hochkonſervativer Vertreter des alten Befeſtigungsweſens auf
gefaßt werden, welcher an den in Deutjchland und Frankreid) lebendigen Formen
des verjtärften Mauerbaues fejthält und nur den Gedanken der Steinbajtei zur
äußerjten Stonfequenz führt, ja beinahe idealifiert.
Indeſſen damit ijt die Bedeutung Dürers doch nicht abgetan;
denn zunächſt bleibt er tatjächlic) der erjte moderne Autor, der em
ſyſtematiſches Werf über Befeitigungskunft, der erjte Autor überhaupt,
der ein jolches unter Berücdjichtigung der Feuerartillerie gejchricben
hat; dann aber find jeine Entwürfe auch da, wo jie nicht neu jind,
durch die organische Zujammenfaffung eines genialen Künjtlergerjtes
in ganz neues Licht gerüct und noch für eine jpäte Zukunft anregend,
wenn auch nicht maßgebend geworden.
Als bejonders verdienjtvolle fonftrultionelle Momente hebt General
v. Breje hervor?): 1. die bededten Gefchüggalerien der Bajteien innerhalb des
Umzugs der ftarfen Esfarpemauer; 2. die Vorforge für bombenfichere Unterkunft
der Truppen und Vorräte in dem ftadtwärt® gewendeten Teile der Befejtigung;
1) Wal. beſonders AUgoyat: Memoires historiques, p. 440.
») Über das Entſtehen und das Weſen der neueren Befeſtigungsmethode (Berlin 1844). Als
Manuffript gedrudt. (Bibl. bes Verfafiers.)
1. Übergangszeit. 791
3. die Selbjtändigfeit der Bafteien; 4. die Mauertonjtruftionen, namentlich dies
jenigen der Zirkularfortififation, wo Dürer die Gewölbewiderlager auf die Radien
des QTurmfreijes legt und dadurch Perpendikularfafematten bildet. — Und dieſe
Elemente erjcheinen nit nur als Abſchluß einer vergangenen Entwidelung,
jondern zugleich als Vorbilder einer zukünftigen! Es wurden integrierende Teile
jener deutjchen Befeſtigungskunſt, wie Friedrich d. Gr. fie verjtand, integrierende
Momente auch der fortification perpendiculaire Montalemberts, die gegen Ende
des 18. Ihdts. jo großes Auffehen machte‘); ja viele der von Dürer zuerſt wijjen-
ſchaftlich behandelten fortififatorishen Elemente find zu ihrer vollen Anwendung
erit anfangs des 19. Ihdts. gelangt, als die jog. „neupreußiſche Schule“ in
Deutihland und Erzherzog Marimilian Joſef in Dfterreich ihre großartige Baus
praxis begannen. Freilich hat Breje recht, wenn er jagt, daß dieje Konftruftionen
aus ganz anderen deenverbindungen und Erfahrungen hervorgingen, als zu
Dürer Zeiten ftatthaben konnten; aber die nahe Berwandtichaft ijt doch unver—
fennbar, und Dürer jelbjt hat bereits die Urt der Verwendung jener Elemente
angedeutet, wenn er nad) Bejprehung der Zirktularbefejtigung jagt: „Ob auch die
jtat oder ort des gepeus nit gleych aljo gefunden möcht werden wie angezeygt
ift, jo mag das gepeu halb oder ein vierteyl davon genummen werden; mil
aber yemandt geringer pawen, dem ijt auch genugjam angezeygt, wie das gejchehen
mag.” In der Tat: die Bauten Aſters und Brejes im Wejten und im Oſten
unſeres Vaterlandes, die ja nun zum Teil auch ſchon wieder veraltet find, zeigen
dad Diürerfche Kernwerk entweder halb oder als Drittel, nach Erfordern mit
furzen Flanken verjehen; die Marimilianstürme bei Linz reihen fich unmittelbar
dem Unnot von Schafihaufen an, und dasjelbe gilt von dem Fort Sumter in
der Hafeneinfahrt von Charleston (Südcarolina), das im amerifanifchen Bürger:
friege eine jo große Rolle gefpielt hat. Endlidy aber jtehen noch heute in volliter
Geltung die Dürerjchen Gedanken der „inneren Berteidigung“ und des
„Bolygonals Tracks in Verbindung mit dem der äußeren Verteidigung durd)
vorgejhobene Fort3.* Bon einem Gegenjate diejer Gedanken gegen den
ber bajtionierten Front fann bei Dürer natürlich feine Rede fein; denn der
Schulbegriff der bajtionierten Front erijtierte i. J. 1527 noch gar nicht, und zu—
zugeben ijt auch, daß der Gedanke der reinen Polygonalbefejtigung jogar von
gleichzeitigen Jtalienern vertreten wurde; zuzugeben ijt ferner, daß (wie jchon bes
merft) feines der von Dürer empfohlenen Elemente abjolut neu war. Aber die Art,
wie er diefelben verband, ijt höchſt originell, und jehr merkwürdig bleibt es, daß
der deutjche Geijt da, wo er völlig frei und unabhängig auftrat, von vornherein
die Richtung einjchlug, in welcher er fich jpäterhin zu Eigenart und Selbjtändigfeit
auf dem Gebiete der Befejtigungstunjt durchgerungen hat.
Nicht Dürer, jondern die Italiener wurden zunächſt maßgebend
für die Entwidelung des Befejtigungswejens, und daran trug vor
1) Beſonders der 8. Band von Montalemberts Wert »L'art defensiv superieur à l’offensiv«
fommt bier in Betracht. — Bal. auch Mandar: Architecture des forteresses (Paris 1801).
©. 600-622, namentlih ©. 617.
2) Bol. v. Stodheim-Hafjelbolbt: Die Marimilianstürme (Paſſau 1850).
792 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc.
allem wohl der Umftand Schuld, daß Deutjchland, abgejehen von einigen
poliorfetijchen Ereigniffen in den Grenzgebieten, in Lothringen und
Niederöjterreich, und abgejehen von dem militärisch recht unbedeuten-
den Schmalfalderfriege, Frieden hatte, während Oberitalien in der
erjten Hälfte des 16. Ihdts. der Schauplaß weltgejchichtlicher Kämpfe
war. Denn eben dieje führten dahin, daß zwijchen den Alpen und
dem römiſchen Apennin eine ganz außerordentlich große Menge von
neuen Befejtigungsbauten entjtand, an denen fich nicht nur Praxis
und Routine der italienischen Ingenieure fchnell jteigerten und ver-
feinerten, jondern die zugleich den Striegsleuten aller Länder Europas,
welche ich unter ihren Mauern jchlugen, naturgemäß bedeutenden
Eindrud machen mußten. So beherricht denn die italienische Befe—
jtigungsjchule, obgleich fie von deutjchen Gedanken ausging und Durch
einen Deutjchen, durch Spedle, ihre eigentliche Vollendung empfing,
thatjächlich das ganze 16. Jahrhundert. Dürer wurde jchnell ver-
gejjen.?)
g ı1l.
Die Italiener jind jeit dem Altertum dermaßen an den Steinbau
gewöhnt, daß jolche bastioni, wie fie ihnen della Valle empfahl und
wie jie ja auch thatjächlich von den Venetianern bei ihrer glorreichen
Verteidigung Paduas gegen Kaiſer Mar I. mit Glüd praftijch ver:
wertet worden waren, Doch immer nur als armjeliger Notbehelf er:
Ichienen. Sie jtrebten, wie Dürer, jogleich dahin, die für und gegen
die FFeuerartillerie notwendigen Werke in Stein zu fonftruieren. Cs
wurde jchon erwähnt [S. 775], daß der Herzog Alfonjo von Ferrara
die Gräben jeiner Hauptjtadt erweitern und Bollwerfe anlegen ließ, „in
denen man ſich mit der Artillerie bewegen konnte“, und infolge
deſſen galt Ferrara für den bejtbefejtigten Pla der Chrijtenheit.
Meiſt aber waren alle jolche Werfe noch jehr Hein. Die Umfaſſung
von Urbino, welche Comandino von 1523 bis 1525 baute, hat
elf Bajftione, deren Facenlänge 19,5 m. nicht überjteigt, zuweilen
aber nur 10 m erreicht; man nennt fie daher auch zu Urbino nur
torrioni. Erſt unter den Händen San Mlichelis (1484—1559)
1) Bol. über Dürers VBefeftigungstunft: Colmar Frhr. v?d. Goly: Dürers Einfluß auf die Ent:
widelung ber deutichen Befeftigungsfunft (Grimms Btichft. „Über Künſtler u. Kunftwerke. II, 189— 205)
und vd. Imhof: Dürer in feiner Bedeutung für die moderne Befeſtigungskunſt (Nördlingen 1871).
1. Übergangszeit. 193
wuchjen dieje puntoni bei der Befejtigung von Verona zu ftattlichen
Werken, zu wirklichen Bajtionen im modernen Sinne heran.
Ob die bei Moroni zu Verona i. 3. 1830 erjchienenen fieben Hefte
»Architettura militare« wirklich, wie verfichert wurde, auf San
Micheli zurüdzuführen find, iſt mindeitens zweifelhaft. Gewiß aber
it, daß dieſer Metjter jehr großen Einfluß auf die Entwicelung der
italientjchen Befeitigungsfunit gehabt hat, und wenn durchaus „der
Gedanke des Baſtions“ an den Namen eines „Erfinders“ geknüpft
werden ſoll, jo wird man immer bejjer tun, fich mit Maffei für
San Micheli jtatt mit Promis für Francesco di Giorgio Martini zu
entjcheiden.!) Wichtig iſt weder das eine noch das andere. ſS. 438.)
Abgejehen von dem Bajtion San Spirito, das die alte Rundellform Hat,
aber weit vorjpringt und geräumig ift, find alle Baftione Michelis edig. Die
Kurtinen tragen 3. T. in der Mitte Ktavaliere.
Der Typus dieſer Befejtigung von Verona iſt nun derjenige,
welchen man „baftionierte Befejtigung“ oder „altitalienijche
Fortifikationsmanier“ genannt hat, welchen man jedoch ange:
mejjener als „Befeitigung mit Bajtionen“ bezeichnen jollte. Es ijt
eine Bolygonalbefejtigung mit abgerundeten oder fünfeckigen Gapon-
nieren, in welcher diejenigen Gedanken, auf denen jpäter das Bajtio-
närjyjtem beruht, noch in feiner Weije zum Ausdrud gelangen. Die
Befeitigung mit Bajtionen, wie die Italiener fie durchführten, wurde
bald von aller Welt nachgeahmt, und damit ging auch der Ausdrud
„Baftion“ in die Sprachen aller Länder über und wurde das Ba—
ſtion jelbjt das wichtigite Element der modernen fortififatorischen
Formensprache, deſſen Bedeutjamfeit ſich noch unermeßlich jteigerte,
als man von der Befejtigung mit Bajtionen zum eigentlichen Bajtio-
närtrace vorjchritt. Um ein jolches handelte es fich aber zunächjt noch
fetneswegs. In der altitalienischen Manier find die Langwälle, die Kur—
tinen, vielmehr noch durchaus der wejentliche Teil der Anlage; die engen
Bajtione erjcheinen lediglic) als vergrößerte Türme, als Caponnieren zur
Flankierung des Graben. Ihre Flanfen jtehen daher auch jenfrecht
zur Surtine und werden meiſt hinter Orillons zurüdgezogen, auc)
verdoppelt oder fajemattiert, um eine möglichjt jtarfe Flankirung zu
ermöglichen. Die Wirkung nad außen fällt faft ausjchlieglich den
Kurtinenfavalieren zu.
ı) Maffei: Verona illustrata. III cap. 5: Mura e bastioni (Berona 1762). Cine Ber:
deutſchung diejed Kapitels enthält der 4. Band von Böhm: „Ardiv” 1778.
794 Das XVI. Sahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc.
Wie jehr dieje bedeutenden, jchön ausgeführten Bauten der Welt
imponierten und welchen Rufes zumal in Deutjchland neben dem von
Galeazzo Maria Sforza (1466—1476) vollendeten Mailänder
Kajtell die bajtionierten Befejtigungen von Ferrara umd
Berona genofjen, das zeigt eine interejjante Arbeit des Grafen
von Solms.
8 112.
Nächſt Dürer ift der jchon mehrfach erwähnte Graf Reinhart
von Solms S. 509 ımd ©. 789] der ältejte deutſche Schriftiteller über
Befeſtigungskunſt mit jenem: „KRurger Auszug vnd überfchlag,
einen baw aufzujtellen vnd in ein Regimentvnd Ordnung
zupringen, mit denen, jo darauff in aller arbeit jein
wurden.“
Solms ließ die Schrift 1535 von Schöffer zu Mainz druden, aber „nit in
einen gemeinen ausgang“, ſondern er behielt den Drud für fi, weil ihm jeine
Arbeit noch nicht genügte; „dann geliebt es Gott, jo foll es mit einer anderen
geitalt und bericht gemacht werden.“ Dazu iſt e8 nun doc nicht gefommen;
wohl aber gejtattete der Graf jpäterhin, dat Brydmanns Erben zu Köln i. 3. 1556
einen Neudrud der vor zwanzig Jahren hergejtellten Abhandlung veranijtalteten,
der num auch in den Buchhandel famt).
Das Werk tritt in Form eines Gejpräches zwiſchen dem rühmlich
befannten Feldzeugmeilter Michel Ott S. 489] und einem fingierten
jungen Baumeijter, Hans Willig, auf, der in Dienjten eines Kleinen
deutjchen Fürjten jteht. Willig, „eyn armer gejell“, der aber „gnad
vnd ehr erlangen möcht“, iſt „Deshalben nit anheims hinder dem wein
gelegenn“‘ jondern hat „vaſt alle züg in Teutſchen vnd Welſchen
Landen gejucht.“ Jet will ihn jein gnädiger Herr mit einem Stein-
me und eimem Maler nach Italien jenden, um dort Vorbilder zu
juchen für die von dem Fürjten „in diejen gejchwindenn leuffen“ be
abjichtigten „dapfferen Beueſtigungen“. Willig möchte aber vorher
auch die Anfichten eines vielerfahrenen Kriegsmannes über dieje An-
gelegenheit hören und zu dem Ende wendet er jich an Michael Dtt.
Dem Hans wie jenem Fürſten jchweben bejonders das Meailän-
der Schloß und die Städte Bern und Ferer (Verona und Ferrara)
als nachahmungswürdig vor; jie haben fich jedoch gar nicht flar
ı) Ein Egemplar in der Kgl. Bibliothel zu Berlin.
1. Übergangszeit. 795
gemacht, wie denn die örtlichen Bedingungen lägen. Ott varttert dem
jungen Hanſen nun das alte Thema: Eines jchieft ſich nicht für alle!
Er madıt ihn darauf aufmerffam, dab das Schloß in Mailand „ein eben
Waſſerhaus“ jei, deſſen Einrihtung ſich alfo für ein Bergſchloß, wie es der gnädige
Herr hergeitellt haben wolle, doch ganz und gar nicht eignen könne, zumal ein
einziger Turm zu Mailand fo groß jei, wie ein Viertel des gejamten Bauplapes
des deutjchen Herrn. Mit der bloßen Verkleinerung der Einzelheiten aber fei es
nicht getan; fondern man müſſe fi) genau nad) der Gelegenheit des Ortes richten.
Darum fei auch eine Übertragung der Stadtbefeitigungen von Verona und Ferrara
jo kurzerhand nicht auszuführen; vielmehr habe man jich vor allem Mar zu
machen, über wieviel Streitfräfte man verfüge, und darnad) die Gefamtanlage
zu disponieren. Der rechte Zwed jedes wehrlihen Baues jei aber der, ihn jo
einzurichten, daß man überall dem Belagerer eine größere Kraft an Mannjchaft
und Geſchütz entgegenzuftellen vermöge, als diefer an der betreffenden Stelle an=
wenden fünne. Eben dieje Hauptſache aber werde von den Unverjtändigen immer
überjehen, und ebenjowenig hätten die Meijten begriffen, wie ein Hauptvorteil
des Verteidigerd darin beftehe, daß er auf engem Raume „jein Büren in das
vorteil verrüden“ (wir würden jagen: mit jeinem Gejhüß auf der inneren Linie
manövrieren) fünne. Bon großer Wichtigkeit ſei auch die innere Verteidigung;
denn eine Feſtung jolle wie ein Gewappneter jein: entfällt ihm der Echild, jo
dedt ihn doch der Harniſch noch. — Bei der Anlage eined® Befejtigungsbaues
jind 20 Fragſtuck zu bedenfen:
1. Die Malſtatt. (NRelognoszierung und Vermeſſung der Ortlichfeit; be
jondere Rüdfiht auf das Vorhandenfein guten Waſſers.) — 2. Ob die Befejtigung
auf einer oder der anderen Seite von der Natur übernommen werde oder ob der
Feind bequeme Gelegenheit habe, überall zu lagern, — 3. Ob die Malftatt in
der Nähe überhöht werde. — 4. Ob die Sicherung gegen Überhöhen (vertifales
Defilement) nad) mehreren Seiten jtattzufinden habe und jchwierig fei oder nicht. —
5. „Ob man mög zwerd) (quer) in die Wehren jehen und ob dasjelbig aud zu
verdeden jey mit Schütten oder mit blenden?* (Horizontales Defilement.) —
6. und 7. Ob die Materialien für den Bau nahe zu haben oder fernber zu holen
und ob fie gut und brauchbar feien. — 8. Ob bei Mauerbauten dieje auch „jattes
Fundament“ finden oder ob man „pföl“ fchlagen müſſe. — 9.—11. Wie find die
Streihwehren (HFlankierungsanlagen) und Tore anzuordnen, um jelbjt gededt zu
fein und dem Feinde zu fchaden? — 12. Wie ift der Waflerzufluß zu fichern ?
(Schleufenwerte). — 13. Wie find die Streichtwehren zweckmäßig einzurichten? —
14. Wie iſt die Schütte zu jcheiden? (d. 5. der Wall in Abjchnitte zu gliedern,
die jelbjtändig verteidigt werden können.) — 15. Wie ift das Verhältnis zwifchen
Stadt und Schloß (Citadelle) zu ordnen, fo zwar, daß „das Schloß gegen der
Stadt vejt ift vnd die Stadt gegen dem Schloß offen und aber ſolchs nit wol zu
merfen ſei?“ — 16. Wie find die „Löcher in den ſtreichen“ (Kaſemattenſcharten) zu
ordnen, „daß dich der dunjt vnd rauch nit yrre?“ — 17.—19. Wie kann die Ein-
richtung der gededten Batterien für den Widerjtand gegen den Sturm verwertet
werden, und was gehört dazu an Sturmzeug? — 20. Was bedarf eine Bejagung ?
796 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung zc.
Hans Willig ſieht nun em, daß er von alledem gar nichts ver:
jtehe und bittet den Feldzeugmeiſter mjtändigjt, an jeiner Statt Die
Bauten zu übernehmen. Ott lehnt das ab, erflärt ſich dagegen bereit,
ihn noch näher zu unterweilen, und demgemäß folgt nun „Eyn
vnderricht eines veiten baws anzulegen vnd auß was
grundt Das genommen, gejchehen und wie der im reiſſen
verjtanden werden joll.“
Charakterijtiih ift da8 Normalprofil des Feldzeugmeijters. Es zeigt
(von außen nad innen) zuerjt einen breiten Graben, defjen beide Böjchungen
gemauert find. Die Mauer der Schärpe jteigt nur bis zum Horizonte; bier
jeßt auf ganz jchmaler Berme „die Schudt“, der Erdwall, auf. Hinter dem
Wall, der eine Erdbruftwehr trägt, liegt der „Zwinger“, und Hinter diejfem ein
ſchmalerer, ausgemauerter Graben, dejjen innere Mauer jih um Mannshöhe über
das „Lanndt“, d. h. das Planum erhebt. — An dieje Darftellung des Profiles
fchließt fi eine Anweifung, wie die Arbeit „zu verdingen“ jei, wobei
auch die Berechnung des auszuſchachtenden Bodens gelehrt wird (wie eynn wall
oder damm zuvergleichen, zu meſſen vnd zu rechen jei, die rutten zal darinnen)
und hernach geht der Lehrer über zu der „Ordnung zum bawe anzuijtellen
mit dem vorath“, wobei er die Transportverhältnifje ſehr forgfältig aus
einanderjegt. Nun folgt Bunkt für Punkt: „Vberſchlag des mawrwercks“ und
des „Gedinges“ für „Meurer, Speißträger, Speißmacher, Steintrager und Gemein
taglöner“ ; die „Ordnung der Walmeyſter und Walknecht“, das „Re-
giment der Knecht“ und ihre Befoldung („die Schichten lauffen eyn wochen
oder einen Monat“) und die Einteilung des Regiſters (des Koſtenanſchlages
nad) folgenden zehn Gefihtspunften: „Was auff die mewrer vnd fteynmeg gebt.
Was auff die mwalfnecht geht. Was auff die jteynbrüd geht. Was auff da
jhmidtwerd geht. Was auff holgkauff geht. Was auff die gemeyn taglöbner
geht. Was auff den Fald geht. Was auff die fhür (Fuhren) geht. Was, jo
du wurdeſt jchiffarht Haben, auff die gieng. Was auff geding gieng, jo man
ein arbeit verdingen mwurth.“
Nach allen diejen Auseinanderjegungen wollen dem jungen Hanjen
begreiflicherweije die Dinge noch weit jchwieriger erjcheinen als zuvor,
und er bringt den FFeldzeugmeiiter endlich dazu, daß dieſer perjünlid
mit dem „Herrn“ Rücdjprache nimmt, was unter überaus würdevollen
und höflichen Zeremonien ftattfindet, wobei ſich Ott bereit finden läßt,
die Oberleitung des Baues zu übernehmen.
Diefer „Aufzug und vberjchlag“ des Grafen Reinhart zu Solms
ift eine genaue, klare und gediegene Vorjchrift für wirflide Bau:
führung. Es handelt ſich dem deutjchen ‘Grafen feineswegs um
die Erfindung ingeniöjer „Manieren“, jondern um jachgemäße Durd-
führung der aus den gegebenen örtlichen und pefuniären VBerhältnifien
1. Übergangszeit. 197
entipringenden praftiichen Löſung einer gegebenen Aufgabe und um
die Darlegung regelrechter Praxis und zuverläjjiger Buchführung.
Gerade darum aber iſt jein Traftat auch kulturhiſtoriſch interejjant
und wichtig, und darum hat ein neuerer, ſonſt ganz hervorragend unter-
richteter Autor doch Unrecht, wenn er die um ein halbes Jahrhundert
jüngere »Architectura« Spedles als die älteſte Quelle für forti-
fifationsbauliche Technif bezeichnet.)
8 113.
Während in Deutjchland die Befeitigungen zu Matland, Ferrara
und Berona als die vorzüglichjten Kriegsbauten Italiens galten, er
freute jich in diefem Lande jelbit des höchſten Rufes die Befejtigung
von Turin, welche man geradezu für uneinnehmbar und für das
vollfommenjte Muſter einer derartigen Anlage erklärte.
Diejer Bau war ein Rechte mit Langjeiten von ca. 600 m Länge An
jeder Ede erhob ſich ein Feines überaus ſpitzes Baftion. Die Berlängerung der
Baſtions-Facen fjchnitt die Kurtine diht an dem Flankenwinkel des Bajtions
jelbjt. Die Kurtine, etwas niedriger als die Baftione, trug auf ihrer Mitte, ohne
bier vorzujpringen, eine Plattform, deren rechtwinklige Flanken je ein Geſchütz
aufnahmen, um die Bajtione, jowie den rückwärts gelegenen mittelalterlichen
Mauergürtel des Plapes unter Feuer zu nehmen. Zwiſchen diefer alten Mauer
und der neuen Befejtigung lag ein Graben. Die Konjtruftion der Futtermauern
des Walles wie der Baftione war derart, daß jie innen, ftatt der Strebepfeiler,
einen oder mehr Abfäge hatten und in der Die aufwärts etwas eingezogen wurden.
An dieje bajtionierte Befejtigung von Turin fnüpft ſich nun die
erite wifjenjchaftliche Kontroverſe über die altitalienijche Fortififation,
u. zw. findet fich dieje in dem 6. Buche der Quesiti et inven-
tioni des Tartaglia, dejjen Werk, joweit es ſich auf die Balliſtik
bezieht, bereit3 früher ausführlich bejprochen worden ijt. 8 422)]
Dies Buch ftellt jich dar als ein Geſpräch Tartagliag mit dem
Prior von Barletta, der von der bejcheidenen Anjchauung aus—
geht, daß „in Betreff der Befeſtigungskunſt der menjchliche Verſtand
nunmehr den höchiten Gipfel erreicht habe, den zu erflimmen ihm
jemals möglich jein werde“. Tartaglia will ſich darüber fein Urteil
erlauben, weil er von den modernen Fortififationen nichts kenne, und
2) R. II. (General Schröder): Aus der fortififatorijhen WBaupraris vom 16. bis 18. Jahr:
hundert. (Archiv f. Art.» u. Ing.-Dffiziere, 87 Bd. 1880.)
2) Das 6. Bud) tft von Böhm verbeuticht und im 4. Bande feines Archives abgebrudt. 1778.
Franzdi. (nad) einer Angabe des de la Barre du Barca) unter dem Titel: Maniere de fortifier les
cit6s en égard A la forme. (Reims 1556.)
798 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
e3 iſt amüjant zu hören, welchen geflijjentlichen Nachdrud der geiſt
reiche Autodidaft auf diefen Umstand legt, u. zw. zu dem Zwecke,
jeine a priori jtammende bewunderungswürdige Einficht in die echten
Grundanforderungen, die an eine Befejtigung zu jtellen jeien, deſto
deutlicher hervortreten zu lajjen. Der Prior legt ihm nun den Plan
von Turin vor, als eimer Stadt, „Die von allen verjtändigen Leuten
für unüberwindlich gehalten wird“ und fragt ihn was er dazu meine.
Tartaglia erwidert furzweg: „Ich finde feine Spuren eines groben
Verſtandes darin!“ Er will nicht leugnen, daß Turin vielleicht durch
die Maſſe der Mauern und die Tiefe der Gräben recht jtarf fer; die
Kunst der Anlage jedoch jei jehr gering; denn fie verjtoße gegen
die ſechs Grundanforderungen, welche an jede Befejtigung zu
jtellen jeien, und als jolche führt er folgende Bunfte auf:
1. Keine Mauer darf jo liegen, daß der Feind jie mit ſenkrechten Schüſſen
treffen fann; denn dieje find die gefährlichjten.
2, Innerhalb Schußweite vor der Feitung darf es feinen Punkt geben, auf
dem der Angreifer eine Batterie errichten fann, der nicht in geringerer Entfernung
bon einem Bollwerke beherricht werde, ala er jelbjt von der Kurtine entfernt ift,
die von ihm aus befämpft werden foll.
3. Der Grundriß der Befejtigung muß fo angeordnet fein, daß ein ſtürmender
Feind überall don mindejtensd vier Linien Feuer empfängt, nicht bloß, wie bei
Turin, von den beiden Seitenbollwerten.
4. Die Konſtruktion der Mauer muß derart fein, daß fie, wenn jte von der
feindlichen Artillerie zu Grunde gerichtet ijt, noch jchwieriger zu erfteigen ift, als
in unberührtem Zuftande.
5. E8 müſſen an den Mauern Einrichtungen getroffen jein, die jede Leiter:
erjteigung unmöglich machen und es 20 bis 30 Leuten gejtatten, eine Kurtine
von 150 Schritt Yänge mit unbedingter Sicherheit zu verteidigen.
6. Die Befeftigung muß einen für den Unterhalt der — genügenden
Ackerraum umſchließen.
Wie ſoll man nun dieſen Anforderungen — Tartaglia
gibt hierauf in einem 1554 erſchienenen Anhange zu ſeinem 6. Buche
nur eine unvollſtändige Antwort. Indem er dem Dr. Marcus An-
tonius Moroſini jeine Entwürfe vorlegt, jchicdt er voraus, daß die
ſechs Eigenjchaften nicht in einer einzigen Manier jtatthaben, jondern
einige in diejer, andere in jener. Er bejchränfe ſich zunächſt darauf,
eine jolche Befejtigungsmanier vorzulegen, u. zw. „wie e8 die Quach
jalber machen, wenn fie ihre Ware feilbieten, zuerjt die jchlechteite,“
die, weil jie mit dem üblichen Bollwerfen und Kavalieren verjehen iſt,
1. Übergangszeit. 799
zugleich am teuerjten herzuftellen jei. Übrigens entjpricht auch diejer
Entwurf, Tartaglias Anficht nach, bereit3 den Anforderungen 1—4.
Die Anordnung it folgende:
Ale Polygonlinien find nad innen zu ſtumpfen Winfeln gebroden. An
den ausjpringenden wie den einjpringenden Winteln liegen Heine Bajtione mit
Stodwerkäflanten. In der Mitte jeder Linie erhebt fih eine nidht vor—
tretende Plattform, die zugleich Zwed und Charakter einer Traverfe hat. In den
eingehenden Winkeln liegen die Tore, von Meinen Kavalieren verteidigt, die
rechts und links des Baſtions aufgejchüttet find. Bor der Escarpe zieht fich
ein naſſer Graben Hin, und jenjeits desjelben ein gededter Weg (via coperta
oder Begreta), welcher durd einen glacisförmigen Aufwurf gebildet ift, der jo
hoch ijt, daß er die Eskarpe bis zur Bruftwehr dedt. Die leptere ijt um einige
Fuß rüdwärts gejchoben, jo daß beim Mauerbande eine Art Berme entjteht. —
Durch das Zurüdziehen und Schräglegen der Kurtinen joll nun den Punkten
1 und 2 der Grundanforderungen wenigſtens einigermaßen entſprochen werden;
denn Tartaglia nimmt an, da fich in dem einfpringenden Winkel (»golfo«) feine
feindliche Batterie zu plazieren vermöge. Außerdem wird der erjten Forderung
auch noch dadurd genügt, daß die Esfarpe durch den Aufwurf des Glacid dem
direften Schufje entzogen ift. — Ein jtürmender Feind würde, wie es Punkt 3
verlangt, nicht bloß durd die Flanken des einen ausfpringenden und die eine
Flanke des zurüdgezogenen Bajtions befchofjen, jondern empfinge zugleich Rüden
feuer durch den Kavalier der anderen Hälfte der Polygonjeite und von dem
anderen ausipringenden Baftion. Was nun den 4. Punkt betrifit, jo meint
Zartaglia, „es jei der natürlichen Vernunft ganz gemäß, daß wenn der Angreifer
eine Mauer bejchieße, er niht den Teil zu treffen juche, den er nicht ſehe, ſondern
den, welcher über den Graben in Ste Höhe ragt. Wird nun diejer ungededte
Zeil der Mauer (bei Tartaglia alfo nur die Bruftwehr) zerjtört, jo bleiben jeine
Trümmer auf dem bermartigen Abjape liegen, zumal die feindliche Artillerie
doch auch Hier mur die Stirnmauer, nicht die zwifchen den Strebepfeilern liegenden
Erdblöde (argine) niederzuwerfen vermag. Unter ſolchen Umjtänden ijt der Sturm
aber noch jchwieriger als vor der Zerjtörung des oberjten Mauerranded; denn
jede3 Geſchoß, dad von den Flanken oder vom Rüden her in die Trümmer
trifft, wirft dort eine Menge Steinfplitter auf, die gefährlider find als die
Kugeln. — Bezüglich der 5. Grundanforderung ſpricht Tartaglia ſich nicht deutlich
aus; es jcheint, daß er durch eine bedeutende Steigerung des Mustetenjeuers
die von ihm ind Auge gefahten Wirkungen zu erzielen hofft. — Die 6. Forderung
ſoll dadurch erfüllt werden, da die neuen Befejtigungen um 200 Schritt vor die
mittelalterlihe Enceinte binausgefchoben werden. Zwiſchen der Ießteren, die
dann immer nod einen Generalabjchnitt bilde, der gegen eine battaglia da mano,
einen plöglihen gewaltfamen Angriff genügenden Schuß verleihe, und den neuen
Werfen würde fi) das notwendige Aderfeld ausbreiten.
Die bemerkenswerteiten Punkte in Tartaglias Werk find: 1. Die
ja jchon von Machiavelli empfohlene Anwendung der Tenaillenform
800 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
für den Grundriß; 2. die Dedung des gemauerten Teil der Eskarpe
gegen den direften Schuß; und 3. die Einrichtung des gededten
Weges, der allerdings an fich nichts völlig Neues war, da er, wie
auch Promis nachgewiejen hat, jchon im 15. Ihdt. bei ttalienitchen
Befejtigungen vorkommt, deſſen wifjenjchaftliche Behandlung durch Tar:
taglia aber um jo interejjanter erjcheint, als fie bereit3 bewußtes
Verjtändnis für die Offenfivfraft zeigt, welche diefem Werke eignet;
denn Tartaglia verlangt, daß »false porte« (blinde Tore) im Glacis
ltegen, duch welche der Feind nachts zu überfallen jei. — Die Deckung
des Mauerwerfes durch das Glacis iſt freilich nur dann vollftändig,
wenn der Angreifer nicht jo ganz „gegen die natürliche Vernunft“
handelt, den indirekten Schuß anzumenden, und wir Neueren dürften
wohl nicht mehr der Meinung Morojinis jein, der Tartaglias Feſtung
als una citta inespugnabile bezeichnet.
g 114.
Alles, was Dürer, Solms und Tartaglia bieten, hat dann
1547 Walther Reiff in jenem mathematijch- militärtichen Sammel
werfe [$ 20] in einem Abjchnitte zuſammenzufaſſen verjucht, welcher
den Titel führt: „Bon der grundtlegung, erbamwung vnd be
fejtigung der Stett, Schlöjjer vnd Fleden mit allen denen
gebewen, jo fur gewalt zu der wehrbefeitigung, jchug und jchirm von
nöten ſind.“ Die Abhandlung zerfällt in vier Teile.
Der 1. Teil will den „Braud der erfarneften Teutſchen Bau-
meijter ond alten Kriegßleuthe“ lehren, u. zw. in zwei Kapiteln, deren
erites „in form eines freundtlichen geſprechs eines erfarnen Bitrunianijchen Ardi-
tecti vnd eins jungen angehenden Bawmeiſters“ gebradt ijt. Der legtere möchte
nicht allein fich, jondern „nach der lehr Platonis und Chriſti“ auch dem Bater-
lande und jeinem Nächjten nützen. Er iſt deshalb nicht „hinter dem Ofen beim
wein figen geblieben“, fondern hat jich auch bei fremden Völkern, zumal bei den
Welihen umgetan und hat, heimgefehrt, feinem gnädigen Herrn bejonders die
Befejtigungen des Schlofjes Meylandt und der Stätte Ferrar und Bern (Verona)
gepriejen, und der Herr hat nun aud Luft, „etliche Stedt, Schloß oder Flecden
jolhergejtalt zu erbawen“. Nun will der junge Meijter den Rat des Architelten
hören. — Man erkennt: es iſt eine einfache Wiederholung des Geſpräches zwijden
Michel Ott und Hans Willig, in das Graf Reinhart v. Solms feine Bau:
anmweijung gefleidet hatte [$ 112]! Und in der Tat, jener Dialog folgt nun fait
Wort für Wort — ein Plagiat, das um jo unverjhämter erſcheint, als i. 3. 1547
das Wert des Grafen nur als Manujfript gedrudt war und Reiff den Autor,
den er abjchreibt, auch nicht einmal mit einer Silbe erwähnt. Der einzige
1. Übergangszeit. 801
Unterjhied von Solms Gejpräh und diefem Dialoge ift, daß Reiff noch einige
Holzihnitte zugegeben hat, namentlich eine gute Darjtellung des Mailänder
Schloſſes. Es kennzeichnet den „vitruvianiſchen Architekten“, wenn für den Mauer:
bau ganz genau die antifen Vorſchriften des Römers, dieſes „Urſprungs vnd
Baters aller Bawkunſt“ wiederholt und durch anſchauliche Holzſchnitte illuftriert
werden. Eine andere Xylographie aber lehrt, daß der Autor fih audh an Dürer
gebildet Hatte, deſſen Befejtigung mit Bollwerfen, freilich ohne daß ihr Urheber
genannt wird, bildlich dargejtellt ift. Deutet auf Dürer Werk doch auch Reiffs
Überjchrift „Won Befejtigung der Stedt, Schlöffer und Flecken“ Hin.
Der 2. Teil führt den Titel: „Der namhafften, vejten vnd wehr-
lihen Stadt Thurin eygentlihe Bejhreybung, mit allen Ge—
bewen, jo zu der befejtigung verordnet... mit weitleufftigerem
beridt, wie ein ftadt für allen gewalt des Geſchütz aus rechtem
grundt der Arditectur auff dieje yegige Kriegfruftung zu be
fejtigen vnd zu bewahren ſey.“ — Der Borwurf, welcher fchon den
ballijtiihen Teil von Reiffs Werk traf, muß bier abermald erhoben werden:
Tartaglias Werk iſt ausgejchrieben, ohne daß der Autor als folder auch nur
erwähnt wird. Reiffs 2. Teil ift, der Hauptſache nad, nichts anderes als das
ein Jahr zuvor erjchienene 6. Buch der Quesiti [$ 113], das nur feines dialogifchen
Charakters entfleidet ijt und natürlid) des erjt 1554 erfchienenen Anhangs mit
den pojitiven Vorſchlägen des Italieners nod) entbehrt. — Dafür bejchließt Reiff
diefen 2. Teil dur eine „Anzeigung der gerechten Proportionen und Simmetria
aller mejjungen, form vnd gejtalt der Thürn, Gräben, Pafteyen, Wald, vnnd
Bollwerd mit allen jhren Wehren vnd Schießlöchern, wie ſolche Proportion
gemeiniklihen bey den Welſchen vnd auch den erfarnen Teutjchen Bamwmeijtern
diefer Zeit im brauch“. Es iſt das eine kurzgefaßte Überficht mit folgenden
Angaben: Ringmauer; unten bi$ 10 Schuh Höhe, 25 Schuh did, von da an
nur 2 Schuh dide Schildmauer vor der Schütte mit 23 Schuh diden Contra=
forten (Strebepfeilern), die dur Bogen verbunden find. Höhe von der Graben=
ſohle an 34 Schuh, Länge von einem Turm oder einer Paſtey zur anderen
300 Schritt. — Bajfteien oder Bollwerke: Höhe 37 Schub; doppelte, offene
Wehren (Flanken). Der „unterjt Platz“ (niedere Flanke) 17 Schuh über der
Grabenjohle und 10 Schritt Hinter die Face zurüdgezogen; der „oberſt Platz“
13 Schuh Höher und 16 Schritt zurüd. Die Scharten für die Flankengeſchütze
find außen 10 Schuh, innen 5 Schuh breit; die „Kameren“ (Merlons) find
8 Schuh hoch. — Die „Bauallere* in Mitte der Mauren ($urtinen) find
32 Schritt lang und 18 Schritt breit und überragen die Mauer um 10 Schuh,
aljo bedeutend mehr als die Bajteien. — Die Brujtwehren find 24 Schuh
did; der „Corritor“ (Bankett, Schwelle) 6 Schub breit. — Breite des Grabens
unten 14, oben 16 Schritt; Tiefe 4 Schritt (sic!). — Berborgene Streichwehren
(GContramina) im gewadjjenen Boden 394 Schuh breit, 7 Schuh hoch.
Der 3. Teil von Reiffs Werk handelt „Bon den furnembiten puncten,
jo mit hochſtem Fleiß don dem erfarnen Arditecto wargenommen
werden jollen in erwelung bequemes plag zu der maljtadt, dahin ein
Jahns, Geihichte der Ktriegswiſſenſchaften. 51
802 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaſt von der Befeftigung ꝛc.
Stadt, Schloß oder Fleden zu erjter erbawung bezeichnet werden joll“. — Hier
entfaltet der Autor eine wunderbare Gelehrjamteit in „alten Geſchicht wahr:
baftiger Hiftorien“ und berichtet, wie die alten Deutjchen und Aſſyrier, wie
Seſoſtris, Cäſar und viele andere ihre Baupläge ausgeſucht, um endlich das
Ideal einer guten Baulage aufzuftellen. Auch die Formalitäten altrömijcher
Stadtgründungen werden erörtert.
Der 4. und „legte Teil des Buches von den Befejtigung Gebewen“ handelt
merfwürdigerweife von der JnfanteriesTaftif und ward jhon an anderer
Stelle beiprochen [$ 82]. Bier jei nur darauf Hingewiejen, wie die mathematijche
Neigung des Autor, bzgl. feines Vorbildes Tartaglia, ſich auch darin unver:
fennbar ausſpricht, daß ihm die Taktik im wejentlihen gar nichts anderes ijt, als
ein Spiel geometrifcher Formen, welches demgemäß der Yortififation auf das engite
und unmittelbarjte verwandt ſchien. Es lag das übrigens in der Gejamtauffafjung
jener Zeit überhaupt, und gerne verglid man die großen, jhwer hinwandelnden
Spießerhaufen mit ihren Schüßenflügeln beweglichen Feitungen, in denen die
Piteniere die Kurtinen, die Arkfebufiere die flankierenden Baſteien vorjtellten.
Neiffs Werk nimmt feine hohe Stellung ein; das wenige, was
original darin, iſt vorzugsweiſe handwerksmäßig. Seine Spur findet
jih von den großen Gejichtspunften eines Machiavelli oder Dürer,
und der lehrhafte Ton, in welchem fich diefer „vitruvianijche Architekt“
gefällt, iſt jo weitjchweifig, jo ausgejprochen ſpießbürgerlich und
pedantijch und dabei jo unklar, daß die Lejung jeines Buches Tang-
weilig und mühjam wird.
Ein zweites baumwifjenjchaftliches Werk des Rivius tft jeine dem
Bürgermeijter und Rate von Nürnberg gewidmete VBerdeutjchung
des Vitruvius (Würzburg 1548. Bajel 15751), 1614).
Es ijt das nicht nur eine einfache Überfegung; vielmehr find den einzelnen
verdeutichten Kapiteln des lateinischen Autors ergänzende Ausführungen angehängt,
welche die entiprechenden modernen Verhältniſſe zu erläutern unternehmen.
Vieles davon iſt mit dem in der „Bawkunſt“ Gegebenen identifh, namentlich
auch die meijten Zeihnungen. Die Darjtellung der antifen Kriegswerkzeuge iſt
dem Balturius entnommen [XV. $ 44]. In das Kapitel „Bon den Balijten,
d. i. Schlenferen und Werffen“, ift die Zeichnung eines Geſchützes eingejchoben,
da8 mit dem Quadranten gerichtet wird. — Neues enthält alfo auch dies Werl
Reiffs nicht.
8 118.
Bon außerdeutjchen Arbeiten über Befejtigungskunit aus
der erjten Hälfte des 16. Shots. find noch diejenigen einiger Italiener
zu erwähnen. — Ungefähr gleichzeitig mit Tartaglia jchrieb Belucci
1) Bibl. des Berliner Zeughauſes (B. 784).
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 803
einige erjt jpät und jchlecht herausgegebenen Traftate, welche mit jeines
Beitgenoffen Melloni: Particelli e fragmenti 1598 zu Venedig
vereint erjchienen. Die legteren haben namentlich für den praftijchen
Kriegsbaumeijter nicht geringen Wert. — Alghiſi da Carpi verfaßte
um 1548 Delle fortificationi libri III (®enedig 1570), in
denen er den tief gebrochenen Kurtinen das Wort redet, entſchiedene
Hinneigung zum Tenaillenſyſteme zeigt und ſich lebhaft für möglichſt
itumpfe Baftionen erklärt. Galt es doch zu jeiner Zeit al3 Grundſatz,
dag man einer Feſtung feinen empfindlicheren Schaden zuzufügen
vermöge, als wenn man die meijt überaus jpigen und daher jehr
verwundbaren Bajtionspünten demoliere. — Ungedrudt blieb der be
rühmte Trattato delle fortificationi di nostri tempi
des Leonardi, von welchem jedoch Promis (p. 158 ff.) einen Auszug
gegeben hat.
Frankreich und England weijen in dieſem Seitalter noch
keinerlei wifjenjchaftliche Beitrebungen im Gebiete der Militärarchitektur
auf. Der einzige jpanijche Autor, dejjen Name herüberflingt und
dejfen Schrift neuerdings wieder aufgefunden jein jol, Escribä, ge
hörte ganz der italienischen Schule an. — Das Werk eines portu-
gieſiſchen Fortififators, Duarte d'Uürmas, bewahrt das Archiv von
Torre do Tombo.?)
2. Gruppe.
Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts.
8 116.
Eine der glänzenditen Koryphäen der gejamten Befejtigungs-
wiſſenſchaft iſt Marchi, den man am beiten gerade in die Mitte des
16. Shots. jtellt; denn er begann jein bedeutijames Werk in den vier-
ziger und vollendete es in dem jechziger Jahren. — Francesco
de Marchi wurde aus edler römischer Familie zwiſchen 1490 und
1515 (mwahrjcheinlich 1506) zu Bologna geboren. Als Ingenieur
diente er zuerjt dem Aleſſandro dei Medici, dem erjten Gemahl der
Margarete von Ofterreich, und trat dann, als diefe Fürftin den Herzog
Dttavio Farnefe von Parma heiratete, in parmeſaniſchen Dienit.
1) Bol. Zur Geſch. der Fortifitation in Portugal. (Beitihr. f. K., Wiſſenſch. und Geſch. bes
Krieges. 73. Wd. 1848.)
51*
804 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung ꝛc.
Papſt Paulus III., dem (wie Spedle ſich ausdrüdt), „der gewaltige
Capitan Maris jehr angenäm war“, zog ihn wegen der Neubefeiti-
gung Roms zu Nate, die dann in die Hände des von Marchi hoch
belobten Giov. da San Gallo („des Jüngeren“) gelegt ward.
Vielleicht veranlaften diefe Beratungen den Marchi, fich der wijien-
ichaftlichen Behandlung der Yortififation zuzumenden. Er entiwarf
bis 1545 eine Neihe idealer Fejtungspläne, deren Stich 1546
begann. Dabei blieb er in farnefiichem Dienjte, beaufjichtigte die
Pulverfabrifen diejes Eriegerijchen Hauſes, beteiligte ji) an der Ber:
terdigung der Stadt Parma, als diefe von Karl V. und Julius ILL.
i. 3. 1551 belagert wurde, tınd leitete den Bau des Schlojjes, welches
Margareta von Barma zu Biacenza errichtete. — Im J. 1554 ſchloß
er fein Kupferwerf vorläufig ab und überreichte ein Exemplar des
jelben zu Greenwich an Philipp II. von Spanien, der damals König
von England war, jowie andere Abdrüde an den Prinzen von Barma
und an den Herzog von Sefja. — Eins diejer Eremplare dürfte der
PBarijer Coder ital. 7743 jein. — Fünf Jahre jpäter folgte Marchi
jeiner Gebieterin Margareta als fol. jpanijcher Ingenieur, angeblich
mit dem Range als Generallieutenant, in die Niederlande, und benutzte
die Reife dorthin, um auch die deutjchen Bauten fennen zu lernen,
von denen er in jeinem Werfe z. B. die kunſtreichen Holzbrücenbauten
zu Ulm, Speyer u. a. O. rühmend hervorhebt. Am 27. Sept. 1565
vollendete er in Brüfjel jeine Arbeit ungefähr in der Form, wie fie
jpäter gedrudt wurde. Als Margareta 1567 die Statthalterjchaft
verließ und nach Italien zurücfehrte, jcheint er ihr wieder gefolgt
zu fein. — Inzwiſchen genügte ihm jein Werf noch nicht, und er goß
e3 in eine neue, vollkommnere Gejtalt um, in der es 1571 fertig ge
jtellt wurde und deren Manujfript die Bibliothef Magliabechiana zu
Florenz bejitt. Im 3. 1574 joll Marchi in den Abruzzen gejtorben jein.*)
Über Mardis Arbeiten hat ein feltfames Gefchid gewaltet. Offenbar follten
fie eigentlich nicht veröffentlicht werden. Er jelbjt bemerft darüber zu Ende des
144. Kapitels des III. Buches: „Nun haben Jhro Durdlaudt (Margarete von
Parma) und Sie drei Herren und Fürften (nämlich der Prinz von Oranien und
die Grafen von Orno und don Agamonte) mir gejagt, daß diefes mein Wert
im Namen Sr. Majeftät (Philipps IL.) gedrudt und nur den Freunden Sr.
Majejtät, jonjt aber niemandem abgegeben werden jolle, ausgenommen, wem
1) Bol. Marini: Vita di Fr. de’ Marchi (Rom 1810) und Benturi: Memorie intorno
alla vita e alle opere del capitano Marchi (Mailand 1816).
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 805
die Herzogin oder Sie, meine Herren, es zuzumenden beabjichtigten, und daß
nach gejhehenem Abdruck die Kupferplatten in Sr. Majeftät Archiv aufbewahrt
werden follten“. Indes übernahm der König (vielleicht wegen Maris Beziehungen
zu Oranien) den Drud niht; Mari gab das Werk auch nicht Heraus, teilte
aber die Zeichnungen und Stiche, wie fie allmählich fertig wurden, Fürſten und
Liebhabern mit; oder diefe nahmen fie ihm unter den Händen fort, und jo erflärt
es ſich, daß manches, was wohl Mardis Entwürfen entjtammt, in Büchern jteht,
die früher erjchienen als Marchis eigenes Werk. Diejer ſelbſt gibt daS deutlich zu ver—
jtehen (p. 44b). — Ein Eremplar folden Urſprungs ift die tertlofe Sammlung
von 170 Tafeln Marhis in der Dresdener Bibliothek, in welhem an Stelle des
Titels eine von Trophäen umgebene lateinifche Widmung an die Prinzen Ehriftian,
Johann Georg und Auguft von Sachen jteht, die von Mardi eigenhändig unter-
zeichnet it. — Nah Marhis Tode ging die Brüfjeler Handſchrift in dell’
Dglios Hände über, der wieder eine Anzahl von Abdrüden der Entwürfe ohne
Tert abgab, z. B. 1597 an Binz. Gonzaga von Mantua. Zu folden Eremplaren
gehört auch wohl das der K. Bibliothek zu Berlin, welches den gedrudten
deutihen Titel führt: „Newe Baulunft oder Arditectvr aller für-
nembjten nothwendigjten angehörigen Mathematifhen, Geo—
metrifhen, Arithmetifhen Künften... Allen Potentaten, Chur, Fürjten,
Herren vnd Stenden, jo Städte, Schlöfjer, Feitungen, Wallen ... erbawen, ja
auch wie die zu gewinnen vnd einzunehmen... in Drud geben... . durch den
funjtreichen Capitan Fr. de Marchi Bolonese, Weylandt fgl. Maeſt. zu Hijpanien
gewejenen Kunſt- nnd Bawmeiſter. Gedrudet 1599.” — Dem Titel voraus geht
eine pompöfe farbige, von Trophäen umgebene handjchriftlihe Widmung an den
Herzog Johann Adolf von Schleswig-Holitein, Biſchof von Lübeck, welde jedoch
nicht von dell’ Oglio, fondern von DOctavo Lolle unterzeichnet ijt. Außer der
wieder an Joh. Adolf gerichteten, übrigens ganz inhaltlofen Vorrede enthält das
Bud nur Stupfertafeln, feinen Tert.
Erſt 34 Jahre nach ihrer Vollendung erjchien die Brüffeler
Faſſung des Buches unter dem Titel: Dell archittetura mi-
litare libri tre, nelli quali si descrivono li veri modi di
fortificare, che si usa ai tempi moderni, con un breve et utile
trattato, nel quale si dimostrano i modi di fabbricar l’artiglieria
et la pratica di adoperarla da quelli che hanno carico di essa.
Opera novamente data in luce (Brescia 1599). Ad instanza di
Gasparo dall'’Oglio. Con licenza dei superiori !).
Eine zweite Ausgabe führt, d’Ayala zufolge, den Titel Dellaarchittetura
libri quattro, etc. (Brescia 5. a.). Hier ift alfo der Anhang über die
Artillerie [$ 61] als viertes Buch bezeichnet. Im übrigen ijt e8 ganz das—
1) Ein Eremplar in der Kgl. Bibl. zu Berlin (aus der Bücherfammlung bed großen Kurfürften.)
Ein zweites mit der Widmung an Kurfürft Ehriftian II. in der Kgl. Bibl. zu Dresden.
806 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
jelbe Werk; ein diefer Ausgabe eigentümliches Widmungsichreiben dei’ Oglios
ift vom Mai 1600 datiert.
Beide Ausgaben gehören zu den allergrößten buchhändleriſchen
Seltenheiten. Wintelmann ſchrieb i. 3. 1757 an den Grafen v. Bünau:
„Ich will Em. Excellenz ein Buch anzeigen, welches in Deutjchland vielleicht
nicht befannt ift und hier in Rom nad) Serveti Christianismus (einer bibliogr.
Seltenheit höchſten Ranges) für das rarefte gehalten wird, nämlich Francesco
de Marchi archittetura militare. Es ijt nur zweimal in Rom, und in die
Vaticana ijt es allererjt vor wenig Jahren dur ein Vermächtnis gefommen.
Man jagt hier: Bauban habe fein bejtes herausgenommen und die Eremplare,
wo er fie gefunden, an ſich fauffen lajien. Dem Kardinal Paſſionei ift es für
50 Dulaten angetragen worden.” — Auch Maffei bejtätigt die Seltenheit des
Wertes.
Im Jahre 1810 gab Luigi Marini, Konjervator der Vaticana und Ver:
fafjer eines Hiftorifchen Eſſais über die Baftione (1801), dad Wert Mardıis,
dankt der Munifizenz des Herzogs von Lodi, aufs neue in ſechs prachtvoll aus—
geftatteten Duartbänden und zwei Planfolianten neu heraus. Die beiden eriten
Bände enthalten die Prolegomeni, nämlich eine Widmung an Napoleon L, die
Lebensbejchreibung Maris, ſowie eine Kritit feines Syitems, ein umfafjendes
Dizionario di fortificatione und eine breit angelegte Bibliotheca istorico-critica
di fortificazione permanente, welche v. J. 1521 (Madiavelli) bis 1810 (Fojie)
führt. — Sehr befremdlih ift es, daß fih Marini Hinfichtlich des Tertes von
Marhis Werk darauf beſchränkt hat, den Wortlaut der Ausgabe von 1599 einjad)
wieder abzudruden, obgleid der Abt Calzoni von Bologna ihn auf die in der
Bibliothet Magliabehiana vorhandene Fafjung von 1571 aufmerkſam gemadt
Hatte. Nirgends nimmt Marini Bezug auf dieſe Berfion; ja er bat fie nicht
einmal gelejen, und doch iſt fie (nach Promis Anfiht) der Brüffeler Faſſung
weit überlegen. Es iſt ein vollftändiger Traftat der bürgerlichen wie der
militäriſchen Baufunjt, der zugleich Wafferbau und Balliftit umfaßt und fich
durch großartigen Zug und fcharfe Intelligenz auszeichnen fol. Nur einige
Bruchſtücke desjelben find veröffentlicht worden, und außer dem Originale zu
Florenz erijtiert nur nod die Kopie davon, welche Calzoni genommen und der
Bibliothek des Inſtitutes zu Bologna überwiejen hat.
Marchi hat ein Vierteljahrhundert lang feine reiche Erfahrung
und jeine fruchtbare Einbildungsfraft zur Herjtellung des großen
Werkes angewendet, welches jeine fortififatoriihen Grundjäge und
Entwürfe umfaßt, und wenn dieje leteren manche überfünftlichen und
unpraftiichen Kombinationen enthalten, jo bergen fie doch auch eine
Fülle geijtreicher Jdeen, die in der Folge von anderen verwirklicht
worden jind.!) Daß dabei jein Name nicht wieder genannt wurde,
das fann entweder darauf fchliegen lafjen, daß es fich um neue, jelb-
1) Bgl. darüber bie Anmerlungen zu ©. 809—812,
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 807
ftändige Erfindungen handelte, oder darauf, daß Marchis getjtiges
Eigentum an jolchen Gedanken zwar befannt war, jedoch abfichtlich
verichwiegen wurde. — Im allgemeinen wird man die erite Voraus»
ſetzung anzunehmen haben; denn in der Tat jcheint Marchis Werf,
wohl jeiner Seltenheit wegen, früh in Vergeſſenheit gefallen zu jein.
Erſt zu Anfang des 18. Ihdts. ermwedte der Pater Corazza wieder
das Andenken an die Verdienjte des ausgezeichneten Bolognejen, und
Der Marcheje Maffei verjuchte nachzuweiſen, daß die meijten fortifi=
fatorijchen Erfindungen, welche Bauban zugejchrieben worden, Marchis
Eigentum jeien, eine Behauptung, die zu lebhafter Polemik führte,
jedoch ohne reelles Reſultat blieb.
Das Wert Marchis über die Befejtigungskunft iſt niemals zus
Jammenhangend verdeutjcht worden; indes da es vorzugsweije durch
die Kupfertafeln gewirft hat und da es den von den Stalienern jelbit
erreichten Höhepunkt der „italienijchen“ Fortififation des
16. Ihdts. bildet, über den erjt ein Deutjcher, Spedle, hinausgeführt
Hat, jo it e8 doch unerläßlich, an diejer Stelle eine Inhaltsangabe
des Werkes zu bieten.
Das erite Bud füllt mit feinen 58 Kapiteln 32 Seiten. E83 handelt vom
Ingenieur und dem ihm nötigen Wiſſen, vom Unterſchiede der alten Befejtigung
mit Mauern und Türmen und der neuen mit Wällen und Bollwerfen, von den
Heeritraßen und Brüden der Alten. Dann beſpricht e8 die Bedeutung der
örtlihen Lage der Feſtungen fowie die politijhen Gründe zu deren Erbauung.
Marchi zieht große Feftungen den fleinen vor, weil ihre Baftione größer und
daher verteidigungsfähiger feien, weil fie die Anlage von Abjchnitten erlaubten,
weil der politiihe Wert großer Plätze unvergleichlich bedeutender jei als derjenige
fleiner und weil zu ihrer Belagerung jtärfere Kräfte erforderlich jeien. Je nachdem
zur Armierung artigleria reale oder non reale [$ 61] bejtimmt fei, unterjcheidet
Marchi fortificatione reale oder non reale (grand Royal und petit Royal).
Danach richten fih dann die Grundmahße. Bei der fortificazione reale jollen
die Flanken einer Front 1500° von einander entfernt fein. Die Länge einer
Flanke betrage mindeſtens 105°, die einer Face ca. 275°. Die Breite des Wall-
ganges jei 60, die Dide der Bruftwehr 27,5‘ Hinter dem Wall liege eine 70’
breite Straße und hinter diefer ein zweiter, tiefer und breiter Graben, deſſen
Kontresfarpe ein Heiner Wal frönt. Die Anlage der Erdböjchungen betrage
%5, die des Mauerwerkes der Höhe. — Die entjprechenden Maße der
fortificagione non reale betragen eher mehr al3 weniger wie die Hälfte derer
der f. reale. librigen® weicht Mari bei jeinen fpäteren Auseinanderjegungen
vielfadh von diefen Grundmahen ab.
Weiter ſpricht das erite Buch von Entwurf, Abſteckung und Bau der
Feftungen. Unter den dabei nötigen Leuten gedentt er auch der Ärzte, die Luft
808 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
und Waſſer unterjuchen, der Priejter, die Gegend und Grundmauern fegnen, und
der Sterndeuter, die den rechten Augenblid des Bauanfangs verkünden follen.
Das zweite Buch füllt mit 84 Kapiteln 57 Seiten. Für die voll
fommenjte Grundgejtalt einer Befejtigung erflärt Mari den Kreis, der
von allen Figuren den größten Raum einſchließe. Je mehr Seiten das ein-
bejchriebene Bieled erhalte, je jtumpfwinfliger aljo die Bajtione würden, um jo
bejjer jei ed. Wie Tartaglia [$ 113] und Alghifi da Carpi [$ 115] empfiehlt Mardji,
die Kurtine einwärts zu breden und im eingehenden Winkel eine Plattform
anzulegen, deren Grundriß gleichgültig fei, die jedoch über die Kurtinenmitte
höchſtens halb jo weit vorjpringen dürfe, als die Bajtione, damit jie den Flanken
der legteren nicht im Wege jei. Als vorzüglichites Mufter eines Baftions
erläutert er (noch im 1. Buche) das des San Gallo zu Rom. Um den Graben
rajant zu beftreihen, bedarf es entweder der Kafematten in den Flanken oder
der Anlage niederer Flanken, welche durd dide Orillond oder durch alloni
(allone = Mondhof), d. 5. durd) halbfreisförmige Werte vor den Bajtionsfacen
zu jhügen jeien. Marchi zieht nahe beifammenliegende Bajtione weitläufig
gejtellten vor, weil jie zur gegenfeitigen Bejtreihung nicht jo ſchwere Kaliber
fordern; um aber die Zahl der Bollwerte nicht allzugroß machen zu müjfen, ſoll
man jie umfangreic; anlegen; das begünjtige auch ihre Verteidigung, weil fie
dann viel Geihüg und Mannſchaft aufnehmen können. Jede Bajtionsface joll
von einem Drittel der Kurtine ala Nebenflante bejtrihen werden. Kavaliere
feien nur da zu errichten, wo es gilt, Anhöhen unter Feuer zu nehmen und
die Enfilade zu hindern. Am liebjten jtellt Marchi fie hinter die Bollwerkskehle
und gibt ihnen freisrunden Grundriß. Sie dürfen nicht höher gebaut werden als
unerläßlich ift, und ihre Gejchüße haben ftet3 über Bank zu feuern. Die Auben-
mauern jolcher erponierter Werte mögen mit Wollfäden behängt werden.
Marchi ift ein Freund der Außenwerke (pontoni = Padjtühle, aus:
fpringende Winkel): jowohl der revellini (Halbmonde und Kontregarden), als der
pontoni riversi (Sceeren, Tenaillen), weil fie den Feind vom Hauptwalle ab»
halten, Succur3 aufnehmen fünnen und Raum für Magazine und Vieh bieten,
jowie die Anlage von Gärten gejtatten.
In konjtruftiver Beziehung empfiehlt Mari lebhaft Futter—
mauern von getrodneten Lehmſteinen, die er mit jehr diden Strebe-
pfeilern und ziemlich ftarfer Abdahung baut. Sie werden mit hölzernen Ballen
durchzogen, die vorne um etiwa Ya’ vorragen und hier eine mit langem Strob
vermijchte Lehmtrufte tragen. Mauern ſolcher Art litten vom NWrtilleriefeuer
weniger als jede andere und gäben nie gute Breſchen. Der Verfaſſer ift ein
Gegner des Banketts; er will die Bruftwehr lieber niedrig, aber ſtark haben,
damit möglichſt viel Geſchütz gleichzeitig über Bank feuern und möglidjt viel
Musteten und Piten gegen den Sturm zur Verwendung fommen könnten. Sorg—
fältige Vorfchriften gibt er bzgl. der gegen Leitererjteigung zu ergreifenden
Mahregeln. — Sowohl die Wangen als die Sohle der Shiehjharten legt
er getreppt an, um mit den Stufen feindliche Gejchofie abzufangen. Während
geladen wird, ſchließt er die Scharten innen mit großen halbrunden Steinen, die
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 809
fih in Bapfen drehen und von dem rüdlaufenden Geſchütz, mit dem fie durch
Seile verbunden find, jelbjt vorgezogen werden.
Merktwürdig find Maris Vorſchläge zu Kontreminen, welche das
Feuer feindliher Minen derart ablenken follen, da es unfchädlich werde. Seine
Kontreminen jtehen zugleich; mit Heinen Schießfuppeln (campane, Caponnieren)
zur niederen Grabenverteidigung in Verbindung.
Naſſe Gräben, zumal jolde mit Uuellwafler, zieht Marchi den trodenen
vor; fie folen aber an der Feſtungsſeite tiefer fein al8 an der Feldfeite, damit
das Wafler nie gänzlich abgezapft werden könne und damit die von den Wällen
ftürzenden Trümmer in die größere Tiefe fielen und die Breſche minder erjteiglich
werde. Aus demjelben Grunde jei bei trodenen Gräben die Cunette nicht in
deren Mitte, fondern dit an die Edfarpe zu legen. Bor den niederen Flanten
ſei ein feiner tiefer Graben in die Sohle des Hauptgrabens einzufchneiden. Ems
pfehlenswert feien auch Gräben, die zur äußeren Hälfte na, zur inneren troden
find. Beide Teile jeien dann durch eine wafjerdichte, frenelierte Mauer zu jcheiden.
Nein trodene Gräben jeien unter Umjtänden auch durch Cavallerieattaden zu
verteidigen, wenn man es nicht vorziehe, ihre Sohle mit loſen Steinen zu be—
jhütten und dann aus den niederen Flanken zu rollen, womit man große Ver:
berungen anrichten könne. — Bei naßen Gräben billigt Mardi Bermen, die
er durch aufgejegte Bruftwehren zu Fauſſesbrayes ausbildet.
Das Glacis ijt mit weißen Maulbeerbäumen zu bepflanzen, die überaus
ſtark und breit wurzeln. Hält man ſie ein halbes Jahrzehnt lang furz, jo be—
fördert man diefe Eigenſchaft noch und erjchwert dem Feinde die Erdarbeit außer—
ordentlih. Der gededte Weg kann, ebenjo wie die Pontoni, unter Umjtänden
Artillerieverteidigung empfangen.
Zum dritten Buche gehören nun die berühmten 161 Fortifikations—
zeihnungen, denen ebenjoviele Kapitel entjprechen. Am bemerkenswerteſten
ericheinen folgende Runfte: Tafel 1. Eine Front mit zwei belvardi und einer
piatta forma in Geſtalt eines jtumpfwinkligen Baſtions. Die Flanken der Boll-
werfe bejtehen aus zwei auswärts und zwei einwärts gefrümmten Bogen, bon
denen die der Face zunächſt gelegenen größer find ald die anderen. Die Abjicht
diefer eigentümlihen Konjtruftion ift die, durch die fonveren Bogen das Drillon
zu erjegen.)) — T. 2. Ein Fünfed mit Bollwerfswinteln von 72%. Die zurüd-
gezogenen, von einem vieredigen Orillon gededten Flanken jtehen ſenkrecht zur
Kurtine, don der ein Drittel etwa ald Nebenflante wirtt. In den Kehlen der
Bollwerke quadratijche Kavaliere, welche über die Kurtine hinweg die Facen der
nebenliegenden Bajtione bejtreihen. Vor der Mitte jeder Kurtine ein Kleines
niedrige pontone (Ravelin), das die Hauptwerfe gar nicht dedt. Gededter Weg
ohne Waffenpläge. Dies ift gewiffermaßen Marchis Normalbefejtigung.
— T. 3. Sechseck nad) denjelben Grundfägen, doch mit Halbfreisförmigen Oril—
lons, runden Kavalieren in den Bajtionsfehlen und ohne pontoni. — T. 4. Fünfeck
1) Der Gedanke findet fich wieder bei Rozarb: Nouvelle fortification francaise (Nürn:
berg 1731); Tafel VI u. a.
810 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc.
mit runden Kavalieren mitten in den Bajtionen und vieredigen mitten auf den
Kurtinen. Wohnkaſematten auf der Binnenjeite des Wallgangd. Die Kavaliere
halten auch den Stadtraum unter euer. — T. 5. Biered mit weitvorjpringenden,
jcherenartigen Doppelbajtionen. In jedem Vor-Bajtion ein runder Kavalier;
Vorder» wie HintersBaftione mit frenelirten Kehlmauern gejchlofien; nur die
inneren Flanken fajemattiert. Im Zentrum des Stadtraumes ein gewaltiger
runder Kavalier, der über die Wälle ins Feld jchlägt. Den Gedanken der Doppel:
bajtione, die aus einem Hinteren abgejchnittenen und einem vorderen vollftändigen
Fünfecke bejtehen, jchreibt Marhi dem Giovanne da San Gallo zu und variiert
ihn auf anderen Tafeln noch mehrfach. Er Hält diefe Form beſonders deshalb
für ftart, weil jede vordere Face von zwei Flanken und zwei Facen des anlie-
genden Bollwerfes, von der halben Kurtine und deren Klavalier verteidigt werde,
jo dab der Feind erſt alle diefe Linien zum Schweigen bringen müffe, bevor er
den Grabenübergang wagen dürfe. — T. 8. Zwei befejtigte Achtecke inein-
ander. Zwiſchen dem Graben der inneren Feſtung und dem Wall der äußeren
liegt nur eine ſchmale Straße. Die Flanken der äußeren Bajtione find über die
breiten Wallgänge der Curtinen derart fortgejeßt, daß 16 Abjchnitte in der Um—
wallung entjtehen. Bon diefen verlängerten Flanken aus fann man fomohl
hinter dem nächſten Bollwerk vorbei in das dritte folgende jchiehen, ald auch den
auf die innere Feſtung losgehenden Feind von beiden Seiten unter Feuer nehmen.
Diefen Gedanken einer Doppelfejtung bringt Mardi mehrmals.) — Die Tafeln
12, 14 und 18 zeigen nad innen gebrodene Kurtinen bei jehr jpigen
Bollwerkswinkeln (35—30% Marhi lobt an den fpiten Bajtionen die
langen Flanten und großen Nebenjtreihen, die Schüffe im Rüden der Brede
unter großen Winkeln, die Möglichkeit mehrerer Abſchnitte auf der langen Kapitale
u. j. w. — T. 16. Siebened mit Doppelwall. Hinter der Kurtine des
Hauptwalls laufen wieder Graben und Wall. Leßterer jpringt hinter den Boll
wertäfehlen in Halbfreifen nah innen vor. — T. 21. Biere mit fpigen, weit-
vorfpringenden Kontregarden vor den Bajtionen und jehr ftumpfen, breiten
Ravelinen vor den Kurtinen. Wo die Gräben der Raveline auf die Kontre—
garden treffen, liegen in den legteren niedere Gejhügp-Emplacements".
Den Spigen aller Werte jind erhöhte, bonnetartige piazze d’artigleria aufgejeßt.
— T. 39. Eine Meine Zentralfeftung wird von vier noch Ffleineren bajtio-
nierten, vorgejhobenen Bieredsjhanzen umgeben, die untereinander durd
Zwijchenwerfe verbunden find. Der zwijchen dem BZentralplag und den umliegen:
den Werten befindliche Raum dient zur Aufnahme, einer lagernden Armee. Andere
Tafeln variieren denjelben Gedanken.) — T. 41 jchlägt gegen Enfilade aus hoc
gelegenen Angriffsbatterien Traverjen auf den Wällen vor. — T. 51 und 52
1) Er ift fpäter auch von anderen aufgenommen worden.
”) Es find die places basses bes Blondel [XVIIb. 8 93).
) Er findet fi wieder bei v. Borgsdorff: Beieftigte Stühe eines Fürſtentums (Nürnberg
1687) mit ber Bemerkung, es jei etwas Neues, dergleichen nad Wifien bes Verfaſſers der Welt noch
nie vorgefommen. In der Tat braucht Borgäborff die Jdee nicht dem Marchi entlehnt zu haben ; fie
fiegt ſehr nabe.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 811
bringen Kombinationen freijtehender, runder Batterietürme, die an
Dürer erinnern, zur Hafenficherung durch weittragendes Feuer.) — Die Tafeln
53 und 133 zeigen Bollwerte mit je drei hintersund übereinander
liegenden Flanken. Die Hintere Hälfte der beiden unteren Flanken ijt übers
wölbt; nad) vorn aber find die Batterien ſämtlich offen. Mari legt auf dieje
feine Erfindung befonderen Wert. — T. 57 jtellt die Berteidigung eines Hafens
durch vier felbitändige Nedouten dar, welche einander an den äußeren und
inneren Seiten bejtreihen.*) — T. 74 zeigt Bollwerfe, um die ſich je ein barba-
cano, d. 5. eine Fauſſebraye zieht, die durch einen bejonderen, womöglid)
nafjen Graben im Hauptgraben fturmfrei gemadt ift. Um den Graben nod
befjer unter euer zu bringen, liegt gegenüber den Bajtionsipigen im ausſprin—
genden Winkel der Kontresfarpe je eine jegmentförmige Kaſematte.) — T. 75
bringt ein auf jehr jtarfe innere Verteidigung eingerichtetes Fünfeck. Die Boll:
werfe jind dur Wall und Graben von dem Hauptlörper der Befeftigung ge=
trennt; es find Doppelbajtione, die in ſich wieder zur AbjchnittSverteidigung
eingerihtet und in der Weije zur Zerjtörung vorbereitet find, daß unter dem
Ktehlwalle wie unter der in der Bajtiongipige angebraditen piazza d’artigleria
Minen liegen, mit deren Hilfe das Bajtion, nachdem es genommen, in die Luft
gefprengt werden fann. Eine ähnlihe Anlage zeigt T. 77. — Die Tafeln 79,
85 und 100 jtelln barbacani dar, weldhe um die ganze Feſtung
laufen. — Auf T. 91 liegen vor den fleinen Bollwerfen eines Sechsecks völlig
[o8Sgelöjte, niedrigere pontoni in Geſtalt langgejtredter Baftione, deren
hintere Hälfte zu Kajematten gejentt ift, und die jich jowohl untereinander ver—
teidigen als von der zurüdliegenden Feſtung beherricht werden.*) Zwiſchen den
detachierten Bollwerken ijt der Graben natürlich von ungeheuerer Breite. — T. 99
bringt ein Beifpiel des jchon erwähnten halb trodenen, halb najjen Gra—
bens>), fowie die Einrihtung permanenter Abſchnitte Hinter der Kehle jedes
Bollwert3 durch Halbkreisförmige, fajemattierte Wälle. — T. 101 gewährt das
merkwürdige Beijpiel einer reinen Bolygonalbefeftigung. Es ijt ein
Sechseck, dejlen Winkel zu Kavalieren erhöht find, während in der Mitte jeder
Seite eine vieredige, fajemattierte, vorjpringende Plattform liegt, die als Capon—
niere wirft. Etwa 450 Fuß vor den Eden erheben ſich aus dem nafjen Graben
mächtige fafemattierteRundtürme als jelbjtändige Forts. — T. 111
zeigt vor der Kurtine ein barbacano mit zwei den Hauptflanfen gleichlaufenden,
furzen Flanken und zwei kurzen Facen, die in der Verlängerung der Hauptfacen
liegen: offenbar das Prototyp von Vaubans Tenaillen im Graben (Graben
1) Der Marſchall von Sadjen nahm im 18. Ihdt. diefe Idee wieder auf.
2) Denjelben Gedanken führte jpäter Bandsberg näher aus in feinem Projet d’une citadelle
confronte contre celle de Lille (Hag 1714).
2) Diefe Stajematte erjegt Mari auf anderen Tafeln (77, 85, 155) durch Heine Redouten
Auch dies findet fi bei Landsberg wieber.
* Die Flanken diefer detachierten Baftione jtehen ſenkrecht zur Face, wie in dem jo viel ange
fochtenen Trace des Erarb be Bar le Duc.
5) Dies Prinzip bat Belidor in jeiner Architecture hydrolique (Paris 1737), 2. Zeil,
2. Band, näher auseinandergeiegt.
812 Das X VI. Jahrhundert. IV. Die Wifjenihaft von der Befejtigung zc.
iheren). — Sehr große Ähnlichkeit mit Vauban'ſchen Tracks zeigen endlich die
Tafeln 122, 141 und 125: bier Haben die Baitione runde Orillon® und
zurüdgezogene, gefrümmte $lanten; ja auf 125 finden fih jogar die
Brijuren. — Interefjant ift auf den Tafeln 119 und 133 die Anbringung von
Ausfallsjtufen an der Kontresfarpe!) und in der Einleitung zur
Erklärung der 123. Tafel die Erwähnung des Ricochettſchuſſes. — Tafel 158
bringt Galerien in der Kontresfarpe zur niederen Grabenver-
teidigung. ?)
Das vierte Bud Marchi's gibt jeine gedrängte Darjtellung der Artillerie, auf
die Schon früher [$ 61] Hingewiejen worden ift.
Bei der unermeßlichen Mannigfaltigfeit der Vorjchläge Maris
— nennt er ſich doch jelbjt den Erfinder von 161 verjchiedenen Be
fejtigungsmethoden — darf man von einem „Syitem Maris“ na—
türlich nicht reden. Hauptmomente, welche jich in der Mehrzahl
jeiner Borjchläge wiederfinden, find aber: die Verkürzung der Kurtinen
und die gegenjeitige Bejtreichung der Baſtione, welche geräumiger
nnd weiter vorjpringend angelegt werden als bisher — aljo die
Durhführung (wenn auch noch nicht Vollendung) eines wirf-
lihenBajtionärtraces im Öegenjaß zu der bisherigen Befejtigung
mit Bajtionen, in der dieſe unter Umständen auch durch andere
Flankierungswerke erjegt werden fonnten. Demnächſt iſt es die Ent:
widelung der Außenwerfe, in welcher Marchi Epoche madt
und bet welcher er einen Formenreichtum zum bejten gibt, der Den
zufünftigen Erfindern eigentlich nicht8 mehr übrig gelajjen hat. —
Da die Franzojen lange Zeit geneigt waren und es 3. T. jogar heute
noch find, das Bajtionärtrace als ein wejentliche® Erzeugnis des
franzöjiichen Geijtes in Anjpruch zu nehmen, jo waren ihnen gejchicht-
liche Erjcheinungen wie Marchi und Spedle jtetS ein Dorn im Auge,
wovon Meaffei in jeiner Verona illustrata?) eine ergößliche Anekdote
zu erzählen weiß:
„sm Jahre 1701 reiten zwei gejchidte franzöfiihe Ingenieurs von der in
Piemont ftehenden Armee nad) Turin, um den berühmten Ingenieur Bertola
fennen zu lernen. Als fich ergab, daß diejer fein Franzöſiſch verjtehe und niemals
ı) Diefen Gedanken entwidelte jpäter b’Azin weiter in feinem Systeme nouveau de la
maniere de defendre les places (Paris 1731).
2) Diefe finden fi bei d'Aazin, Blondel, Eoehorn u. a. wieder. Spuren einer jolden
Anlage zeigt übrigens ſchon das im legten Jahrzehnt des 15. Ihdts. erbaute Schloß Saljad. (Bal.
Jähns: Handbud, ©. 1170.)
2) Bol. „Des Marcheſe Maffei Beweis, daß bie neuere Befeftigungsfunft in Jtalien erfunden.“
Aus deſſen Verona illustrata (1731—32), P. III, ce. 5., vom Prof. Geuß und Hauptmann Witer ver:
deutiht. (Böhm! Arch. III, ©. 139 ff.)
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 813
Italien verlafjen habe, jtaunten die Franzojfen: wie es möglich fei, dab jemand
unter jolhen Verhältnifien irgend etwas in der Befejtigungsfunjt leijte. Ihrerſeits
entſchuldigten fich die Franzojen, daß fie nicht ordentlich italienisch verjtünden,
und num verwunderte ſich Bertola: wie man habe das Ingenieurfach ftudieren
fönnen, ohne des Italienischen mächtig zu fein. Endlich fam man überein, daß
jeder jeine Mutterjpradhe reden jolle, und die Franzoſen fragten zunädjt den
Turiner nad) feiner Meinung über Bauban und deſſen Baumweije. Bertola, ein
Freund des Scherzes, tat, als ob er den großen Ingenieur gar nicht fenne.
Spöttifch lächelnd blidten ſich die Franzoſen an, beeiferten ji) dann aber auf
Bertolas Bitte, ihn mit den Inventionen Baubans bekannt zu machen. Sobald
jie ihm nun einen Gedanken erläuterten, der in Frankreich für neu galt, disfutierte
der Jtaliener das Für und Wider, wie einer, dem dieſe Dinge geläufig find,
fangte dann aber aus jeiner Bücherei ein Werk, aus dem er ihnen nachwies, daß
dergleihen in Jtahen befannt, ja ausgeführt gewejen, bevor Bauban aud nur
geboren war.“ — „Bir eradten es gar nit für unwahrſcheinlich“, fügt ein
neuerer Wiedererzähler diejer Anekdote Hinzu, „daß Meijter Bertola, als er feine
franzöfiihen Beſucher ärgern wollte, nur des Mardi Folianten vom Bücher:
gejtell zu nehmen braudte, um alle Einzelformen der baftionierten Front und
ihrer Außenwerke, wie Bauban fie angewendet hat und die meiften Franzofen fie
für Vaubanſche „Inventionen“ gehalten haben mögen, aufzuzeigen.”") — Troßdem
dürfte es doc) jehr bedenklich jein, den großen Bauban für einen Plagiator an
Marchi zu erklären, und das jchon von Winkelmann gefannte Märchen, Bauban
habe jedes Eremplar der Archittetura militare, dejien er hätte habhaft werden
tönnen, aufgefauft, um jo die Quelle feiner Jnventionen den Konkurrenten und
der Kontrolle zu entziehen, iſt unzweifelhaft eben — ein italienijches Tendenz—
geſchichtchen. — Unmittelbar nad) dem Erjcheinen von Maris Wert hat es in
dem Franzoſen Manejjon Mallet [XVIIb. $ 82], bereit3 einen entjchiedenen
Verurteiler gefunden, dem jich 1680 fein YLandamann Bernard in der »Nouvelle
manière de fortifier les places« im wejentlichen anjchloß ; während ein Italiener,
Ercole Corazzi, mit jeiner Schrift L’archittetura di Francesco Marchi
(Bologna 1720) al$ Verteidiger auftrat.
Außer der beiten Handjchrift von Marchis Hauptwerk bejigt Die
Magliabechiana (jest ein Teil der Nationalbibliothef in den Uffizien
zu Florenz), von der Hand des Meijter® auch noch Piante di-
verse di cittä e fortezze: 185 Zeichnungen von Städten und
Feitungen, vorzüglich Italiens.
Ein einfaches Plagiat an Maris Werk ijt diejenige fortififa-
torische Arbeit, welche gewöhnlich als die ältejte niederländiiche Ver—
öffentlichung über Befeitigungsfunft bezeichnet wird, nämlich: „Form
1) General Schröder: Zur Entmwidelungsgeih. des Baftionärjuftems. (Arch. für Urtillerie
und Ingenieur-Dffiziere. 84 Bd. ©. 196.)
814 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc.
und weis zu bauwen, Zimmern machen und auff zu richten, mit
Blochheujern, Graben und wallen und auch jonjten zu jtarden allerley
wehrliche vejtung, Schlöfier, Burgen und Stedt. Dienjtlich und nut-
[ich wider allen einfal, gewalt und vberlajt des feindt und heeres-
fraft in friegsleuften und anders ſich zu beichugen, bejchirmen, Es
jey gleich mit Erden, holt, gebachnen jteinen oder mit ausgehaumnen
wehrlichen veljen oder bergen. Alles nach gelegenhaitt der Matert,
natur der länder und orter. Wie man fie dann zu unjeren Zeitten
zum alleramjtlichiten ficherjten macht und braucht; (Folgt derjelbe Titel
in franzöfijcher Sprache). A linstruction et utilit6 des Amateurs
d’Architecture. Mr. Hans van Schille Ingenieur et geographe
inuentor. (Antwerpen 1573. 1580.)!)
Das Werk bejteht in 14 Yoliotafeln ohne jede Bejchreibung, welche ver:
fchiedene Befejtigungsmanieren in jchiefer Parallelprojeftion darjtellen. Elf diejer
- Zeichnungen ftimmen, wie [hon Marini [S. 806] bemerkt hat, mit Entwürfen Mardis
genau überein (1 bei Scille = 21 bei Mardi; 2— 9, 3 — nahezu 3, 4 = 13,
5 — 57 und 91, 6- 15, 7 7, 8 = 800, 1=4, 12 = 16, 13 = 10). Man
fönnte nun zweifeln, ob Schille von Mardji oder leßterer von jenem entlehnt
habe; aber da Maris Werk jeit 1545 im mejentlihen vollendet war und es
fejtiteht, dab er dasjelbe (u. zw. ohne Tert) vielfach mitgeteilt hat, da ferner die
drei, nicht bei Marchi vorhandenen Zeichnungen Schilles gar nichts Befonderes
bringen, den meijten Blättern aber jeltjamerweife römijche Maßſtäbe beigegeben
find, jo darf man wohl behaupten, daß Scille den Mardi fopiert, rejp. deſſen
Projelte aus der orthographiſchen in die fchiefe Parallelprojeftion überjegt hat.
Daß er fi) trogdem »inventore nennt und Marhis feine Erwähnung tut, er-
ſcheint nicht lobenswert. — Amiüjant iſt es übrigens, da dieſes jtumme, tertloje
Bud doch dreifpradhig iſt; denn der Titel ijt Hochdeutic und franzöfiich gemiſcht;
die Maßbezeihnungen der einzelnen Pläne aber find in niederdeutiher Sprache
erläutert.
8 117.
Nur em Jahr nachdem des Grafen Reinhart zu Solms, i. 3.
1535 gejchriebenes fortififatorisches Werf veröffentlicht worden war,
aljo 1557, verband Leonhard Frönsperger mit der Herausgabe jeines
bereit8 bejprochenen Buches „Won Geſchütz und Feuerwerk“ 8 47),
„das ander Buch) Bonn Erbawung, erhaltung, beſatzung vnd
provantirung der wehrlichen Beuejtungen, wie fich aud
darinn mit allerley munition, rathichlägen, betrachtung des vorraths,
ı) Ein Eremplar in der Kgl. Bibl. zu Berlin. (H.y.25, 100.)
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 815
Geſchützs und Kriegsuolds vor vnd in den nöten zu halten vnd zus
fürjehen.” — Das Buch) jteht im Wejentlichen noch auf dem Stand-
punfte jener „Kriegsordnungen von bejagung der Schlöjfer“, deren
Elajjiiches Borbild das Werf Michael Ottens und Jacob Preußens
war [S 12]; nur geht e8 in jeiner eriten Hälfte näher auf die eigent-
liche Baupraxis ein und iſt hier offenbar vorzugswetie von Solms’
Werf, weniger von einigen Dürerjchen Neminiscenzen beeinflußt.)
E3 beginnt mit „Erwägung vnd bedenden, was maſſen die
wehrliden Veſten ond Gebew zu bawen fürzunebmen fein.“
Frönsperger empfiehlt, mit jorgfältiger Aufnahme des Plages und genauem Ent—
wurfe der Werfe zu beginnen. Er unterjcheidet drei Arten von Feſtungen: die
erjte „wirdt gebawt durch die Steinfelfen vnd gemämwren“, die andere „mit Be—
ihüttung, Tämen oder Wählen, vnd follen die wähl mit guter, vejter, laimiger
Erden, darunter reißholg gehadt gebawt werden; die dritte Veſte wirdt durd)
waſſergebew gemadt.“ Frönsperger ijt ein Gegner der gewölbten Batterien,
deren Scharten unbequem und deren Raudhabzüge ungenügend feien. Erdbauten
widerjtehen dem Geſchützfeuer am beiten, haben aber eine geringere Sturmfreiheit
als Mauerbauten, find „nit wehrlich vnd veſt“. Vom höchſten Werte ijt die
Nahverteidigung „auß den creug vnd jtreihwehren“ und die gute, gegenjeitige
Verteidigung der Werke, „aljo daß fie in allen Rundelen, Bolwerden, Bajteyen,
Thoren vnd Thürmen vleißig auff einander vnd zujamenjagen.“ Dabei jei auch
auf gegenjeitige Überhöhung zu rüdfichtigen: „Es jollen die Vejten mit guten
bejchütten wällen, jo aus Erden gebawt, wol verjehen jein, allwegen ein wahl
höher dann der ander, vnd zwijchen einem jeglihen wall ein guter tieffer waſſer—
graben, alfo da allwegen von dem hinderjten vber die vörderiten gejchofjen mag
werden. Sölche wäll jollen auß dem grundt mit guten mawren bewart werden...
Sole hohe vnd öbere wehren erfordern ſchießlöcher mit guten prujtwehren.“
Gegen Überhöhung vom Außengelände her habe man ſich dur Traverjen zu
deden, „durch zwerch vnd ftreichwehren, damit nicht Tiederlich darein zujehen vnd
zu ſchießen.“ Die Tore jeien nicht in gerader Linie hintereinander zu legen,
„jondern ſchliembßweis (jchief), damit nicht in einem ſchuß durch alle Thor ge—
ichoffen wird.“ Sämtliche Werke müfjen untereinander gut verbunden fein, „daß
man des nädjten dur haimliche weg vnd gäng auff ein höhere wehr fommen
mag.“ Seltjam ijt die Vorjchrift, dab „in einer Befagung blinde Gebew follen
gebawt werden, daß der feindt jein puluer vnd fugeln vergeblich verſchieß“, und
natürlich dürfe es auch nicht an „haimlihen ſchieß vnd ſtreichwehren“ fehlen.
Der Abſchnitt ſchließt mit den Worten: „Wehe dem Herrn, der einen Baw führt,
vnd die Lehrjungen daran zu Maiſtern leſt werden!“
Demnächſt handelt Frönsperger davon: „Wo ein Veſten vor langem
gebawet vnd dieſelb in mitlerzeit durch belägerung zu der gegen—
wehr würde gedrungen, wie ſich alsdann jetzigerzeit mit bawen oder
1) Bücherei bes Berliner Zeughauſes. (A. 208.) Auch im Beſitze des Verfaſſers.
816 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
abbredhung der gebew zu halten.“ Der Verfafier Hat hier die fortifitatorifche
Armierung einer älteren Befeftigung mittelalterlihen Stil® vor Augen. Er rät,
die dem Fernſchuſſe allzujehr ausgejepten hohen Türme und Kamine, namentlid
aber alle hohen Holzbauten, zu entfernen und fi) von langer Hand her mit guten
Dedungsmitteln, „Schangtörb, Katzen vnd was dergleidhen Bolwerd ſeien“ zu
verjehen, „damit erden vnd miſt zeitlich eingefült werde; dann jhe eher ein Schantz—
forb gemacht vnd eingefült ijt, jhe beſſer vnd nüglicher er ift.“ Steine, Erde und
Mijt jeien fleihig zu fammeln; namentlich hüte man fi, den Mift vor die Feſtung
zu werfen; vielmehr fei er „mit dem, jo noch weiter gemacht wirdt, darin zu be
halten“; denn er fei jehr nüglihd. Kommt es dann zur Belagerung, jo erbaue
man gute, beweglihe „Phochheuſer“, um fie als proviforiide Dedungd- und
Defenfionsanlagen an gefährdete Stellen zu bringen, wobei jie entweder paſſiv
verwendet und dann mit Erde und Mijt ausgefüllt werden, oder als Streich—
wehren, mit Schüßen und Hagelgeihügen ausgerüjtet, hinter Toren oder zur
Flankierung von neuen Abjhnitten in Wirkſamkeit treten. — Es ijt das ein jehr
origineller, guter Borjchlag, der nirgends bei den Jtalienern begegnet, unzweifel—
haft aber überlieferter deutjcher Praris entiprang und Beachtung verdient.
Hiernad wirdt vernommen, zu was jchaden die wehrliden
Veſten raihen. Diefer Schaden bejtehe darin, dat „an feinem ort fi mehr
frieg vnd vnfried begebe, dann wo die großen Veſten“ Tiegen.
Ein bedenden über ein Baw. (Im wefentlihen furze Zujammen-
fafiung der im 1. Abjchnitte gemachten Forderungen für den Baumeiiter.)
Wie fih in einer Beſatzung mit der Prouant zu halten. TDar-
legung, wie man zu bedenten, „ob die Beſatzung mit allerley ſpeyß, auch mit
waſſer zu trinten, kochen, waſchen vnd prunjtlöjchen verjehen jey.“ Womöglich joll
ein geeigneter Plaß zur Weide von Tieren vorhanden fein. Aucd das „Gemwürg“
für Heiltränfe ijt nicht vergefien.
Bann ein Beſatzung durd belägerung zum Sturm gedrungen
wirdt, wie fih alddann mit der gegenwehr zu halten. Gmpfoblen
wird der Gebrauch ſchwerer Handbüchſen (Wallbüchſen) „ungeuerlih zweyer finger
weit“, dann Hagelgeſchütz mit Heinen Kugeln, 40 aufs Pfund, Orgelgefhüg und
Büchſen, die „mit Filing oder andern fteinen geladen werden“ u. ſ. w. Auch die
uralten Mittel des Steinwerfens, der Sturmgabeln, Sturmfäſſer, Stolperräder,
Fußangeln u. dgl. mehr, werden in Erinnerung gebradt und noch Nachdrud auf
das Vorhandenfein von Gießlöchern (Madjicoulis) gelegt. „Item, wo man anbebt
zu beſchießen, joll man gute vejte eingefüllte Wollenjäd für die Mauren hängen.“
(Auf diefe Art hatte Michel Angelo die Kirhe San Miniato bei der Belagerung
von Florenz glüdlich gejichert.)
Hiernad wirdt von den Fewrwercken angezeigt, auch wie die—
felben in einer Beſatzung zu gebrauden. Handelt von der Stadt
beleuchtung, dem Feuerwerfen, den Leuchttugeln, den Sturmbrügeln und Sturm:
frügen zur Brechverteidigung und von bronzenen Granaten.
Bann fih ein Fewr in giner Beſatzung erhebt, wie diejelbigen
mit vortheil zu löjhen. — Teuerordnung. Der Löſchmannſchaft wird der
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 817
Gebrauch ſtarker Tartihen empfohlen, weil nah dem Brandplag gewöhnlich heftig
geihofien wird.
Bonn Wach vnd Huth, wie die in einer Bejagung mit aller gelegenheit
zu bejegen. — Bejtellung des Wachmaijterd. „Der Wacht ijt niemands, er jey
hoch oder niders ſtands, gefreyt oder vberhebt.“ Behandlung der Wachtzettel.
(Einteilung in drei „Laden“: der Edlen und Raifigen, der Landsknechte und Hofe
gefinde, der Handwerker und Bauern.) Einteilung der Wachtſtunden in Borwadt,
Taghuth und Nachtwache. — An der Waht find auch Tiere zu beteiligen: auf
dem Wafjer Schwäne und ſonſt Pfauen, Aglajter (Eljtern), Hunde und Fröfche,
von denen leßtere nicht durch Schreien, jondern durd) Schweigen die Annäherung
melden.
Ein guter Anfhlag in einer Befagung, wann diejelb nit
mehr für den geinden zu erhalten, wie ſie joll mit gutem fug auffgeben
werden. — Eine fajt wörtlihe Wiederholung der betreffenden VBorjchriften des
alten Ottſchen Kriegsbuches. [S. 484.)
Waſſerley Gejhüß, Buluer, fugeln oder andere munition in
einer Bejagung von nöten. — Frönsperger warnt vor dem Gebrauch allzu—
großer Kaliber wegen ded übermäßigen Munitionsverbraudes und des „erd-
bidemens* (Erdbebens), das oft Schaden tue. Im übrigen bringt der Abjchnitt
nicht3 Neues.
Was in einer Bejagung in ein Zeughauß follverordnet werden.
Auf jede „Lätze“ (Feitungswerf) joll bejtimmtes Material angewieſen jein. Das
Fulver ift an verjchiedenen, möglihjt weit voneinander entfernten Orten aufzus
bewahren.
Wie in einer Bejapung mit dem Kriegsuolck zu handeln —
Wenn alles in Ordnung iſt, joll an die Gejamtheit die Aufforderung gerichtet
werden: falld einer nod) etwas Beſſeres wiſſe, es mitzuteilen und vorzujchlagen.
Der Artilelbrief, die Gebühren des Oberften und der Ämbter.
Was einer Befagung von Perſonen tröftlidh und nötig. Im
wejentlichen die alten Ottſchen Beitimmungen. „Aller vberfluß der jungen Buben
vnd Frawen perjonen foll, „um vielerley vnzucht, gezänd vnd eyffer der Weiber
zufürzulommen, hinmweggetan werden.“
Bon den Kriegsrechten, aud ordnung vnd gebräuden. „Alle
geflöhente Hab vnd Güter, fo in einer Bejagung, jollen diejenigen, jo es zugehört,
vmb den dritten theil des werds don dem Kriegsherrn wieder löjen; es wäre
denn einer oder mehr, jo ihr Leib, hab vnd gut in der Beſatzung hätten, dem
joll der Kriegsherr jein Hab vnd gut umb den fünfften theil des werds wider
(aus nadjfolgenden vrſachen) zu ftellen: Dann fo die Feindt wifjen, daß groß hab
vnd gut in ein Beſatzung geflöhnt ift, jo hengt alsdann das Kriegäuolf alles ihr
vermögen daran, damit die Beſatzung erobert werde.” — Dieje Beitimmungen
jind jehr merkwürdig!
Ein Bedenden, darin angezeigt, was für ein ungöttlid vnd
grewlid, aud ſchädlich werd umb das friegen jey, hebt hervor, wie
iehr der Krieg durch „das grewlich Geſchütz“ an Mannheit und Tapferfeit ver—
Jähns, Geicichte der Kriegswiſſenſchaſten. 52
818 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc.
loren, und erklärt, daß, wenn jeit mehr als 30 Jahren feine „auffrichtige Schlacht
beſchehen“ jei, dies daran liege, daß die Leute jegt nur „von guts und gelts
wegen“ in einen Krieg ziehen und ein „Zeuffliich leben“ führen. Die Zuftände,
welche Frönsperger hier um die Mitte des 16. Ihdts. andeutet, jind jchon ganz
diejenigen, welche das Lagerleben des dreigigjährigen Krieges kennzeichnen.
Ob einem Herrn zu friegen zu rathen jei oder nit. ine Um—
ichreibung des Anfangs der gereimten „Ler Kaijer Marimilians“ [XV. 8 37), in
Proſa und mit etwas „Gelehrſamkeit“ aufgepußt.
Dieje übrigens recht tüchtige Arbeit Frönspergers jteht in großem
Gegenjage zu einem Werfe wie das des gleichzeitigen de’ Mardı.
Während der letere jich gar nicht genug tun fann in immer neuen
Kombinationen „ingenieujer“ Grundrifausgejtaltungen, lehrt der deutjche
Kriegsmann vor allem den Dienit, die Tagespraxis, und gönnt jo-
gar den politischen und moralischen Betrachtungen einen fajt eben jo
breiten Raum wie den Bau-Anweiſungen. Oegenüber dem Baitio-
närjyjtem aber lebt Frönsperger noch in einem, man möchte jagen,
glüclichen Stande der Unjchuld; er führt die alten deutjchen Über-
lteferungen ganz jtill und ehriam fort.
Einen kurzen handjchriftlichen Traftat „von Belagerungen“
bejigt die fol. Bibliothek zu Dresden (EC. 452).
Er handelt in wenig bedeutender Weife: Vom Schantzen, von dem Vnder—
graben, vom Beihiehen und von dem Sturm.
g 118.
Der Glanz der großartigen Befejtigungsarbeiten in Italien, das
Kriegsgetümmel, welches dies Land bis zum Frieden von Chäteau
Cambreſis (1559) erfüllte und jene Ingenieure immer aufs neue mit
den Kriegsführern der Nachbarftaten in Verbindung brachte, endlich
der weltmännijche und Fünjtleriiche Schliff, welcher dieje italientjchen
Baumeijter auszeichnete, hatten zur Folge, daß nicht nur daheim,
jondern auch im Auslande, zumal in Frankreich, in Spanien und in
den Niederlanden, faſt alle bedeutenderen Fortififationsarbeiten Ita—
(tienern übertragen wurden. Dies förderte jowohl die Ausbreitung
des italienischen Befeitigungsitils, alfo jet der jog. „neueren italte
nischen Befeitigungsmanter“, wie deren wiljenjchaftliche Behandlung,
und demgemäß Hat die zweite Hälfte des 16. Ihdts. eine bedeutende
Zahl nennenswerter italienischer Schriftiteller über die Befeſtigungs—
kunſt aufzumeijen.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 819
Im Jahre 1554 veröffentlichte Ruscelli des Zanchi Abhandlung
Del modo di fortificar le citta, welchen dann de la Treille ins
Franzöſiſche übertrug (Lyon 1556). — Der als Braftifer wie als Theo—
retifer gleich ausgezeichnete Kanteri behandelte in jeinen Dialoghi
del modo di disegnare le piante delle fortezze (1557) Die
Fortifikation jtreng unter dem rein mathematiſchen Gejichtspunfte,
während er in den Due libri del modo di fare le fortificatione
di terra (1559) den alten deutjchen, von della Valle vorgetragenen
Überlieferungen de8 Erdbaus unter Mitbenugung von Holz und
Reiſig jorgfältige Behandlung zuteil werden ließ. — Die erite rein
ſchulmäßige Unterwerfung in der neuen Bajtionärbefeitigung unternahm
wohl Puccini in jeiner Fortificatione. (Wutograph von 1558 in
den Uffizien. XIX. 9. 18.) — Diejelbe Hinneigung zum Erdbau,
welche bei Lanteri hervortritt, offenbart ſich auch in dem jehr be
merfenswerten und inhaltreichen Werfe Della fortificatione delle citta
di G. Maggi e del capitan I. Castriotto (1564), das leider nicht
verdeutjcht worden tjt, während diefe Ehre den Dell’arte militare
libri cinque des Girolamo Cataneo zuteil geworden iſt.
Dies Werk, welches 1584 zu Brescia erſchien, iſt die Vereinigung zweier
älterer Arbeiten, nämlid) de® Libro nuovo di fortificare (Brescia 1564) und des
Nuovo ragionamento del fabbricar le fortezze (Ebd. 1571); Rüger hat e8
als des „Hieron. Cataneos Neu Gefpräd, wie man Beftungen bauen
ſolle“, überjegt. (Eifenad) 1606.)9 Das erjte der vereinigten Werke befindet jich
in einer dem Grafen Lodron gewidmeten, jehr eleganten Handfchrift (Brescia 1563)
in der Bibliothef Hauslab-Liedhtenjtein zu Wien. Dies Manuffript weicht in
einzelnen Punkten von dem Drud von 1567 ab. Die Arbeit bejchäftigt fich be-
jonders mit dem Belagerungsfriege und der Yagerbefeftigung, bietet
aber auch mandes Wertvolle über Marjchtaftif und verbreitet fich endlich ein-
gehend über die Essamini de bombardieri. — In dem zweiten Buche ift einer
der bemerfenswertejten Punkte Cataneos Behandlung des gededten Weges, den
er verbreitert, in den aus- und eingehenden Winkeln mit Waffenpläten ver-
jieht und ihm dadurch wejentlich diejenige Einrichtung gibt, welche dies Werk noch
heute hat. Die Darjtelung der Belagerung, die der Berfafler bietet, zeigt den
Angriff nod auf die Kurtinenmitte gerichtet und die Batterien des Angreijers
auf hohe Terrafjen gelegt, um von dort aus mit direftem Schuß auf das Fejtungs-
innere zu wirfen, in das die Angriff3-Hochbauten volle Einficht gewinnen müjjen.
Carlo Theti oder Tetti (Detti) aus Nola hat jich einen be-
deutenden Teil jeines Lebens in Deutjchland aufgehalten. Wir finden
1) Herzog. Bibl. zu Gotha. (cod. 570 fol.)
62°
820 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
Spuren ſeines perjönlichen Wirfens an den Höfen von München
(wo er Lehrer des Erbprinzen Mar in der Kriegskunſt war), wie an
denen von Dresden und Deſſau. Diejer angejehene Kriegsfundige
widmete dem Kaijer Marimiltan II. Discorsi di Fortificationi (Rom
1569), die er im der Folge wiederholt umarbeitete und endgültig als
Discorsi delle fortificationi, espugnationi et difese delle cittä e
d’altre luoghi i. 3. 1585 zu Rom herausgab.
Das Wert ijt ſpäter noch dreimal in Venedig aufgelegt worden. Die tal.
öffentliche Bibliothek zu Dresden bejigt eine Handichrift desjelben v. 3. 1583 und
eine wohl gleichzeitige Verdeutijhung unter dem Titel: „Zwei Bücher von Er—
bauung und Belagerung der Feſtungen“, welche dem Kurfürjten Auguſt
von Sachſen zugeeignet iſt (mscpt. O. b. 16 und 17). — Das 1. Buch handelt
von den verjchiedenen damals gebräuchlihen Arten, zu befejtigen, wobei meijt ge-
winfelte Kurtinen zur Anwendung fommen. Ferner entwidelt Theti eine Manier
mit Orillond und gebrochenen Flanken, welche leßtere ganz auffallend an eine
Konftruftion Spedle8 erinnern, mit dem Theti übrigens perſönlich befannt war.
Intereflant ijt der Plan des neubefejtigten Wien, das der Verfaffer nur als una
eitt& di frontiera bezeichnet, woraus mit einiger Wahrjcheinlichkeit geſchloſſen
werden fann, daß er jelbjt bei dem Neubau tätig war; denn ſonſt bewiejen die
italienifhen Architekten jich keineswegs jo zurüdhaltend. Auch in artilleriftijcher
Hinficht bietet das Werft manches Jnterefjante.
Die Behördenbibliothet zu Dejiau bewahrt eine undollendete Handichrift
(11030 : 6103), welche den Titel führt: „Ein alt bud vonabrifjen Carolo
Detti (Theti.)” Es jind vortrefflih ausgeführte Befeſtigungs- und Geſchütz—
zeihnungen. Höchſt merkwürdig erjcheint u. a. eine Vorrichtung, um ſenkrecht in
den Graben Hinunterfeuern zu können: eine Art folofjaler, auf der Bruſtwehr—
frone auflagernder Wippe, in welcher Geihüßrohre pendeln.
Die gut gejchriebenen und anjchaulich illujtrierten Abhandlungen
des Bolognejen Mora, Tre quesiti (1567) und Il soldato (1570)
[S. 726] jind, joweit ihr Inhalt die Befeſtigungskunſt betrifft, der Haupt-
jache nach gejchickte Wiedergaben des ungeordneten, doch jo inhaltreichen,
gemeinjamen Werkes von Cajtriotto und Maggi. — Kocatellis Invito
generali (1575) führe ich nur der Volljtändigfeit wegen an. — Die
internationale Thätigfeit der italienischen Ingenieure fennzeichnet es,
daß einer derjelben, de Pafino, jein Werk in franzöfiicher Sprache er-
jcheinen ließ, den Discours sur plusieurs poincts de l’architecture
de guerre. (Antwerpen 1579.) — Die Aufgaben des Befehlshabers
in einem fejten Plage faßte Balvani 1580 in jeiner Schrift Il ca-
stellano zujammen. — £upicini jchrieb Dell archittetura militare
(1582) und Discorsi sopra L’espugnazione (1587), Accontio eine
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 821.
Ars muniendorum (1583) und Xamelli endlich eine Abhandlung
über Le diverse artificiose machine ingegnose (Paris 1588).
Died doppelſprachige, franzöfifch= italienische Wert nimmt auch eine Art
Doppeljtellung zwijhen Waffentunde und fortififatorisher Werktzeugstunde ein
und ijt merkwürdig, weil es nod) einmal Formen des alten Werfzeugs empfiehlt,
bejonders eine Art Tribod, u. zw. zum Werfen von Brandgeſchoſſen, ſowie zur
Überfhüttung des Grabens mit Steinen.
Man jieht, welche reiche uud mannigfaltige fortififatoriiche Lite-
ratur Italien in den vier Jahrzehnten von 1550 bi8 1590 ent-
wickelt hat.
8 119.
Gegenüber den zwölf italienischen Namen der vier Decennien
von 1550—1590 jteht fein einziger franzöfijcher, ſpaniſcher oder
englijcher, ftehen nur vier deutfche Namen. Der ältejte unter den
feßteren ijt derjenige Frönspergers, deſſen „Buch von Erbaw—
ung vnd erhaltung der wehrlichen Beuejtungen (1557) be:
reit3 bejprochen wurde [$ 117).
Die Buch hat er in den erjten Teil feines großen Kriegsbuches
[$ 32] 1566 abermal3 aufgenommen, es etwas anders, u. zw. ſchlechter, geordnet,
das Kapitel über den Proviant durd eine Menge von Einzelheiten erweitert und
einige Angaben über den Belagerungdfrieg hinzugefügt, welche freilid recht
dürftig find. In ſolcher Gejtalt füllt die Arbeit die Blätter 144—170 des Kriegs—
buches Teil I.
Der II. Teil des Kriegsbuches (1573) bringt ebenfalls
einen fortififatoriichen Abjchnitt: Bon erbawung der Währlichen
Befejtungen. (BI. 22— 35.)
Diefe Arbeit ijt nicht? anderes ald eine mangelhafte Paraphraſe von des
Tartaglia-Reiff „Kurtze vnterrichtung, einen jtarden, vejten vnd wehrlihen Baw
anzulegen.“ 8 114.]
Sm IH. Teil (1573) findet fich ein „Bericht, wie man
die jhangen vmb läger vnd hauffen friegsuold...auff:
werffen, führen, ordnenvnd jchlahen ſoll. (BI. 124 ff.)
E3 jcheint da8 eine der wenigen Originalarbeiten Frönspergers im Kriegs:
buche zu fein. Leider iſt fie fo jämmerlich gejchrieben, daß fie ohne die bei-
gegebenen Ausjchlagskupferjtihe durchaus unverjtändlich bliebe. Aber aud jo ift
die Belehrung, welche man daraus empfängt, äußerjt gering. Einer furzen Baus
anweifung, „wie man fangen verordnen foll“, folgt eine Schilderung der ver—
ſchiedenen Arten derjelben, nämlich der „gewelbdten runden Schlangen Schanpen“
(Kreisijhanzen), der „vieredten Schangen“ mit Bollwerfen an den Eden und der
«822 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ıc.
„Stern oder Eden-Schangen“, deren Umfafjung teil$ fcheren-, teil jägeförmig
gebildet ift. Zum Schluß gibt der Verfaffer noch einige Andeutungen über die
angefiht® von Feitungen zu errichtenden Belagerungsverjhanzungen. Überall
fommt es ihm mehr auf die Dislofation der Truppen in der Schanze, als auf
die fortifikatoriſche Einrichtung der lepteren an.
8 120.
Zwei der deutjchen Autoren über Fortififation haben gemeinjam
gewirkt: ein Magijter der Philojophie und ein junger Edelmann ver:
einigten ſich, um in einer Differtation die Befeſtigungskunſt wejentlich
von mathematischem Gefichtspunfte zu beleuchten. Ihre Arbeit führt
den Titel: Institutiones architecturae militaris publi-
cae censurae submittent praeses Henr. Rideman, phil. magister
et respondens Sigism. Elias Broctorf, Eques Holsatus.
(Roitod 1574.)!)
Die Arbeit zerfällt in 14 Stapitel: 1. De Definitione ac Divisione Artis.
2. De terminis linearum et angulorum Ichnographiae Principalibus. 3. De
Numeri Decimalis Computatione. 4. De Principiis Geometriae, Planimetriae
et Stereometriae. 5. De Praecipuis Regulis, quae ante exstructionem
Munimentorum sunt observandae. 6. De Munitiorum Regaliun Regularium
Delineatione. 7. De Orthographia et Ichnographia Completa. 8. De Muni-
mentis minus Principalibus seu Operibus externis. 9. De munitionibus
Irregularibus. 10. De locis ad Portus fluminaque sitis, item de castellis
nec non Munimentis novo vallo circumducendis. 11. De Stereometria ac
Impensis Valli nec non de temporis Operariorum Praesidiariorumque
supputatione 12. De munitionibus Architecturae militaris Offensivae.
13. De Munimentorum Propugnatione. 14. De Delimitatione Ichnographiae
simplicis ac completae. — Appendix: De Novo Trigonometriae Invento
ut ac Steganographiae arcano.
Man jieht, daß die Schrift, obgleich jie ja wejentlich afademijchen
Charakter hat, doch alle wichtigen Beziehungen des Gegenstandes ins
Auge faßt und erörtert, und jo durfte jie wohl würdig erſcheinen,
dem Landesfüriten, Herzog Karl von Medlenburg, dediziert zu werden.
8 121.
Die ausgezeichnetjte und originalite Berjönlichfeit unter den For—
tififatoren der zweiten Hälfte des 16. Shots. it unzweifelhaft Da—
niel Spedle. Im 3. 1536 zu Straßburg „erborn von ehrlichen
Gejchlecht, in Ehr und Zucht erzogen recht“, widmete er ſich früh—
1) Archivbibl. zu Hannover. (Script. de mathesi. C. c. 8qm 1144.)
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts.
zeitig der Geometrie und Baufunjt und durchwanderte als Lehrling”
und Gejell zu jeiner Ausbildung Dänemark, Schweden, Bolen, Preußen,
Siebenbürgen und Ungarn. Im J. 1554 war der Achtzehnjährige,
wie er jelbit erzählt, bei dem Bau der Feſte Comorn bejchäftigt; ein
Sahr jpäter (vielleicht auc) 1558 und 1559) befand er jich zu Wien;
1560 reijte er an den Rhein und in die Niederlande und bejuchte
u. a. den Stadtbaumeijter von Antwerpen, Meiſter Frans.
Der belgiſche Iberitlieutenant Waumwermanns behauptet in einem Aufjage:
L’architecture militaire flamande et italienne au 16. siecle (Rev. belge
d’art et des sciences militaires. 1878. I), Spedle jei als Seidenſticker (brodeur
en soie) und Typenjchneider (graveur de caracteres) gegen 1560 nad) Antwerpen
gefommen, um jich dort in jeinen Künſten zu vervolllommnen. Waumwermanns jagt
nicht, woher er dieje mit allen jonjtigen Nachrichten in vollem Widerſpruche
jtehende Angabe habe, wohl aber „nimmt er an“, daß „der Seidenftidter Spedle“
bei dem Antwerpener Meijter Frans (oder rang, wie Spedle jchreibt), Unterricht
in der Befeſtigungskunſt erhalten habe und daß deshalb das geiftige Eigentums—
reht der großen Arbeit Spedles eigentlih dem Antwerpener Stadtbaumeijter
zukomme. (!?) — Aber es gelingt dem flämifchen Offizier durchaus nicht, diejer ganz
willfürlichen Unterjtellung auch nur einen Schatten von Wahrſcheinlichkeit zu
verleihen.
Schon im folgenden Jahre kehrte Spedle nach Wien zurüd und
war von 1561 bis etwa 1564 bei der Befejtigung diejer Stadt tätig,
anfangs uur als Bauführer, dann im hervorragender Stellung. !)
Sm J. 1564 veröffentlichte er einen Plan zur Neubefeitigung von
Straßburg. Gleich) in der erſten Regierungszeit Marimilians II.
erſcheint Spedle als „SKriegsbaumeilter des Kaiſers“ Als jolcher
war er dem Feldhauptmann Lazarus v. Schwendi, der das gejamte
Kriegswejen leitete und den Speckle wiederholt jeinen „Herrn“ nennt,
direft unterjtellt. Das binderte indes nicht, daß er auch andere
Bauten ausführen durfte, da er immer nur für den fatjerlichen Dienjt
bereit jein mußte. Offenbar war Spedle viel unterweges; 1567
bejuchte er 3. B. den Meiiter Johann, „den Teutichen alten Mann“,
den Erbauer der Befeitigung vou Düfjeldorf und der Citadelle von
Jülich, eines Werkes, das mit den Grundzügen der altitalienischen
) Chef der ſchon 1532 begonnenen, aber oft unterbrochenen Neubefeftigung von Wien war der
Frhr. dv. Fels, der jedoch nur die Vollendung ber drei eriten Bafteien (baftionierten Fronten) erlebte,
Technischer Leiter des Baues war der Öfterreicher Hermes Schallauger (italiemifiert: Salizarı. —
Bol. Dittrich: Daniel Spedies Wirken in Öfterreih. (Archiv f. Artill.» u. Ingen.»Offiziere, 1879.
85. Bd. ©. 297 ff.) — Imterefiante Einzelheiten über die Wiener Befeftigungsbauten mit Plänen fiehe
bei Oberleitner: Oſterreichs Finanzen und Kriegsweſen unter fyerbinand I. 1522— 1564 (Wien 1859).
824 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ıc.
Bauweife Dürerjche Hohlbaus- Gedanken verbindet und von Spedle
hoch gewürdigt wird. Das Verhältnis zum Kaiſer dürfte wenig mehr
al3 ein halbes Jahrzehnt gedauert haben, und num trat Spedle auf
weitere fünf Jahre als Rüſtmeiſter in des Erzherzogs Ferdinand
Dienjt. In dieſes Fürſten Auftrage kartierte er die vorderöſterreichi—
ihen Lande Eljaß und Breisgau. In der Folge übertrug der Herzog
in Bayern Spedle (al3 Nachfolger Solms’) den Neubau von Ingols
jtadt, und wohl aus dieſer Stellung heraus wurde der Meiſter zu
einer 1576 in Regensburg tagenden Berjammlung berufen, welche
unter Schwendis Vorjig über die Befejtigung der ungarischen Grenze
gegen die Türken beriet [S. 540). Hier hatte ſich Spedle über die Bor-
niertheit der Leute zu ärgern, die die Schablone der altitalienischen
Formen ohne jede Rückſicht auf die gegebene Sacjlage überall anzu=
wenden für Pflicht hielten und jeine entgegenftehenden Vorſchläge
als „regelwidrig“ zurückwieſen. Routiniers jolchen Schlages befämpfte
Spedle mit Leidenjchaft. „Sie mögen wiljen,“ jo jagt er, „dab mic)
fein Regel binde, wenn ich bejjeres befinde und wiſſe. Hab auch
nicht in ihre Negulas, als Statuten zu halten, geſchworen. Und ob
es jchon wäre, daß ihre Reguln für Heilig anzujehen, jo iſt doch das
für fein Negel zu halten, durch was Potentaten betrogen, die Bäw
verderbt, dem Feind aller vorteil eingeräumbt und Tettlichen Land
vnd Leut in gefahr gejegt werden!“ — Ein föftlicher Proteſt des ge
junden Menjchenverjtandes gegen die bejchränfte Dogmenjucht. —
Übrigens wurde Speckles klares Wiffen wie fein ficheres Können von
den Zeitgenoſſen wohl anerkannt. Der Biſchof von Straßburg und
die Pfalzgrafen, Graf Philipp von Hanau und die Städte Schlett-
jtadt, Hagenau, Ulm, Colmar, Bajel, holten jeinen Rat ein. „Auch
bat er dieſer Städt ein Teil” befejtigt und aufgenommen. Daneben
entwidelte er Tätigkeit in Ofterreich; jo wurde zu Brud a. d. Leitha
im 8. Decennium des Ihdts. „ein Thurn gepawet, jo berathichlagt
durch den Stadtbamwmaifter von Straßburgfh“; bei der Befeitigung
mehrerer ungarischer Pläße hatte er ein gewichtiges Wort zu jprechen,
und es jind Anzeichen vorhanden, daß Spedle an der unter Rudolf I.
ausgeführten teilweijen Neubefejtigung von Prag mitwirkte. Im 3. 1577
bejuchte er noch einmal Antwerpen. Drei oder vier Jahre jpäter
fehrte Spedle in jeine Heimat zurüd und befleidete das Amt des
Stadtbaumeifterd? von Straßburg. Hier jchrieb er jein Werf, die
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 825
dem Herzoge Julius von Braunjchweig gewidmete „Architectura.
Bon Veſtungen. Wie die zu vnſern zeiten mögen erbawen werden
an Stättern, Schlöjjern vnd Eluffen zu Waſſer, Land Berg und Thal
mit jren Bollwerden, Gaualliven, Streichen, Gräben vnd Leuffen,
jampt deren gangen Anhang vnd nubbarfeit, auch wie die gegenwehr
zu gebrauchen, was für gejchüg dahin gehörig und wie e8 geordnet
vnd gebraucht werden joll; alles aus grund vnnd deren fundamenten.
Sampt den Grund-Riſſen, Bijierungen und Auffzügen für Augen ge
ſtellt.“ (Straßburg 1589.)!) — Das Jahr der Erjcheinung dieſes
epochemachenden Buches war zugleich das Todesjahr Daniel Spedles.
Eine zweite Auflage (Straßburg 1599) enthält nachgelafiene Ver:
mehrungen, jowie das Bildnis und eine gereimte Lebensbeſchreibung Spedles;
fie ift von feinem Schwager herausgegeben. — Spätere Auflagen erjdjienen
Straßburg 1608, Dresden 1705, 1712 und 1736.
Spedle hat offenbar viel in jeinem Leben von der dominierenden
Stellung der Italiener zu leiden gehabt, welche dieje wie in
Frankreich jo auch in Deutichland beim Feitungsbau einnahmen. Das
ſpricht jich deutlich im jener „VBorred“ aus. Er jagt da:
„Die fürnebjte vrſach, jo mich zur publication difes wercks treibt, ijt, daß
ich einem Italianer, jo und Teutfchen nit allein verladht, fondern auch bei Fürſten
vnd Herren in verachtung vnd verdacht zu bringen vnderſtaht, als ob wir Teutjchen
gänglihen ohn finn vnd Hirn vnd ohne vernunfft vnd vor finder gegen den
Stalianern zu achten weren; dann er jich bei etlichen ohn jchew hören laßt: wo
er in Teutjchland noch jemalen gewejen, er nie nichts in vnſerm thun gejehen
noch gehört hab, dab wir und andere jnen ſolchs nit abgejtolen hätten, vnd ob
jchon etliche meifter etwas neues herfürbringen, fünne er doch ſolchs nit pajjiren
lafien, dieweil er ſolchs zu voran in Italia nit gefehen hab; zudem habe er jein
lebenlang niemalen gehört, daß die vollen Teutjchen etwas news erfunden hätten.
(Wahrſcheinlich iſt hier Theti gemeint.) — So ijt aud ſonſt ein Niederländer,
der gleihwohl etwas bejcheidener in der ſachen (Frans?); aber in jren werden
vnd deren Negeln ſeind jie (Jtaliener und Niederländer) durhauß einig; dann
fie jre Lineamenten (Tracks) zu den Veſtungen alle aus der alten Regel (der
altitalienifhen Manier) ziehen, welchs man dann heutigs tags weit befier hat,
das fie aber alles ohne grund vnd vrjachen vernichten vnd verwerffen wollen;
darumb id) jnen das gegenipil fürzujtellen vnd zu beantworten verurjadht worden.
— Do man jie aber in der hauptſachen befragt, warumb ein baw hoc), der ander
nider, deigleichen ein Streichen offen, die andere zu, eine lang, die andere furz
gezogen werden, ift jr antwort: wann einer nit Latein könne, jo verjtehe er
folches nit, könne aud nit davon reden, vnd damit haben jie jres bedundens
treflih wol getroffen. — So man ihnen folches aber auf gut Teutjch (welchs fie
1) In der Bibl. des Berliner Zeughauſes (B. 737).
826 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung :c.
dann wol verjtehen) widerlegt, jo warten jie, bis ſie allein zu einem fommen
und bitten, man wolle ſolche kunſt in geheim halten, bejonders gegen den Über:
feiten; denn wenn diſe joldes ein wenig verjtehen, könne nadıher niemands
mit jnen, vielweniger dann mit den Kriegsverjtendigen vbereinfommen.“ N) —
Und nun rüdt er den ſchmähſüchtigen Jtalienern die deutjchen Erfindungen vor:
das Geihüg, den Buchdrud, das Preßwerk zu Münzen, „die gewaltigen Bred-
ichrauben, damit man Thurn vnd Mamwren einwürfft, item das klein Vhrmachen,
das ſchönſte Schreinerwerd u. ſ. w. . . Waz jollten wir mer begeren, das wir nit
vor anderen Nationen in der ganzen Welt heiten: Wir haben ja erjtlidh die
erfanntnus Gottes dur jein Wort vnd Euangelium, zum andern die hödjite
Oberkeyt, da8 Kayſerthumb, und, Bott jey lob, den heiligen Frieden!“
Spedles Werk zerfällt in drei Teile. Der erite behandelt den
Feſtungsbau in der Ebene, wobei von den mathemattjchen Grund
ſätzen ausgegangen wird, der zweite Teil faßt beſtimmte, zumal ber—
gige rtlichkeiten ins Auge und lehrt, wie die Befeſtigungsformen
dem Terrain anzupafjen jeten; der dritte Teil bejpricht die baulichen
Detail3 und die Ausjtattung der Feſtungen.
Obwohl Spedle, wie er jagt, wohl funfzig oder mehr Befejtigungsentwürfe
von großer Widerjtandsfähigfeit angeben fünnte, jo bejchränft er fich in der
»Architectura«e dod auf die Mitteilung von aht Manieren, von denen er
die erjte bis in die geringiten Einzelheiten ausführt, weil fie die Grundlage aller
andern ijt, während er von den andern nur mehr oder minder audgeführte
Stizzen gibt.
Die Hauptbejtandteile der 1. Manier find nun die folgenden: Eine gerade
Kurtine verbindet zwei große Baftione, deren Flanken zurüdgezogen, verdoppelt
und in der Weife gebrochen find, daß fie 3. T. ſenkrecht auf der Kurtine, 3. T.
jenfrecht auf der Defenslinie jtehen. Auf der Kurtinenmitte wie in den Bajtionen
erheben jid) große Ktavaliere. Vor jener liegt im gededten Wege ein umfang»
reicher Waffenplag. Der Wafjerjpiegel des 17° tiefen Grabens ijt 5° über der
Sohle angenommen. Die GSteinfütterung geht nur bis zum Horizont. Die
6 bis 7° jtarfen Stirnmauern lehnen fich nad) innen an das Erdreich und haben
auf je 5° Höhe 1’ Anlage. Auf die Stirnmauer ijt eine 6° hohe Bruftmauer
aufgejegt, hinter welcher ein 7’ breiter Zwinger Rondengang) läuft. Nach hinten
zu jchließt diefen Unterwall der 21° hohe Wall, der mit 20° Anlage gejchüttet
und dejlen Bruftwehr 18° did, 6° hoch iſt. (Bei den Bajtionen find die Abs
mejjungen noch größer.) Die Stirnmauer ift mit überwölbten Strebepfeilern
verjehen, und auf diejer Unterlage ruht der zurüdgezogene Wall, der daher, aud)
wenn die Stirnmauer in Brejche gelegt jein follte, nicht nachftürzen fann. lm
die Widerjtandsfähigfeit diefer Anlage noch zu erhöhen, jchlägt Speckle vor, die
i) Gegen dieſe „Fuchsſchwenterey“, die den Wert des Baumeifterd dadurd zu heben fucht, daß
fie den Bauherren in möglichiter Unwiſſenheit hält, ipricht Spedie fi noch wiederholt kräftig aus.
Übrigens ift auch er auf die „Seriegsverftändigen”, welche über fortifitatoriihe Bauten urteilen, nicht
aut zu fprecen.
—
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 827
Strebepfeiler in mehreren Stodwerfen zu überwölben und die Stirnmauer felbit,
wie bei Dürer, mit Brechbögen auszuführen. An der Bajtionsipige ift der Zwinger
430 breit auf jeder Seite der Kapitale) überwölbt und mit Erde eingededt, um
den Feind zu hindern, den Zwinger längshin zu bejtreihen. Unter dem Zwinger
läuft in den Bajtionsfacen eine fajemattierte Galerie von gleicher Breite wie
der Zwinger, die durd die Strebepfeiler in ſechs fleine Kafematten geteilt wird.
Der Fuß diejfer Galerie liegt nur 1° über dem Wafjerfpiegel des Grabens, jo
daß diejer vollitändig durch Musketenfeuer bejtrihen wird. Der Kurtinenfavalier
erhebt ji) um 20°, der Bajtionsfavalier um 30 bis 40° über den Wallgang. Am
Fuße des Bajtionsfavaliers liegt ein 30° breiter, jehr tiefer Graben, der ihn vom
Hofe jondert. Die Wälle find mit lebendigen Heden bepflanzt. Die nicht reve=
tierte Kontrejfarpe erhebt ſich in zwei Terrafien, deren obere der eigentliche ge=
dedte Weg ijt, den das 7‘ hohe Glacis fichert.
Die 2. Manier iſt die fog. „verjtärfte“ und erjcheint als der Höhe—
punft der jchöpferiichen Leiftung Spedles. Sie unterjcheidet fi) don der erjten
Manier im wejentlihen dadurch, dab hier die Kurtine furz und nad) außen ges
broden ijt und vor ihr, jtatt des Waffenplapes, ein ſehr großes Ravelin liegt,
jomwie dadurd, daß hier die ganze Flanke ſentrecht zur Defenslinie fteht.
Das Ravelin hat genau diejelbe Einrichtung, wie die Baftione der erjten Manier. Die
Kapitale desjelben jpringt etwa 435° über die äußere Polygonjeite vor und jeine
Facen find auf die Bajtionsjpigen gerichtet. Der nicht retirierte, ungefähr 100,
lange Flankenteil des Ravelins jteht jenkrecht auf einer Linie, welche die Flanken
der Ktollateralraveline verbindet. — Der Wallgang des Ravelinfavaliers, der ſich
nad) der Kehle bedeutend ſenkt, zieht ſich 30%, der des Kurtinenkavaliers 60° über
dem Horizonte hin. Der Zwinger des Ravelins liegt im Bauhorizonte. Der Haupt
wall hat hier feinen Zwinger.
Die 3. Manier jtimmt mit der erjten überein; nur ijt die Kurtine nad
außen gebrochen. — Die anderen Manieren jtehen den genannten an Zweck—
mäßigfeit nah; doch find einige dadurch merkwürdig, dab ſie jtatt des Zwingers
vor den Baftionsfacen auf der Grabenſohle freiitehende frenelierte Mauern zeigen.
In der ahten Manier liegt an Stelle des Zwingers eine vollftändige Fauſſebraye.
Speckle erläutert jeine Anfichten über die Einrichtung der Werfe
in höchit interefjanter Weiſe durch Beijpiele wirklicher Feitungsanlagen,
deren Grundrifje und zumeilen auch Profile er mitteilt. Nur jelten
nennt er dabei die Namen der betreffenden Pläße; aber die zweite,
nach jeinem Tode erjchienene Auflage iſt in dieſer Hinficht minder
verjchtwiegen, und mehrere andere Pläne jind jonjt erfannt worden.
Es handelt ſich befonders um Jülich, Comorn und Raab, die Citadelle von
Antwerpen, Baletta auf Malta, dag jteierifche Graz, Famaguſta auf Cypern, die
„Slauje Afferton (Ifferten) obwendig Eljaß im Burgunt“, um Chrenbreititein,
Trey Gajtel (Trifels) im Wasgau, Hohenjtein im Wejterrih, Pfirdt in Burgunt,
Claus Plaumont in Burgunt, Sledenjtein bei Weihenburg, Salm, das hanauiſche
Lichtenberg, Hohentiwyl und Kronenburg in Seeland: ſämtlich charakterijtiiche
828 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ꝛc.
Typen der Bauweiſe de3 16. Jhdts., deren Eigentümlichleiten in den Dar-
jtellungen jedoch durchweg mehr oder minder übertrieben find.
In einem der Bände, welche als Eigentum des großhrzgl. Haus-
fideikommiſſes dem badischen General-Landesardhiv zu Karlsruhe zur Be:
wahrung übergeben find, befinden ſich Pläne und Anjichten von Feſtungen
und Städten, welche angeblich von Specdle eigenhändig gezeichnet find.
Die wichtigiten Grundſätze und bemerfenswerteiten Eigen-
tümlichkeiten von Spedles Syitem hat General v. Zaſtrow licht:
voll und belehrend unter die folgenden neun Punkte zufammengefat:
1. Je mehr Seiten das zu befejtigende Vieleck Hat, deito
jtärfer die Befejtigung; denn die Werke können fih dann um jo kräftiger
unterjtügen. Daraus folgt, dat die Berteidigungsfähigkeit einer Baftionärbefeitigung
mit dem Polygon-Winkel wählt. (Angedeutet hat diefen Grundjag auch Mardi;
doch Spedle jpricht ihn — ein Jahrzehnt vor der VBeröffentlihung von Maris Wert
zuerjt auß u. zw. mit voller Klarheit. Stevin folgt ihm darin nad. [$ 127.)
Gemeingut der gebildete fortififatorijhen Welt wurde das Ariom jedoch erit
anderthalb Jahrhunderte nad) Spedle durch Cormontaigne.)
2. Spige Bajtione taugen nicht, jtumpfmwinfelige ebenjo-
wenig; nur redhtwintelige jind zu empfehlen. — (Der entjchiedene
Irrtum diefer Marime jcheint einem Vorurteile entjprungen zu jein, das Spedle
offenbar mit vielen feiner Zeitgenofjen teilte.)
3. Die Bajtione der Jtaliener find zu Hein; eine fräftige Berteidigung
fordert durchaus große Bajtione. — (Jn diefer Hinficht ijt Spedle jeiner
Beit weit voraus; jind feine Bollwerfe doch jogar nod größer als diejenigen
Gormontaignes).
4. In jedem Bajtion und auf jeder Kurtinenmitte find
Stavaliere notwendig. — Spedle bedient ji) der hohen Kavaliere, um die
Belagerungsarbeiten zu erjchweren, ſowohl hinfichtlich des Defilements als ganz
bejonders in Rüdjicht auf die Terrajienbatterien, welche der Angreifer damals zu
bauen pflegte. Ferner bejtreihen die Flanken feiner 55° hohen Kavaliere den
Graben vor dem gegenüberliegenden Bajtion; endlid aber dienen fie (und das iſt
vielleicht die Hauptjache), dem Verteidiger des Baftiond als Abjchnitt, zu welchem
Ende fie durch den fteingefutterten Graben ifoliert find. (Der Kavalier der ver:
jtärkten Manier ift genau von der Art, wie fie Bauban und Cormontaigne in der
Folge als muſterhaft empfahlen und wohl eben aus Spedles Werk entlehnt haben.)
5. Ein großer Teil der Flanke oder bejjer noch die ganze Flanke mu
jentredt auf der Defenslinie ftehen. Es ijt dies eine fonjtruftionelle
Marime von der größten Wichtigkeit; denn von dem Augenblide an, wo der
Angriff fich nicht mehr gegen die Kurtine, fondern gegen eine der Bajtionsfacen
wendete (und das gejchah in der zweiten Hälfte des 16. Ihdts. ſchon der Regel
nad), war es notwendig, nicht der Kurtine, fondern den Facen die volle Wirffam-
feit des Brujtwehrfeuers von den Flanken zuzumwenden. Bei der bisherigen
Ichrägen Stellung der Flanken gegen die Facen des Kollateralbajtion® war dies
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 829
aber nicht in genügender Weiſe zu ermöglichen. (Das Verdienſt diejer wichtigen
Erkenntnis, das gewöhnlich dem Grafen Pagan zuerfannt wird, der 70 Jahre nad)
Spedle lebte, gebührt alſo ganz unzweifelhaft dem leßteren.)
6. Zur niederen GBrabenverteidigung und zur Abwehr des
Mineurd bedarf es Ffajemattierter Galerien. — Spedle wendete
übrigens nur Infanteriegalerien an, weil er wähnte, daß Artillerietafematten
nicht genügend vom Rauche befreit werden fünnten. Auch mangelt jeiner Galerie
volle Bombenfejtigfeit.
7. Große Raveline geben der Bajtionärfront große Widerſtands—
fähigfeit. — Speckle verwirft die Heinen NRaveline, wie fie z. B. noch jüngjt
bei Famaguſta in Anwendung gelommen waren, und glaubt, daß die Verteidigung
nur aus großen Ravelinen Nuten ziehen fünne. (Ganz derfelben Anficht waren
jpäter Bauban und Gormontaigne; der erjtere vergrößerte das feine Ravelin
Pagans und legterem ward jein weitvorjpringendes Navelin als vornehmiter
Ruhmestitel angerechnet. Aber das anderthalb Jahrhunderte vor ihm von Spedle
fonjtruierte Ravelin ijt noc größer als dasjenige Cormontaignes; denn dieſer
richtet jeine Ravelinsfacen auf einen Punkt, der 60° von der Bollwerksſchulter
entfernt ijt, während Spedle fie auf die Baftionspünte richtet.
8. Zu den widtigjten Teilen der Befejtigung gehört der ge—
dedte Weg. — Wenn man bedenkt, wie hohen Wert Bauban auf feine Ver:
größerung des Paganſchen gededten Weges legte und wieviel Rühmens davon
gemacht wurde, jo erjcheint es ſehr interefjant, daß Spedled gededter Weg an
Breite und namentlich an Räumlichkeit der auch für Artillerieanwendung beftimmten
eingehenden Waffenpläge die Baubanjhen Make jogar noch übertrifft. Zugleich
gibt die Brehung der Krete in Sägeſchnitten (Cremailleren) dem gededten Wege
und jeinem Glacis eine kräftige Seitenbejtreihung durd kleines Gewehr. Die
Hinabführung der unterjten Terrafje des gededten Weges bi nur 1’ über den
Grundwaſſerſtand, jowie die Anlage des 5’ tiefen Vorgrabens bringen den Grund»
jag zum Ausdrud, das Vorterrain der Feſtung derart vorzubereiten, daß dem
Feinde dort die ihm zu feiner Einrichtung nötige Erde mangele — ein Prinzip,
das jpäter von Coehorn wieder aufgenommen und fortentwidelt worden ift.
9. Die Belleidungdmauern müjjen dem Auge des Feindes
entzogen jein, damit er nicht früher Breche jchießen könne, als bis er auf
der Höhe des Glacis ankommt. — Diejer Grundſatz ift für die Verteidigung von
außerordentliher Wichtigkeit, und da ihn (troß einer analogen Andeutung Tar—
taglias) feiner der italienischen Praktiker befolgt hat, jo darf man Spedle wohl
al3 jelbftändigen Erfinder des jog. „Halben Revttements“ bezeichnen. —
Der Rondengang oder Zwinger joll die Erde, welche Geſchoſſe von der Wall:
böfhung losreißen, aufnehmen und zu Ausbeflerungen bewahren; er joll den
ſtündlichen Ronden fiheren Umgang um den Hauptwall gewähren und durch feine
mit Scharten und Pechnafen verjehene Brujtmauer alle toten Winfel im Graben
bejtreihen. — (Die Ingenieure des 18. Ihdts. befämpften die Anwendung des
Zwingers; mehrere der neueren, namentlih Montalembert, Carnot und Choumara,
empfahlen ihn wieder dringend; und genau ebenjo verhielten ſich die Fachmänner
830 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wifjenihaft von der Befejtigung ꝛc.
gegenüber den von Spedle geplanten frenelierten Mauern auf der Sohle dei
Hauptgrabense.) — Sehr wohlüberlegt und zwedgemäß iſt Spedles Baumeife der
Belleidungsmauern ; dasjelbe gilt von der der Erdwälle und der funjtvollen Ans
ordnung feiner dreifachen Flanken, von der Fjolierung der Pulvermagazine in
Heinen Türmen hinter den Bollwerfen, von der Behandlung jeiner Erddoflierungen
durch Pladwerk und Hedenpflanzungen u. dgl. m.
Überall treten in Spedles Werk der unbejangene
Blick und die Friſche jelbitändigen Brüfens hervor. Seine
Anfichten über die Verteidigung durch Ausfälle gegen den bis zum
Vorgraben gedrungenen Feind: im raschen Anlauf, ohne einen Schuß
zu tun, dann feine Vorjchriften für das Abjchlagen des Sturms, ſein
Eifern gegen das zweckloſe Schießen der Feitungsartillerie auf große
Entfernungen, jeine Anmweifungen zum praftijchen Bau, zum Pontonier-
dienjt, zur Herjtellung von Kaſematt-Lafeten — alles das jind eben-
joviele Beweiſe dafür wie feine Außerungen über die Bildung von
Sngenteur-Offizieren, denen er durch Reiſen und Teilnahme an Feld:
zügen möglichjt mannigjaltige Erfahrung zuzuführen wünjcht.
Fakt man die Stellung Spedles in der Gefamtentwidelung
der Befejtigungsfunft ins Auge, jo ergibt fich ungefähr folgendes
Bild: Einige der italienischen Ingenieure, zumal Tartaglia, Melloni
und Alghiſi da Carpi, hatten dahin gejtrebt, dem Umriß durch ſtarkes
Einwärtsbrechen der Kurtinen einen ausgejprochenen Tenaillencharafter
zu geben. Andere, u. zw. bei weitem die Mehrzahl, bewahrten der
bajtionierten Befeftigung ihre Urjprünglichfeit, indem fie gerade oder
nur wenig nach außen gewinfelte Kurtinen anwendeten. Zwiſchen
dieſen beiden Richtungen vermittelt nun Spedles „verjtärfte Manier“
in höchſt glüdlicher Weije; denn wenn ihr die großen Raveline aller:
dings den Stempel einer Tenaillenfront aufprägen, jo liegt doch
dahinter, gewiſſermaßen wie ein Generalabjchnitt, der in reinen Bajtions-
formen gehaltene Hauptwall. Im jenen Navelinen bringt fich Die
weitausgretfende artilleriftiiche Abjicht zur Geltung, die das Borland
beberrichen will; in den bajtionierten Fronten fommt der Gedante
jtarf flankterender Nahverteidigung zum Ausdrud. In der Ber:
einigung diejer Elemente offenbart jich die Rückſicht auf die ſeit der
Mitte des Jahrhunderts wejentlich vorgejchrittene Kraft und die neue
Methode des Angriffs, und jo muß man anerfennen, daß durch Spedle
die Periode des Übergangs von der mittelalterlihen zur
modernen Befeitigungsmweije zum Abjchlujje gelangt,
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 831
daß in jeiner Bauweije namentlich auch die „neuere italienijche Manier“
zur Vollendung kommt. Die deutlichiten Kennzeichen dafür find die
großen Raveline (Idee der Tenaille), die Stellung der
Flanken zur Defenslintie (Anerfennung der „bajtionierten
Front“ als. fortififatoriicher Einheit und der Bajtione
als deren Hauptwerfe, gegen welche nunmehr die Kurtine zurück
tritt); endlich die vollitändige Dedung des Mauerwerfs. —
Spedles verjtärfte Manier ijt auf Jahrhunderte hinaus
tatjächlich, wenn auch freilich ungenannt, ebenjo die Grundlage
der europäijchen Befeitigungsfunjt geblieben, wie Marchis
Verf die Duelle unaufhörlicd neuer „Inventionen“, die aber doch
immer nur ein Spiel auf der Oberfläche blieben. — Busca, welcher
um die Wende des 16. und 17. Shots. die Summe des abgelaufenen
Säfulums zieht, gibt als ultima figura, als der Weisheit letzten
Schluß, die zmwölfte Figur des Daniel Spedle — allerdings ohne
ihren Urheber zu nennen. — Neuerdings aber erfennen wenigſtens
die Franzoſen die grundlegende Stellung des großen Straßburger
Meifters an: jo General Tripier in La fortification deduite de
son histoire (Bart$ 1866) und der Kommandant Prevoſt, welcher
in jeinen Etudes historiques sur la fortification ete. (Paris 1869)
mit Necht ausruft: »Speckle est un auteur original, un chef
d’ecolel«e — In der Tat haben die Franzoſen ganz bejonders Ur—
jache, Spedle hochzuhalten; denn die Koryphäen ihres Baftionärjyitems,
Bauban und Cormontaigne, jtehen auf jeinen Schultern.
g 122.
Sm Grunde genommen endet das fortififatorische Jahrhundert
mit dem Jahre 1590. Einmal weil durch Spedle das jeit della Valle
und Dürer jo eifrig betriebene Werk einer Neugejtaltung der Be
feſtigungskunſt zu organtichem Abjchluffe gefommen war; dann aber,
weil mit dem legten Decenntum des 16. Ihdts. die weitlichen Nationen:
Franzoſen, Spanier und Niederländer, teilzunehmen beginnen an der
wijjenichaftlichen Behandlung der Fortififation, und damit fängt
ein neuer Reigen an.
Frankreich jtand big unmittelbar vor Ablauf des Jahrhunderts
durchaus unter italieniſchem Einfluffe. François I. wie Henri II.
beriefen italtentiche Ingenieure in ihre Dienste, unter deren Anleitung
832 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ıc.
die Franzoſen bauten. Die berühmtejten diejer Fremden waren Melloni
und Gajtriotto [$ 115 und $ 118]. — Die erjten franzöfiichen Autoren,
welche jich, zwar nicht in bejonderen Fachwerken, aber doc) in friegs-
wifjenjchaftlichen Arbeiten mit der Fortififation bejchäftigen, find de
la Noue [$ 36] und de Bigenere [$ 3]. Es ijt jehr bemerfens-
wert, daß beide zu der herrichenden italienischen Bauweiſe in ent-
ſchiedene Oppofition treten.
Eins der »Quatre Paradoxes militaires«, welche de
la Noue 1585 aufjtellte, lautet: »Que les experiences modernes
ont enseigne des manieres de fortifier les places tres-utiles pour
leur petit coust et non moins defensables que celles tant su-
perbes que les Ingenieux avoient auparavant inventedes.«
De la Noue tadelt die übermäßigen Koften, welche die Nevetements und
hohen Profile der Italiener Herbeiführten. Die Citadelle von Meg habe mehr als
eine Million Livres gefoftet; wollte man eine Stadt wie Mecheln oder Orleans
in folder Art befejtigen, jo würde das 3 Millionen Florins erfordern. Der Ver—
fafler empfiehlt Erdwälle, nafje Gräben und große, weitvorgejhobene Raveline.
Der Kommentator Onejanders, Blaije de Digenere (1590),
zeigt ſich im jeiner Bearbeitung der Feldherrnfunjt der alten Griechen
al3 warmer Anhänger der murs rempares, d. h. der aus gejtampfter
Erde, Balken und Fajchinen herzuftellenden Wälle, von denen zuerjt
Schermer und della Balle jprachen.
Die Bajtione jollen nicht weiter ald 200 Schritt von einander entfernt liegen;
zwingen bejondere Umjtände dazu, über dies Maß hinauszugehen, jo will der
Verfaſſer die Flankierung auf dazwiſchen eingefhobene moineaux begründen,
»une maniere de flancs tout noyes dans le fossde«. Hohe Kurtinenfavaliere
jollen die ind Borland fchlagende Artillerie aufnehmen.")
g 123.
Das ältejte jelbitändige franzöfiiche Werk über Befeſtigungskunſt
it das des Lothringers Jean Errard, der daher auch in Frankreich
als le pere de la fortification frangaise gefeiert wird. Er wurde
1554 zu Barsle-Duc geboren und wird jomit oft ala Errard de
Barzle-Duc, von Deutjchen auch wohl irrtümlich als „Gerhard von
Herzogenbujch“ bezeichnet. (Verwechjelung von Bois-le-Duc mit Bar:
le-Duc.) — Errard iſt das berühmtejte Mitglied des von Sully ge
1) Auszug in Louis Napolöons Etudes, II, p. 264—277.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 833
bildeten Korps der Ingenieurs ordinaires du Roi; dennoch weiß
man nicht eben viel von jeiner Laufbahn.
Wie er jelbjt in jeinem Werke (livre 3, chap. 6) fagt, redigierte er i. %. 1594
die Antwort, welche der König den Venetianern gab, als dieje ihn um Rat wegen
der Befeitigung von Palmanova gebeten hatten. Ebenda (4,7) erwähnt er, daß
die Kajematten von Sedan nad) jeinen Zeichnungen erbaut worden feien. Sully
beridtet in jeinen Memoiren, daß Errard ihn i. 3. 1600 zur Retognoszierung
des Forts Sainte-Catherine bei Genf begleitet habe. Sechs Jahre jpäter gehörte
er dem Kriegsrate an, welcher unter VBorjig des Königs über die Belagerung von
Sedan beriet. Ziemlich umfaflend war Errards praftiihe Bautätigkeit: er baftionierte
die Angriffsfront ded damals wichtigen Platzes Montreuil und ließ von 1599
bis 1609 die Arbeiten von Calais ausführen. Das Trace der Citadellen von
Amiens, Laon, Sijteron und Verdun weiſt mit ziemlicher Bejtimmtheit auf Errard
als Urheber hin. — Er hatte einen hochbegabten Sohn, den er 1607 verlor und
defien Tod Sully mit den Worten beflagt: »Il n’estoit pas deja moins bon
ing@nieur que son pre; sa mort me fit beaucoup de peine.«e m Jahre 1610
oder 1611 folgte Jean Errard diefem Sohne nad‘).
Errards Werk führt den Titel: LaFortification reduicte
en art et demonstree, welcher unzweifelhaft darauf Hindeutet,
daß der Berfafjer eine wiljenjchaftliche Behandlungsweije beabfichtigte.
In der an den Adel Frankreich gerichteten Vorrede jagt Errard,
daß er im Auftrage König Henris IV. gejchrieben. Das Privilegium
des Buches datiert von 1594; doch erjt i. 3. 1600 wurde es zu
Baris u. zw. auf königliche Koſten gedrudt.
Im Fahre 1604 erichienen zwei 2. Auflagen, eine vom Autor felbjt ver—
anjtaltete zu Paris und eine mit der Bezeichnung »revue et augmentede« zu
Frankfurt a. M. Eine »Edition nouvelle«e gab 1620 Errards Neffe heraus.
Eine deutſche Überfegung erichien 1604 zu Frankfurt a M. Dieje Angabe,
welche jhon Zaſtrow gemacht hat, bemängelt General Schröder (Archiv. 84. Bd.
S. 119) mit Unredt. Es gibt Eremplare diefer Berdeutihung zu Berlin ſowohl
in der Kal. Bibliothel, als in der Bibliothef der Kriegsafademie und des Zeug
haufes (B. 79%).
Errards Buch zerfällt in vier Teile. Im erjten Handelt der
Autor in großen Zügen von allem, was jich auf die Befeſtigungskunſt
bezieht. Im zweiten jegt er die Einzelheiten der Fortifikation regel-
mäßiger Bolygone vom Sechseck bis zum Vierundzwanzigeck aus:
1) Ball. für die biographiichen Angaben die Borreben der verjchiebenen Ausgaben von Errards
Bert, jowie: Augoyat: Apercu historique sur les fortifications et les ingenieurs en France
(Baris 1860) und de la Barre Duparcaq: De la fortification à l’usage des gens du monde
(Paris 1844).
Zähne, Geihichte der Kriegswiſſenſchaften. 53
834 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
einander. Der dritte Abjchnitt jpricht von den unregelmäßigen Be-
fejtigungen, der vierte von der Fortifikation ſolcher Pläte, die in der
Nähe vom Gelände beherricht werden.
Errard behandelt die Einrihtung der Mauern und der hinter ihnen
liegenden Erdwälle mit großer Sorgfalt. Wie jhon Giorgio Martini wendet
er ſchräg geitellte Strebepfeiler, wie Dürer wendet er Brehbögen an; die Erd-
maffe hält er, unabhängig von der Mauer, durch ein gezimmertes Gerüjt. Übrigens
erfennt er für den Mauerbau ausdrüdlih Dürer als fein Vorbild an. Durch
jeine E3farpe läuft eine Minengalerie, deren Sohle mit der ded Grabens
in gleicher Höhe liegt. Er befürwortet einen Rondengang um die Schärpe
und die Anlage von Kavalieren gleich Spedle. Ganz wie diejer jucht er das
Für und Wider des ſtumpfen und des fpigen Baſtionswinkels dadurch auszus
gleihen, daß er fich für den rechten Winkel entjcheidet, und eben deshalb läht er
die reguläre Befejtigung erjt mit dem Sechseck beginnen, weil erjt dies Polygon
rechte Bollwerfswintel ermöglicht. Seine Defenslinien find 100 bis 120 Toijen
(65 bis 75°) lang, und man darf ihm das Verdienst zufchreiben, zuerjt dies zu—
läjjige Marimum fejtgejtellt zu haben: 120 Toifen — 234 Meter ijt eine rationelle
Gewehrjchußmweite. Die Verlängerung der Bajtionsfacen trifft den Kurtinenwintel;
Errard tadelt diejenigen, welche die Kurtine zu fern von jenem Punkte berühren.
Bom Sechseck bis zum Achteck einjchlieglih nimmt er die Schultermintel
der Baftione zu 90° an, d. h. aljo, er ftellt die Flanken rechtwintelig zur Face.
Infolgedefjen fteht die Flanke jpigwinkelig zur Kurtine, und da er außerdem
Orillons anwendet, fo entzieht er allerdings jeine Flankengeſchütze völlig jeder Sicht
vom Felde her. Dafür jehen fie aber auch ſelbſt faft gar nichts von dem Terrain
vor der gegenüberliegenden Face. Der Wintel der Flanke mit der Defenslinie
jtellt fic beim Sechseck auf 60°, beim Siebened auf 51°: und beim Achteck auf 45°;
der Winkel der Flanke mit der Kurtine beträgt bezgl. 75°, 708/r und 67'/2%. — Errard
erachtete alfo einen Anjchlag bis zu 45°, bezgl. Scharten en cremaillere für zu=
läfjig. (Schröder a. a. DO.) Es war ein Grundfag der damaligen Ingenieure, daß
ed vor allen Dingen darauf anfomme, die Flankengeſchütze bis zu.dem Augen
blide, da die gegenüberliegende Face gejtürmt werde, unter allen Umjtänden
intaft zu halten, "und Errard treibt diefen Gedanken mit Hilfe jeines jpigen
Kurtinenwintel® aufs äußerjte, während die italienischen Ingenieure ſich im all-
gemeinen damit begnügten, ein oder zwei der dem Drillon zunächſt gelegenen
Geſchütze bis zum legten Augenblide zu fichern. Dieje nannten fie »traditores«
(Verräter). Vom Neuned an jtellt Errard übrigens die Flanken ſenkrecht zur
Kurtine, falls Orillons erbaut werden; weil jonjt, wie er anerkennt, „die zurüd-
gezogene Flanke zu fehr verdedt fein würde*. Seine Flanken haben zwei
Geſchoſſe, eins über dem anderen. — Merkwürdige Wichtigkeit jchreibt Errard dem
Prellſchuſſe (tir & bricolle) zu, den man zuweilen anmwandte, um die hinter
dem Drillon verborgenen Flankengeſchütze zu treffen, was 3.8. 1644 bei Grave—
lingen einmal gelang, aber doch immer äußerjt ſchwierig blieb. Er empfiehlt
daher, die Kurtine in der Nähe des Flankenwinkels baulich derart einzurichten
daß die Geſchoſſe nicht in der Richtung auf die Flanke abprallen könnten. — Die
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 835
demi-lune, d. 5. da8 Ravelin, rät Errard nur bei Bolygonen von weniger als
ichs Seiten anzuwenden und es dann etwas größer zu gejtalten als bis dahin
in Frankreich üblich. Entſchieden befämpft er die Contregardes; jie fojteten
nicht nur unnüß Geld, jondern begünftigten den Angreifer geradezu bei Anlage
jeiner Batterien; der finde in ihnen ein bequemes Zogement, dad noch dazu z. T.
außerhalb der Gewehrichußmweite der gegenüberjtehenden Flanke liege.
Beim Angriffe empfiehlt Errard, Schritt für Schritt vorzugehen, jelbjt
beim Sturm, der jo oft deshalb verjage, weil es an quten Borbereitungen für
den Grabenübergang mangele und an gejhügten Logements rüdwärts. — Um
Breche zu legen, wendet Verfaſſer zwei Batterien an, von denen die eine geradeaus,
die andere ſchräg ſchießt — ein ähnliches Verfahren empfahl bereits Bigenere.
Überblikt man Errards Werk, jo muß man zugeſtehen, daß es
(abgejehen von der jeltjamen Winfeljtellung der Flanken, welche der
Übertreibung eines an fich berechtigten Prinzips entjpringt), den fran-
zöfifchen bon sens atmet. In dem Aufgeben oder doch Ablehnen
des -Ravelins für die regulären Befejtigungen zeigt fich freilich ein
außerordentlich großer und bedenklicyer Rücdjchritt gegen Spedle. —
Errard hat die jyjtematische Behandlung der Fortififation in Frank
reich begründet, und daß dies im Sinne des reinen Bajtionärjyitems
geſchah, iſt für die Entwidelung der franzöfiichen Befeſtigungskunſt
auf die Dauer maßgebend geworden; denn der Angelpunkt alles forti
fifatorijchen Denfens der Franzoſen blieb von den Tagen Errards
bis zum deutjch-franzöjiichen Kriege von 1870/71 ein für allemal:
das Bajtion.
g 124.
Der zweite franzöfische Befejtigungsjchriftjteller, Claude Flamand,
Ingenieur des Herzogs von Wirtemberg und Ted, Grafen von
Mömpelgard, jteht, jo zu jagen, mit dem einen Fuße auf deutjchem
Boden. Er veröffentlichte zu Mömpelgard i. 3. 1597 Le guide
des fortifications et conduite militaire pour bien
se defendre, ein Werf, von welchem er 1611 la seconde edition
revue et augment6 de plusieurs figures herausgab und dem Herzoge
Friedrich von Wirtemberg widmete.
Die Ausgabe von 1597 habe ich nicht gejehen; Marini citiert fie. Rumpf
u. a. erwähnen auch noch eine Ausgabe von 1570, deren Erijtenz jedoch ſchon
Mandar (Architecture des forteresses 1801) in Zweifel zieht und gewiß
mit Recht; denn wenn es eine ſolche gab, konnte die Edition von 1611 ſich
nicht die zweite nennen. Wahrjcheinlich rührt der Jrrtum daher, daß auf dem
Bildnis des Autors, welches das Titelblatt der Ausgabe von 1611 jhmüdt,
53*
836 Das X VI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung ꝛc.
lints die Jahreszahl 1570, rechts 1611 jteht. Erjtere bedeutet aber unzweifelhaft
das Geburtsjahr des Verfaſſers; denn das Bild jtellt ihn als einen Mann von
von etwa 40 Jahren dar. — Eine Berdeutihung der Ausgabe von 1611
erfolgte unter dem Titel: „Gründtlicher Vnderricht von Auffrihtung vnd Erbawung
der Veſtungen . . . jodann Kriegsdijciplin von Belägerungen u. ſ. w.“ (Bajel 1612)
durh H. E. Wieland).
Ich vermag nur den Inhalt jener zweiten jpäten Auflage anzugeben. Sie
beginnt mit einer Abhandlung über die Geometrie des lignes droittes, welche
von den 246 Seiten des Buches 46 in Anſpruch nimmt. Dann folgt bis S. 169
eine Unterſuchung über la maniere de fortifier les Villes etc. et trasser les
forts. Den Beihluß macht eine Anmweifung pour assieger une place. — In
dem von der eigentlichen Befejtigung handelnden zweiten Hauptabjchnitte führt
der Verfaſſer nad) einigen Einleitungen fein Normaltrace vor: Ein Fünfech mit
Heinen, jpigen Baftionen, welche doppelte Flanken Hinter edigen Flügeln (orillons)
haben, bildet den Hauptwall. Dahinter liegt ein nicht baftionierte® Fünfed,
defien Eden auf die Kehlen der Bajtione des Hauptwalles gerichtet jind. Zwiſchen
der äußeren und inneren Enceinte ijt ein tiefer Graben ausgehoben, den man
auf fünf Rampen überjcreitet, die von dem Polygonswall auf den äußeren Wall
(den bajtionierten Hauptwall) hinüberführen. In der Mitte der ganzen Feſtung
erhebt jich ein alles überhöhender Generalcavalier (grand cavalier, Katz), der
unter Umftänden auch doppelt fein fann (grand cavalier double, Doppeltag).
Bei Kurtinen, welche länger als 500 Schritt find, jchiebt der Verfaſſer ein Meines
Mittelbaftion ein. — Ein zweites Projeft ijt durch Heine, weit vorgejhobene
Raveline verjtärkt, welche Flamand warm empfiehlt. Ein dritter, ſtärkſter Entwurf
jtellt zwei ineinander gelegte bajtionierte Sechsecke dar. — Offenbar zeigt ſich im
den jpigwinfeligen Bajtionen ein Rüdjchritt gegen die Vorgänger; aud iſt die
Häufung der Werke fo groß, daß vermutlih Raummangel entjtehen müßte. —
Zwiſchendurch beſpricht Flamand einige baulihe Details: Fundamentierungen
ſteinerner Bauten und Anlage von Kontreminen; Einrichtung der Baſtione mit
Kaſematten, bezgl. offenen hohen „Retraicten“; geſchwind herzuſtellende Baſtione
aus Holz und Erde, deren große Vorzüge der Verfaſſer mit Einſicht und
Lebhaftigkeit auseinanderjegt; Bajtione mit runden Flügeln.
Der Hauptabjhnitt, welder dem Belagerungäfriege gewidmet it,
handelt zuerjt von dem trigonometrijhen Mefjen der Entfernungen als der Grund=
lage jedes ſachgemäßen Logements vor einer Feſtung; dann bon der Anordnung
der Yaufgräben und der Batterien. Hierauf folgt die Darjtellung des methodijchen
Angriffs einer Front: er richtet jich gegen die Pünte eines Baſtions unter gleich—
zeitiger Belämpfung der Kollateralflanten. Daran jchließt ji eine Erläuterung
der Anlage provijorisher Abjchnitte im Inneren des belagerten Platzes und der
Anlage von Angriffsminen.
Als Anhang ift ein takftifher Exkurs beigefügt, welcher in großen
Umriſſen Marſch-, Schlaht- und Lagerordnung, fowie den Bau von Schiff-,
Faß- und Bodbrüden beſpricht. — Den Beſchluß madt ein militärpolitijches
1) Behörbenbibl, in Deflau.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 837
Kapitel, welches warm für den Gedanken eintritt, daß der Fürſt fich feiner
eigenen Untertanen, nidt fremder Söldner zum Kriege bedienen folle. Dabei
wird mit Recht auf den Verrat hingewieſen, den der italienifche Graf von Campo
bajio an Karl dem Kühnen beging.
Ylamand ift auch VBerfaffer von »Les Math&matiques et G&eometrie« und
»La Practique et usage d’arpenter et mesurer toutes superficies de terre«,
zwei Werfen, welde man der Ausgabe von 1611 oft angehängt findet.
8 125.
Steht Flamand in engen Beziehungen zu deutjchem Dienjt, fo
gravitiert jein Zeit und Fachgenoſſe Perret nad) Italien. —
Saques Perret, ein ſavoiſcher Edelmann aus Chambery, gab im
Sahre 1594 zu Paris eine Abhandlung Des fortifications et
artifices darchitecture et perspective heraus, die nicht
eben viel zu bedeuten hat, obgleich jie prachtvoll ausgeftattet iſt und
in der 2. Auflage dem Könige von Frankreich als dem »Lieutenant
de Dieu sur la Teerre« gewidmet wurde.
Zweite Auflage Paris 1601); dritte Auflage Frankfurt a. M. 1602. — E83
gibt drei Ausgaben einer Verdeutjhung ded Werkes: Ettlicher Feitungen,
Stätt, Schlöffer und Häufer, wie die auffs ftärdefte, zierlihite und bequemite
fönnen gebawet vnd auffgerichtet werden. Von einem Saphoifhen vom Adel,
Jacob Berret. (Frankfurt 1602.) Oppenheim 1613. Frankfurt 1621.)
Das Heine Werf zerfällt in zwei Bücher, von denen nur das erjte eigentlich)
fortififatorifhen Inhalt hat, während das zweite von Schönbau handelt. Der
Verfaffer liebt es fehr, feine Pläne durch Bogelichauanfichten näher zu erläutern,
was in der Tat Ungeübten die Borjtellung und namentlih den Begriff des
Detail wejentlich erleichtert. Er empfiehlt den Vorgraben und Bajtione, welche
ftatt der Pünte einen einjpringenden Winkel haben, jo daß ſich das bajtionierte
Zrace mit dem tenaillierten verſchmilzt.
8 126.
Abgejehen von dem zweifelhaften Escriba [S$ 115], tritt auch
Spanien nicht früher in den Kreis der fortififatorischen Literatur
ein als Frankreich. U. zw. zuerjt durch Chrijtobal de Rojas, der
i. 3. 1598 zu Madrid eine Teorica y präctica de fortifi-
cacion veröffentlichte. Ihm reihte jih an Diego Gonzalez
de Medina Barba mit jenem Exämen de fortificacion
(Madrid 1599). Beide Werke find mir unbekannt geblieben.
1) gl. Bibl. zu Berlin. *) Bibl. der 12. Art.-Brig. zu Dresden.
838 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ıc.
8 127.
Seit der glorreichen Verteidigung Wiens gegen Soliman
i. 3. 1529, bei welcher der Minenfrieg eine bedeutende Rolle jpielte,
und jeit dem vergeblichen Angriff Karls V. auf Meg, vor dem
der Kaijer ſechs Wochen lag und 15000 Kanonenjchüfje abgab, ohne
den kühnen Kommandanten Franz von Guiſe zur Nachgiebigfeit zu be-
wegen (1552), hatte Deutjchland feine großartige Belagerung erlebt. Da
trat im leßten Viertel des Jahrhunderts eine Wendung em, die jich
zunächjt freilich nur auf bejchränftem Schauplage zur Geltung brachte:
auf dem Boden der Niederlande, wo ein energiiches Volk gegen
die umgehenere Übermacht Spaniens in langem, erbitterten Kampfe
rang. Eine gebieteriiche Notivendigfeit zwang dazu, jchnell und mit
geringen Kojten Berteidigungswerfe herzustellen, und die Natur des
Landes fam diejer Forderung auf das glüdlichjte entgegen. Mauer—
bauten zu errichten war unmöglich; aber in jenen Gebieten, wo Land
und Waſſer oft faſt ununterjcheidbar ineinander übergehen, da waren
Erdbauten mit Wajfergräben leicht geichaffen. Ein aufs
äußerjte gebrachtes, im Kampfe mit der See gejtähltes Volk erfand
in höchiter Geijtesipannfraft neue Widerjtandsmittel; denn deren waren
in jedem Augenblide bald hier bald dort zu improvifieren; jeder Erd—
haufe wurde mit hartnäciger Kühnheit verteidigt, und das Waſſer
diente nicht nur als paſſives Hindernismittel, jondern es
ward mit Hilfe von Schleujen und Sielen durch Stauung und
Überfchwemmung auch aftiv verwertet. Arbeitskraft und Hingebung
Ichufen bier binnen furzem Werfe, zu deren Herjtellung jonjt viel
Zeit und Geld gehörten, und die großen Fürjten des naſſauiſchen
Hauſes entwicelten auch in fortififatorischer Hinficht jene einfichtsvolle
Tatkraft, der fie auf taftiichem wie auf politiichem Gebiete ihre be
wunderungswürdigen Erfolge verdanften. Hatte doch ſchon längſt
vor Beginn des Befreiungskrieges Graf Heinrich von Naſſau die
Stadt Breda i. 3. 1533 mit Erdwällen ohne Mauerwerk befeitigt
und dadurch das Vorbild geichaffen, an das fich die weitere Entwidelung
der niederländiichen Bauweiſe hielt, wenn auch für die Grundriß—
anordnung zunächit das in Italien und im inneren Deutjchland aus—
gebildete Bajtionärtrace im wejentlichen maßgebend blieb.
Mit Spedles » Architecetura« war eine langandauernde, weit—
verzweigte wifjenschaftliche Bewegung zu vorläufigem Abſchluſſe ge
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 839
langt; mit dem erjten Werfe eines niederländischen Fortififators, des
Simon Stevin (den die Franzoſen Simon de Bruge nennen),
brechen die Keime eines neuen Prinzipes durch).
Simon Stevin wurde zu Brügge t. 3. 1584 geboren. Ur-
iprünglic) Kaufmann, jah er jich, jeiner proteftantifchen Geſinnung
wegen, von den Spaniern im Betriebe jeines Gejchäftes gejtört, und
unternahm nun weite Reifen im nördlichen Europa, um als einer der
ausgezeichnetiten Mathematiker zurüdzufehren. Die Mechanik war
jeit fajt zwei Jahrtaujenden jtationär; da wurde Stevin der Vater
der modernen Statif. Er entdedte das Geſetz des Gleichgewichtes
auf der jchiefen Ebene; er erfand eine jinnreiche Methode: Größe
bezgl. Richtung der Kräfte durch gerade Linien auszudrüden und fam
dadurch auf den Sat des Gleichgewichtes zwijchen drei Kräften
(PBarallelogramm der Kräfte). Stevin joll Mori von Oranien in der
Mathematik, wahrjcheinlich auch im der Feitungsbaufunft unterrichtet
haben; denn die Kämpfe jeines Vaterlandes veranlaßten ihn, ſich der
praftijchen Anwendung der Geometrie in der Fortififation mit Nach-
drud zuzumenden. Im I. 1617 erhielt er die Würde eines „Kaſtra—
metator8 des Heeres der Generalſtaten“. Drei Jahre jpäter ftarb
er im Hag.
Stevin jchrieb drei Werke. Der Titel des erjten lautet: Sterckten-
Bouwing. (Xeyden 1594.)
Eine zweite Auflage erjhien zu Amſterdam 1624. Eine Übertragung
ins Hochdeutſche gab Arthus von Danzig u.d.T. „Feſtung-Bawung,
d. i. kurtze vnd eygentliche Bejchreybung wie man Feitungen bawen vnnd ſich
wider allen gewaltjamen Anlauff der Feinde zu Kriegszeiten auffhalten, fichern
vnd verwahren möge... Auß Niderlendifcher Verzeihnuß Simonis Stevini
Brugensis in hochteutſcher Sprach bejchrieben. (Frankfurt a. M. 1608.) In
zweiter Auflage ebd. 16232).
Stevin beginnt mit eimumndzwanzig Wort- und Begriffs:
erflärungen, welche für das Verſtändnis der niederländijchen
Schriften von Wert jind, geht dann über zur Betrachtung „voll-
fommener Fejtungen“, deren Wejen an einem normalen Sechsed
dargejtellt wird, und bietet endlich einen Überblid der Streit-
fragen über die beiten Befejtigungsformen. Er entfernt fich in
diefem Werke noch feinesweges von den gewohnten italienischen Vor—
bildern; jogar jein Profil bietet noch immer die in üblicher Weije
1) Bibl. der Kriegsafademie zu Berlin. D. 5633.
840 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung 2c.
mauerbefleidete Esfarpe und weiſt nicht einmal eine Faufjebraie auf.
Er beherrjcht dabei die gejamte Literatur von Tartaglia bi3 Spedfle,
und fommt zu dem Ergebnis, dab die drei Hauptpunfte, auf welche
Ichlieglich alles hinauslaufe, in möglichit vollfommener Flankierung,
in der Anwendung jtumpfwinfeliger Bajtione und in einen
polygonalen Grundriſſe bejtünden, der jich dem Kreiſe ſo viel
als möglid) nähere.
„Stryken, Stryden (d. i. ftreichen, flankieren) ſegh id, i$ een mit ende
vornamlid ooghmerd, ende by die het jtryden teghenftant, die wil een Fleet malen,
daermen twee beenen in een coufje jteedt; id wil jeggen, by jpreedt tegben
'tghemeen ghevoelen. Ten anderen macdmen bier nod) by voughen als voor
ghemeene reghel, dat de plomphoudig ste (ſtumpfwinkeligſte) bolwerden (die
welverjtaende na ’tbehoiren ftrydelig fiin) voor de jterdite ende beſte ghehouden
worden... Zee derden, dat de evefijdeghe jterdten intront beſchrijvelick
(aequilatera castra circulo inscriptibilia, alias poligona regularia) de be—
quaemifte ende oirboirjte formen zyn; wan ſy verbaten met min wals meer plaets,
'tweld niet alleen ontojtelijder en valt int ghebou, maer boven dien en behouft
mender joo veel gejhoot noch vold niet toe: daar beneven jo hebben haer bol=
werden de bejte houcken.“ In den legten Worten bringt der berühmte Mathe—
matiker den erjten Grundſatz des Spedle [S. 828] zum präzifen Ausdrud, und im
der Erkenntnis des Wertes der jtumpfwinteligen Bajtione erweift er fi) dem Straß—
burger Meijter jogar überlegen.
Überaus Har und wohlgeordnet ift die ſyſtematiſche Überficht der
verjchtedenen Befejtigungsvorjchläge; es war nicht möglich, um Die
Wende des 16. und 17. Ihdts. vorurteilsfreier und lehrreicher über
dieje Dinge zu handeln als Stevin es tut. Zumal das Thema der
Flanfierung und der Form der Kurtine gelangt zur anjchaulichiten
Entwidelung, und dieſe Vorzüge treten um jo deutlicher hervor, als
die Abhandlung jehr kurz und knapp gehalten iſt.
In dem Jahre, in welchem Stevin zum „Leghermeter“ (Kajtra-
metator) der Generaljtaten ernannt worden war, gab er zwei fortifi-
fatorische Werfe heraus, u. zw. im November die »Castrametatio,
dat is Legermeting. Na d’oordening en 'tghebruye van den
doorluchtichiten VBorft ende Heere Maurit3 Prince van Oraengien 2c.«
(Rotterdam 1617,') Leiden 1633.)
Hochdeutſch unter folgendem Titel: Castrametatio Auraico-
Nassovica, d.i. Gründlicher und außführlicher Bericht, welchergeitalt ein voll
tommenes Feldläger abzumefien pnd anzuordnen jeye... Durd einen Liebhaber
1) Im Beſitze des Verfaſſers.
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 841
ins Hoch-Teutſch vberjegt. (Frankfurt a. M. 1631.)9 — Franzöſiſch u. d. T.
La castramötation. Leyden 1618).
Das Wert ijt den „Hoochmogenden Heeren de Generale Staaten” gewidmet
und mit Bild und Wappen des Prinzen Moriz gejhmüdt. Es zerfällt in vier
Hauptitüde. Das erite Handelt von der „Bepaling“, d.h. von der Bermefjung
des Lagers und der Markierung feines Grundrifjes durch Pfähle; das zweite
lehrt die Liften anzulegen, nad) denen das Kriegsvolk einzuteilen ift und im
Lager untergebradt wird; das dritte unterrichtet im praftifhen Qagerbau, Ein-
richtung der Hütten u. dgl., und das vierte Hauptjtüd entwidelt im Gegenſatze
zu der bisher vorgetragenen oraniſchen Praxis die perſönlichen Anſichten
des Autors über die zweckmäßigſte Gejtaltung eines immerwährenden Lagers,
wobei Stevin, als ein gelehrter Mann, natürli” von dem Lager der Römer
ausgeht. — Für das Studium der niederländiichen Kriege ift Stevins Auseinander:
jegung der damaligen Zagerreglements von hervorragendem Werte.
Im Dezember desjelben Jahres widmete Stevin den General-
jtaten jein legtes fortififatorisches Werk, die „Nieumwe Maniere vom
Sterctebau door Spilſluyſen“. (Rotterdam 1617.)
Hochdeutſch unter dem Titel: Waſſerbau, d. i. Eygentlicher vnd voll-
fommener Bericht von Befejtigung der Stätte durd Spindelſchleuſſen
wie aud) von Räumung oder Spülung der Gräben vnd Sciffhäfen, Verjteyffung
der Gründte vnd Auffbauung der Wajjermühlen u. ſ. w. Durch einen Liebhaber
ins Hoch-Teutſch vberjegt. (Frankfurt a. M. 1631.)) Franzöſiſch als Nouvelle
maniere de Fortification par escluses. (Leyden 1618.)
Auch diefe Abhandlung zerfällt in vier Hauptjtüde. Das erjte bejpricht die
neue Erfindung der Spiljluyfen (raumende Spindelſchleuſen, escluses),
d. h. der Fang- oder Kammerſchleuſen, deren drei Arten auseinandergejegt werden.
Die eine, welche dazu dient, Häfen zu räumen, hat aufwindbare Schleufentüren,
die im Augenblide der höchſten Flut geſchloſſen und bei legter Ebbe geöffnet
werden. Die zweite dient dazu, niedriges Land troden zu legen. Gie haben
Punkttüren (Swayetüren, Stedtüren), die fih, wenn das äußere Waſſer am
niedrigjten jteht, von jelbjt öffnen, und wenn es am höchſten ſteht, wieder von
felbjt jchließen. Die dritte Art, welche zum Durchfahren großer Schiffe mit
ftehenden Majten dient, hat zwei Bar Stedtüren und zwiſchen diejen einen
Koldplap (Schleufentammer) zum Aufenthalte der Schiffe, während das Wafler
finft oder ſteigt. Es ift die moderne Drempeljchleuje (&cluse busquee), von der
wieder eine Reihe verjchiedener Arten auseinandergejeßt wird. — Das zweite
Hauptjtüd handelt von „verjtijping der gronden van flunjen“, d. h. von den
Wafjerfhmwellen und Kämmen (dodanes). — Das dritte Hauptſtück ijt
der Anwendung von Schleufen bei der Befejtigung gewidmet und
erläutert in zwölf Beifpielen die verjchiedenen Möglichkeiten der Lage befeitigter
Plätze am Meere oder an Wafjerläufen und die daraus hervorgehenden Be—
1) Kgl. Bibl. zu Berlin. Sammelband H. y. 243.
2) Ebba.
842 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ıc.
dingungen und Vorteile bei Anwendung von Schleufen für die Verſtärkung der
Fortifikation. Es ift dies der widhtigite Teil des Buches, welcher das technifche
Berfahren der Niederländer, die es jo gut verjtanden, das Waſſer für ihre Ver—
teidigungszmwede zu verwenden, in allen Einzelheiten veranſchaulicht. — Das vierte
Hauptjtüd erläutert die Sache dann nod an einigen wirklich mit Schleuſen—
einrihtungen verjehenen fejten Plätzen, nämlih an Calais, an
Bliffingen und Deventer. Den Beihluß madıt eine intereffante Auf:
zählung und Einteilung von Städten der Niederlande unter dem Geſichtspunkte
ihrer Hydrographifchen Situation: — Städte, die an großen Waſſern mit Ebbe
und Flut liegen, wie Sluys, Niendijke, ter Tolen, ter Bere, Ziericzee, Willem-
jtadt, Gertruydenberghe, Rotterdam, Dordredt, Endhuyfen, Amjterdam, fünnen
mit Spindeljchleufen fortifiziert werden; dasjelbe gilt von Städten an großen
Strömen ohne Ebbe und Flut, in die jedoch Heine Flüſſe münden, wie Arnheim,
Zuytphen, Deventer, Swolle u. dgl. — Städte an großen Waflern mit Ebbe und
Flut, die aber fo fern ab liegen, daß zwijchen ihnen und dem Wafjer ein Lager
geichlagen werden fann, find mit einer bejonderen Schleufenart zu fortifizieren ;
jo Bergen op Zoom, Middelburd, den Briel, Schiedam. — Städte an Strömen
ohne Ebbe und Flut und ohne Einmündung eines Heineren Fluffes, wie Worckum,
Heujden, Bommel, Kampen, Emmerid) und Reez find wieder mit anderögearteten
Spilſchleuſen zu verftärfen. Und fo wird die Einteilung fortgeführt und für jede
Kategorie auf einen der im erjten Hauptjtüd gegebenen Typen venwiejen.
Stevin erjcheint in jeinen Gejamtleiftungen als Fortifitator höchſt
bedeutend. Während er in feinem erjten Werfe die Summe der bis—
herigen Beitrebungen zieht, gibt er in jeiner legten Arbeit die Grund»
züge der neuen Entwidelung, welche jich in den Niederlanden einge:
leitet hatte, joweit diejelbe mit der Bewegung des Waſſers zuſammen—
hangt. Aber auch das Prinzip der mweitausgreifenden, vielgejtaltigen
Außenwerfe mit ihren Horn= und Kronwerfen, das der niederländifchen
Befeſtigungskunſt jpäter einen jo eigenthümlichen Charakter verlich,
kündigt jich bereit3 in den Schlußfapiteln jeines erſten Werfes an,
die von den „unvollkommenen Feſtungen“ handeln, welche man je
nach Umſtänden, beſonders der Ortlichkeit, anzuordnen habe.)
8 128.
Das unmittelbarjte Bild der Führung des Feitungsfrieges
unter Mori von Oranien gewähren die Aufzeichnungen, welche
1) Bgl. über Sterin: Steihen: La vie et les travaux de Simon Stevin (renfermant
son oeuvre militaire par le souslieutenant du genie Brialmont) 1846 und Goethals:
Notice historique sur la vie et les ouvrages de 8. Stevin de Bruges, suivie de remarques
sur les Dodoens par van Meerbeck (Brüflel 1841). — Les Oeuvres Mathematiques de Simon
Stevin de Bruges par Ab. Girard eridienen zu Leiden 1634. (Der 6. Band hanbelt bier De la
Fortification.)
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 843
Graf Johann, der Mittlere von Haffau, ein Vetter des großen
Feldherrn, während des Feldzuges 1597 in den Niederlanden gemadt.
Sie bilden den Hauptinhalt der Observationes, deren Original-
eremplar das alte Dillenburger Archiv zu Wiesbaden bewahrt [$ 38]').
Der poltorfetiiche Inhalt diejer Denkwürdigfeiten gliedert jich wie folgt:
„Ban man im anfang fur ein fejtung kömmet vnd diefelbige bejichtigt,
was alsdann in aht zu nehmen. Wie man einen Ort belegern joll. Bon den
aproschen, transcheen oder Laufgraben. Bon Galerien dur den feindlichen
Graben. ®on miniren oder ®ntergraben. Bon sapiren. Bon Stürmen. Bon
großem Geſchütz und beſchießen. Bon Mörjeln, Fewerkugeln und Fewerpfeilen.
Bon Petarten. Bon allerhand Bruden (namentlich ſolchen fahrbaren Brüden,
die über Feitungsgräben zu fchlagen find.) Bon Schanpförben. Bon Schangen.
(Eine bejondere Rolle jpielen Sternfhanzen und ſolche mit halben Bollwerten.
Wacht und Loſung. Kundſchaft.
Wie mancherley Weiß man fan vndpfleget, Statt und Feſtung
einzunehmen undwasmanauch dargegen für remedia gebrauchen
kann. — Unter dieſem Titel werden die verſchiedenen Angriffsarten durchge—
gangen und ſofort die Gegenmaßregeln (remedia) danebengeſtellt. — Jene An—
griffsarten find: 1. Gewalt mit Geſchütz. 2. Gewalt mit Stürmen. 3. Galeries
und Sapieren. 4. Minieren. 5. Feuerwerk und Sprengfegel. 6. Aushungern
mit Blohhäufern. 7. Ausmatten (Ermüden). 8. Erdrenfen. (Unter Waſſer
jegen, wie es la Fere geſchah). 9. Überhöhen. (Durch Katzen und fahrbare Bat-
terietürme nad) Art der antifen Heliopolen, wie e8 bei Steenwid gejhah.)?) —
10. Stratagemata:a) Hinterhalt und Überfall. b) Durchgraben (bei grabenlofen
Städten). c) Überliftung und Einjchläferung der Wache. d) Ueberrafhung eines
etwa geöffneten Thors (durch welches Berjtärfung, Proviant od. dgl. eingelafjen
oder vorgejhobene Wachen abgelöjt werden ſollten). e) Verkleidete Soldaten.
f) Nachſchlüſſel der Thore. (?!) g. Branditiftung. h) Plögliche Leitererjteigung,
nahdem man vorher einen ganz entlegenen Punkt jcheinbar ernjtlid bedroht.
i) Hinderung des. Thorſchluſſes durch herangerollte Heumwagen, wie es der Cardinal
in Amiens tat, (identijh mit d). k) Überfall durch Soldaten, die auf Schiffen
verborgen find. (Beifpiele: Breda und Majtricht). I) PBetarden. m) Eindringen
durch heimliche Orter KKloaken). n) Benugung des Froftes. 0) Verkaufen (Be-
itehung). p) Falſche Briefe, welche den Angreifer als Freund darſtellen. q) Ein—
ſchüchterung, „Übereilung“, gelingt ſonderlich bei kleinen Plätzen. r) Mißbrauch
von Gefangenen u. ſ. w.
Bom Parlamentieren. Vom Entjag. — Gründe für eine niht vom
Angreifer erzwungene Übergabe: Meuterei der Bejagung oder der Bür-
gerſchaft. Mangel an Munition. Demoralijation. Hunger. — Bon Camifaden
1) K. 9T71a. (ine zweite, wenig abweichende Nieberjchrift diefer Observationes findet ſich in
dem erften Banbe von Johanns „Kriegabuh” (Dillendburger Arhiv K. 923),
?) An andern Stellen von Johannes Schriften (K. 923 und 971a des Dillenburger Archivs), wirb
aud dad „Mahlen“, d. h. das Waſſerabgraben empfohlen.
844 Das XVI Jahrhundert. IV, Die Wifjenihaft von der Befejtigung zc.
oder nädtlihem Infall. — Bon den LRaufgräben, ihrer Einrihtung und ihrem
Schutz.
Die Einrichtung der Feſtung: — Vom Hauptgraben; was der Feind
gegen ihn zu unternehmen pflegt; von der Form des Grabens; Riegel oder Ge—
ſchrenke mitten durch den Graben. Vom kleinen oder blinden Graben. Vom
Bärn (Batardeau). Schützen und Schleuſen. — Vom Zwinger oder Umlauf am
Fuß des Walles. — Verlohrene Wehr oder auswendige, niedrige Polwerck. —
Bon Paſteyen, Bolwerck, jo aus dem Wall hervorgehet. Wie die Polwerchk ſollen
gemacht vnd formiert jein. Bon Schultern oder Deden der Streihwehren. Bon
Streihwehren oder Kafematten. Bom Wal. Von Bruftwehr und Schanztörben.
Bon Schiehlöhern. Bom inwendigen Zwinger oder Umlauf Hinder dem Wall. —
Vom halben Monat. Ravelin.) — Bon Mefelarn (?), d. ſ. fahrbare große Holz
hütten, um Schügen hinter der Brefche oder in einem jchlechtflantierten Graben
Dedung zu gewähren. — Bon Platteformen oder Hagen auf den Wälen oder
Bolwerden. — Bon der Stadtmauer. Von allerien oder Umgang uff der
Mauer. Bon ihren Türmen. — Bon Rallijaden.
Die Darjtellung des Grafen zeichnet fich durch praftiichen Sinn
und jchlichte Klarheit aus. Einen eigentümlichen echt milttärijchen
Charakter hat fie injofern als fie mwejentlih vom taktiſchen Ge
jihtspunfte ausgeht.
Nicht die Feitung an fich, jondern der Kampf ijt ihr die Hauptjade; nicht
als Architekt, jondern als Soldat tritt Graf Johann an die Befeſtigungskunſt
heran. Das zeigt ſich fogar in dem der eigentlichen baulichen Technik gewidmeten
legten Hauptabfchnitte feiner Abhandlung; denn bier behandelt er jedes einzelne
Feſtungswerk, jedes fortifitatorifche Hilfsmittel, ftet3 unter folgenden vier Geſichts—
punkten: Wozu dient e8? Was pflegt der Feind dagegen zu tun? Remedia? Wie
iſt es daher zu bauen, bezgl. herzujtellen ?
Außer diejer Abhandlung finden ſich in den militärischen Kollefta=
neen Johanns noch manche fortififatoriiche Einzelheiten, auf die hier
jedoch einzugehen unmöglich ift.
Des Grafen Darjtellung des TFeitungsfrieges, welche dem ums
mittelbaren vollen Miterleben entiprungen tt, könnte man wegen der
geradezu entgegengejegten Behandlungsweiie jene Architectura
militaris Belgica gegenüberjtellen, eine Papierhandichrift vom
Ende des 16. Ihdts., welche in der Fürftl. Bibl. zu Donauejchingen
aufbewahrt wird und auf 32 Bl. Federzeichnungen niederländtjcher
Befeftigungen mit lateinijchem Terte bringt. (Nr. 861.)
8 129.
Auch im legten Jahrzehnt des 16. Ihdts. hat Italien eine Reihe
von fortififatorischen Schriftjtellern hervorgebracht. Zuerjt zu nennen
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 845
ft Buonaiuto £orini von Florenz, der die reichen Erfahrungen
einer vierzigjährigen Dienjtzeit, zumal während der Türfenfriege und
in landern, zujammenfaßte in Delle fortificationi libri
cinque ne’ quali si mostra con le piü facili regole la scienza
con la pratica di fortificare le citta e altri luoghi sopra diversi
siti. (Venedig 1592.)
Zweite Auflage: Venedig 1597), dritte mit einem jechjten Buch vermehrte
1609, Neudrud derjelben 1659. — Verdeutfhung der Auflage von 1597 von
David Wormbjer, (Frankfurt a. M. 1607)9 und des fechjten Buches von Theod.
de Bry (ebd. 1616)3); alle ſechs Bücher ebd. 1620 ®).
In dem Verzeichnis der Verdeutſchung iſt der Inhalt folgender:
maßen angegeben:
1. Bon der Wiſſenſchaft jampt den Reguln vnnd Urjahen, wie man
alle Grundtriffe der Vejtungen aufreißen vnd zu einem volltümmlichen Ende
bringen joll. — 2. Die BPractid, mit welcher man ein Veſtung wirdliden an—
fegen vnd bawen foll. — 3. Bnderjhiedlihe Grumdtrifje, wie man die
bejtverjtandnejte darunter außlefen jol. — 4. Der Bnterfheid: der situs
oder gelegenheit der örter vnd wie man diejelben bevejtigen joll. — 5. Die me—
chaniſchen Künjte jampt eim vnderriht, wie man vielerley Werdzeug vnd
Injtrumenta machen fol, beydes mit einem Kleinen gemalt jehr große Läſte zu
heben, wie auch gar vff einen leichten Weg die Sachen zu Wegen zu bringen, jo
beyde in Friedens- vnd Kriegszeiten des Menſchen Leben am nötigjten find.
Waren in früheren Schriften die Feſtungswerke meijt perſpektiviſch
dargejtellt worden, oder doch da, wo einmal ein „Plan“, d. h. eine
Zeichnung „auf plattem Grunde“ gegeben wurde, nur jelten nach ein
heitlichem, für eine wirfliche Bauvorlage geeigneten Maßſtabe „ges
riſſen“, jo bringt e8 der geometrifch gutgejchulte Yorint zu genauen
brauchbaren Plänen: eine Neuerung von bedeutender Wichtigkeit.
— Dementjprechend legt der Verfaſſer auch großen Wert darauf,
daß die Befeftigungsfunde als Wiſſenſchaft anerfannt werde,
und jtellt darüber im 1. Buche folgende Betrachtung an:
Eine Wiſſenſchaft ift die Fortifitation ohne Zweifel; dieweil fie jre Fun—
dament und alle Formal Bolltommenheit von den Mathematici$ sientijs hat,
welche wegen ihrer gewifien Beweijungen befandte Scientiae jeyn. Vnd indeme
die Fortififation mit gewiffen vnd determinirten Reguln das unzweiffelhaffte Ende,
1) Sol. Bibl. zu Berlin (H. y. 160), Berliner Kupferftihtabinet und Behördenbibl. zu Deſſau.
*) Kol. Bibl. zu Berlin (H. y. 168, Sammelband), BWehörbenbibl. zu Defjau.
s) Kgl. Bibl. zu Berlin (H. v. 18806, Sammelband).
* Bibl. des Berliner Beughaufes (B. 791).
846 Das XVI. Jahrdundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
einen Situm zu fortificiren vnd zu verteidigen, proponiret, jo ijt jie auch eine
Kunft. Bnd da fie darnad) zum Acte practico jchreitet, indeme ſie vielerlei Be-
Ihwärungen der Materien findet, damit man wirdet und bawet, wird fie eine
Facultet... Unter den yaculteten aber kann man feine finden, die ihr gleicher
ſeye als die Medicina. Dann diefe beyden ſcheinen als wann jie in allen Dingen
bbereintreffen... Die Situs jo man fortificiren will, haben allezeit eine Un—
vollfommenheit an jhnen, wie ein frander Leib, zu welchem die Artzney joll ge
braucht werden; vnd erſtlich joll man feine Complexion betradten, nemlich ob
er Felſen oder Erden jeye. Wenn er von Feljen ift, jo wirdt er jtard genug
vnnd leicht mit einem ſchlichten Medicamento oder Argney zu erhalten jeyn; iſt
er aber von Erden, die der Hawen oder Undergraben underworffen, jo iſt er bin-
gegen von Natur jehr ſchwach vnd fann ihm leicht jchaden geſchehen . . und jo
jol man jolde jtarde Arpenei appliciren, die dem Corpori der Bejtunge wol be-
fomme, daß es genug eye, diejelbe zu erhalten.“
Im 3. Buche macht Lorini den Verjuch einer gejchichtlichen
Überjicht der wichtigsten Befejtigungsmethoden vom Alter:
tume bis zu jeiner eigenen Zeit, welcher zwar noch recht aphoriftiich
ausfällt, doch in den Hauptgedanken richtig it. — Das 5. Bud,
die meccanicca jcheint bedeutend zu jein und verdiente einmal
genaue Durcharbeitung jeitens eines praftiichen Mathematifers.
Die Hauptzüge von Lorinis „Manier“ find die fol
genden:
In den verjchiedenen Tracks, die Lorini für eine baftionierte Front gibt,
juht er die Flanken ſtets durch weit vorjpringende Orillons zu deden. Meiit
hat die Flanke nur eine Feueretage, um die Kehle des Bollwerf3 nicht zu ver-
engen. Die Entfernung von der Flanke zur gegenüberliegenden Pünte joll min-
deſtens 150, höchſtens 180 Schritt betragen; denn ſei dieje Linie fürzer, jo erlaube
fie dem auf der Kontresfarpe logierten Feinde die fihere Beſchießung der Flante;
fei fie länger, jo reiche die Tragweite des Gewehrſchuſſes nicht aus zur Verbin:
derung des Grabenüberganged. Die Verlängerung der Facen joll die Kurtine
auf %/s ihrer Länge jchneiden ; auf foldye Art entjteht genügender Raum für den
nahe an die Flanke gelegten, redanförmigen Kavalier, der über die Kurtine weg
das jenjeitige Bajtion bejtreiht. Die Kurtine ift, wie bei den meijten Bauten
diefer Zeit, etwas niedriger al die Bollwerfe. — Konftruftionelle Verjtärtungen
der Mauer gegen das Gejchügfeuer verfhmäht Korini; es genügt ihm, wenn das
Nevetement dem Erddrude widerjteht. Seine Strebepfeiler liegen weitläufiger ala
bei Caſtriotto und find am Anjag am jtärkiten. Der Kordonftein liegt im Niveau;
über ihm läuft eine jteinerne Brujtmauer, die einen Rondengang jhüßt, der zu:
gleich ald3 Berme dient und hinter dem die Böſchung der jehr hohen Bruſtwehr
anjteigt, die als zweigeſchoſſig zu bezeichnen if. Denn auf die überaus jtarte
Brujtwehr, welche die Artillerie dedt, it noch eine jchwächere, mit Scharten ver:
jehene Infanterie-Brujtwehr aufgejeht. Dieje Anordnung, welche ji) aud bei
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 847
San Gallo findet, wird mit Recht von de Ville befämpft [XVII.a. 8115]. Die
obere Fläche der Artillerie-Bruftwehr neigt jih nicht nad) außen, fondern nad)
dem Plage zu, um die Dedung zu erhöhen und den Nondengang nicht voll
Wafjer laufen zu lafien. Statt der Caponnieren legt Zorini im Graben un—
mittelbar hinter der Cunette eine fügeförmig geführte 6° hohe Bruftwehr an,
deren Berteidiger durch ziemlich nahe aufeinander folgende Traverjen gegen Revers—
feuer gejichert find. Kleine, über die Cunette geſchlagene Brüden erlaubten offen=
fives Vorgehen im Graben. — Lorini hatte alle Übelftände des dem Geſchützfeuer
ausgejegten Mauerwertes wohl erkannt und erbaut daher jogar die Merlons der
Flanken nicht mehr aus Stein, jfondern aus Erde mit ſolider Holzbefleidung.
Im übrigen wendet er Holz bloß bei Schartenbauten an, während er alle Wälle
nur aus lagenweije aufgejchütteter, fejtgerammter Erde ganz ohne Strauchwert
und ohne „Ketten“, d.h. ohne Fachwerk, bildet. Die Schartenenge legt er nidt
in die Mitte, fondern an das innere Ende der Scharte. Das Glaciß bededt er
mit loſen Steinen, um dem Feinde dort durh Aufſchlagsſchüſſe zu jchaden.
Auch die Begebenheiten bei Angriff und Verteidigung der
Fejtungen hat Lorini fich methodijch zurechtgelegt.
Beim Angriffe unterjceidet er fünf Arten von Erdarbeiten: 1. Offene
Laufgräben in Zidzads; 2. unterirdiihe Annäherung zum Durchbruch der Kon—
tresfarpe auf der Grabenjohle; 3. Erdlavaliere (Katzen), um Einſicht in den Platz
zu gewinnen und Hocbatterien anzulegen; 4. Vorbereitung des Grabenübergangs
durch Ausfüllen; 5. Durhbrud einer Bollwerfmauer, um das Baftion durch
Minen zu fprengen.
Die Angriff8-Artillerie fol in dreifadher Weije verwendet werden:
1. Zur Zerjtörung der Flankierungsanlagen; 2. zum Brechelegen, wobei die
Mauer jo niedrig ald möglich zu fallen ift; 3. zur Bejtreihung der Verteidiger
in Front, Flanke und Rüden durd) Batterien, die auf hohen Kavalieren angelegt
werden. In lepterer Hinficht iſt Yorini durch feine Kämpfe mit den Osmanen
bejonders erfahren und jchildert beifpielsweife ausführlid die Belagerung von
Famaguſta i. 3. 1570,
Der Verteidigung empfiehlt Lorini den Gebrauch leichter Hinterlader
und den von Feuerwerk auf der Brede. Bei legterem möge man jedoch jehr
vorfichtig fein; leicht ſchade man fich jelbjt mehr al8 den Stürmenden.
Der Nachtrag zu Lorinis Werk führt in der Verdeutjchung
den Titel: „Das jechjte Buch von der Fortificattion Bonajuti Lorini,
in welchem von Defenſion der Bejtungen, Gebraud de3
Geſchützes jampt der Practic vnd Erfahrung, welche die Canonirer
haben jollen, gehandelt wirdt. Deßgleichen wie man Grundriß machen
und Diſtanzen mejjen ſoll.“ — Diejer Titel des vortrefflichen, dem
Markgrafen Joachim Ernjt von Brandenburg gewidmeten Buches gibt
jenen Inhalt hinreichend an. Es ijt mit anjchaulichen Kupfertafeln
848 Das XV]. Jahrhundert. IV. Die Wifjenjchaft von der Befeſtigung ꝛc.
ausgejtattet und bietet eine willfommene, auf der Höhe der Zeit
jtehende Vervolljtändigung der älteren fünf Bücher.
8 130.
E3 mag wohl manchem auch in Italien des fortififatorijchen
Treibens zu viel geworden jein; ein Anzeichen dafür liegt in des
Benetianer® Patrict »Paralleli militari« (Rom 1594) vor,
welche jich lebhaft gegen den Gebrauch von Feitungen ausjprechen.
— Zwei Jahre jpäter jchrieb Scala Delle fortificatione ma-
tematiche (Rom 1596), und abermals zwei Jahre darauf gab
Lapo-Bianco [S. 657] einen furz gefaßten Anhang zu jeiner Corona
militare u. d. T. Breve ragiomento sopra la fortifica-
tıone heraus. !)
Dem Wunjche, jich geographiich und topographijch über Die
vorhandenen Feitungen zu unterrichten, famen drei Venetianer
entgegen: zuerjt u. zw. jchon 1567 Senoi mit den »Principali
fortezze del mondo«, dann 1569 Balloni mit Disegni
nelle piü illustri cittä e fortezze del mondo und
endlich Bertellio mit dem Theatrum urbium italicarum. 1599.
Die militärpolitifhe Indiskretion derartiger Veröffentlihungen fiel den Beit-
genofjen auf. Insbeſondere äußert ſich Spedle darüber mit einem mihbilligenden
Seitenblide: „Und ob ich ſchon deren eine große Menge (Pläne) beſitze, habe ich
doch nur eine, zwo oder drei zu Erempeln verzeichnet, an denen nicht höchlichen
gelegen, auch nicht jeder weiß, wo folhe find, wiewol die VBenediger vnd andere
Stalianer alle Feitungen in der Welt in trud lafien ausgehen, deshalben fie doch
niemalen find zu red gejegt worden.“ (Architectura von Feſtungen. 1589.
Bl. 14, b.)
8 131.
Den Beſchluß der italienischen Fortifitationsliteratur des Cinque
cento macht man billig mit den Werfen des Mailänders Gabriello
Busca, weil er in einem jeiner Bücher ausdrüdlich die Literatur des
Jahrhunderts zujammenzufaffen gejucht hat. Er war Feſtungsbau—
meijter des Herzog8 von Savoyen, jpäter Capitano d’Artigleria in
Mailand und literarijch recht fruchtbar. Eines artillerijtiichen Büch—
leins wurde bereit3 gedacht [S. 750]. — Zwei fortififatorifche Arbeiten
Buscas ruhen ungedrudt in der Bücherei der Marcheſi VBisconti zu
1) Aupferftichtabinet zu Berlin (Nr. 2054).
2. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. 849
Mailand. Beröffentlicht wurde zuerit Della espugnatione et
difesa delle fortezze libri due. (Turin 1585.)
Zweite Auflage 1598), dritte 1599, vierte 1736. Deutſch ald: Zwei Bücher
von Beitürmung und Beihügung der Feſtungen. (Frankfurt a. M. 1619).
Dies Werk gibt ein volljtändiges Bild des Feitungsfrieges
gegen Ende des 16. Ihdts.
Busca empfiehlt, lieber mehrere getrennte Angriffe jtatt eines einzigen
zu unternehmen. Die Winkel und Abrundungen der Laufgräben mill er
möglichſt vermeiden, um Werkzeug und Munition bequemer durdführen zu fünnen;
tie Dedung jol unter Umjtänden durd große Schanzförbe erzielt werden. Die
Breite der Tranchee ift mindeſtens 10‘, die Tiefe jo, daß der Mann überall gededt
jei. Hat die Stadt Türme oder Kavaliere, jo find diefe zumächit zu zeritören,
um das Defilement der Laufgräben zu erleihtern. Die Brechbatterien jollen
auf der Stontresfarpe angelegt und die Breche in einer Bollwerfsface herbeigeführt
werden. Intereſſant ift e8, dab Busca, obgleid) er im allgemeinen vorjchreibt,
die Mauer jentreht zu beſchießen, doch auf Grund feiner Beobachtungen die
Anficht ausipridt, daß Schüfle, die etwas ſchräg auffchlügen, größere Wirkung
hätten, weil, wenn die Oberfläche der Mauer erjt einmal durchbrochen fei, eine
ichräg kommende Kugel mehr von dem erjchütterten Mauerwerte fortriffe, als die
ſenkrecht treffende. Einen durd) Strebepfeiler gejtügten Wall foll man in der Art
angreifen, daß man die Mauer 1 bis 2 Fuß unterhalb des Kordons durchſchneide
und dann die Strebepfeiler durch Schrägſchüſſe von der Seite faſſe. — Gut aus:
geführte Erdwälle find, Buscas Anficht nad, gegenüber dem Geſchütz am wider:
jtandsfähigjten; aber fie haben den großen Nachteil, daß Feuchtigkeit, Negen und
Froft das tragende Holzgerüjt (da8 er alſo als unerlählich voraugfegt) in 6 bis
7 Jahren dermaßen angreifen, dab dann dad Werk morjc wird und die Eskalade
erleichtert. Erdwerke joll die Artillerie nicht wie Mauern auf %s oder Ya ihrer
Höhe angreifen, jondern fie von oben her abfämmen, wozu ſich 80- bis 100-pfündige
Steingejchofje bejjer eignen als Eiſenkugeln. Freilich feien Steingejchojie, der
Kaliberverhältniffe wegen, jhwierig zu verwenden; wie denn überhaupt die Kaliber—
verfchiedenheiten große Übelftände im Gefolge hätten. Am beiten jei es, alle
Belagerungsgeihüge auf ein Kaliber zu bringen und nur die Längen und Ge—
wichte der Feuerſchlünde wechſeln zu lafien. — Das bejte Mittel zum Angriffe
von Erdmwällen jeien aber Spaten und Hade; mit ihnen ergebe ſich die bei
weitem reinjte und gangbarjte Brehe. In diejem Falle verwende man die auf
der Kontreskarpe plazierte Artillerie lediglich zur Belämpfung der Flankierungs—
werte und führe die Sappeurs auf einer von Schanzförben überhöhten Traverje
durh den Graben an den Fuß des Walles, wo fie dann unter Schirmen zu
arbeiten hätten. Auf diefe Weife wurde St. Quentin genommen.
Ausführlich äußert fi Busca über den Minenkrieg. Er fennt die Vor:
züge gefrümmter Gänge und will, daß der Minenofen über der Gallerie angelegt
werde. Genaue Lademaße vermag er noch nicht vorzujchreiben. Dem Kontre—
1) Bibl. der Kriegdalademie zu Berlin (D. 6195).
Jähns, Geſchichte der Krriegswiſſenſchaften. 54
850 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ıc.
mineur rät Busca, abzuwarten, bis der Ofen des Angreifers geladen jei, hierauf
einen Stollen hinzutreiben und das Pulver unter Waſſer zu jegen.
Dann erjchten Busca’3 L'architettura militare, libro
primo (Mailand 1601),') dem noch zwei Bücher über Lagerweſen
und Feldbefeſtigung und über Mechanif und Artillerie folgen jollten,
von denen jedoch nur die Kapitelüberjchriften vorliegen.
Spätere Auflagen: Mailand 1619, 1641.
Dies Werf hat bejonderes Interefje dadurch, dag es eine ge
Ihichtlihe Uberjicht der Bajtionärbefejtigung gibt und dab
der Berfafjfer die vorzüglichiten Zehrer der Befejtigungs-
funit im 16. Ihdt. namhaft zu machen unternimmt.
Er nennt Dürer, Seriva (Escribä), Tartaglia, Hieronimo di Angiari (d. i.
Maggi), Eajtrioto, Pietro und Hieronimo Cataneo, Mora, il San Marino (d. i.
Belucci), Genga (?), Alghiſi da Carpi, Yupicini, Teti‘) und in zweiter Neibe,
als vornehme Förderer der Wiffenihaft, die Signori Giul. Savorgnani, Sforza,
Ballavicini und Gabrio Serbelloni. Auch des Ritters Pacciotto da Urbino ge-
ihieht Erwähnung, der zwar nichts gejchrieben habe, jedoch wegen feiner Bauten
als rühmliches Vorbild gelte.
Nach einjichtiger Betrachtung aller einzelnen fortififatortichen
Elemente gibt Busca jein Normaltrace:
Bajtionierte Front. Kurze, auswärts gewendete Kurtine mit Mittel-
favalier; feine Nebenflanten. Stumpfwinfelige Bollwerfe mit Kavalieren in
den Höfen; zurücdgezogene Flanken mit drei Feueretagen; vor der niederen Flante
nicht nur ein Separatgraben, jondern auch ein Heiner überwölbter und frenelierter
Zambour, dejlen Außenmauer einerjeit3 an das Drillon, andererjeit3 an die
Kurtine anjchliegt und jo eine Art Kaponniere oder permanenten Koffers bildet.
(Diefe Anordnung ift allerdings auf der zujammenfafienden ultima figura nicht
dargeftellt, wird aber vorher im Tert eingehend erläutert.) Vor der Kurtinen—
mitte ein großes Ravelin mit Doppelflanten und Kapalier. Sägeförmiger
gededter Weg mit Waffenpläßen.
Zaſtrow jagt über dies Trace: „der gededte Weg und das große
Ravelin jind das Vorzüglichite dieſer Manier; jie haben unſtreitig
den Ruhm ihres Verfaſſers begründet, obwohl mit Unrecht; denn
YBusca hat jowohl das Navelin wie die Einrichtung der Bajtione
und deren Kavaliere bis in die geringjten Details von Spedle fopiert,
welcher 30 Jahr vor ihm jchrieb... Der einzige Unterjchted beider
Methoden iſt der, daß Busca eine gerade Kurtine und auf derielben
I) Bibl. der Kriegsalademie zu Berlin. (D. 5615).
2) Bon all’ diejen Autoren ift gehandelt worden, mit Ausnahme von Pietro Cataneo (1554),
der weit mehr Schönbaumeiſter als Fortififator war, und von dem Gapitan Genga, über ben ich mit:
in Erfahrung bringen fonnte.
3. Bujammenfafjende Betrachtungen. 851
keinen Kavalier hat.“ — In dieſer Bemerkung ſind Wahrheit und
Irrtum gemiſcht. Speckles Werk [$ 121] erſchien 1589, Buscas
Architettura 1601, alſo 12 Jahre ſpäter. Die Figura ultima
derſelben (Ausſchlagsblatt Hinter p. 274) iſt eine bis in die ge—
ringjten Einzelheiten mit Zirkel und Lineal genau und in
gleichem Maßſtabe abgezeichnete Kopie von Spedles Kupfer-
blatt Nr. 12, links. Site jtimmt haarjcharf und hat daher natürlich
auch ausjpringende Kurtinen mit Mittelfavalteren.!) Die Quinteſſenz
von Buscas Weisheit ijt aljo ein einfaches Plagiat aus Spedles
Werf, und da muß es denn doch in hohem Grade befremden, daß
Busca unter den Autoren, welche vor ihm über Fortification ge
Ichrieben, nur einen einzigen Deutjchen, den Dürer, nicht aber unjern
Spedle nennt.
3. Gruppe.
Bufammenfaffende Betrachtungen.
8 132.
Montecuccolis Wort: »Lattacco inscegna la difesal« ijt das
beite Motto jeder Gejchichte der Befejtigungsfunit. Es erflärt aud)
das Entjtehen der modernen Fortififation; denn dieſe ijt der
Rückſchlag gegen die durch die Entwidelung der Artillerie gewaltig
gejteigerte Kraft des Angriffs, welche jich jeit der Mitte des 15. Ihdts.
zu jtetS wachjender Geltung brachte. — Auf dreifache Weiſe juchte
man ihr entgegenzutreten:
1) Durch Verjtärfung der Umfajjung jelbit.
2) Durch Anlage von Hohlräumen in den unteren Teilen der
Werke, um auch in diefen Geſchütz aufzuitellen und jo durch Anordnung
desjelben in mehreren Gejchofjen ein Übergewicht über die Belagerungs-
artillerie zu gewinnen.
3) Durch jachgemäße Grundrißgejtaltung und gute Vertei—
lung der flanfterenden Werfe (Bajteten, Streichwehren.)
Alle drei Elemente treten in der deutſchen Bauweiſe mit
Schutten, Bajteien und Bergen, wie jie Schermer um 1430
(ehrt, deutlich hervor. — Die Erfenntnis, daß Erdbauten der Artil-
ı) Sie hat aber nicht den frenelierten Tambour, von welchem Busca im Texte rebet.
54*
852 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeftigung ꝛc.
lerie bejjer wiederjtehen als jteinerne Mauern hat hier jogar dahin
gerührt, den Bau lediglich aus Boden, Holz, Faſchinen und Hürden
zu errichten, wobei offenbar alte Überlieferungen einer jolchen Bau—
weije Hilfreich entgegenfamen. Der Wunjch, die bisherigen, z. T. jo
herrlichen und koſtbaren Mauerbauten zu erhalten, hat indes in
den meijten Fällen zur Folge gehabt, die jchon beftehenden Stein-
umfafjungen in der Weije zu verjtärfen, daß man die Erd- und Holz
bauten mit ihr verband, d. 5. dat man fie entweder unmittelbar an
jie anlehnte oder vor oder Hinter ihr neu aufführte. Dies nannte
man „remparieren,“ während man die Errichtung von Bauten
aus verjchränften Hölzern, Strauchwerf und Erde als „baftionieren“
bezeichnete. Solche Bajtionterungen fommen, auch in Italien, noch
im jiebenten Jahrzehnte gar nicht jelten vor.
Ein warmer Vertreter diefer urjprünglich deutfchen, von den Paduanern
(1509) und della Balle (1521) über die Alpen gebradten Bauweiſe war in Jtalien
Alghiſi da Carpi (1548). Auch Marchi's balkendurdjegte Lehmmauern (1555)
find nur eine neue Gejtaltung derjelben Idee. Ganz befonders aber zeigen ſich
Eajtriotto uud Maggi (1564) dem Baftionieren geneigt. ajtriotto fejtigt feine
Bruftwehr, indem er zwiſchen Stirn und Rüdenmauer ein Gemenge von Erde
und Strauchwerk füllt und dazu bemerkt: „Das Ganze ift bajtioniert (bastionatto
il tutto) und gut mit tüchtigen Faſchinen hergejtellt, die aus Eichen oder Kaftanien-
zweigen oder aus Heidekraut bejiehen. Je dünner und biegjamer dad Material
ift, dejto weniger Schaden tut das Geſchütz.“ — Maggi konjtruiert feine Wälle
in der Art, daß er von 3 zu 3 Fuß Höhe wagerechte Schwellen legt und fie durch
ſenkrechte Träger verbindet. Die Kreuzungen jtügt er durch Streben und vernietet
dag ganze Gerüft mit langen Nägeln aus hartem Holze. Dies Fachwerk nennt
er (wie noch weit jpäter, 1592, Xorini) catene, d. h. Ketten, und füllt e mit
ſtark gejtampfter Erde aus. Maggi erklärt diefe Katenen für durchaus notwendig.
Ein ohne fie von Martini und San Marino zu Piſa erbautes Erdbajtion ſei
beim erjten Regen bejhädigt gewefen, ein anderes derartige® von San Michele
auf Korfu errichtetes Wert bei einem Woltenbrude völlig zufammengeftürzt. —
Man benügte diefe Fachwerlsbauweiſe des Walles aud) in dem Sinne, daß man
ihm eine von der Befleidungsmauer unabhängige Haltung geben wollte, die ihn jogar
nad) der Brechlegung der Mauer aufrecht erhielt, und begnügte fi) dabei nicht nur
mit dem Holzgerüfte, jondern behandelte aud den einzufchüttenden Boden jelbjt
in der forgjamjten Weife: man jiebte ihn durh, man jtampfte ihn feſt; man
miſchte ihn oft mit folofjalen Faſchinen, Flechtjträngen, langem Stroh und Mörtel
und befleidete ihn endlid mit Hürden oder Rafen.
Je jeltener jedoch an die Ingenieure noch die Aufgabe herantrat,
alte Mauern zu remparieren, je häufiger man aljo von vornherein
Strebepfeiler und Entlajtungsgewölbe beim Bau der Schärpen an-
3. Zufammenfafiende Betrachtungen. 853
wendete, je mehr man jich endlich überzeugte, daß die Widerjtands-
fähigkeit des Holzes gegen die ſtockende Erdfeuchte gering ſei und
feicht zu Sadungen führte, dejto mehr fam man von der Verbindung
des Fachwerks und des Strauchwerf3 mit der Erde zurüc, und gegen
Ende des Jahrhunderts Handelt es fich tatjächlich nur no um un:
befleidete oder um jteinbefleidete Erdwälle.
Für reine Erdmwälle ſprach ſich jchon um die Mitte des Jahr
hundert3 in Italien Lanteri aus (1559); zur Geltung aber fam
dieſe Bauweiſe erft durch die Praxis der Niederländer, welcher die
Sranzojen de la Noue (1585) und PVigenere (1590) Tebhaft zu-
jtimmten. Volle Sturmfreiheit jchien allerdings bet folchen reinen
Erdwerfen nur unter der Vorausfegung der Anlage nafjer Gräben
gefichert, wie jolche (wohl gar noch in Verbindung mit Schleujen-
jpielen) in den Niederlanden leicht, in anderen Gegenden aber oft gar
nicht einzurichten waren. In Italien widerjprachen überdies die auf
den Steinbau gerichteten antiken Überlieferungen ſowie oft gewifje
Örtliche Bedingungen (Mangel an brauchbarer Erde) jener nordiichen
Tendenz; ſolche der Technik nach „proviforiich“ zu nennende Be
fejtigungsweife war für die Italiener auch nur ein hiſtoriſches Provi—
jorium; fie wendeten jich von den „Baftionterungen“ ab, und endlic)
blieb von der zu Anfang des Jahrhunderts jo eifrig übernommenen
Baumeije nichts übrig al3 einige Conſtruktionsdetails — und die
Terminologie. Lebtere aber hat einen ganz anderen Sinn erhalten,
al3 der war, in welchem man fie von den Deutjchen empfangen Hatte:
Bollwerk und Bajtei (baluardo und bastione) bedeuten jetzt Die ge-
mauerten, bald ausschließlich fünfedig angelegten Flankierungswerke,
die, je länger je mehr, als wejentliche Elemente der modernen Bes
fejtigung gelten und die num ihrerjeit3 wieder den nördlichen Völkern
nicht nur zum VBorbilde jondern zum Gegenjtande fruchtbarer Fort:
bildung wurden.
E3 ift jchon angedeutet worden, daß die in Stein errid)-
teten Schärpen (escarpes) vor Allem durch die Anfügung von
Strebepfeilern und die Einführung von Entlaftungsgewölben verjtärft
wurden. Gern gab man ihnen auc (um das Emdringen der Kugeln
in dad Mauerwerk zu erjchweren) eine jehr janfte Anlage, und um
das Abjpringen der Gejchofje zu fördern wählte man wohl, da wo
es anging, abgerundete Kanten und jchiefe Formen.
854 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc.
Co erhielten 3. B. die Bajtionsfacen zuweilen an der Pünte eine ſtärkere
Böſchung als an den Schulterpunkten, ſo daß ſie eine Geſtalt annahmen, die an
einen Windmühlenflügel erinnert.
Alles das waren freilich nur recht ungenügende Aushilfsmittel. —
Die Notwendigfeit das Mauerwerk zu deden und dadurch den
Angreifer zu zwingen, wenn er Breche legen wollte, bis auf die Kon—
trescarpe heranzugehen, wurde früh begriffen. Schon Tartaglia
hat ſich mit der Löjung dieſes Problems bejchäftigt. Aber man
erreichte jenen Zwed doch nur unvollfommen, weil man jich nicht
entichliegen konnte, von den überaus hohen Profilen der Escarpen
Abſtand zu nehmen. Dieje find, namentlich zu Anfang des Jahr—
hunderts, oft 50° hoch; denn man legte großen Wert darauf, ſowohl
die damals noch jehr üblichen Leitererjteigungen möglichjt zu erjchweren, -
al3 den Angreifer zum Bau fojtbarer und zeitraubender Kagen (Bat-
terieplattformen) zu zwingen, von denen aus er die Werfe der Feitung
zu überhöhen jtrebte. Man legte auch Wert darauf, hoch zu bauen,
um jelbjt möglichjt weit jehen und feuern zu fönnen. Dennoch nahm
Spedle den Gedanken des Tartaglia wieder auf, und troß des ge-
waltigen Reliefs feiner Werke gelang es ihm wirklich, die Schärpen-
mauer jeines Hauptwall durch den Hochrand des Glacis gegen den
direften Schuß zu deden. Damit war, wilfenjchaftlich wenigiteng,
eine3 der wichtigjten fortififatorischen Probleme der Zeit gelöft.
Die erſte Verdunfelung der die moderne Entwidelung der For—
tififatton einleitenden Hauptgedanfen betraf das im 15. Ihdt. jo jtarf
hervortretende Bejtreben, der Esfarpe durch Hohlbauten zur Auf
nahme von Artillerie die doppelte Eigenjchaft eines Hindernijjes und
eines zu aktiver Verteidigung befähigten Wehrbaues zu geben. Scher-
mers Bajteien hatten drei Reihen Gejchüßfajematten übereinander
aufzumeilen. In demjelben Sinne find die Entwürfe des Giorgio—
Martini und die des della Valle gehalten; aber jchon Dürer
ſchränkt die Defenfivfafematten einigermaßen ein. ‘Er bevorzugt fie
in den unteren Teilen der Esfarpe, wendet jie zuweilen auch oben
an; aber den mittleren Teil behandelt er meijt als Vollbau. Und
als nun einige Kriegsvorfälle die Erfahrung machen ließen, daß dieje
mit Scharten durchbrochenen Esfarpen dem Feinde gelegentlich den
Überfall ermöglichten, als ſich ferner ergab, dah man nur fchwer den |
3. Zujammenfafjende Betrachtungen. 855
Rauch aus ihnen zu entfernen vermöge, und als endlich die Befürch-
tung rege ward, durchbrochene Schärpenmauern möchten leichter in
Breche zu legen jein als volle, da erhob jich eine ſtarke Gegnerjchaft
gegen fie; bald finden jich die Gejchüßfajematten nur noch in den
Flanken der Bajtione, um endlich, faſt überall, zum großen Nachteil
gejicherter Bejtreichung und weiſer Raumerjparnis, auch jelbit an
diejer Stelle zu verſchwinden.
8 133.
Die Mittelwälle (Kurtinen, Gardinen) waren zu Anfang des
Sahrhunderts die eigentlichen Träger der Verteidigung und von großer
Länge. Meijt jind fie geradlinig angelegt; doch fommen auc) andere
‚Formen vor. Melloni (1548) führt jie in auswärts geſchwungenem
Bogen. Tartaglia, Alghiſi da Carpi, Marchi und Gaftriotto brechen
jie nach innen, und wo Maggi dus nicht tut, zieht er fie zweimal,
parallel mit ihr jelbjt zurüd und erhält auf dieje Weiſe zwei Kleine
Flanken im Mittelwall.
Dieje „verftärkte Ordnung“ hatte jhon San Gallo angewandt; fie jtand
bejonders bei den Spaniern in Gunst, und wahrjcheinlid hat Bauban die Kur:
tinenflanten feiner „dritten Manier“ diefem Vorbilde entlehnt.
Spedle wendet in jeiner grundjäßlichen Normalordnung die ge
rade Gurtine an, jchlägt aber gelegentlich auch eine nach außen ge
winfelte vor.
Anfangs bewahrten die Kurtinen auf ihrer Mitte den „Berg“
der alten deutjchen Schutten, d. h. jene Plattform, von der aus Die
Bajtionspünten bejtrichen und das VBorgelände unter Feuer genommen
werden jollten. Je mehr dann diefe beiden Aufgaben, unter gleich:
zeitiger Verfürzung des Mittelwalles, auf die Bajtione übergingen,
um jo jeltener wurden die Sturtinenfavaliere. Zuweilen traten an
Stelle der einen Mittelplattform deren zwei an den Kurtinenpunkten.
Spedle aber jtellt den Meittelfavalier wieder her.
Bei der bedeutenden Länge der alten Kurtinen vermochte man, denjenigen
Teil derjelben, welcher den Bajtionsflanten zunächſt lag, zur Verjtärfung der
Flankierung des Hauptgrabens mit nugbar zu maden, allerdings nur mit jehr
ihrägem Feuer und nur dann, wenn die Verlängerung der Baftionsfacen nicht
auf die Endpunfte der Mittelwälle, ſondern auf mehr nad) der Mitte zu gelegene
Buntte derjelben trafen. Zwiſchen diefen Punkten und den „Surtinen= (end-)
punkten“ ergaben fi dann die „Nebenflanken.“ Cine ſolche Anordnung, die
856 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befejtigung ꝛc.
u. a. auch Marchi fordert, hatte verhältnismäßig ſpitze Baſtionswinkel zur Folge
und ward daher von den meijten, bejonders entjchieden von Busca verworfen.
Austretende Streichwehren (bewaffnete Koffer, Kaponnieren)
im Graben werden anfangs des Jahrhundert allgemein angewendet ;
auch in der Folge findet man fie, bald da bald dort empfohlen und
im Gebrauche; allmählich aber werden jie jeltener, und endlich geht
die Beitreichung ausjchlieglich auf die Baitione über.
Die Grundrißgejtalt der Bollwerfe oder Bajteien (Baftione)
hat anfangs geringe Bedeutung. Rondelle und Fünfecke jtehen in der
Umfaſſung Veronas zu gleichen Zwecken und gleichwertig nebeneinander.
Weſentlich dagegen iſt die von den Bajtionen ausgehende Flankie—
rung und zunächjt eben nur dieje; denn urjprünglich haben die Ba-
jttone gar feinen anderen Zwed als die Seitenbejtreihung. Daher
tat man denn auch alles mögliche, um ihre Flanken bi8 zum Ende
der Belagerung intaft zu halten. Zu dem Zwede zog man jie zu:
rüd und dedte fie durch das Bollwerfsohr (orillon), das jchon im
15. Ihdt. vorfommt. Der beite Schu war natürlic) die Einwölbung
der Flanke; doch das ungünjtige Urteil über alle Kajematten trat
auch hier hindernd ein. Anfangs wölbte man wenigjtens noch „Den
unteren Pla“ ein, während man den „mittleren“ und den „oberen
Platz“ offen ließ und durch Zurücziehen zu deden juchte; endlich
aber verzichtete man gewöhnlich jogar auf die Einwölbung Der
unterjten Etage, ließ auch dieſe offen und jicherte fie gegen etivaige
Zeitererjteigung durch einen tief eingejchnittenen Kleinen Graben an
ihrem Fuße (Marchi) oder durch einen Eleinen flankierenden TZambour.
(Busca.) |
Auf ſolche Weife mochte die Sturmfreiheit erhalten bleiben; immerhin aber
hatten dieje Stodwerksflanten den Nadteil, daß fie den Bau des Bajtiond wejentlich
tomplizierten, daß fie den inneren Raum desjelben verengten und dab die Be:
fagung der unteren Pläge nicht nur durch Wurffeuer, fondern aud) durch Mauer:
triimmer, welche von der hohen Flanke herabgefchofien wurden, bedenklich gefährdet
ward. — Das Nufgeben der fajemattierten Flanken war ein entſchiedener Fehler.
— Im die offene Flanke befjer zu deden und fie zugleich jo lang ald möglich zu
machen, gab man ihr aud) wohl eine Krümmung nad) innen (ein Verfahren, das
ihon 1527 San Michele bei dem Bajtion delle Maddelane zu Berona angewendet
hat, oder man bog das angrenzende Stüd der Kurtine etwas zurüd und ſchuf jo
einen „Bruch“ (brisure).
Da der Zwed der Baltionsflanfen zumächjt der war, den Graben
vor der Kurtine zu beitreichen, jo ftellte man ſie jenfrecht zu diejer.
3. Zuſammenfaſſende Betrachtungen. 857
Und jpäter, als man bereitS großen Wert darauf legte, daß Die
Flanke auch den Graben vor der gegemüberliegenden Bajtionsface
unter Feuer nehme, behielt man dennoch die bisherige Stellung der
Flanke bei, weil man dieje bei einem jtumpferen Winkel bloßzujtellen
fürchtete. Erſt Spedle wagte es, die Flanken jenfredt auf die
Streidhlinien (Defenslinien) zu jtellen, den Flankenwinkel alfo über
90° Hinaus zu Öffnen. Damit aber erit war das Baſtionärſyſtem
zu jeiner vollen Konjequenz entiwidelt; denn deſſen Wejen beruht, im
Gegenſatz zu der bloßen Befeitigung mit Baftionen, auf der gegen-
jeitigen Bejtreichung aller Werfe untereinander.
Der Bollwerfswinfel an der Pünte ift anfangs meijt jpit,
Ichon um Zeile des Mittelwalls als Nebenflanfen verwerten zu fünnen.
Früh jchon erfannte man jedoch, daß ſolche Spisbauten dem Ge
jchüßfeuer jchlecht widerjtanden und gar zu große unbejtrichene Räume
erzeugten. Alghiſi da Carpi und Marchi ſprachen fich daher für
jtumpfwinfelige Bajtione aus, die denn auch zumeilen, wie 1567
zu Antwerpen, wirklich errichtet wurden, wobei man dann aber den Kur—
tinen ganz außerordentliche Länge gab, damit fie doc) noch bei der
Flankierung mitwirken könnten. Demgegenüber machten die ‘Freunde
jpiger Bajtione geltend, daß dieje die Möglichkeit gewährten, jede
Face auch noch durch die Face des Nachbarbaftions zu flanfieren. —
Dies Für und Wider veranlaßte bedeutende Ingenieure wie Spedle
und Errard den Mittelweg einzujchlagen und fich für rechtwinflige
Bollwerfspünten zu entjcheiden.
Der Wunſch, den Angreifer unbedingt und jo entjchteden wie
möglich zu überhöhen, führt viele Baumeiſter, namentlich auch Spedle,
zur Errichtung von Katzen (Kavalieren) in den Bajtionen, deren
Höfe dadurch freilich empfindlich bejchränft wurden. Aus Diejem
Grunde und weil c3 zu befürchten jchten, daß der vom Fernfeuer zu
erreichende Kavalier in Trümmer gejchoffen werden fünnte und dieſe
dann eine gangbare Rampe vor dem Baſtion jchaffen möchten, jpricht
Maggi jich dafür aus, den Kavalier Hinter die Kehle des Baſtions
zu legen, wo er zugleich dies jelbit bejtreichen und einem Abjchnitte
al3 Stütze dienen fünne.
Die Gräben jind bald nat, bald troden. Marchi zieht naſſe
vor und will diejelben am Fuß der Schärpe tiefer halten al3 an der
Kontreesfarpe; an jenem Fuß Toll auch bei trodenen Gräben die
858 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeſtigung ꝛc.
Kunette liegen; er bildet den Graben auch wohl zur Hälfte troden,
zur Hälfte naß. Die großartigite Bedeutung gewinnt der Graben
natürlich bet Stevin, indem er ihn aus der Rolle eines abjolut paj-
jiven Hindernismittel3 durch die Schleujenwerfe in die eines aftiv
agierenden Verteidigungsmittel3 erhebt. — Die Grabenbeitreichung
fällt, was jchon erwähnt wurde, je länger je mehr, ausjchlieglich den
Baftionsflanfen anheim; jelten nur gejellen fich, wie bei Spedle, aud)
noch Fajemattierte Gallerien der Esfarpe Hinzu.
Den gededten Weg der jchon im 15. Ihdt. vorfommt, nahm
bereit3 Tartaglia mit Bewußtjein von dem offenfiven Werte diejes
Werkes in jein Syſtem auf. Er ward allmählich erweitert; Cataneo
(1571) verjah ihn zuerjt mit Waffenplägen; Caſtriotto rüjtete Dieje
mit Reduits aus und jchuf in feinem „Worgraben“ einen vorderen
gedeckten Weg. Spedle endlich) der den gededten Weg jägefürmig
rührt, den Raum der Waffenpläße weſentlich erweitert und den Vor:
graben dazu benußt, dem Angreifer buchjtäblich „den Boden unter
den Füßen fortzuziehen“, bringt das Syſtem des gededten Weges
auf eine faum jemals wieder erreichte Höhe.
Zu allen Zeiten find ravelinartige Werfe zur Dedfung der Thore
üblich gewejen; und auch der Hauptgrund für die Aufnahme des
NRavelins in das Bajtionärtrace war zunächſt der, den Angreifer
an der direkten Bekämpfung der Kurtine und der in ihr liegenden
Ihore zu hindern; aber ihre Bedeutung als wejentliche Teile der
bajtionterten „Front“ gewinnen die Naveline erſt von dem Augen:
blife an, da der Angriff, welcher bis zur Mitte des Jahrhunderts
jich ausschließlich gegen die Sturtinenmitte gerichtet hatte, anfing, ſich
einer der Bajtionsfacen zuzumenden, um hier Breche zu legen; denn
nun fällt ihnen die Aufgabe zu, die Facen der Nachbarbaitione zu
flanfieren. Zwar noch dem Cataneo (1571) gilt der Angriff auf die
Kurtinenmitte al3 gewifjermafjen ſelbſtverſtändlich; daß er das jedoch
damals nicht mehr war, lehrt die Art, wie Marchi jeine Raveline em-
pfiehlt. Endlich aber war es wieder Spedle, der durch das große
Ravelin feiner „verjtärkten Manier” unter gleichzeitiger rechtwinfliger
Stellung der Bajtionsflanfen auf die Defenslinien die Beitreichung
der Bajtionsfacen völlig jicherte und zugleich in der vorgejchobenen
Reihe jeiner Raveline eine Tenaillenfront jchuf, der die bajtionierte
Front des Hauptwalles gewijjermafjen als Generalabjchnitt diente.
3. Zuſammenfaſſende Betradhtungen. 859
Bon anderen Außenwerken jind die Faujjebrayes in jteter
Anwendung, zumal bei najjen Gräben; auc) die echte, freiftehende,
von der Eskarpe Losgelöjte Braye (jpäter Kontregarde gen.) kommt
vor. Marchi begünjtigt alle diefe »pontoni« im höchiten Grade.
Ihre volle Entwidelung erfahren fie jedoch nicht in Italien, jondern
in den Niederlanden, wo jie freilich zunächjt nur in der Praxis, nod)
nicht in der Wiljenjchaft glänzen, da Stevin ihrer verhältnismäßig
flüchtig gedenkt. — Auch den Nuten der Burgen, welche im Mittel-
alter jo oft mit Stadtbefeftigungen verbunden waren, ließen Die
Staltener fich nicht entgehen und übertrugen deren Zwecke auf die
jog. Eitadellen, welche fie auf den wichtigjten, beherrichenden Punkten
des Geländes anlegten und mit den meisten ihrer Stadtbefeitigungen
in Verbindung brachten. Der Wert diejer oft großartigen Anlagen
beruht freilich in den meiſten Fällen in der Beherrichung der Stadt,
iſt aljo militärspolitifcher Natur.
Die mangelhaften Verbindungen der Klernbefeitigung mit den
Außenwerfen, insbejondere mit dem gededten Wege, lajjen die Vor-
liebe des Angreifers zum Überfall mit ftürmender Hand höchſt be
greiflich erjcheinen.
Ein mächtiges Widerjtandsmittel erwächjt in den Kontreminen,
für die zuerſt Marchi mit vollem Verſtändniſſe eintritt. Faſt ſtets
zwar liegt die Hauptgalerie in der Schärpenmauer jelbjt oder Hinter
dem Walle: eine fehlerhafte Anordnung, welche des Feindes Ein-
dringen erleichtert. Immerhin jchiebt aber jchon das bloße Vorhan—
denjein der Gegenminen den Punkt, an welchem der Nahkampf beginnt
und welcher bisher der Nand des gededten Weges gewejen war, bis
an den Fuß des Glacis vor.
8 134.
Da die italienischen Formen der Befeſtigungskunſt im Weſent—
lichen das ganze Jahrhundert beherrichen, jo pflegt man diejes in
die Zeitalter der altitaltenifchen und der neuitalienischen Schule einzu—
teilen, deren Scheide ungefähr die Mitte des Jahrhunderts ijt. — Die
altitalienijhe Schule gehört, wie Dürers Stadtbefeitigung, dem
Polygonaljyfteme an; denn ihre Baftione find doch nur Geſchütz—
faponnieren auf der Bolygonale. Die neuitalienifche Schule entwidelt
dann das moderne Bajtionärjyitem, indem das Schwergewicht der
860 Das XVL Jahrhundert. IV. Die Wifjenjchaft von der Befejtigung ꝛc.
Verteidigung von den Kurtinen auf die ausjpringenden Werfe über:
geht und vornemlich auf der Wechjelwirfung und gegenfeitigen Flan—
fierung und Sefundierung diefer Werke beruht, von denen die Bajtione
num nicht mehr nur dem Nahlampfe jondern auch dem Fernkampfe
dienen. Unter namhafter Verfürzung der Kurtinen werden die Ba-
jttone einander jo nahe gerüdt, daß die gegenjeitige Bejtreihung auch
durch Gewehrfeuer jtattfinden fann, und von ihren Slavalieren aus
kämpfen die Feltungsgejchüge gut gededt auf große Entfernungen,
joweit jolche damals überhaupt in Frage famen. Denn eigentliche
Wirkſamkeit entfaltete die Artillerie nicht über 500 Schritt hinaus.
Auf diefe Entfernung hin ging aber auch wirklich von den Bajtions-
facen ein pernichtendes Kreuzfeuer aus, das jich mit jedem Schritte,
welchen der Angreifer vorwärts tat, noch jteigerte. Eben dies Kreuz-
feuer war e8, welchem das Bajtionärjyjtem vorzugsweiſe den Sieg über
das Polygonalſyſtem verdankte, deſſen Bauten faſt nur frontale Wir-
fung äußern konnten. Das entwickelte Baftionärjyitem zwang den
Angreifer dazu, jeine Brechbatterien entweder auf ganz folofjalen
Hochterraſſen oder auf der Glaciskrete zu etablieren. In der Phaſe
des Nahfampfes aber umfaßte der Verteidiger feinen Gegner voll-
fonımen und hinderte jein Vorgehen durch gute Flankierung, durd)
widerjtandsfähige Außenwerfe, durch innere Abjchnitte, durch einen
mit allen Hilfsmitteln der Feuerwerkskunſt geführten Chifanenfrieg
im Graben, durch Gegenminen und endlich durch die zu Ende des
Sahrhundert8 auftretenden, von Stevin erläuterten Wafjermanöver.
— Auf diefem Wege ward dem Angriff das Übergewicht über
die Berteidigung, welches er im 15. Ihdt. errungen Hatte,
wieder entzogen, und man muß anerfennen, daß wenn Seerord-
nung, Bewaffnung und Taktik während des 16. Ihdts. nur geringe
Fortſchritte aufzuweiſen haben, die Befeſtigungskunſt mächtige Schritte
vorwärts tat, u. zw. eben durch die Entwidelung des Baſtionärſyſtems,
deſſen Vollender Daniel Spedle war. — Das 16. Jahrhundert ift
reich an jchönen Verteidigungen.
S 135.
Die Belagerungen des 16. Ihdts. find ſehr verjchieden ge
artet je nach der Weife, in welcher der angegriffene Platz befeitigt
war. — Handelte es fi) nur um kleine mittelalterlich ummauerte
3. Bujammenfaflende Betrachtungen. 861
Städte, mit geringen Garnijonen, jo erzwang man den Eintritt oft
durch eine Kanonade oder gegen Ende des Jahrhunderts auch wohl
durch Anwendung der tragbaren Petarde gegen eines der Tore. —
Salt es die Bekämpfung einer alten nur mit einem Niederwalle ver-
jtärkten Befejtigung, jo wendete jich der Geſchützangriff jofort
gegen beide Artilleriejtochverfe der zeitung gleichzeitig. Gelang es
ihm dann, das Teuer des DVertheidigers zum Schweigen zu bringen
und ſich des Niederwalles zu bemächtigen, jo war die Sprengung
der Mauer faum mehr als die Bejeitigung eines toten Hindernifjeg,
welche nicht jchwer fallen konnte. Freilich fam es dann wohl vor,
dat der Verteidiger inzwijchen einen Abjchnitt hinter der bedrohten
Front hergejtellt hatte, der bejjer eingerichtet war als der alte Mauer:
gürtel. Das erfuhr Karl V. bei Met, wo Francois von Guiſe auf
der Seite der Porte-St.Barbe hinter der alten Mauer eine Kurtine
mit zwei Halbbaftionen in größter Vollkommenheit errichtete, der gegen-
über alle Anjtrengungen der Kaijerlichen jcheiterten.
Ganz anders jobald es die Belagerung einer modernen Feltung
galt! Da mußte man zum fürmlichen Angriff jchreiten, wie ihn
uns Reinhart von Solms, Frönsperger, Abra de Raconis, Lorini
und Busca eingehend gejchildert haben. — Die alten Angriffs und
Dedungs-Mittel der Werfzeuge, der Hagen, Schirme und anderen Holz
bauten, in deren Erfindung ſich das 15. Ihdt. ausgezeichnet, reichten
in feiner Weife mehr aus. An ihre Stelle trat neben das Geſchütz
der Gebrauch des Bodens zu Schugbauten, und in Diejer
Hinfiht ward bejonders die deutiche Erfindung der Schanzförbe
von großer Bedeutung. — Busca unterjchetdet drei Arten des An—
griffs: dem mit der Artillerie, den mit Spaten und Hacke (colla
pala e zappa — daher der Name „Sappe“) und den mit Minen.
— Ein reiner, bejchleunigter Artillerieangriff ohne Annäherung durch
die Sappe fommt als Verſuch nicht jelten, in voller Durch-
führung und mit Erfolg aber nur um die Wende des 15. und 16.
Ihdts. zuweilen vor. Gewöhnlich wurden Wrtillerieangriff und
Sappenangriff verbunden; für Minenangriff und Sappenangriff ver:
jteht ſich das von jelbit.
Eines der größten Hindernifje für dieſe neue Angriffsweije be—
itand in der Abneigung der Truppen gegen die Erdarbeiten.
Die Leute verweigerten es meijt rundweg, ſich einer jolchen Tätig-
862 Das XVI. Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
feit zu unterziehen, die nicht, den Kriegern jondern hörigen Bauern
zufomme. Um diejen Widerjtand zu bejiegen, war viel Geld nötig
und wenn dies mangelte oder (wie das auch vorfam) nicht Fruchtete,
jo griffen oft die vornehmijten Edelleute, die berühmtejten Führer zum
Spaten und jeßten ſich an die Spite der Schanzbauern, um jo durch
Beihämung den thörichten Stolz zu brechen. Begreiflicherweije ent:
ichlofjen fie jich dazu nur im äußerſten Notfalle und zogen es, wenn
irgend möglich, vor, jolchen Schwierigkeiten durch einen gewaltjamen
Angriff vorzubeugen. Gewöhnlich war das Eröffnen der Sappe erit
die Folge einer mißlungenen Einfchüchterung der Beſatzung durch eine
heftige Kanonade. Daher trug es jich dann aber nicht jelten zu, daß
die Munition erjchöpft, ja das Gejchüg zum Teil leiſtungsunfähig ge
worden war, gerade in dem Wugenblide, da man beider am metjten
bedurft hätte.
So lange die Feitungen jehr lange Kurtinen und kurze Flanken
hatten, zogen es die Angreifer vor, in die Mitte der Kurtine
Breche zu legen. Allerdings jegten ſie ſich dabei für den Augenblid
des Sturms dem Feuer beider Flanken aus; aber oftmal® war. die
Kurtine minder ſtark gebaut und Daher leichter einzuftürzen als die Bajtione,
und überdie® umging man durch eine Slurtinenbreche alle etiwaigen
Netranchements an den Kehlen der Bajtione. — Da die Kurtine
anfangs gar nicht oder doch nur dürftig durch Außenwerfe gededt
war, jo errichtete man ihr gegenüber auf 450 bis 600 m Entfer-
nung eine Demontierbatterie u. zw. meijt auf einer hohen großen
Terraſſe, um die feindlichen Kavalierbatterien erfolgreich befämpfen zu
fönnen und volle Emjicht in die Feitung zu gewinnen. Dieje große
Batterie, den Mittelpunkt des gejamten Angriffs, nannten die Deut:
ihen furzweg „die Schanz“, die Franzoſen »batterie royale«e. Mit
einer jolchen auf den reinen Frontal- und Kernſchuß angewiejenen
Hochbatterte erzielten noch im weit jpäterer Zeit, nämlich 1669, die
Türfen bei der Belagerung von Candia ihre beiten Erfolge. Zus
weilen erhielt die „Schanz“ zur Bekämpfung der die angegriffene
Kurtine flankierenden Bajtione zwei zurüdgebogene Flügel. Erſt gegen
Ende des JahrhumdertS werden die Bajtionsflanfen auch wohl
durch jelbjtändige Kontrebatterien angegriffen, die jich mitunter
des Prellichuffes zu bedienen juchten, deren Leiſtungen jedoch noch
jehr untergeordneter Art find. — Enfilierbatterien (überzmwerde
3. Zujammenfafiende Betrachtungen. 863
Schanzen) wurden jelten und dann auf noch höheren „Katzen“ als die
große Schanz angelegt. Die Mörjerbatterien waren von denen
der anderen Gejchüge gejondert. — Vor jeder Batterie lag in einem
tief eingejchnittenen Graben „die Wacht und Hut“, d. h. die Parti—
fularbedefung. — Das direkte Feuer herrjchte durchaus vor; das
Bertifalfeuer tritt dagegen ganz zurüd, und die fFeuerordnung
ließ offenbar jehr viel zu wünjchen übrig. Man ſchoß auf die Brujt-
wehren, um jie zu rafieren, auf die Drillons, um fie niederzumerfen,
auf die Flanken, um jie untüchtig zu machen, den Grabenübergang zu
hindern. Aber all’ das ging nur zu oft in launenhaftem Wechjel durch—
einander und wurde nicht jelten wieder von einer wilden Kanonade gegen
das Stadtinnere abgelöjt, jobald man irgend Anzeichen zu haben
glaubte, daß ein jolches gewaltjames Verfahren Eindrucd machen werde.
Seitdem das Bajtionärtrace zu jeiner eigentlichen Ausbildung
gelangt war, wendete ſich der Angriff von der Surtinenmitte ab
und bevorzugte eine Bajtionsface; denn nım waren die Ba-
jtione die eigentlichen Wertjtüde der Feſtung, und eine von ihnen
fampfunfähig zu machen, galt als der bejte und natürlichite Weg zur
Niederwerfung des Widerjtandes. In Deutjchland drang dieje An—
ſchauung jeit Spedle durch, früher als in Frankreich, wo ſich das
entgegengejegte Verfahren noch bis tief in das 17. Ihdt. hinein er:
hielt. Es begegnet 3. B. bei den Belagerungen von la Rochele (1628),
wo Bajtione und Slurtine, bei Bois-le-Duc (1629), wo nur die Kur:
tine angegriffen wurde, ja noch 1668 bei Döle.
Die Batterien wurden mit dem Lager durch Yaufgräben ver:
bunden, und dann gingen dieje Annäherungsbauten, welche auf feljigem
oder wäfjerigen Gelände durch Schanzkörbe hergejtellt wurden, über
die Batterien hinaus, oft auf gut Glück, gegen den gededten Weg
vor. Die einzelnen Sappenjchläge waren auf jich allein angemiejen,
derart, daß die Ausfälle der Bejagung oft die Wache vertrieben, die
Arbeiter zerjtreuten, die Anlage über den Haufen warfen. Indes
allmählich vervollfommneten jich dieje Laufgräben; man erbaute zu
ihrem Schuge an den Wendepunften Erdredouten, und 1558 fügte
Montluc ihnen bei der Belagerung von Diedenhofen Eleine Waffen:
pläße für Gewehrjchügen an (arriere-coins), Erweiterungen Der
Approchen, welche man als die Ausgangspunfte der Parallelen be:
trachten darf. Die Spiten der Laufgräben dedten Schanzforbfan
864 Das XVI Jahrhundert. IV. Die Wiſſenſchaft von der Befeitigung ꝛc.
Während diejes Stadiums des Angriffs befämpfte die Zeitungs:
artillerie die große Batterie des Belagerers; das Fußvolk der
Feſtung aber erging jich in häufigen Ausfällen, welche, wie jchon
erwähnt, den vereinzelten, noc durch feine Parallelen verbundenen
Sappenjpigen gegenüber nicht jelten Erfolg hatten und an Zahl und
Kraft zunahmen, je mehr jich die Einrichtungen des gededten Weges
vervollfommneten. Zuweilen nahm auch die Reiterei an diejen
Ausfällen teil.
Hatte die Demontierbatterie das Feitungsgeihüg zum Schweigen
gebracht, jo übernahm diejelbe gewöhnlich auch ohne Ortsveränderung
die Heritellung der Breche. Denn die Brechbatterie bedurfte
gleichfalls einer jehr hohen Lage, um die Esfarpe tief genug fafjen zu
fönnen, wenn man jich nicht entichliegen wollte, bi8 an den Graben-
rand vorzugehen. Dies aber tat man ungern, weil das unbehilfliche
ſchwere Geichüg jchlecht in den Laufgräben zu bewegen war. inige
der tüchtigjten Kriegsmänner des Jahrhunderts: jo Montluc, Francois
de Guiſe und namentlich die oranischen Prinzen, dachten hierüber
freilich anders und verjtanden es, durchzujegen, ihre Brechbatterten
bis in den gededten Weg vorzuführen. — Die Kunjt des Breche-
legens entwidelte ji) nur langjam.
Man jhoB anfangs meijt gegen den Mauerkranz und fuhr dann von oben
nad) unten fort. War da8 Mauerwerk jchlecht, fo führte die Erjchütterung feinen
Sturz herbei; war es aber gut und leijtete lange Widerjtand, jo häuften fich die
bherabjtürzenden Trümmer vor der Mauer auf, dienten als Buffer, jhwächten die
Geſchoßwirkung und ergaben dod feine gangbare Brede. Dann war man ges
zwungen, auf einem anderen Punfte neu zu beginnen ohne größere Wahrichein-
lichkeit de8 Erfolges. Gegen Ende des Jahrhunderts zeigt das Verfahren aber
entjchiedene Fortichritte. Busca empfiehlt, auf Y/s oder !/s Höhe der Eskarpe einen
wagerechten Einjhnitt zu machen.
Die Schwierigkeit des Mauerbruchs durch den Kanonenſchuß und
der Wunjch, möglichjt breite Brechen zu erzeugen, der jehr jtarf her-
vortritt, veranlaßte oftmals dazu, neben dem artillerijtiichen auch) den
Angriffmit Minen anzuwenden. Diejer fommt jchon im 15. Ihdt.
diesſeits wie jenjeit3 der Alpen zuweilen vor und richtete ſich im 16.,
ja auch) im 17. Ihdt. nicht jelten gegen ganze Fronten, jo 3. B. 1639
bei Hesdin. Sp große Anftrengungen, wie fie das Niederlegen
mehrerer Bajttone und Kurtinen durch Untergrabung und Aufjprengung
erfordert, zog man aljo der Unficherheit des artillerijtiichen Erfolges vor!
3. Zujammenfajlende Betrachtungen. 865
Hatte das Brechgeichüg oder die Mine genügend gewirkt, jo galt
es nun den Sturm. Die jchlechten Kommunikationen der Feitungen
mit ihren Außenwerfen erlaubten fajt immer, die legteren durch Hand»
ftreich zu nehmen. Dadurch ließ man ich nicht jelten verführen, in
ähnlicher Werje auch gegen den Hauptwall vorzugehen, was jedoch in
den meisten Fällen Fehl jchlug und empfindliche Verluste herbeiführte.
Wies der belagerte Pla nur einen trodenen Graben nebit
Niederwall auf, jo wurde die Schanze bis zu dieſem Walle fort
geführt. Dies gelang gewöhnlich ohne bejondere Schwierigkeiten, falls
feine „Meijenfajten“ (Kaponnteren) im Graben lagen. War dies der
Fall, jo zerjtörte man die niederen Streichwehren oder blendete jie
durch Erdarbeiten. — Najjen Gräben entzog man womöglich das
Waſſer oder überjchritt ſie auf beweglichen Brüden, deren Modelle
ja jchon in den Ikonographien des 15. IHdts. eine große Rolle
jpielen. — Der offene Grabenübergang blieb allezeit ein jchwierig
Ding, zumal wenn er unter dem Feuer intafter Flanfenbatterien oder
Doc) unter dem der traditores zu gejchehen hatte. Während des
„Anlaufens“ feuerten alle Gejchüge, bis die Truppen im Graben
waren. Dann fand gewöhnlich auf der Breche jelbjt noch ein hart:
nädiger Widerjtand mit Fladderminen und Feuerwerkskörpern ſtatt,
und nicht ſelten ſcheiterte eine bis dahin glücklich durchgeführte Be—
lagerung noch im letzten Augenblicke an dem Übergewichte der Nah—
verteidigung über den Angriff, an der Gefährlichkeit des Sturmes
oder an der Kraft der während des Geſchützkampfes erbauten provi—
ſoriſchen Abſchnitte.
SEl ESE LIBRAISSN
A er OF THE AR N
| UNIVERSITY \
OF
z x C dlır - P
SAL /FORNIS
Jähns, Geſchichte der Kriegswiſſenſchaften. 55
14 DAY USE
RETURN TO DESK FROM WHICH BORROWED
LOAN DEPT.
Es
This book is due on the last date stamped below, or
- on date to which renewed.
Renewed books are subject to immediate recall.
| i General Library
LD 21A-60m-7,'66 ity of Califorai
\ 74427s10)476B ——
w UT. m ——
U.C. BERKELEY LIBRARIES" >
C00333534 ?